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Accidentally in Love

the story of Rose & Scorpius
von

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fifteen

            
 

     
 

Etliche Sonnenstrahlen schoben sich am Vormittag der letzten UTZ Theorieprüfung durch die magische Decke der Großen Halle und stürzten sich auf die zahllos hinter und nebeneinander positionierten Einzeltische, wärmten die darüber gebeugten Schöpfe der Schüler und tauchten den Tanz der Staubflöckchen, welche aufgewirbelt wurden, wenn immer die Professoren durch die Gänge streiften, in sonderbares, goldenes Licht. Mit einer merkwürdigen Faszination betrachtete Alice‘ das Schauspiel und wie in Trance drehte sie den Federkiel zwischen ihren Fingern – ganz und gar unfähig jeglicher Konzentration. Ein sanfter, minimaler Druck auf ihrem Oberarm holte sie schließlich aus ihren Gedanken und Alice besah sich im nächsten Moment den weichen Augen Professor Flitwicks gegenüber, dessen Blick von Besorgnis zeugte.

„Geht es Ihnen nicht gut, Miss Longbottom?“, fragte er einen Hauch beunruhigt und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihre Schulter zu tätscheln.

„Ich“, begann Alice nachdenklich, doch es wollten sich nicht die rechten Worte einstellen. „Ich … Ich … Nun ja, es ist vorbei.“

Flitwicks‘ Gesicht erhellte ein Ausdruck von Verständnis und die Longbottom konnte nicht umhin, wachsende Hochachtung für den kleinen Zauberer zu empfinden. Natürlich, sie war bei weitem nicht die einzige, welche bei der Hinsicht auf ein Leben fern der efeuberankten Mauern des Schlosses ein Gefühl von schwerer Angst überfiel und die sentimental wurde, nun, da sich selbst die verhassten Examina dem langersehnten Ende zu bewegten. Doch war es nicht so, dass man am Ende eines langen Weges das Ende weit weniger gern begrüßte, als man es noch zu Beginn imaginiert hatte?
 

„Es ist niemals vorbei, Miss Longbottom. Es sind nur viele neue Anfänge“, sagte er mit üblicher, piepsender Stimme und ein kleines, mattes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „Wenn ich nur wüsste, wie diese Anfänge aussehen werden“, murmelte sie leise und verdrehte die Augen, um plötzlich an die Oberfläche schwebende Tränen wegzublinzeln. Noch einmal tätschelte die kleine Hand ihre Schulter. „Es mag Ihnen albern erscheinen, Liebes, aber was immer sie tun, wird sie nur dann glücklich machen, wenn sie ihrem Herzen folgen.“

Alice nickte und versuchte vergebens, den Kloß in ihrem Hals hinunter zu schlucken. Ihr Herz lag bei Albus. Eben dem, welchen sie ohne es groß zu wissen, schon vor so langer Zeit gefunden hatte. Doch die Grenzen waren verwischt, anders, als sie je zu träumen gewagt hatte und dennoch so fein ersichtlich, dass ihr die Gedanken darum nie zu wenig wurden. Alice seufzte leicht und gab Professor Flitwick ein Lächeln mit auf den Weg.

Wehmut überfiel die junge Hexe als sie ihren Blick durch die Große Halle schweben ließ, welcher nur wenige Tische entfernt zum Stillstand kam. Ihre dunkelgrünen Augen fixierten den Jungen, der den Kopf auf die Arme gestützt hatte und zu schlafen schien – so typisch für ihn. Würde es sie wundern, wenn Al tatsächlich schon fertig mit seiner Arbeit war? Nein. Er fasste sich kurz, immer. In jeder Angelegenheit, nur manchmal fand er für Quidditch ein paar mehr Worte. Sein schwarzes Haar war verwegen wie an jedem Tag.

Er wollte ein Auror werden wie sein Vater und Alice zweifelte nicht daran, dass er dieses Ziel erreichen würde. Nicht nur, weil seine Eltern genug Galleonen hatten, um ihm die beste Ausbildung zu ermöglichen, sondern weil es zu ihm passte wie zu keinem zweiten. Doch die Verbrechen in Großbritannien waren ins Klägliche zusammengeschrumpft - wenn man von dem Hexenmörder absah, dessen Vorliebe rotes Haar war - doch die besten Aussichten auf Erfolg hatten Auroren trotzdessen in Ländern wie Russland oder den USA. Sie würde ihn verlieren. Weil sie Alice war. Weil sie nicht weg konnte von dem, was ihr lieb war und weil sie nicht das war, das Al‘ das Liebste war.
 

Ihre Miene verhärtete sich jäh, als sie einen Blick auf sich spürte und in der nächsten Sekunde realisierte, dass es Malfoy war. Sie blinzelte die trübe Besorgnis auf seinem Gesicht fort und als sie ihn ein weiteres Mal musterte, war der Ausdruck in seinen Augen der üblich Desinteressierte, den sie seit sieben Jahren kannte und der das Bedürfnis in ihr auslöste, ihm ins Gesicht zu schlagen. Sie hasste ihn, seit Rose geschätzte siebenundzwanzigtausend Mal wegen ihm geweint hatte. Er verdiente sie nicht. Aber bald wäre ohnehin alles vorbei.
 

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Das feine Gespür für Loyalität bekam ein Malfoy in die Wiege gelegt, zog es buchstäblich mit der Muttermilch auf und führte es in Slytherin zur Perfektion. Trotzdessen konnte Scorpius eines ganz und gar nicht nachvollziehen und das war die unbegründete, wachsweiche und kaum einigen tiefgründigen, ethischen Fragen standhaltende Loyalität zwischen Mädchen. Nicht, dass es ihn allzu sehr kümmerte, wenn Alice Longbottom ihm bitterböse Blicke zuwarf. Wenn er nicht das ungute Gefühl gehabt hätte, sie vermochte Rose in Tun und Handeln entscheidend zu prägen. Das Letzte, um das er sich mit Nichten kümmern wollte, wäre eine verzogene Pubertierende, die ihr eigenes Unglück auf seine Freundin projizierte. Denn in diesem Fall hätte er keine Chance, nicht gegen die beste Freundin. Er wurde Zeuge des Blickes, mit dem sie Albus, der vor ihm saß und augenscheinlich zu schlafen schien, bedachte und warf ihr eigens einen mehr als Forschenden zu, den sie nicht verhindern, aber sogleich im Keim erstickte, als sie ihn bemerkte und ihre Miene sich in die einer vermeintlich bösen Gryffindor verwandelte – ein lächerlicher Versuch, den er ebenso beinahe belächelt hätte, wäre sie nicht die beste Freundin gewesen. Stattdessen drehte er den Kopf samt des unverhohlenen Desinteresses an ihrer Person in die entgegengesetzte Richtung.
 

Ein Grinsen zuckte um seine Lippen, als er Adrian sah, welcher nicht umhin konnte, eine Hufflepuff vor ihm beständig mit seinem Federkiel anzustupsen und so fast zur Weißglut zu treiben. Definitiv wollte er keine Hilfe oder dergleichen – er war ein Slytherin –, doch war es äußerst amüsant mit anzusehen, wie Adrian Zabini nicht einmal in einer Prüfungssituation imstande schien, seine Triebe im Zaum zu halten. Polly Parkinson, die den Platz hinter ihm bekleidete, schien hingegen zutiefst betrübt über ihre Platzwahl. Als er sie so betrachtete, die nervige Slytherin, die ihrer Mutter ziemlich ähnlich war, wie sein Vater einst kommentiert hatte, fiel Scorpius ein, weshalb er auch überaus froh wäre, wenn seine Schulzeit endlich hinter ihm läge. Nicht nur aufgrund der Privilegien, die sich ihm unweigerlich nach dem Schulabschluss eröffneten, auch nicht wegen der Möglichkeiten, nein, schlichtweg, da ihm dann einige nicht mehr unter die Augen kämen, auf deren Gesellschaft er nur zu gern verzichtete. Auch Quirin lag auf seinem Tisch und schlief, so wie fast alle Slytherins bereits mit der Arbeit fertig zu sein schienen. Selten hatte Scorpius etwas derart Simples gesehen wie die UTZ Prüfung für Verteidigung gegen die Dunklen Künste in diesem Jahr.

Sein Blick richtete sich nach vorn und brannte sich in das mächtige Stundenglas, das über den Lehrertischen der Großen Halle schwebte und durch das feiner Sand rann. Nur noch Minuten trennten ihn von Rose. Von dem störrischsten Mädchen, das er kannte. Es mochte eine Zeit gegeben haben, während der er ihre Gesellschaft nicht minder so sehr genossen hatte wie in den vergangenen Monaten, jedoch intensivierte sich nun nach zwei Wochen der alten Leier, obgleich sie ihn weit mehr ignorierte als ihm Aufmerksamkeit zu schenken, ein Gefühl von Sehnsucht. Okay, er wusste es nicht wirklich zu definieren und sehnsüchtig war er definitiv auch nicht, aber nun ja … sie fehlte ihm.

Rose saß nur wenige Meter von ihm entfernt, nur ein paar Reihen vor ihm. Ihr rotbraunes Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schulter und die Sonnenstrahlen verfingen sich in dem vertrauten Ton, ließen das Rot leuchten. Sie schrieb noch immer. Rose hatte in der ersten Sekunde nach Flitwicks Zeichen begonnen – als er gerade einmal die Aufgaben gelesen und Albus sich zunächst genüsslich zurückgelehnt hatte – und sie würde mit Sicherheit bis zur letzten Sekunde schreiben. Er kannte sie, so war sie, obgleich das Ohnegleichen ihr auch mit zehn Seiten statt zwanzig sicher sein würde.
 

„Rose“, er rief ihren Namen, bevor sie aus der Halle eilen konnte und abrupt blieb sie stehen. Beinahe konnte Scorpius ihre innere Zerrissenheit schmecken, sodass sich unwillkürlich ein Grinsen auf sein Gesicht schlich. Nur widerwillig drehte sie sich zu ihm und ihr Blick war so argwöhnisch und gleichsam distanziert, dass er nicht umhin konnte, nach ihrer Hand zu greifen. „Es tut mir Leid.“

Ihre Augen weiteten sich vor unverhohlenem Entsetzen. „Tut es?“, fragte sie leichthin und er sah genau, wie ihre blauen Augen noch einen Tick dunkler wurden. „Ja“, sagte er aufrichtig und versuchte ihren Blick einzufangen. Sie presste die Lippen aufeinander und legte den Kopf schief, bevor sie ihn anblinzelte. Und dann geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte.

„WAS FÄLLT DIR EIGENTLICH EIN, HIER UND JETZT ANGETRABT ZU KOMMEN WIE EIN TOLLWÜTIGER TESTRAL MIT STIMMUNGSSCHWANKUNGEN?“, schrie sie ihn an und sofort brannten sich gefühlte einhundert Augenpaare in ihre dargebotene Situation. Rose‘ wurde rot bei der Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde und Scorpius packte sie jäh am Handgelenk, zog sie aus der Großen Halle und verfrachtete sie in der nächsten Abstellkammer, in welcher Filch alte Besen und Tinkturen von Saubermanns Poliergelee lagerte.

„Okay“, forderte er sie lässig auf und stützte sich mit dem Arm neben ihrem Kopf ab. „Leg los!“ Rose‘ Augen verengten sich erneut und leichte Empörung über die neuerliche Situation glitzerte ihm entgegen.

„Du hast dich in den vergangenen paar Wochen einen Dreck um mich geschert“, flüsterte sie, „und nun kommst du nach den Prüfungen an und denkst ernsthaft, dass alles wieder in Ordnung ist, wenn du dich entschuldigst? Aber nein, das ist es nicht! Du hast mich hintergangen - mit Doyle und diesen ganzen Treffen, du hast mich ignoriert und nun ist es zu spät, verstanden?“

„Das meinst du nicht ernst“, erwiderte er schlicht, doch sie warf ihm nur ein Lachen entgegen.

„O doch, Scorpius. Die Logik hat schon immer gegen einen Malfoy und eine Weasley gesprochen.“ Rose wollte sich an ihm vorbeischieben, doch er hielt sie fest und zog sie zurück. Und dann küsste er sie.
 


 

„Man könnte meinen, du hast eine Seite gewählt, die gar nicht existiert“, sagte Adrian Zabini und funkelte ihn an, sodass Scorpius nicht umhin konnte, ihm einen merklich irritierten Blick zuzuwerfen. Sie lagen im Gras unter einer weit umher greifenden Weide, die die Slytherins einst für sich beansprucht hatten und seither immer ein Privileg hatten nennen dürfen. Schon sein Vater und seine Freunde hatten unter diesem Baum Schule und Prüfungen, selbst Wochenenden ausklingen lassen. Es war das letzte Mal, dass sie hier sitzen würden. Denn nach dem Wochenende wäre alles vorbei.

„Adrian“, murmelte Polly Parkinson liebevoll und versuchte, ihm wieder ein Glühwürmchen voll Aufmerksamkeit abzuluchsen, doch Adrian bedachte sie mit keinem weiteren Blick.

„Warum sprichst du dann von Seiten?“, erwiderte Scorpius nur kühl und sein Blick glitt zum See. Er beobachtete mit kaum spürbarem, sinnlosem Missfallen, wie Rose und Alice kreischend vor Al flüchteten, der schlussendlich die Longbottom weiter ins Wasser jagte. Ein Teil von ihm belächelte diese Art der beinahe schon kindlichen Naivität, die die Gryffindors an den Tag legten. Ein anderer wiederum … nicht.

„Ich sage nur, dass du dich gegen uns wendest, man“, murmelte Adrian und als Scorpius Quirin einen Blick zuwarf, hüstelte dieser nur verlegen und nickte knapp. Der Malfoy verdrehte die Augen und lehnte sich gelassen zurück. „Weil ich nicht mehr zu Doyle gehe und mich von diesen pseudowissenschaftlichen Zaubern berieseln lasse?“, stellte er sachlich fest.

„Zum Beispiel“, Adrian schüttelte den Kopf, „dass du mit Potter und dem Weasley Mädchen rumhängst. Das Mädchen, Rose – von mir aus. Ich habe ja selber eine Weasley gevögelt. Aber Potter! Ich bitte dich, das kann nicht in der Gunst deines Vaters stehen.“

„Seit wann tun wir das, was unsere Eltern wollen?“, fragte Scorpius nur und Quirin lachte. „Haben wir nie.“

„Vielleicht wäre es langsam mal an der Zeit“, Adrian rückte kaum merklich von der – ihn stets und ständig belästigenden – Polly ab und warf seinen Freunden einen eindringlichen Blick zu. „Wir haben keine Ahnung, was uns erwarten wird. Wir haben lediglich Glück, dass wir alle genug Galleonen besitzen. Ich für meinen Teil finde das, was Doyle uns geben könnte, äußerst vielversprechend.“

Goyle grunzte und Polly summte leise vor sich hin, doch beide waren sie unwillig, Scorpius‘ irritiertem Blick Rechenschaft zu schulden.

„Was kann er uns geben?“ Er hasste es, Fragen zu stellen. Er hasste sein Unwissen und Adrians unverhohlenes Gefühl von Erhabenheit in diesem Moment. „Macht.“

„Wie du bereits sagtest – wir haben alle genug Galleonen. Wir werden wohl kaum machtlos unserer Gesellschaft ausgeliefert sein“, spottete der Malfoy und ein kleines Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, während Adrians Miene von Eis und Frost heimgesucht wurde. „Wir sprechen uns in ein paar Jahren, Scorpius, wenn ich zu den Großindustriellen gehöre und du als kläglicher Auror die Drecksarbeit erledigst.“
 

„Was erzählt der Kerl euch?“, fragte Scorpius ruhig in die Runde und taub schmeckende Skepsis befiel ihn, als die Slytherins erneut alles taten, jedoch ohne ihm eine befriedigende Antwort zu geben.

„Sagen wir es so – die Kristallnacht wird eine Offenbarung.“ Die süßliche Stimme riss ihn herum und er sah Jane, die den Kopf neigte und spöttisch zu ihm hinunter lächelte. An ihrer Seite stand Fred Weasley, gerissener Mitläufer und der einzige Gryffindor, der es in Doyles Reihen und somit zu unangebrachtem Hochmut geschafft hatte. Jeder Tag, den er mit Jane Seymour verbrachte, machte ihn fahler, raubte ihm das Gute, das noch in ihm steckte. Scorpius erwiderte ihren Blick mit glaubwürdigem Desinteresse und er erhob sich, um schließlich matt auf sie hinunterzulächeln. Gleiches mit gleichem. Sie mochte eine Slytherin sein. Sie mochte gerissen und schön und gefährlich sein, doch er fühlte nichts, wenn er die Halbveela ansah. Sechs Jahre mit Jane hatten ihn immun gemacht und egal, was sie in diesem Moment auch immer mit ihm versuchte, es prallte an ihm ab. Und ihr Gehabe langweilte ihn mehr, als er es je hätte imaginieren können. Er gehörte nicht mehr zu ihnen – doch das Wissen darum war keineswegs irritierend oder gar angsterfüllend. Es war wie eine sich langsam angekündigte, unabwendbare Krankheit, mit der er sich zunächst infiziert hatte und die nun zum Ausbruch kam. Sie sah es in seinen Augen.

„Du wirst es bereuen“, zischte sie leise und verschränkte die Arme vor der Brust, schüttelte den Kopf, als würde sie ahnen, was folgen würde. Als würde sie wissen, mit welchem Gedanken er spielte. „Scorpius, irgendwann wirst du es bereuen. Die Zeiten werden sich ändern und wenn du dich dann für die falsche Seite entschieden hast, wirst du sterben.“

„Deine Besorgnis rührt mich zutiefst, Jane“, spottete Scorpius und schaltete ein Lächeln an, das er mit dem nächsten Wimpernschlag wieder ausknipste. „Aber da offensichtlich doch Seiten existieren, entscheide ich mich lieber für die Richtige.“

Der Malfoy drehte sich um und ließ die Gruppe unter der Slytherinweide zurück. Seine engsten Kindheitsfreunde und sein Haus. Slytherin. Er ging zum See hinunter, die Hände in den Hosentaschen vergraben und mit einem Gefühl, das er nicht zu definieren vermochte. Es fühlte sich gut an, vermischt mit Ungewissen. Doch er war frei. Es war vorbei.
 

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Lily schmeckte den Verlust, Tage bevor sie ehrlicherweise ergründen konnte, worin ihre Entscheidung lag. Jene, die sie so vehement vor sich her geschoben und der sie dennoch kaum hatte entrinnen können. Man sagte stets, dass einen selbst das Unliebsame einholen und greifen mochte, irgendwann, zur rechten Zeit und die junge Potter wusste, nun da sie vor der riesigen Doppeltür der Großen Halle stand, dass ihr nur diese Möglichkeit bliebe. Sie musste ihrer Schwärmerei für das Böse ein Ende bereiten, sie musste loskommen und die dunkle Vorahnung trieb sie voran, dass sie, je länger ihr Zögern sich an der Oberfläche hielt, auch stets weiter mit Mephisto verwurzelt wäre – Wurzeln, die sich nicht einfach durchtrennen ließen, wie ihr eine kleine Stimme zu wisperte. Es war ihr Verstand. Dabei war sie doch nie so rational gewesen.

Unwillkürlich dachte sie an Lily Potter, an die Echte, die Mutige, die Wahre, deren Namen sie so unverdient trug und von der sie so viele Geschichten erzählt bekommen hatte. Manchmal glaubte sie, dass es nur der Name war, den sie teilten. Manchmal in den vergangen Monaten hatte sie gehofft, dass es auch ihr Hang zur unwiderruflichen Liebe eine Verbindung zu ihrer Großmutter wäre, aber es war mehr eine trübe Hoffnung, als dass sie wirklich Bestand hätte haben können. Denn Lily war im Inbegriff ihre Liebe zu verlassen.

Er tat ihr nicht gut. Das mochte Imogene denken und vielleicht ein kleiner Teil ihrer selbst auch, doch man liebte nicht ausschließlich das Gute eines Menschen. Sie konnte nicht trennen, sie liebte alles an ihm. Wie verrückt.

Ihre Hände fühlten sich ungewohnt feucht an vor Anspannung und Lily rieb die Hände kurz an ihrem Kleid ab, ehe sie stöhnend die hinterlassenen Flecke betrachtete. Zunächst hatte sie ihre Mutter verflucht, da diese ihr dieses unmögliche Kleid zugeschickt hatte. Es war flauschig. Es war rosa. Und Lily erinnerte stark an einen Minimuff, um es beim Namen zu nennen, und sie schätzte zurecht, dass sie es mit einem abgekarteten Spiel zu tun hatte, das auf James‘ Verlies lief. Es wäre ihm gewiss ein Genuss, sie in das unvorteilhafteste Kleid überhaupt zu stecken und dafür zu sorgen, dass kein Kerl sie auch nur ansah. Aber sie hatte keine Alternativen gehabt, als es letztendlich zu tragen. Mit blasser Abneigung bedachte sie, dass Imogene auf James stand. Dass sie diese Wendung nicht nachvollziehen konnte, war verständlich, doch die Erkenntnis schmeckte bitter, dass selbst ihr Bruder und ihre beste Freundin bessere Chancen in Sachen Liebe hatten als sie. Vor allem verfluchte sie Merlin. Für alles, was er ihr antat.

Entschlossen stapfte sie in die prächtig geschmückte Große Halle, die an diesem Abend kaum mehr daran erinnerte, dass es noch am Vormittag des vergangenen Tages die letzten Prüfungen abgehalten worden waren. Sie war spät dran, wie ihr auffiel, als sie den Blick zur Decke wand und sich der dunkelblauen Nacht besah, welche bereits Einzug gehalten hatte. Unzählige, winzige Kristalle rieselten vom Himmel und einer landete ihr auf der Schulter, zersprang und hinterließ glitzernde, silberne Tröpfchen, die seltsam tröstende Wärme in ihr auslösten. Es war eine Art Wunschpulver, ein emotionales Highlight in der Zaubererwelt, da es genau das Gefühl im Körper verströmte, nach dem man sich sehnte.

Sie ließ den Blick über die vielen, runden Tische schweifen, die eine Tanzfläche umgaben, welche wiederum dominiert wurde von einer Bühne, die dort, wo sich üblicherweise die Lehrertische befanden, ihren Platz gefunden hatte und auf welcher Roxanne gerade umhersprang und irgendetwas erzählte, das Lily nicht interessierte. Roxanne, ihre Cousine, die übereifrige Moderatorin, die kein Fünkchen Alkohol vertrug.

Lily erhaschte einen kurzen Blick auf Imogene und Hugo, die gemeinsam an einem Tisch saßen und lachten und sie verspürte das Bedürfnis, sich zu ihnen zu setzen, doch es unterlag … als sie ihn ausmachte. Er stand nicht weit vom Tisch ihrer Freunde entfernt, lehnte lässig gegen der Wand und hatte einen Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte er eine besonders schlimme Bertie Botts Bohne erwischt. Ein absolut absurder Gedanke, da sie sich kaum vorstellen konnte, dass er je eine probiert hatte. Nicht er. Aber es gab so vieles, das sie nicht über ihn wusste.

Ihre Entschlossenheit, stringent zu ihm zu gehen, wich rasch, als sie an ihr schreckliches Kleid dachte. Wohl kaum konnte sie ihm so unter die Augen treten. Einen kurzen Moment lang erlaubte sie sich, die Augen zu schließen und sich von der wohlklingenden Melodie einlullen zu lassen, welche einem süßlichem Entkommen aus der Realität gleichkam. Doch sie fing sich schneller, als es ihrem Herzen lieb war.
 

„Hi“, sagte sie zögerlich und lehnte sich neben ihn. Ihre Sinne waren geschärft und ihre Augen flogen über die Schüler, die ihr eventuell zu viel Aufmerksamkeit schenkten und sich somit nur in Gefahr brachten. Denn das war ein weiterer Geschmack, dessen Zeuge die junge Potter geworden war – ihr Mephisto war … gefährlich. Obgleich sie es nur mit halbem Herzen glaubte. „Hallo.“

Seine Stimme klang beherrscht und er würdigte sie keines Blickes, sodass Lily nicht umhin konnte, ihn umso interessierter zu mustern. Es war meist nur das kurze aufflackern von Verlust, das uns merken ließ, wie viel mehr man empfand.

„Keinen Kommentar zu meinem Kleid?“, fragte sie spielerisch und versuchte, ihr eigenes Missfallen darüber zu verstecken. Lily wusste nicht, ob er es durchschaute, als er sie widerwillig ansah. Ein kaum merkliches Grinsen umzuckte seine Lippen. „Wie ein Minimuff.“ Das dachte sie auch. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.

„Ich muss mit dir reden, Greg.“ Lily hatte nie hinterfragt, warum er sich Cygnus Doyle nannte, obwohl er eigentlich Gregory hieß. Gregory Doyle, jedenfalls schätzte sie das. Er hatte es immer gut verstanden, sie keine Sorgen spüren zu lassen, keine Zweifel. Und Lily hatte nie den Ursprung von allem suchen wollen, hatte nie recherchiert, hatte nie nachgefragt. Das tat wohl keiner. Also warum dann sie?

„Geh vor, wir treffen uns.“ Worte, so kalt wie eintausend Eiszapfen bohrten sich in ihre Haut. So abgeklärt. Das war er. Lily erwischte sich bei dem Gedanken, dass er es ahnte. Dass er ihre Gedanken lesen konnte und sah, dass sie ihn verlassen wollte. Doch was würde er tun? Er hatte keine Wahl. Und sie hatte keine Angst. Wie immer trafen sie sich an der Grenze zum Verbotenen Wald, obgleich es niemals dieselbe Stelle war. Einmal hatte Lily sich wirklich versteckt, um ihn zu testen. Doch er fand sie. Immer. Lediglich ein paar Minuten war sie allein, vielleicht auch mehr, doch mit zunehmender Nervosität zerrann die Zeit so schnell. Und viel zu schnell war er da. Greg. Lily atmete hörbar aus, während er mit dem Baumstamm verschmolz, mit der Nacht. Mit der Stille und dem ansonsten so leisen Atmen des Waldes.

„Ich habe nicht viel Zeit, Lily. Fange an“, sagte er routiniert und verschränkte die Arme vor der Brust. Das längere, schwarze Haar viel ihm in die Augen.

„Du weißt es?“

„Natürlich.“

„Es tut mir leid, wirklich. Ich liebe dich, aber morgen wird sich alles ändern. Es wird nichts mehr so sein, wie es war.“

„Da hast du recht.“ Er machte ihr Angst, ganz plötzlich. Lily fühlte eine Gänsehaut über ihre Haut streichen, doch war nicht imstande, sich gegen die Furcht zu wehren, die ihren ganzen Körper ergriff. „Du könntest gehen, wenn du mir nicht deine Seele gegeben hättest, Lily. Unser Pakt, weißt du noch?“

Ein kleines Grinsen schlich sich auf sein Gesicht und in Lily keimte ein Gefühl von Ungeduld, Schmerz, Erinnerung. „Er war nicht magisch besiegelt“, erwiderte sie leise und in Sekundenschnelle zog er seinen Zauberstab und pustete ihr ein Pergament ins Gesicht, ein hell leuchtendes Stück Papier, in dessen unterer Ecke ihre Unterschrift stand. Lily Potter. In blutrot. Sie schüttelte den Kopf.

„Das habe ich nicht unterschrieben.“

„Hast du“, er wirkte ungeduldig, müde. Während sie von schnell wachsendem Zorn heimgesucht wurde – Zorn, den Machtlosigkeit tränkte. „Du kannst nichts gegen meine Entscheidung tun“, sagte sie mutig und schnappte nach dem Pergament, um es zu zerstören, doch sie verbrannte sich, als sie es auch nur berührte.

„Ich will dich nicht töten müssen, Lily“, sagte er gelassen. Sie war sprachlos, erkannte ihn nicht wieder. „Du kannst jetzt gehen. Packe deine Sachen für morgen, wir werden zeitig aufbrechen. Nimm nur das Nötigste mit, den Rest kaufe ich dir so.“ Sie hasste Befehle. Sie war nicht sein kleines Mädchen zum Rumkommandieren. Nein, sie war eine Potter. Sie nahm ihn nicht ernst. „Ich komme aber nicht mit, Greg! Es ist vorbei! Aus uns vorbei. Ich erkenne dich kaum wieder.“ Er seufzte theatralisch. „Du willst doch nicht, dass deiner Familie etwas passiert, oder?“

„Drohst du mir?“

„Rhetorisch, oder?“ 200 Watt lächelten ihr entgegen, die sie ihm am liebsten vom Gesicht gewischt hätte. „Ich bin nicht dein Püppchen! Ich mache, was ich will. Und dich will ich nicht mehr.“

„Bitte, sei doch nicht so zickig. Sonst töte ich dich vielleicht doch eher, als es dir lieb ist. Fünfzehn Jahre ist doch kein Leben.“ Hauchzarte Aggressivität durchzog seine Erwiderung und Lily fröstelte. Die Kälte wurde so greifbar, als sie ihm in die Augen sah. Sie ließ die Nacht zu, mit einem Mal. Er drohte. Und es waren nicht nur leere Worte, sondern es war bitterer Ernst. Sie hatte keine Wahl.
 

-
 

Dominique betrachtete sich in einem der unzähligen Spiegel, die von den Wänden der Großen Halle strahlten und konnte nicht umhin, zufrieden festzustellen, wie gut sie aussah. Es war das typische, haltlose Fünkchen Arroganz, dass sie nicht vermochte gänzlich abzulegen. Das Kleid, welches sie an diesem Abend trug, hatte sie ihrer Mutter und deren exzellenten Kontakten nach Paris zu verdanken; jedes Jahr aufs neue bekam sie eine Sonderanfertigung für den anstehenden Ball, den Hogwarts‘ Schülervertretung plante, und in diesem Jahr hatte es etwas ganz Besonderes sein sollen, da es gleichsam ihr Abschlussball war. Dominique wollte als das in Erinnerung bleiben, was sie gewesen war – die Schönste. Ihre Noten waren kaum so ruhmreich, dass sie deswegen verewigt hätte werden können, ganz zu schweigen von ihren nicht vorhandenen Quidditchtalent. Aber ihre Schönheit, das war ihr höchstes Gut. Sie fuhr über den eisblauen Stoff ihres Kleides. Zahllose kleine Diamanten glitzerten ihr entgegen und waren in zermürbend langer Handarbeit ins Kleid eingenäht worden, sodass Dominique einen Tropfen Mitleid für die Hexen empfand, die ihr Kleid geschneidert hatten. Es war das Teuerste, das sie je an ihrem Körper getragen hatte und es passte perfekt. Es warf einen Hauch von Perfektion auf ihre elfenbeinfarbene Haut, es stand im Einklang mit ihrem blonden, langen Haar, das an diesem Abend und aufgrund der vielen tanzenden Lichter im Saal einen zauberhaften Schimmer vom Weasleyrot besaß. Sie war die Schönste. Und es war ihr eine Genugtuung.

Dominique ließ ihren Blick über die Tanzfläche schweifen, an der sie entlangwanderte und nur mit halbem Ohr hörte sie ihrer Cousine Roxanne zu, die an diesem Abend durch das Programm führte und gerade die nächste Band ankündigte, die Hogwarts nur aufgrund der Kontakte Salems hatte begrüßen dürfen. O nein, Dominique hegte keinerlei Abneigung gegen irgendeine der Zaubererschulen, die in Hogwarts weilten, nicht, nachdem sie gesehen hatte, dass sie keine Konkurrenz zu befürchten hatte, doch erschienen ihr die anderen Schüler deshalb nicht weniger durchsichtig, leicht manipulierbar vielleicht, aber wahrscheinlich war sie auch einfach nur voreingenommen, da außer Salem alle diesem Professor Doyle verfallen zu sein schienen. Sie schob den Gedanken, der ihr so viele Probleme mit Rose eingehandelt hatte, beiseite und ließ den Blick stattdessen weiter durch die Große Halle schweifen.

Sie wich Jane Seymour auf der Tanzfläche aus und schenkte ihrem Begleiter – Fred – keinerlei Beachtung, als sie zufrieden feststellte, dass Jane nur ein schlichtes, schwarzes Kleid trug und sie an diesem Abend wirklich besser als die Halbveela aussah. Das rettete ihr den Tag. Doch gab es eines, das sie und Jane wieder einmal unterschied und das war die simple Tatsache, dass Jane eine Begleitung hatte, sie hingegen … nicht.

Dominique seufzte leise und als hätte es das Schicksal perfekt in ihre Situation gefügt, sah sie Adrian Zabini mit ein paar weiteren Slytherins an der Bar stehen, zu der sie eigentlich gewollt hatte. Mieses Karma.
 

Wenn es eines gab, das sie keinesfalls heraufbeschwören wollte, dann war es eine handfeste Auseinandersetzung mit einem besoffenen Zabini. Er hatte sie gefragt. Wie so oft. Aber der tief verwurzelte Slytherin – Gedanke war ihr ein ständiger Begleiter gewesen und hatte sie sein Angebot ausschlagen lassen. Und nun war es vorbei. Er würde ihr nicht mehr hinterherlaufen, wenn sie erst einmal aus Hogwarts raus wären und sie wollte es auch nicht, dass er es tat. Sie wollte frei sein, ohne alles. Nur wusste sie nicht, wie ohne alles eigentlich aussehen würde.

Sie hatte keine Begleitung; es war eine Schande. Dominique hoffte wirklich, dass ihre Mutter niemals davon erfahren würde. Sie würde wohl kaum gutheißen, dass ihre ach so hübsche Tochter alle Angebote ausgeschlagen hatte, die sie bekommen hatte. Das tat eine Lady nicht, nicht ohne Alternative. Sie drehte sich um und sah Fred an. Genugtuung, das war es, das sie fühlte, als sie seinen Blick erhaschte. Mehr wollte sie gar nicht fühlen.

Eine Gestalt ganz in Rot zog Dominiques Blick schließlich auf sich und das Mädchen mit der Veela Magie wanderte hinüber zu ihrer verlassen wirkenden Cousine.

„Lucy“, sagte sie knapp, als sie sich auf den freien Stuhl neben ihr an dem sonst so abseits und allein daliegenden Tisch warf und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, das ihr eigenes Unbehagen perfekt verbarg.

„Dominique“, sagte die Sechstklässlerin nur und erwiderte ihr Lächeln zaghaft, „Wie gefällt dir die Party?“

Dominique verdrehte die Augen. „War schon auf besseren.“ Nein, eigentlich nicht, fügte sie in Gedanken hinzu, doch konnte es nicht laut aussprechen. „Dein Kleid ist zauberhaft. Von Tante Fleur?“

„Aus Paris, ja. Warum sitzt du hier so allein?“

„Weil ich keinen Partner habe; es hat keiner gefragt.“ Dominique warf ihr einen forschenden Blick zu. „Dir hätte ich zugetraut, dass du die Jungen fragst.“ Lucy lachte und strich sich das dunkelrote, strahlende Haar hinters Ohr. „Damals, bestimmt. Aber nun bin ich die Tochter vom Zaubereiminister und muss mich den Regeln fügen.“

„Ich hasse Regeln“, meinte Dominique ehrlich und tauchte ihre Fingerspitzen in ein bisschen Wunschpulver. Sofort strömte ein angenehm warmes Gefühl durch ihren Körper. „Hast du auch keinen Partner?“, fragte Lucy ungläubig und blickte sich suchend um, ein zweckloser Versuch, irgendjemanden ausfindig zu machen, der zu Dominique gehörte. Denn da gab es ja keinen.

„Nein, weil ich niemanden gefragt habe. Ich bin es leid. Victoire brauchte damals nur in einer Ecke zu stehen und konnte sich kaum vor Anfragen retten. Bei mir ist das aber natürlich anders.“ „Bei Molly war es auch immer so“, fügte Lucy trocken hinzu und schüttelte den Kopf. „Ich schätze, Merlin denkt einfach, wir sind extrovertiert genug, unser Glück selbst zu schaffen.“

„Scheiß auf diesen verdammten Merlin. Der Kerl ist mir total unsympathisch“, murmelte Dominique und griff beherzt nach einer Flasche Feuerwhiskey, um zwei Gläser zu füllen.

„Hast du Professor Doyle zufällig gesehen?“, fragte Lucy, nachdem sie ihr erstes Glas hinuntergekippt hatten und Dominique zuckte nur mit den Schultern. „Was willst du von dem Kerl?“

„Ich habe meine Prüfung in Verteidigung total vor die Peitschende Weide geflogen. Das wird ein Groll, definitiv. Aber seit Dad mich ständig aus der Schule holt, nur damit ich grässlichen Bällen und Treffen beiwohne, bin ich meist so müde, dass ich den Schulstoff nicht nachhole und na ja-“

„Typisch, Percy. Soll er doch Molly mit dahin schleppen! Aber das Problem habe ich nicht, denn meine Eltern nehmen eh in allen Angelegenheiten eher Vic mit als mich.“ Das Missfallen in ihrer Stimme gehörte ganz und gar nicht dorthin, dachte Dominique, als sie sich reden hörte. Sie vertrug nicht sonderlich viel, doch auch den nächsten Feuerwhiskey kippte sie ohne Bedenken hinunter.

„Ich überlege, ob ich nicht zu ihm gehe und um eine Zusatzleistung bitte“, murmelte Lucy und biss sich die unsicher die Unterlippe wund. „Na dann“, sagte Dominique kurzerhand und erhob sich, um die nächsten Wimpernschläge lang hin und her zu schwanken, „suchen wir ihn eben!“

Sie fingerte in ihrer Handtasche nach dem kleinen Taschenspiegel, der auch einmal als Zwei-Wege-Spiegel zwischen Rose und ihr fungiert hatte, als sie noch beste Freundinnen gewesen waren, und zog sich spielerisch ihre Lippenfarbe nach, ehe sie der zögerlich voranschreitenden Lucy folgte. Sie erhaschte einen Blick auf Doyle an der Tür zur Großen Halle, aus welcher er sich gerade entfernte, und obgleich die beiden Mädchen sich einen zunächst zögerlichen Blick zuwarfen, griff Dominique dennoch nach Lucys Arm und zog sie weiter. Es interessierte sie nicht sonderlich, was Doyle tat. Aber es überraschte sie dennoch, dass der junge Professor hinaus in die Dunkelheit schritt, als sein Büro aufzusuchen, wie Dominique es vermutet hätte. Ausschließlich alle Schüler befanden sich in der Großen Halle und kaum einer suchte die Kälte dieser Nacht wohl freiwillig auf.
 

Als Lucy und sie in die Dunkelheit traten und jäh verschluckt wurden, war Doyle schon mit der Nacht verschmolzen. Die Kälte schob sich wie eintausend Nagelspitzen über ihre Haut und ließ Dominique frösteln, doch kniff sie angestrengt die Augen zusammen, um den Professor vielleicht irgendwo ausmachen zu können. Sie sah in der Ferne die Schemen des Schiffes, das still im See lag. Sie sah verschiedene Lichter vor Hagrids Hütte auf und ab tanzen. Und sie entdeckte eine Gestalt schnellen Schrittes auf den Verbotenen Wald zu eilen, als sich die Wolken aus dem Blickfeld des Mondes schoben und dessen weiches Licht hinunter auf das frische Gras und den leicht aufkommenden Nebel fiel.

„Dort drüben“, flüsterte Dominique leise und deutete hinüber zum Wald. „Das ist Doyle. Komm.“

Doch Lucy kam nicht. Wie angewurzelt stand sie noch immer an derselben Stelle, als Dominique schon ein paar Schritte zurückgelegt hatte.

„Ich weiß nicht, Dome. Vielleicht sollten wir ihm nicht folgen.“ Man mochte es auf den Einfluss des Alkohols schieben, dass Dominique Weasley die Gefahr ihrer Handlung nicht sehen wollte, die feine Angst zwischen den Nichtsahnenden hervorkeimen ließ. Nicht ohne Grund.

„Lucy, ich bitte dich. Sei kein feiger Slytherin.“ „Wohl kaum“, entgegnete diese nur und setzte sich langsam in Bewegung, was Dominique mit einem Zwinkern titulierte. Zunächst fürchtete Dominique, sie vermochten Doyle zu verlieren, doch dann erhaschten sie immer wieder einmal neuerliche Blicke auf die ganz in schwarz getauchte Person, der zwar kurz vom Verbotenen Wald verschluckt wurde, aber dann wieder auftauchte wie ein Ertrinkender. Immer. Es waren vielmehr nur die Grenzen, die er abschritt, bis er schließlich verweilte und stehenblieb, doch ohne, dass sich Dominique dafür ein Grund offenbarte.

„Los, Lucy, geh hinüber!“, forderte sie ihre Cousine auf und verschränkte die Hände vor der Brust. Es war so kalt, dass sie zitterte. „Ich trau mich nicht, Dome, echt nicht. Lass uns warten, bis er zurückkommt. Ich kann da nicht einfach hin gehen und ihn wissen lassen, dass ich ihn verfolgt habe oder so.“

„Dann geh eben von Rose‘ Seite aus ran. Sage ihm, sollte er fragen, dass du bei deiner Cousine Rose warst und nun zum Ball aufgebrochen bist oder so. Ich bitte dich, er wird dich wohl kaum töten!“

Lucy blickte sich unsicher um und ein paar Minuten zogen ins Land, bis sie schließlich seufzend nachgab und langsam weiterging.

„Was machst du, Dome?“

„Ich verstecke mich hier hinter Slytherins Drecksbaum und wenn du dich beeilst, dann bin ich auch nicht erfroren und wir können unser miserables Leben weiterfeiern.“ Sie lachten. Ein letztes Mal.

Dominique beobachtete mit aufflammendem Unbehagen, wie Lucy sich dem Verbotenen Wald näherte und sie presste ihren Körper Schutz suchend stärker gegen den Baumstamm. Ihr Kopf klärte sich nur langsam, sehr langsam. Sie war nicht wie ihre Mutter oder gar Victoire, die trinken konnten wie die Weltmeister. Nein, ihre Sinne begannen zu schwirren, schon mit dem ersten Tropfen Alkohol, der ihre Zunge benetzte. Dominique gab sich der Versuchung hin, die Augen einen Moment lang zu schließen, bis sie schließlich ein sich rasch näherndes Geräusch in die Realität zurückzog. Automatisch riet Dominiques Instinkt ihr, vorsichtig zu sein und die Siebzehnjährige schob sich schnell hinter den festen Stamm, nur zögernd dahinter hervor blinzelnd. Was sie sah, irritierte sie mehr als alles davor. Sie kniff die Augen zusammen und ihre Kehle trocknete aus, als sie Lily erkannte. Lily. Ihre Cousine. Lily Luna Potter. Konnte es sein, dass …?

Ihr Kopf klärte sich innerhalb weniger Sekunden, verbrannte den Alkohol, verdrängte ihn ausnahmslos und Dominique sprang hinter dem Baum hervor, wollte Lilys Namen rufen und sie fragen, wo sie herkam, betend, sie möge mit ihrer Vermutung falsch liegen. Aber sie konnte nicht. Kein Laut kam ihr über die Lippen, als sie Lily schluchzen hörte und die junge Hexe jäh zu rennen begann, sodass Dominique zunächst nicht wusste, ob sie ihr folgen sollte oder lieber … Lucy! Eine glühend heiße Welle Panik befiel die Weasley und das Zittern trieb sie um, geradewegs zu den dichterwerdenden Nebelschwaden, die der Verbotene Wald in diesen Sekunden gebar. Und dann rannte Dominique. Rannte zum Tod.
 

-
 

„Willst du tanzen?“ Rose verdrehte die Augen, sagte jedoch nichts, und Scorpius seufzte. Das Spiel trieb sie nun schon eine Weile mit ihm und es gefiel ihr sichtlich. Auf keine seiner Fragen gab sie ihm eine befriedigende Antwort und das war etwas, was ein Malfoy grundsätzlich mehr als alles andere verabscheute. „Du siehst wunderschön aus“, umgarnte er sie weiter, aber die Weasley lächelte nur, sagte jedoch nichts. Bewegte sich nur leicht zum Takt der Musik und nippte ab und zu an ihrem Getränk. Er wollte eine Reaktion.

„Kommt Alice mit Al?“ Sie zuckte mit den Schultern, ohne ein Wort. Scorpius seufzte erneut. „Was habe ich getan?“, fragte er schließlich und je mehr er über das vermeintliche Übel nachdachte, das er womöglich verbrochen hatte, umso düsterer wurde seine Stimmung. Frauen. Und dann hatte Scorpius Malfoy eine Idee.

„Willst du mich heiraten, Rose?“ Die Weasley verschluckte sich an ihrem Getränk und riss die Augen auf – alles so schnell, dass Scorpius nicht umhin konnte, zu feixen. „War nur ein Scherz.“

Ihre Miene wurde hart, doch er lachte weiter. „Ich dachte nur, damit bekomme ich vielleicht eine Reaktion.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Also wird die gesamte Nacht so ablaufen?“ Der Blick der Weasley verlor sich in der Ferne und sein Blick fiel ein weiteres Mal an ihrem Körper herab. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das aussah, wie der sternengetränkte Himmel. Er hauchte einen Kuss auf ihre unbedeckte Schulter.

„Warum werfen die Slytherins dir diese Blicke zu?“, flüsterte sie leise, ungehalten. Er lächelte. „Das muss nicht deine Sorge sein.“

Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Du hast dich gegen sie gewendet, oder?“ Er neigte den Kopf, was einer unausgesprochenen Bestätigung gleichkam. „Interessant“, sagte sie leichthin und schmunzelte, bevor sie ihr Getränk an die Lippen setzte. Er zuckte mit den Schultern und ließ den Blick über die Schüler schweifen.

„Ich hasse diese Bälle“, ließ er trocken verlauten und Rose nickte knapp. „Ich weiß.“

„Da ist noch etwas“, begann er zögernd und die Rothaarige blinzelte zu ihm hinauf, „meine Eltern wollen dich kennenlernen. Nächste Woche, Malfoy Manor, massakrierendes Dinner.“ Er kippte sich den Feuerwhiskey hinunter, als käme dieser einer Belohnung gleich, dass er es überhaupt ausgesprochen hatte, was Rose ein Lachen entlockte. „Sie kennen mich bereits.“

Sein Blick verdüsterte sich. „Sie kennen dich als die Weasley, derentwegen ihr Sohn gefühlte tausend Male nachsitzen musste – jetzt wollen sie dich als-“, er hielt inne und sein Blick bohrte sich in ihren. „Als was?“, drängte Rose unschuldig. „Als meine Freundin kennenlernen.“

„Ach das“, lächelte sie, außerordentlich zufrieden. Mit Scorpius war es wie mit einem undressierten Hund – so hatte Alice es zu erklären versucht – denn bei beiden Spezies war es hilfreich, nicht den Mut zu verlieren, sondern sich über jeden noch so kleinen Fortschritt zu freuen - und Scorpius Malfoy zum Reden zu bringen, gehörte auf jeden Fall zu einer Etappe.

„Willst du was neues?“, fragte der Malfoy und nahm ihr das leere Glas aus der Hand. Zweite Etappe – bringe ihn soweit, nicht nur an sich selber zu denken. Check. „Etwas, um die Party zu überstehen, bitte.“

Sie würde nicht sagen, dass sie Bälle und die stundenlang aufhübschende Prozedur zuvor hasste, nein, nur gehörten sie auch nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. In diesem Punkt war Rose dieselbe wie noch vor einem und selbst vor mehreren Jahren – es waren Bücher, die sie beständig interessierten; nicht irgendeine Party. Sie suchte die Große Halle kurz mit den Augen nach Dominique ab, doch entdeckte sie nirgends. Dome, der sie rückblickend zu verdanken hatte, vor fast einem Jahr überhaupt auf die Party von Natalie Bordman gegangen zu sein. Sie stünde nicht mit Scorpius an diesem Abend zusammen, wäre dieser damals nicht so äußerst ungünstig auf sie geflogen. Der Unfall. Damit hatte alles begonnen.
 

Rose nestelte an dem Verschluss ihrer Handtasche herum und ließ sich schließlich auf einem Stuhl an einem der umliegenden Tische nieder, um wer weiß was zu erwarten. Sie hatte das ganze Spektakel immerhin geplant, sie wusste, wie es enden würde. Und sie sehnte sich bereits danach, dass Roxanne die letzte Band ankündigen und dann irgendwann alles vorbei wäre. Um Zwölf Uhr. Rose errechnete positiverweise, dass sie etwa um zwei Uhr im Bett liegen würde – bei Merlins Gnade. Die Weasley kramte in ihrer Handtasche und zog den kleinen Taschenspiegel hervor. Se fuhr mit dem Finger kurz über die Gravur, ehe sie das Stück öffnete und hineinspähte. Einmal hatte sie von der Muggelzeitschriften lesenden Lily erfahren, dass man sich Haarspray aufs Gesicht sprühte, damit das Make-Up nicht verschmierte. Leider wusste sie nicht, wo es dieses besagte Zeug gab, sonst hätte sie es wohl an diesem Abend ausprobiert. Rose seufzte leise, als sie sich mit dem kleinen Finger unter den Augen entlangfuhr. Sie musste aussehen, wie eine dieser Ravenclaw Püppchen, die ständig –ihr Gesicht wurde abgelöst von einem anderen Bild. Rose zuckte zurück. Der Spiegel glitt ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Sie hatte Dominique gesehen, nur kurz, ganz kurz. Verdammt, zu kurz. Doch lang genug, um der Weasley jegliche Farbe aus dem Gesicht zu saugen. Dominique. Die teuren Diamanten ihres Kleides durchtränkt von roter Flüssigkeit. Blut. Tot. Panik überfiel sie mit grauen, zähen Händen und Rose warf den Stuhl um, als sie stürmisch aufstand, das Kleid raffte und … sie fand ihn nicht. Sie fand Scorpius nicht! Ihr Blick eilte wild umher, doch sie fand ihn nicht. Und sie hatte keine Zeit. Ihr Körper bebte. Rose wusste nicht wie, aber sie rannte los. Sie stürmte durch die Schüler, drängelte sich an tanzenden Paaren vorbei und wurde verschluckt von den Wellen des hereinbrechenden Horrors. Tränen mischten sich in ihren starr zur massiven Doppeltür gerichteten Blick und als sich unverhofft Alice und Albus in das Bild schoben, schöpfte ein geringer Teil in Rose Hoffnung. Hoffnung, die nicht mehr existierte. Nur ein Gefühl, dass ihr Herz ihrem Verstand vorgaukelte, damit sie nicht vollends verzweifelte.

„Wo ist Scorpius?“, rief sie panisch und als Albus und Alice überrascht zu ihr sahen, spiegelte sich schon im nächsten Moment blankes Entsetzen auf ihren Gesichtern. „Wo ist er?“

„Keine Ahnung“, wisperte Alice und packte ihre atemlose beste Freundin am Arm. „Was ist passiert, Rose?“ Al betonte jedes Wort. Nachdrücklich, eindringlich. Er schüttelte sie. Ernst. Und alles, was sie tun konnte, war zu wimmern. Kläglich zu wimmern. Nie hatte ihnen jemand beigebracht, mit dem Tod umzugehen.

„Rose, man, reiß dich zusammen!“, rief Albus unwirsch und verstärkte den Griff um ihre Schulter. „Was ist los?“

„Dome“, flüsterte sie heiser und Al schob die Augenbrauen zusammen. „Was ist mit ihr?“

„Blut. Da war überall Blut. Sie verblutet, Al!“ „Wo?“ Rose schüttelte vehement den Kopf und biss sich die Unterlippe wund. Sie wusste es nicht.

„Alice, suche Scorpius. Er soll nachkommen.“ Die Longbottom schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Das ist nicht dein Ernst! Ich komme mit!“

Albus fluchte leise vor sich hin und packte ihr Handgelenk so fest, dass seine Freundin schluckte. „Kannst du nicht, wir brauchen Scorpius. Ich brauche ihn. Du musst ihn suchen und ihm sagen, dass er uns folgen soll.“

„Wie soll er euch finden?“

„Eine Geschichte, die ich dir mal erzählen werde, wenn es nicht um Leben uns Tod geht“, erwiderte Al kühl und Alice riss empört den Mund auf, doch konnte nicht kommentieren, da er sie im nächsten Augenblick auch schon stürmisch küsste. „Pass auf dich auf.“ Und dann waren sie weg.
 

Alice atmete einmal tief durch, ehe sie sich in Bewegung setzte. Was zur Hölle war nur los? Rose … noch nie hatte sie ihre beste Freundin so gesehen. Das Suchen beanspruchte nicht viel Zeit, da der Malfoy ihr schon entgegengelaufen kam. Samt einer Verwirrung, die sie teilte.

„Es muss etwas furchtbares passiert sein“, sagte sie leise, als sie aufeinandertrafen und Scorpius hörte stumm ihren spärlichen Erklärungen zu, ehe er sich auch schon Bewegung setzte und Rose und Albus folgte. Er war schnell. Zu schnell für Alice. Die Longbottom verfluchte ihre Unsportlichkeit. Sie versuchte ihn nicht aus den Augen zu verlieren und ihm auf den Fersen zu bleiben, doch es war ein schwieriges Unterfangen. Sie sah, wie Scorpius am Eingang der Großen Halle mit Filch aneinandergeriet, der offenbar im Inbegriff war, die Türen zu schließen, doch der Malfoy schob sich ungeachtet seiner Worte an ihm vorbei. „Moment, kleine Lady. Drinnen geblieben“, gurrte der Hausmeister, als sie ebenfalls durch den kleinen Spalt zwischen den Türen entkommen wollte, aber sie wurde zurückgerissen. Die Türen schlossen sich. Und es zerrannen wenige Sekunden, bis die große Turmuhr Zwölf schlug. Alice verordnete ihrem Herzen, sich zu beruhigen. Es würde für alles eine Erklärung geben. Sie sah sich um, doch Dominique stach nirgends wie gewöhnlich heraus. Hatte es wirklich erst diese Erkenntnis gebraucht, um sie wissen zu lassen, dass Rose sich nicht irrte? Die Longbottom schloss die Augen und zählte die Schläge. Beim sechsten hörte sie die ersten Schreie. Beim siebten wurden es mehr. Beim achten wurden sie lang und verzweifelt. Sie öffnete die Augen und fand ihren Alptraum in die Szenerie gemeißelt.

Unzählige Gestalten in schwarzen Kutten formierten sich und ließen Zauber durch die Luft sausen. Farben, die viele kannten und lange nicht hatten sehen müssen. Und es gab junge Menschen wie sie, die nur aus Büchern wussten, für welche Magie der grüne Blitz stand. Es konnte nicht wahr sein, so plötzlich. Es musste sich um einen Traum handeln. Wieso nur sie? Der dunkelblaue Himmel mit den leuchtenden Sternen färbte sich blutrot und Alice fühlte sich in den aufkeimenden Sorgen ertrinken. Sie war eine Gefangene. Die Kuttenträger drängten die Schüler zusammen, drängten sie in Grüppchen, ließen sie eine neu entdeckte Angst spüren. Alice entkam ihnen. Fuchsteufelswild warf sie hinter sich bleibende Stühle um, aufgrund der bitteren Idee, es möge sie eventuell aufhalten. War sie irre? Kaum solch banales Zeug! Atemlos blieb sie stehen, versteckte sich verzweifelt unter einem der Tische. Sie war nicht die einzige, die die Flucht ergriffen hatte. Und noch beschäftigte man sich nicht ausnahmslos mit ihr. Ihr Körper bebte vor Angst und ihre Hände zitterten wie wild, als sie vorsichtig einen Blick wagte. Bei den Lehrertischen ging es drunter und drüber. Nur Sekunden der Verwirrung hatten gereicht, um die meisten Professoren zu entwaffnen. Alice‘ Mund fühlte sich so taub an, kaum einem Schrei der Verzweiflung mächtig, den so viele andere in diesen Momenten ausstießen. Und dann setzte ihr Herz aus. Als sie ihren Vater in die Höhe schweben ließen. An den Fußknöcheln hingen sie ihn in die Luft! Alice kannte den Zauber nur aus Büchern … Levicorpus. Wie sie ihren Vater kannte, hatte er sich nicht so schnell wie die meisten ergeben. Aber er war überwältigt worden.

O Merlin, Tränen stiegen Alice in die Augen. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was sie mit ihm tun würden. Und dann zuckte wieder grünes Licht durch die Luft. Und ließ ihr Herz taub und den Verstand klar werden.

Petrificus Totalus“, schrie sie und traf den Kuttenträger, der ihren Vater aufgehängt hatte, am Kopf. Alice japste und tauchte unter den Flüchen davon, die sich zehnfach auf sie richteten. „Liberacorpus“, murmelte sie atemlos und ihr Vater sank gen Boden. Erleichterung durchströmte ihren Körper, als ihr Vater bewusstlos auf dem Steinboden aufkam. Und dann trafen sie zwanzig Lichter gleichzeitig.
 

-
 

Beißende Kälte zog über ihre unbedeckte Haut, doch Rose störte es nicht. Wie betäubt fühlte sie sich, dabei sagte man doch, in Extremsituationen schärften sich die Sinne. Jedoch nicht ihre. Sie war nicht ihre Mutter. Sie war so unerprobt. „Bist du sicher?“, murmelte Albus, der ihr hastig gefolgt war und sie nun stützte. Rose schüttelte den Kopf. „Es war so dunkel.“

Sie hatte keine Ahnung, wo sie mit dem Suchen anfangen sollten, doch ihr Instinkt hatte sie in die Nacht geführt. Sie verdrängte schwer atmend die Tränen aus ihren Augen und überblickte die Ländereien. Alles lag still und dunkel da, nichts rührte sich.

„Ich weiß es nicht“, wisperte Rose kaum hörbar und Albus lehne sich zu ihr vor, ließ sie einen Teil seiner Besorgnis aufsaugen, der sich so prächtig mit ihrer verstand. Sie wusste nicht, was sie ohne Dominique tun würde. Gerade als alle Hoffnung zwischen ihren Fingern zerrann wie feiner Sand, zuckte etwas durch die Luft und Rose und Albus sahen beide den verglühenden grünen Blitz, der vom Verbotenen Wald herrührte. Und obgleich die Hoffnung starb, raffte sich Rose verzweifelt auf und rannte dem Tod entgegen. Wann hatte sich die Welt, die sie alle kannten, so verändert? Salzige Tränen strömten ihr übers Gesicht und vergeblich bemühte sie sich, nicht alles von der Verzweiflung an die Oberfläche treiben zu lassen, die sie in diesem Moment empfand. Sie hörte nichts mehr außer einem unabdingbarem Rauschen und versuchte, ihren nassen Blick auf die Stelle zu fokussieren, von der Avada Kedavra durch die Nacht gezuckt war. Als sich ihr etwas in den Weg stellte. Ein Tier. Rose zuckte zurück und riss die Augen auf, als das Ungetüm in die Knie sank wie ein friedvoller Hippogreif. Sie kniff die Augen zusammen und erkannte ein Geweih, das bedrohlich aus dessen Kopf herausragte. Es war riesig. Schnell drehte sie den Kopf, um Albus zu suchen, doch sie fand ihn nicht. Und vielleicht waren ihre Sinne doch geschärfter, als sie zunächst vermutet hatte. Es war ein Hirsch. Krone. Es hatte schon einmal einen gegeben. Die Tagebücher von James Potter, die sie zusammen mit Albus gefunden hatte.

Ohne einen weiteren Gedanken stieg Rose auf den Rücken des Hirsches und flog förmlich durch die Luft. Spürte die Sorge wachsen. Schmeckte die Angst intensiver. Sie preschten über die Grenze des Verbotenen Waldes, durch Äste und Gestrüpp, ließen sich auspeitschen von hervorschnellenden Armen und rochen den vertrauten Geruch von Holz, Harz, grünen Blättern und … Tod.
 

Rose erkannte Doyle in kaum mehr als einer Sekunde. Vielleicht hatte sie es auch schon längst gewusst. Vielleicht. Der Hirsch warf sie ab und stürzte sich auf den Zauberer, der nur kurz überrascht über ihr plötzliches Erscheinen wirkte. Zu kurz. Rose zog scharf Luft ein, als sie hart auf dem Waldboden auftraf und als sie nach ihrem Zauberstab fingerte, den sie griffbereit in der Hand gehalten, aber dann verloren hatte, fassten ihre Finger in glitschiges Nass. Bis sie realisierte, dass auch ihr Ellbogen in dieser Lache lag. Sie schob die Hand vor ihre Augen und sah dickes Blut über ihre Finger rollen. Rose entwich ein angsterfüllter Laut, als ihr Blick weiter über den Waldboden schlich und die Hand erkannte. Die im Schatten liegende Gestalt. Der blutleere, porzellanähnliche Arm. Rose robbte über den Boden und zog an dem Arm. Und dann schrie sie. Schrie so laut und verzweifelt wie noch nie in ihrem Leben. Es war nicht Dominique. Es war eine geschorene Lucy. Eine tote Lucy. Eine Lucy ohne Haare. Ohne das Weasleyrot. Rose brach über dem leblosen Körper zusammen und mutlos bedeckte sie den geschundenen Körper mit ihren Armen, versuchte sie zu heilen, irgendetwas zu tun. Doch nichts von dem stand in ihrer Macht. Sie weinte unaufhörlich, sie würde nie wieder aufhören. Ihr Herz war tot, es fühlte sich so an. Als wüsste es bereits, was nahen würde.

Sie hörte das Stöhnen, sie hörte einen weiteren Verlust. Albus. Rose blickte sich um und sah den Potter am Ende seiner Kräfte zusammensinken. Der Hirsch war fort. Albus war da. Sie sahen einander an. So fühlte es sich also an, wenn man verlor. Und zwar alles mit einem Mal. Er war der Teufel. Dieser Kerl, der ihnen das antat. Er musste der Teufel sein.

Und wenn es Merlin gab. Oder Gott, dann wünschte sich Rose in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass Scorpius nie auftauchen würde. Ihre letzte Hoffnung. Sie wünschte ihm nicht das, nicht so ein Ende. Sie wollte nicht, dass Doyle ihn je so ansah wie sie in diesem Augenblick. So hungrig. Mordlustig. Gefährlich.
 

Accio Zauberstab – sie dachte es so voller Verzweiflung. Scorpius war immer so viel besser als sie in nonverbalen Zaubersprüchen gewesen. So viel besser. Accio Zauberstab. Sie fühlte, wie etwas den Weg in ihre Hand suchte und öffnete die im Schatten liegende Faust. Rose schloss die Augen. Zwei Möglichkeiten. Angreifen und sterben oder aber … sterben, es lief alles darauf hinaus. Er würde sich jedoch gewiss Zeit lassen mit ihrem Tod.

Protego totalum“, flüsterte sie leise und errichtete einen Schutzraum um sich und Lucy, Albus und Dome, deren leblosen Körper Doyle hinter sich her schleifte. Sie besaß noch ihr Haar. Ein Glück, Dome ohne Haar …. Scorpius käme nicht durch ihre Schutzmauer hindurch, sie war viel zu geübt in diesem Zauber. Erst würde sie sterben, doch dann hatte Doyle hoffentlich die Lust am Töten verloren. Eine innere Ruhe suchte Rose heim, beinahe ein Gefühl von Zufriedenheit. Scorpius würde leben. Alice würde leben. Das war gut.

Rose schloss die Augen und erinnerte sich an den Tag zurück, als Dominique ihr so vehement gefolgt war, nur um sie zu überreden, mit auf diese Party zu kommen. „Rosie, vielleischt solltest du mit mir joggen ge’en? Du ’ast viel aufgestaute Energie.“

Dieser einstudierte, französische Akzent. Warme Tränen liefen Rose über die Wangen und sie verzog die geschwollenen Lippen zu einem Lächeln. Das war eine gute Zeit gewesen.

Doch sie war vorbei.



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Kommentare zu diesem Kapitel (18)
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Von:  LucyCameronWeasley
2013-09-21T19:21:35+00:00 21.09.2013 21:21
Oh Gott, mein armes Herz. Ich heule wie ein Schlosshund. So spannend und mitreißend und so traurig.
Von: abgemeldet
2010-12-29T10:23:45+00:00 29.12.2010 11:23
Oh Rose!..stirb bitte nicht...neeein!..
Ach die arme Lucie und Dome bald auch..meine Güte wie wird das weitergehen?..bin schon gespannt
Von:  stone0902
2010-12-24T15:39:10+00:00 24.12.2010 16:39
:*(

Das Kapitel war einfach umwerfend! Der Schluss war so fesselnd, dass ich nun total auf das nächste Kapitel gespannt bin! Man, oh man, ich muss sagen, ein wirklich großes Lob an dich, denn dieses Kapitel hat mir eine Gänsehaut bereitet. Wer hätte gedacht, dass es noch so heftig werden wird? Lily hatte anscheinend noch einmal Glück gehabt, aber nicht für alle ist dieser Abend gut ausgegangen. Jedenfalls hoffe ich, dass Scorpius kommt und das Rose überlebt! Es wäre so furchtbar, wenn sie stirbt :(

Das Kapitel war spitze!

Ach ja, und: frohe Weihnachten ;)
Von:  Knuddel-chin
2010-12-23T12:59:03+00:00 23.12.2010 13:59
OH MEIN GOTT!!!

ein einfach nur unglaubliches Kapitel
damit hätte ich defintiv nicht gerechnet...
ich bin grad noch ein bissi zu sehr von dem Kapitel mitgerissen...
ich meine so viele Leute sind gestorben, bzw. wir werden erfahren wer alles gestorben ist...
ich hoffe ja, dass Rose, Alice, Albus und Scorpius nichts weiter passiert und ihnen schnell hilfe kommt >.<

mit Spannung werde ich auf die Fortsetzug warten...
liebste Grüße
Knuddel-chin
Von: abgemeldet
2010-12-22T18:44:28+00:00 22.12.2010 19:44
Gott...bist du böse...
ich bin gespannt wie es weiter geht
Jetzt wo ich die bisherige Geschichte an 2 Tagen gelesen hab ist warten echt grausam
Ich hoffe nur du hast ein...schönes ende geplant =)
Von:  nami-girl85
2010-12-20T21:42:09+00:00 20.12.2010 22:42
ich bin grade 'leicht' geschockt.
diese wendung ist so unerwartet gekommen, so plötzlich und dann sterben so viele.
und keiner weiß wies weiter geht und man kann sich nichts denken und meine gedanken gingen in eine ganz andere richtung und dann geht die freundschaft zwischen Scorpius und den anderen zu ende weil er wieder zu Rose geht.
nicht das du das falsch verstehst das ist ja wunderbar aber ich bin sprachlos!
das ende hat mich förmlich an den bildschirm festgesaugt und nicht mehr losgelassen bis ich jetzt ein kommentar dazu schreiben konnte.

also bitte bitte beeil dich und lass uns nicht mit so einem grausamen kapitelende zu lange warten.
oooh und lass es bitte noch für den rest der beteiligten gut ausgehen ôo
geschockte und sprachlos liebe grüße,
nami :)
Von:  Adara
2010-12-20T16:07:37+00:00 20.12.2010 17:07
O.o
...
O.O!!!!
Oh mein Gott! Was hast du getan?
Ich meine, nicht dass ich dises Kapitel nicht anbetungswürdig, göttlich und einfach nur meisterhaft finde, aber... Oh mein Gott!

Ich bin ja auch mal gespannt, welches Tier Scorpius ist. Hoffentlich kein weißes Frettchen... Das würdest du ihm doch nicht antun, oder?
Und Alice...

Grausam und meisterhaft. Mach weiter so. Aber wenns nach mir geht, brauchst du nicht mehr so viel Blut zu zeigen...
Von:  scater-fiffy
2010-12-20T14:52:52+00:00 20.12.2010 15:52
oh mein gott
kranke scheiße wie geil und hörst an der besten stelle auf zu schreiben

das ist nicht faaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaair

bitte macht bald weiter ^^

ggglg fiffy^^
Von:  eva-04
2010-12-20T14:18:32+00:00 20.12.2010 15:18
unglaublich gut geschriebenes kappi:)
wow ich hätte gedacht das rose anderst am anfang auf scorpius reagieren würde:)
ich bin sowas von gespannt wie es weiter gehen wird:)
du hast einen guten unsympazischen bösewicht geschaffen:)
ich hoffe das es ein happy-end geben wird:)

*wink*
Von:  _Effy_
2010-12-20T10:42:18+00:00 20.12.2010 11:42
wäh ich habe überall gänsehaut. einfach genial geschrieben ♥


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