Die Herzschwert-Saga von Teak-Wan-Dodo (Die Hüterin des Herzschwertes) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Akt: Beginn einer Geschichte ------------------------------------------ 1. Akt Beginn einer Geschichte Den Wert eines Kriegers erkennt man nicht an der Schärfe seines Schwertes, Sondern an seinem kämpferischen Talent in der Schlacht. Und eine Frau an der Stärke ihres Herzens. Denn ihr Herz ist mächtiger als jede Waffe Konass. Garn Jokoss, reisender Barde aus den Ländern des Drachenkönigreichs *** Das Klirren von Stahl auf Stahl erfüllte die kleine Schmiede. Im gleich bleibenden Takt hämmerte der schwere Hammer auf das glühende Stück Eisen, das auf dem schmiede eisernen Amboss lag. Der Schmied, ein großer Mann mit muskulösen Körper und dessen Haupt durch die jahrelange Arbeit in der Hitze seiner Schmiede kahl geworden war, stand aufrecht an seiner Arbeit und bearbeitet das Stück Eisen unermüdlich. Sein Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt zu sein, denn sein Blick war hoch konzentriert und ernst. Es bildeten sich bereits Falten auf dem Gesicht, denn er war nicht mehr der Jüngste und kam seinem fünfzigsten Lebensjahr immer näher. Mit geübtem Griff um die Zange, die das glühende Eisen hielt, hob er es von dem Amboss und schob es in den großen Wasserbotisch. Sofort zischte Dampf, als das erhitzte Stück Eisen auf das kalte Wasser traf. Schnell zog der stämmige Mann es aus dem Wasser und warf einen prüfenden Blick auf seine Arbeit. Ein zufriedenes Grunzen entrang sich seiner Kehle. Er schob das Eisen in die Esse zurück und ließ es sich wieder erhitzen, bis es wieder rot glühte. So machte der Schmied weitere Male, bis man dem Eisen seine zukünftige Form ansehen konnte. Eine Sichelklinge. Das Knarren des alten Tors der Schmiede erregte seine Aufmerksamkeit und lenkte ihn vorübergehend von seiner Arbeit ab. Seine braunen Augen, die unter einer wulstigen Stirn und buschigen Brauen lagen, wanderten zu dem Tor und erblickten eine schlanke Gestalt, deren Rücken von der warmen Herbstsonne beschienen wurde. Der Mann musste etwas blinzeln, denn die Sonne blendete ihn, bevor er erkannte, wer ihm da einen Besuch abstatte. Ein warmes Lächeln umspielte sein hartes Gesicht, doch es wich einem besorgten Ausdruck, als er das leise Schluchzen vernahm, das von seinem Besuch her an seine Ohren drang. Er ließ seinen Schmiedehammer auf den Boden fallen und marschierte der zierlichen Person entgegen, die zu ihm gerannt kam. Mit weit gespreizten Armen warf sie sich an seine stämmige Brust und weinte bitterlich. Beruhigend schloss er seine muskelbepackten Arme um das junge Mädchen und strich ihm über das rabenschwarze Haar, das ihr lang über den Rücken fiel. „Was ist passiert?“, fragte der große Mann sie. Sie zögerte noch mit einer Antwort, denn ihre Stimme wurde immer wieder von einem Wimmern oder Schluchzen geschüttelt. Als sie ihre Stimme einigermaßen wieder im Griff hatte, stotterte sie unter Tränen: „Die anderen haben mich wieder geärgert.“ Das Mädchen hob seinen Kopf und sah den Schmied mit tränennassem Gesicht an. Der kahlköpfige Schmied wusste sofort, wenn sie meinte. Die Dorfkinder. Sie ärgerten sein Mündel tagein und tagaus. Und das nur, weil sie nicht so war, wie die anderen. Denn das Mädchen war eine Halbork, ein Wesen halb Mensch, halb Ork. Jeder der sie das erste Mal sah, fiel ihre grünliche Haut auf, wie auch die leicht spitz zulaufenden Ohren, die für gewöhnlich von ihrem schwarzen Haar verdeckt waren. Ihre Augenbrauen waren um einiges buschiger, als es bei einem Kind üblich war und in ihre Zähne ähnelten dem eines jeden Orks, waren sie doch wesentlich gepflegter. Doch sonst ähnelte sie einem gewöhnlichen Kind. Sie war genau so groß wie alle Kinder von vierzehn Wintern, hatte dasselbe unschuldige Gesicht und die neugiereigen Augen, deren Iris von gelber Färbung waren. Ihr Körper war zierlich und wies alle darauf hin, dass sie zu einer Frau heranreifte. Ihr Busen zeichnete sich bereits unter dem Stoff ihres langen Kleides ab und ihre Lippen wurden allmählich voller. Trotz ihres Erbes war sie ein Kind wie jedes andere, das gerne spielte und herum tobte. Doch das Leben unter Menschen machte dies nicht immer einfach. Dem Schmied fiel das geschwollene Auge auf, als er das Gesicht des Mädchens ansah. Sein Gesicht rötete sich vor Zorn und er fragte: „Haben sie gewagt dich zu schlagen?“ Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe. Dem Mann entging nicht, dass ihre Lippen bluteten. „Sei ehrlich, Fynn.“ Der Mann sah ihr eindringlich in die gelben Augen. Unter diesem Blick schien das Halbork-Mädchen noch kleiner zu werden. Sie senkte den Blick und presste ihr Gesicht wieder gegen die Lederschürze des Schmiedes. „Ich bin nur gefallen, Onkel“, meinte sie kleinlaut. Er wusste, dass seine Nichte log, damit er sich nicht zu viele Gedanken ihretwegen machte. Doch Berold machte sich immer Gedanken um die Tochter seiner verstorbenen Schwester. Schließlich war Fynn alles, was ihm von ihr geblieben war und sie lag ihm sehr am Herzen. „Fynn“, brummte er leise und strich ihr wieder über das rabenschwarze Haar. Er schob sie auf Armeslänge von sich weg und kniete sich vor sie, damit sie ihm ins Gesicht sehen musste. Das Mädchen erwiderte seinen Blick etwas widerwillig, hielt ihm aber stand. „Nun sag, was passiert ist. Und flunkere mich nicht wieder an.“ Ein leises Wimmern entrang ihrer Kehle, bevor sie leicht nickte. Berold merkte, das es ihr schwer fiel, darüber zu sprechen, doch sie gehorchte. „Ich wollte dir etwas zu essen bringen“, fing sie an zu sprechen. „Die anderen haben mir aufgelauert und mir den Weg versperrt. Ich wollte einfach an ihnen vorbei gehen, doch sie ließen mich nicht. Der dumme Garyn wollte mir dein Essen wegnehmen, aber ich hab ihn einfach weg gestoßen und gesagt, das es für dich ist, Onkel.“ Berold schnaubte, als er den Namen des Jungen hörte. Genau wie sein Vater Garynal, war auch Garyn ein übler Bursche, der mit jedem Streit suchte, nur um zu beweisen, wie stark er doch war. Und Fynn war sein liebstes Opfer, schon seit klein auf. „Aber er wollte wie immer nicht aufhören und begann dich als stinkenden Scheißeschaufler zu beschimpfen. Und da hab ich mich auf ihn gestürzt und wir haben uns geschlagen.“ Berold sah seine Nichte an und musste lachen. Eigentlich hätte er wütend sein sollen, doch die Geschichte, wie Fynn sich auf den stämmigen Garyn stürzte und zu Boden rang, war zu komisch. Der Junge war mindestens einen Kopf größer als sie und hatte jetzt schon gehörig Kraft im Leib. Wenn das sein Vater hörte, der würde vor Scham rot anlaufen. Berold würde dies nur zu gerne sehen. „Wirklich, Fynn“, schmunzelte der Schmied und tätschelte seiner Nichte die Schulter. „Eine gute Geschichte. Das Gesicht von Garyn sah sicher zum Lachen aus, als du ihn zu Boden gerungen hast.“ Sein Gesicht wurde nun ernst und sein Blick eindringlich, wie man es von dem stämmigen Mann gewohnt war. „Dennoch hast du falsch gehandelt, Kind. Ein Kampf löst keine Probleme, sondern macht viel mehr welche. Versuch einem Kampf immer aus dem Weg zu gehen und hör nicht darauf, was diese Trottel sagen. Nicht einmal, wenn sie mich als einen stinkenden Scheißeschaufler beschimpfen. Stell dich taub und geh einfach weiter.“ Fynn sah ihn nicht grade begeistert an. „Das kann ich nicht“, sagte sie und schniefte einmal. „Wenn sie so abfällig über dich reden, dann sehe ich nur noch rot. Wie kann ich einfach weghören, wenn sie deine Ehe so beschmutzen?“ Er zwinkerte ihr zu und sagte: „Ganz einfach. Ruf mich und ich versohle ihnen mit meinem besten Hammer gehörig den Hosenboden.“ Ein leises Kichern kam von Fynn und erwärmte das Herz des Mannes. Ja, so mochte er das. Das Mädchen sollte immer lächeln und lachen, dann wäre der Schmied um einiges glücklicher gewesen. Eine laute Stimme drang den beiden an die Ohren. Berold und Fynn traten vor die Schmiede und entdeckten einen großen, stämmigen Mann, dessen Haar so blond wie Weizen und sein kantiges Gesicht vor Wut rot angelaufen war. Auf seiner Schulter trug er eine Axt, die fürs Fällen von Bäumen wie geeignet war. Neben ihm stand ein Junge, der ihm bis aufs blonde Haar glich, denn seins war von dunklem Braun und er war einen Kopf kleiner, als der andere. Die blutige Nase und die geschwollene Lippe des Knaben verrieten dem Schmied, das der Kampf zwischen ihm und seiner Nicht für den großen Jungen nicht weniger schmerzhaft zu Ende gegangen war. „Garynal“, begrüßte ihn der Schmied und nannte den Mann beim Namen. Berold konnte sich denken, warum der Holzfäller hier war. Sein Junge hatte ihm sicher eine Lüge aufgetischt und der stämmige Mann würde sicher verlangen, das Berold Fynn raus rückte, damit er sie bestrafen konnte. Es sammelten sich mittlerweile Schaulustige, die wissen wollten, was da vor sich ging. Die Bewohner Steindorfes wussten alle, das es etwas mit Fynn zutun haben musste. Schließlich lagen Berolds und Garynals Familie seit langen im Streit, nur, weil Garyn die kleine Halbork immer wieder ärgerte und terrorisierte. Doch achtet Berold, wie immer, nicht auf sie. Allein Garynal galt seine Aufmerksamkeit. Hinter ihm versteckt stand Fynn, die hinter dem breiten Rücken ihres Onkels hervor lugte, um alles mit zu bekommen, was jetzt geschehen würde. „Spar dir deine falsche Freundlichkeit, Schmied“, knurrte der Holzfäller und funkelte Berold Unheil verkündend an. „Was fällt deinem kleinen Bastard ein, meinen Sohn anzugreifen?“ „Hüte deine Zunge, Garynal Holzfäller“, brummte Berold, der sich von dem anderen Mann nicht einschüchtern ließ. Außerdem loderte in ihm der Zorn auf, weil er es gewagt hatte, seine Nicht zu beleidigen, „sonst zeig ich dir, wie ich mein Eisen forme.“ „Komm nur her, alter Mann“, höhnte der andere, doch war er einen Schritt zurück gewichen. Trotz Berolds Alter war der Schmied noch in beachtlicher Verfassung und hatte so einige Kämpfe gewonnen. Besonders bei den Ringkämpfen im Herbst, wo sich die Steindörfer zu den traditionellen Spielen trafen, war er immer wieder als Sieger hervor gegangen. Niemand war stärker als er und das wusste Berold auch. „Meine Axt wartet nur.“ „Red nicht so wirres Zeug, Holzfäller“, sagte Berold kalt und funkelte den anderen an. „Du wolltest reden, so erschien es mir eben zumindest. Also rede. Ich will nicht zuviel von meiner kostbaren Zeit vergeuden, nur weil dir dein Knabe dummes Zeug erzählt hat.“ „Beleidige nicht meinen Jungen, Bastardtreiber“, warnte Garynal wütend und richtete seine schwere Axt mit nur einem Arm auf den Schmied und dessen Nichte. „Das Mädchen wird zum wilden Tier und greift schon Kinder an.“ „Ach, meinst du?“, fragte Berold und stemmte seine Arme in die Hüften. „Ich hätte dem Jungen auch eine verpasst, wenn er meine Nicht auf übelste beleidigt hätte.“ Garynal und sein Sohn wechselten einen kurzen Blick, bevor der Holzfäller den Schmied wieder ansah. „Verdreh nicht die Tatsachen“, fuhr ihn der Holzfäller an. Seine Sicherheit wankte bereits, wie Berold auffiel. „Das kleine Biest hat meinen Jungen angefallen und das aus keinem Grund! Sogar gebissen hat sie ihn!“ Berold hob eine Augenbraue und warf Fynn, die weiterhin hinter ihm stand, einen fragenden Blick zu. Das Halbork-Mädchen erwiderte seinen Blick und errötet leicht. Da müssten die beiden nachher ein ernstes Wort wechseln, dachte er und wand seine Aufmerksamkeit wieder dem anderen Mann zu. „Gebissen? Und was hat dein Junge gemacht? Er hat ihr mal `wieder´ aufgelauert und belästigt. Dazu hat er mich als“, er sah einmal kurz auf den Jungen an, der unter dem strengen Blick des Schmiedes zusammen zuckte, „stinkender Scheißeschaufler bezeichnet. Von den Umstehenden erhob sich leises Gemurmel. Sie konnten nicht glauben, dass jemand die Dreistigkeit besaß, den angesehenen Schmied derartig zu beleidigen. Den zornigen Garynal verstanden sie, denn allein aus Wut und Zorn waren ihm die Beleidigungen über die Zunge gekommen. Garynal wand sich seinem Jungen zu und funkelte ihn sogleich an. Der Knabe zuckte vor seinem Vater zurück. „Was hast du gesagt?“, herrschte ihn sein Vater an und wenig später erklang ein lautes Klatschen und der Bursche lag im Straßen Staub und hielt sich wimmernd die linke Wange, auf die die Hand seines Vaters getroffen war. „Na warte bis wir wieder zu Hause sind! Dann kannst du was erleben! Deine Mutter wird schäumen vor Wut!“ „Garynal“, sagte Berold, worauf der Holzfäller ihm einen mürrischen Blick zuwarf. „Was ist?“ „Dein Junge soll sich bei meiner Nichte entschuldigen“, verlangte der Schmied und sah ihn mit warnendem Blick an. So einfach würden ihm der Holzfäller und sein missratender Sohn nicht davon kommen. „und ich verlange von dir Wiedergutmachung.“ „Was?“, herrschte ihn Garynal an und kam direkt auf den Schmied zu, bis sich beide Gesichter nur noch wenige Zoll voneinander befanden. „Eine Wiedergutmachung? Hat dir die Hitze in deiner Esse schon das Hirn durch geschmort?“ „Gewiss nicht“, sagte Berold ruhig und erwiderte den Blick des Manns eisern. „Es ist sogar mein gutes Recht. Wegen dir musste ich meine Arbeit unterbrechen und es gibt noch viel zutun, Holzfäller.“ Garynal knurrte leise und nickte. Er erinnert sich an die alten Gesetze von Steindorf. „Dann will ich, dass dein Junge einen Monat in meiner Schmiede aushilft.“ „Mein Junge?“, fragte Garynal überrascht und sah Berold mit großen Augen an. Wie auch alle anderen. Besonders Fynn, der der Gedanke daran, den Sohn des Holzfällers nun täglich sehen zu müssen, gar nicht gefiel. Zudem wusste jeder, das Berold den Jungen überhaupt nicht mochte. „Ja, dein Junge“, erwiderte der Schmied und verschränkte die kräftigen Arme vor der stämmigen Brust. „Du brauchst ihn doch im Moment nicht, soweit ich weis. Erst im Winter muss er dir doch wieder zur Hand gehen, oder?“ Garynal nickte zögerlich. „Also kann er ruhig einen Monat bei mir arbeiten. Dann wird er dir auch nicht weitere Sorgen bereiten.“ Garynal schien der Gedanke, dass sein Junge bei dem Schmied arbeiten sollte, nicht zu gefallen. „Na gut“, willigte er schließlich ein, was alle Anwesenden verwunderte, besonders Fynn und Garyn, die beide Männer mit ungläubigen Augen anstarrten. „Aber auch nur einen Monat, verstanden?“ Berold nickte. Beide Männer reichten sich als Zeichen ihres Einverständnisses die Hände und drückten feste zu. Dabei sahen sie sich die ganze Zeit über an. Als sich beider Hände voneinander lösten, wanden sich beide voneinander ab und gingen voneinander weg, Berold mit Fynn in die Schmiede zurück und Garynal mit seinem Sohn die Straße herunter zu seinem Haus. Als der Schmied und seine Nichte in der Schmiede standen, fragte ihn das Mädchen: „Warum holst du Garyn in die Schmiede?“ Deutlich hörte der alte Mann den Unglauben in der Stimme des Mädchens, das schon bald zu einer jungen Frau heran reifen würde. Einer Frau, die seiner toten Schwester so sehr ähnelte. Ein Schnauben entrang seiner Kehle, als er Fynn zur Seite schob und zu dem Amboss ging, auf dem noch immer die Sichelklinge lag, die er für einen der hiesigen Bauern fertig machen musste. „Ich brauche nur etwas Hilfe“, meinte er, als er am Amboss stand und seinen am Boden liegenden Hammer aufhob. „Es liegt viel Arbeit an und der Herbst ist nicht mehr fern. Da kann ich ein paar kräftiger Hände gut gebrauchen.“ „Dann helfe ich dir“, sagte das Mädchen, als es zu ihm trat und ihn trotzig ansah. „Ich kann das Feuer schüren, wie du es mir beigebracht hast. Außerdem kann ich gut zu packen.“ Berold sah Fynn mit leichtem Lächeln an. „Das weis ich“, sagte er zu ihr und schwang seinen Hammer, der klirrend auf das Eisen traf. „Aber du kannst keinen Hammer schwingen. Garyn kann das sicher. Außerdem, wer bringt mir dann das Essen, wenn du mir hilfst?“ Er sah sie an, war neugierig auf ihre Antwort. Berold war einst verheiratet gewesen, doch seine Frau war an einer Lungenentzündung gestorben, lange, bevor Fynn überhaupt geboren worden war. Kinder hatte er keine gehabt, auch keinen Gesellen, der ihm zu Hand hätte gehen können. Fynns Mutter, Kary, war seine einzige Verwandte gewesen. Im Dorf war der Schmied zwar angesehen, doch hatte er nicht all zu viele Freunde, die ihm helfen konnten oder dazu in der Lage waren. Die anderen Dörfler kamen nur zu ihm, wenn sie etwas brauchten, doch ihre Hilfe boten sie ihm nur selten an oder auch gar nicht. Fynn zögerte mit einer Antwort, wie Berold geahnt hatte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, denn ihr war ebenso wie ihrem Onkel bekannt, dass keiner ihnen helfen würde. Statt zu antworten, sah sie ihn einfach an, mit flehendem Blick und zog die Unterlippe etwas hoch. Der Schmied kannte dieses Gesicht. Sie versuchte ihn damit immer herum zu kriegen, was ihr auch allzu häufig gelang. Doch dieses Mal hatte sie damit kein Glück. „Dein Gesicht wird mich auch nicht umstimmen können“; sagte der alte Mann und lächelte sie gutmütig an. „Ich werde Garyn nur einen Monat hier behalten. Dann wirst du ihn los sein, versprochen.“ Ein enttäuschter Seufzer kam von Fynn und sie nickte. „Na gut“, sagte das Mädchen und senkte den Blick. Der Schmied wusste, dass sie enttäuscht war, doch ließ er sich nicht von seinem Entschluss abbringen, den jungen Holzfällersohn zu sich zu nehmen. Nicht allein die viele Arbeit hatte ihn dazu bewogen Garyn zu sich zu nehmen. Er wollte ein Auge auf dem Jungen haben, während er bei ihm arbeitete. So konnte Berold sicher gehen, das der Bursche seine Nichte nicht belästigte. Fynn würde über einen Monat Ruhe vor den Gemeinheiten Garyns haben und die Freunde des Jungen würde sie ebenso in ruhe lassen, wusste er. Sie waren nur Mitläufer, die allein zu feige waren, jemand anders zu piesacken. „Gut so, Kind“, sagte der große Mann und strich Fynn über das rabenschwarze Haar. „Dann geh und hol mir doch bitte was im Gasthaus zu essen.“ „Ja, gut“, sagte Fynn und nickte leicht, doch ihre niedergeschlagene Miene blieb nach wie vor. Der Schmied seufzte. Er zog aus seiner ledernen Schürze einen kleinen Beutel und zog eine Silbermünze daraus. Diese gab er seiner Nichte. „Kauf mir was Ordentliches“, bat Berold sie. „Und dir selbst kannst du auch etwas holen.“ Das überraschte Gesicht seiner Nichte brachte ihn zum kichern. Nur selten hatte sie von ihm Geld bekommen, um sich selbst etwas zu kaufen, denn Berold musste sparsam mit dem Geld umgehen. Zwar verdiente er als einziger Schmied in Steindorf ganz ordentlich, hatte aber auch einige Ausgaben, wie zum Beispiel der Kauf von neuem Erz, das er zur Herstellung seiner Waren benötigte. Und dieses war teuer. Das Mädchen sah ihn immer noch überrascht an, bevor sie breit lächelte und den Schmied stürmisch umarmte, wobei ihm beinah das Eisen und der Hammer aus den Händen viel. „Danke, Onkel“, sagte sie jauchzend und drückte sich dicht an ihn. Berold lachte und strich ihr über den Kopf. „Ist ja schon gut“, sagte er schmunzelnd. „Deswegen musst du nicht gleich so stürmisch sein, Kind. Na mach dass du weg kommst. Ich habe Hunger und mit leeren Bauch lässt es sich schwer arbeiten.“ Das musste er Fynn nicht zweimal sagen, denn sie löste sich von ihm und drückte dem alten Mann einen dicken Kuss auf die Wange, bevor sie hopsend aus der Schmiede eilte, um ihren Auftrag zu erledigen. Berold sah ihr nach, während er sich über die haarlose Wange strich, wo ihn seine Nichte geküsst hatte. Sie war wirklich ein Energiebündel, dachte er und kümmerte sich wieder um seine Arbeit, wobei seine Gedanken zu Kary, seiner Schwester, geleiteten, die nun seit vielen Wintern nicht mehr unter den Lebenden weilte. Ach, Schwester, dachte er, während er die Sichel in die heiße Esse schob und dabei zusah, wie sich wieder das Eisen erhitzte. Wenn du nur sehen könntest, wie sich deine kleine Fynn entwickelt hat. Der traurige Gedanke ließ ihn eine einzelne Träne vergießen, die schnell von der Hitze des Feuers verdampft wurde. Er vertrieb schnell die Gedanken an seine Schwester. Schließlich hatte er noch viel Arbeit vor sich und die musste erledigt werden. *** Summend hopste Fynn über die lange Straße von Steindorf, auf dem Weg zur Taverne `Eberspieß´, der einzigen im ganzen Dorf. Die schlechte Laune von eben, als ihr Onkel entschieden hatte Garyn in seine Dienste zu nehmen, war wie weg geblasen. Das kleine Geldgeschenk Berolds hatte sie sehr überrascht, denn ihr Onkel achtete für üblich haargenau darauf, dass er nicht zuviel Geld ausgab. Die Erlaubnis sich etwas zu kaufen, kam genau so häufig vor, wie das Fynn keinen Ärger mit den andern Kindern des Dorfes hatte. Also kaum. Sie dachte schon darüber nach, was sie sich kaufen sollte. Vielleicht ein Stück Blaubeerkuchen, den die Frau des Wirtes immer backte oder einen Krug des köstlichen Traubensaftes, den der Wirt ausschenkte? Sie konnte sich einfach nicht entscheiden. Schließlich mochte sie beides sehr. Letzten endlich entschied sie sich für den Kuchen, worauf ihr Bauch anfing zu knurren. Sie kicherte leise. Ihr viel ein, das sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, außer am Morgen, zusammen mit Berold, bevor er in seine Schmiede gegangen war. Bevor sie an diesem Tag mit Garyn zusammen getroffen war, hatte sie die Hütte, in der sie mit ihrem Onkel lebte, ordentlich durchgefegt und Wasser aus dem nahen Teich geholt. Das wenige Geschirr hatte sie rasch gewaschen und geschrubbt, damit es für den Abend sauber war. Sobald es Mittag wurde, hatte sie sich einen Leib Brot, Käse, Schinken und Obst in einen Korb getan, um es ihrem Onkel zu bringen. Und auf den Weg zur Schmiede war sie halt auf Garyn und seine Freunde getroffen und es war zu der kleinen Prügelei gekommen. Die Gedanken daran verflogen rasch, als sie den `Eberspieß´ sah, aus dessen Schornstein der Rauch stieg und aus seinen offenen Fenstern der Duft nach guten Essen zu ihr wehte. Genießerisch schloss das Mädchen die Augen und zog fast schon gierig den Duft nach Eintopf und saftigen Braten ein. Ihr war schon in frühen Kindertagen aufgefallen, dass ihr Geruchssinn um einiges besser war, als der der anderen Dörfler. Sie konnte unter all den Leuten ihren Onkel ohne Probleme heraus wittern, wie auch Garyn, was ihr schon einige Mal die Chance gegeben hatte, sich rasch aus dem Staub zu machen, wenn der Junge nahte. Auch in der Dunkelheit konnte sie besser sehen, als andere. Das verdankte sie allem ihrem orkischen Erbe. Doch sie verfluchte es auch häufig genug. Ihr war kein ruhiges Leben vergönnt gewesen. Immer wieder wurde sie von anderen Leuten beschimpft, nicht nur von den Kindern. Sie hatte viele der auffälligen Merkmale ihres Ork-Vaters geerbt, wie die grüne Haut und die spitzen Zähne. Wie gerne wäre sie ein normales Mädchen, wie anderen auch. Dann hätte sie sicher auch Freunde gehabt, die mit ihr spielten oder scherzten. Doch dies war ihr nicht vergönnt. Immer wieder war sie das Objekt der üblen Späße der Kinder gewesen. Als sie klein gewesen war, war sie jeden Tag zu ihrem Onkel gerannt und hatte sich an seiner starken Brust ausgeweint, seit ihre Mutter tot war. An ihre Mutter konnte sie sich nicht mehr richtig erinnern. Doch erfüllte es ihr Herz mit Wärme, wenn sie an die Person dachte, die sie auf die Welt gebracht hatte. Sie konnte sich an blondes, wallendes Haar erinnern, ein sanftes Gesicht, das sie immer warmherzig angelächelt und zu Bett gebracht hatte. An den warmen Körper, der sie oft gewiegt hatte, wenn sie nicht einschlafen konnte. Ihr Onkel hatte schon oft gesagt, dass sie ihrer Mutter zum Verwechseln ähnelte sah. Doch Fynn war nicht überzeugt davon. Ihre Mutter war kein halber Ork gewesen. Sie war ein Mensch gewesen, etwas, was Fynn niemals sein würde. Das Einzige, das sie noch von ihrer Mutter hatte, war eine kleine Kette, an der ein Schwertförmiger Anhänger hing. Diesen Anhänger trug sie immer unter ihrem Hemd, wenn sie raus ging. Zu groß war die Angst, das Garyn oder einer der anderen Jungen ihr den Anhänger stehlen könnte. Manchmal glaubte sie, wenn sie Nachts in ihrem Bett lag, die sanfte Stimme ihrer Mutter zu hören, obwohl sie sich nicht mehr richtig an diese erinnern konnte, die ihr ein Lied vorsang, um ihr die Sorgen des Alltags zu nehmen und ruhige Träume zu schenken. Sie fühlte den eisernen Anhänger unter dem Stoff an ihrer Brust hin und her baumeln, während sie sich immer weiter der Taverne näherte. Er fühlte sich immer warm an, als würde er ihr Herz erwärmen wollen. Wenn sie bei Berold war, wurde das Eisen ganz besonders warm, etwas, was sie bis zum heutigen Tage noch nie verstanden hatte. Sie wusste, das Eisen für gewöhnlich sich kalt anfühlte, doch glaubte sie, dass ihr Körper den kleinen Schwertanhänger erwärmte. Vielleicht lag noch ein Teil der Liebe ihrer Mutter in dem Anhänger, der ihr zeigen sollte, dass sie ihrer Mutter sehr am Herzen gelegen hatte. Hufgetrappel weckte ihre Aufmerksamkeit. Fynn wand sich um und sah die Straße hinauf, auf der sich zwei Reiter auf schnellen Pferden näherten. Die Männer waren in dunkle Farben gewandet, trugen lange Umhänge mit Kapuzen. Einer der Männer hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so, das keiner sein Gesicht sehen konnte. Der andere zeigte ganz offen sein Gesicht und sich an den warmen Sonnenstrahlen zu ergötzen. Fynn sah diesen Mann mit großen Augen an, als er und der andere an ihr vorbei ritten. Sie fand ihn überaus attraktiv. Sein Gesicht hatte ebenmäßige Züge, seine Haut war leicht blass, was ihn nur noch anziehender wirken ließ. Das Gesicht wurde von einer graden, leicht spitzen Nase, einem Paar dunkler Augen – Fynn glaubte, das sie blau waren - und einem feinen Mund geziert. Das blonde Haar hatte er sich zu einem langen Zopf zusammen gebunden, der im Wind wehte. Unter den Kleidern, so vermutete Fynn, war ein geschmeidiger Körper versteckt, der sicher jede Frau entzücken würde. Die beiden Fremden hielten vor der Taverne. Sie stiegen von ihren Tieren und banden sie fest, um in das Gasthaus einzukehren. Fynn, die nicht weit abstand, sah, das beide sich umsahen und sich leise miteinander unterheilten. Der Blick des Schönlings fiel auf die Halbork, die sogleich errötet. Er sah sie an! Ihr Herz fing wie wild an zu klopfen, so aufgeregt war sie. Der Mann schein sie einmal genau zu mustern, bevor ein feines Lächeln seine Lippen umspielte. Fynns Gesicht wurde nur noch röter und sie musste den Blick abwenden, damit er ihr Gesicht nicht sah. Ihre Hände legten sich auf ihre Wangen und sie spürte die Wärme, die von diesen ausging. Als sie ihren Blick wieder hob, verschwanden die beiden Fremden gerade in der Taverne. Das Mädchen nahm die Beine in die Hände und rannte zum `Eberspieß´, denn sie wollte in Erfahrung bringen, was die beiden nach Steindorf gebracht hatte. Mit einem Mal wollte sie alles über den schönen Fremden, mit dem blonden Haar und dem feinen Lächeln, wissen. Am Gasthof angekommen, spähte sie durch eins der zwei Fenster und sah, wie Roland, der Wirt, mit dem dicken Bauch und dem langen Schnurbart mit dem Schönling sprach. Fynn könnte fluchen. Sie hörte kein einziges Wort, was gesprochen wurde. Über was unterhielten sich die beiden da nur? Ihr fiel wieder ein, dass sie etwas zu Essen für Berold kaufen sollte. Fynn nutzte die Chance und ging zur Tür, um in die Taverne zu gelangen. Sie merkte, dass ihre Hände angefangen hatten zu zittern und zu schwitzen. Was war bloß mit ihr, fragte sie sich und legte ihre Hand auf die Klinke und drückte die Tür auf. „… ler kommen in zwei Tagen, glaub ich“, brummte Roland, als Fynn die Taverne betrat und hinter sich die Tür schloss. Der Wirt sah kurz zu ihr und winkte ihr zum Gruß, bevor er sich weiter mit den beiden Fremden befasste. Der Fremde, dessen Gesicht von der Kapuze seines Umhanges verdeckt war, sah zu ihr rüber und ein kalter Schauer lief ihr über das Rückrad. Der Anhänger ihrer Mutter wurde mit einemmal kalt und sie fing an zu frösteln. Irgendwas stimmte nicht, dachte sie, während ihre Hände sich um den vom Stoff verborgenen Anhänger legten und diesen fest drückten, damit er wieder seine gewohnte Wärme erlangte. Der Fremde musterte sie abfällig, bevor er sich wieder umdrehte und den anderen aufforderte, mit ihm zu kommen. Der Schönling sah ihn kurz an, bevor sein Blick auf Fynn fiel, die immer noch an der Tür stand und den Schwertanhänger weiter umklammert hielt. Wieder lächelte er sie an, ihr Herz klopfte wieder vor Aufregung und ihr Gesicht färbte sich rot. Die beiden Männer gingen wieder auf die Tür zu, worauf das Halbork-Mädchen hastig zurück wich, denn der Kapuzenträger funkelte sie an und die Eiseskälte kehrte zurück. Die beiden Reisenden gingen an ihr vorbei und verschwanden nach draußen. Zuvor warf der gut aussehende Mann ihr einen neuerlichen Blick zu, wie auch ein Lächeln, das ihr Herz wieder vor Freude aufspringen ließ, bevor er verschwunden war. Der Blick Fynns haftete auf der zugehenden Tür, bevor sie Rolands Stimme aus ihren Träumereien riss. „Grüß dich, Kind“, sagte er, als sie sich ihm zu wand. „Grüß dich auch, Roland“, sagte sie, während sie zur Theke kam und dabei immer wieder zur Tür sah, in der Hoffnung, das ihr Traummann wieder in die Taverne kam, nur um sie noch einmal anzulächeln. Der beleibte Wirt warf ihr einen wissenden Blick und ein breites Grinsen zu. „Hat sich da unsere kleine Fynn etwa verguckt?“, fragte er sie neckisch, worauf ihn das Mädchen erschrocken ansah. „Nein!“, quiekte Fynn auf und ihr Gesicht verfärbte sich vor Scham. Roland lachte und hielt sich den dicken Bauch. „Kein Grund, sich zu schämen, Kindchen“, sagte der Wirt und lehnte sich auf die Theke. „Ist ganz normal, hab ich mir von meiner Frau sagen lassen.“ Er kicherte noch etwas, bevor er sich so weit im Griff hatte und fragte: „Was darf es denn sein?“ „B-berold hat Hunger“, stotterte das noch immer zutiefst verlegende Mädchen. „Ich möchte etwas kaufen…“ Der Wirt nickte. „Ah, verstehe“, sagte er und pfiff einmal kurz. „Der alte Geizkragen scheint endlich mal wieder daran gedacht zu haben, mal wieder eine Münze hier zu lassen, damit ich über die Runden komme, wie?“ Wieder lachte der Wirt auf, worauf Fynn etwas lächeln musste. Roland und Berold waren gute Freunde, die sich seit ihrer Kindheit kannten. Beide waren hier in Steindorf aufgewachsen. Die Männer neckten sich tagein und tagaus, damit jeder wusste, wie sehr beide sich schätzten und mochten. Fast wie Brüder. Roland war auch einer der wenigen Menschen im Dorf, der über Fynns Erbe hinweg sah, und sie wie jeden anderen behandelte. Wie auch seine Frau Marta und sein Sohn Ian. Hinter der Theke ging eine Tür auf und Ian kam aus der Küche. Als er Fynn sah, lächelte der junge Mann breit und kam an die Seite seines Vaters. „Sei gegrüßt, Fynnchen“, begrüßte er das Mädchen mit ihrem Spitznamen, der er ihr einst gegeben hatte. Das Mädchen hob eine Augenbraue und sagte: „Hallo, Stalljunge.“ Der Mann musste lächeln, während sein Vater gutgelaunt lachte und mit einer Hand auf die Theke klopfte. Im Gegensatz zu seinem Vater, war Ian ein drahtiger Bursche, der sich das brauen Haar für üblich kurz stutzte. Scheinbar war ein Haarschnitt wieder nötig, denn die ersten Strähnen vielen ihm bereits ins freundliche Gesicht, das von einer leichten Harkennase geziert wurde. Ian hatte die breiten Lippen seines Vaters geerbt, unter denen ein feiner Lippenbart sprießte, dafür aber die grünen Augen seiner Mutter. Wie üblich trug er eine lange Leinenhose und ein Hemd, darüber eine Lederweste, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. „Los, Junge“, sagte sein Vater. „Such mal ein ordentliches Mittagessen für Berold zusammen. Der alte Knabe hat Hunger, und wie ich ihn kenne, nicht zu wenig.“ Er gab seinem Sohn einen Klaps auf den Rücken, worauf dieser zurück in die Küche eilte, um seinen Auftrag zu erledigen. Als beide wieder alleine waren, fragte Fynn: „Roland, was wollen die beiden Fremden hier?“ Steindorf wurde nur selten von Reisenden besucht. Es lag abgelegen zwischen den Ausläufern des Durgawaldes und des Antigas-Schlange-Gebirges, das sich im Osten weit in den Himmel türmte. Händler kamen höchstens im Frühling vorbei, um ihre Wahren anzubieten und bei den Dörflern einzukaufen. Zweimal im Jahr kam der Wanderzirkus der Trödler vorbei, um die Bewohner Steindorfes mit ihren Kunststücken und Geschichten zu erfreuen. Die wenigen Reisenden, die hier vorbei. kamen, waren meist auf ihrem Weg nach Taurin oder Großhafen den falschen Weg gegangen und hatten sich einfach nur verirrt. „Die wollen hier auf die Trödler warten“, sagte der Wirt zu ihr, zuckte dann aber mit den Schultern. „Ich glaube aber, die armen Teufel haben sich einfach nur verirrt und wollten sich nicht lächerlich machen.“ Wieder lachte er. Es gab sicher niemanden in ganz Helios, der das Lachen des Wirtes übertreffen konnte, dachte Fynn und lächelte wieder. Roland lachte eigentlich immer, wenn er nur einen Grund dafür fand. „Na ja, zumindest bleiben sie jetzt erstmal hier, bis die Zirkusleute hier eintreffen. Das wird meiner Kasse ganz gut tun, denke ich.“ Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht und kündigte ein weiters Lachen an. Die Tür zur Küche schwang auf und Ian erschien mit einem Korb voller Essen und einem kleinen Fass. Der junge Mann stellte schnaufend den Korb auf die Theke und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Roland sah zu ihm rüber und brummte: „Was? Schon geschafft? Du solltest wirklich mehr arbeiten, Junge.“ Ian sah zu seinem Vater und meinte: „Mutter hat mich aus der Küche gescheucht, weil sie unser Abendbrot schon am machen ist und ihre Ruhe haben will.“ „Abendbrot?“, fragte Roland und rieb sich über den wuchtigen Bauch. Er sah Fynn an und meinte: „Also entschuldige mich bitte mal, ja? Ich muss sehen, ob Marta nicht zu viel Kräuter dran macht.“ Mit diesen Worten verschwand er in die Küche und wenig später hörte man das empörte Gezeter Martas, die ihren Mann sicher davon abhalten wollte, von dem Essen zu naschen. Fynn und Ian kicherten etwas. Beide kannten das nur zu gut. Denn die beiden Wirtsleute neckten und ärgerten sich seit dem Tag, als sie sich trauen ließen. Eine aufregende Ehe, nannte Roland das immer, worauf er immer in Gelächter verfiel und von Marta eins hinter die Ohren bekam, wenn sie dies mitbekommen hatte. Als Fynn den Korb nehmen wollte, schritt Ian ein und schnappte sich diesen. „Lass mal“, sagte der Wirtssohn und kam mit dem Korb um die Theke herum. „Den trag ich dir. Ist viel zu schwer für dich.“ Das Mädchen hob eine Augenbraue und sah den jungen Mann an, als würde er nicht mehr ganz bei Trost sein. „Zu schwer?“, fragte sie und knuffte ihn in die Seite. „Hast wohl vergessen, wer mein Onkel ist, wie?“ Ian grinste breit und ging mit Fynn zusammen zur Tür. „Nein, das nicht;“ sagte er, als die Halbork die Tür für ihn aufmachte. Zusammen traten sie hinaus und Fynn bemerkte, das die beiden Pferde der Fremden verschwunden waren. Sie sah sich um, doch war keine Spur von den beiden Männern aus zu machen. Enttäuscht seufzte sie. Der gut aussehende Fremde war also schon wieder unterwegs. Aber es gab Hoffnung. Heute Abend war er sicher wieder in der Taverne. Dann würde sie ihn wieder sehen, den Mann, der ihr Herz so zum Klopfen gebracht hatte, wie keiner zuvor. *** Die behandschuhte Hand strich sachte über den Hufabdruck, der vor dem Mann im Staub deutlich zu sehen war. Sein Blick viel auf einem kleinen Dunghaufen, der mitten auf dem Weg lag. Er stand auf und ging zu diesen und kniete sich davor hin. Er hielt seine rechte Hand über diesen und schloss die Augen. Ein Tag, dachte er und erhob sich wieder, bevor er einen flüchtigen Blick auf die Bäume warf, die rings um ihn herum standen. Der Mann war den Spuren bis in den Durgawald gefolgt, bevor er sie an einem kleinen Teich verloren hatte. Es hatte ihn einen halben Tag gekostet die Spur wieder zu finden. Und schon hatten sie einen Tag Vorsprung. Missmutig wand er sich von der Spur ab und eilte zu seinem Pferd, einem schwarzen Hengst, der die ganze Zeit über geduldig auf seinen Herren gewartet hatte. Mit wehendem Umhang griff die rechte Hand des Mannes nach dem Sattelknauf und zog sich in den Sattel des Tieres. Sofort saß er sicher im Sattel, schnappte sich die Zügel des Pferdes. Er gab dem Hengst die Sporen und sofort preschte das Tier mit freudigem Wiehern die Straßen entlang. Sein Umhang, der aus groben, braunen Stoff, flatterte ungehalten im Wind, während der Reiter einhändig die Zügel hielt und sein Tier führte. Der Grund für den wagehalsigen Ritt war, dass ihm der linke Arm vollständig fehlte. Etwas, was ihn aber nicht weiter daran hinderte, sein Pferd zu einem schnellen Ritt zu treiben. Sein langes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar flatterte ungestüm mit dem Umhang um die Wette, während seine schmalen, braunen Augen stur auf den Weg gerichtet waren. Das Gesicht wurde von einer schmalen Nase geziert, die die Narbe eines Nasenbruches aufwiesen, der sauber wieder zusammen gewachsen war. Seine Haut war von bronzener Farbe und wies auf seine Herkunft aus den Wüstenländern süd-östlich vom Antigas-Schlange-Gebirge aus. Ein Jerisane. Seine Brust wurde von einem langen, luftigen Hemd bedeckt, wovon der linke Ärmel hochgekrempelt war und mit Nadel und Faden an Ort und Stelle gehalten wurde, und einem ledernen Harnisch, der zusätzlich mit kleinen Stahlschienen versehen wurde, um einen besseren Schutz zu gewährleisten. Die lederne Hose, die er trug, schmiegte sich eng um seine kräftigen Beine. Seine Füße steckten in braunen Reitstiefeln, die schon recht bald eine neue Sohle bedurften. An seinem Gürtel, dessen Schnalle einer zischenden Schlange ähnelte, wippte ein langer Krummsäbel, wie auch ein langer Dolch. Beide übliche Waffen für die Wüstenreiter aus Jeris. Der Reiter hob leicht den Blick, um den Stand der Sonne zu ermitteln. In weniger als einer Stunde würde die Abenddämmerung einsetzen und die Sonne würde für den Mond platz machen. Er gab seinem stolzen Wüstenhengst erneut die Sporen und trieb ihn zu einem schnelleren Tempo. Das Tier reagierte nur mit einem Schnauben, während es schneller über den Weg hinweg fegte, um den Wunsch seines Herren folge zu leisten. Laute Stimmen erregten seine Aufmerksamkeit, als er an einer Weggablung angelangte, der jegliche Ausschilderung fehlte. Er ließ sein Pferd halten und erhob sich im Sattel, um in Erfahrung zu bringen, wenn er da hörte. Nicht weit ab von ihm erblickte er mehrere Feuer. Er ließ sein Pferd im gemächlichen Tempo auf die Stimmen und das Feuer zuhalten, um nicht bedrohlich zu wirken. Als der Reiter dem Feuerschein näher kam, entdeckte er Planwägen und Menschen, die durch das Lager wuselten, wo mehrere Wach- und Kochfeuer brannten und die aufkommende Dunkelheit erhellten. Er ließ den Hengst halten und betrachtet die Leute eingehend. Fahrendes Volk, erkannte er sofort und runzelte die Stirn. Was machten diese so Tief im Wald? Dafür konnte es eigentlich nur einen Grund geben. Hier irgendwo musste eine Ortschaft sein. „Wer ist da?“, ertönte eine schroffe Stimme nicht weit ab seiner Position. Ohne den Blick zur Seite zu wenden, wusste der Jerisane sofort, wo der Sprecher stand. Auf einem niedrigen Ast hockte ein dunkel gekleideter Mann, der mindestens einen Kopf kleiner war, als er selbst. In seiner Hand ruhte eine Armbrust, dessen Bolzen auf ihn zielte. Der Reiter vermutete, dass der Mann nicht alleine war. Schon bald wurde sein Verdacht bestätigt, durch das Klicken von Armbrüsten, die geladen wurden. Um ihn herum schien der Wald zum Leben zu erwecken, denn eine große Zahl von dunkel gekleideter Männer und Frauen kam aus dem Wald zum Vorschein und richteten ihre Armbrüste und Schwerter auf ihn. Die fahrenden Leute im Lager schienen es nicht mit bekommen zu haben, denn sie gingen immer noch ihren Arbeiten nach. Der Jerisane erkannte, das er keine Zeit haben würde zu entkommen, weshalb er die Zügel los ließ und aus dem Sattel rutschte und den rechten Arm in die Höhe hob, um zu zeigen, das er keine Bedrohung dar stellte. „Ich bin nur ein Durchreisender“, antwortet er schließlich dem Wächter, der ihn zuvor angesprochen hatte. Dabei hörte man deutlich den jerisanischen Akzent aus seiner Stimme heraus. Der Wächter sprang aus dem Baum und landete leichtfüßig auf der Straße und stemmte die Hände in die grätenschlanke Taille. „So, so“, sagte der andere, „ein Durchreisender also. Und wo soll es denn hin gehen, Herr Durchreisender?“ „Das hat euch nichts zu interessieren, Gaukler“, erwiderte der Wüstenreiter missgestimmt. Seine braunen Augen fingen an bedrohlich zu funkeln, doch sein Gegenüber wich keinen Zoll zurück. Er grinste nur. „Ist ja schon gut, mein Bester“, sagte der Mann und gab den anderen das Zeichen, ihre Waffen weg zu stecken. „Ich wollte euch nicht verärgern, aber nur selten treffen wir jemanden in den Wäldern alleine an. Hier lungert sonst nur Diebesgesindel und wilde Hunde herum.“ Der Jerisane gab keine Antwort. Der Gaukler legte leicht den Kopf schief und musterte ihn genauer. „Außerdem“, fuhr er fort, „trifft man hier noch seltener jemanden von den Wüstenleuten an.“ Er betrachtet den anderen noch etwas, bevor er sagte: „Als kleine Entschuldigung biete ich euch an unserem Feuer zu sitzen und etwas zu essen. Na, wie klingt das?“ Eigentlich wollte der bronzehäutige Mann weiter reiten und die Spur bis zu ihrem Ende verfolgen, dennoch klang das Angebot des anderen Mannes zu verlockend. Schon lange hatte er keine warme Mahlzeit mehr zu sich genommen und an einem Feuer wärmen können. „Ich nehme euer Angebot an“, sagte er schließlich, klang dabei abweisend. Der kleine Mann kicherte und nickte ihm freundlich zu, schien den eisigen Ton des Wüstenbewohners einfach überhört zu haben. „Dann folg mir, Wüstensohn“, bat der Gaukler ihn. Zusammen gingen sie in das Lager, wo dem Jerisanen sofort neugierige Blicke zugeworfen wurden, der seinen Wüstenhengst hinter sich her führte. Der kleine Mann bat einen anderen Mann, dessen Arme so dünn waren, dass man schon das Weiß der Knochen sehen konnte, sich um das Tier zu kümmern. Der Reiter gab ihm etwas widerwillig die Zügel und sah dabei zu, wie der dürre Mann mit erstaunlicher Kraft das Tier hinter sich her zog. Diesen sollte er nicht unterschätzen, dachte er, als man ihm zu einem der Feuer brachte. Eine junge Frau stand an diesem und rührte in einem großen Topf herum, während eine Horde Kinder um sie herum saßen und darauf warteten, endlich etwas zu essen zu bekommen. Als sie die nahenden Männer bemerkte, sah sei auf und lächelte. Die Kinder folgten ihrem Blick und sahen sogleich den Wüstenbewohner. Die Kleinen sprangen sofort auf und rannten zu den beiden Männern. Umzingelt von unzähligen Kindern, die ihn hunderte von Fragen an den Kopf warfen und an seiner Kleidung herum zogen, wusste der Jerisane nicht, was er tun sollte. Sein Gastgeber schien sich über die prekäre Lage seines Gastes zu amüsieren, denn ein breites Grinsen lag auf seinem freundlichen Gesicht. Ein kleines Mädchen nahm die Hand des Mannes, der mit gerunzelter Stirn auf sie herab sah. Eine Augenbraue hob sich, als er erkannte, was da wirklich seine Hand hielt. Eine Halbling-Frau, die nicht größer als ein kleines Kind war. Ihr Haar war rot-braun, wie Herbstblätter, die von den Bäumen rieselten. Ihre Augen glänzten in einem freundlichen Grün, während ihr Lächeln praktisch dazu einlud, sich mit ihr anzufreunden. Sie trug ein einfaches Kleid, an dem unzählige Taschen befestigt waren, wie auch an dem breiten Gürtel, um ihre schmale Taille. Sie lief barfuss, wie es für ihr kleines Volk üblich war. „Keine Angst, großer Mann aus der Wüste“, sagte die kleine Frau und führte ihn zum warmen Feuer und den verlockend duftenden Eintopf, der seelenruhig vor sich hin kochte. „Die Kinder sind einfach nur neugierig. Das ist alles.“ Er blieb ihr eine Antwort schuldig, als er sich an das Feuer setzte. Die Kinder scharten sich um ihn, während die Halbling-Frau zu der anderen ging und einen prüfenden Blick in den Topf warf. Mit zufriedenem Nicken gab sie der anderen zu verstehen, die Kinder rasch zu versorgen, die mit ihren Fragen dem Jerisanen bereits wieder in den Ohren lagen. Die junge Frau nickte und rief die Kinder zu sich, die sofort reagierten und sich in einer langen Reihe aufstellten. „Also wen hast du mir da mitgebracht, Buck?“, fragte sie, während ihr Blick auf den Reiter gerichtet war. „Ein Durchreisender“, sagte der Gaukler und setzte sich zu den anderen ans Feuer und hob seine Hände an die Flammen, um sie zu wärmen. „Zumindest hat er das gesagt.“ „Ah ja“, meinte die kleine Frau und betrachtet den bronzehäutigen Mann weiterhin. Ihr fiel scheinbar auf, dass ihm ein Arm fehlte, was er an den geweiteten Augen sah. Doch das störte ihn nicht. Schon viele hatten ihn so angesehen und mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. „Oh, ein Einarmiger. Wie ist das denn passiert, großer Mann aus der Wüste?“ Er warf ihr einen Blick zu. „Im Kampf“, war alles, was er dazu zu sagen hatte. Die kleine Frau warf dem Gaukler mit dem Namen Buck einen fragenden Blick zu, den er nur mit einem Schulterzucken erwiderte, bevor er eine Schale mit Eintopf gereicht bekam und sich darüber her machte. Die junge Frau reichte dem Jerisanen ebenfalls eine Schale mit dampfendem Eintopf, wobei sie ihn ganz besonders neugierig ansah. Doch er störte sich nicht weiter daran, stellte sie Schale auf eins seiner Knie und nahm mit seiner rechten Hand den Löffel, um zu essen. Die Halbling-Frau runzelte leicht die Stirn, bevor sie sich zu ihm setzte und beim Essen beobachte. Sich in seiner Ruhe gestört fühlend, warf er der kleinen Frau einen mürrischen Blick zu. Diese reagierte mit einem leichten Anheben ihrer Augenbrauen darauf und hielt seinem Blick stand. „Was treibt dich in diese Wälder?“, fragte sie schließlich. „Wie ich bereits gesagt habe“, erwiderte der Jerisane monoton, „bin ich nur auf der Durchreise.“ „Und wohin?“ „Ich wüsste nicht, was es euch angehen sollte, Halbling-Frau“, antwortet er ihr darauf. Sie schien amüsiert über seine schroffe Art zu sein, denn ein Lächeln erschein in ihrem kindlichen Gesicht. „Svenja Stümply“, stellte sie sich vor und reichte ihm ihre Hand, damit er diese schütteln konnte. Der Einarmige sah diese kurz an, bevor er wieder ihren Blick suchte. Sie seufzte und ließ ihre Hand sinken. „Ihr scheint nicht sonderlich gesprächig zu sein, wie?“ Er sah sie bloß an, bevor er wieder sprach. „Es gibt nicht viel zum reden.“ „Ach ja?“, fragte sie verwundert und strich über ihre rot-braunen Locken. „Ich finde schon, dass es einiges zum Reden gibt.“ Sie sah die anderen an, die sich um das Feuer versammelt hatten. Die Kinder, die zufrieden ihr Essen aßen, die junge Frau, die den Jerisanen betrachtet, Buck, der kauend dem ganzen folgte. „Oder wollt ihr nicht reden?“ „So ist es“, sagte der Jerisane und stellte die Schale, die nun leer war, neben sich ab. „Ich bin in Eile und hab keine Zeit für lange Reden.“ „Wenn das so ist“, sagte Svenja und gab ihm einen Klaps auf das rechte Knie. „Dann kommt einfach mit uns. Sicher sucht ihr den nächsten Ort, wie?“ Sie grinste, als sie das Gesicht des Wüstenbewohners sah. „Der ist nur noch eine Tagesreise von hier entfernt.“ In ihm stieg Misstrauen auf. Warum wollte die Frau vom kleinen Volk, das er mit kam? Unweigerlich hatte er seine Hand auf den Griff seines Dolches gelegt. Eine Schutzreaktion, die er sich im Laufe der Jahre angewöhnt hatte. „Na, na“, sagte die kleine Frau auf einmal. „Lass die Finger besser von deinem Dolch, denn wir wollen dir nichts Böses. Wir sind bloß Gaukler und Händler, die bloß die einfachen Leute mit unseren Kunststücken und Geschichten erfreuen wollen.“ „Und dabei noch die eine oder andere Münze verdienen“, rief jemand, der nicht weit weg stand. Die junge Frau und Buck lachten zustimmend, während Svenja ein amüsiertes Lächeln auflegte. „Siehst du“, fuhr sie fort. „Wir sind Spaßvögel, keine Räuber oder Meuchler. So was können wir nicht. Außer, man bedroht uns.“ Sie lächelte weiterhin. „Also gib dir einen Ruck und komm mit uns. Zusammen macht die Reise ganz gewiss mehr Spaß.“ Spaß, dachte der Wüstenreiter spöttisch. Was sollte daran so witzig sein, die ganze Zeit von solchen Hampelmännern und Tunichtguten umgeben zu sein, dazu von überneugierigen Kindern, die einen keinen Moment in ruhe ließen. Dennoch. Irgendwie schein ihm der Gedanke nicht ganz so abwegig zu sein. Er könnte sich vielleicht als einer der ihren ausgeben und so seine Beute unerkannt aufspüren. Schließlich nickte er. „Ihr habt mich überzeugt“, sagte er, wobei er immer noch ziemlich mürrisch klang. „Ich werde mich euch anschließen. Vielleicht wird es wirklich… lustig.“ Svenja klatschte begeistert in die Hände und rief laut: „Hört mal alle her! Wir haben einen Gast bei uns! Und vielleicht einen zukünftigen Gaukler!“ Lauter Jubel schwoll um sie alle herum an. „Lasst uns ihn alle bei den Trödlern willkommen heißen!“ Sie wand sich ihm zu und fragte: „Wie ist dein Name noch gleich?“ „Der das Schicksal sucht“, antwortete er der Halbling-Frau. *** Berold runzelte verwundert die Stirn, als er Fynn dabei zusah, wie sie durch die kleine Küchenstube huschte und ihre Arbeit verrichtete. Seit sie vom `Eberspieß´ zurückgekommen war und ihm das Mittagessen gebracht hatte, benahm sie sich recht eigenartig. Ian, der bei ihr gewesen war, hatte ihm auch keine Antwort darauf geben können, da sie sich scheinbar schon in der Taverne seines Vaters so seltsam benommen hatte. Der Schmied kannte seine Nichte nicht so aufgedreht, denn für gewöhnlich war sie wesentlich ruhiger und versuchte keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Teller flogen regelrecht in den Küchenschrank, nachdem sie gesäubert waren, wie auch der Topf, der scheppernd landete. Hastig rannte Fynn zum Tisch zurück und stellte ihrem Onkel einen Becher mit kalten Bier vor die Nase, das noch vom Fass Rolands übrig geblieben war. Der alte Mann beachtete diesen nicht weiter, sondern richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf die kleine Halbork. „Fynn?“, fragte er, als das Mädchen an ihm vorbei lief, um das dreckige Wasser auf dem Hof auszuschütten. Sie hielt nicht in der Bewegung inne, als sie antwortet: „Ja?“ „Geht es dir gut?“, fragte Berold besorgt, als sie zur Tür hinaus huschte und mit leerem Eimer wieder herein kam. Sie stellte den Eimer in einer Ecke ab und schnappte sich den Besen, um etwas zu fegen. „Mir geht es gut“, sagte sie. „Wieso?“ „Du wirkst sehr…“, Er suchte die richtigen Worte, „aufgeregt.“ „Ach was“, wehret Fynn ab und fegte den Dreck aus der Hütte hinaus auf den Hof. „Ich möchte nur etwas früher fertig sein.“ Sie sah ihn an und bemerkte seine gerunzelte Stirn. „Ich möchte noch einmal in den `Eberspieß´. Ich darf doch, oder, Onkel?“ Berold betrachtet sie eingehend. Zögerlich antwortet er: „Sicher. Aber wieso willst du um diese späte Stunde noch da hin?“ Der Schmied bemerkte das Zögern seiner Nichte. Das erweckte sein Misstrauen. Was hatte sie vor, fragte er sich. Hatte sie sich mit Ian noch einmal verabredet? Nein, das hätte ihm Roland sicher erzählt, als er nach der Arbeit bei seinem Freund vorbei geschaut hatte, um ihm den Korb zurück zu bringen und ihm rasch sein Geld zurück zu zahlen. Der beleibte Wirt hatte sich auch merkwürdig aufgeführt. Besonders, als er ihn auf Fynn angesprochen hatte. Sein stets gutgelaunter Freund hatte amüsiert gelacht und gemeint, dass das Mädchen allmählich zur Frau wurde. Die Worte Rolands hatte Berold nicht ganz verstanden. „Ich wollte mich noch mal mit Ian treffen“, sagte sie zu ihm. Wieder runzelte der alte Mann die faltige Stirn. Was hatte das zu bedeuten, fragte er sich. Erst ihr seltsames Benehmen und dann Rolands merkwürdigen Worte. Da kam ihm sogleich ein Gedanke, der ihm sehr gefiel. Hatte sich seine kleine Fynn etwa in den Sohn seines besten Freundes verliebt? War es etwa das, was Roland gemeint hatte? Wenn das zutreffen würde, dann wollte Berold seiner Nichte nicht im Weg stehen wollen. „Aha“, brummte er, wobei er ein leichtes Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, nicht ganz verbergen konnte. „Wenn es nur das ist, dann geh ruhig.“ Er lehnte sich zurück und nahm den Becher Bier in die Hand und nahm einen kräftigen Schluck davon. „Danke, Onkel“, sagte das Mädchen und eilte in ihre Kammer und schloss die Tür hinter sich. Er hörte, wie sich ihr Kleiderschrank öffnete und sie in ihren wenigen Kleider wühlte. Es schien wirklich so, als wenn sich seine kleine Fynn für Ian fein machen wollte. Ob der Bursche das gleiche auch gerade machte? Sicher würde Roland dabei stehen und seinem Sohn einige Tipps geben, wie er seiner Angebeteten gefallen konnte. Das würde sicher in die Hose gehen, dachte Berold amüsiert. Er konnte sich nur zu deutlich daran erinnern, wie sein alter Freund immer bei den Frauen abgeblitzt war, die er zu umwerben versucht hatte. Allein Marta hatte ihn genommen, so wie er war und war recht bald seine Frau geworden. Ob es auch so bei Fynn und Ian so sein würde? Die Tür flog auf und Berold wand sich dieser zu. Er riss vor lauter Staunen die Augen auf, als er erkannte, was seine Nichte aus sich gemacht hatte. Sie hatte sich ihr langes Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten, der nun über ihre rechte Schulter fiel. Sie hatte eins der alten Kleider ihrer Mutter angezogen. Ein blaues Kleid, dessen Schultern frei lagen.. Darüber trug sie eine lederne Weste, die nur einen geringen Blick auf ihre zarten Schultern gewährte, wie Berold mit Erleichterung erkannte. Sie hatte ihre Stiefelchen gegen Sandalen getauscht, die Berold das letzte Mal an ihr gesehen hatte, als sie mit ihm auf eins der wenigen Dorffeste gegangen war. Wie sehr sie doch Kary ähnelt, dachte der alte Schmied und legt ein sanftes Lächeln auf, als er in Erinnerungen versank, aus einer Zeit, als seine geliebte Schwester noch lebte und in der Wirtsstube von Roland ausgeholfen hatte. Genau dieses Kleid hatte sie immer getragen und hatte sich durch ihre rasche Arbeit den Spitznamen `die flotte Kary´ erworben. Vielleicht würde Fynn eines Tages auch in der Taverne arbeiten oder vielleicht mit Ian dieses führen, wenn Roland zu alt dafür wäre. „Onkel?“, fragte Fynn und riss den Schmied aus seinen Gedanken. Als er ihren Blick erwiderte, fragte sie: „Warum lächelst du so seltsam?“ „Mach dir keine Sorgen, Kind“, sagte Berold und lächelte sie warmherzig an. „Sieh lieber zu, dass du Ian nicht zu lange warten lässt.“ Die Halbork errötet etwas und nickte darauf. „Ja“, sagte sie und kam zu ihm rüber. „Bis später, Onkel.“ Mit diesen Worten drückte sie ihm einen Kuss auf die haarlose Wange und eilte schon zur Tür hinaus. Berold erhob sich und folgte ihr mit seinem Blick. Fynn wurde so schnell erwachsen, dachte er etwas traurig. Wie lange würde es noch dauern, dass er eines Tages in seine kleine Hütte kommen würde und Fynn wäre nicht mehr da, sondern in der Taverne, bei ihrem Mann. Bei diesem Gedanken wurde es ihm dann doch etwas bang. Könnte er sie ziehen lassen, wenn es so weit wäre? Er glaubte nicht, denn er hing zu sehr an dem Mädchen, der Tochter seiner Schwester. Dem Einzigen, was ihn noch an die flotte Kary erinnerte, die mit einem gutmütigen Lächeln durchs Leben gegangen war. Für heute Abend wollte er all diese Gedanken verdrängen. Er wünschte seinem Mädchen innerlich einen schönen Abend und viel Erfolg mit Ian. Sollte Humine, die Göttin der Liebe, ihre sanften Hände auf die Herzen der beiden legen und sie in eine glückliche Zukunft führen. *** Fynn schämte sich für ihre Lüge, die sie ihrem Onkel aufgetischt hatte. Sie konnte selber nicht glauben, wie leicht es ihr gefallen war, den alten Mann zu hintergehen. Und das nur wegen eines Mannes, bei dem ihr Herz entzückt zu klopfen begann. Sie fragte sich, ob dies normal wäre. Wenn es so wäre, würde es ihr in Zukunft wieder gelingen? Das Mädchen eilte die Straße, die sie nach Steindorf führen würde, entlang. Die Hütte ihres Onkels lag etwas Abseits des eigentlichen Dorfes, nah bei den Höfen der Bauern der Umgebung. Sie brauchte nicht lange, bis sie im Dorf war. Der Mond war längst aufgegangen und beleuchtete mit den unzähligen Sternen am Himmel die Welt unter sich. Bald erreichte die Halbork die Taverne und mit einemmal wurde sie nervös. Sie umschloss den Schwertanhänger, der gut sichtbar über ihrem Kleid lag, mit ihrer zitternden Hand und betete, dass der fremde Schönling in der Taverne sei und sich nicht schon längst zur Nacht zurückgezogen hatte. Sie wollte ihn unbedingt wieder sehen und ihm gefallen. Deshalb hatte sie eins der schönsten Kleider ihrer Mutter angezogen. Ihr Onkel hatte ihr einmal erzählt, dass die Männer ihrer Mutter nachgesehen hatten, weil sie grade dieses Kleid getragen hatte. Würde es ihm auch gefallen, sie darin zu sehen? Sie konnte es nur hoffen und zu allen ihr bekannten Göttern beten, damit sich ihre Hoffnung erfüllte. Mit einem leisen Gebet auf den Lippen nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und öffnete die Tür rasch. Ein Schwall warmer Luft und verschiedener Gerüche kam ihr entgegen geweht. Die Stimmen der Dörfler drangen zusätzlich an ihre Ohren. Zu dieser Stunde fanden sich die Männer für üblich im `Eberspieß´ ein, um sich über verschiedene Dinge zu unterhalten und ein kühles Bier zu trinken. Schnell trat sie in den Schankraum ein, schloss die Tür hinter sich und sah sich um. Fast jeder Mann des Dorfes war hier anwesend. Auch einige der Frauen waren vor Ort, um sich der abendlichen Gesellschaft anzuschließen. Jeder war bester Laune und aus den Gesprächen um sie herum hörte Fynn, das alle sich über den Vorfall von heute Mittag unterhielten. Es wunderte sie nicht, dass sich dies so rasch um gesprochen hatte. Schließlich war Steindorf ein kleines Örtchen, wo sich jedermann kannte und ein Geheimnis nie lange eins blieb. Hinter der Theke erblickte Fynn Roland, der sich mit einigen der Männer unterhielt, dabei ein Bier nach dem anderen ausschenkte und herzhaft lachte. Bei weiterem Umsehen erblickte sie Marta, die das genaue Gegenteil ihres Mannes war, zumindest was das Aussehen anging. Sie war eine schmale Frau, einen Kopf kleiner als ihr dicker Mann und hatte braunes Haar, was Ian eindeutig von ihr geerbt hatte. Sie huschte zwischen die Tischen herum und verteilte neue Krüge mit Bier und Wein an die Gäste und unterheilt sich gelegentlich mit einer der Frauen des Dorfes. Ian war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich war er in der Küche und passte auf, dass das Essen nicht anbrannte. Mit schnellen Schritten suchte sich die Halbork ihren Weg zwischen den Tischen hindurch, bis sie auf Marta traf. „Hallo, Kleines“, begrüßte sie die ältere Frau und drückte zum Gruß sanft ihre Schuler. Dabei betrachtet sie eingehend das Mädchen. „Du hast die Kleider deiner Mutter an?“ „Ähm.“ Fynn errötete und fand in diesem Moment ihre Füße eindeutig interessanter als das Gesicht Martas. Als sie aufblickte, lächelte die Frau. „Wo ist Ian? Ich wollte ihn sprechen.“ „Der ist in den Ställen und versorgt die Pferde“, sagte Marta. „Geh ruhig durch die Küche und vergiss nicht, Roland zu sagen, er soll sich mehr auf seine Arbeit konzentrieren, als auf das Geschwätz der Männer.“ Fynn konnte das Kichern nicht unterdrücken und nickte. Das war Marta, wie sie jeder kannte. Immer die ernste Frau, die sich wegen jeder Kleinigkeit aufregen konnte. Manchmal fragte sich die kleinen Halbork, wieso die Frau den beleibten Wirt geheiratet hatte. Das war ihr bis heute immer noch ein Geheimnis. Bei Gelegenheit musste sie Marta danach fragen. Schnell huschte sie an der älteren Frau vorbei, zur Theke, wo Roland sich weiterhin mit den anderen Männern unterhielt und ausgelassen lachte, als einer der Männer ihm erzählte, wie Garynal mürrisch davon gezogen war und seinen Sohn hinter sich her geschleift hatte. Sie klopfte dem beleibten Mann auf die Schultern und erregte so seine Aufmerksamkeit. „Oho, Fynnchen“, sagte Roland lächelnd und grinste breit. Fynn roch den Alkohol, der aus seinem Mund strömte. Da hatten sich wohl nicht alleine die Gäste am Bier gütig getan, dachte sie. „Wieder hier? Muss ich mir etwa Sorgen machen?“ „Nein, nein“; kicherte sie amüsiert. Egal ob betrunken oder nüchtern, Roland war immer liebenswert. „Ich wollte nur zu Ian. Ach ja, Marta sagte, du sollst dich mehr auf deine Arbeit konzentrieren, als den Geschichten der anderen zu lauschen.“ „Na das mache ich doch schon“, sagte er und lachte wieder. Wahrscheinlich würde Roland eines Tages mit einem Lachen abdanken, dachte Fynn, und so die Götter überraschen und zum Lachen bringen. Sie nickte und verschwand durch die Küchentür. In der Küche kochten zwei große Töpfe auf Feuern, während eine rothaarige Frau zwischen diesen hin und her eilte. Als sie Fynn bemerkte, lächelte sie und grüßte sie freundlich. „Grüß dich, Kind“, sagte sie, während sie an einen der Töpfe probierte und schließlich einige Kräuter hinzufügte. „Hallo, Mimi“, erwiderte Fynn den Gruß und ging zu der Frau und sog den köstlichen Duft des Essens durch die Nase ein. „Das richt ja gut.“ Die Frau lächelte zufrieden. „Danke“, sagte sie und rührte in einem der Töpfe. „Wenn du Ian suchst, der ist noch bei den Pferden.“ Fynn nickte und eilte zur Hintertür, die sie auf den großen Hinterhof der Taverne führte, wo sich die Ställe der Pferde befanden, sowie eine große Scheune, in der das Futter gelagert wurde und seit Ewigkeiten ein alter Wagen stand. Aus den Ställen hörte die Halbork das Wiehern der Pferde und das Pfeifen einer Person. Mit schnellen Schritten war sie bei den Ställen und lugte hinein, um Ian aus zu machen. Sie fand ihn recht schnell. Der junge Mann lag gemütlich im Stroh einer Koppel und pfiff zufrieden, während er die Augen geschlossen hielt. Das Mädchen konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, das Ian dennoch nicht hörte. Er war längst mit seiner Arbeit fertig geworden und gönnte sich eine lange Pause, bevor er von seinen Eltern neue Aufgaben bekam, die es zu erledigen galt. Fynn räusperte sich geräuschvoll, worauf Ian die Augen erschrocken aufriss und eiligst aufsprang und nach der Mistgabel griff, um vor zu gaukeln, er würde noch immer bei der Arbeit sein. Die Halbork konnte sich nicht zurück halten und lachte los. Das erschrockene Gesicht des jungen Mannes war einfach zu komisch gewesen. Ian sah auf und erkannte, dass es nur Fynn war, die sich da über ihn lustig machte. Der Bursche stemmte die Hände in die Hüften und schnaubte mürrisch. „Sehr witzig“, brummte er sie an, was aber nicht half, ihr Lachen zu mindern. „Ach mach ruhig weiter“, schmunzelte Fynn, während sie sich einige Tränen aus den Augenwinkeln wischte. „Ich wollte dich nicht bei der Arbeit stören.“ Wieder musste sie lachen und Ian konnte nur grinsend den Kopf schütteln. Er konnte ihr deswegen nicht lang genug böse sein. Als sich Fynn beruhig hatte, sah sie ihn lächelnd an. „Wie lange liegst du da eigentlich schon?“, fragte sie neugierig, während ihr Blick durch den Stall schweifte, um zu sehen, wesen Pferde hier unter gebracht waren. „Nicht lange“, sagte der Wirtssohn und kletterte aus der Koppel heraus. „Glaube seit Einbruch der Nacht.“ Er sah zum Himmel, dann zur Taverne und nickte schließlich, da er sich in seiner Vermutung bestätigt fühlte. Er sah die Halbork neugierig an und fragte: „Was führt dich zu so später Stunde denn zurück?“ Das Mädchen sah ihn kurz an, bevor sie verlegen den Blick senkte. „Nun ja“; sagte sie und wand ihren Blick wieder dem jungen Mann zu. „Heute sind Fremde gekommen und die haben meine Neugier erregt.“ Ian überlegte kurz. „Ach, meinst du diese beiden Krieger?“, fragte er, worauf Fynn die Stirn runzelte. Krieger? Das hatte sie nicht gewusst, dennoch mochte sie den Gedanken, dass der Mann ihrer Träume in der Lage war sich zu verteidigen. Und vielleicht auch sie. Schließlich nickte sie. „Genau die beiden“, sagte sie und nickte eifrig. „Sind die beiden denn schon wieder da?“ Der junge Mann lehnte sich gegen eine der Koppeltüren. „Ja.“ Er nickte. „Noch vor Sonnenuntergang eingetroffen.“ Er sah sich kurz um. „Halt dich lieber von denen fern. Die sind mir nicht geheuer.“ Fynn sah ihn überrascht an und legte den Kopf etwas schief. „Wieso denn nicht?“, fragte sie ihren langjährigen Freund. „Der mit der Kapuze“, murmelte Ian, „der bewirkt bei mir eine Gänsehaut, wenn er mich ansieht.“ Ian schien zu frösteln bei dem Gedanken. „So was ist mir zuvor noch nie passiert.“. Bei der Erwähnung des Kapuzenträgers lief es Fynn unweigerlich selbst kalt den Rücken herunter und ihre Hand schloss sich wieder um den Schwertanhänger, als könnte er sie davor schützen. Sie erinnerte sich, wie kalt der Anhänger geworden war, als der Mann sie angesehen hatte. So etwas war zuvor noch nie geschehen. Das Mädchen rätselte immer noch, was das zu bedeuten haben könnte, doch hatte sie keine Antwort darauf gefunden. „Halt dich besser fern von denen“, sagte Ian eindringlich und sah ihr in die Augen, um sie innerlich darum zu bitten. Fynn wich einen Schritt zurück und sah Ian überrascht an. So ernst hatte sie ihn bisher noch nie erlebt. Sollte sie seiner Bitte folge leisten und sich fern halten von den beiden Fremden? Nein, er hatte sich allein auf den Kapuzenträger bezogen, also galt dies nicht für ihren Traummann. „Werd ich machen“, sagte sie daher und lächelte ihn offen an. „Ich kann auf mich aufpassen.“ Ian lächelte zufrieden. Schließlich fiel ihm auf, dass das Mädchen andere Kleider trug. Er sah sie überrascht an und fragte: „Neue Kleider?“ Sie schüttelte leicht den Kopf, wobei ihr Gesicht etwas an Farbe gewann. „Das sind Kleider meiner Mutter“, erklärte sie ihm. „Ich wollte sie mal anprobieren. Stehen sie mir?“ Ian legte leicht den Kopf schief und musterte sie intensiv. Er nickte und sagte: „Ja, sie sind hübsch, aber an einigen Stellen liegen sie noch nicht richtig an.“ Er deutete auf die entsprechenden Stellen, wobei sein Finger auch auf ihren Busen zeigte und ihr die Röte richtig ins Gesicht schoss. „Danke“; brummte sie und sah ihn beleidigt an. Warum musste er auch so ehrlich sein, fragte sie sich selber und verschränkte die Arme vor der Brust. Ian bemerkte seinen Fehler und legte einen Arm um ihre Schulter. „Verzeih mir“, bat er sie und lächelte sie freundlich an. Fynn schnaubte und sah weg. Er hob eine Augenbraue und versuchte es vom neuen. „Ich wollte nicht gemein sein. Kannst du mir verzeihen?“ Sie sah ihn wieder an, aber ihr Gesicht war ernst, fast wie bei Berold, was Ian etwas erschauern ließ. „Nur, wenn du mir einen Gefallen tust“, sagte sie zu ihm. Ian ließ sich sogleich breit schlagen und fragte: „Und der wäre?“ „Wenn dich mein Onkel fragt, wo ich diese Nacht war, sag ihm, ich wäre bei dir gewesen“, sagte sie zu ihm. „Die ganze Nacht.“ Ian runzelte verwirrt die Stirn. „Und wieso?“, fragte er sie sofort. Irgendwas kam ihm da seltsam vor. Nun zögerte Fynn mit ihrer Antwort. Sie biss sich leicht auf die Unterlippe und sah auf ihre Füße. „Ich möchte mich mit jemanden unterhalten“, sagte sie kleinlaut und sah Ian direkt ins Gesicht. „Einem Mann... Dem mit dem freundlichen Gesicht.“ Bei den Gedanken an ihn, erwärmte sich sogleich das Herz des Mädchens und sie glaubte in den Wolken zu schweben. „Aber…“, setzte Ian an, wollte sie auf ihr Versprechen hinweisen, doch Fynn ließ ihm keine Chance fort zu fahren. „Du bist mir einen Gefallen schuldig“, sagte sie schroff. „Oder ich könnte mich aus versehen verplappern und deine kleine Pause deinen Eltern gegenüber erwähnen.“ Der junge Mann sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Er konnte einfach nicht glauben, was er da hörte. Die kleine Fynn drohte ihm mit seinen Eltern! Und dazu mit diesem ernsten Gesicht. Doch dieses blieb nicht lange bestehen und wich einem bittenden Blick. „Bitte, Ian“, bat sie ihn und legte eine ihrer zierlichen Hände auf seine Brust. „Ich werde dich auch nie wieder um etwas bitten.“ Ein Schnauben entrang seiner Kehle, als er versuchte dem bittenden Blick des Mädchens stand zu halten. Es war ihm nicht möglich. „Na gut“, seufzte er und sah sie an. „Aber pass auf dich auf. Wenn dir was passiert, würde ich mir das nie verzeihen können und dein Onkel mir sicher auch nicht.“ Fynn lächelte und drückte Ian herzlich. „Danke“, sagte sie zu dem jungen Mann, der sie wieder überrascht ansah. Als sie die Arme von ihm löste, trat sie einen Schritt zurück und sah den jungen Mann an. „Noch mals danke.“ Noch bevor Ian was sagen konnte, drehte sich Fynn um und rannte zurück zur Küchentür, durch die sie sogleich in die Küche schlüpfte. Mimi war nicht mehr da. Sie schien bereits damit beschäftigt zu sein, die Gäste mit den Speisen zu versorgen, die sie vorbereitet hatte. Fynn hielt sich nicht lange in der Küche auf, sondern betrat den Schankraum. Roland stand in einer Ecke gedrängt und wurde von seiner Frau aufs ordentlichste zusammen gestaucht, während die Männer an der Theke in spöttisches Gelächter ausgebrochen waren. Zwar lachte Roland selber noch, doch klang es um einiges erzwungen, als sonst. Das Halbork-Mädchen schüttelte amüsiert den Kopf und kam hinter der Theke hervor, auf der Suche nach dem Fremden, dessen Lächeln sie so nervös machte. Überall sah sie nur die altbekannten Gesichter der Dorfbewohner, die sich unterhielten und sich am frischen Bier erquiekten. Kein Mann ihrer Träume und auch nicht der unheimliche Kapuzenträger. Enttäuscht sah sie sich um. War er etwa schon zu Bett gegangen? Wenn dem so war, war sie umsonst in den `Eberspieß´ gekommen. Als sie sich zum Gehen umwand, prallte sie mit jemanden zusammen. Erschrocken taumelte sie zurück und plumpste auf ihr Hinterteil. Ein leiser Fluch lag auf ihren Lippen, denn sie dem anderen entgegen schleudern wollte, weil er so unachtsam gewesen war. Als sie ihren Blick hob, erstarrte sie sogleich. „Oh, verzeiht mir“, entschuldigte sich der blonde Mann und reichte Fynn seine Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. „Habt ihr euch wehgetan?“ Als Fynn nicht reagierte, sondern ihren Traummann mit weit geöffneten Mund und großen Augen anstarrte, runzelte er leicht die ebenmäßige Stirn. Das Mädchen sammelte sich wieder und stotterte: „N-nein. Es ist a-alles in Ordnung.“ Sie griff nach der ausgestreckten Hand des Mannes und ließ sich auf die Beine ziehen. Als sie die Haut des Mannes berührte, überlief sie eine Gänsehaut. Wie sanft sie sich anfühlte, dachte das Halbork-Mädchen schwärmerisch und hätte am liebsten nie wieder los gelassen. Sie wusste, das sie das nicht machen konnte, doch wünschte sie sich, er würde ihrem Wunsch folge leisten. Sie löste die Hand von seiner und strich sich hastig über den Stoff ihres Kleides, um ihn zu glätten. Der große Mann betrachte sie dabei, wie sie merkte und eine feine Röte bildete sich auf ihren Wangen. Es schien ihrem Angebeteten aufgefallen zu sein, denn ein Lächeln schlich sich auf das schöne Gesicht. Das Gesicht Fynns wurde nur noch röter, als sie das sah, und beschämt senkte sie den Blick, weil die Scham sie zu überwältigen drohte. „Sind eure Füße so viel interessanter?“, fragte sie der Mann, worauf das Mädchen peinlich berührt zusammen zuckte. Sie glaubte unter seinem Blick kleiner zu werden. Warum verspottete er sie so sehr? Mit einem Mal spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und unweigerlich sah sie auf. Es war die Hand des Fremden, dessen Gesicht ein gutmütiges Lächeln zierte. Ihr Herz klopfte wie zuvor schon, voller Aufregung und sie erwischte sich dabei, wie sie in Träumereien abdriftete, in der sie mit diesem Mann alleine war. „Schon besser“, sagte er schließlich, als sein Blick den ihren traf. Er betrachte sie eingehend. „Ihr seit eine Halbork, oder?“ Unweigerlich zog Fynn den Kopf ein, als er ihr Erbe erwähnte und ein niedergeschlagenes Nicken gab sie zur Antwort. „Seit doch nicht betrübt“, sprach er weiter und drückte sanft ihre Schulter. Wieder durchlief sie ein Schauer und alle Anspannung fiel von ihr wie eiserne Ketten, die sie viele Jahre lang getragen hatte. Sie sah auf und fragte leise: „Stört euch das denn nicht?“ „Wieso sollte es das?“, fragte er sie, wobei er leicht eine seiner feinen Augenbrauen an hob. Fynn fühlte sich bei dem Mann an einen Elfen erinnert. Es fehlten nur noch die spitzen Ohren, dann wäre das Bild komplett. „Ich sehe nur eine junge Maid vor mir, wie sie überall anzutreffen ist. Und so eine entzückende dazu.“ Mit großen, ungläubigen Augen sah das Mädchen den Mann an, konnte nicht glauben, was er da grade gesagt hatte. Er fand sie entzückend, hallte es ihr durch den Kopf und innerlich machte sie bereits gewaltige Freudensprünge, genau wie ihr Herz, das gar nicht mehr daran dachte wieder normal zu klopfen. Er sah einfach über ihr Erbe hinweg und sah nur einen Menschen in ihr, wie jeden anderen auch. Besser konnte es gar nicht mehr kommen. Jetzt wusste sie, dass dieser Mann ihr Prinz in der strahlenden Rüstung war, der sie vor allem beschützen würde. „Gesellt euch doch zu mir“, bat er sie und wies auf einen einsamen Tisch in einer der Ecken des Schankraumes. „Ich würde mich über eure Gesellschaft sehr freuen.“ Das ließ sich das Halbork-Mädchen nicht zweimal sagen und sie nickte. Zusammen gingen sie zu dem Tisch und setzten sich an diesen. Erst spät in der Nacht kehrte Fynn zur Hütte zurück, wobei sie ausgelassen über die Straße sprang und glücklich vor sich hin summte. Endlich hatte sie jemanden gefunden, bei dem sie sich wohl fühlte – ausgenommen ihres Onkels und ihrer Freunde. Als sie an der Hütte ankam, flüsterte sie leise ein Wort, einen Namen: „Jakob.“ Er hatte ihr seinen Namen gesagt und dieser hörte sich wie die himmlischen Fanfaren der Götter an. Sie musste ihn immer wieder sagen, damit sie wusste, dass das alles kein Traum war. Und wenn. Es wäre der schönste, den sie seit langen wieder hatte. <<<:>>> Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)