Die Herzschwert-Saga von Teak-Wan-Dodo (Die Hüterin des Herzschwertes) ================================================================================ Kapitel 2: 2. Akt: Begegnung mit dem Schicksal ---------------------------------------------- Der Schein kann trügen. Etwas Hässliches kann von innen schön sein, Etwas Schönes kann von innen hässlich sein. Höre auf die Stimme, Die dich vor allem Übel zu schützen vermag. Dann wirst du die Wahrheit erkennen. Der Magus, mächtigster Magier von Konass *** Die Neuigkeit der Ankunft der Trödler verbreitete sich wie ein Laubfeuer durch Steindorf aus. Ein kleiner Gauklertrupp war voraus geeilt, um den fahrenden Zirkus anzukündigen und hatten in der Dorfmitte, wo sich alle wichtigen Läden – wie Berolds Schmiede – befanden, einiges von ihrem Können präsentiert und die Leute zum Applaudieren gebracht. Die Dörfler hatten sofort damit begonnen alles für die Ankunft der Trödler her zu richten, damit diese sich, wie jedes Jahr, wohl bei ihnen fühlen konnten. Am Mittag war schließlich der Zirkus der Trödler angekommen und hatte außerhalb des Dorfes sein Lager aufgeschlagen. In einem großen Halbkreis hatten die fahrenden Gaukler und Händler ihre Wagen aufgestellt, eine große Feuerstelle ausgehoben und ihre Waren aufgestellt, damit die Leute sich umsehen und etwas kaufen konnten. Fynn hatte sich über die Ankunft der Trödler ganz besonders gefreut, wie all die Jahre zuvor. Doch dieses Mal hing sie viel mehr mit ihren Gedanken bei einem stattlichen Mann, mit blonden Haar, blauen Augen und einem Lächeln, das ihr die Beine weich werden ließ. Jakob, der fremde Krieger aus den Schneeländern. Er ging ihr nicht mehr aus den Kopf, seitdem sie ihn in Steindorf hatte einreiten sehen. Der schöne Mann mit der leicht blässlichen Haut hatte ihr Herz gewonnen und Fynn glaubte, er wäre der Mann ihrer Träume. Das hatte sich sogar bestärkt, als sie sich mit ihm am gestrigen Abend unterhalten hatte. Die anfängliche Scheu war mit einemmal von ihr Abgefallen, als sie ganz offen miteinander geredet hatten. Die kleine Halbork hatte von ihm erfahren, dass er aus dem weiten Norden stammte, wo der Schnee einen Monat länger liegen blieb, als in ihrer Heimat. Jakob hatte ihr erzählt, dass er aus einfachem Hause stammte, eine kleine Armee Geschwister hatte und seine Eltern rechtschaffene Leute waren. Den Weg des Kriegers hatte er eingeschlagen, da ihn das Abenteuer, die weiten Konass zu erkunden, vom elterlichen Hof getrieben hatte. Er war schon weit herum gekommen, hatte die verschiedensten Völker und Rassen getroffen und gegen üble Kreaturen, wie Orks und Trolle, gefochten. Fynn hatte ihr Staunen nicht vortäuschen müssen. Sie hatte jedes seiner Worte begierig in sich gesogen, wobei sie ihm die ganze Zeit über in das feine Gesicht gesehen hatte, das an einen edlen Elfen erinnerte. Sie hätte sich eigentlich an diesem Abend an Jakobs atemberaubendem Gesicht satt sehen müssen, doch sie drängte der Wunsch, den Mann so schnell wie irgend möglich wieder zu sehen. Das Mädchen sah sich das Kleid an, das sie gestern Abend noch getragen hatte. Sollte sie es wieder anziehen? Allein in ihrer kleinen Kammer stehend, den Kleiderschrank weit aufgerissen, stand Fynn nur in ihrem leichten Nachthemd und sah das Kleid ihrer Mutter an, das diese mit dem Titel `die flotte Kary´ getragen hatte, als sie vor vielen Jahren als Schankmaid in der Taverne `Eberspieß´ gearbeitet hatte. Sicher, das Kleid hatte seine Wirkung nicht verfehlt, so glaubte Fynn. Jakob hatte sie schließlich bemerkt. Dennoch konnte sie den Gedanken nicht abtun, dass sie etwas anderes tragen sollte. Ein Klopfen an der Tür erweckte ihre Aufmerksamkeit. „Fynn?“, erklang die Stimme ihres Onkels. „Ja?“, fragte sie und ging zur Tür. Sie öffnete diese einen Spalt breit und spähte hinaus, direkt in das besorgte Gesicht ihres Onkels. „Was ist denn, Onkel?“ „Ich wollte nur wissen, wo du steckst“, sagte der Schmied mit dem kahlen Haupt. „Du bist heute so schnell verschwunden.“ Er musterte sie durch den kleinen Spalt und bemerkte, dass sie nur ihr Nachthemd trug. „Bist du krank?“ Fynn sah an sich herab und schüttelte leicht den Kopf. „Nein, Onkel“, sagte sie lächelnd, gerührt von der Sorge ihres alten Onkels. Schon als kleines Kind, nach dem Tod ihrer Mutter, hatte sich Berold immer zu viele Sorgen um das Mädchen gemacht und jeden Tag gefragt, wie es ihr ging. Mit der Zeit hatte das aufgehört, doch immer, wenn sie sich etwas anders benahm, als es üblich für sie war, fragte er nach. „Ich mache mich nur für heute Abend zurecht. Ich will zu den Trödlern.“ Berold schien sich damit zufrieden zu geben und sagte: „Gut. Wenn du fertig bist, gebe ich dir etwas Geld.“ Mit diesen Worten wand er sich von der Tür ab und überließ Fynn sich allein. Das Mädchen schloss hinter sich die Tür und verriegelte diese. Sie kehrte an ihren Schrank zurück und sah sich die wenigen Kleider an, die sie dort vorfand. Einst hatten sie alle ihrer Mutter gehört. Jedes Kleidungsstück lag einst an der Haut und der Wärme ihrer Mutter. Einige hatte sie bereits getragen, aber nie etwas von der mütterlichen Wärme gespürt. Das Halbork-Mädchen glaubte, die Wärme wäre in den vielen Jahren längst verflogen. Das Mädchen griff nach einem der Kleider, das aus rotem Stoff gemacht war. Was hätte sie jetzt nicht alles für einen Spiegel gegeben, um zu sehen, ob das Kleid ihr stand. Sie drückte das Kleidungsstück dennoch an ihre zierliche Gestalt und versuchte abzuwägen, ob er ihr stand. Unsicher legte sie es auf ihr Bett, um sich das nächste Kleid zu nehmen. Über eine Stunde war sie damit beschäftigt, sich das richtige Kleid raus zu suchen, bis sie sich für ein grünes entscheiden hatte. Es hob sich besonders gut von ihrer blass- grünen Haut ab und es passte an den richtigen Stellen sogar. Ob ihre Mutter dieses Kleid auch in ihrem Alter getragen hatte, fragte sich Fynn, als sie den Stoff, der sich an ihre Haut schmiegte, glatt strich. Doch das Wichtigste war, würde es Jakob gefallen? Obwohl Fynn den Mann grade mal einen Tag kannte, drehte sich ihre kleine Welt nur noch um ihn. Er war so ein wunderbarer Mann: Er verstand sie. Er erahnte, was sie sagen wollte und zeigte echtes Interesse an ihr. Ihm war egal, ob sie zur Hälfte eine Ork war. Er sah nur die Frau in ihr, die sie bald sein würde. Ob er vielleicht im selben Moment an sie dachte, so wie sie an ihn? Der Gedanke daran zauberte ein feines Lächeln auf ihr Gesicht. Als sie fertig war, räumte sie unter höchster Sorgfalt die Kleider ihrer Mutter in den Schrank zurück. Schnell streifte sie sich ihr gutes Schuhwerk über, das sie am gestrigen Abend zuvor schon getragen hatte, denn mehr als dieses und einem paar abgetragener Stiefel besaß sie nicht.. Wieder wünschte sie sich einen Spiegel herbei, um sich zu bewundern und zu vergewissern, ob alles richtig saß. Sie eilte zur Tür und endriegelte diese, um ihre Kammer zu verlassen. Ihr Onkel saß am Tisch in der Küchenstube und polierte einen alten Dolch, denn er mit zu jedem Fest nahm, wenn denn eins stattfand. Er sah wie jeder andere aus, doch auf dem Endstück des Knaufes thronte ein kleiner Amboss. Berold hatte ihr einmal erklärt, das dieser Dolch seinen Stand darstellen sollte. Ob das stimmte, bezweifelte sie, denn man sah ihrem Onkel deutlich an, welches Handwerk er ausübt, dennoch hatte sie ihre Meinung dazu nie geäußert. Als der alte Mann sie bemerkte, hob er seinen Blick und sah sie mit großen Augen an, als würde er einen Geist sehen. „Kind“, stieß er hervor und erhob sich, wobei er den Dolch und den Polierlappen einfach auf dem Tisch liegen ließ. Er trat auf sie zu und nahm sie ganz genau in Augenschein. „Du… du siehst ja bezaubernd aus.“ Von dem Kompliment tief berührt, wand Fynn verlegen den Blick ab und lächelte. „Danke, Onkel“, sagte sie schüchtern, bevor sie ihn wieder ansah. Sie sah, dass sein Gesicht von einem sanften Lächeln geziert wurde. „Wenn dich nur deine Mutter sehen könnte“, seufzte er und bat sie, sich einmal zu drehen. Sie gehorchte nur zu gerne, denn die Erwähnung ihrer Mutter schein ihr den nötigen Mut zu geben und erfüllte sie mit Stolz. Der ehrfürchtige Blick ihres Onkels blieb die ganze Zeit auf ihr haften, als sie sich drehte. „Du siehst ihr so ähnlich, Kind.“ „Wirklich?“ Er nickte stumm und blinzelte. Fynn runzelte die Stirn, als sie glaubte, Feuchtigkeit in den Augen des alten Mannes aufblitzen zu sehen, bevor er mit seiner Hand darüber fuhr. Sie schüttelt innerlich den Kopf. Ihr Onkel und Tränen. Das passte einfach nicht zusammen. „Kind, da wird Ian sicher Augen machen“, sagte der alte Schmied schließlich und entlockte dem Mädchen einen verlegenden Blick. Ian hatte Wort gehalten und ihrem Onkel erzählt, sie wäre die ganze Nacht über bei ihm gewesen und sie hatten geredet. Sie musste ihm dafür noch danken, bevor sie Jakob aufsuchte und fragte, ob er mit ihr nicht zusammen zu den Trödlern gehen wolle. Da sie wusste, das der Mann mit diesen weiter ziehen wollte, ging sie davon aus, das er ihrem Angebot sicher gerne folge leisten würde. Vielleicht würde er es auch nur tun, damit er bei ihr wäre. Dieser Gedanke ließ sie innerlich wieder aufjauchzen. Sie und Jakob, Hand in Hand, auf dem Trödlerfest. Sie nickte leicht zur Antwort und wollte schon gehen, als ein Klopfen von der Tür kam. Sie runzelte die Stirn. Wer war das, fragte sie sich, als sie an ihrem Onkel vorbei ging und die Tür öffnete. Zu ihrem Schreck stand da Garyn, mit finsterer Miene und einem großen Sack über der Schulter. Als der Bursch die Halbork erkannte und sah, was sie da trug, weiteten sich seine Augen dermaßen, das man glauben mochte, sie würden gleich aus den Höhlen fallen und am Boden herum kullern. Dabei klappte ihm der Mund weit auf. Fynn erholte sich von ihrem Schrecken und erinnerte sich, das der Holzfällersohn für einen Monat Berold zu Dienste sein würde. Zudem fand sie es überaus amüsant, dass er sie so schockiert ansah. Sie legte ein Lächeln auf und stemmte die zierlichen Hände in die Hüften. „Was guckst du so, Garyn?“, fragte sie den Jungen spöttisch. „Noch nie eine Frau im Kleid gesehen?“ Bevor er was erwidern konnte, brummte Berold von hinten: „Fynn, ärger ihn nicht. Garyn sollte mir etwas mitbringen.“ Das Mädchen wand sich ihrem Onkel kurz zu, sah darauf Garyn wieder an und musterte den Sack, denn er bei sich trug. „Garyn, hast du alles dabei?“ „J-ja“, stammelte der Junge kurz, bevor er seine Fassung so weit zurück erlangt hatte, um seinen Mund wieder zu bekommen und seine Stimme wieder unter Kontrolle zu haben. „Ich hab alles dabei, Meister.“ Wieder runzelte Fynn die Stirn, während die Garyn hinein ließ. Als der Junge bei ihrem Onkel angefangen hatte, hatte der stämmige Schmied von ihm verlangt, als Meister angesprochen zu werden. Der Bursche hatte sich anfangs dagegen gesträubt, bis er erkannt hatte, das Herummurren bei dem alten Mann nichts brachte. Zwar erweckte er immer noch den Anschein, das es ihm nicht gefiel, den Alten als Meister zu bezeichnen, doch schein er sich schnell damit abzufinden. „Stell ihn da ab“, sagte Berold und wies in eine Ecke der Küchenstube, wo Garyn ätzend den großen Sack ablud. „Was ist denn da drin?“, fragte Fynn neugierig und trat näher heran. Berold trat ihr in den Weg und meinte: „Sei nicht so neugierig, Kind. Du wirst morgen schon sehen, was sich darin befindet. Also mach, dass du weg kommst. Du wolltest doch zu den Trödlern.“ Fynn nickte, obwohl sie nur zu gerne, was sich in dem Sack befand. Sie wand sich zum Gehen um, bemerkte dabei noch Garyns finsteren Blick. Sie beachtet ihn nicht weiter, denn solche hatte der Junge ihr schon zur genüge hinterher geworfen. „Ach, Fynn“, hielt sie ihr Onkel an der Tür auf. Sie wand sich um und sah ihn ungeduldig an. Sie wollte schnell zum `Eberspieß´, um Jakob zu treffen. Wenn sie weiter trödelte, wäre er vielleicht gar nicht mehr da und sie würde den ganzen Tag damit verbringen, heraus zu finden, wo er sich herum trieb. Ihr Onkel kam auf sie zu und drückte ihr einen kleinen Beutel in die Hand. Als sie diesen öffnete, sah sie die vielen Kupfermünzen, die darin waren. Mit großen Augen sah sie ihn an. „Roland hat mir bereits erzählt, dass du dir nichts geholt hast“, sagte er zu ihr und lächelte. „Das und ein paar Münzen extra müssten für den besuch der Trödler sicher reichen.“ „Danke, Onkel“, sagte sie und drückte sich an den Schmied, der ihre Umarmung kurz erwiderte. Sie löste sich von ihm und eilte aus der Hütte, um schnell ins Dorf zu kommen. Schnell wollte sie zu Jakob, sein Lächeln sehen und mit ihm einen schönen Tag verleben. Allein mit Jakob, dachte sie schwärmerisch und beschleunigte ihre Schritte. *** Die Dörfler fanden sich recht früh bei den Trödlern ein und wanderten von Stand zu stand, wenn sie nicht grade den Kunststücken eines Gauklers beiwohnten. Überall hörte man begeisterten Applaus oder Jubelrufe, wenn einer der Straßenkünstler erfolgreich sein Kunststück vorgeführt hatte. In der Zwischenzeit wechselte viel Geld die Besitzer, wenn die Händler mit den Dorfbewohnern feilschten oder handelten. Kinder sahen dabei zu, wie der Schwertschlucker eine lange Klinge in seinen Rachen gleiten ließ, ohne sich daran zu verletzen. Männer bewunderten die Beweglichkeit einer jungen Frau, die ohne weiteres ihren Körper verdrehte, als wäre sie eine Schlange. Frauen keuchten bewundernd, als ein stämmiger Mann Gewichte stemmte, die mindestens das Doppelte wogen, als er selber. Und dazwischen rannten geschminkte Männer und Frauen herum, die mit kleinen Alberrein die Leute zum Lachen brachten Mit wachsamen Augen beobachte der Jerisane das Treiben der Schausteller und der Bewohner Steindorfes. Er musterte jedes unbekannte Gesicht eingehend, auf der Suche nach seiner Beute. Doch niemand machte den Anschein, als wäre er das Objekt der langen Suche des Mannes aus der Wüste. Seit er in dem Dorf war, hatte er noch niemanden ausgemacht, der sich in irgendeiner Weise verdächtig benahm. Höchstens, das die Leute ihn unbedingt sehen wollten, den einarmigen Mann aus der Wüste Jeris. Er fand es ungemein störend, wenn ihn ununterbrochen irgendwelche Leute angafften, als hätten sie noch nie zuvor einen Jerisanen gesehen. Er wusste zwar, dass die Leute hier selten einen zu Gesicht bekommen hatten, doch fand er es überaus unschicklich, dass man alle guten Manieren einfach so über den Haufen warf und einen ansah, als wäre man ein exotisches Tier. Er konnte nur hoffen, dass er seinen Auftrag schnell hinter sich bringen konnte, wie es sein Herr von ihm wünschte. Denn sofort würde er von diesem öden Ort verschwinden und in das Dünenmeer seiner Heimat zurückkehren. Dem Sitzen überdrüssig, erhob sich der Wüstenreiter und wanderte von seinem Platz durch die Menge der Leute, um so seine Beute schnell zu finden. Dabei wich er ohne weiteres jedem Körperkontakt aus. Als wäre er gar nicht da, durchwanderte er das Gauklerlager, dabei immer wachsam die Augen auf jedes Gesicht gerichtet, das ihm unterkam. Bisher hatte er keins als das erkannt, welches er suchte. „Meine Damen und Herren!“, ertönte die Stimme der Halbling-Frau nicht weit weg von ihm. Als er nach ihr suchte, sah er sie auf einem der Planwagen stehen und um Aufmerksamkeit bitten. Die umstehenden Leute sahen zu ihr auf und musterten sie mit neugierigen Blicken und flüsterten untereinander. Als es leise genug war, fuhr Svenja sogleich fort. „Wie jedes Jahr, so danke ich euch auch in diesem Jahr für eure Gastfreundschaft, obwohl, das Bier hätte besser sein können!“ Lautes Lachen schwoll unter den Anwesenden an – der Jerisane blieb der einzige, der nicht lachte. „Als dank dafür möchten wir euch eine unserer neuesten Nummern vorführen!“ Wie aufs Kommando erklang ein lautes Brüllen weiter abseits der Menge. Die Leute wanden alle ihre Blicke in die Richtung und erblickten einen großen Käfig, der von einigen Gauklern gezogen wurde. Im Inneren des Käfigs lauerte ein großes, abscheuliches Wesen, das jeden anfauchte, der dem Käfig einen Schritt zu nahe kam. Die Leute wichen nur bereitwillig vor dem Käfig zurück, denn keiner wollte in die Reichweite der Krallenbewährten Fänge geraten, die gelegentlich zwischen den Gitterstäben hervor schossen. Der Körper des Wesens war übersäht mit unzähligen, glänzenden und sandfarbenen Schuppen, die die Größe eines Männerkopfes hatten. Der Körper erinnerte an eine große Echse mit langen Stacheln auf dem Rückgrat. Gelbe Augen funkelten die Menschen begierig an, während das mit hunderten von Rasiermesserscharfen Zähnen bestückte Maul gelegentlich auf und zu klappte und der lange Schwanz gegen die Gitterstäbe des Käfigs peitschte. Der Jerisane erkannte die Kreatur sofort. Ein Sandkriecher. Diese Kreaturen lebten in den Tiefen der Wüstenländer, wo sie unvermittelt aus dem Sand schossen und ihre Opfer mit ihren Mäulern schnappten, bevor sie wieder in den Tiefen des Sandes versanken. Es gab selten jemanden, der einen Angriff dieser Bestien überlebte und davon berichten konnte. Doch mehr plagte ihn die Frage, wie es den Gauklern wohl gelungen war, den Sandkriecher zu fangen. So weit er aus den Geschichten der fahrenden Männern und Frauen gehört hatte, waren diese nur in Helios unterwegs und hatten noch die den sandigen Boden Jeris betreten. Zudem kam ihm die Frage, wo sie das Wesen die ganze Zeit versteckt gehalten hatten. Während er mit ihnen nach Steindorf gereist war, hatte er nirgendwo auch nur eine Spur des Sandkriechers ausgemacht. „Habt keine Angst!“, rief Svenja, die mittlerweile von dem Wagen herunter geklettert war und durch die Menge schritt. Die Halbling-Frau blieb einige Schritte von dem Käfig entfernt stehen und warf dem Sandkriecher einen kurzen Blick zu, bevor sie sich an die Schaulustigen wand. „Das Ungeheuer wird keinem von euch etwas tun! Allein in den Wüstenländern, wo der Sand so hoch wie Berge türmt, stellte er eine richtige Gefahr für uns dar! Der harte Boden unserer Heimat behindert es ungemein!“ Sie trat näher an den Käfig und wich einer nach ihr schlagenden Pranke auf. Erschrockenes Gekeuche und Schreie halten durch die abendliche Luft. Selbst der Wüstenreiter hatte die Luft angehalten, da er geglaubt hatte, dass das Wesen die kleine Frau erwischen würde. Doch die Flinkheit der Halblinge war legendär und Svenja machte dieser alle Ehre. „Also wirklich“, beschwerte sich Svenja bei dem Monster, das ihr nur ein lautes Brüllen zur Antwort gab. „Da füttert man den Großen so lange durch und er will einen immer noch fressen. Hat man da Töne?“ Sie wand sich an Buck, der nicht weit ab stand und gab ihm ein kurzes Zeichen. Der Gaukler holte eine Flöte aus den Falten seines kunterbunten Kostüms und legte diese sich an die Lippen, um eine sanfte Melodie zu spielen. Die Melodie schien über alle Anwesenden hinweg zu schweben und der Wüstenmann bemerkte, wie einige der Dörfler ein Lächeln aufsetzen und dabei die Augen schlossen, um ihr genauer zu lauschen. Er musste zugeben, dass der Gaukler hervorragend spielte, doch sprach ihn die Musik nicht wirklich an. Aber den Sandkriecher, wie er merkte. Als er zurück zu dem Käfig sah, sah er, dass das große Wesen angefangen hatte im Takt zu schaukeln und leises, zufriedenes Zischen von sich zu geben. Seine Augen wirkten schläfrig, nicht mehr angriffslustig, wie es zuvor die ganze Zeit der Fall gewesen war. Seine Bewegungen waren träger geworden, als würde er jeden Moment einschlafen. Überrascht bemerkte er, das Svenja die Tür des Käfigs öffnete und zu dem Sandkriecher hinein kletterte. Andere bemerkten dies auch und keuchten erschrocken und panisch auf. Rufe erklangen, man sollte die kleine Frau dort weg holen, doch keiner bewegte sich, kein Gaukler, kein Dörfler. Svenja ließ sich von nichts aufhalten, stellte sich mutig dem Ungetüm, das sie aus schläfrigen Augen her anstarrte. Die Halbling-Frau tätschelte dem Wesen die breite Schnauze, als würde es sich dabei nur um einen Hund handeln. Kurz darauf drückte sie das Maul des Wesens weit auf und wieder erklang panisches Geschrei von den Leuten. Der Jerisane, konnte nicht glauben, was nun zu sehen bekam. Die kleine Frau schob ihren Kopf in das Maul des Sandkriechers, der bloß weiter vor sich hin und her schaukelte. Svenja grinste von dem Maul her und winkte den Leuten, die sie mit großen, vor Unglauben geweiteten Augen her ansah. Als sie ihren Kopf aus dem Maul des Sandkriechers nahm, jubelten die bis eben noch schockierten Männer und Frauen des Dorfes begeistert auf. Die kleine Frau verneigte sich vor den Leuten zum Dank, während sie aus dem Käfig kletterte. Sie winkte einen anderen Gaukler herbei, der die Robe eines Magiers trug, sicher keiner war, wie der Wüstenreiter glaubte. Der falsche Magier verneigte sich übertrieben, wobei ihm der absurde Hut, den er trug, vom Haupte fiel und die Leute wieder zum Lachen brachten. Er zog einen kleinen Stab aus den Falten der Robe und schwang ihn übertrieben durch die Luft und sprach dabei die geheimen Worte der Macht. Der Mann aus der Wüste erkannte diese als solche. Es gab einen lauten Knall und der Käfig wurde plötzlich von einer Wolke aus weißen Rauch umgeben und verschwand darin. Das Heulen des Sandkriechers erklang noch einmal, bevor er augenblicklich wieder verstummte. Langsam fing der Rauch an sich zu lichten, bis der Käfig wieder zu sehen war. Doch der Sandkriecher war verschwunden und nun stand eine junge Frau, mit sandfarbenen Haar und einem eng anliegenden Anzug dort und streckte die Arme in die Höhe. Sofort erklang Jubel und Applaus der Dorfbewohner, die von diesem Schauspiel mehr als begeistert waren. Nie zuvor hatten sie so eine unglaubliche Nummer sehen dürfen und sie waren auch mehr als bereit dafür zu zahlen, als einige Kinder der Gaukler mit Klingelbeuteln durch die Reihen gingen. Als Svenja auf den Jerisanen zuging, sah dieser immer noch auf den Käfig, aus dem die junge Frau, mit Bucks Hilfe, stieg. Sobald die kleine Frau bei ihm war, fragte er: „Das war eine Illusion, oder?“ Die kleine Frau kicherte und strich sich über die rot-braunen Locken. „So ist es“, sagte sie und wand sich dem Käfig zu, der nun weg geschafft wurde. „Ich wäre eine Närrin, wenn ich einen Sandkriecher mit mir herum schleppen würde. Weist du, was mich das Vieh kosten würde?“ Der Jerisane konnte ein Zucken des Mundwinkels nicht verhindern. Er sah auf die Halbling-Frau herab, die immer noch auf den Käfig sah. Kurz darauf sah sie zu ihm auf und fragte: „Da wir nun alleine sind“, um die beiden gingen die Besucher des Gauklerzirkus herum, „kannst du mir da nicht sagen, was dich nach Helios getrieben hat?“ Die Miene des Wüstenreiters verhärtete sich, als sie fragte. „Nein“, war seine Antwort, bevor er sich umwand und die kleine Frau stehen ließ. Sein Auftrag ging nur ihn alleine und seinen Herrn etwas an. Niemand sollte von seinen Absichten wissen, solange er keinen Befehl erhielt. Und Gaukler erst recht nicht, die für ihre losen Zungen bekannt waren. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit ließ ihn mit jemanden zusammen stoßen. Als er sich dem Jenigen zu wand, erkannte er, dass es sich dabei um ein Mädchen handelte. Seine Augen verengten sich, als er ihre grüne Haut, die gelben Augen und das schwarze Haar sah. Eine Halbork. So weit er mitbekommen hatte, waren Halbblüter für diese Gegend, nah dem Antigas-Schlange-Gebirge, nichts ungewöhnliches. Die wilden Humanoiden entführten die Frauen und vergewaltigten sie, um ihr Blut mit dem der Menschen zu kreuzen oder einfach nur, um ihre Triebe zu befriedigen. Ein schlanker Mann, in dunklen Kleidern und mit blondem Haar, hatte sie aufgefangen, bevor das Mädchen auf den Boden gestolpert war. Nun sah dieser den Jerisanen finster an, doch der Mann aus der Wüste ließ sich davon nicht beeindrucken. „Es gehört sich nicht, eine junge Frau einfach über den Haufen zu rennen“, sagte der Schönling zu ihm. Der Wüstenreiter warf ihm einen bedrohlichen Blick zu und wand sich ab, ohne ein Wort zu sagen. Er spürte deutlich den Blick des anderen im Nacken, doch reagierte er nicht darauf. Zu viele Menschen waren hier. Als er ein Stück des Weges gegangen war, umspielte ein zufriedenes Grinsen seine Lippen. Er hatte die Beute gefunden, ohne, dass sie ihn erkannt hatte. Nicht mehr lange und er würde sein Schwert gegen sie richten können. *** Fynn richtet sich mit Jakobs Hilfe auf. „Tut dir etwas weh?“, fragte der Mann sie und dem Mädchen wurde es Warm ums Herz. Er schien sich wirklich Sorgen um sie zu machen, wenn er schon fragte. Sie nickte. „Es ist nichts passiert“, sagte sie, um ihn zu beruhigen. Sie sah den Weg entlang, den der bronzefarbene Mann gegangen war. Er war ihr gänzlich unbekannt gewesen. War er einer der Gaukler? Wenn ja, wieso trug er dann die Kleider eines Kriegers und schien nicht frohen Mutes zu sein, wie die anderen es waren. Sie runzelte darüber die Stirn, bis sie die Hand ihres Prinzen auf ihrer Schulter spürte. „Ein wirklich ungehobelter Kerl“, brummte Jakob, wozu Fynn nur zustimmend nicken konnte. Der Fremde war ihr etwas unheimlich gewesen, denn sein Gesicht schien wie aus Stein gemacht worden zu sein, als er sie angesehen hatte. „Gehen wir weiter?“, fragte Fynn, die Jakob von dem kleinen Zwischenfall ablenken wollte und sich bei dem Mann einharkte. Dieser sah das Mädchen mit angehobener Augenbraue an, bevor ein feines Lächeln seine Lippen umspielte. Fynn fühlte sich sogleich wohl in ihrer Haut, als das Lächeln auf sie herab strahlte. Sie sonnte sich regelrecht in der Aufmerksamkeit des Mannes. Nie zuvor hatte ihr ein anderer Mann, außer ihrem Onkel, Roland und Ian, soviel Interesse an ihr gezeigt, wie Jakob, der scheinbar alles über sie wissen wollte. Er hatte sich bereits nach ihren Eltern erkundigt, wo Fynn nur mit leiser Stimme, in der Trauer mitschwang, über ihre verstorbene Mutter gesprochen hatte. Die Frage, wer ihr Vater gewesen war, hatte sich Jakob verkniffen, wofür sie ihm sehr dankbar gewesen war. Sie kannte den Ork nicht, der ihre Mutter geschändet hatte, wollte ihn nicht einmal kennen lernen, denn er war einer von den wilden Völkern und diese waren für ihre Grausamkeit bekannt genug. Als sie ihn am Gasthaus getroffen hatte, war er grade auf den Weg zu den Trödlern gewesen. Sein unheimlicher Freund, dessen Namen er dem Mädchen nicht genannt hatte, war nirgendwo zu sehen gewesen. Jakob hatte gemeint, dass er in ihrem Zimmer lag und schlief. Fynn war es einerlei, wo sich der Kapuzenträger herum trieb, solange sie mit ihren Angebeteten alleine sein konnte, ohne, dass einer sie störte. Tief in Gedanken versunken, hatte Fynn nicht mitbekommen, das Jakob das Mädchen vom Lagerplatz der Trödler weg geführt hatte, auf einen einsamen Weg, der sie tiefer in den Wald führte. Als sie eine Eule heulen hörte, erwachte sie aus ihren Gedanken und sah sich um. Sie waren ein weites Stück von den lauten Stimmen der Gaukler und dem hellen Schien der Feuer entfernt. Die Stimmen waren kaum noch zu hören. Was hatte Jakob vor, fragte sich Fynn und sah den attraktiven Mann neugierig an. Wollte er etwa… Ihr Gesicht wurde rot, als sie an die Geschichten der jungen Frauen des Dorfes dachte, denen sie bei Gelegenheit gelauscht hatte. Sie hatten davon gesprochen, wie ungestüm einige der jungen Männer waren, wenn es darum ging, den Frauen beim Ausziehen ihrer Kleider zu helfen. Würde sie an diesem Abend durch Jakob auch ihre Unschuld verlieren? Sie war doch nicht mal eine junge Frau und Jakob führte sie schon in eine entlegene Ecke, wo sie ungestört waren. Ihr Herz hämmerte wie verrückt und ihre Aufregung stieg ins Unermessliche. Sie fühlte sich zu Jakob mehr als hingezogen, doch für so einen gewagten Schritt war sie noch lange nicht bereit. Mit sanftem Druck an seinem Arm bat sie den Mann stehen zu bleiben, doch der reagierte nicht darauf. Als sie schließlich stehen blieben wollte, packte Jakob sie grob am Arm und zerrte sie hinter sich her. „Jakob“, keuchte sie erschrocken, während sie versuchte ihren Arm von seiner Hand zu befreien, „du tust mir weh.“ Doch er antwortet nicht und zerrte sie weiter hinter sich her, als hätte er nichts gehört. „Bitte lass mich los.“ Jakob warf ihr einen finsteren Blick zu, der sie zu tiefste erschreckte. Seine Augen waren nicht mehr so dunkel und geheimnisvoll, wie zuvor. Sie waren zu einem kränklichen blau-grau geworden, das sie eisig traf. Das Mädchen schluckte schwer und versuchte unter Aufgebot ihrer ganzen Kräfte sich von ihm zu befreien. Ihre Bemühungen wurden von einer schallenden Ohrfeige belohnt, die Fynns Gesicht traf und zur Seite drückte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Was war aus ihrem sanften Prinzen geworden? Wieso war er so grob und brutal zu ihr? Ihre Welt brach ineinander zusammen. Wie hatte sie sich so in die sanften Züge des Gesichtes Jakobs so täuschen können? Wieso konnte so was Schönes, so finster sein? Unvermittelt blieb Jakob stehen und schleuderte Fynn gegen einen nahen Baum. Als sie mit den Rücken gegen diesen schlug, keuchte sie schmerzerfüllt auf und die Tränen rannen unkontrolliert über ihr Gesicht. Sie sah den Mann an, denn sie geglaubt hatte zu lieben, doch er war längst nicht mehr, für den sie ihn gehalten hatte. Doch nichts war von der Wärme, die er einst ausgestrahlt hatte geblieben. Sein Gesicht wirkte finster und kalt. „J-jakob“, stotterte sie ängstlich. Ihre Angst wurde nur noch mehr geschürt, als sie spürte, wie der Anhänger ihrer Mutter, den sie um den Hals trug, kälter wurde. Wie bei seinem Freund, dachte sie und riss weit die Augen auf. Was hatte das zu bedeuten? „Was ist denn, kleine Fynn?“, fragte Jakob spöttisch. Sogar die Sanftheit seiner Stimme war verschwunden und hatte einem hinterhältigen Klang platz gemacht. Seine Augen glitzerten unheilvoll in der Nacht. „Hab doch keine Angst. Ich werde dir nichts tun. Jetzt zumindest nicht.“ Wenn Fynn hätte flüchten können, sie wäre sofort weg gewesen. Jakob machte ihr nur noch Angst, eine Angst, die sie zuvor noch nie gespürt hatte. Selbst Garynal, der Holzfäller, war je in der Lage gewesen, sie so zu erschüttern, wie es Jakob vermochte. „Was macht ihr denn da?“, erklang eine spöttische Stimme. Jakob und Fynn sahen zur Seite und erblickten Garyn, der ein schiefes Grinsen aufgesetzt hatte. Der Bursche wirkte, als könnte er nicht mehr richtig stehen können. Hatte er etwa vom Wein der Gaukler gekostet? Auf Jakobs Gesicht erschien ein gefährlicher Ausdruck, doch Garyn schien dies nicht einmal zu bemerken. Er kam vorwärts getorkelt und fragte: „Kann ich mitmachen? Ich hab noch eine Rechnung mit dem Bastrad offen.“ Jakob fing an zu lachen, als er dies hörte und winkte den Jungen herbei. „Nur zu, junger Freund“, sagte er mit falscher Freundlichkeit. „Du kannst dich ruhig mit ihr amüsieren, solange mein Freund noch nicht da ist.“ Garyns Gesicht zeigte ein hungriges Grinsen, als er auf Fynn zu steuerte, während Jakob einen Schritt zurück wich. „Garyn, nein“, wimmerte das Mädchen, als der Bursch bei ihr ankam und sie an den Stamm des Baumes drückte. Sie wand den Blick ab, denn sie roch deutlich den Gestank des Alkohols, den der Junge ihr ins Gesicht hauchte. „Na, kneifst du jetzt?“, fragte der Junge spöttisch. „Bei deinem Prinzen da kam es mir vor, du wärst mehr als berei…“ Er stockte und verzog das Gesicht. Fynn sah ihn fragend an. Der Bursch hustet auf einmal und Blut quoll ihm über die Lippen. Er sah Fynn ungläubig an, bevor an sich herunter sah. Sein Blick flog zu Jakob, der plötzlich hinter ihm stand. Der Mann machte eine ruckartige Bewegung und Garyn keuchte gurgelnd auf, bevor er kraftlos zur Seite kippte und regungslos liegen blieb. Fynn schrie auf, als sie erkannte, was passiert war. In Jakobs Hand lag ein langer Dolch, dessen Klinge von Blut besudelt war. Der Mann hatte den Holzfällersohn kaltblütig umgebracht. Dabei grinste er auch noch und schob den Dolch ungerührt in dessen Scheide zurück, ohne das Blut weg zu wischen. „Was für ein abartiger Bursche“, sagte Jakob mit einem Seufzer auf den Lippen. „Überhaupt keine Manieren. Scheint bei euch Bauerntrampeln im Blut zu liegen, wie?“ Die verängstigte Fynn antworte ihm nicht. Zu tief war der Schock über den plötzlichen Tot Garyns. Sie hatte ihm schon so manches an den Hals gewünscht, wenn sie wütend war, aber niemals, dass er von einer Klinge durchbohrt wurde. Nicht einmal er hatte ein solches Schicksal verdient. Jakob wand sich um und sah in den dunklen Wald. Aus der Dunkelheit schälte sich eine dunkle Gestalt, die Fynn sofort erkannte. Der Kapuzenträger. Der Anhänger an ihrer Brust wurde nur noch kälter. Er war nun eisigkalt, als hätte er in Eiswasser gebadet. „Wo hast du gesteckt?“, fragte Jakob schnaubend, als der Mann näher trat, vor Fynn stehen blieb und sie mit eisigem Blick musterte. Kurz fiel sein Blick auf den toten Jungen, der mittlerweile in seinem eigenen Blut badete. „Was ist passiert?“, fragte der andere stattdessen, ohne auf die Frage des anderen einzugehen und deutete auf Garyns Leiche. „Der hat uns überrascht“, meinte Jakob ungerührt. Er warf Fynn einen kurzen Blick zu und meinte: „Nun fang an. Ich will weiter. Dieses Kaff langweilt mich.“ Der Kapuzenträger knurrte leise und strich die Kapuze seines Umhanges zurück. Es kam Gesicht wie aus Fels gehauen zum Vorschein. Unzählige Narben zierten es und eins seiner Augen wurde von einer Augenklappe geziert. Wie Jakob, so war auch die Haut des Mannes blass, das aber um eine deutliche Spur mehr, als würde hier eine Leiche vor Fynn stehen. Die Augen waren von kaltem Grau und musterten sie ungeniert. Der Mann rieb sich kurz über das unrasierte Kinn, bevor er Fynns Kopf grob zur Seite drückte: Das Mädchen wimmerte schmerzerfüllt auf, wagte nicht, zu schreien. Ihr Mut war längst verschwunden, nach dem Mord an Garyn. Der Einäugige fand die Kette und holte den Schwertanhänger aus dem Ausschnitt ihres Kleides. Er musterte ihn genau, bevor er zufrieden grinste. „Du hast nicht übertrieben“, sagte der Mann, worauf ein empörtes Schnauben von Jakob kam. Der Einäugige drehte den Anhänger etwas in den Händen und schien die Kälte zu spüren, die von Stück ausging. Er nickte leicht. Er packte an den Ausschnitt des Kleides und riss daran. Nun konnte Fynn ein Schreien nicht unterdrücken, doch es verlor sich in ihrer Kehle, als ihr Peiniger ihr eine seiner schwieligen Hände auf den Mund presste und jeden Ton unterdrückte, denn sie von sich geben konnte. Das Reißen von Stoff erklang und wenig später lag ihr Oberkörper frei. Ihre Brust hob und senkte sich hektisch, während der Mann auf ihre kleinen Brüste starrte. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er das fand, was er gesucht hatte. „Das letzte Zeichen“, sagte er mit heiserer Stimme und wand seinem Kameraden den Blick zu. „Sie trägt das Zeichen.“ Jakob kam herbei und warf selbst einen Blick auf das vermeintliche Zeichen. Ein Muttermal, in der Form eines Herzens, das über ihrem Herzen lag. Doch Jakobs Augen blieben mehr an ihrem Busen haften, als auf dem Herzmuttermal. Er grinste lüstern und leckte sich kaum merklich über die trocken gewordenen Lippen. Der andere bemerkte dies und warf ihm einen grimmigen Seitenblick zu. „Schlag dir das gleich aus den Kopf“, knurrte er Jakob an, während er einen langen Dolch, ähnlich dem Jakobs, aus einer versteckten Scheide in seinem Umhang zog. „Du kennst unseren Auftrag.“ Jakob schnaubte und meinte: „Unser Auftrag lautet bloß, das wir die Zeichen finden und den Träger verschwinden lassen sollten. Da war nicht die Rede von gewesen, nicht unseren Spaß mit ihm zu haben.“ Er warf Fynn einen begierigen Blick zu. Er erinnerte das Mädchen an ein hungriges Tier, das nur darauf wartete, seine Beute anzufallen. Der andere schnaubte abfällig. „Dann beeil dich damit“, wies er den Schönling an. „Wir müssen hier verschwunden sein, bevor die Dörfler merken, was passiert ist.“ Während er sich zurück zog, drängte sich Jakob an sein Opfer, das leise wimmerte und ihn mit bittenden Augen ansah, in der Hoffnung, er würde von ihr ablassen. „Ich kann mich nicht beeilen“, sagte Jakob, während er Fynn ansah. „Ich brauche halt meine Zeit.“ Ein Keuchen erklang hinter ihm. Als er sich umwand, sah Jakob noch, wie sein Kamerad mit einem Dolch in Kehle Rücklings in den Dreck fiel. Schnell wich der Schönling von dem verängstigten Mädchen zurück, das sich sogleich am Boden zusammen kauerte und ihre Blöße mit ihren Armen zu verdecken versuchte. Wie durch Geisterhand erschein in seiner Hand ein langes Schwert und Jakob machte sich bereit jeden Angriff abzufangen, der kommen mochte. Aus den Schatten des Waldes rannte wie ein geölter Blitz eine Gestalt im wallenden Umhang auf ihn zu. In der rechten hand hielt der Fremde einen Krummsäbel mit kunstvoll geschmiedeter Klinge, die beim Lauf leicht über den Boden schabte. Der Schönling erschrak und wich einen Schritt zurück, der ihm das Leben rettet. Denn die Klinge des anderen schoss hervor, traf aber klirrend auf das Schwert Jakobs. Fynn sah mit tränennassen Augen dabei zu, wie die beiden Kämpfer miteinander die Klingen kreuzten. Der fremde Angreifer, dessen Gesicht von der Kapuze seines ledernen Umhanges verdeckt war, schien ein Meister des Schwertes zu sein, denn er drängte den anderen ohne weiteres zurück, Schritt um Schritt, indem er immer wieder auf Jakobs Klinge einschlug. Jakob schien verloren. Sein Gesicht zeigte den Unglauben, das er einem anderen unterlegen war. Jakob versuchte einen Ausfallschritt und stieß darauf sofort mit seinem Schwert zu. Er traf den anderen, wo dieser seinen linken Arm hatte, doch es entrang diesem kein Schmerzenslaut. Der Schönling runzelte verwirt die Stirn, bevor er die Klinge des anderen spürte, die sich in seine Lunge bohrte. Jakob stolperte zurück, rutschte dabei von der krummen Klinge und sah an sich herab. Sein Hemd wurde rasch von seinem eigenen Blut getränkt. Ein leises Gurgeln entrang seiner Lippen, als er den anderen wieder ansah. Dieser begegnete seinem, rührte sich aber ansonsten nicht. Mit einem stummen Schrei auf den Lippen, über die sein Blut in Strömen rann, stürzte sich Jakob auf den Fremden, dabei sein Schwert weit über den Kopf erhoben, um seinen Gegner in der Mitte zu durchtrennen. Der andere erahnte, was der Schönling vor hatte und ließ seine Klinge herum wirbeln. Mit einem sauberen Schlag trennte er Jakobs Schwertarm und dessen Kopf von der Schulter. Der kopflose Körper stolperte an dem Fremden vorbei und fiel schließlich zu Boden, wo er still liegen blieb. Fynn, die alles hatte mit ansehen musste, fing wieder an zu wimmern und wand den Blick ab. So viel Blut. Nie zuvor hatte sie gesehen, wie jemand einen anderen getötet hatte. Doch an diesem Tag war sie Zeuge von gleich drei Morden gewesen. Erst Garyn, der einem feigen Anschlag Jakobs zum Opfer gefallen war. Dann der Einäugigem, der ein ähnliches Schicksal erlitten hatte. Und am Ende Jakob selbst, dessen Kopf irgendwo zwischen die Bäume gerollte war und ihrem Blick unzugänglich war. Der Fremde kniete sich neben die Leiche des Schönlings, während er seine Klinge am Mantel des Toten sauber strich und darauf in dessen lederne Scheide zurück schob. Er drehte den Körper auf den Rücken und befreite die Brust des Mannes von dessen Hemd. Er betrachte eingehend die Brust, bevor er aufstand und zu dem anderen Mann sah, der im Dreck des Waldes lag. Schließlich fiel sein Blick auf das zitternde Mädchen. Fynn spürte seinen Blick ganz genau auf sich ruhen. Sie versuchte sich noch kleiner zu machen, während ihr Wimmern zu einem leisen Schluchzen anstieg. Sie wollte nicht sterben. Sie wollte nicht das Schicksal der anderen teilen, die alle ihr Ende an der scharfen Schneide eines Schwertes gefunden hatten. Sie hörte die leisen Schritte des Fremden. Er kam zu ihr, erkannte sie panisch. Sie zog den Kopf ein, als sie seine Stimme vernahm. „Steh auf“, befahl er schroff, doch sie wollte nicht gehorchen. Es war ein Mann, erkannte sie. Sie kniff weinend die Augen zusammen und verlor sich in ihrem Schlurzen. „Nun auf mit dir“, brummte der Fremde gleich noch mal und zog sie an einem ihrer Arme auf die Beine. Die grobe Behandlung ließ nur noch lauter weinen und sie verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Sie fühlte sich schwach, als hätte sie all ihre Kraft verloren. Die Hand löste sich von ihrem Arm und wenig später spürte sie eine andere, die ihren Kopf anhob. All ihrer Kraft beraubt, konnte sie sich nicht dagegen wehren und hob den Blick. Sie öffnete ihre nassen Augen und blickte in das Gesicht des Mannes. Fynn weitete vor Schreck die Augen. Es war der Mann mit der bronzenen Haut, der sie im Trödlerlager fast über den Haufen gelaufen hätte. Sein Gesicht war ernst, wie versteinert, während er sie musterte. Dabei hielt er seinen Blick nur auf ihr Gesicht gereichtet, ohne auch nur einmal auf ihre Brüste abzuschweifen. Schließlich ließ er die Augen doch sinken, doch sie verharrten nur auf ihrem Anhänger. Fynn fiel auf, das die bekannte Wärme in das Erbstück zurückgekehrt war. Die Eiseskälte, die bei Jakob und seinem Kameraden da gewesen war, schien wie verflogen. Drohte von diesem Mann keine Gefahr, fragte sie sich unweigerlich, doch die Angst blieb bestehen. Sie hatte gesehen, wie er gnadenlos Jakob getötet hatte. „Wir müssen hier weg“, sagte der Mann kurz angebunden, während er sie alleine stehen ließ und zu dem toten Einäugigen ging, um seinen Dolch mit einem Rück aus dessen Gurgel zu befreien. Wie auch sein Schwert, säuberte er den Dolch am Umhang des toten Mannes und schob ihn in seinen Gürtel zurück. Er warf Fynn, die sich noch keinen Zoll bewegt hatte, einen eindringlichen Blick zu. Das Mädchen erwiderte den Blick, doch wagte sie es nicht, ihm blind zu vertrauen. Sie hatte schließlich erst kürzlich eine bittere Enttäuschung durch Jakob erlebt, der sich von einem gutmütigen Mann in ein grausames Monster verwandelt hatte. Würde das gleiche auch mit diesem passieren? „Los, komm“, befahl er ihr und aus seiner Stimme konnte man deutlich hören, dass er eine Verweigerung nicht tolerieren würde. Dennoch weigerte Fynn sich weiter. Sie blieb auf ihrem alten Platz stehen und sah ihn aus ängstlichen und misstraurigen Augen her an. Der Fremde verdrehte etwas die Augen, bevor er sich die Kapuze vom Kopf strich und sie ansah. „Komm schon mit“, sagte er neuerlich, dieses Mal eine Spur sanfter, doch klang seine Stimme auch dann noch hart. „Ich werde dir kein Leid zufügen, wie diese beiden hier.“ Er deutet mit einem Nicken auf den Einäugigen, der nicht weit ab lag. „Ich schwöre es dir bei meinem Blut.“ Der Anhänger ihrer Muter begann eine beruhigende Wärme durch ihren Körper fluten zu lassen. Fynn war erstaunt, denn diese Wärme kannte sei nur von ihrem Onkel und ihren wenigen Freunden. Sie sah den Mann mit der Bronzehaut mit großen Augen an, als könnte sie nicht glauben, was da seine Worte bewirkt hatten. Waren es überhaupt seine Worte gewesen oder seine Stimme, die ihren Anhänger so seltsam reagieren ließen? Die Blicke der beiden trafen sich. Fynn musterte ihr gegenüber genau und bemerkte jetzt zum ersten Mal, das ihm der linke Arm fehlte. Daher konnte Jakob ihm also keinen Schaden zu fügen, erkannte sie. Dennoch war sie erstaunt über diesen Mann. Als hätte er einen Zauber gesprochen, reagierte ihr geliebtes Erbstück. War vielleicht Zauberei am Werke? „Komm, Mädchen“, sagte er neuerlich und wand sich zum Gehen um. „Es ist zu gefährlich hier. Ich muss dich fort schaffen, damit du in Sicherheit bist.“ Von dem Wort Sicherheit ermutigt wagte sich Fynn einige Schritte vor, auf den Mann zu, wobei sich um die Toten herum ging, um sie nicht berühren zu müssen. Der Fremde kam ihr rasch entgegen und legte ihr, mit einer schnellen Bewegung, seinen Umhang um die bloßen Schultern. Sie erschrak etwas, doch schnell kehrte ihr Mut zurück, als sie die Wärme des Anhängers wieder vernahm. Wenn ihr Anhänger diesem Fremden vertraute, dann konnte sie es auch, beschloss sie. „Ich muss dich sofort aus dem Dorf bringen“, sagte der Fremde, während er sie bei der Hand nahm und durch den Wald führte, ohne seinen schnellen Schritt zu verlangsamen. Fynn riss ungläubig die Augen auf. Aus dem Dorf? „Das geht nicht“, stieß sie hervor, durch die Angst ermutigt, ihre Heimat zu verlassen. Der Mann sah sie mit eindringlichem Blick an. „Es werden noch mehr kommen“, meinte er, „die dir nach dem Leben trachten werden.“ Mehr, schoss es ihr durch den Kopf, während sie ihrem Retter hinterher stolperte. „Wer will mich töten?“, fragte sie ängstlich und beschleunigte fast schon automatisch ihre Schritte. Sein Blick war auf den Weg gerichtet, doch sie merkte, wie sich seine Augen zu schmalen Schlitzen verengten. „Otomor.“ *** Berolds Blick haftete auf dem Mann aus der Wüste, der ihm gegenüber mitten in der Küchenstube stand. Das Gesicht des Fremden wirkte ruhig wie Stein. Kein Muskel zuckte unter dem harten Blick des alten Schmiedes. Ein gut ausgebildeter Krieger, ging es ihm durch den Kopf, während er den Griff um den Dolch unweigerlich verstärkte. Er war in seinem Leben nur wenigen Jerisanen begegnet, diese waren nur Händler oder Karawanenwächter gewesen. Dieser Jerisane hingegen war durch und durch ein Krieger. Als Berold vom Fest zurückgekommen war, war Fynn bereits zurück in der Hütte gewesen. Sie hatte ein anderes Kleid getragen, denn das grüne war zerrissen gewesen. Zu erst hatte er geglaubt, der Fremde hätte seiner geliebten Nichte Gewalt angetan, doch das Mädchen hatte ihren Onkel rasch beruhigt und erzählt, was wirklich vor gefallen war. Nun lag Fynn in ihrer Kammer und schlief tief und fest, während Berold und der Fremde alleine waren und einander nur anstarrten. „Was will Otomor von meiner Nichte?“, fragte Berold, als er aus seiner Starre erwachte. Müde und besorgt strich er über sein faltiges Gesicht. „Ihren Tot“, berichtet der Mann aus der Wüste kurz. „Was bringt ihnen das?“, fragte der Alte nach, diesmal grimmig. „Fynn ist ein Mädchen, das grade erst zur Frau reift.“ Der Jerisane wand sich dem Fenster zu, während er mit Berold redete. „Das Mädchen reift nicht nur zur Frau.“ Sein Blick traf den des anderen. Deutlich sah der Schmied den Ernst in den Augen des Mannes. „Es reift zu der einzigen, ernsthaften Bedrohung des Imperiums heran.“ „Bitte was?“ Berold starrte den jüngeren Mann ungläubig an. Fynn und eine Bedrohung für das otomorische Imperium? Das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Es gab keinen Feind, der hätte Otomor gefährlich werden können. Höchstens im weiten Süden, das Drachenreich. Aber Fynn? Nein, ausgeschlossen. „Fynn ist für niemanden eine Bedrohung“, knurrte Berold und sprang regelrecht aus seinem Stuhl und schlug mit seinen Händen fest auf den Tisch, der darunter erzitterte. „Sie ist dazu nicht in der Lage!“ „Ich verstehe deinen Unglauben, Helioser“, sagte der Jerisane, wobei er nicht den Versuch machte verständnisvoll zu klingen. „Dennoch ist es so. Sie besitzt die Macht dazu, das Imperium zu fall zu bringen.“ Er warf dem Fenster wieder einen Blick zu und legte seine Hand auf den Griff seines Schwertes. Berold bemerkte den aufmerksamen Blick und die zusammen gekniffenen Augen des anderen. „Was ist?“, fragte er im Flüsterton. Nahte Gefahr? Der Jerisane winkte ab und deutet ihm an, das Licht zu löschen. Der Schmied gehorchte und blies die Kerze aus, die die ganze Zeit über auf dem Tisch gebrannt hatte. Nur das Licht des Mondes und der Sterne erhellten noch die kleine Stube. Von Draußen hörte der Schmied leise Schritte, die sich seiner Hütte näherten. Der Jerisane schlich zur Tür und zog einen Dolch mit krummer Klinge aus seinem Gürtel und duckte sich. Die Schritte verhallten vor der Tür. Berold fragte sich, wer um diese späte Stunde noch etwas von ihm wollte. Er erinnerte sich nicht, sich für den Abend mit jemand verabredet zu haben. Ob das die Schergen des Imperiums waren, fragte er sich unweigerlich und sein Gesicht verfinsterte sich bei dem Gedanken. Niemand würde seiner Nichte auch nur zu Nahe kommen, so wahr er lebte und atmete. Jemand klopfte an die Tür und eine bekannte Stimme erklang. „Berold? Bist du da?“ Der Schmied sah zur Tür und entflammte sogleich wieder die Kerze. Er ging zur Tür, wo sein jerisanischer Gast noch hockte. Dieser warf ihm einen warnenden Blick zu, doch der Schmied reagierte nicht darauf. Er öffnete die Tür und ließ den anderen herein. „Ian“, sagte er, als der Wirtssohn in die Küchenstube trat. „Was ist denn los? Was willst du von mir zu dieser späten Stunde?“ Der junge Mann war außer Atem und keuchte: „Berold. Wo ist Fynn?“ „Sie ist in ihrem Bett und schläft. Wieso?“ Erleichtert atmete Ian auf und senkte den Blick. „Die zwei Fremden. Du erinnerst dich doch an sie. Man hat sie und Garyn tot aufgefunden, nicht weit ab vom Trödlerlager.“ Berold nickte leicht, verzog bei der Nachricht keine Miene. „Davon weis ich längst bescheid, Junge“, meinte er und schloss erstmal die Tür, damit es in der kleinen Hütte nicht zu kalt wurde. „Woher?“, fragte Ian erstaunt. Er bemerkte eine Bewegung und wand sich um. Ein erschrockener Schrei entrang ihm, als er den Jerisanen mit dem Dolch in der Hand erspähte. „Berold…“ „Ruhig, Junge“, zischte ihm der Alte zu und schob ihn zum Tisch. „Willst du die ganze Nachbarschaft wecken?“ Er warf einen Blick zu dem Mann aus der Wüste und fügte hinzu: „Vor ihm brauchst du keine Angst zu haben. Er wird uns nichts tun.“ Ian schien ihm nicht wirklich zu glauben, denn der junge Mann funkelte den Fremden misstrauisch an, während dieser seinen Dolch verschwinden ließ. Er setzte sich und fragte: „Wer ist das?“ „Das ist nicht von Bedeutung für dich“, sagte der Jerisane kalt und warf einen Blick aus dem Fenster, bevor er es zu zog. Bevor der Wirtssohn etwas einwenden konnte, sagte er: „Du musst nur wissen, das es dem Mädchen gut geht.“ Berold nickte leicht, bevor er sich dem anderen zu wand. „Nun erzähl mir“, forderte er ihn auf, „wieso es grade Fynn ist?“ „Was ist mit Fynn?“, fragte Ian besorgt. Bevor Berold antworten konnte, erklärte der Jerisane: „Sie ist die Hüterin des Herzschwertes.“ Berolds alte Augen starrten ihn voller Unglauben an, während Ian nur verwirrt zwischen den beiden Männern hin und her sehen konnte. Unbeirrt fuhr der Wüstenmann fort. „In ihr fliest das Blut des alten Volkes. In ihrer ganzen Familie. Sie trägt beide Zeichen. Den Schwertanhänger, der von Generation zu Generation weiter gegeben wurde, und das Muttermal in Form eines Herzens, das über ihrem Herzen liegt. Es gibt keinen Zweifel daran. In ganz Konass und über seine Grenzen hinaus, sind die Zeichen bekannt.“ „Unmöglich“, knurrte der alte Schmied. „Wenn dem so wäre, dann würde in mir auch das alte Blut fließen und ich hätte dasselbe Zeichen an mir.“ Immer noch konnte er nicht glauben, was ihm der fremde Krieger da erzählte. Fynn sollte die Hüterin einer Waffe sein, die vor Jahrtausenden vom alten Volk geschmiedet wurde und irgendwann in Vergessenheit geraten war. Nur noch die Legendenschreiber und Barden redeten davon. „Das Schwert ist eine Legende“, fuhr er den Mann an. „Und wenn nicht, dann ist es vor zu vielen Generationen und Kriegen verloren gegangen, als das noch jemand wissen könnte, wo es verborgen liegt.“ Der Jerisane zuckte mit den Schultern. „Wenn dem so ist“, fuhr sein gegenüber ruhig fort. „Wieso trägt sie die Zeichen? Wieso will Otomor ihren Tot?“ „W-was?“, stotterte Ian dazwischen. Die anderen beiden sahen den jungen Mann an, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte. „Fynn wäre beinah umgebracht worden? Von den beiden Fremden?“ Der Jerisane nickte. „So ist es“, sagte er ungerührt. „Die beiden waren Anhänger des Skorm.“ „Dem Eroberer und Zerstörer?“, keuchte Berold. Sein Gesicht war aschfahl geworden. „Ja“, war die knappe Antwort des Wüstenmannes. Nach kurzer Zeit fuhr er fort. „Es waren Mitglieder der Meuchlergilde von Otomor. Die Klingen Skorms.“ Berolds Gesicht wirkte nun kreidebleich. „Es waren nur zwei einfache Meuchler. Keiner von beiden war ein Priester oder ein ernst zunehmender Krieger. Doch sicher hat Otomor nicht nur die beiden entsandt. Es werden mehr kommen, die das Mädchen suchen und töten wollen.“ „A-aber“, keuchte Berold, während er sich krampfhaft am Rand des Tisches fest halten musste. Die Klingen Skorms waren in den Weiten Konass sehr bekannt. Brutale und bestialische Männer, die keine Gnade oder Gefühle kannten. Es waren geistlose Marionetten der Kirche Skorms. Sie kannten nichts anderes, als töten und foltern. Sie labten sich regelrecht im Schmerz anderer. Und nun jagten diese Monster sein kleines Mädchen. Warum waren die Götter nur so grausam zu ihr? „Wir haben keine Zeit mehr“, fuhr der Jerisane fort, ohne das entsetzte Gesicht des alten Mannes zu beachten. „Ich muss das Mädchen von hier weg bringen.“ „Das kommt nicht in frage“, knurrte Ian auf einmal und sprang von seinem Platz auf. „Fynn wird mit niemanden einfach weg gehen, der solch wilde Gesichten erzählt. Sie bliebt schön hier.“ Er sah den anderen Mann ernst an. „Willst du mich davon abhalten, Bursche?“, fragte der Wüstenmann ohne Spott in der Stimme. Dennoch glaubte Ian, das der anderen herablassend auf ihn herab sah. „Wenn es sein muss“, knurrte Ian und machte sich bereit, dem anderen Mann an die Kehle zu springen. „Ian“, erklang die Stimme Fynns im Raum. Alle drei Männer wanden sich dem Mädchen zu, das im Nachthemd in der Tür ihrer Kammer stand und sie mit traurigen Augen ansah. „Fynn“, keuchte Berold und ging zu ihr herüber. „Warum schläfst du denn nicht?“ „Ich habe euch belauscht;“ sagte sie, ohne auf die Frage ihres Onkels einzugehen. Sie sah den Jerisanen an, der seinen Blick auf sie gerichtet hielt. Dann sah sie Ian an. „Er hat versprochen, mir nichts zu tun. Er hat sogar auf sein Blut geschworen.“ Ian warf dem andern einen misstraurigen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Fynn richtete. „Fynn“, sagte er. „Der Mann ist ein Fremder. Wie kannst du ihm da nur glauben? Er kann so viele Eide ablegen, wie er will. Ich traue ihm nicht.“ Fynn sah die Besorgnis in den Augen ihres langjährigen Freundes und ihr kamen die Tränen, als sie die nächsten Worte aussprach. „Ian… Er wird mir nichts tun. Ich weis es genau. Ich spüre es ganz tief in mir.“ Berold und Ian sahen sie voller Unglauben und Überraschung an. „Was?“, fragte Ian, als er seine Stimme wieder fand. „Wie kannst du so etwas sagen?“ „Er.“ Sie warf dem Fremden einen unschlüssigen Blick zu, bevor sie sich wieder an Ian wand. „Er hat mein Leben gerettet. Zudem sagt es mir der Anhänger.“ Sie holte das Erbstück ihrer Mutter hervor und zeigte es Ian. Der junge Mann sah es stirnrunzelnd an. Er kannte das Stück, denn Fynn hatte es ihm oft gezeigt, als sie noch Kinder gewesen waren. „Der Anhänger strahlt Wärme aus.“ „Wärme?“ „Die Wärme des Herzens“, erklärte der Fremde und alle Blicke fielen auf ihn, während er näher trat. Ian nahm Fynn schützend hinter sich, doch dies schien den Mann aus der Wüste nicht zu stören. „Der Schwertanhänger spürt die Wärme und Kälte eines jeden Herzens, das in ihrer Nähe ist. Wenn es sich um ein Herz ohne böse Absicht, aber voller Güte handelt, dann ist er warm. Doch sollte ein Herz voller bösen Absichten in der Nähe sein, dann wird er so kalt wie ein Wintersturm.“ Fynn konnte dem nur zustimmen. Sie erinnerte sich deutlich an die Kälte, die von dem Anhänger ausgegangen war, als die beiden Skormklingen sie in ihrer Gewalt gehabt hatten. Doch die Wärme, die nun von dem Anhänger ausging, lullte sie in Wohlbehagen ein. Im Kreis dieser drei Männer – obwohl sie eine gewisse Furcht vor dem Wüstenmann verspürte – fühlte sie sich sicher und geborgen. Die Stimme des Jerisanen riss sie aus ihren Gedanken, als er sagte: „Wir müssen nun aufbrechen.“ Sie sah ihn an und sah die Dringlichkeit in seinen Augen. „Wir dürfen nicht trödeln. Pack deine Sachen, Mädchen.“ „Moment mal“, sagte Ian und baute sich vor dem Fremden auf. „Sie geht nirgendwo hin. Und mit dir ganz sicher nicht. Sie ist hier zu Hause und nicht in deinem Land.“ „Du solltest lieber darüber nachdenken, was du sagst, Bursch“, knurrte der Fremde ihn an. „Wenn sie hier bleibt, wird sie getötet.“ „Dann bringen wir sie in eine der Städte“, meinte Ian, der glaubte, die ideale Lösung gefunden zu haben. „Was glaubst du, wo die Skormklingen nach ihr suchen werden, wenn sie nicht hier ist“, sagte der andere. „Genau da, wo du sie hin führen willst. In ganz Helios gibt es keinen Ort mehr, wo sie sicher ist. Nicht einmal im Palast eures Königs wäre sie vor einem Anschlag sicher.“ Ian stockte. Daran hatte er nicht gedacht. Dennoch war er nicht bereit Fynn mit einem bildfremden Mann in ein fremdes Land ziehen zu lassen. Der junge Mann würde nicht zu lassen, dass das Mädchen irgendwo in der Ferne für immer verschwinden würde. Sie lag ihm sehr am Herzen und er fühlte sich für sie verantwortlich, wie ein Bruder für seine Schwester. „Dann komme ich eben mit“, brummte er entschlossen, was sein Gegenüber nur eine Augenbraue anheben ließ. Doch auf Fynn und Berold zeigte es deutlich mehr Wirkung. Er hörte deutlich, wie beide den Atem anhielten. „Ian“, keuchte Fynn erschrocken. Er wand sich ihr zu und legte eine Hand auf ihre schmalen Schultern. „Ich werde dich nicht alleine ziehen lassen, Fynn“, sagte er voller Ernst und sah sie eindringlich an. So schnell würde man ihn nicht von seiner Entscheidung anbringen können, entschloss er im Stillen für sich. „Ich werde dich deine ganze Reise über beschützen, egal was kommen möge.“ Sein Blick traf den des Mädchens und er glaubte so etwas wie Dankbarkeit darin zu sehen. Aber auch die Sorge entging ihm nicht. Sie zögerte, doch dann sagte sie leise: „Danke.“ „Schlag dir das gleich wieder aus den Kopf“, sagte der Jerisane scharf und sah ihn finster an. „Du würdest unsere Reise lediglich behindern.“ Ian wand sich ihm zu und erwiderte: „Na und? Ich lasse Fynn nicht alleine ziehen. Das musst du respektieren, Fremder. Wenn nicht, dann ist es dein Pech.“ Sein Gegenüber musterte ihn einen Augenblick, bevor er sich geschlagen gab. „Das Mädchen scheint sich dabei wohler zu fühlen“; brummte er und ging zur Tür. „Beeil dich und pack deine Sachen. Ich hole meine Habe. Wenn ich zurück bin und du bist nicht da, bring ich sie alleine weg.“ Ian nickte entschlossen und hastete zur Tür, vorbei an dem Wüstenmann. „Ian, warte“, hörte er Berolds Stimme. Der Alte hatte sich die ganze Zeit zurück gehalten. Ian wand sich ihm zu und sah ihn neugierig an. „Denk lieber noch einmal darüber nach. Deine Eltern werden nicht verstehen, warum du weg ziehst.“ Ian fiel es wie Schuppen von den Augen. Berold hatte vollkommen Recht. Er hatte keinen Gedanken an seine Eltern verschwendet, als er sich aufgedrängt hatte, Fynn zu begleiten. Wie würden sie reagieren, wenn er ihnen sagen würde, er ziehe von Steindorf weg? Ihm wurde das Herz schwer, als er sich die traurigen Gesichter vorstellte, die ihm seine Eltern zu werfen würden, wenn sie die Neuigkeit erfahren würden. Vielleicht sollte er es ihnen nicht sagen. Er könnte Berold darum bitten, das er es ihnen mitteilen solle. Schließlich waren er und sein Vater alte Freunde, die sich schon von Kindertagen her kannten. Nein, diese Bürde würde er dem alten Schmied nicht aufbürden können. Er selber musste dies tun. Aber wie? Er konnte sich nicht vor sie stellen und einfach davon erzählen, er würde mit Fynn in ferne Länder ziehen. Das konnte er nicht. Abschiede waren für ihn immer schon schwer gewesen. „Berold“, seufzte Ian, als er seinen Entschluss gefestigt hatte. „Ich kann Fynn nicht alleine gehen lassen. Sie kennt da draußen doch niemanden.“ Er sah das Mädchen an, das ihn erstaunt entgegen blickte. „Meine Eltern werden verstehen, dass ich so handeln muss.“ Er wand sich ab und huschte davon, bevor den anderen auffiel, dass dem Burschen eine Träne über die Wange lief. *** Rasch waren der Jerisane und der junge Mann zurückgekehrt. Ian hatte einen alten Gaul mitgebracht, den er für die Reise als Reittier nutzen wollte. Der Wüstenreiter hatte das Tier kritisch beäugt und seine Zweifel geäußert, das Tier würde einen schnellen Ritt nicht lange durchstehen können. Doch Ian hatte dagegen gehalten und behauptet der alte Bursch würde es locker mit seinem schwarzen Hengst aufnehmen könnten. Der Mann aus der Wüste bezweifelte dies. Es gab kein Pferd, das den Wüstenhengsten von Jeris ebenwürdig wäre. Nun standen sie vor der Hütte des alten Schmiedes und Ian und der Wüstenreiter sahen dabei zu, wie der Alte seine Nichte ein letztes Mal in die Arme schloss. Das Mädchen schmiegte sich dicht an den großen Mann und ihr Körper zuckte unter leisem Weinen. Der junge Mann neben dem Jerisanen fühlte deutlich mit dem Mädchen, das sicher nicht allzu davon angetan war ihre Heimat zu verlassen. Doch der Wüstenreiter hatte seinen Auftrag. Das Mädchen unversehrt nach Jeris zu bringen und in die Obhut der Nu´Rakal, dem alten Kriegerorden des Reiches, zu geben, der es von da an beschützen würde. Die Reise würde zwanzig Tage dauern, denn sie mussten durch die Berge und versteckte Wege nehmen, die nur selten von Reisenden genutzt wurden. Sobald der zwanzigste Tag vorüber sein würde, wären sie in der Wüste von Jeris und mussten nur noch einen Monat zurück legen, bevor sie an ihrem eigentlichen Ziel wären. Als sich Fynn von ihrem Onkel löste, wischte sich das Halbork-Mädchen über die tränennasse Wange. „Kannst du nicht mitkommen?“, fragte sie den Alten, der zur Antwort müde seufzte. „Das geht nicht“, sagte er sanft zu ihr und drückte ihre Schultern. „Ich werde hier gebraucht. Zudem würde es auffallen, wenn der einzige Schmied im Dorf einfach verschwinden würde.“ Ein leiser Schluchzer drang an die Ohren des Jerisanen, bevor das Mädchen von ihrem Onkel einen Kuss auf die Stirn bekam und zu ihren Reisegefährten gedreht wurde. „Nun geh. Ian wird auf dich aufpassen, Kind. Außerdem werden wir uns schon bald wieder sehen. Das verspreche ich dir.“ Mit dem Rücken zum Onkel gedreht, fing Fynn wieder an zu weinen. Ian kam rasch herbei und nahm das Mädchen in den Arm, das sich sogleich an ihn klammerte und zu den Pferden führen ließ. Der Jerisane sah sie kurz an, bevor er sich in den Sattel seines Wüstenhengstes schwang. Der Wirtssohn half Fynn in den Sattel einer kleinen, grauen Stute, die der Wüstenreiter Svenja abgekauft hatte. Er hatte einfach behauptet, dass er ein Lastentier benötigte, weil er seine Reise weiter führen musste. Kurz darauf saß der Junge auch schon auf seinem Ackergaul. Der Schmied trat an den Mann aus der Wüste und legte ihm eine Hand aufs Bein. Der sah den anderen sogleich an. „Bitte pass auf meine Nichte auf, Mann aus der Wüste“, bat der Alte ihn. Sein Blick war ernst und warnend. „Wenn ich hören sollte, dass ihr irgendwas passiert, werde ich dich suchen und dafür töten.“ „Keine Sorge“, meinte der Wüstenreiter ruhig. „Ich habe bei meinem Blute geschworen sie zu beschützen, alter Mann.“ Er warf Fynn und Ian einen kurzen Blick zu, bevor er sich dem anderen wieder zu wand. „Du hast mein Wort als Krieger darauf.“ Berold schien beruhigt zu sein. Er wand sich von ihm ab und wanderte hinüber zu dem jungen Mann. Ihm reichte er ein kleines Bündel, wie der Jerisane sah. Er vermutete, das es sich dabei um zusätzlichen Proviant handeln musste und vielleicht einigen Nutzgegenständen. Der Junge beugte sich vor und bekam von dem anderen etwas ins Ohr geflüstert. Der Mann aus der Wüste konnte nicht hören, über was sie sprachen, vermutete aber, das es etwas mit der Halbork zutun haben musste. Der Junge nickte und richtet sich im Sattel auf. „Wir reiten los“, befahl der Wüstenreiter und gab seinem Pferd die Sporen: Das Tier wieherte freudig auf und trabte die Straße entlang, die sie in den dichten Wald führen würde. Die beiden anderen folgten ihm sofort. Kurz warf er einen Blick über die Schulter und sah, wie das Mädchen ihrem Onkel zum Abschied winkte, während dieser ihr nach sah. Sobald sie außer Sichtweite des alten Schmiedes waren, wendete er sein Pferd und ritt zu dem Mädchen, das wie in Starre im Sattel saß. Sobald er neben ihr war, passte er das Tempo seines Tieres dem ihren an und wand seine Aufmerksamkeit ihr zu. „Wir müssen uns beeilen“, sagte er zu ihr, ohne den grimmigen Blick des jungen Mannes wahr zu nehmen, der auf der anderen Seite des Mädchens ritt. „Wir müssen noch vor Einbruch der Nacht aus dem Wald sein.“ „So schnell werden wir nicht da durch kommen“, meinte Ian mürrisch. „Wir werden erst morgen Mittag aus dem Durgawald kommen. Kein Pferd ist schnell genug, um den Ritt schneller hinter sich zu bringen.“ Der Jerisane schloss kurz die Augen. Dieser Junge kannte die Wüstenhengste nicht, dachte er mit einem Anflug von Spott. Einer der vielen Unwissenden, denen er auf seiner Reise schon begegnet war. „Wir müssen es versuchen“, sagte er schlicht. „Wir alle.“ Fynn schien aus ihrer Trance zu erwachen und sah den Mann an. „Nun gut“, sagte sie, klang mit einemmal ziemlich ernst. „Führe uns heraus.“ Der Wüstenreiter nickte und gab seinem Tier die Sporen. Das Tier wieherte tatenlustig und preschte sogleich über den erdigen Weg davon. Seine beiden Anhängsel folgten ihm sogleich, wobei sie Probleme hatten, sich nicht von ihm abhängen zu lassen. Immer wieder musste der Mann seinen Hengst zügeln, damit er nicht einfach davon ritt und die beiden jungen Leute alleine zurück ließ. Die Sonne ging über den Bäumen langsam unter, als sie eine geeignete Stelle fanden, wo sie rasten konnten. Ein erloschenes Lagerfeuer wies darauf hin, das schon früher Leute hier halt gemacht hatten, um die Nacht über zu rasten. Unter seiner Anleitung und Hilfe bauten sie ihr Lager auf. Keiner der beiden schien je aus dem Dorf heraus gekommen zu sein, dachte der Mann aus der Wüste, als er dabei zu sah, wie Ian seinen Schlafsack ausrollte und neben die Feuerstelle legte, in der nun wieder ein Feuer brannte. Die Nacht brach schnell herein und bald saßen Ian und Fynn am wärmenden Feuer, während der Wüstenreiter sich um die Pferde kümmerte. Als ein Mann, der sein Leben lang mit Pferden zutun gehabt hatte, wusste er genau, wie er die Tiere zu behandeln hatte. Bald waren die Tiere versorgt und er kehrte zu seinen Gefährten zurück. Die beiden jungen Leute saßen dicht vorm Feuer und sahen gedankenverloren hinein. Beide hingen ihren ganz eigenen Gedanken nach. Der Mann aus der Wüste setzte sich abseits der beiden ans Feuer und zog seinen Rucksack heran, um darin zu wühlen und etwas Brot zu Tage zu fördern. Er biss davon ab und kaute gelangweilt darauf herum, während er die Augen schloss und auf die Geräusche der Nacht lauschte. Sie waren zwar in den Tiefen des Durgawaldes, dennoch konnten hier so manche Gefahren lauern. Wilde Tiere und Banditen. Orks und andere Unholde kamen nur noch selten in den Ländern Helios vor. Dank der Bemühungen der Ritterschaft von Helios waren die wilden Humanoide zurück in die Berge vertrieben worden. Dennoch traute der Jerisane dem Frieden nicht. Er empfand ihn als trügerisch und er wollte sich davon nicht einlullen lassen. „Fremder.“ Er sah auf, als er die Stimme der Halbork hörte. Sie war etwas von dem Feuer zurück gerückt und sah ihn mit ihren unschuldigen, gelben Augen an. „Ja, Hüterin?“, fragte er ruhig, erwiderte dabei ihren Blick, der auf ihm lastete. Er bemerkte, wie sie rot wurde, als er sie bei ihrem Titel nannte, der ihr noch so neu war. „Ähm“, stotterte sie, bevor sie sich wider faste. „Nenn mich bitte bei meinem Namen. Das… das ist mir lieber.“ Er nickte bloß. Er würde ihrem Wunsch entsprechen müssen. Zudem entsprach es ihm selbst, andere beim Namen zu nennen. „Wie ist… Wie ist dein Name?“ Der Wüstenreiter sah sie eine Weile an. Wieso wollte sie seinen Namen wissen? Was würde es ihr bringen, ihn beim Namen zu kennen. Schließlich würden sie höchstens zwei Monate zusammen reisen, bevor sich ihre Wege wieder trennen würden. Er war nur dem Ruf seines Herren gefolgt, der ihn schließlich in den grünen Wälder von Helios geschickt hatte, um die Hüterin des Herzschwertes zu suchen und sicher nach Jeris zu führen. Er würde diesem Auftrag folge leisten und danach in die Wüste zu seinem Clan zurückkehren. Er war ein Wüstenreiter und als solche war seine Heimat die Weite der Wüste von Jeris. „Mein Name ist für dich nicht von Bedeutung“, sagte er lautlos. Sie sah ihn enttäuscht an. Innerlich sträubte er sich schon, ihr den Namen zu nennen, denn sie würde ihn nie mehr wieder sehen, doch verlangte sein Schwur von ihm, das er ihr jede Frage beantwortete, die er ihr beantworten konnte. „Man nennt mich Lorgren.“ „Lorgren“, murmelte sie nachdenklich. „Das ist doch kein Name aus der Wüste, oder?“, fragte Ian, der bis jetzt geschwiegen hatte. „Es gibt keine Namen, die aus der Wüste kommen“, antwortete Lorgren monoton. „Ich kann dir vergewissern, dass mein Name nicht untypisch für meine Heimat ist.“ „Wieso das?“ Die Frage kam von Fynn. „Ich bin ein Wüstenreiter und als solcher gehöre ich den Clans der Nomaden der Wüste an“, erklärte er. „Die Leute meines Volkes tragen Namen aus vielen Ländern, nicht nur aus Jeris und den anderen Wüstenreichen. Nicht jeder von unseren Vorfahren stammt aus den sandigen Ländern.“ Fynn nickte verstehend und sah wieder ins Feuer. Ian hingegen sah den Wüstenreiter unentwegt an. Dieser bemerkte das Starren und warf ihm einen kurzen Blick kurz. Danach schloss er seine Augen und lehnte sich zurück. *** Ian beobachtet den Mann aus der Wüste noch eine Weile, bevor er seinen Blick auf die in Gedanken versunkene Fynn, die vor dem Feuer saß. Er rückte zu ihr herüber und folgte ihrem Beispiel. „Ich vertraue ihm nicht“, murmelte er ihr zu. Fynn sah ihn an und runzelte die Stirn. „Wieso?“, fragte sie ihn. Sie sah zu ihm rüber. Lorgren schien zu schlafen, dachte sie. Daher senkte sie ihre Stimme nur zu einem Flüstern, damit sie ihn auch nicht weckte. „Er hat mein Leben gerettet. Ohne ihn wäre ich längst tot und meine Mörder auf der Flucht.“ Ian schnaubte, zuckte dabei leicht zusammen und sah zu dem Wüstenreiter, um sicher zu gehen, dass dieser ihn nicht gehört hatte. Als er sicher war, das dem nicht so war, sagte er: „Was ist, wenn er mit diesen Männern unter einer Decke steckt. Mein Vater hat mir viel über das Imperium erzählt. Und jede dieser Geschichten hat mir die Nackenhaar aufgestellt.“ Fynn sah den Wirtssohn überrascht an. So kannte sie ihn gar nicht. Ian war sonst immer ein sonniges Gemüt, das einfach nur in den Tag hinein lebte und jeden so nahm, wie er nun mal war. Das beste Beispiel war sie. Das er dem Mann aus der Wüste nun so viel misstrauen entgegenbrachte, war untypisch für den jungen Mann. Vielleicht irrte sie sich, aber konnte es sein, das Ian Lorgren nicht mochte? Die beiden Männer kannten sich nicht mal eine Nacht lang und schon behielt Ian den andern auf Schritt und Tritt im Auge, als würde er befürchten, Lorgren würde über sie herfallen wollen. „Ich glaube nicht, dass er einer von ihnen ist“, meinte Fynn nachdenklich und warf dem Jerisanen einen nachdenklichen Blick zu. Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie hielt den Wüstenmann für einen guten Mann. Er wäre sicher nicht in der Lage jemanden zu töten, der nichts Unrechtes getan hatte. Zwar hatte sie gesehen, mit was für einer Leichtigkeit er Jakob und seinen Partner getötet hatte – dabei lief ihr immer noch ein kalter Schauer über den Rücken -, doch zu einem grundlosen Mord wäre er sicher nicht in der Lage. „Ich weis nicht“, wand Ian ein. „Mein Vater hat mir erzählt, dass die Otomorer sich gegenseitig umbringen, wenn es ihren Zwecken dienlich ist. Vielleicht will er dich einfach nur in Sicherheit wiegen, damit du ihm blind vertraust und in eine Falle läufst, die deinen Tot bedeuten kann.“ Wieder konnte sie ihren Ohren nicht trauen. Was war mit Ian passiert, das er solche Sachen aussprach. Sie erkannte ihn schon fast nicht wieder. Zwar riet ihr die Vernunft, Ians Worten glauben zu schenken, aber ihr Herz riet ihr ihren Gefühlen zu vertrauen. Und diese sagten ihr, dass von Lorgren keine Gefahr ausging. Lag es vielleicht am Anhänger? Seit sie wusste, warum von ihm immer diese Wärme ausging, glaubte sie jeden ins Herz sehen zu können. Bei Berold selbst brauchte sie dies nicht mehr, denn seit ihrer Kindheit wusste sie, dass ihr Onkel sie über alles liebte. Bei Roland und seiner Frau war es nicht ganz anders. Ian selbst war ihr auch immer ein guter Freund gewesen, wofür sie immer sehr dankbar gewesen war. Doch nun versprühte auch Lorgren, denn sie nicht einmal richtig kannte, diese wohltuende Wärme, die sie nur von ihren engsten Freunden kannte. Der Anhänger schien dem Mann aus der Wüste zu vertrauen, also tat auch sie dies. Er würde sie warnen, wenn von Lorgren Gefahr drohen sollte. „Bitte, Ian“, bat Fynn ihren Freund und legte ihm eine Hand auf die seine. Der junge Mann sah das Mädchen fragend an. „Bitte vertraue meinem Urteil. Ich spüre, das Lorgren kein Feind ist. Er ist ein Freund, der uns nichts Böses will. Sein einziger Wille besteht darin, mich sicher nach jeris zu bringen.“ Sie sah ihn mit bittenden Augen an. Ian senkte verdrossen den Blick und murmelte: „Nun gut. Ich werde deinen Worten vertrauen. Aber dennoch behalt ich ihn im Auge.“ Die Halbork strich ihm über den Handrücken und sagte: „Danke, Ian. Ich wusste, das ich auf dich bauen kann.“ Sie erhob sich und ging zu ihrem Schlafsack. Ian sah ihr kurz nach und sah auf seine Hand, die eben noch von Fynns gehalten worden war. Er seufzte leise. Sie war noch so naiv, dachte er. Er musste wirklich gut auf sie aufpassen. Er hatte es schließlich versprochen und für gewöhnlich hielt er seine Versprechen. Sein Blick fiel auf den schlafenden Wüstenreiter. Dieser schien nichts mitbekommen zu haben, saß da an einem Baumstamm gelehnt und wartet darauf, dass er ihn in der späten Nacht weckte. Ian wusste, dass er in dieser Nacht sicher keinen Schlaf finden würde. Sein Misstrauen dem Mann gegenüber war noch lange nicht überwunden und dies würde solange nicht sein, bis er einen beweis bekam, der ihn sagte, das Lorgren keine Bedrohung darstellte. *** Mit besonderer Sorgfalt betrachtet der runzelige Mann die Schale, die mit dem Blut eines Ketzers gefüllte war, auf irgendwelche Zeichen. Schon den ganzen Tag über saß er in seiner riesigen Kammer, die nur vom Fackelschein erhellt wurde, und wartet darauf, dass irgendwas passierte. Doch bisher hatte die glatte Oberfläche des Blutes noch keine Welle gezeigt. Vielleicht hätte ich doch Jungfernblut nehmen sollen, überlegte er schon. Nein, das hätte ihm nur Probleme eingebracht. Ganz besonders, seit der Imperator seine Boten zu ihm sandte, um auf dem Neuesten gehalten zu werden. Der alte Priester hatte den mächtigen Imperator noch nie so besorgt miterlebt. Seit einigen einem Monat benahm der Herrscher von Otomor sich schon so seltsam, als würde er jeden Moment eine Tragödie befürchten. Doch diese lag noch in weiter Zukunft, hatte ihm der Bote des Höchsten gesagt. Und bis dahin konnte noch viel entschieden werden. Kurz schloss er die müden Augen, um kurz darauf erschrocken die Luft anzuhalten. Ein Bild zeigte sich in der Blutschale. Es war zwar noch verschwommen, aber es wurde allmählich deutlicher, je mehr er sich darauf konzentrierte. Noch einmal schloss er die Augen und fing an zu singen. Die Reime waren von göttlicher Macht durchtränkt und bald wurde das Bild so deutlich, als wenn er aus einem Fenster sehen würde. Zwei Männer kämpften miteinander. Zwei weitere lagen regungslos am Boden. Vermutlich tot. An einem Baum kauerte eine junge Frau mit entblößtem Oberkörper und zitterte am ganzen Leib. Unweigerlich musste sich der Alte über die welken Lippen lecken. Das war genau das, was er die ganze Zeit zu sehen erhofft hatte. Einen der kämpfenden Männer erkannte er als eine der Klingen Skorms. Eine von vielen, die er noch vor einem Monat nach Helios geschickt hatte. Aber es schien nicht gut für ihn zu stehen. Der andere Mann drängte den Jünger Skorms immer weiter zurück, bis seine Klinge tief in dessen Brust stieß. Wenig später sah er dabei zu, wie der Skormklinge der Arm und der Kopf von den Schultern geschlagen wurden. Schnaubend tat er seine Empörung kund. Was für ein Versager, dachte er bei sich, während er das Geschehen weiter beäugte. Der Mann untersuchte nun die beiden Toten, während die Frau weiter am Baum zitterte. Sein Augenmerk richtete sich auf diese. Überrascht stellte er fest, das es sich bei ihr um eine Halbork handelte, eine recht hübsche, wie er fand. Selten hatte er eine solche unter den halbblütigen Bastarden gesehen. Ob das was zu bedeuten hatte, fragte er sich und strich sich nachdenklich über das krumme Kinn. Sein prüfender Blick wanderte weiter über den zarten Bastard, der nun vom Mann auf die Beine gezogen wurde. Etwas blitze auf und erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Anhänger. Ein Anhänger in der Form eines Schwertes! Das war eins der Zeichen, das wusste er genau und sogleich suchte er den Körper der Halbork nach dem letzten Zeichen ab. Er fand es schon rasch. Da war das Muttermal in der Form eines Herzens, direkt über ihrem Herzen! Das musste die Trägerin des Herzschwertes sein. Es gab keine Zweifel daran. Alles passte. Der Anhänger und das Muttermal. Doch nun fragte er sich, wer der Mann war, der der Hüterin seinen Umhang über die Schultern legte. Er betrachtete eingehend das Gesicht des Mannes. Einer aus den Wüstenländern, erkannte der alte Priester sogleich. Wie lange hatte er keine Wüstenländer mehr gesehen, fragte er sich. Fünfzig oder sechzig Jahre? Egal wie lange das her war, einen Mann aus der Wüste erkannte man immer, egal wo er war. Doch was tat er in diesem Wald? Und wo lag dieser Wald? Wussten etwa noch andere das Skorm nach dem Leben der Hüterin des Herzschwertes trachtete? Die vermaledeiten Götter, knurrte er innerlich. Wieso stellten sie sich immer wieder gegen Skorm und seine Jünger? Es wurde langsam wirklich Zeit, dass der Eroberer und Zerstörer zum heiligen Krieg gegen seine Geschwister ausrief. Doch erstmal musste die Herzschwerthüterin aus dem Weg geschafft werden. Hastig zog der Alte eine kleine Glocke aus den Falten seiner blau-schwarzen Robe und ließ deren Klang erklingen, der durch Magie verstärkt worden war. Er musste nicht lange warten, denn schon bald schwang eine Tür auf und ein Novize, dessen Gesicht tief in den Falten seiner Kapuze verborgen lag, trat ein. „Ihr habt gerufen, Oberster Obrikhan?“, krächzte der Novize unterwürfig und hielt den Blick gesenkt. Der Oberste der Priesterschaft von Skorm hievte sich unter schwerem Stöhnen und Gliederschmerzen auf die Beine und wünschte sich dabei seine Jugend wieder herbei. „Schieck einen Boten zum Imperator“, wies ihn Obrikhan Skormanbeter an. „Und lass ihm ausrichten, dass wir nun wissen, wie unser Feind aussieht.“ Der Novize nickte und verneigte sich tief vor seinem Herrn und Meister, bevor er sich umdrehte und die Tür hinter sich schloss, als er ging. Obrikhan wand sich wieder der Schale mit Blut zu und grinste. Das Gesicht der Halbork hatte sich in seinen Geist eingebrannt. Er würde es nicht vergessen, solange er lebte und sein Herr es nicht wollte. Und er wusste, das sein Herr Skorm nur eins wollte: Ihren tot. <<<:>>> Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)