One-Shots von DerNarrenkoenig ================================================================================ Kapitel 1: Ein Tag ------------------ Eine finstere Nacht, die Sirenen heulten, ein Mädchen wurde eingeliefert. So jung, so wunderschön. Feuerrotes Haar fiel sanft über ihre Schultern, ihre zarte Haut wirkte so vornehm blass, und Sommersprossen verzierten ihre Wangen, wie Hunderte kleine rote Blumen auf einer weißen Wiese. Die Augen geschlossen, wie zum Schlafe. Keinerlei Verletzungen, nicht ein stummer Zeuge erstreckte sich über ihre Haut, nicht ein einziger Kratzer wirkte verunstaltend. Doch trotz allem schlief sie. Kein Arzt war fähig dies zu erklären, sie verstanden es nicht, würden es wohl nie verstehen. Und was der Mensch nicht versteht, ist er gewohnt abzuschieben, es zu verdrängen, damit sein Eigenbild der Perfektion erhalten bleibt. Ebenso verfuhren sie mit ihr. Außergewöhnlich schnell, weit entfernt, das hinterste Zimmer, im letzten Flügel, am Ende des Flurs. Dort lag sie, im weißen sterilem Bett, daneben Maschinen die ihr Leben Schlag für Schlag mit einem monotonen Piepen begleiteten. Sie waren die letzten Boten ihres Lebens. Einen Tag nach ihrer Einlieferung, ging die Tür auf, schon Tausende Male war es geschehen, aber diesmal war es anders. Es trat ein junger Mann herein. Er hatte fast weißes Haar, es fiel lang über seine Schultern und verhängte sein Gesicht. Alle drehten sich zu ihm um. Er ging langsam und bedächtig zu dem Schalter, an dem eine Schwester Informationen ausgab. Er schaute auf, wischte sein Haar aus dem Gesicht und die Zeit blieb stehen. Seine stahlblauen Augen fixierten die Schwester. Alles war ruhig. Die regen Gespräche erstarben, Kleidung raschelte nicht, die Türen des Aufzugs quietschten nicht, und auch die klappernde Tastatur erstarb. Jedes Geräusch war fort. Wie ein scharfes Messer durchschnitt die feste Stimme des jungen Mannes die Stille. „Wo ist sie?“ Niemand hatte diesen jungen Mann zuvor gesehen, aber alle wussten was er wollte. Die Schwester tippte lautlos ein, dann gab sie die Zimmernummer, fast schon flüsternd, preis. Der junge Mann nickte kurz, ging zum Fahrstuhl. Tonlos öffnete sich die Tür für ihn, tonlos ging sie hinter ihm zu. Und dann kam alles zurück. Die Töne waren wie Geschrei in den Ohren, der Alltag, dass was uns Sicherheit gibt, war zurück. Er sprach kein Wort, das brauchte er gar nicht, er legte seinen Weg vollkommen stumm zurück. Leise öffnete er die Tür, als hätte er Angst sie zu wecken. Nur das letzte Lebenszeichen gab weiter piepsend Töne von sich. Er legte seine Jacke sorgfältig ab. Nahm sich tonlos einen Stuhl und setzte sich zu ihr. Er wischte seine Haare mit einer einzigen Geste aus dem Gesicht und das folgende Lächeln, war nur als liebevoll zu beschreiben. Doch seine Augen zeigten, dass seine Seele bittere Tränen weinte. Er nahm ihre Hand in seine, ganz sanft, ganz zärtlich, strich mit seinen langen feinen Fingern über ihre Haut und gab sanft einen Kuss darauf. „Leider kann ich dich heute nicht mitnehmen, es ist nicht die Zeit dafür, morgen vielleicht...“ Im Anschluss an diesen einen Satz, erzählte er ihr. Seine Stimme war sanft und liebevoll. Er berichtete vom vergangenen Tag, von dem, was sie verpasst hatte, von dem, was sie hätte erleben können. Und gab ihr irgendwie das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Nach alle dem, ging er wieder. Still und leise. Ganz so, als wollte er sie nicht wecken. Er ging, aber zurück blieb das leise Piepen des Lebens. Am nächsten Tag kam der junge Mann wieder. Wieder erstarrte die ganze Lobby. Wieder schienen alle Töne zu sterben. Und wieder kehrte alles zurück, als die Fahrstuhltür sich tonlos schloss. Er ging still den selben Weg und eröffnete seinen Besuch auf die selbe Weise wie zuvor, still und leise, ein sanfter Hauch von Kuss auf ihre Hand und eine Erzählung, wieder vom vergangenen Tag. Jeden Tag wiederholte es sich. Jeden Tag aufs Neue. Zur selben Zeit. Die selbe Prozedur. 1 Jahr lang. Als dann das traurige Jubiläum der Einlieferung bevor stand, war der junge Mann wieder da. Er warf, zum ersten Mal, einen Blick auf seine Uhr und auf seine Lippen legte sich ein freudiges Lächeln. Langsam schritt er auf den Fahrstuhl zu, doch wurde er heute aufgehalten. Eine sehr alte Frau, sie saß im Rollstuhl, verstellte seinen geradlinigen Weg, sie schien ihn zu erwarten. „Ist heute mein Tag?“ Ihre Stimme war schwach, bei jedem Wort schien es fast, als würde sie brechen. Der junge Mann lächelte sanft, lehnte sich vor und hauchte leise in ihr Ohr. „Heute nicht, aber morgen vielleicht.“ Dann ging er einfach an ihr vorbei, sie schaute ihm nicht hinterher, sondern sagte leise und nur für sich: „Morgen...“ Der junge Mann betrat das Zimmer. Er behielt seine Jacke an. Nahm keinen Stuhl. Nahm nicht ihre Hand. Er nahm ihr nur einen Kuss. Zärtlich und sanft legten sich seine Lippen auf ihre und als er sie löste, schlugen ihre Augen auf. Smaragdgrün, mit einem frechen leuchten. Sie stand auf und nahm seine Hand, welche er ihr entgegen streckte. Alle Last fiel von ihr ab. „Heute darfst du mitkommen!“ Sie lächelte sanft. Zusammen verließen sie, still und ungesehen, das Krankenhaus. Hand in Hand. Niemand nahm sie wahr. Erst der schrille Schrei des mechanischen Todesboten berichtete von ihrem Gehen. Die Zeit war gekommen. Es war ihr Tag. Ihr Moment. Und irgendwann, wird jedem von uns ein Tag gehören, irgendwann, uns ganz allein. Kapitel 2: Ein Mädchen ---------------------- Wie spricht man einen Jungen an? Eher intellektuell? „Wusstest du, dass...“ Oder mit einem Witz? „Fritzchen sagte zur...“ Es ist schwer, vor allem wenn man etwas ganz bestimmtes erreichen will. Ungezwungen lässt sich ein Gespräch leicht führen, aber inzwischen war es praktisch unmöglich. Sie redete oft mit ihm, sie lachte, lächelte und kicherte. Er war freundlich, war nett, hatte sie zum vorletzten Weihnachten beschenkt, aber nicht zum letzten. Manchmal umarmte er sie sogar, so zärtlich, aber eigentlich nur freundschaftlich. Zum Geburtstag hatte er ihr gratuliert, es gab sogar einen Kuss, aber nur auf die Wange. Er war eben ein guter Freund, jedenfalls manchmal. Er machte ihr auch Komplimente, mal süß, mal merkwürdig. „Mein Schutzengel...“ „Du kleines Wasserglas...“ Sie wusste es nicht mehr. Zusammen hatten sie sogar Insiderhumor. „Der Blümchendrache...“ Das hatten sie im Unterricht erarbeitet, die Köpfe zusammen gesteckt und sie war fast vom Stuhl gefallen vor Lachen. Manchmal wurde sie schon rot im Gesicht, immer dann, wenn er ihr ganz nah kam, ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie sagte dann, ihr Kreislauf wäre zu stark, Bluthochdruck. Dann machte er einen Witz, warf seinen Arm um ihre Schulter und sie zogen weiter. An manchen Tagen sah er sie auch gar nicht an, wurde nur von seinen Kumpeln in Beschlag genommen, sie hasste solche Tage, sie empfand es als grausam. Manchmal war er wirklich grausam, böse, irgendwo ein Arsch. Doch irgend etwas musste sie tun, sie erwachte mitten im Geschichtsunterricht aus ihrer Trance. Der wichtige Satz fiel genau jetzt. „Wer will den Vortrag halten?“ Ihr Arm reckte sich wie in einem Reflex nach oben, während ihr anderer seinen Ellbogen zielsicher in seine Seite bohrte, er schreckte auf, stand auf, er wollte sich gerade entschuldigen, schliesslich hatte er geschlafen, sie zog ihn wieder herab. „Gut, wir haben 2, ein schönes Paar.“ Sie wurde rot, er schaute fragend. „Nur mein Bluthochdruck.“ Er grinste und schlief wieder ein. Jetzt hatte sie ihn, er würde nicht mehr fliehen, sich nicht mehr winden, nicht mehr verwirren, endlich würde es klar werden. Pause. Endlich war er wach. Ganz beiläufig fragen, keine Angst haben, man kannte sich doch. „Für den Vortrag. Heute bei mir? Erste Vorbereitung? Kriegsrat?“ Überraschung? Verunsicherung? Ein Nicken und eine typische zu lange Erklärung, aber die wurde wie immer ausgeblendet. Wichtig war die Essenz: Ja. Der Rest des Tages war leicht. Lesen, Schreiben, Rechnen, sich entschuldigen, der Kreide ausweichen, Aufgaben lösen, ein ganz normaler Tag, langweilig wie immer. Er war bei seinen Kumpels, dieser Idiot. Endlich Nachmittag. Hintern auf den Sattel, neben ihm her fahren, ein Ziel. Nicht groß, nicht schön, aber es war ihr Zimmer. Die Eltern ausgeflogen. Geburtstagsfeier. Ihr war es eigentlich egal. Wer ein Teenager war, wollte eben seine Ruhe haben. Die Tür geschlossen und endlich zu zweit allein. Kapitel 3: Grau in Grau ----------------------- Ein normaler Angestellter, grau in grau, mit einem Leben ohne tieferen Sinn, ging durch die Straßen einer namenlosen Stadt. Mitten im Storm der Anderen, lauter graue namenlose Angestellte. Alle waren wie er selbst. Alle mit nur einem Ziel, einem sinnlosen Ziel. „Nur nicht auffallen. Einfach überleben.“ Alle grau in grau. Jeder zweite trug den Scheitel rechts, die Restlichen trugen ihn links. Keine langen Haare, keine stoppligen Bärte. Jeder in frisch gebügelten Anzügen, mit grauen Krawatten, grauen Herrenschuhen. Nur Männer. Die Straßen waren grau, die Häuser, die Autos, die Menschen, alles grau in grau. Eine zähflüssige Masse, die sich durch die Straßen walzte. Auch der eine Angestellte war ein Teil des Ganzen. Ging geschäftig, ohne etwas vor zuhaben. Ohne ein wahres Ziel. Er ging einfach nur. Dann ein kurzer Blick. Seine trüben Augen erblickten, mitten auf der Straße, eine Frau. Eine junge Frau. Er spürte tief in seinem Herzen ein Gefühl. Es war intensiv. Es war für ihn unbekannt. Sie war für ihn wunderschön. Langes braunes Haar fiel in Wellen den Rücken hinab. Locker und offen. Unbegrenzt. Ungebändigt. Ohne Regeln. Sie trug ein langes Sommerkleid, mit Sonnenblumen, ein wundervolles Muster, es ging hinab bis zu ihren Knöcheln. Für nur wenige Sekunden wandte sie sich dem grauen Angestellten zu. Doch reichte dieser kurze Moment, damit sich ihr Gesicht in seine Erinnerungen brannte. Klare blaue Augen, eine feine schmale Nase, leicht gebräunte, wohl samtweiche Haut. Ihre Lippen mit sanftem Rot verziert, welches perfekt mit ihrem Teint harmonierte. Der Angestellte blieb stehen, er beobachtete sie nur. Die Massen brachen sich an ihm, flossen um ihn herum und kehrten dann in gewohnte Bahnen zurück. Immer weiter voran, sinnlos, ziellos. Die junge Frau schloss ihre Augen, breitete ihre Arme aus, sie schien etwas zu erwarten. Der Angestellte wandte seinen Kopf, er erblickte einen Laster. Er fuhr auf sie zu. Bremste nicht. Er würde sie erwischen, zweifelsohne. Der Angestellte verstand sie nicht. Schnell fiel seine Aktentasche zu Boden. Er kämpfte sich einen Weg durch die Masse, brach aus dem Storm heraus, rannte auf die Straße, warf sein flatterndes und dadurch behinderndes Jackett ab, rannte weiter, erreichte sie, packte sie und stürzte mit ihr auf den Gehweg der anderen Seite. Zurück in den Strom. Der Laster fuhr vorbei, ohne ein Opfer. Er stand auf, zog sie auf die Füße und schrie sie an. Warum wusste er nicht. Er fühlte, als müsste er es tun. „Warum wollten sie sterben?“ „Ist der Alltag denn besser, als das was folgt, wenn man ihn verlässt?“ Er sah sie fragend an, verstand sie nicht, wusste nicht was sie meinte. Aber bevor ihm die Möglichkeit gegeben war nachzufragen, war sie verschwunden. Wieder in der Masse untergetaucht. Ihre Worte hallten in seinem Kopf wieder, mit diesem Widerhall, kehrte er nach Hause zurück. Das Jackett blieb zurück, es war ihm egal, ebenso wie der Aktenkoffer, der zuvor sein Leben so stark bestimmt hatte. Nun war die Nacht vorüber, die Sonne stieg über der namenlosen Stadt auf und ein neuer Farbfleck bestimmte das Bild der zähfließenden Masse. Eine blaue Jeans. Ein weißes T-Shirt. Ein Orange-gelbes Hemd, es flatterte leicht. Hellblaue Turnschuhe. Die Anderen, die Grauen, wichen vor dem neuen Fleck zurück. Sie verstanden ihn nicht. Fürchteten ihn. Er war anders. An der selben Stelle, wie am Tag zuvor, erblickten die klaren Augen des bunten Angestellten, jene Frau, sie war wieder da. Er ging lächelnd auf sie zu. Hatte lange nachgedacht. Hatte sie endlich verstanden. Es war Zeit es zu beweisen. Leicht schaffte er es aus der Masse zu brechen. Kein Kampf. Keine Anstrengung. Er machte seinen Weg. Sie streckte ihre Hand seiner entgegen. Er griff zu. Hand in Hand schlossen beide ihre Augen. Weiteten ihre Arme aus, sie erwarteten den Laster. Sie erwarteten das Ende ihres Alltags. Kapitel 4: Ein kalter Märztag ----------------------------- Ein kalter Märztag, der Winter dauert eindeutig schon viel zu lange, im Februar hätte er aufhören sollen, das wäre besser für alle gewesen. Okay, es schneit immerhin nicht mehr und die ersten Krokusse habe ich auch schon gesehen, aber alles ist wolkenverhangen, die Bäume sind kahl und im Allgemeinen scheinen die Farben nicht mehr strahlen zu können. Irgendwie ist der Tag einfach trüb, wenn man ihn realistisch betrachtet. Jedenfalls wird er den meisten wohl so erscheinen. Aber für mich könnte es kaum einen besseren geben. Die Sonne scheint viel heller, als jemals zuvor, auch wenn manch andere sie gar nicht zu sehen scheinen. Die Vögel singen angeregt für mich, jedenfalls klingt es in meinen Ohren so. Und daher kann ich auch nicht anders und pfeife freudig ihr Lied. Deswegen lachen zwar die Meisten, aber das interessiert mich nicht. Ein zarter Windhauch weht mir sanft um die Nase, manch andere würden vielleicht frieren, doch ich werde nur erfrischt. Sehr angenehm. Mein Tag ist einfach perfekt. Ich brauche keine Natur um glücklich zu sein, mein Glück definiert mir die Natur. Ich kann lachen, strahlen, witzeln, necken, freundlich sein, egal wie das Wetter ist. Und dabei ist gar nicht viel passiert, der Unterscheid ist nur ein einziger. Sie. Ich brauche keine Sonne, da sie für mich strahl. Die Vögel müssen nicht singen, da sie in meinem Herzen eine Melodie erzeugt. Ich brauche keine Wärme, da der Gedanke an sie mich wärmt. Mein Tag ist perfekt, weil ich einfach nur weiß, dass es sie gibt. Jeder Tag ist perfekt, weil es sie gibt. Ich freue mich auf morgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)