Shiomari von abgemeldet (Waffen, Brüder und andere Probleme) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Märchen aus alter Zeit ------------------------------------- Rin hatte Hunger. Und da Sesshōmaru-sama gesagt hatte, wenn sie Hunger habe, müsse sie sich selbst Etwas zu essen suchen, war sie nun dabei genau das zu tun. Auf ihrer Suche gelangte sie schließlich an das Ufer eines schmalen Flusses, in dem eine junge Frau mit geschürztem Yukata stand und vollkommen reglos, konzentriert auf die Wasseroberfläche starrte. Plötzlich bückte sich die Frau blitzschnell und griff nach etwas im Wasser. Im nächsten Moment hielt sie einen zappelnden Fisch in der Hand, den sie mit einem gezielten Schlag auf das Genick tötete. Als sie anschließend zum Ufer zurückkehrte, entdeckte die Frau das kleine Mädchen und lächelte ihr freundlich zu. „Hast du Hunger?“, erkundigte sich die Fremde, als sie am Ufer angekommen war, worauf Rin nickte. „Wenn du willst, teilen wir uns den Fisch“, schlug die Frau daraufhin vor, während sie ihren Yukata richtete. „Aber Sesshōmaru-sama und Jaken-sama warten doch auf mich“, erklärte Rin und warf einen bedauernden Blick auf den Fisch. Die Frau neigte den Kopf leicht zur Seite, maß das Mädchen vor sich mit einem prüfenden Blick und erkundigte sich: „Sind sie weit von hier entfernt?“ Rin schüttelte den Kopf. „Hol sie her, wir können zusammen essen.“ Skeptisch sah Rin auf den Fisch, „Ich glaube nicht, dass der für alle reicht.“ Die Frau lächelte, „lass das meine Sorge sein. Nun lauf.“ Mit einem dankbaren Lächeln und einem weiteren Nicken tat Rin wie ihr geheißen und lief eiligst zu ihren Begleitern zurück. „Rin, wo hast du wieder gesteckt? Was fällt dir ein, einfach zu verschwinden und Sesshōmaru-sama und mich warten zu lassen?!“, zeterte Jaken, als Rin bei ihnen angekommen war. Wie gewohnt achtete das Mädchen nicht auf das Geschimpfe des Kappa, sondern wandte sich direkt an den Hundedämon: „Sesshōmaru-sama, am Fluss ist eine Frau, die uns eingeladen hat, mit ihr zu essen. Können wir zu ihr gehen, bitte?“ Während sie sprach hatte Rin mit der Hand in die entsprechende Richtung gewiesen und einen flehenden Gesichtsausdruck aufgesetzt. Wie üblich antwortete anstelle des Yōkai sein selbsternannter Adjutant. „Rin, du weißt genau, dass Sesshōmaru-sama Menschen nicht leiden kann, wie kannst du es wagen ihm den Vorschlag zu machen, mit einer zusammen zu essen.“ Bereits zu Beginn von Jakens Tirade hatte Sesshōmaru sich mit stoischem Gesichtsausruck in Bewegung gesetzt, nachdem er Rin einen Moment schweigend betrachtet hatte. Er schlug genau die Richtung ein, in die das Mädchen zuvor gewiesen hatte, was Jaken wieder einmal die Sprache verschlug und Rin ein freudestrahlendes „Danke, Sesshōmaru-sama“ entlockte. Jaken trottete den Beiden mit Ah-Un im Schlepptau hinterher, – manchmal hatte er das Gefühl Sesshōmaru-sama hatte Spaß daran das Gegenteil von dem zu tun, was er, Jaken, behauptete. Je näher sie der von Rin angegebenen Stelle kamen, umso stärker wurde der Geruch nach gebratenem Fisch und umso besser wurde Jakens Laune. Sesshōmaru-sama hatte mit seiner Entscheidung wie immer Recht gehabt, es roch einfach unglaublich gut, wenn man bedachte, dass sich die kleine Truppe im Allgemeinen nur von Wurzeln, Pilzen, Blättern und Wassermelonen ernährte. Als sie schließlich den Ursprungsort des Duftes erreichten, kniete die Frau vor einem Feuer über dem an vier Stöcken Fische brieten, während die Unbekannte in einem kleinen, gusseisernen Topf rührte. Mit einem Lächeln sah sie schließlich auf und neigte grüßend den Kopf, bevor sie die Neuankömmlinge bat, sich zu setzen. Während Rin mit freundlicher Dankbarkeit und Jaken mit dem Habitus dessen, der eine Gunst erweist, dieser Aufforderung nachkamen, blieb Sesshōmaru schweigend und unbeeindruckt etwas abseits stehen und beobachtete, wie die Frau je einen Klumpen Reis und einen Fisch auf große Staudenblätter legte und diese an die anderen Beiden weiterreichte, die sich mit Heißhunger und spitzen Fingern, um sich nicht zu verbrennen, über das Essen her machten. Ohne sich von der abweisenden Art des Hundeyōkais abschrecken zu lassen, legte die Frau auf einen der verstreut herumliegenden Felssteine ein Staudenblatt auf dem sich Fisch und Reis für diesen befanden und wandte sich anschließend ihrem eigenen Essen zu. Misstrausich beobachtete Sesshōmaru die Vorgänge, ohne sich etwas von seiner Skepsis gegenüber der Unbekannten anmerken zu lassen. Diese Frau war merkwürdig. Sie roch weder menschlich noch dämonisch, allenfalls war ein leichter Geruch von Lotusöl, Reispapier und Metall wahrzunehmen. Das lose am Kopf aufgesteckte Haar war tiefschwarz und schien jegliches Licht zu schlucken. Die Augen wiesen ein so dunkles Blau auf, dass es schwierig war zwischen Pupille und Iris zu unterscheiden, ihre Haut besaß einen matten Braunton. Ihre Statur war schlank und sehnig, die Bewegungen zeugten von Ruhe und Selbstvertrauen. Sie hatte mit keiner Wimper gezuckt, als sie Jaken und ihn gesehen hatte. Eine unnatürliche Reaktion sowohl für Menschen, die für gewöhnlich schreiend davon liefen, als auch Dämonen, die entweder kämpfen wollten oder angemessen ehrfürchtig zur Seite wichen. Sesshōmaru traute grundsätzlich niemandem außer sich selbst, bei dieser Frau würde er doppelt auf der Hut sein, bis er wusste, was es mit ihr auf sich hatte. Während der Hundedämon in stoischem Schweigen verharrte, sich weder von der Stelle rührte noch von dem angebotenen Essen etwas zu sich nahm, hatte Rin begonnen die Frau auszufragen. „Wie heißt du eigentlich, Onee-san?“ Ein Lächeln glitt über das Gesicht der Gefragten, während sie erwiderte: „Denk dir einen Namen aus, ich werde auf ihn hören.“ Mit großen Augen sah Rin zu der Fremden auf, nickte dann und erwiderte nach kurzem Nachdenken: „Was hältst du von Mitsuki?“ Wieder lächelte die Frau und nickte. „Reist du ganz allein?“, erkundigte Rin sich als nächstes neugierig und erklärte auf die Bestätigung dieser Frage hin besorgt, dass das doch sehr gefährlich sei. Mitsuki jedoch wehrte ruhig ab, dass sie schon zurecht käme, während Jaken Rin zu zischte, dass sie die Frau überhaupt nichts anginge und sie sich auch keine Sorgen um sie machen bräuchten. Rin ließ sich davon jedoch nicht abschrecken und fuhr mit ihrer Befragung fort: „Hast du es noch weit bis zu deinem Ziel?“ „Nein, ich bin in zwei Tagen zu Hause“, erwiderte Mitsuki und nahm damit die Antwort auf Rins nächste Frage gleich vorweg. „Sesshōmaru-sama, da Ihr keinen Hunger zu haben scheint, erkläre ich mich bereit, Eure Portion zu verspeisen. Es wäre doch ein Jammer, wenn es verderben würde“, warf in diesem Moment Jaken ein und schnappte sich das nach wie vor unbeachtete Essen, um es in sich hinein zu stopfen. Inzwischen war es dunkel und merklich kühler geworden, trotz des Feuers fröstelte Rin, und zog die Beine näher an ihren Körper, um sich zu wärmen. Im nächsten Augenblick wurde ihr von Mitsuki ein graublauer, kurzer Yukata mit den Worten entgegengehalten: „Zieh das an, Rin, er wird dich wärmen.“ Erstaunt bedankte sich Rin zunächst und zog den Yukata über, während sie sich erkundigte: „Woher weißt du, wie ich heiße?“ „Jaken hat dich vorhin so angesprochen.“ „Und woher kennst du Jaken-samas Namen?“ „Wer kennt nicht den ehemaligen König der Kappa,…“ – an dieser Stelle schwoll Jakens Brust vor Stolz angesichts seiner Berühmtheit – „…der sein Volk schmählich dem Untergang überließ?“, antwortete Mitsuki und Jaken sackte enttäuscht wieder in sich zusammen, soviel zu seiner Berühmtheit. „Möchtest du eine Geschichte hören, Rin?“, fuhr Mitsuki unterdessen mit der Unterhaltung fort und begann auf Rins begeistertes Nicken hin von der Legende des Schwertes Shiomari zu erzählen. „Zu einer Zeit, als Götter und Menschen noch gemeinsam die Erde bewohnten, lebte auch ein kluger und in den Zauberkünsten bewanderter Schmied, namens Amatsu. Dieser hatte nur einen Sohn, Atami mit Namen, seine Frau war vor langer Zeit gestorben. Amatsu liebte seinen Sohn über alles und verwöhnte ihn maßlos, er war blind gegenüber Atamis Fehlern und schönte die wenigen guten Seiten. Zu Atamis 18. Geburtstag schenkte er ihm ein Tsurugi, damit Atami ein ehrenvoller, mächtiger Krieger werden konnte, der für Gerechtigkeit und Frieden eintrat. Doch Atami gebrauchte dieses Geschenk schlecht und machte sich einen Spaß daraus seine Mitmenschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Auf die inständigen Bitten des Vaters reagierte er nur mit Hohn und Abfälligkeiten. Eines Tages war Atami in der Nähe der Schmiede auf eine Gruppe Reisender gestoßen und da er sich langweilte, hatte er begonnen einen nach dem anderen zu töten. Als sein Vater, von den Schreien der Reisenden herbeigelockt, sah was sein Sohn tat, stellte er sich ihm in den Weg, um zu verhindern, dass er weiter mordete. Doch Atami hatte Geschmack daran gefunden ohne Grund zu töten, dass sich sein Vater ihm nun in den Weg stellte, war mehr als ausreichend für den Undankbaren, Shiomari an seinem Schmied zu erproben. Sterbend erkannte Amatsu wie sehr er sich in seinem Sohn geirrt und wie groß seine eigene Schuld an dem schlechten Charakter seines Sohnes war. Ihm blieb nur noch eine Möglichkeit, um zu verhindern, dass Atami das Schwert weiter nutzen konnte. Er legte die Hände um den Griff des Schwertes, das in seinem Bauch steckte, und versah es mit dem mächtigsten Bannspruch, den er beherrschte. Kurz darauf starb er. Als Atami Shiomari aus dem Leichnam seines Vaters ziehen wollte, geschah etwas, das selbst die, die es mit eigenen Augen sahen, nicht glaubten: Es gelang Atami nicht das Schwert auch nur einen bu zu bewegen, stattdessen begann er immer schneller zu altern. Mit Mühe nur löste er die Finger schließlich von dem Schwertgriff, starrte fassungslos auf seine zitternden, verrunzelten und mit Altersflecken übersäten Hände und lief schließlich schreiend davon. Die übrig gebliebenen Reisenden machten sich später daran den Körper des toten Schmieds mit Steinen zu bedecken, sie schichteten diese so hoch, bis selbst das Schwert vollkommen verschwunden war. Viele Jahre zogen ins Land, auf Winter folgte Frühling, auf Sommer Herbst, Menschen wurden geboren, wurden alt und starben, die Götter zogen sich von der Erde zurück und das Grab Amatsus geriet in Vergessenheit, verwitterte und war den Naturgewalten ausgesetzt. Eines Tages wanderte der junge Hanyō Jurojin durch einen Wald und gelangte zu einem Haufen bewachsener und in sich verkanteter Felsbrocken, ein Erdbeben schien einige der obersten Steine gelöst zu haben. Als auf das so entstandene Loch ein Sonnenstrahl fiel, entdeckte Jurojin den Griff eines alten Schwertes. Er legte die Hand darum und versuchte es heraus zu ziehen, doch es gelang ihm nicht. Also begann er das Loch zu vergrößern, um besser an das Schwert heranzukommen. Schließlich schaffte er es, das Schwert heraus zu ziehen und betrachtete es nachdenklich, es war angelaufen und stumpf, aber ansonsten noch gut zu gebrauchen. Er beschloss es zu behalten und damit zu trainieren. Jurojin war ein einsamer kleiner Junge, von den Einen gefürchtet, von den Anderen verachtet, von Allen gemieden. Seine Mutter war gestorben als er sechs war, eine grausame Laune des Schicksals hatte ihn am Leben erhalten, nun war er elf und wusste nicht, warum er eigentlich lebte. Da Jurojin niemanden zum Reden hatte, begann er mit dem Schwert, seinem wertvollsten Besitz, zu sprechen, wenn er es reinigte und pflegte. Eines Nachts lag er nach einem Tag anstrengenden Trainings auf einer Lichtung und starrte hinauf zu den Sternen, als sich eine Sternschnuppe löste und über den Himmel glitt. Flüsternd teilte der Junge dem fallenden Stern seinen Wunsch mit und schloss dann die Augen, um zu schlafen. Als er am nächsten Morgen erwachte, hatte das Schwert Gestalt angenommen und Jurojin war nicht mehr allein. Es vergingen Jahrhunderte, in denen Jurojin und Shiomari viele Kämpfe bestanden, Freunde gewannen und verloren, sich Feinde schufen und besiegten und Jurojin große Macht erlangte. Doch irgendwann war Jurojin der Kämpfe und des Lebens müde und er beschloss dafür Sorge zu tragen, dass Shiomari nicht in die falschen Hände geriet. So ging er eines Morgens in den Wald von Sameji und trieb Shiomari bis zum Heft in einen Felsen. Nur wer sich des Schwertes würdig erwies, würde es heraus ziehen können. Jurojin starb bald darauf durch den Pfeil eines Feindes und Shiomari verblieb in dem Felsen, auf einen Krieger wartend, der es heraus ziehen konnte. Es kamen Krieger, Menschen wie Obake. Einigen gelang es, das Schwert aus dem Stein zu ziehen, Anderen nicht. Aber keinem gelang es Shiomari zu beherrschen, keiner war in der Lage es sich dienstbar zu machen und es gegen seine Feinde zu führen. Seitdem ist eine lange Zeit vergangen - und Shiomari wartet noch immer.“ Leise war die Stimme Mistukis verklungen, während Rin in den Yukata gekuschelt und an Ah-Un gelehnt eingeschlafen war. Auch Jaken war beinahe eingeschlafen, nuschelte aber noch leise: „Sameji? Ist das nicht hier in der Gegend?“, bevor er zu schnarchen anfing. Mitsuki lächelte wissend vor sich hin und schwieg. Stille senkte sich auf die kleine Versammlung herab, nur hin und wieder durch ein Seufzen Rins, ein Schmatzen Jakens, ein leises Schnauben Ah-Uns und das Knacken eines verkohlten Zweiges in der Glut unterbrochen. Während der Erzählung hatte sich Sesshōmaru ebenfalls bei der kleinen Gruppe niedergelassen und sah nun nachdenklich schweigend, wie so oft, hoch in den Sternenhimmel, als erwarte er dort Antworten auf seine ungestellten Fragen zu finden. Ein leises Rascheln aus Mitsukis Richtung, ließ ihn den Kopf wenden und er sah, wie die junge Frau aus einer der Ärmelfalten ihres Yukata eine schmale, kleine Flöte hervor holte. Durch ihre Bewegungen klaffte der Ausschnitt des Kleidungsstücks etwas weiter auseinander, sodass die Haut oberhalb ihres Brustansatzes zu sehen war. Der Schein des beinahe vollkommen heruntergebrannten Feuers fing sich im Metall einer filigranen Goldschmiedearbeit, in deren Mitte ein dunkler Schmuckstein prangte. Es wirkte fast, als wäre dieser kunstvolle Anhänger in ihre Haut eingelassen, so fließend waren der Übergang zwischen Haut und Metall. Unterdessen hatte Mistuki die Flöte an den Mund gehoben und zu spielen begonnen. Leise und sanft. Beruhigend, einschläfernd. Kapitel 2: Unwillkommenes Wiedersehen ------------------------------------- Vogelzwitschern, eine sanfte Brise, das leise Rauschen des Flusses, der Geruch nach Essen – das waren die ersten Eindrücke, die Sesshōmaru wahrnahm, als er am Morgen erwachte. Er hatte geschlafen? Wie konnte das sein, Yōkai brauchten nur sehr wenig Schlaf und er war am Abend kein bisschen müde gewesen. Abgesehen davon, würde er sich nicht einfach in einer ihm unbekannten Gegend irgendwo schlafen legen. - Die Flöte! Suchend sah er sich nach Mitsuki um, obwohl ihm sein Geruchssinn bereits mitteilte, dass sie nicht mehr in der Nähe war, der schwache Geruch von Lotusöl war gänzlich verschwunden, ebenso wie die junge Frau. Zurückgelassen hatte sie den kleinen, gusseisernen Topf, in dem erneut Reis vor sich hin kochte. Auf drei Stöcke gespießt brieten Fische über dem Feuer. Irritiert betrachtete Sesshōmaru dieses Szenario, was bezweckte Mitsuki damit? Neben ihm begannen sich nun auch Jaken und Rin zu regen. Gähnend erwachten sie und wünschten Sesshōmaru einen guten Morgen, bevor sie sich mit neuem Appetit und unverdrossen über das Frühstück hermachten. Während sie aßen, sah sich Rin suchend um, „wo ist Mitsuki-san?“, erkundigte sie sich schließlich verwundert. Da sie darauf keine Antwort erhielt, fügte sie hinzu: „Ich wollte mich doch noch bei ihr bedanken und ihr den Yukata zurückgeben.“ „Sie scheint schon eine Weile nicht mehr hier zu sein, du wirst auf eine Danksagung also verzichten müssen“, erklärte Jaken daraufhin ungerührt, nachdem er die letzten Bissen seines Essens hinunter geschluckt hatte. Schließlich hatten sie das Frühstück beendet und waren wieder aufgebrochen, um ihre Reise fortzusetzen. Während sie wanderten, erkundigte sich Rin bei Jaken, ob es das Schwert, von dem Mitsuki erzählt hatte, tatsächlich gebe. Mit vor der Brust verschränkten Armen, den Jintōjō in seiner Armbeuge festgeklemmt und mit geschlossenen Augen, um sich besser konzentrieren zu können, dozierte Jaken in gewichtigem Tonfall: „Das Schwert selbst hat seit Jahren niemand gesehen, aber es gibt jede Menge Legenden darüber. Jurojin soll mit ihm Ragnarok besiegt haben und gegen eine ganze Armee von Dämonen angetreten sein. Nachdem er über diese gesiegt hatte, soll er der Herr über die südlichen Länder geworden sein. Deshalb hat er wohl auch Shiomari im Wald von Sameji versteckt.“ „Wer ist Ragnarok?“, erkundigte sich Rin neugierig, die mit diesem Namen nichts anfangen konnte. „Ragnarok war vor hunderten von Jahren, der Herr der Spinnendämonen, er war riesig und galt als klug, grausam und unbesiegbar. Nachdem Jurojin ihn besiegt hatte, wurde er zum erklärten Todfeind der Spinnendämonen. Aber keiner von ihnen hat es geschafft, ihm auch nur einen Kratzer zu zufügen. Allerdings gibt es eine Geschichte, nach der der Pfeil, der Jurojin schließlich tötete, aus den Knochen Ragnaroks hergestellt worden sein soll.“ Nachdem Jaken seine Antwort beendet hatte, wurde über dieses Thema nicht mehr gesprochen, während die kleine Gruppe ihre Reise fortsetzte, ohne dass zwei Drittel von ihr überhaupt wussten, wohin es eigentlich ging. Aber sie fragten nicht, sie vertrauten Sesshōmaru und würden ihm blind überall hin folgen. Am dritten Tag nach ihrer Begegnung mit Mistuki gelangten sie an den Rand eines Waldes und Jaken machte große Augen, als er feststellte, dass es sich um den Wald von Sameji handelte. Glaubte Sesshōmaru-sama etwa dieser alten Legende und wollte dieses Schwert nun zu seinem Eigentum machen? Aber er traute sich nicht seinen Herrn zu fragen, stattdessen folgte er ihm widerspruchslos in den Wald. Als sie diesen etwa zur Hälfte durchquert hatten, gelangten sie auf eine kleine Lichtung, in deren Mitte eine einfache Holzhütte stand. Vor dieser Hütte, auf einem sie umgebenden Holzsteg, lag ein großes Tier und döste, den Kopf auf seine Vorderpfoten gelegt, in der Nachmittagssonne. Das Seltsame an diesem Tier war nicht nur, dass sein Fell von so reinem Weiß war, dass es die Augen blendete, sondern dass Ohren, Schweif und Mähne die eines Pferdes waren, während der restliche Körper eindeutig in die Kategorie 'zu groß geratene Raubkatze' fiel. Als sich die Reisegruppe der Hütte näherte, hob das Tier seinen Kopf und blickte prüfend in ihre Richtung. Setzte sich schließlich auf seine Hinterpranken, schüttelte den riesigen Kopf und peitschte träge mit seinem Schweif den Holzboden. Auf seiner Brust leuchtete von der Sonne erhellt eine hervorragend gearbeitete Goldschmiedearbeit, in deren Mitte sich ein blutroter Schmuckstein befand, der genau denselben Farbton aufwies, wie die Augen des katzenartigen Wesens. In all dem Weiß stachen sie noch mehr hervor, als sie es ohnehin getan hätten. Sesshōmaru war am Rand der Lichtung, unter den letzten Bäumen stehen geblieben, während sich der Rest seiner kleinen Reisegruppe abwartend hinter seinem Rücken hielt, und starrte ebenso konzentriert auf das Untier, wie dieses auf die Neuankömmlinge. Von einem Moment auf den anderen setzte das Tier plötzlich zum Sprung an, landete mit einem mächtigen Satz vor Sesshōmaru und griff diesen ohne zu zögern an. Der Yōkai war ein wenig zurück gewichen und hatte mit emotionsloser Stimme „Jaken“ geäußert, während er bereits die Finger versteifte und an ihnen eine giftig grüne Substanz hervortrat, um dieses unerfreuliche, kleine Intermezzo zu beenden. Jaken wusste, was von ihm erwartet wurde und brachte schleunigst Rin und Ah-Un außer Reichweite der Geschehnisse. Unterdessen schlug Sesshōmaru den Angreifer mit seiner Giftklaue zurück. Das Katzentier jedoch wich geschickt der zuschlagenden Klaue aus, ebenso wie den umgehend hinterher geschickten sichelförmigen Energieklingen, wechselte schneller als das Auge folgen konnte die Richtung seines Angriffs und war nun im Rücken Sesshōmarus. Im letzten Moment gelang es diesem dem Tier auszuweichen, das sich mit seinem gesamten Körpergewicht gegen ihn werfen wollte. Während die Pferdekatze ihr Gleichgewicht suchte, erneut die Richtung wechselte und nun wieder direkt auf den Hundeyōkai zulief, bildete sich an den Fingerspitzen desselben eine dünne Schnur reiner Energie aus, mit der er umgehend zuschlug. Doch wieder wich das Tier mühelos jedem der Peitschenschläge aus und versuchte dem Dämon dabei immer näher zu kommen. Diesem blieb nichts anderes übrig als zwischen den Bäumen zurück zu weichen. Da Sesshōmaru es seiner unwürdig fand, sich wie ein Kaninchen durch die Gegend jagen zu lassen, wechselte er abrupt seine Taktik, sprang mit atemberaubender Schnelligkeit hinter das Biest und zog zugleich Tōkejin aus der Scheide. Sein Fuß hatte kaum den weichen Waldboden berührt, als er sich von zwei riesigen Tatzen gegen einen Baumstamm gedrückt und festgehalten fühlte. Was für eine Demütigung, er, der Sohn des mächtigen Inu no Taishō, festgehalten von einem Wesen, das noch nicht einmal einen Hauch von dämonischer Aura besaß und ihn in diesem Moment fröhlich anzugrinsen schien, ohne dabei die geringsten Anstalten zu machen sein Opfer zu töten. Sondern den Anschein erweckte, es wolle Sesshōmaru aufmunternd mit der Schnauze anstubsen, die Niederlage nicht so tragisch zu nehmen. Tōkejin war in dieser Situation bestenfalls geeignet, das Tier an seiner Flanke zu kitzeln. Kurzerhand blies Sesshōmaru der Pferdekatze Giftatem ins Gesicht, worauf diese sich mit einem erstaunten Fiepen und niesend von ihm abwandte, sich auf dem Waldboden auf ihren Hinterpranken niederließ und mit einer Pfote immer wieder über ihre Nase wischte. Ohne weiter auf das Tier zu achten, steckte Sesshōmaru sein Schwert zurück in die Scheide und machte sich zurück auf den Weg zur Lichtung, um Rin, Jaken und Ah-Un einzusammeln und mit ihnen weiter zu reisen. Während er sich wieder der Lichtung näherte, verstärkte sich der ihm bereits bekannte Geruch nach Lotusöl, Reispapier und Metall, den er in der Nase hatte, seit sie den Wald betreten hatten und dessen Quelle die Pferdekatze gewesen war, noch einmal. So war Sesshōmaru nicht überrascht, als er die Lichtung betrat und Mitsuki zusammen mit Rin und Jaken vor der Hütte sitzen sah. Was allerdings bemerkenswert war, war die Tatsache, dass die Pferdekatze sich ebenfalls bereits wieder auf der Lichtung befand, den Kopf in Mitsukis Schoß gelegt und sich graulen ließ. Lange bevor Sesshōmaru nah genug war, als dass seine Begleiter ihn hätten bemerken können, konnte er bereits der stattfindenden Unterhaltung lauschen. „Wir hätten doch zusammen reisen können, dann wärst du nicht so allein gewesen.“ „Rin, es ist ganz allein die Entscheidung der Frau, was sie tut und lässt, belästige sie nicht. Außerdem wäre es Sesshōmaru-sama sicher nicht Recht gewesen“, unbeeindruckt von Jakens Einwurf fuhr Rin mit einem Lächeln fort, während sie mit den Beinen baumelte: „Aber ich freu mich, dass wir uns wieder sehen, ich habe noch deinen Yukata.“ „Behalte ihn ruhig, er ist ein Geschenk“, erwiderte Mitsuki mit ruhiger Freundlichkeit, worauf sich Rin Freude strahlend bedankte. Es war lange her, dass sie ein Geschenk erhalten hatte, da war es nicht von Bedeutung, dass ihr der Yukata viel zu groß war und sie ihn eher als Mantel mit Schleppe tragen konnte. „Warum hat dein Tier eigentlich Sesshōmaru-sama angegriffen, das war nicht nett“, setzte Rin anschließend das Gespräch fort, während Jaken überzeugt und herablassend hinzufügte: „Vor allem war es nicht sehr klug. Niemand ist stärker als Sesshōmaru-sama, das Biest kann von Glück sagen, dass es noch lebt.“ Offenbar empfand die Pferdekatze Jakens Äußerung als Beleidigung, denn sie hob den Kopf, fixierte Jaken mit ihren roten Augen und knurrte leise. Gleichzeitig erklärte Mitsuki: „Er hat sich gelangweilt und wollte ein bisschen spielen, das ist alles, er hatte nie vor, eurem Herrn etwas anzutun.“ Skeptisch betrachtete Jaken daraufhin das riesige Tier vor sich, während Rin sich neugierig erkundigte: „Hat er einen Namen?“ Wie drei Tage zuvor am Flussufer erschien auch dieses Mal ein Lächeln auf Mitsukis Lippen und sie erwiderte: „Gib ihm einen Namen, er wird auf ihn hören.“ Und wieder sah Rin verwundert zu der Frau neben ihr auf, bevor sie der Aufforderung folgte, sich das Tier ansah und schließlich „Tomoki“ äußerte, wobei sie fragend zwischen dem Tier und der Frau hin und hersah, um zu erfahren, ob der Name in Ordnung wäre. Die Pferdekatze brummte und Mitsuki nickte, also war der Name beschlossen. Bevor Rin ihre Befragung fortsetzen konnte, erhob sich Jaken und lief erleichtert Sesshōmaru entgegen, der in diesem Moment die Lichtung betrat, sich bei ihm erkundigend, ob sie nun weiterreisen würden. Als die beiden nah genug heran gekommen waren, begrüßte Mistuki den Hundeyōkai mit einer höflichen Neigung des Kopfes und äußerte: „Es wird bald dunkel sein, wenn es euch Recht ist, könnt ihr hier übernachten.“ Auf eine Entscheidung wartend, blickten Rin und Jaken daraufhin zu Sesshōmaru auf, dieser entgegnete lediglich: „Wir bleiben.“ Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass Mitsuki sich erhob und begleitet von Tomoki die Hütte betrat, nachdem sie ihre Gäste herein gebeten hatte. Das Innere der Hütte bestand lediglich aus einem Raum, in dessen Mitte sich eine Feuerstelle befand und der ansonsten nur das Allernotwendigste zum Leben enthielt. An der Rückseite der Hütte befand sich noch ein gesonderter Raum, der als Badestube diente. Diesem stattete Rin einen ausgedehnten Besuch ab, bevor es als Abendessen eine reichhaltige Misosuppe gab. Dieses Mal aß jedoch nicht nur Sesshōmaru nichts, sondern auch Mitsuki und Tomoki nahmen nichts zu sich. Wachsam beobachtete der Yōkai ihre Gastgeberin und deren Haustier, er hatte kein Gift wittern können und Jaken war während der Zubereitung des Essens die gesamte Zeit anwesend gewesen, sodass Mitsuki keine Möglichkeit hatte, etwas in das Essen zu mischen, das nicht hinein gehörte, dennoch konnte eine gewisse Vorsicht nicht von Nachteil sein. Während des Essens hatte Tomoki sich aus seiner Zimmerecke erhoben, die Hütte verlassen und war im Dunkel des Waldes verschwunden. Auch Mitsuki verließ schließlich leise und ohne ein Wort zu sagen den Raum, sobald Rin eingeschlafen war. Sesshōmaru entschied sich, ihr zu folgen, Jaken zurücklassend, damit dieser auf Rin aufpasste. Lauschend und witternd stand der Hundeyōkai einen Moment vor der Hütte, um heraus zu finden, wohin Mitsuki verschwunden war, wandte sich dann Richtung Nordwesten und folgte lautlos dem schwachen Geruch von Lotusöl bis zu einer weiteren Lichtung, an deren einem Ende eine riesige Felsformation emporstrebte. Am oberen Ende einer steil aufragenden Felsplatte, an einer Stelle, die für Menschen nur nach äußerst beschwerlicher Kletterei zu erreichen war, ragte der Griff eines Schwertes aus der Wand. Schräg unterhalb davon, auf einem breiten Felsvorsprung saßen zwei Personen. Eine Frau mit dem Rücken an die Brust eines Mannes gelehnt, dessen Arme sich Besitz ergreifend um die Frau schlossen. Die Köpfe waren aneinander gelehnt, sodass sich die schlohweißen Haare des Mannes mit den pechschwarzen der Frau mischten. Selbst die helle Kleidung des Mannes schien fließend in den dunklen Yukata der Frau über zugehen. Das gesamte Bild vermittelte den Eindruck absoluter Einheit, die in ihrer Vollständigkeit ausschließlich war. Nichts und niemandem würde es gelingen sich zwischen diese beiden Teile eines Ganzen zu drängen oder je dazu zugehören. Obwohl die Beiden sich nur leise flüsternd unterhielten, gelang es Sesshōmaru mühelos dem Gespräch zu folgen. Allerdings stellte er irritiert fest, dass jedes Mal, wenn einer der Beiden, den Anderen mit Namen ansprach, er nicht in der Lage war, das Wort zu erfassen. Er hörte es und wußte, dass es keiner der Namen war, die Rin den beiden Wesen gegeben hatte. Jedes Mal hatte er für Sekunden den Eindruck, die Namen verstanden zu haben, doch schon im nächsten Augenblick waren sie, wie die Schatten eines vergangenen Traumes, bereits wieder seinem Hirn entschwunden und ließen nichts zurück, als das Wissen, dass es sie gab. „Du bist also der Ansicht, wir sollten es ihn versuchen lassen, trotzdem er nur einen Arm und schon zwei Schwerter besitzt“, diese leise Feststellung kam von der dunkelhaarigen Frau, bei der es sich um Mitsuki handelte. Der Mann nickte mit einem leichten Lächeln und erwiderte ebenso leise: „Er ist stark, auch wenn er nur einen Arm besitzt. Tenseiga taugt nicht viel und Tōkejin ist zwar als Waffe ganz nett, aber nicht wirklich beeindruckend.“ „Tenseiga ist eines der mächtigen Zwillingsschwerter, es gibt Leben und du nennst es nutzlos“, obwohl es eine Zurechtweisung war, klang Mitsukis Stimme lediglich als träfe sie eine Feststellung. „Es taugt nicht im Kampf, wenn es darum geht zu töten“, erwiderte ihr Begleiter daraufhin gelassen. „Aber es könnte“, wieder eine gelassene Feststellung Mitsukis, bevor sie fortfuhr: „Ich glaube nicht, dass es ihm mit nur einem Arm gelingen wird, das Schwert zu ziehen, bisher haben alle beide Hände und alle Kraft dafür benötigt.“ „Lass es ihn versuchen, gelingt es ihm nicht, lässt es sich nicht ändern. Gelingt es ihm doch, werden wir weiter sehen“, schlug der weißhaarige Mann vor und fügte hinzu: „Wenn du so sehr an ihm zweifelst, warum hast du ihn erst hier her gelockt?“ „Dir war langweilig und du gierst danach wieder zu kämpfen, so war es in jedem Fall eine kleine Abwechslung für dich.“ Bei dieser Antwort Mitsukis lachte der Mann leise auf, zog sie näher an sich und erklärte: „Dann ist es beschlossen: Der Welpe darf Morgen sein Glück versuchen.“ Dieser gerade als Welpe titulierte Herr der westlichen Länder musste in diesem Moment sehr an sich halten, um diese Beleidigung seiner Person nicht umgehend zu rächen. Er beschloss bis zum nächsten Tag zu warten und sobald er im Besitz Shiomaris war, würde er es dazu benutzen diesem Kerl Manieren beizubringen. Kapitel 3: Wie Hund und Katz ---------------------------- Kaum dass das erste Licht des neuen Tages durch das Blätterdach des Waldes drang, kehrte Sesshōmaru zurück auf die Lichtung, an deren Rand sich das Schwert im Felsen befand. Er hatte es vorgezogen die Nacht außerhalb der kleinen Hütte zu verbringen, war jedoch stets wachsam geblieben, um beim kleinsten Anzeichen von Gefahr eingreifen zu können. Doch nichts war geschehen; die Nacht hatte sich ihrem Ende zu geneigt, ohne dass Mitsuki oder ihr vierbeiniger Begleiter zur Hütte zurückgekehrt wären. Als Sesshōmaru die Lichtung erreichte, lag diese völlig verlassen da, während Sonne, Wolken und Blätter ein sich ständig änderndes Muster aus Licht und Schatten auf Boden und Felsen zeichneten. Ohne sich davon ablenken zu lassen, schritt der Yōkai zielstrebig auf den Felsen zu und sprang mit übermenschlicher Leichtigkeit die Felsbrocken hinauf, bis er bequem den Griff des Schwertes erreichen konnte. Sobald er seine Hand um den Griff legte, spürte er ein warmes Prickeln an seiner Handfläche, das sich allmählich seinen ganzen Arm hinaufzog, um dann ebenso plötzlich zu enden, wie es begonnen hatte. Sesshōmaru ließ sich davon nicht beeindrucken, packte den Griff des Schwertes fester und zog das Schwert aus dem Felsen. Widerstandslos glitt die Klinge aus ihrer steinernen Scheide, blinkte auf, wenn ein Sonnenstrahl auf das mattdunkle Metall traf und schien nur darauf gewartet zu haben, endlich von jemandem aus dem Stein gezogen zu werden. Doch kaum, dass Sesshōmaru das Schwert vollständig aus dem Felsen gezogen hatte, erklang ein metallisches Klirren, als die Spitze der Klinge hart auf den steinernen Sims traf, auf dem der Yōkai stand. Noch immer den Griff des Schwertes umklammernd starrte Sesshōmaru mit leicht verengten Augen auf das Tsurugi herab. Der Schmied musste ein Idiot gewesen sein, der keine Ahnung vom Gewicht eines guten Schwertes hatte. Dieses hier wog um Längen schwerer als die gesamte Ausrüstung einer Armee, selbst für ihn war es beinahe unmöglich das Schwert anzuheben. Wie sollte jemand mit so einer Waffe kämpfen können? Sie war völlig nutzlos. Er besaß bereits eine solche Waffe, eine zweite hatte er gewiss nicht nötig. Gerade als er das Schwert einfach fallen lassen und gehen wollte, erklang schräg unter ihm eine belustigte Männerstimme. „Was starrst du so fassungslos, ototo? Davon wird es dir bestimmt nicht gelingen Shiomari zu beherrschen. Du hast gerade erst angefangen, es dir zu verdienen. Also lass uns gleich weitermachen, damit es dir vielleicht doch noch irgendwann gehört.“ Während dieser Worte hatte Sesshōmaru sich zu dem Sprecher gedreht und erkannt, dass es sich um den weißhaarigen Mann der vergangenen Nacht handelte, der in einer Hand ein Bambusschwert hielt, dessen hölzerne Klinge er an einer Schulter abstützte. Die Haare waren nun am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, die Beine steckten in einer schwarzen Hakama, die Füße in einfachen Strohsandalen. Der bloße Oberkörper gab den Blick auf sehr helle Haut und eine fein gearbeitete Goldschmiedearbeit mit rotem Stein in der Mitte frei, die direkt in die Haut eingelassen war. „Tomoki“, eine ruhige Feststellung Sesshōmarus, die hervorragend über die aufkeimende Wut in seinem Inneren hinwegtäuschte, angesichts dieser neuerlichen Respektlosigkeit seines Gegenübers. Die Augen des Angesprochenen funkelten erheitert, als wüsste er genau, wie es im Inneren des Yōkai in diesem Moment aussah, während er anerkennend feststellte: „Ich merke, du denkst mit, das erleichtert die Sache. Ich werde mit dir trainieren, du kannst deine Rüstung anlassen, alles, was du für den Moment zu tun hast, ist meine Angriffe abzuwehren. – Noch Fragen? Nein? Schön, dann fangen wir an.“ Kaum, dass er das letzte Wort gesprochen hatte, griff Tomoki auch schon an, stieß sich von dem Felsen, auf dem er stand, ab, schien einen Moment zu verschwinden und befand sich im nächsten hinter Sesshōmaru, um diesem das Bambusschwert auf die Schulter zu schlagen. Doch soweit kam es nicht. Der Angegriffene hat mit etwas Derartigem gerechnet, kurzerhand das viel zu schwere Schwert losgelassen, sich umgedreht und hielt nun völlig mühelos die hölzerne Klinge in seiner Hand. Während er Tomoki mit eisiger Gleichgültigkeit in die Augen starrte, barst unter dem leicht verstärkten Druck seiner Hand das Bambusschwert in ungezählte Splitter. Wenn er nun damit gerechnet hatte, Tomoki auf diese Weise einschüchtern zu können, hatte er sich geirrt. „Hör mit diesen Taschenspielertricks auf und fang endlich an zu üben. Oder hast du keine Ahnung davon, wie man mit Schwertern kämpft und trägst die beiden Exemplare an deiner Hüfte nur der Form halber spazieren?“ Ohne auf diese Beleidigung zu antworten, zog Sesshōmaru Tōkejin aus seiner Scheide und griff sein unbewaffnetes Gegenüber an, dem nichts anderes übrig blieb als zurück zu weichen, wobei er geschickt von Felsbrocken zu Felsbrocken sprang und schließlich auf dem Waldboden der Lichtung ankam. Während Tomoki weiterhin vollauf damit beschäftigt war, dem zum Mord entschlossenen Hundedämon auszuweichen, näherte er sich in weiten Kreisen einer Felsspalte, die sich, durch davor liegende Felsbrocken verborgen, unterhalb der Stelle befand, in der Shiomari im Felsen gesteckt hatte. Tomoki blieb nicht viel Zeit, aber im letzten Moment schaffte er es, aus dieser Spalte ein bereits leicht angerostetes Schwert zu ziehen, sich rechtzeitig herumzudrehen und die Klinge Tōkejins abzuwehren. Während sich nun beide Gegner wieder bewaffnet einander über die Lichtung trieben, Angriffen auswichen oder sie parierten, um anschließend ihrerseits anzugreifen, erklärte Sesshōmaru herablassend, begleitet vom Klirren der aufeinander treffenden Klingen: „Ich muss dir Respekt zollen, du hast bisher länger überlebt als jeder meiner vorherigen Gegner.“ In den blutroten Augen Tomokis blitzte es vergnügt auf, „das Kompliment kann ich beinahe uneingeschränkt zurückgeben. Allerdings finde ich, wir sollten allmählich mit dieser Kinderei aufhören und ernsthaft anfangen zu trainieren.“ „Den Wunsch, diesen Kampf zu beenden, kann ich dir erfüllen“, erwiderte Sesshōmaru noch immer mit kühler Herablassung, sprang einen kleinen Schritt zurück, ließ Tōkejin durch die Luft sausen und sandte auf diese Weise eine blaue Klinge reiner Energie in Richtung Tomoki. Ohne abzuwarten, ob diese ihr Ziel traf, bewegte er sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in einem Kreis um sein Opfer herum und sandte unzählige dieser Energieklingen auf das immer gleiche Ziel ab. Als er schließlich in dieser Taktik innehielt, hatte sich an der Stelle, an der zuvor Tomoki gestanden hatte, eine Art hellblauer Energienebel gebildet, der den Blick auf den weißhaarigen Mann verwehrte, am Boden lagen die zerstörten Reste seines Schwertes. In der sicheren Überzeugung seinen Kontrahenten getötet zu haben, wandte Sesshōmaru sich von diesem Bild ab und lief auf den Rand der Lichtung zu, wo vor geraumer Zeit Rin und Jaken aufgetaucht waren und gespannt den Kampf verfolgt hatten. Sesshōmaru hatte etwa die Hälfte der Distanz zwischen sich und ihnen zurückgelegt, als die beiden Zuschauer plötzlich aufkeuchten und der Dämon im nächsten Moment eine Schwertklinge an seinem Hals spürte. „Inu-chan, du bist ein rechter Hitzkopf und viel zu leichtsinnig. Hat dir denn niemand beigebracht, dass man einem Gegner nie den Rücken zukehrt, bis man völlig sicher ist, dass er selbigen nicht mehr durchbohren kann?“, diese Worte wurden ganz sanft hervorgebracht, erinnerten schon mehr an ein Schnurren, als an menschliche Laute. Ein unwilliges Knurren ertönte, als sich Sesshōmaru mit wenigen, effizienten Bewegungen aus der Falle befreite und im nächsten Moment seinerseits versuchte Tomoki zu töten. Dessen Stimmung hatte sich offenbar geändert, denn völlig unbeeindruckt hielt er den Schwertarm des Dämons gefangen und erklärte mit ruhiger Gelassenheit: „Ich habe genug von deinen Albernheiten, Inu-chan. Nimm deine Begleiter und verschwinde. Du bist auch ohne Shiomari stark genug und solang kein anderer es aus dem Stein zieht, wirst du wohl auch nicht so schnell besiegt werden. Es mag dir als Genugtuung dienen, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit drei Schwerter für einen Gegner benötigt habe.“ Anschließend ließ er Sesshōmaru wieder los und wandte sich ab, um auf den Wald zu zugehen. Ein leises Zischen erklang, als die Giftpeitsche die Luft zerschnitt, um den respektlosen Frevler zu strafen. Doch im Gegensatz zum letzten Mal, wich Tomoki nicht aus, sondern drehte sich lediglich in einer fließenden Bewegung wieder herum und hielt im nächsten Moment die Peitsche zwischen den Fingern einer Hand gefangen, so unmöglich das auch schien. „Ich habe dir gesagt, du sollst diese Spielereien bleiben lassen. Komm wieder, wenn es dir Ernst damit ist, Shiomari zu besitzen“, damit ließ er die Peitsche los, die sich augenblicks in Luft auflöste und verschwand nun endgültig im Dunkel des Waldes. Zurück blieben eine sprachlose Rin, ein fassungsloser Jaken und ein Hundedämon, der nicht recht wusste, ob er nun beeindruckt oder wütend sein sollte oder diese ganze demütigende Episode am besten einfach aus seinem Gedächtnis strich. „Sesshōmaru-sama“, erklang auf einmal Rins überraschte Stimme, während sie gleichzeitig mit einem Finger auf die Felswand deutete. Als der Angesprochene, ebenso wie Jaken, in die angegebene Richtung blickte, sah er, dass Shiomari wieder im Felsen steckte, als wäre es nie herausgezogen worden. Ausdruckslos starrte Sesshōmaru auf den Griff des Schwertes, während er eine Entscheidung traf, „Jaken, Rin, lasst mich allein.“ „Ja, Sesshōmaru-sama“, lautete die zweistimmige Erwiderung, bevor sich die Beiden eiligst zurückzogen, um sich nicht den Zorn ihres Herrn zu zuziehen. Unterdessen kehrte Sesshōmaru zu dem Felsen zurück, sprang erneut hinauf zu dem Vorsprung, auf dem er am Morgen bereits gestanden hatte und zog ein weiteres Mal Shiomari aus dem Stein. Dieses Mal gab es kein Prickeln in Hand und Arm, aber kaum hatte die Klinge den Stein vollständig verlassen, klirrte sie wieder gegen den Boden. Gleichzeitig äußerte Sesshōmaru, ohne seinen scheinbar aus dem Nichts aufgetauchten Gesprächspartner anzusehen: „Lass uns anfangen.“ Ohne darauf etwas zu erwidern, ging Tomoki erneut und direkt zum Angriff über. Sesshōmaru musste jedes Quäntchen Kraft mobilisieren, um das Schwert auch nur für einen kurzen Moment anheben zu können und so Tomokis Waffe abzuwehren. Er merkte wohl, dass Tomoki wesentlich langsamer agierte als in ihrem Kampf kurz zuvor, dass dieser nun immer wieder kurze Pausen einlegte, um Sesshōmaru Zeit zu geben, sich an das Gewicht des Schwertes zu gewöhnen. Zwischen den Beiden herrschte verbissene Stille, während über dem Training allmählich die Zeit verging und es Abend wurde, ohne dass einer der Beiden den Vorschlag gemacht hätte, eine Ruhepause einzulegen. Sesshōmaru nicht, weil es gegen seinen Stolz gegangen wäre, zu zugeben, dass er eine Pause mehr als nötig gehabt hätte und Tomoki nicht, weil es für ihn nicht sonderlich anstrengend war. Es war bereits vollkommen dunkel, als Tomoki zum ersten Mal seit Beginn des Trainings die Stimme erhob: „Das reicht für heute, ruh dich aus, wir werden Morgen weiter üben.“ Ohne Sesshōmaru Zeit zu geben darauf zu reagieren, ließ Tomoki den Yōkai einfach auf der Lichtung stehen und verschwand zwischen den Bäumen. Für einen Moment vor den Kopf gestoßen, starrte Sesshōmaru seinem selbsternannten Lehrmeister hinterher, um sich schließlich doch in Richtung der Hütte in Bewegung zu setzen, Shiomari im Felsen steckend zurücklassend. Sobald er bei der Hütte angekommen war, lief ihm eine fröhlich lächelnde Rin entgegen, begrüßte ihn und fügt anschließend in unbeschwertem Plauderton hinzu: „Ich habe Mitsuki-san geholfen das Bad für Euch vorzubereiten, sie meinte, dass Ihr Euch darüber freuen würdet, wenn Ihr mit dem Training fertig seid.“ Womit Mitsuki vollkommen Recht hatte, obwohl Sesshōmaru selbst wohl kaum das Wort ‚freuen’ verwendet hätte, ein Bad war im Moment einfach angebracht. So lief er die wenigen Schritte zur Rückseite der Hütte und betrat kurz darauf die angenehm warme und von Dampfschwaden erfüllte Badestube. Als der Yōkai schließlich das Bad wieder verließ und sich ankleiden wollte, fand er statt seiner eigenen Kleider frische vor, die seiner zum Verwechseln ähnelte. Kurz fragte er sich, wo Mitsuki diese Sachen her hatte, kleidete sich dann jedoch an und ging wieder zur Vorderseite der Hütte. Als er den einzigen Raum betrat, fand er nur Rin und Jaken vor, von den beiden unkonventionellen Gastgebern fehlte jede Spur. Rin schlief bereits eingehüllt in den geschenkten Yukata auf einer Bambusmatte, während Jaken im Sitzen, seinen Jintōjō neben sich gelegt, vor sich hingedöst hatte, jedoch aufschreckte als sein Herr den Raum betrat. Nachdem Jaken ehrerbietig gegrüßt hatte, stand er auf, ergriff eine kleine Schüssel und lief zu dem Hundedämon hinüber. In der Schale lagen drei Früchte, die in Größe und Form an Apfelsinen erinnerten, deren glatte Haut jedoch ein dunkles Violett aufwies. Auch der Geruch dieser Früchte war ein gänzlich anderer, sehr fein und würzig, ohne Süße. Während Jaken diese Früchte seinem Herrn zeigte berichtete er: „Diese Scharubeel stammen aus den Gärten der Heteri. Ich hatte bisher geglaubt sie seien vollkommen vernichtet worden, aber offenbar gibt es noch einen sehr kleinen Clan hier in der Nähe. Wir waren mit der Frau bei ihnen, sie scheint gut mit ihnen bekannt zu sein…“ Heteri? Sesshōmaru hatte während seiner Ausbildung im Schloss seines Vaters von dieser Yōkaiart gehört, sie erinnerten in ihrem Aussehen an Maulwürfe, waren hervorragende Gärtner, mit einem außerordentlichen Talent für pflanzliche Züchtungen, die ausschließlich dämonischem Genuss vorbehalten waren, und äußerst friedlich. Was sie nicht davor geschützt hatte zum einen von Menschen zum anderen von verschiedenen Yōkaigruppen angegriffen zu werden, bis ihre Zahl so verschwindend gering war, dass sie praktisch nicht mehr existierten. Es musste um die Zeit gewesen sein als sein Vater Taishō wurde, dass diese Wesen völlig von der Erde verschwanden - und diese Frau kannte offenbar die letzten dieser Art und wusste wo sie lebten. Jaken hatte sich in der Zwischenzeit wieder auf seinen Platz an einer der Zimmerwände zurückgezogen, um seinem Herrn etwas Ruhe zu gönnen. Dieser lehnte ebenfalls, scheinbar entspannt, an eine der Wände und wartete auf den kommenden Morgen. Kapitel 4: Angebot und Nachfrage -------------------------------- Es vergingen weitere zwei Tage, in denen Sesshōmaru tagsüber mit Tomoki trainierte und abends zur Hütte zurückkehrte, während sich Rin und Jaken den Tag über selbst beschäftigten oder Gesellschaft von Mitsuki erhielten. Am Abend des dritten Tages befanden sich wider Erwarten nicht nur Rin und Jaken in der Hütte, als Sesshōmaru sie betrat, sondern auch Mitsuki und Tomoki saßen wartend im Raum. Sobald der Yōkai sich niedergelassen hatte, begann Tomoki zu sprechen: „Es hat keinen Sinn das Training fortzusetzen, du wirst mit nur einem Arm nie in der Lage sein Shiomari richtig zu führen.“ Ausdruckslos hörte der Dämon den Ausführungen zu und wollte gerade widersprechen, als Tomoki beschwichtigend eine Hand hob und fortfuhr: „Wir haben deshalb entschieden dir einen zweiten Arm zu beschaffen.“ Angesichts dieses scheinbar großzügigen Angebots klatschte Rin begeistert in die Hände, während Jaken verblüfft versuchte zu erfahren, wie das denn gehen sollte. Nur der eigentliche Adressat dieser Mitteilung schwieg zunächst stoisch und erkundigte sich schließlich: „Was verlangt ihr dafür?“ Belustigt blitzte es in den Augen Tomokis auf, während er erwiderte: „Nichts.“ An der Sache stimmte etwas nicht, niemand würde so ein Angebot machen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Bevor Sesshōmaru dazu kam, eine Entscheidung zu treffen, kniete Mitsuki neben ihm und forderte ihn auf, ihr seinen Armstumpf zu zeigen. Ungehalten starrte er die Frau vor ihm an, konnte jedoch nichts wahrnehmen, das auf Sensationsgier oder Freude an seiner Versehrtheit schließen ließ. Widerwillig schob er schließlich den Ärmel seiner Uwagi soweit zurück, dass Mitsuki einen Blick auf den verbliebenen Ansatz seines linken Oberarms werfen konnte. Sobald Mitsuki mit einem Nicken zu verstehen gegeben hatte, sie habe genug gesehen, ließ er den Ärmel wieder fallen. Ruhig sah Mistuki ihn an, „bevor du dich entscheidest solltest du noch drei Dinge wissen. Es wird einen Monat dauern, den Arm herzustellen. Ich werde Tenseiga benötigen, um dir den Arm anzupassen und der Schmerz, den es verursachen wird, wird den übersteigen, als du deinen Arm verloren hast. – Du wirst für eine Weile den Verstand verlieren.“ Mitsuki klang nicht, als wären die letzte Worte nur eine Möglichkeit, sondern bereits feststehende Tatsache. Mit leicht verengten Augen betrachtete der Dämon die Frau vor sich, bevor er lediglich ruhig erwiderte: „Tenseiga wird dir nichts nützen, es gehorcht nur mir.“ „Mach dir darüber keine Gedanken, es wird sicher tun, worum ich es bitte.“ Noch immer war der intensive Blick Sesshōmarus auf Mitsuki gerichtet, während er über die ganze Sache nachdachte, schließlich zu einer Entscheidung gelangte und erklärte: „Ich bin einverstanden.“ Daraufhin erhob sich Tomoki, streckte sich und äußerte: „Gut, dann steht es dir frei zu gehen oder zu bleiben. Heute in vier Wochen wird der Arm fertig sein. Bist du da, gut; bist du es nicht, wird es uns auch nicht stören.“ Damit drehte er sich um und verließ die Hütte für die Nacht. Auch Mitsuki wollte gerade gehen, als sie von Sesshōmaru mit dem Befehl aufgehalten wurde, ihm von den Fähigkeiten Shiomaris zu berichten. Für einen kurzen Moment zögerte Mitsuki, ließ sich dann jedoch widerspruchslos dem Herrn der westlichen Länder gegenüber nieder und begann zu erklären. „Grundlegend hat Shiomari zwei Fähigkeiten: zu töten und zu schützen. Jurojin hat in der Regel drei Formen dieser Fähigkeiten verwendet, wenn er nicht den reinen Schwertkampf vorgezogen hat. Zum einen ‚Shirayuki’, ungezielt eingesetzt, löscht es alles Leben im Umkreis von zwei se aus, je stärker der Eigentümer Shiomaris ist und je besser in der Lage sich selbst und das Schwert zu kontrollieren, umso gezielter kann Shirayuki eingesetzt werden – oder auch seinen Radius erweitern. Eine andere Form des Angriffs ist ‚Susanoo’, er tötet nicht zwangsläufig, fügt jedoch schwere Verletzungen zu. Im Gegensatz dazu dient ‚Tsukiyomi’ in erster Linie als Verteidigung, indem es gegnerische Angriffe einschließt und auflöst.“ Nachdem Mitsuki geendet hatte, herrschte für einen Moment Schweigen, bevor Sesshōmaru fragte: „Wer hat den Bannkreis um die Lichtungen errichtet?“ „Ich“, erwiderte Mitsuki lediglich, ohne zu erklären, warum sie es für nötig gehalten hatte. Da der Hundedämon keine weiteren Fragen zu haben schien, erhob sich Mitsuki schließlich und verließ nun ebenfalls die Hütte, einen äußerst nachdenklichen Yōkai zurücklassend. Am nächsten Morgen fand sich Sesshōmaru erneut auf der zum Trainingsgrund erklärten Lichtung ein. Er hatte nicht vor den Monat ungenutzt verstreichen zu lassen, ebenso wenig wie er beabsichtigte ein weiteres Mal hinter einem Halbdämon zurückzustehen, wenn es um den Besitz eines Schwertes ging. Wenn es Jurojin gelungen war Shiomari zu beherrschen, sollte das ihm, als vollwertigem Dämon, erst recht gelingen. Hinzu kam, dass er weder Mitsuki noch Tomoki vertraute und wenn sie dumm genug waren, ihm die Möglichkeit zu geben stärker zu werden, dann würde er diese auch nutzen. Auf dem Weg zur Lichtung hatte er geprüft, ob der Bannkreis noch immer existierte. Dieser war an dem Tag entstanden, als er Shiomari zum ersten Mal aus dem Stein gezogen hatte. Es war ohne Zweifel ein hervorragende Arbeit, dazu gemacht alles was sich außerhalb befand fernzuhalten, ohne das, was sich in ihm befand am Verlassen zu hindern, das Einzige, was Sesshōmaru zu Beginn irritiert hatte, war das eingearbeitete Aurensiegel gewesen. Es hatte jedoch nicht lang gedauert bis er begriffen hatte, dass dieses Siegel ebenfalls existierte, um nicht die Aufmerksamkeit Außenstehender zu erregen. Tomoki erwartete ihn bereits auf der Lichtung. Nach dem winzigen Lächeln gemischt aus Anerkennung und Spott zu urteilen, schien er nie auch nur einen Moment daran gezweifelt zu haben, dass der Dämon trotz des Angebots, das ihm gemacht worden war, weiterhin aus eigener Kraft versuchen würde an Shiomari zu gelangen. Dennoch war er über das außerordentliche Selbstbewusstsein des Yōkais mehr als nur ein wenig amüsiert. Was Sesshōmaru nicht wusste, vielleicht jedoch ahnte, war die Tatsache, dass das Angebot eines neuen Armes durchaus nicht nur reine Gefälligkeit, sondern in erster Linie eine Prüfung war. Hätte er das Angebot angenommen ohne zu versuchen aus eigener Kraft, ohne magische Hilfe in den Besitz Shiomaris zu gelangen, wäre er trotz eines zweiten Armes niemals in der Lage gewesen das Tsurugi zufriedenstellend führen zu können. In den folgenden Tagen und Wochen wurden die Abläufe der ersten drei Tage Routine, deren gleich bleibende Monotonie durch nichts unterbrochen wurde. Zwei Tage bevor die von Mitsuki gesetzte Frist ablief, errichtete die dunkelhaarige Frau etwas abseits von der Hütte einen einfachen Bretterverschlag und begann ihn anschließend mit einem komplizierten Muster aus uralten Schriftzeichen zu versehen. Diese Zeichen erinnerten entfernt an Kanji, ergaben aber bei dem Versuch sie als solche zu lesen keinerlei Sinn, sondern hinterließen lediglich das Gefühl sich die Zunge verknotet zu haben. Am Abend des letzten Tages, bevor der Monat abgelaufen war, waren diese Vorbereitungen abgeschlossen. Wie üblich waren Tomoki und Mitsuki für die Nacht verschwunden, dieses Mal jedoch hatte Mitsuki Sesshōmaru zuvor eine Schale mit sechs Fusoji gereicht, während sie erklärte: „Bevor die Nacht vorbei ist, musst du diese Früchte gegessen haben.“ Ohne die Schüssel anzurühren hatte Sesshōmaru auf die pflaumengroßen, matschgrünen Fusoji gestarrt und alle Selbstbeherrschung gebraucht, um nicht angesichts des starken Verwesungsgeruchs der von diesen Früchten ausging ohnmächtig zu werden oder sich zu übergeben. Selbst für jemanden wie Rin oder Jaken, mit ihrem im Vergleich zu dem des Hundeyōkais völlig unterentwickelten Geruchssinn, war der Gestank nur schwer erträglich und Übelkeit erregend. Zu verlangen diese obstgewordene Widerwärtigkeit zu essen, war keine Zumutung mehr, es war ein glatter Selbstmordversuch. Ohne auf die sich bereits versteifenden Klauen zu achten, hatte Mitsuki angesichts der Weigerung des Dämons, die Schale mit den Früchten auch nur zu berühren, geäußert: „Wenn du sie nicht isst, wirst du den morgigen Tag nicht überleben“, und fügte nach einer kurzen Pause, um ihre Worte besser wirken zu lassen, hinzu: „Wenn du es dir anders überlegt hast, steht es dir noch immer frei zu gehen.“ Anschließend hatte sie sich abgewandt, die Schale Rin übergeben und die Hütte verlassen. Sobald Mitsuki verschwunden war, tat Jaken das einzig Vernünftige, riss Rin die Schale aus den Händen und schaffte diese nach draußen. Es mochte vielleicht für Sesshōmaru keine große Erleichterung darstellen, aber zumindest Rin und er konnten nun in der Hütte wieder einigermaßen normal atmen, ohne den beständigen, Übelkeit erregenden Geruch von Tod und Verwesung einzuatmen. Auch Sesshōmaru hatte die Hütte verlassen, allerdings ohne die Absicht so schnell wie Jaken zurückzukehren. Der Yōkai hatte nicht vor, seine einmal getroffene Entscheidung zu ändern oder rückgängig zu machen. Aber bevor er tatsächlich die Fusoji essen würde, brauchte er dringend Luft, die nicht versuchte mit jedem Atemzug sein Bewusstsein außer Kraft zu setzen und mit jeder Sekunde noch widerwärtiger zu werden schien. Als er sich schließlich weitestgehend von diesem ersten Angriff auf seinen Geruchssinn erholt hatte, kehrte er zu der Hütte zurück und starrte auf den Inhalt der kleinen Schale, die Jaken am Rand der Lichtung auf einen Stein gestellt hatte. Die Früchte waren klein genug, dass zwei auf einmal im Mund Platz haben würden, was die Dauer dieser widerlichen Prozedur doch wenigstens abkürzen würde. Entschlossen griff der Yōkai schließlich nach zwei der Fusoji und steckte sie sich in den Mund, dabei möglichst lang die Luft anhaltend, um nicht mehr als nötig von dem Geruch einatmen zu müssen. Falls er gehofft hatte, dass der Geschmack der Früchte besser als ihr Geruch wäre, hatte er sich geirrt. Sie schmeckten mindestens genauso widerlich wie sie rochen, nichts desto trotz aß er die sechs Früchte zur Gänze, im Nachhinein verwundert, dass er sich nach dem Verzehr nicht übergeben musste und sich auch in sonst keiner Weise unwohler als zuvor fühlte. Hinzu kam, dass der Geschmack der Fusoji zwar widerlich war, jedoch keinerlei Spur zurückließ, sobald er sie hinuntergeschluckt hatte. Kapitel 5: Arm dran ------------------- Es war früh am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, als Tomoki die Hütte betrat und sowohl Jaken als auch Rin in einem Ton erklärte, der keinen Widerspruch duldete: „Sobald euer Herr den Verschlag betreten hat, werdet ihr euch von diesem fernhalten, bis er wieder herauskommt.“ Geduldig wartete Tomoki bis die Beiden nach einem Blick auf den Hundeyōkai genickt hatten und fügte hinzu: „Ihr werdet euch in der nächsten Zeit selbst versorgen müssen, solang ihr im Bannkreis bleibt, wird euch keine Gefahr drohen, verlasst ihr ihn, seid ihr auf euch selbst gestellt.“ Ohne abzuwarten, ob Jaken oder Rin darauf etwas zu sagen hatten, wandte sich Tomoki anschließend zu Sesshōmaru und forderte ihn auf ihm in den Bretterverschlag zu folgen. Als die beiden Männer den kleinen Raum betraten, saß bereits Mitsuki an einer Feuerstelle in der Mitte des Raumes, um die sich ebenfalls ein Muster der Zeichen befand, die an die Schuppenwände geschrieben worden waren. Während Mitsuki Sesshōmaru aufforderte sich neben sie zu setzen, ließ sich Tomoki direkt vor dem Eingang auf dem Boden nieder, den Rücken an die Tür gelehnt. Wachsam und leicht angespannt blickte der Dämon zwischen den beiden Gastgebern hin und her, immer darauf gefasst im nächsten Moment um sein Leben kämpfen zu müssen, doch keiner der beiden zeigte auch nur im Entferntesten Anzeichen von Kampfbereitschaft. Stattdessen bat Mitsuki ihn, ihr Tenseiga zu überlassen und den Stumpf seines linken Oberarms aus seinen Kleidern zu befreien. In dem Wissen, dass sie ihm mit Tenseiga keinen Schaden würde zufügen können und er in jedem Fall schnell genug wäre sie einzuholen, sollte sie versuchen mit dem Schwert zu fliehen, überließ es ihr der Yōkai, bevor er seine Rüstung ablegte, die Seidenschleife an seiner Hüfte löste und anschließend aus dem linken Ärmel seiner Uwagi schlüpfte. Unterdessen hatte Mistuki Tenseiga quer über ihre Oberschenkel gelegt, beide Hände flach auf die Schwertscheide gelegt und schien tatsächlich so etwas wie Zwiesprache mit Tenseiga zu halten. Schließlich sah sie wieder zu Sesshōmaru auf, nickte, als sie sah, dass er ihrer Aufforderung nachgekommen war und erhob sich kurz, nachdem sie Tenseiga vorsichtig auf den Boden gelegt hatte. Schweigend sah Sesshōmaru zu, wie sie sowohl seine Rüstung als auch Tōkejin aufhob und in der Nähe der Tür in einer Ecke ablegte, bevor sie einen Gegenstand, der sich bereits zuvor dort befunden hatte, aufhob und zu dem Dämon am Feuer zurückkehrte. Es handelte sich um eine längliche, schmale Holzkiste, die Mitsuki öffnete, sobald sie sich wieder gesetzt hatte, und Sesshomaru den in der Kiste befindlichen aus Holz, Leder und Sehnen gearbeiteten Arm zu Gesicht bekam. Auch auf diesem Arm befanden sich wiederum die bereits von der Hüttenzeichnung her bekannten Symbole. Ohne zu fragen, ob er mit dieser Arbeit zufrieden war oder sich ein letztes Mal zu vergewissern, ob er es sich vielleicht doch anders überlegt hatte, zog Mitsuki Tenseiga aus der Scheide, nachdem sie die Kiste samt Arm geöffnet neben Sesshōmaru gestellt hatte. Mit einer geschmeidigen Sicherheit, die verriet wie vertraut sie im Umgang mit Schwertern war, schwang Mitsuki Tenseiga in Richtung des Armstumpfes, der kaum, dass die Klinge diesen berührte hatte, zu bluten begann, als wäre der Arm eben erst abgetrennt worden. Für einen winzigen Augenblick verengte Sesshōmaru bei diesem Anblick die Augen, sonst jedoch war seinem Verhalten nicht zu entnehmen, ob er überrascht war oder Schmerzen empfand. Ohne innezuhalten oder auf das Blut zu reagieren, dass ungehindert auf den Lehmboden des Verschlags floss, schwang Mitsuki Tenseiga ein zweites Mal, diesmal auf das obere Ende der Armprothese gerichtet. Im nächsten Moment hatte sich dieses Ende verändert und wirkte nun wie die Schnittfläche eines gerade abgetrennten Armes, sobald diese Veränderung eingetreten war, fügte Mitsuki den künstlichen Arm an den noch immer blutenden Armstumpf des Dämons, ließ anschließend Tenseigas Griff los, um es in der Mitte der Klinge anzufassen, hielt es dann für Sekunden ins Feuer bis die Spitze der Klinge zu glühen begann und presste diese schließlich auf die Stelle wo Prothese und Stumpf aufeinander trafen. Es zischte leise, als Haut und Leder versenkt wurden und ein unangenehm stechender Geruch hing in der Luft, der sich noch verstärkte, als Mitsuki diese Prozedur wiederholte. Trotzdem Sesshōmaru genau beobachtet hatte, was Mitsuki tat und auf diese Weise zumindest ein wenig vorgewarnt worden war, kostete es ihn doch einiges an Selbstbeherrschung sich den Schmerz, der begonnen hatte in seinem linken Armstumpf zu wüten, nicht anmerken zu lassen. Bis jetzt trafen Mitsukis Worte noch nicht zu, der Schmerz überstieg noch nicht den, als er seinen linken Arm verloren hatte, aber er war sich nicht sicher, wie lange das noch so bleiben würde. Unterdessen hatte Mitsuki immer wieder aufs Neue die Klinge Tenseigas ins Feuer gehalten, bis diese glühte, um sie anschließend senkrecht zu der Linie an der Armstumpf und Prothese auf einander trafen auf diese zu drücken. Dieser Vorgang wiederholte sich solang, bis der Arm vollständig umrundet worden war. Das Interessante war, dass nach dieser Prozedur nicht mehr zu erkennen war, wo der Armstumpf geendet und die Prothese begonnen hatte und zugleich die Haut des neuen Arms begonnen hatte sich zu regenerieren. Sobald die Prothese mit dem Körper des Dämons verbunden war, ließ Mitsuki den Arm los, sodass dieser widerstandslos herabfiel, räumte die leere Kiste beiseite und überließ Tomoki Tenseiga, damit dieser es nach den überstandenen Strapazen pflegte. Nach wie vor schweigend setzte sich Mitsuki wieder neben Sesshōmaru und schien sich gelassen auf eine lange Wartezeit einzurichten, während der Yōkai inzwischen bereits die Zähne zusammenbeißen musste, um keinen Laut von sich zugeben oder sich in sonst einer Form etwas anmerken zu lassen. Der Schmerz wurde immer stärker, er tobte, wütete, gebärdete sich wie eine außer Kontrolle geratene Bestie und schien auf diese Weise an Macht zu gewinnen. Sesshōmaru war bemüht diesen Schmerz möglichst zu ignorieren, ihn sich nicht anmerken zu lassen, während der Schmerz begann sich auszubreiten, sich immer weiter in Richtung der Hand des neuen Arms fraß und zugleich immer mehr an Intensität gewann. Um sich abzulenken, besah sich der Hundedämon den Arm genauer. Das, was bis vor kurzem noch ein vollständig künstliches Hilfsmittel gewesen zu sein schien, hatte sich inzwischen bis zur Hälfte des Oberarms in eine vollkommen natürlich erscheinende, zweite Ausgabe seines rechten Arms verwandelt. Und diese Veränderung hielt an, immer mehr verdrängten Haut, Fleisch und Knochen die zuvor künstlichen Bestandteile, wandelten die Prothese zu einem vollwertigen Bestandteil des Dämonenkörpers. Allerdings erzeugte diese Veränderung eine Qual als würde ein glühender Schürhaken immer wieder mit voller Wucht der Länge nach in seinen Arm gerammt werden, verbunden mit dem Gefühl bei lebendigem Leib gefressen und zugleich von einer Vielzahl innerer Explosionen zerfetzt zu werden. Je weiter die Verwandlung fortschritt, umso mehr potenzierte sich der Schmerz. Fraß sich allmählich von den Nervenenden bis in sein Gehirn, begann die eiserne Selbstkontrolle zu zersetzen, löschte allmählich alles bis auf die Existenz des Schmerzes aus. Sesshōmaru nahm nicht mehr bewusst wahr, dass er schließlich nicht mehr mit stoischer Gelassenheit am Feuer saß, sondern stattdessen begonnen hatte in dem kleinen Verschlag auf und ab zu laufen, in dem instinktiven Drang jedes Lebewesens der Ursache des lebensbedrohenden Schmerzes zu entkommen. Je mehr er seinen bewussten Willen verlor und je mehr seine Instinkte und Reflexe die Oberhand gewannen, umso mehr rötete sich das Weiß seiner Augen, umso breiter wurden die Striche seiner Gesichtszeichnung, umso hundeähnlicher wurde er. Schließlich genügte es nicht mehr zu versuchen dem Schmerz allein durch laufen zu entkommen und der Yōkai begann sich gegen eine der Holzwände zu werfen, in dem Versuch einen Ausweg zu schaffen. Dem eigentlichen Schmerz einen anderen entgegenzusetzen und sie so gegenseitig zu neutralisieren. Die kleine Hütte ächzte unter dem geballten und wiederholten Ansturm des beinahe vor Schmerz wahnsinnigen Dämons, hielt jedoch Dank der aufgetragenen Symbole stand. Mitsuki und Tomoki sahen dem Geschehen vorerst tatenlos zu, warteten ab, wie lange der Yōkai dem Schmerz noch würde standhalten können. Je länger er diese Tortur durchhielt, ohne dass er vollständig das Bewusstsein verlor, umso besser standen die Chancen, dass er seinen Arm ohne Einschränkungen würde gebrauchen können. Unterdessen saßen Rin und Jaken in gebührendem Abstand vor der Hütte, in der sich Sesshōmaru befand, und warteten angespannt. Es waren bereits mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, seit Tomoki und Sesshōmaru in der Hütte verschwunden waren und innerhalb dieses einen Tages war zunächst vereinzeltes, tiefbedrohliches Knurren aus der Hütte erklungen, aus dem allmählich eine Art unmenschlich gespenstisches Heulen wurde, immer wieder unterbrochen durch einen nicht zuordbaren Klagelaut, der ihnen kalte Schauer über den Rücken jagte und in ihnen zum ersten Mal tatsächlich Angst um den mächtigen Hundeyōkai aufkommen ließ. In der Hütte hatte Mitsuki inzwischen einen zusätzlichen Bannkreis in den Holzwänden errichten müssen, um sie am Zusammenbrechen zu hindern. Würde der blindwütige Yōkai in diesem Zustand entkommen, wäre nichts und niemand außerhalb dieser Wände vor ihm sicher. Irgendwann schien der Dämon einzusehen, dass er auch auf diese Weise nicht weiter kommen würde. Erschöpft war er nach einem letzten Versuch die Bretterwand mit seinem gesamten Gewicht zu zertrümmern für einen Moment am Boden zusammengesunken, eine hilflos gequälte Mischung aus Heulen und Fiepen von sich gebend. Doch die Ruhepause dauerte nur einen kurzen Moment, dann wurden der Schmerz und das Verlangen diesem zu entkommen wieder übermächtig. Mühsam richtete sich der bereits stark angeschlagene Yōkai auf, ließ ein wütendes Knurren hören, das bewies, dass er sich noch immer weigerte einfach aufzugeben und begann mit zielstrebig zorniger Entschlossenheit die Ursache der Schmerzen direkt zu bekämpfen, indem er mit Klauen und Zähnen versuchte seinen linken Arm wieder vom Körper zu trennen. Das war der Augenblick, in dem Mitsuki zum ersten Mal das Schweigen brach, während sie sich gleichzeitig erhob. „Shioken“, war alles was sie sagte, worauf Tomoki lediglich mit einem „wakatta“ antwortete und im nächsten Moment in der Gestalt der Pferdekatze im Raum stand. Allerdings als verkleinerte Ausgabe, da er sonst keinen Platz gehabt hätte. Mitsuki hatte unterdessen die Aufmerksamkeit Sesshōmarus auf sich gelenkt und ihn auf diese Weise dazu gebracht von seinem Arm abzulassen. Gleichzeitig hatte dies zur Folge, dass der Hundedämon Mitsuki angriff, um sie zu töten. In dem Moment jedoch, als er sie erreichte, stand sie mit einem Mal inter ihm, schob ihre Arme unter seinen Achseln hindurch, bevor er dazu kam sich herumzudrehen und erneut anzugreifen, und hielt ihn scheinbar mühelos an den Schultern fest. Fauchend und geifernd wehrte sich der auf diese Weise gefangene Dämon, versuchte sich zu befreien, während sich sein Gesicht verzerrte, als wollte es im nächsten Moment die natürliche Hundeform annehmen, jedoch auf halben Wege stoppte und auf diese Weise eine verzerrte Fratze halb Mensch, halb Hund zeigte. Sobald Mitsuki Sesshōmaru an den Schultern gefangen hielt, näherte sich Tomoki in Gestalt der schlohweißen Pferdekatze, stellte sich auf die Hinterpranken, stützte sich mit den Vorderpfoten auf den Schultern des Hundeyōkais ab und brachte ihn zusammen mit Mitsuki dazu sich auf den Boden zu legen, ohne dass die Beiden dabei sonderlich sanft vorgingen. Kaum lag Sesshōmaru am Boden, wobei er sich noch immer gegen seine Widersacher zu wehren versuchte, machte es sich die Pferdekatze auf ihm bequem, sodass der Dämon nicht mehr in der Lage war, sich selbst zu verletzen oder sich groß zu bewegen. Ein zorniges Heulen war dessen Reaktion darauf, was wiederum ein ungehaltenes Knurren der Pferdekatze zur Folge hatte. Dass dieses Knurren keinerlei Eindruck hinterließ wurde nur zu schnell deutlich, als der durch den Schmerz völlig wahnsinnige Hundedämon sich in der Schulter der Pferdekatze verbiss und gleichzeitig mit den Klauen der rechten Hand und seinen Beinen versuchte diese irgendwie abzuschütteln. Dieses Mal war es Tomoki der aufbrüllte, als sich die scharfen Reißzähne des Hundedämons schmerzhaft in seiner Schulter vergruben, allerdings erhob er sich dennoch nicht von dem unter ihm liegenden Körper. Stattdessen veränderte er lediglich seine Position, bis Sesshōmaru vollends bewegungsunfähig war und legte anschließend seinen Kopf auf die linke Schulter des Hundedämons. Anschließend ließ Tomoki ein leises Schnauben, gefolgt von einem Brummen hören, als wäre er sowohl belustigt als auch etwas genervt von dem Verhalten des Welpen unter ihm, zuckte noch einmal kurz mit den Ohren und schloss dann die Augen, als gäbe es keinen besseren Ort, um ein kleines Nickerchen zu halten. Der gleichmäßige Atem und der ruhige Herzschlag der Pferdekatze, seine eigene Erschöpfung und das allmähliche Nachlassen des Schmerzes in seinem Arm ließen Sesshōmaru schließlich auf dem Lehmboden der Hütte eindämmern, noch immer unter dem Gewicht Tomokis begraben. Sobald Tomoki sicher war, dass Sesshōmaru eingeschlafen war, erhob er sich geschmeidig von dem erledigten Hundedämon und verwandelte sich wieder in seine menschliche Form. „Ist es vorbei, Mamori?“, erkundigte er sich leise, neben Mitzuki tretend und ebenso wie diese auf den jungen Yōkai herabsehend. Mitzuki nickte, „er hat es geschafft. Die Umwandlung hat sich erstaunlich schnell vollzogen. – Wir sollten seinen Begleitern sagen, dass alles in Ordnung ist, sie sitzen vor der Hütte und warten.“ „Hm“, stimmte Tomoki zu, während er sich die Stelle an der Schulter massierte, in die er zuvor gebissen worden war. Von einer Wunde war bereits nichts mehr zu sehen, nicht einmal die Kleidung war zerrissen. Kapitel 6: Probe aufs Exempel ----------------------------- Als Sesshōmaru langsam erwachte, fühlte er sich als wäre er ein kranker, schwacher und äußerst ungepflegter Mensch – ein Gefühl, das er alles andere als erquicklich fand. Noch bevor er die Augen öffnete, hatte ihm sein Geruchssinn bereits mitgeteilt, dass er sich noch immer in der winzigen Hütte befand, die er zusammen mit Tomoki betreten hatte. Ebenso wusste er bereits, dass das Feuer inzwischen gelöscht worden war und er sich vollkommen allein in dem Raum befand, in dem es nach Schweiß, Blut, verbrannter Haut und einer Vielzahl anderer Dinge stank. Als er die Augen öffnete, fand er bestätigt, was ihn seine Nase hatte wissen lassen, stützte sich mit den Händen ab und setzte sich auf. – In diesem Moment mehr als nur froh darüber, dass niemand da war, um seine unverzeihliche Schwäche mit anzusehen. Während er seine Gedanken sortierte, um die vergangenen Ereignisse in eine logisch nachvollziehbare Reihenfolge zu bekommen, stellte er fest, dass er nur sehr bruchstückhafte Erinnerungen an die Ereignisse hatte die zwischen seinem Erwachen und dem Beginn der Prozedur lagen, ihm einen zweiten Arm anzupassen. Bei dem Gedanken an die Prothese wanderte sein Blick zu seiner linken Körperseite und entdeckte dort das linke Pendant zu seinem rechten Arm, an dem nichts darauf hinwies, dass es jemals nicht zu ihm gehört haben könnte. Neugierig hob er seinen neuen Arm, um zu prüfen, wie tauglich er war und stellte fest, dass er ihn völlig problemlos beugen, strecken, heben und senken konnte. Auch die Finger ließen sich ohne Schwierigkeiten bewegen und noch besser, auch zur Giftklaue versteifen. So, wie es aussah, war dieser Arm eine hervorragende Arbeit. Nachdem er seinen Arm ausgiebig und gründlich geprüft hatte, ließ er seinen Blick zu seiner rechten Seite wandern, von der ihm seit geraumer Weile ein unterschwelliger, zarter Geruch in die Nase stieg. Er hatte ihn zunächst nicht bewusst wahrgenommen, abgelenkt durch die anderen, wesentlich stärkeren Gerüche. Aber je länger er ihn einatmete, umso Aufmerksamkeit heischender wurde er – und umso verlockender. Es war das erste Mal, dass ein Duft Sesshōmaru das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ und er konnte noch nicht einmal sagen, um was für einen Geruch es sich handelte. Während er den Blick von einer Seite zur anderen wandte, bemerkte er dass seine ehemals weiße Hakama nun völlig durch Lehm und Blut verdreckt war und das, was einmal seine Uwagi gewesen war, in einzelnen Fetzen an ihm herabhing. Während er mit einer gewissen Verblüffung auf seine derangierte Kleidung starrte, fragte er sich, in was für einen Kampf er verwickelt worden sein mochte, um so auszusehen und sich nicht daran erinnern zu können. Gleich darauf glitt sein Blick suchend in die Ecke des Raumes, in der Mitsuki zuvor seine Rüstung und Tōkejin abgestellt hatte und stellte fest, dass sich nicht nur Rüstung und Tōkejin nach wie vor dort befanden, sondern auch Tenseiga an der Wand lehnte. Schließlich setzte er sein ursprüngliches Vorhaben, herauszufinden was diesen verlockenden Duft verursachte, in die Tat um und blickte rechts von sich auf den Boden. Dort stand unmittelbar in seiner Reichweite ein flacher Teller auf dem zum wiederholten Mal eine der ungewöhnlichen Heterizüchtungen lag. Dieses Mal handelte es sich um Früchte von der Größe einer Kinderfaust, mit unregelmäßiger Form und einer eisblauen Schale, die aus sich selbst heraus zu leuchten schien. Je länger er diese Früchte betrachtete, umso größer wurde das Verlangen in eine hinein zu beißen. Da er davon ausging, dass die Früchte mit Bedacht so dicht neben ihn gestellt worden waren und in Anbetracht dessen, dass er allein war, gab er dem Verlangen schließlich nach, ergriff eine der Früchte und biss hinein. Blutrot war das Fruchtfleisch, blutrot der Saft, der sofort begann über Kinn und Finger zu laufen. So widerwärtig die Fusoji gewesen, so köstlich waren nun diese Früchte. Je mehr er von ihnen aß, umso besser fühlte er sich und im Stillen bedauerte er es tief, als er schließlich die letzte Frucht gegessen hatte. Mit neu erlangter Energie erhob er sich letztendlich und verließ die winzige Hütte. Vor dieser traf er Rin und Jaken an, die geduldig auf ihn gewartet hatten. Rin strahlte vor Freude, als sie ihn endlich aus der Hütte treten sah und auch Jaken wirkte ungemein erleichtert seinen Herrn unversehrt wieder zu sehen. Nachdem er von den Beiden erfahren hatte, dass er beinahe zwei Tage in dieser Hütte gewesen war und in dieser Zeit äußerst besorgniserregende Geräusche zu hören gewesen waren, befahl Sesshōmaru Jaken, er solle sich um Rüstung und Schwerter kümmern, und ging anschließend auf direktem Weg zur Badestube. Sobald er sich von Schmutz und Schweiß gereinigt hatte und die, wie erwartet, daliegenden neuen Kleider sowie Rüstung und Schwerter wieder angelegt hatte, machte er sich auf den Weg zu der Lichtung, auf der sich Shiomari befand. Er war sich sicher dort auch mindestens einen der beiden Gastgeber zu finden. Tatsächlich stand Mitsuki gelassen wartend mitten auf der Lichtung, als Sesshōmaru diese betrat. Von Tomoki fehlte jede Spur, was jedoch nicht viel heißen mochte, dieses Wesen hatte bisher ein erstaunliches Talent bewiesen aus dem Nichts aufzutauchen und zu verschwinden. Während Sesshōmaru auf Mitsuki zu lief, fragte diese: „Kannst du deinen Arm gebrauchen?“ Als Antwort hob der Dämon lediglich ein wenig seinen linken Arm und ließ die Finger bedrohlich knacken. Er konnte sich nicht genau genug an die vergangenen zwei Tage erinnern, aber sein Instinkt sagte ihm, dass es mehr als unangenehm und entwürdigend für ihn gewesen war und dass die Frau vor ihm einen Gutteil der Verantwortung dafür trug. Noch beherrschte er seinen Unmut und erkundigte sich mit kühler Neugier: „Was für eine Art Magie hast du für dieses Ritual verwendet?“ „Mak Ba’el. Sie ist vor knapp zweitausend Jahren in Vergessenheit geraten, weil sie zu gefährlich ist“, erwiderte Mitsuki gelassen. „Warum hast du sie dann angewendet?“, Sesshōmarus Unmut wuchs weiter und wurde auch nicht durch den verwunderten Blick Mitsukis gemildert, der zu besagen schien, dass er die Antwort auf diese Frage eigentlich wissen müsste, dennoch erwiderte sie: „Es war der einzige Weg.“ Bevor die beiden ihre Unterhaltung fortsetzen konnten, rannte auf einmal Tomoki mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf sie zu, riss im Laufen Tōkejin und Tenseiga aus ihren Scheiden und war im nächsten Moment auch schon wieder hinter Mitsuki im Wald verschwunden. Die ohnehin schon in Sesshōmaru schwelende Wut, nahm nun überhand, das Weiß seiner Augen verfärbte sich rot, während er bereits die Verfolgung Tomokis aufnahm. Im gleichen Augenblick wurde er jedoch von Mitsuki aufgehalten, die sich ihm in den Weg stellte. Ohne zu zögern, setzte Sesshōmaru die Giftklaue ein, um den Weg frei zu bekommen. Statt jedoch die Schulter Mitsukis zu verwunden, löste sich nur der Yukata an der Stelle auf, bevor Sesshōmaru das Gefühl hatte auf undurchdringlichen Stahl zu treffen. Mitsuki sah ihn unterdessen völlig ungerührt an und äußerte: „Benutz deine linke.“ Der Hundeyōkai hörte jedoch nicht darauf, sondern sprang ein Stück zurück und erzeugte an den Fingern seiner rechten Hand die Energiepeitsche. Wieder ließ Mitsuki den Angriff unbeeindruckt über sich ergehen und wiederholte lediglich: „Benutz deine linke Hand.“ Da Mitsuki keinerlei Anstalten machte ihn anzugreifen, entschied Sesshōmaru, dass er sich zunächst seine Schwerter zurückholen würde, bevor er dafür sorgte, dass sowohl Mitsuki als auch Tomoki ihren letzten Atemzug taten. Als der Yōkai sich jedoch mit diesem Entschluss von Mitsuki abwandte, um die Verfolgung Tomokis aufzunehmen, stellte sich ihm die dunkelhaarige Frau erneut in den Weg. Verärgert ließ Sesshōmaru ein weiteres Mal die Energiepeitsche aufleuchten und auf Mitsuki niedersausen. Wieder traf diese erfolglos auf die junge Frau, zerfetzte lediglich ihre Kleidung noch ein wenig mehr, während Mitsuki zum dritten Mal ihre Aufforderung wiederholte. Entschlossen sie für den Moment nicht mehr zu beachten, sprang Sesshōmaru in die Luft und ließ eine kleine Wolke aus Yōki um seine Füße entstehen, um Tomoki auf diese Weise zu folgen. Offenbar hatte er die richtige Entscheidung getroffen. Denn so wie es aussah, war Mitsuki nicht in der Lage es ihm gleich zu tun. Statt nun jedoch einfach zu zusehen, wie er die Verfolgung Tomokis aufnahm, bewegte sich Mitsuki mit einer Geschwindigkeit, die sie für Sekunden verschwinden ließ, über die Lichtung. Erklomm ebenso behände einen Baum und sprang im letzten Moment, bevor der Dämon die Lichtung verlassen hatte, in dessen Richtung. Sie packte seinen rechten Arm und drehte ihm diesen auf den Rücken, während sie durch ihren eigenen Schwung getragen, gleichfalls auf dem Rücken des Dämon landete. Der war von diesem Angriff alles andere als angetan und benutzte nun tatsächlich seine linke Hand, um sie Mitsuki um den Hals zu legen, ihr die Luft abzudrücken und gleichzeitig zu versuchen, sie von seinem Rücken herunter zu bekommen. Da sie jedoch nicht von ihm abließ, kehrte er schließlich wieder auf den Boden der Lichtung zurück und presste sie mit seinem Gewicht gegen einen Baumstamm. Diesem Druck hatte Mitsuki schließlich nichts mehr entgegen zu setzen und so ließ sie los. Nur um erneut anzugreifen, kaum dass der Hundedämon ihr die geringste Möglichkeit dazu bot. Dieses Mal kam Sesshōmaru ihrem Wunsch nach, benutzte nicht nur seine rechte, sondern auch seine linke Klaue, um Mitsuki anzugreifen. Der einsetzende Hagel aus Dämonenenergie und Gift hinterließ nicht mehr nur an dem Yukata seine Spuren, sondern auch auf der darunter befindlichen Haut Mitsukis. Deren Reaktion bestand jedoch nicht etwa darin aufzugeben oder sich zurückzuziehen, sondern in einem anerkennenden Nicken und der Bemerkung: „Gut. Jetzt deine natürliche Gestalt.“ Als Sesshōmaru diese Worte hörte, hielt er abrupt inne und starrte auf das Wesen vor sich. „Was soll das?“, fragte er schließlich in scharfem Tonfall, der jeden anderen um sein Leben hätte fürchten lassen. „Ein durch Mak Ba’el angepasstes Körperteil muss innerhalb von zwölf Stunden nach dem Ende der Verwandlung in all seinen Funktionen und Fähigkeiten angewendet werden, sonst beginnt es sich zu zersetzen. Da wir nicht mehr viel Zeit haben, erschien mir dieser Weg als der kürzeste“, erklang auf einmal die Stimme Tomokis neben ihm, der noch immer die Schwerter des Dämons in der Hand hielt. „Du solltest dich also mit deiner Verwandlung zum Hund beeilen, viel Zeit hast du nicht mehr.“ Regungslos hatte Sesshōmaru dieser Erklärung gelauscht. Da er auf Tomokis Worte nicht umgehend reagierte, bestätigte Mitsuki dessen Aussage noch einmal, während Tomoki dem Yōkai dessen Schwerter zurückgab und anschließend zu Mitsuki hinüberging. „Mir scheint, Mak Ba’el macht dir inzwischen mehr zu schaffen als früher. So mitgenommen hast du das letzte Mal nicht ausgesehen“, stellte Tomoki an Mitsuki gewandt fest, während er ihr einen Haori über die Schultern und den kaputten Yukata legte. „Es ist eine Weile her, seit dem letzten Mal und Tarō war bei weitem nicht so stark. Deshalb waren die Nachwirkungen des Mak Ba’els auch nicht so gravierend“, erwiderte diese ruhig, bevor sie an Sesshōmaru gewandt äußerte: „Die zwölf Stunden sind bald um, es wäre wirklich besser du verwandelst dich. Sonst war alles umsonst und einen zweiten Versuch gibt es für diese Dinge nicht.“ Ohne sich die Mühe zu machen darauf zu antworten, stand Sesshōmaru einen Moment später als riesiger, rotäugiger Hund mit silbrig rauchgrauem Fell vor ihnen, der sich gleich darauf auf und davon machte, um seine wiedergewonnene Vierbeinigkeit auszutesten. Als er schließlich auf die Lichtung zurückkehrte, wurde er bereits von Tomoki und Mitsuki erwartet. Sobald Sesshōmaru sich wieder in seine menschenähnliche Form verwandelt hatte, stellte Tomoki sachlich fest: „Du hast es also rechtzeitig geschafft, dann können wir mit dem eigentlichen Training weitermachen.“ Obwohl es Sesshōmaru entschieden gegen den Strich ging, sich einem Anderen unterordnen zu müssen, fügte er sich doch in diesem Fall. Shiomari aus dem Stein zu ziehen, war nach einem Monat Übung unter Tomoki bei weitem keine Anstrengung mehr, auch nicht mit nur einem Arm. Allerdings musste Sesshōmaru seinem Lehrmeister im Stillen Recht geben, dass es um ein Wesentliches einfacher war Shiomari mit zwei Händen führen zu können. Überrascht stellte er fest, dass sein linker Arm seinem rechten an Stärke ebenbürtig war, offenbar eine weitere Zugabe der verwendeten Magie. Es dauerte noch eine weitere Woche bis Tomoki schließlich verkündete, es sei nun Zeit für die letzte Prüfung, die entscheiden sollte, ob Shiomari in den Besitz Sesshōmarus übergehen würde. Ohne sichtbare Regung hatte der Dämon diese Information entgegengenommen und fand sich am folgenden Tag wie üblich auf der Lichtung ein, um zu erfahren welcher Art diese Prüfung war. Zu seinem Erstaunen, das er wohlweislich verbarg, stellte er fest, dass sich erneut lediglich Mitsuki auf der Lichtung befand und ihn zu erwarten schien, dieses Mal mit einem Katana in der Hand, dessen Klinge und Griff ein reines Weiß aufwiesen. Mit äußerster Wachsamkeit schritt der Hundeyōkai auf die in Uwagi, Hakama und Strohsandalen gekleidete Frau zu. Das letzte Mal, als sie allein auf der Lichtung gestanden hatte, hatte er seine beiden Schwerter verloren, etwas derartiges sollte kein zweites Mal geschehen. „Du wirst mit Shiomari gegen mich antreten. Gelingt es dir den Stein auf meiner Brust mit dem Schwert zu berühren, gehört Shiomari dir.“ Mit leicht verengten Augen hatte Sesshōmaru der Erklärung gelauscht, wandte sich schließlich jedoch ab und holte schweigend das Schwert aus dem Stein. Als er zu Mitsuki zurückgekehrt war, befahl diese ruhig: „Greif an!“ Was sich der Yōkai kein zweites Mal sagen ließ und mit blitzartiger Geschwindigkeit auf Mitsuki zuflog, Shiomari so haltend, dass er seine Gegnerin von unten nach oben aufschlitzen würde. Diese jedoch parierte den Schlag völlig gelassen, ebenso wie jeden der darauf folgenden Angriffe. So frustrierend diese ständigen erfolglosen Angriffe für Sesshōmaru waren, so faszinierend war die Kampftechnik Mitsukis, die völlig konträr zu der Tomokis war. Ihre war eindeutig defensiver Natur, Tomokis aggressiver, einzig Geschwindigkeit und Können waren einander gleich. Während sich die Klingen der beiden Kontrahenten immer wieder aufs Neue trafen und wieder trennten, gegeneinander klirrten und von einander abprallten, erkundigte sich Mitsuki gelassen: „Möchtest du wissen, was geschieht, wenn du verlierst?“ „Ich werde nicht verlieren“, lautete die mit entschlossener Ruhe vorgebrachte Erwiderung Sesshōmarus, bevor er ein Stück zurücksprang, die Klingen auf diese Weise erneut trennend und gleich darauf einen weiteren Angriff startend, während er hinzufügte: „Ich werde dich töten.“ Bei diesem Satz blitzte tatsächlich Erheiterung in den Augen der dunkelhaarigen Frau auf, während sie erklärte: „Das hat bisher jeder Krieger gesagt. Versuch es, aber verlier dabei nicht die eigentliche Aufgabe aus den Augen.“ Kaum hatte sie ihren Satz beendet, ging sie zum Angriff über und zerschnitt im nächsten Augenblick mühelos die schützende Rüstung des Hundedämons. Es gelang Sesshōmaru die darauf folgenden Angriffe abzuwehren und seinerseits wieder anzugreifen, Mitsuki erneut in die Verteidigung drängend. Aber er hatte bereits erkannt, dass er auf diese Weise weder in der Lage sein würde seine Drohung wahr zu machen, noch die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Er würde es anders versuchen müssen und so ließ er es zu, dass Mitsuki, eine Lücke in seinen Angriffen nutzend, erneut ihrerseits zum Angriff überging. Kurz bevor ihr Schwert seinen ungeschützten Oberkörper mit voller Wucht getroffen hätte, drückte er Shionmaris Klinge dem Angriff entgegen, stoppte ihn und zwischen den beiden Gegnern begann eine Kraftprobe, wer wessen Schwert zur Seite drängen würde. Das war der Moment auf den Sesshōmaru gewartet hatte, es würde riskant sein, wenn er nicht schnell genug war, würde am Ende er derjenige sein, der aufgeschlitzt am Boden lag, dennoch würde er es versuchen. Er schob die Klinge Shiomaris über Mitsukis Schwert, bis dessen Klinge auf das Heft Shiomaris traf, gleichzeitig drückte er sein Schwert weiter auf Mitsuki zu, die darauf ebenfalls mit verstärktem Druck reagierte. Im nächsten Moment wirbelte Shiomari durch die Luft. Mitsuki war es mit einer Drehung ihres Schwertes und einer weiteren Kraftanstrengung gelungen, Sesshōmaru das Schwert aus der Hand zu schlagen, wobei für Sekunden ein hohes, kreischendes Geräusch erklang, das für die empfindlichen Ohren des Hundedämons schon unangenehm schrill war. Mit atemberaubender Geschwindigkeit gelang es Sesshōmaru wieder in den Besitz Shiomaris zu kommen, das ihm mit einem Mal leichter als zuvor erschien. Bevor er jedoch erneut angreifen konnte, hob Mitsuki die Hand, „du hast die Prüfung bestanden, Shiomari hat den Stein auf meiner Brust berührt. Es gehört dir.“ Im nächsten Moment streckte sie ihre linke Hand, in der sie ihr Schwert gehalten hatte, zur Seite und ließ es los. Nur einen Augenblick später stand Tomoki neben Mitsuki, während von dem Schwert nichts mehr zu sehen war. Gleichmütig war Sesshōmaru auf die Beiden zugekommen, Shiomari in der Hand haltend, dessen Spitze jedoch zu Boden wies. „Jetzt gibt es nur noch eines für dich zu tun, um die Macht Shiomaris nutzen zu können: Nenn uns beim Namen“, erklärte Mitsuki dem Yōkai vor ihr ruhig und schien ebenso wie Tomoki auf eine Reaktion zu warten. Sesshōmaru jedoch schwieg. Ihre Namen? Er ging davon aus, dass es sich dabei nicht um die Namen handelte, die Rin ihnen gegeben hatte, das wäre wohl zu einfach. Also versuchte er es zunächst mit dem Namen des Schwertes, „Shiomari.“ Mitsuki schüttelte den Kopf und erklärte gleichmütig: „Nicht was wir sind. Wer wir sind.“ „Er weiß es wohl immer noch nicht oder er erinnert sich nicht“, konstatierte Tomoki mit einer gewissen Resignation in der Stimme und wandte sich anschließend ab, um etwas aus der Felsspalte zu holen, aus der er am ersten Trainingstag auch die Schwerter hervorgeholt hatte. Es handelte sich um eine hölzerne, lackierte Schwertscheide, die er Sesshōmaru anschließend wortlos in die Hand drückte. Anscheinend davon überzeugt, dass dieser sehr wohl wusste, um wessen Hülle es sich handelte. Sesshōmaru hatte zunächst die beiden Wesen vor sich mit leicht verengten Augen taxiert und dann auf das Schwert in seiner rechten Hand herabgesehen. Er wusste, dass er ihre Namen bereits mehr als einmal gehört hatte, warum konnte er sich nicht an sie erinnern? Ein plötzlich einsetzendes, dumpfes Pochen in seinem linken Arm lenkte ihn von seinen intensiven Überlegungen ab. Er starrte auf seinen Arm und runzelte irritiert die Stirn. Mitsuki und Tomoki hatten doch gesagt, er hätte es rechtzeitig geschafft den Arm zu gebrauchen, wieso begann der jetzt anscheinend ein Eigenleben zu entwickeln? Aber diese Frage löste sich augenblicks in Rauch auf, als mit dem stärker werdenden dumpfen Pochen in seinem Arm, eine nebelhafte Erinnerung aus seinem Unterbewusstsein aufstieg. Es handelte sich nicht einmal um eine konkrete, bildhafte Erinnerung, es war nur ein Wort, ausgesprochen ohne weiteren Zusammenhang oder eine Erklärung. Sesshōmaru konzentrierte sich auf diese Erinnerung und schließlich gelang es ihm, das Wort zu verstehen. Er blickte auf die beiden wartenden Gestalten vor ihm und äußerte ruhig: „Shioken.“ Kaum dass die letzte Silbe seinen Mund verlassen hatte, wurde aus der sehnig schlanken Gestalt Tomokis ein Band gleißend weißer Energie, dass auf Sesshōmaru zu zurasen schien und gleich darauf von der Schwertspitze Schiomaris aufgesogen wurde. Nun waren Klinge und Griff Shiomaris in reines Weiß getaucht und auf dem Griff des Schwertes, direkt unter dem Heft, war eine hervorragende Goldschmiedearbeit eingelassen, in deren Mitte sich ein blutroter Schmuckstein befand. Prüfend besah sich Sesshōmaru diese Veränderung und stellte nicht nur fest, dass das Schwert ein weiteres Mal leichter geworden war, sondern dass es nun zu pulsieren schien… Nein, das war nicht das richtige Wort, es pulsierte nicht, es rief jemanden oder etwas. Während er auf dieses Rufen lauschte, blickte er zu Mitsuki, versuchte sich auf sie, statt auf das Rufen zu konzentrieren. Denn offenbar bestand der Trick bei der Findung der Namen darin, sich nicht angestrengt zu bemühen sie in Erfahrung zu bringen. Sobald Mitsuki bemerkte, dass der Hundedämon sie ansah, erklärte sie ruhig: „Wenn du deinen Finger auf den Stein legst und ‚saikō suru’ sagst, wird er wieder als Person vor dir stehen.“ Für einen winzigen Moment war der Dämon versucht, diese Aussage zu überprüfen. Dann jedoch äußerte er lediglich den Namen, den das Schwert rief, seit Shioken sich darin befand. „Marmori.“ Da, wo eben noch die junge Frau in Uwagi und Hakama gestanden hatte, befand sich nun eine Säule so dunkelblauer Energie, dass sie fast schwarz wirkte. Im nächsten Moment wurde auch sie von der Schwertspitze aufgesogen, sodass Griff und Klinge nun eine irritierend komplizierte Maserung aus hell und dunkel besaßen und sich auch auf der anderen Seite des Griffs eine Goldschmiedearbeit befand, deren Zentrum ein bläulich schwarzer Stein bildete. Shiomari schien jetzt nicht mehr als eine Feder zu wiegen, offenbar waren sowohl das irrsinnige Gewicht zu Beginn, als auch die Unverständlichkeit der wirklichen Namen der beiden Hälften Shiomaris Sicherheitsvorkehrungen, um es nicht in falsche Hände gelangen zu lassen. Shiomari in dessen Scheide und anschließend zu seinen anderen Schwertern steckend, kehrte Sesshōmaru zu Rin und Jaken zurück. Er entschied, dass es nach all den Prüfungen, die ihm zugemutet worden waren, nun an der Zeit war, Shiomari auf sein Können zu prüfen. Und er wusste auch schon sehr genau, an wem er es prüfen würde. Kapitel 7: Familienbande ------------------------ Zufrieden steckte InuYasha Tessaiga wieder in die Scheide, nachdem er mit einem letzten Kaze no Kizu den Rinderdämon erledigt hatte und Kagome ihrer Splittersammlung einen weiteren hinzufügen konnte. Wann diese dämlichen Typen wohl kapierten, dass ihnen die Splitter nicht größere Stärke, sondern den sicheren Tod brachten? Gerade als seine Freunde auf ihn zukamen, damit sie gemeinsam ihren Weg fortsetzen konnten, spürte die kleine Gruppe plötzlich eine dämonische Aura, die mit erstaunlicher Geschwindigkeit näher kam. Ein feiner, ihm sehr bekannter Geruch klärte InuYasha darüber auf, wer sich ihnen da gerade näherte. Schnell zog er erneut Tessaiga aus der Scheide und brachte mit einem großen Sprung einen hoffentlich ausreichenden Sicherheitsabstand zwischen sich und seine Freunde. Sich auf diese Weise schützend zwischen sie und den Neuankömmling stellend und gleichzeitig bemüht sie aus dem folgenden Kampfgeschehen heraus zu halten. Im nächsten Moment war der Dämon auch schon heran. „Sesshōmaru“, lautete die geknurrte Begrüßung des Hanyō, während er sich vorsorglich in Kampfstellung brachte, „was willst du schon wieder?“ „InuYasha“, erwiderte Sesshōmaru lediglich gleichmütig, zog Shiomari und griff unverzüglich an. „Was soll das, du Idiot? Kapier endlich, dass Tessaiga mir gehört“, blaffte InuYasha seinen Halbbruder an, während der ihn im reinen Schwertkampf über die Wiese trieb. Statt auf diese niveaulose Provokation einzugehen, erwiderte der Hundedämon: „Du bist langsamer geworden, InuYasha.“ „Keh“, meinte der Jüngere großspurig, „ich bin gerade erst dabei mich aufzuwärmen“, und sprang im nächsten Moment zurück, um genügend Platz für die Windnarbe zu haben. Statt ihm nachzusetzen, blieb der ältere der Halbbrüder gelassen wo er war. Sobald InuYasha sein Schwert schwang und ein Kaze no Kizu auf ihn zu rasen ließ, schnitt Sesshōmaru mit Shiomari durch die Luft und äußerte gelassen „Tsukiyomi.“ er hatte das Wort kaum ausgesprochen, als sich eine mondförmige Sichel aus dunkelblauer Energie von der Schwertspitze löste und dem Angriff InuYashas entgegenflog. Statt jedoch auf einander zu prallen und sich so gegenseitig zu neutralisieren, begann die dunkelblaue Energie Shiomaris die weißgoldene Tessaigas einzuhüllen, bis sie diese vollständig umschloss. Gleichzeitig zog sich das dunkle Tsukiyomi immer mehr zusammen, bis die Energiehülle schließlich implodierte und eine Druckwelle aussandte, die die Zuschauer zwang sich auf den Boden zu legen, Kagome den kleinen Kitsune in den Arm nahm und Sango das Gleiche bei Kirara tat, damit keiner von ihnen durch den Druck davon getragen wurde. InuYasha war es noch rechtzeitig gelungen sich mit Hilfe Tessaigas zu schützen, während Sesshōmaru stoisch die Vorgänge verfolgt hatte, vor der Druckwelle durch eine blaue Energiewand geschützt, die Shiomari aufgebaut hatte. „Du Mistkerl, was war das eben? Was ist das für ein Schwert?“, verlangte InuYasha zu wissen, als er erneut auf seinen Bruder zu stürmte, um direkt anzugreifen. Dieser parierte die Schläge gelassen, während er feststellte, dass sein Halbbruder im Denken offenbar noch langsamer war als im Kämpfen. Denn selbst er müsste doch erkannt haben, dass Sesshōmaru eben einen auf Verteidigung basierenden Gegenangriff zur Windnarbe losgeschickt hatte, ebenso wie er zumindest schon einmal von dem legendären Schwert gehört haben müsste. Dennoch ließ sich der Yōkai großmütig dazu herab seinen Bruder darüber aufzuklären, womit der es gerade zu tun bekam. „Shiomari. Das eben war eine reine Verteidigungsmöglichkeit.“ „Keh, du hast wohl eingesehen, dass du mit Tōkejin nicht gegen Tessaiga ankommst. Aber wenn du weiter Schwerter sammelst wie Andere Muscheln, wirst du dich irgendwann nicht mehr bewegen können“, spottete InuYasha während er immer wieder angriff, in dem Bemühen eine Schwäche in der Deckung seines Bruders zu finden. Aber offenbar hatte der sich nicht nur schon wieder ein neues Schwert zugelegt, sondern nebenbei auch fleißig trainiert. „Deine Sorge um mich ist völlig unnötig und deine Selbstsicherheit unangebracht“, teilte ihm Sesshōmaru unterdessen mit, parierte erneut die Klinge Tessaigas und ging seinerseits zum Angriff über. Besorgt beobachteten Kagome, Sango, Miroku und Shippō den Kampf der Brüder. Sie hatten bereits festgestellt, dass Sesshōmaru in den Besitz eines dritten Schwertes gelangt war, ebenso war ihnen aufgefallen, dass er wieder zwei Arme besaß – was InuYasha im Kampfeifer bisher völlig übersehen hatte. Als die Auseinandersetzung heftiger zu werden begann, hatten sie sich vorsorglich noch ein Stück weiter zurückgezogen, angespannt jede Bewegung des Hanyōs verfolgend, soweit ihnen das bei der Geschwindigkeit, die die beiden Brüder an den Tag legten, möglich war. Aber nicht nur das neue Schwert, der neue Arm und die Geschwindigkeit beunruhigten sie, sondern auch die Energie des neuen Schwertes, die bei Sesshōmarus Abwehr der Windnarbe freigesetzt worden war. Es war nicht, wie bei der Verwendung Tōkejins Yōki gewesen, das eingesetzt worden war, es war auch keine menschliche Magie, sondern eine ihnen bisher völlig unbekannte Form. In dem Moment als nicht weit von InuYashas Freunden ein zweiköpfiger Reitdrache mit Rin und Jaken auf dem Rücken landete, sandte Sesshōmaru die erste der beiden Angriffsmöglichkeiten Shiomaris, Susanoo, los. Dieses Mal erinnerte das Aussehen des Angriffs an eine Windhose. Bestehend aus zwei Energiesträngen, einem weißen und einem dunkelblauen, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit vorwärts bewegten und tiefe Furchen in den Boden frästen. Für einen winzigen Augenblick starrte InuYasha überrascht auf die Energie, die da auf ihn zukam. Dann jedoch riss er Tessaiga hoch und setzte sein Bakuryūha ein, um den Angriff auf seinen Gegner zurück zu lenken. Aber irgendetwas stimmte nicht. Statt dass der Angriff wie gewöhnlich auf seinen Gegner zurückfiel, noch durch die Angriffskraft Tessaigas verstärkt, schien dieser Angriff das Bakuryūha regelrecht in sich aufzusaugen, während er sich weiter InuYasha näherte, nun noch durch einen weißgoldenen Energiefaden ergänzt. Trotz dieser geballten Angriffsenergie wich der Halbdämon nicht aus, sondern stemmte sich mit der Breitseite Tessaigas gegen den Angriff, während er langsam zurückgedrängt wurde. Er musste es schaffen diese Windhose, wenn nicht abzuwehren, so doch umzulenken, denn wenn sie diese Richtung bei behielt, wären seine Freunde anschließend mit Sicherheit tot. So mobilisierte der Hanyō jedes Quäntchen Kraft über das er noch verfügte, bis die Zähne zusammen und schaffte es schließlich die Richtung des Angriffs soweit abzulenken, dass dieser drei Armlängen von seinen Freunden entfernt eine Schneise der Verwüstung hinterließ, bis sich die Energien schließlich verflüchtigten. Nach Atem ringend und blutend stützte sich InuYasha auf Tessaiga, während er seinen Bruder betrachtete. Was zur Hölle war das für ein Schwert? Es hatte mit diesem Angriff nicht nur den halben Wald hinter ihm zerstört, sondern auch auf Tessaiga Risse hinterlassen. Wenn das so weiter ging, würde es brechen und dann konnte er für nichts mehr garantieren. Während er noch seine Möglichkeiten abschätzte, stellte er verblüfft fest, wie sein Halbbruder das Schwert in die Scheide an seiner Hüfte zurückschob und sich offensichtlich zum Gehen wandte. „Hey, was soll das, du Blödmann, wir waren noch nicht fertig!“ „Du solltest in der Lage sein, deine Situation besser einzuschätzen, InuYasha“, erwiderte Sesshōmaru seinem Bruder ruhig über die Schulter, während er sich bereits in Bewegung setzte, „du bist am Ende.“ „Keh, bilde dir bloß nichts ein, ich habe gerade erst angefangen!“ Sesshōmaru hatte nie die Absicht gehegt auf diese Behauptung zu reagieren, allerdings sollte er auch keine Möglichkeit dazu haben. Denn plötzlich hing direkt über ihm eine dichte, stahlgraue Masse, die sich wohl am ehesten mit einer Gewitterwolke vergleichen ließ, nur dass sie für eine Wolke um einiges zu groß war und viel zu tief über dem Boden schwebte. Ebenso unerwartet, wie die Wolke aufgetaucht war, hatten die Steine am Griff Shiomaris begonnen sanft zu glühen, als wollten sie so die Aufmerksamkeit ihres Besitzers auf sich lenken. Zu klug und Kampf erfahren, um nicht zu wissen, dass er sich einer noch unbekannten Gefahr gegenüber befand, hatte Sesshōmaru bereits das Schwert wieder in der Hand, als aus der Wolke ein schwarzgrauer Nebel quoll, der den Hundeyōkai einhüllte und den Blicken der anderen vollständig entzog. Äußerlich vollkommen gleichmütig stand Sesshōmaru hoch aufgerichtet in dieser dichten Masse, die ihn nicht nur körperlich von der Außenwelt abschnitt, sondern ihm auch jegliche Möglichkeit nahm Witterungen und Energien in Erfahrung zu bringen. So wusste er auch nicht, dass InuYasha, Bruderzwist hin oder her, genau in diesem Augenblick versuchte ihm zu helfen, indem er ein Kaze no Kizu auf die Wolke zu rasen ließ und eine weitere auf die Stelle aus der der Nebel quoll. Shiomari hatte erneut eine schützende Wand um den Yōkai aufgebaut, während der dunkle Schmuckstein am Griff des Tsurugi begonnen hatte zu pulsieren. Der Nebel oder dessen Erzeuger schien das Hindernis zu bemerken, die grauschwarze, wabernde Masse wurde immer dichter, schien den Druck auf die Schutzwand zu erhöhen, die unter der fremden Energie sichtlich anfing schwächer zu werden. Sesshōmaru fand sehr schnell heraus, dass er mit Yōkiangriffen in diesem Nebel rein gar nichts ausrichten konnte, sie wurden schlicht und ergreifend von dem Nebel verschluckt, der sich auf diese Weise noch einmal verstärkte. Also unternahm Sesshōmaru den etwas riskanten Versuch einen Angriff mit Shiomari durch dessen Schutzwand hindurch zu senden, in der Hoffnung, dass der Angriff nicht auf der Innenseite reflektiert und auf ihn zurückgeschleudert werden würde. Er behielt mit seiner Hoffnung Recht. Der Energiewirbel, den er mit Susanoo auf den Nebel losließ, glitt mühelos durch die Schutzwand, brach für Sekunden die dunkle Masse auf und raste auf die Quelle des Nebels zu. Allerdings konnte Sesshōmaru nur einen Aufschrei und einen Fluch vernehmen, bevor sich der Nebel wieder schloss und abermals verdichtete. Außerhalb des Nebels versuchte InuYasha noch immer seinem Bruder zu helfen, denn wenn dieser arrogante Kerl von jemandem erledigt würde, dann allein von ihm und nicht von irgendeiner dahergelaufenen, dämlichen Wetterfee! Sowohl seine Freunde als auch Jaken und Ah-Un unterstützen ihn mit vereinten Kräften bei seinem Vorhaben, wenn auch aus anders gearteten Beweggründen. Allerdings hatten sie ebenso wenig Erfolg mit ihren Bemühungen wie der Halbdämon. Sesshōmaru stellte unterdessen fest, dass sich die ihn umgebende, wogende Masse veränderte. Sie schien nun den Yōkai lähmen zu wollen, ihn nach und nach kampfunfähig zu machen und zu betäuben. Für eine Weile würde der diesem Versuch Dank seines Yōki standhalten können, die Frage war nur, wie lang. Durch den allmählich vom Nebel zersetzten Energieschutz Shiomaris, kam auf einmal mit Höchstgeschwindigkeit ein Papiervogel geflogen, wich Klauen und Energiepeitsche des bereits durch die lähmende Wirkung des Nebels beeinträchtigten Dämons mit Leichtigkeit aus und wickelt sich im nächsten Moment um den Griff Schiomaris, auf diese Weise das Leuchten und Pulsieren zum Erliegen bringend. Auf dem Papier waren die gleichen Zeichen und Symbole zu sehen, wie auf dem Bretterverschlag im Wald von Sameji. Mak Ba’el. Nicht, dass Sesshōmaru diese Zeichen gebraucht hätte, um diese Art von Magie wieder zu erkennen, die erste und bisher einzige Demonstration dieser Magieart hatte sich ihm tief eingeprägt. Der Vogel war nur die letzte Bestätigung, dass er es mit einem Gegner zu tun hatte, den er nicht unterschätzen durfte. Wie sich zeigte, hatte es sich bei dem Papiervogel offenbar um ein Bannsiegel gehandelt, denn im gleichen Moment, als es sich um das Schwert legte, war die schützende Wand endgültig in sich zusammen gefallen und Sesshōmaru nicht mehr in der Lage Shiomaris Energien zu aktivieren und auf die Nebelwand zu richten. Es blieb ihm jedoch keine Zeit, zu versuchen das Siegel zu lösen, denn die Dichte und Schwärze des Nebels nahm noch immer zu. Verursachte Schmerz, presste die Luft aus den Lungen, zwang den noch immer Widerstand leistenden Dämon auf die Knie, zog die Schlingen eines unsichtbaren Bannkreises immer fester um den verbissen dagegen ankämpfenden Yōkai und trug schließlich den Sieg über dessen Willen und Bewusstsein davon. Den nun bewusstlosen Herrn der westlichen Länder mit sich tragend, zog sich der Nebel eilig in die Wolke zurück und war im nächsten Moment zusammen mit dieser ebenso plötzlich und spurlos verschwunden, wie sie aufgetaucht war; eine fassungslose Gruppe aus Menschen, Yōkai, einem Halbdämon und einem Reitdrachen zurücklassend. Die ersten beiden, die ihre Sprache wieder fanden, waren Rin und Jaken, die hilflos den Namen des Hundedämons hervorbrachten und sich fragten, was sie denn nun tun sollten, um ihm zu helfen. InuYasha hatte sich unterdessen kurzerhand dort auf den Boden fallen lassen, wo er zuvor gestanden hatte. Die Hände in den Ärmeln seines Feuerrattengewandes verborgen, saß er im Schneidersitz da und erklärte: „Keh, ich brauch erstmal was zu essen.“ „InuYasha!“, Kagome klang angesichts dieser Abgebrühtheit verärgert, nicht dass ihr besonders an Sesshōmaru gelegen wäre, aber Rin sah äußerst unglücklich aus, ein bisschen Rücksicht wäre also durchaus angebracht gewesen. „Was denn“, knurrte der Hanyō im nächsten Moment seine Freundin an, „ich hab ja nicht gesagt, dass ich ihm nicht helfen werde, ich kann nur mit leerem Magen nicht denken.“ Das er das auch selten genug mit vollem Magen tat, sparten sich seine Freunde an dieser Stelle zu erwähnen. Stattdessen holte Kagome seufzend das Essen hervor, während sich Miroku, Sango und Shippō ebenfalls niederließen. „Weißt du wer oder was hinter dieser Wolke stecken könnte oder ein Interesse daran hat Sesshōmaru zu entführen?“, erkundigte sich der Mönch bei Jaken, nachdem dieser und Rin von Kagome freundlich aufgefordert worden waren, sich zu ihnen zu setzen. „Nein“, Jaken schüttelte den Kopf, „wer wäre auch so dumm, sich freiwillig den Tod ins Haus zu holen.“ „Na, irgendjemand war es offensichtlich und bis jetzt scheint er damit ganz gut wegzukommen“, brummte InuYasha, während er die letzten Nudeln seiner Portion Ramen hinunterschlang. „Aber sag mal, weißt du was das für eine Magie war? So was hab ich vorher noch nie gesehen.“ „Ich habe es auch erst einmal zu spüren bekommen, aber da war es nicht so stark. Mitsuki nannte es Mak Ba’el. Eine Form der Magie, die seit gut 2000 Jahren nicht mehr verwendet wird.“ „Mitsuki?“, die Frage wurde von Kagome gestellt, während alle außer Rin, neugierig den kleinen Kappa anstarrten. Dieser wirkte mit einem Mal erstaunlich verlegen und verunsichert, entschied dann aber, InuYasha und seinen Begleitern zumindest eine Kurzversion der vergangenen Wochen zu erzählen. Als Jaken seinen Bericht beendet hatte, schwieg die Gruppe für einen Moment, bevor Sango nachdenklich erklärte: „Es scheint fast, als wäre dieses ‚was-auch-immer-es-ist’ gar nicht hinter Sesshōmaru her, sondern viel mehr hinter dem Schwert.“ Miroku nickte zustimmend, „das würde den Bannkreis erklären, den Mitsuki gelegt hatte und warum diese Wolke erst auftauchte, nachdem Sesshōmaru Shiomari außerhalb des Bannkreises eingesetzt hat.“ „Keh, dann hätte dieses Ding sich doch nur das Schwert schnappen brauchen und Sesshōmaru hier lassen können“, widersprach InuYasha. Worauf Jaken jedoch erklärte: „Mitsuki hat erwähnt, dass Shiomari nur von seinem rechtmäßigen Besitzer getragen werden kann. Möglicherweise versucht dieser Jemand Sesshōmaru-sama zu kontrollieren, um durch ihn über das Schwert verfügen zu können.“ „Ist so etwas denn überhaupt möglich?“, Kagome klang zweifelnd, Sesshōmaru war wohl der stärkste Dämon, den es gab – und mindestens ebenso dickköpfig, wie sein kleiner Bruder, auch wenn keiner von beiden das gern gehört hätte. Dass es möglich sein sollte, den Willen des Herrn der westlichen Länder einfach so zu kontrollieren, war nahezu unvorstellbar. „Bisher hätte ich so etwas nicht für möglich gehalten, aber ihr habt gesehen, dass Mak Ba’el stark genug ist, Sesshōmaru-sama gefangen zu setzen. Wer weiß, wozu diese Magie noch fähig ist“, Jaken klang bemerkendwert hoffnungslos. „Keh, egal wo mein Herr Bruder jetzt steckt und wer versucht ihn zu kontrollieren, ich werde ihm schon Vernunft beibringen“, verkündete Inuyasha selbstsicher, während er gleichzeitig mit einer Hand gegen seinen Hals schlug und im nächsten Moment etwas Kleines zwischen Daumen und Zeigefinger gefangen hielt. „Myōga-jījī, was machst du denn hier?“ „Inuyasha-sama, wie schön dich zu sehen“, erwiderte der kleine Flohgeist bestrebt den Halbdämon von der Tatsache abzulenken, dass er wie üblich erst aufgetaucht war, nachdem jegliche Gefahr gebannt war. „Keh“, lautete die wegwerfende Antwort InuYashas auf Myōgas Begrüßung, bevor er sich wieder den Anderen zuwandte und erklärte: „Hat irgendjemand eine Idee, wie wir herausfinden können, wo Sesshōmaru jetzt steckt?“ Als Antwort erhielt er lediglich ein allgemeines Kopfschütteln, bis Myōga die Aufmerksamkeit aller wieder auf sich lenkte, indem er vorsichtig erklärte: „Es gibt im Osten einen See, der einem jede Person zeigt, die man zu sehen wünscht, vielleicht hilft euch das weiter.“ Nach einem prüfenden Blick in die Runde, erklärte InuYasha entschieden: „Gut, versuchen können wir es. Aber vorher muss ich zu Tōtōsai, damit er Tessaiga repariert, dieser Wirbelsturm war ganz schön heftig.“ Kapitel 8: Sammelleidenschaft und Sumpfbesuch --------------------------------------------- Noch immer bewusstlos, schwebte der Körper des mächtigsten Hundedämons, von dem schwarzen Nebel getragen, im Inneren der Wolke. Während ein wachsbleicher Mann, dessen Aussehen entfernt an einen Salamander erinnerte, der noch nie Tageslicht gesehen hat, neben diesem stand und mit feuchten, dunklen Augen gierig die Schwerter an der Hüfte des Yōkai betrachtete. Endlich, endlich war es so weit. Solange hatte er auf diesen Moment warten müssen und nun endlich befand es sich in seiner Reichweite. Bald würde er es sein Eigen nennen können und sich an seiner Schönheit weiden. Ein glückliches Kichern entfuhr dem Mann, bevor er seine Aufmerksamkeit Tōkejin zuwandte und näher trat, um es aus der Scheide zu ziehen. „Eiei, ein Schwert mit Seele, einer Seele voller Hass“, murmelte er leise vor sich hin. Er hatte im Lauf der Zeit begonnen mit sich selbst zu reden, es gab sonst niemanden der ihm zugehört hätte, sah man von den Schwertern ab. „Ein schönes Schwert, ein starkes Schwert, du wirst dich bei mir wohl fühlen.“ Liebevoll zog er Tōkejin samt Scheide aus dem Seidengürtel, legte es behutsam zur Seite und wandte sich anschließend Tenseiga zu. „Und du, mein Schöner, bist auch etwas Seltenes. Ich habe noch zwei wie dich in meiner Sammlung, aber keines ist so stark wie du. Du wurdest schlecht genutzt, dein Herr ist ein Ignorant, jaja“, redete der Alte weiter vor sich hin, während er das Schwert genauestens prüfte. „Soso, du hast also noch einen Bruder, nein, zwei. Aber einer ist in der Hölle. Traurig, traurig, aber nichts zu machen. Vielleicht wirst du mir helfen, es zurück zu holen, wir werden sehen. - Tessaiga heißt das andere“, ein Lächeln huschte über die echsenhaften Gesichtszüge, „starke Schützer alle beide, es wird kommen, um dich zu holen, das wird interessant.“ Wieder ein Kichern, bevor er Tenseiga neben Tōkejin legte und sich dem dritten und letzten Schwert zuwandte. Mit beinahe an Verehrung grenzender Behutsamkeit zog er das Schwert samt Scheide aus dem Gürtel, schien sich zunächst am Anblick des Griffs und der Scheide zu berauschen, bevor er versuchte Schiomari aus seiner Hülle zu ziehen. Doch es blieb bei dem Versuch, wie sehr er sich auch anstrengen mochte, welchen Trick er auch anwendete, es gelang ihm nicht das Schwert aus der Scheide zu ziehen. „Soso, du bist also deinem Herrn treu und widersetzt dich mir. Das lässt sich ändern“, murmelte der Alte schließlich, legte Schiomari zu den beiden anderen Schwertern und verließ anschließend den Raum für eine geraume Weile. Als er zurückkehrte, folgte ihm ein weiterer Nebelschwaden auf dem eine Tonfigur von Größe und Aussehen eines lebenden Menschen ruhte. Bei dem noch immer bewusstlosen Dämon angelangt, schob sich die zweite Nebelwolke mit der Tonfigur neben die Wolke mit dem Dämon und verharrte ruhig. Unterdessen hatte der salamanderhafte Alte gelassen begonnen den Yōkai zu entkleiden, nachdem er ihm eine dicke Strähne der langen, silberweißen Haare samt Wurzel ausgerissen hatte. Dabei murmelte er: „So schönes Haar, so feine Kleidung, eine wichtige Persönlichkeit. Shiomari hat sich nicht irgendwen ausgesucht. Aber zu stolz dem neuen Herren zu erzählen, worauf er sich einlässt. Jaja, es hat gut daran getan, dich auszusuchen, du wirst mir sehr viel nützlicher sein, als ihm.“ Sobald der Hundedämon nichts als eine einfache Zubon am Körper trug, wandte sich der alte Magier ab, um auf einer inter ihm befindlichen Arbeitsplatte etwas zu suchen, während er leise vor sich hinmurmelte. Sobald er gefunden hatte, was er suchte, trat er zwischen die beiden Wolken und wand zunächst um das Handgelenk des Dämons das Ende einer sehr dünnen, sehr stabil wirkenden Schnur, das zweite Ende der Schnur kam um das Handgelenk der Tonfigur. Anschließend machte sich der Alte daran eine Anzahl von Symbolen auf die miteinander verbundenen Hände sowie jeweils auf Kopf und Oberkörper des Dämons und der Tonfigur anzubringen. Wobei er alte, längstvergessene Worte in einem merkwürdigen Singsang rezitierte. Als er das letzte der Zeichen aufgetragen hatte, trat er einige Schritte zurück, hob gebieterisch einen Arm in die Höhe und sprach einen kurzen Befehl aus. Im nächsten Augenblick bildete sich um die Schnur, die die beiden Handgelenke verband, ein taubenblauer Energienebel, der spiralförmig um die Schnur als Zentrum immer schneller und stärker werdend rotierte, während sich die Symbole auf dem Körper des Dämons zunächst in Richtung seines Bauchnabels zusammenzogen und anschließend von dem Wirbel aufgesogen wurden. Einige Zeit später begannen die Zeichen auf dem Körper der Tonfigur sich zu verzerren und undeutlich zu werden. Verschwammen, bildeten unförmige Figuren, schienen einen merkwürdigen Tanz aufzuführen, beruhigten sich schließlich wieder und waren erneut klar und deutlich zu erkennen. Vom Kopf der Figur ausgehend erglühte nach und nach jedes der Symbole in einem weißgelben, merkwürdig tot wirkenden Licht. Zu allerletzt begannen auch die Zeichen auf der Hand der Tonfigur zu leuchten, während der Energiewirbel um die Schnur allmählich erlosch. Dann versiegte die Energie völlig, nur das sanfte Leuchten der Symbole auf dem Tonkörper hielt noch an, während der Magier schlurfend näher trat und einen prüfenden Blick auf seine beiden Versuchsobjekte warf, bevor er zufrieden nickte und lächelnd erklärte: „Du warst sehr großzügig, mein Junge, und eine große Hilfe. Jetzt brauche ich dich nicht mehr, deshalb wirst du uns jetzt verlassen.“ Während er sprach, hatte der Alte eine kleine, lässige Handbewegung gemacht und im nächsten Moment viel der Körper des Yōkai ins Bodenlose. Eine seltsame, bunt zusammengewürfelte Gruppe aus Menschen, Yōkai, einem Halbdämon, einem Flohgeist und einem Reitdrachen, befand sich auf dem Weg gen Osten. Sie waren bei Tōtōsai gewesen, bei dem InuYasha, nach dem Austausch der üblichen Beleidigungen und Kopfnüsse, Tessaiga hatte reparieren lassen und sie zugleich nähere Informationen über den Spiegelsee erhielten. Denn Dank der lückenhaften Erinnerung des Schmieds waren auch Myōga noch einige hilfreiche Details zur genauen Lage des Sees eingefallen, sodass er die ungewöhnliche Gruppe nun begleitete, um ihnen den Weg zu weisen. Der Schnelligkeit halber ritten die sieben zweibeinigen Teilnehmer der Rettungsaktion auf Kirara und Ah-Un, während Myōga auf der Schulter InuYashas hockte und versuchte sich an der unter ihnen befindlichen, sich ständig verändernden Landschaft zu orientieren. Schließlich erreichten sie die kochenden Sümpfe im Osten, hinter denen das Nebelgebirge lag und in dem sich wiederum der Spiegelsee befand, der einem jede Person zeigte, die man sehen wollte. Die Luft in der Nähe der Sümpfe roch unangenehm, erinnerte an den Geruch faulender Eier und ließ sich auch durch den beständig wehenden Wind, der aus Richtung des Nebelgebirges kam, nicht vertreiben. Aber nicht nur der Wind erschwerte der Reisegruppe den Weiterflug. Etwa zehn Meter über den Sümpfen hing eine dicke Wolkenschicht aus giftigen Dämpfen, die die Gruppe schließlich zwang ihren weiteren Weg zu Fuß fortzusetzen - etwas das keinem der Teilnehmer Schauer des Wohlbehagens über den Rücken laufen ließ. Vorsichtig suchten sie sich ihren Weg zwischen den brodelnden Schlammbecken hindurch. Immer wieder zusammenzuckend, wenn einer der aufquellenden Blasen mit einem Nerven erschütternden Geräusch platzte und einen widerlichen Gestank freigab. Meist schwieg die ungewöhnliche Gruppe, nur hin und wieder ließ einer von ihnen eine Bemerkung hören. InuYasha lief den Anderen voran, vorsorglich die Hand am Schwertgriff und angespannt lauschend, wittern konnte er in dieser Umgebung nichts als die Gerüche der Sümpfe. „Eine unheimliche Gegend, es wirkt alles so tot, man kann durch das Gas noch nicht einmal den Himmel sehen“, äußerte Kagome besorgt, während sie kurz nach oben geblickt hatte. „Das Gebirge ist auch nicht mehr zu sehen, hoffentlich verirren wir uns nicht.“ „Das wäre schlecht, ich habe das Gefühl, wir werden beobachtet und dass diese Beobachter nur darauf warten, dass wir nicht mehr weiter wissen, um uns anfallen zu können“, stimmte Sango ihr zu, während sie prüfend die Gegend vor und neben sich taxierte. Eigentlich war es unmöglich, sich hier irgendwo zu verstecken, es sei denn im Schlamm selbst, aber die Dämonenjägerin war zu gut geschult, als dass sie diese Möglichkeit ausgeschlossen hätte. Der Weg zog sich dahin, es war unmöglich zu sagen wie weit sie bereits gelaufen waren und wie lang es noch dauern würde, bis sie ihr eigentliches Ziel erreichen würden. Plötzlich erklang in der Stille ein leises, lang gezogenes, nicht enden wollendes Wimmern. Für einen Augenblick erstarrte die Gruppe, bevor sie ihren Weg fortsetzte, begleitet von diesem Wimmern. Es schien weder abzunehmen noch anzuschwellen, sondern ihnen stets mit der gleichen Lautstärke entgegen zu klingen, was es schwierig machte abzuschätzen in welcher Entfernung und in welcher Richtung es sich befand. Die Ohren des Hanyō zuckten nervös, während er versuchte andere Geräusche als dieses Wimmern wahrzunehmen. Wenn nach seinem Geruchssinn auch noch sein Gehör Schach matt gesetzt würde, könnte das ziemlich gefährlich werden. Er hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, als ihn sein Name herumfahren ließ, bereit zu kämpfen. Doch offenbar wurden sie gar nicht angegriffen und Kagome hatte ihn lediglich auf Etwas aufmerksam machen wollen. Also folgte er mit seinem Blick ihrem ausgestreckten Zeigefinger und sah ebenso wie der Rest der Reisegesellschaft auf eine Stelle, an der der Weg steil in den Sumpf abfiel. Dort hockte, knapp über dem kochenden Sumpf eine kleine, gelbgrüne Flamme, auf einem Steinchen und gab dieses merkwürdige Wimmern von sich. „Was ist das denn?“, erkundigte sich der Halbdämon erstaunt, während Rin sich vorsichtig auf dem Weg niedergekniet und das kleine Wesen auf den plötzlichen Zuwachs an Gesellschaft aufmerksam gemacht hatte. Erschrocken sah das winzige Wesen auf. Beruhigte sich jedoch, nachdem Rin ihm versichert hatte, dass sie ihm nichts Böses wollten und war schließlich sogar vorsichtig auf deren ausgestreckte Hand geklettert, sodass Rin wieder aufstand, die ausgestreckte Hand, in der das Flämmchen saß, vor sich haltend, während der Rest der Gruppe sich um sie scharrte. Da bisher niemand InuYashas Frage beantwortet hatte, stellte er seine Frage ein zweites Mal, dieses Mal direkt an das seltsame Wesen gewandt. Dieses antwortete mit unverkennbarem Stolz in der Stimme, die an das Knacken dünner Zweige erinnerte: „Ich bin ein Irrlicht.“ „Aha“, erwiderte der Halbdämon unbeeindruckt, „hast du auch einen Namen?“ „Natürlich haben wir auch Namen! Für was hältst du uns, für ungehobelte Yōkai?“, erwiderte das Flämmchen arrogant und quiekte im nächsten Moment erschrocken auf, als das, was wohl sein Kopf war, sich plötzlich zwischen zwei krallenbewehrten Fingern Inuyashas wiederfand. „InuYasha!“, äußerte Kagome entrüstet, bevor sie sich an das Irrlicht wandte und sich erkundigte: „Sagst du uns deinen Namen und warum du geweint hast?“ Eifrig nickte die kleine Flamme, wollte es doch nicht noch einmal Gefahr laufen zerquetscht zu werden. „Ich heiße Ruki“, erklärte es anschließend, erhob sich auf der Handfläche und verbeugte sich höflich, „erfreut euch kennen zu lernen.“ Mit einem Lächeln erwiderte Kagome die Begrüßung und stellte sich und ihre Begleiter vor, bevor sich noch einmal nachhakte, warum Ruki geweint hatte. Das kleine Flämmchen wirkte mit einem Mal äußerst verlegen und geknickt, während es mit peinlich berührter Stimme zugab: „Ich habe mich verirrt.“ Verblüfft starrten die Anderen es an, ein Irrlicht, das sich verirrte – wo gab es denn so etwas?! Da die kleine Flamme noch immer wie ein Häufchen Elend in der Hand von Rin hockte, fragte das kleine Mädchen: „Können wir Ruki nicht mitnehmen?“ Fragend sahen die Ältern einander an, bevor Miroku erklärte: „Ich weiß nicht, ob es zurückfindet, wenn wir es zum Nebelgebirge mitnehmen. Vielleicht ist es besser aufgehoben, wenn es hier wartet, seine Familie wird doch sicher nach ihm suchen.“ Bei der Erwähnung des Nebelgebirges hatte Ruki abrupt aufgesehen und erkundigte sich nun neugierig: „Ihr wollt zum Nebelgebirge? Warum?“ „Wir suchen Sesshōmaru-sama und der Spiegelsee soll uns dabei helfen“, erklärte Rin dem Irrlicht, bevor einer der Anderen reagieren konnte. Erstaunen spiegelte sich in den an Gesichtzügen erinnernden Flammen Rukis wieder, während es fragte: „Wenn jemand verloren geht sucht ihr ihn?“ Rin nickte und erkundigte sich: „Ist das bei euch nicht so?“ Etwas verunsichert erklärte Ruki: „Wir gehen nie verloren, wir lassen andere verloren gehen, das ist unsere Aufgabe.“ „Keh, irgendwie scheinst du das Prinzip nicht verstanden zu haben. Jetzt lasst uns endlich weitergehen, der Gestank wird allmählich unerträglich“, mischte sich InuYasha etwas ungehalten wieder in das Gespräch ein, bevor er sich, ohne auf eine Antwort zu warten, abwandte und wieder begann in die Richtung zu laufen, in der er das Nebelgebirge vermutete. Die Anderen folgten ihm jedoch nicht sofort, obwohl auch ihnen die Dämpfe zu schaffen machten, denn Ruki erklärte: „Wenn ihr zum Nebelgebirge wollt, lauft ihr in die falsche Richtung, so kommt ihr in die Salzwüste.“ „Bist du sicher, dass du nicht gerade versuchst uns in die Irre zu führen?“, fragte Sango misstrauisch nach, was dazu führte das Ruki regelrecht beleidigt wirkte und hoheitsvoll erwiderte: „Es ist eure Sache, ob ihr mir glaubt. Aber wir Irrlichter sind nicht so ehrlos diejenigen ins Verderben laufen zu lassen, die freundlich zu uns waren.“ „Keh, er hat sich in seinem eigenen zu Hause verlaufen, wie vertrauenswürdig kann er schon sein“, brummte InuYasha der stehen geblieben war und der kurzen Unterhaltung zugehört hatte. Vor Ärger wurde das Gelbgrün der kleinen Flamme beinahe rot, als es entrüstet erklärte: „Tut doch was ihr wollt“, bevor es in beleidigtem Schweigen versank. Einen Moment ratlos sahen sich Kagome, Sango und Miroku an, bevor sie sich Hilfe suchend an den Flohgeist wandten, ob er vielleicht eine Ahnung hatte, ob sie sich auf dem richtigen Weg befanden oder Gefahr liefen sich hoffnungslos zu verlaufen. Doch auch Myōga kannte sich in dieser Gegend nicht aus. In diesem Moment erklärte Jaken: „Über dem Sumpf weht doch von den Bergen her ständig der Wind.“ „Das wissen wir auch, alte Kröte, aber das hilft uns nicht weiter, ich kann durch den Gestank des Sumpfes einfach keine Witterung aufnehmen“, erklärte InuYasha ungehalten. „Nein, InuYasha, Jakens Idee ist nicht schlecht“, erwiderte der Mönch und hob beschwichtigend die Hand als der Halbdämon widersprechen wollte, bevor er erklärte: „Wenn es dir gelingt zu hören aus welcher Richtung der Wind weht und wir diesem Geräusch folgen, müssten wir eigentlich genau beim Gebirge aus dem Sumpf heraus kommen.“ Kurz zuckten die Ohren des Hanyō verärgert, während er gleichzeitig etwas über den Missbrauch seiner Person als Fährtenhund murrte. Dann konzentrierte er sich jeodch mit geschlossenen Augen auf die Geräusche um ihn. Es dauerte etwas bis er die verschiedenen Klänge und Laute zugeordnet und sortiert hatte, aber dann konnte er es hören: Ein leises Brausen gemischt mit einem schwachen Pfeifen, das aus der Richtung links von ihnen zu kommen schien. Vielleicht hatte Ruki Recht gehabt, aber das würde er ihm bestimmt nicht auf die Nase binden. Stattdessen öffnete InuYasha die Augen, orientierte sich kurz, fand schließlich einen Weg, der sie in die Richtung führen würde, aus der der Wind kam und setzte sich in Bewegung. Dicht gefolgt von seinen Freunden, Rin mit Ruki auf der Schulter und Jaken mit Ah-Un am Zügel. Kapitel 9: Spieglein, Spieglein... ---------------------------------- Freut mich zu lesen, dass Ruki euch gefällt und dass die Spekulationen zu blühen beginnen. ^^ Mal sehen, ob einige davon im Folgenden befriedigt werden können… Wünsch euch viel Vergnügen beim Lesen. Ohne weitere Probleme hatte die Gruppe um InuYasha die kochenden Sümpfe durchquert, angeführt von dem Hanyō, der immer wieder lauschend stehen blieb, um auf den Wind zu hören und zu überprüfen, ob sie noch in die richtige Richtung liefen. Als sie die Sümpfe schließlich verließen, atmeten alle erleichtert auf, froh endlich wieder Luft in die Nase zu bekommen, die nicht stank und allein schon durch ihre Hitze widerwärtig war. Allerdings bedeutete das Verlassen der Sümpfe auch, dass sie von einem Moment zum anderen in eine sehr viel kühlere Umgebung kamen und sowohl die Menschen, als auch die beiden kleinen Yōkai begannen schnell zu frösteln. Durch die lange Wanderung erschöpft, ließen sie sich schließlich an einer geschützten Stelle, in der Nähe eines Baches nieder, zündeten ein Feuer an und legten eine Pause ein, in der Rin sich bei Ruki erkundigte, ob er denn von diesem Platz aus wieder nach Hause finden würde. Nachdem sich das Irrlicht ein wenig umgesehen hatte, schüttelte es zögernd den Kopf und fragte hoffnungsvoll, ob es nicht noch eine Weile bei ihnen bleiben dürfe. Wenn sie dann auf dem Rückweg wieder den Sumpf durchquerten, konnten sie ihn ja immer noch zurücklassen. Es hätte nicht der geballten Ladung heroischer Traurigkeit in Rukis Stimme bedurft, um Rins Mitgefühl zu wecken, so versicherte sie ihm nur umso überzeugter, dass sie ihn bestimmt nicht so einfach zurücklassen würden und sorgte auf diese Weise dafür, dass sich Rukis Stimmung augenblicklich wieder hob und er sich eifrig bemühte seine Dankbarkeit zu zeigen, indem er erklärte: „Der Spiegelsee wird von einem alten Berggeist bewacht. Gegen uns Irrlichter hat er nichts, aber auf jede andere Störung reagiert er ziemlich ungehalten. Ihr solltet sehr vorsichtig sein und nur sehr leise sprechen, er mag keinen Lärm. Oh und ihr solltet ihm ein Geschenk mitbringen.“ „Ein Geschenk?! Wo sollen wir denn jetzt ein Geschenk hernehmen?“, murmelte Kagome etwas fassungslos, den anderen ging es ähnlich. Dass Ruki noch hinzufügte: „Aber es sollte nicht irgendwelcher Plunder sein, den er schon zur Genüge hat“, machte die Sache auch nicht eben leichter. In der Hoffnung, einen Hinweis zu erhalten, was man denn einem Berggeist als Gastgeschenk mitbringen könnte, erkundigte sich Myōga: „Was für Plunder hat er denn schon zur Genüge?“ „Na, diese Glitzersteine und so ein komisches, weiches Erz, davon ist der Berg voll“, erwiderte Ruki wenig hilfreich. „Meinst du vielleicht Gold und Edelsteine?“, erkundigte sich Kagome, nachdem sie einen Moment über Rukis Worte nachgedacht hatte. „Ich weiß nicht, wie ihr das nennt, aber Menschen scheinen diese Dinge sehr zu mögen. Hin und wieder sind nämlich welche hergekommen und wenn sie diese Sachen dann gesehen haben sind sie ganz verrückt geworden und das hat den Berggeist so verrückt gemacht, dass er sie erschlagen hat“, zur Veranschaulichung seiner Worte hatte Ruki mit zwei Flammenärmchen wild durch die Luft gestikuliert. „Wenn er Gold und so etwas nicht haben will, gefällt ihm ja vielleicht ein Bild!?“, äußerte Shippō daraufhin und hielt zugleich überzeugt eines seiner mit Wachsstiften aus der Neuzeit, auf Papier aus der Neuzeit, gezeichneten Bilder nach oben. Als Antwort auf seine Frage erhielt der kleine Fuchsjunge von InuYasha eine Kopfnuss. Allerdings nicht allzu kräftig, man konnte es mit etwas gutem Willen noch als Tätscheln durchgehen lassen, während der Hanyō gleichzeitig brummte: „Rede keinen Unsinn.“ Enttäuscht hielt Shippō sich die geschlagene Stelle an seinem Hinterkopf und murmelte trotzig: „Ich dachte ja nur“, während er auf das fallen gelassene Bild vor sich blickte. Auch Ruki hatte sich neugierig auf der Schulter Rins vorgebeugt, um die Zeichnung besser in Augenschein nehmen zu können und erkundigte sich neugierig was auf dem Bild zu sehen war, eifrig erklärte Shippō es ihm. Ruki nickte immer wieder und meinte schließlich: „Ich glaube schon, dass ihm das gefallen würde, er weiß nämlich nicht, was jenseits der Berge geschieht. Vielleicht findet er es interessant, dass es Menschen gibt, die ihn nicht ärgern wollen.“ Damit war die Sache entschieden, es gab mehr als einen in der Reisegruppe, der im Stillen bezweifelte, dass dieses Geschenk dem Berggeist tatsächlich zusagen würde. Aber etwas anderes hatten sie im Moment nicht und einen Versuch war es wert, im Notfall würden sie eben kämpfen müssen. Sobald sie genügend Rast gemacht hatten, setzten sie ihre Reise fort. InuYasha und Kirara hatten zuvor getrennt nach einem Weg in das Innere des Berges gesucht, bis Kirara schließlich fündig geworden war. Ohne die Hilfe von Ah-Un und Sangos Katzendämon wäre es für den Großteil der Reisegruppe eine ziemlich beschwerliche Kletterei geworden, so jedoch landeten sie innerhalb kurzer Zeit sanft auf dem Plateau vor einem schmalen Höhleneingang, durch den sie in das Innere des Berges gelangten und einem erstaunlich bequemen Pfad tiefer in den Berg folgten, den Weg durch Kagomes Taschenlampe und Kiraras Flammen erleuchtet. „Weißt du, wie weit es bis zum dem Spiegelsee ist?“, erkundigte sich Sango schließlich bei dem kleinen Irrlicht, als sie bereits eine geraume Weile gelaufen waren, ohne dass der Gang eine bemerkenswerte Veränderung erfahren hätte oder InuYasha etwas anderes als den Geruch von Stein in die Nase bekam. „Nein, ich war noch nie an diesem See“, erwiderte Ruki und wurde als nächstes von Miroku gefragt, ob noch andere Lebewesen als der Berggeist und die Irrlichter in dem Berg hausten. Doch das konnte Ruki sich nicht vorstellen, bei dem cholerischen Temperament des Berggeistes. Nachdem sie lang genug dem auf und ab des Ganges gefolgt waren, um nicht mehr zu wissen ob sie sich noch über der Erde oder unter ihr bewegten, gelangten sie in eine kleine Höhle, deren Wände im Lampen- und Feuerschein durch die unzähligen Quarzeinschlüsse funkelten und glänzten, als befände man sich im Inneren eines Diamanten. Staunend blieben sie einen Moment stehen, um sich umzusehen, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Gerade als Rin die Höhle verlassen wollte, wuchs aus einer der Wände urplötzlich ein baumdicker Arm. Das kleine Mädchen wurde gepackt und in die Höhe gehoben, während es erschrocken aufkeuchte und zugleich InuYasha mit gezogenem Tessaiga auf den Arm zu rannte. Wenn Rin etwas zustieß, würde sein Bruder sich bestimmt nicht damit zufrieden geben ihn einmal umzubringen. – Nicht dass er diese Vorstellung als Anreiz gebraucht hätte. Das Bedürfnis zu beschützen, war für ihn so selbstverständlich wie die Tatsache, dass er der Stärkste in ihrer Gruppe war und dementsprechend die Verantwortung für die Anderen trug. Noch im Laufen ließ InuYasha die Windnarbe auf den Arm los, der Rin gefangen hielt. Allerdings nur mit dem Erfolg, dass einige kleine Steine absplitterten. Der Halbdämon wollte gerade den nächsten Angriff hinterher schicken, als eine dröhnende Stimme ertönte, die direkt aus dem Mittelpunkt des Berges zu kommen schien, die Felswände erzittern und alle Anwesenden erstarren ließ. „Du traust dich also tatsächlich noch einmal her, du kleiner Dieb!“ Dieb?! Noch einmal?! Von wem redete die Stimme? Die Frage wurde im nächsten Augenblick beantwortet, als ein äußerst kleinlauter Ruki erwiderte: „Ich habe nicht gestohlen. Ich hatte nur so einen Hunger und das Sulfur sah so gut aus.“ „Und deshalb glaubst du dich hier wieder ungestraft blicken lassen zu können?“, donnerte die tiefe Stimme des Berggeistes. „Nein, nein. Natürlich nicht“, beeilte sich Ruki hastig zu versichern und fügte bittend hinzu: „Könntest du Rin vielleicht wieder los lassen? Ich glaube, du tust ihr weh.“ Wider Erwarten gab der Berggeist Rin tatsächlich frei und das kleine Mädchen hätte im nächsten Moment unangenehme Bekanntschaft mit dem Felsboden gemacht, wäre es nicht rechtzeitig von InuYasha aufgefangen worden. Ruki schwebte nun frei in der Luft, auf gleicher Höhe mit dem Arm und sagte: „Danke, Iwao-sama.“ „Sieh an, auf einmal so ehrerbietig“, erklang die Stimme des Berggeistes erneut, weit weniger verärgert als zuvor, dafür um einiges spöttischer, „wenn jemand ehrerbietig wird, will er etwas haben. Aber glaubst du wirklich, dass ich einem Dieb in irgendeiner Weise behilflich sein werde?“ „Es ist nicht für mich, Iwao-sama“, erklärte Ruki bescheiden, „ich werde jede Strafe für meinen Diebstahl akzeptieren, aber würdest du bitte meinen Begleitern helfen? Sie haben dir auch ein Geschenk mitgebracht.“ „So, du bittest nicht für dich“, grollte der Berggeist besänftigt, „was wollen diese Wesen von mir?“ „Sie würden gern in den Spiegelsee schauen, um jemanden zu finden, den sie verloren haben“, erklärte Ruki bereitwillig, bestrebt den Berggeist weiterhin milde zu stimmen. Kurz ertönte ein nachdenkliches Brummen, bevor der Berggeist eine Weile schwieg und sich schließlich erkundigte: „Du hast gesagt, sie haben ein Geschenk für mich?“ Ruki nickte und wandte den Kopf zu Shippō, um ihm zu sagen, er solle das Bild zu ihm bringen. Der kleine Kitsune kam jedoch bereits mit dem Bild in einer Hand heran gesprungen und hielt es schließlich vor die Wand aus der der Arm ragte, in der Annahme, dass sich dort auch irgendwo die Augen des Geistes befinden würden. Anschließend erklärte er eifrig ein zweites Mal, was auf dem Bild zu sehen war, da er nach Rukis Worten davon ausging, dass der Berggeist ebenso wenig Ahnung von den Dingen auf dem Bild hatte, wie das Irrlicht. Als Shippō seine Erklärung beendet hatte, hielt ein Teil der Reisegruppe gespannt den Atem an, sich besorgt fragend, warum der Geist so lange schwieg und ob er vielleicht gar nicht in der Lage war zu sehen. Sollte das der Fall sein, wäre es wahrscheinlich, dass der Berggeist es als Beleidigung ansah ein Bild geschenkt zu bekommen und sie würden sicher kämpfen müssen. Tatsächlich verschwand nach einem Moment der Arm wieder in der Felswand, nur damit sich einen Augenblick später eine menschlich anmutende Gestalt aus dem Stein lösen konnte, auf den Kitsune zutrat, ihm das Bild abnahm und es genau betrachtete. Verblüffte starrte Shippō ebenso wie alle anderen, abgesehen von Ruki, auf die Gestalt vor sich. Nach der Stimme des Berggeistes hatte er mit einem kräftigen, männlichen Wesen gerechnet, aber vor ihm stand tatsächlich eine weiblich anmutende Gestalt, die wie eine lebendig gewordene Statue aussah, von einem Meister seines Faches aus dem Stein gehauen. In diesem Moment lächelte Iwao-sama dem kleinen Fuchs zu, ein äußerst merkwürdiger Anblick, der den kleinen Fuchs verunsichert zusammenzucken ließ und sich gleichzeitig nervös sein Schwanz sträubte. Als er jedoch die Worte Iwao-samas zu hören bekam, machte sich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht bereit, während er sich stolz etwas höher aufrichtete. „Vielen Dank, so etwas habe ich noch nie bekommen. – Folgt mir, ich werde euch zum See führen.“ Er hatte ja gewusst, dass dem Berggeist sein Bild gefallen würde! Ganz im Gegensatz zu InuYasha – Shippōs Grinsen wurde noch ein wenig breiter, bei diesem Gedanken. Erleichtert hatten die Anderen die Ereignisse verfolgt und liefen nun zusammen mit Shippō und Rin dem Berggeist hinterher, der sie innerhalb kürzester Zeit in eine riesige Höhle führte, deren hinteres Ende vom Eingang aus nicht zu sehen war. Nur wenige Schritte vom Eingang entfernt befand sich das Ufer des Spiegelsees, der auf dieser Seite von einer kunstvoll gewachsenen, steinernen Mauer eingefasst wurde. Rings an den Wänden der Höhle flammten mit einem Mal kleine, bläuliche Flammen auf, tauchten Höhle und See in ein unwirkliches Licht und ließen die Oberfläche des Sees tatsächlich wie einen großen Spiegel wirken. Staunend hatte die ungewöhnliche Reisegesellschaft sich umgesehen, wandte sich dann jedoch Iwao-sama zu, als diese erklärte: „Derjenige von euch, der die Person, die ihr sucht am besten kennt, ihr am nächsten steht oder mit ihr verwandt ist, taucht eine Hand in das Wasser und stellt sie sich dabei genau vor. Wenn die Person noch lebt, werdet ihr sie und den Ort, an dem sie sich befindet, im Wasser sehen.“ Wortlos und ohne lange zu zögern traten Jaken und InuYasha an den See heran, tauchten eine Hand hinein und starrten auf das Wasser, ohne das ein eindeutiges Bild zu erkennen gewesen wäre. Verärgert runzelte InuYasha die Stirn, „ich glaube, der See ist kaputt, er zeigt nur verschwommene Bilder.“ Für einen Moment verwundert, blickte Iwao-sama auf das Wasser des Sees, so etwas hatte sie noch nie erlebt. „Versucht es mit Erinnerungen, die ihr mit dieser Person teilt“, wies sie Jaken und InuYasha schließlich an, ohne ihren Blick vom See abzuwenden. Die Beiden taten wie geheißen und das Bild begann schärfer, eindeutiger zu werden, aber noch immer wussten sie nicht, wo sie den Hundeyōkai finden würden. Einem Gefühl folgend schob Kagome Rin in die Nähe des Sees und sagte: „Halt du auch deine Hand hinein, vielleicht hilft es, wenn ihr es zu dritt versucht.“ Schnell gehorchte das kleine Mädchen und tatsächlich verschwanden nun auch die letzten Unschärfen und der See zeigte ein Bild Sesshōmarus, wie er in einem weitläufigen Raum sitzend offenbar Audienzen abhielt. Irritiert starrten alle, abgesehen von Ruki und Iwao, auf das ungewohnte Bild, das sich ihnen bot. Unterdessen ließ der See allmählich neue Bilder an die Oberfläche steigen, die zunächst ein Schloss und anschließend aus der Vogelperspektive dessen Umgebung zeigten. „Weiß jemand von euch, wo sich das Schloss befindet?“, fragte Sango etwas ratlos, was sie mit ihrem neuen Wissen, das ihnen scheinbar nicht weiterhalf, tun sollten. Keiner der Anderen wusste eine Antwort auf ihre Frage, abgesehen von Myōga, der auf InuYashas Schulter sitzend erklärte: „Das ist das Schloss des Herrn der westlichen Länder. Sesshōmaru-sama befindet sich offenbar in seinem Haus und kümmert sich um die Verwaltung seiner Länder.“ Nun sahen InuYasha und seine Freunde reichlich irritiert aus, während Rin froh schien, dass es Sesshōmaru-sama gut ging und Jaken ein wenig beleidigt wirkte, angesichts der Tatsache, dass sein Herr nicht wie gewöhnlich gekommen war, um ihn und Rin abzuholen. Da der See keine neuen Bilder mehr zeigte, nahmen Rin, Jaken und InuYasha die Hände aus dem Wasser. Während er die Hände in den Ärmeln seine Gewandes verbarg, äußerte der Hanyō: „Keh, so ein Blödmann. Wir rennen uns wegen ihm die Hacken ab und er hockt seelenruhig in seinem Schloss und regiert. Wird Zeit, dass ihm mal jemand die Meinung sagt. – Los, wir gehen.“ Höflich bedankten sich die Anderen bei Iwao-sama und folgten anschließend InuYasha aus dem Berg hinaus. Auch Ruki wollte sich auf der Schulter von Rin sitzend davon stehlen, als plötzlich wieder die dröhnende Stimme des Berggeistes ertönte und die Felsen im Inneren der Höhle erzittern ließ. „Du bleibst hier, Ruki, glaub nur nicht, ich habe vergessen, dass du gestohlen hast und bestraft werden musst.“ Schuldbewusst zuckte das kleine Irrlicht zusammen, seufzte schwer und schwebte zurück zu dem Berggeist, nachdem es sich bei Rin verabschiedet und ihr alles Gute gewünscht hatte. Rin hatte sich bei Ruki für dessen Hilfe bedankt, sich ebenfalls verabschiedet und war schnell den Anderen hinterher gelaufen, um nicht zurückgelassen zu werden. Traurig sah das kleine Irrlicht ihr nach, so einem netten Menschen würde es wohl nicht noch einmal begegnen, dann wandte es sich wieder Iwao-sama zu und wartete ergeben auf seinen Urteilsspruch. Kapitel 10: Frühling im Schnee ------------------------------ Vielen Dank für eure Kommentare. ^^ Mit der Vermutung, dass an der Sache etwas nicht stimmt, habt ihr vollkommen Recht. Aber bevor unsere Rettungstruppe herausfindet, was es mit den Problemen am Spiegelsee auf sich hat, müsst ihr euch noch etwas gedulden. Denn jetzt machen wir erst mal einen Ausflug in die Berge – Höhenluft, soll ja bekanntlich gesund sein. ^.~ Wie jeden Morgen war Inochiyume mit fünf weiteren Bediensteten aus dem Schloss hinauf in die Berge gestiegen, um jenseits der Schneegrenze die hölzernen Fässer, die sie auf ihren Rücken trugen, mit Schnee zu füllen und sie ins Schloss zurück zubringen, damit die Prinzessin baden konnte. Die Tochter des Schlossherrn galt allgemein als Schönheit und um sich diesen Ruf zu bewahren, badete sie jeden Tag in Eiswasser - nichts sei besser, um die Jugendlichkeit der Haut zu erhalten, hatte eine ältere Dienerin Inochiyume einmal erklärt. Das Mädchen hatte ihr Fass bereits zu zwei Dritteln mit Schnee gefüllt, als sie plötzlich ein Knacken und Bersten vernahm, dem ein dumpfer Aufprall folgte. Neugierig, was diesen Lärm verursacht haben könnte, lief Inochiyume so schnell das unwegsame Gelände es zuließ in die Richtung des Geräuschs. Nachdem sie um eine spitze Felskante gebogen war, entdeckte sie etwas unterhalb des Hanges einen verkrüppelten alten Nadelbaum, der leicht ramponiert wirkte, waren doch eine Anzahl von Zweigen entweder abgebrochen oder abgeknickt. Als Inochiyume ihren Blick zum Fuß des Baumes gleiten ließ, entdeckte sie zwischen den abgebrochenen Zweigen und dem zum Teil verharschten Schnee etwas Schwarzes, das da ganz eindeutig nicht hingehörte. Es sah aus wie langes, schwarzes Haar - und für gewöhnlich lag Haar nicht einfach so in der Gegend herum oder fiel mit solcher Wucht durch Bäume, dass es Äste abriss. Also musste an den Haaren noch ein Mensch hängen. Schnell setzte Inochiyume das hölzerne Fass ab und rutschte vorsichtig den Hang hinunter, um zu der Person zu gelangen, die da offenbar im Schnee lag. Bei Ästen und Haaren angekommen, machte sie sich zunächst daran den Schnee beiseite zu schieben. Sobald sie das Gesicht von Schnee befreit hatte, hielt sie erstaunt inne. Es handelte sich um einen gut aussehenden Mann, offenbar aus reichem Haus, mit viel Zeit, wenn man die Länge der Haare in Betracht zog und die edlen Gesichtszüge ansah. Er mochte um die zwanzig Jahre sein und anscheinend völlig allein unterwegs, wenn man bedachte, dass seit dem Unfall, dessen Ohrenzeuge Inochiyume geworden war, kein Diener oder Begleiter aufgetaucht war, um dem Mann zu helfen. Aber warum ein reicher, junger Mann völlig allein und scheinbar völlig unzureichend ausgerüstet durch die Berge wandern sollte, ging über Inochiyumes Verstand. Für den Moment stellte sie die sich aufdrängenden Fragen jedoch zurück. Jetzt war es zunächst einmal wichtig dafür zu sorgen, dass er nicht erfror oder in den Kälteschlaf fiel, aus dem die Wenigsten wieder erwachten. Also rüttelte das Mädchen den Bewusstlosen vor sich an der Schulter, schlug ihm schließlich einige Male auf die Wangen und befahl ihm immer wieder aufzuwachen, da er sonst sterben würde. Seine Lippen begannen bereits eine interessante violette Farbe anzunehmen, während die Haut sich allmählich leicht bläulich verfärbte, es war wirklich Eile geboten. Schließlich öffnete der Mann tatsächlich langsam seine Augen und Inochiyume hielt unwillkürlich den Atem an, als sie in die ungewöhnlichsten Augen blickte, die sie je gesehen hatte: Augen von der Farbe sonnendurchglühten Honigs. Allerdings wirkten sie nicht einmal halb so warm. Der erste Eindruck den der Unbekannte von dem Mädchen vor sich hatte war: braun. Braune Haare, braune Augen, braune Kleidung. Irritiert blinzelte er, um seinen Blick klar zu bekommen, verwundert darüber wo er sich befand, wie er hierher kam und was er an diesem Ort tat. In seine Überlegungen drang die besorgt klingende Stimme des Mädchens, das sich erkundigte: „Könnt Ihr aufstehen, Dono? Wenn Ihr noch lange hier liegen bleibt, werdet Ihr erfrieren.“ Er sah ein, dass sie Recht hatte, er fühlte sich bereits merkwürdig steif und er konnte sich nicht erinnern, dass ihm je so kalt gewesen war. Also setzte er sich zunächst einmal versuchsweise auf, zufrieden feststellend, dass ihm sein Körper noch gehorchte, wenn auch nur sehr langsam. Das erschrockene Luftschnappen des Mädchens, ließ ihn wieder zu ihr blicken. Er sah gerade noch, wie sie sich eilig mit hochrotem Kopf von ihm abwandte und im nächsten Moment ihren braunen Umhang auszog. „Ich glaube es ist besser, wenn Ihr den überzieht, bis wir etwas Passenderes gefunden haben“, brachte sie verlegen hervor, ohne ihn dabei anzusehen, ihm jedoch den Umhang hinhaltend. Verwundert sah er einen Moment auf den Umhang, anschließend an sich herab und kam zu der Erkenntnis, dass er für diese Umgebung mehr als unzureichend bekleidet war. Er trug nichts als eine weiße Zubon, die bereits vom Schnee durchweicht war. Wieso hatte er so etwas Idiotisches getan? Er konnte sich nicht erinnern. Dennoch war er sich sicher, dass er für gewöhnlich nicht zu solchen Aktionen neigte, obwohl er nicht hätte sagen können, weshalb er sich da so sicher war. Da ihm im Augenblick nicht wirklich eine andere Wahl blieb, nahm er dem Mädchen das Kleidungsstück ab und zog es sich über. Es hätte nicht des seltsamen Gesichtsausdrucks der jungen Frau vor sich bedurft, damit ihm bewusst wurde, dass er in diesem Kleidungsstück, das ihm nur knapp bis zu den Knien reichte, mehr als lächerlich aussah. Aber es sprach immerhin für seine unbekannte Retterin, dass sie nicht in lautes Gelächter ausbrach, sondern sich stattdessen erkundigte: „Werdet Ihr es schaffen den Hang hinauf zu klettern?“ Er wusste es nicht, er fühlte sich ungewohnt müde und schwach, aber er würde garantiert nicht aufgeben, bevor er es nicht zumindest versucht hatte. Also wandte er sich von dem Mädchen ab und machte sich an den für ihn mühseligen Aufstieg. Wobei sich seine Stimmung auch nicht gerade hob, als er sah, wie seine Retterin scheinbar mühelos ebenfalls den Hang erklomm. Wieder auf dem Weg angekommen, half Inochiyume dem zitternden, jungen Mann auf den Weg. Dass er zitterte bewies, dass der Körper noch gegen die Kälte ankämpfte, wenn sie sich beeilten und rechtzeitig ins Dorf gelangten, würde das Abenteuer für diesen Fremden hoffentlich noch glimpflich ausgehen. Während sie ihre neue Bekanntschaft kurz zu Atem kommen ließ, hob Inochiyume wieder das Schneefass auf ihren Rücken und wandte sich anschließend an den Fremden: „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch auf mich stützen, falls Ihr dann besser laufen könnt.“ Ein eiskalter Blick aus honigfarbenen Augen war die ganze Antwort darauf, offenbar hatte sie damit seinen Stolz verletzt, ohne es zu beabsichtigen. Obwohl sie nicht recht wusste, warum - hatte sie es mit ihrem Angebot doch nur gut gemeint - murmelte sie bittend „verzeiht“, bevor sie sich langsam in Richtung Tal und Dorf in Bewegung setzte. Mit zusammengebissenen Zähnen und unbeugsamem Willen zwang der Fremde seinen Körper dazu mit dem Mädchen Schritt zu halten. In der unklaren Überzeugung, dass es für ihn ein Gesichtsverlust bedeuten würde, vor einem Menschen Schwäche zu zeigen. Schweigend kehrten sie ins Dorf zurück. Inochiyume wagte nach dem Blick, den der Mann ihr zu geworfen hatte, nicht noch etwas zu sagen und der Unbekannte war vollauf damit beschäftigt seinen Körper voran zu treiben, ohne sich eine Schwäche anmerken zu lassen. Im Dorf angekommen, führte das Mädchen ihren Begleiter auf kürzestem Weg zu einer Hütte, vor der ein alter, graubrauner Hund in der Sonne döste. Als dieser Inochiyume bemerkte, erhob er sich und ließ ein kurzes Bellen hören, das offenbar als Begrüßung gedacht war, und wedelte mit dem Schwanz. Als der Hund sich erhoben hatte, konnte der Unbekannte sehen, dass dieser nur über drei Beine verfügte. Da, wo sich für gewöhnlich der zweite Vorderlauf befand, war nur noch ein ausgefranster Stumpf zu sehen, der sporadisch mit Fell bedeckt war. Ein dumpfes Pochen in seinem linken Oberarm ließ den Mann irritiert die Stirn runzeln, er war sich sicher zu wissen, was es bedeutete nur über einen Arm zu verfügen, obwohl es doch offensichtlich war, dass er noch beide Arme besaß. Unterdessen war auf das Bellen hin eine alte Frau, die sich auf einen knorrigen Stock stützte, aus der Hütte getreten und hatte Inochiyume angesprochen, die gerade den Hund begrüßte. „Du bist schon zurück, Yume-chan? – Das heißt wohl, du hast wieder etwas aufgelesen, was gepflegt werden muss.“ Auf das Nicken des Mädchens hin, seufzte die Alte und fragte: „Und was ist es diesmal?“ „Ein Mann. Er hat sich wohl in den Bergen verirrt“, erwiderte Inochiyume, während sie gleichzeitig auf ihren Begleiter wies. „Ein Mann?!“, wiederholte die alte Frau ungläubig, „findest du nicht, dass du es etwas übertreibst, wenn du neben allen möglichen Tieren, jetzt auch noch anfängst Menschen aufzulesen und dich um sie zu kümmern?“ „Er lag bewusstlos im Schnee, als ich ihn gefunden habe, da konnte ich ihn doch nicht einfach liegen lassen. Kümmerst du dich für mich um ihn, bis ich zurück bin, Bā-chan?“ Bittet sah Inochiyume ihre Großmutter an, ungeachtet deren Reaktion, während diese noch immer mit Verblüffung und Unglaube die merkwürdige Erscheinung vor sich betrachtete. Dann jedoch nickte die Alte ergeben, wandte sich ab, um in die Hütte zurückzukehren, und äußerte an den Fremden gewandt: „Komm rein, wenn Yume-chan, dir versprochen hat, dass wir uns um dich kümmern, dann soll es so sein.“ Das Mädchen verschwieg lieber, dass sie nichts der gleichen getan hatte. Stattdessen versicherte sie dem Fremden, dass er ihrer Großmutter vertrauen könne und diese sich gut um ihn kümmern würde. Anschließend machte sich Inochiyume eilig auf den Weg ins Schloss, um ihr Schneefass abzugeben und zu versuchen passende Kleidung für ihren Gast zu finden. Was nicht einfach sein würde, für einen Menschen war er bemerkenswert groß. Da der Mann nicht wusste, wohin er sonst gehen sollte und sich ungern länger als unbedingt nötig in dieser erniedrigenden Bekleidung sehen ließ, folgte er mehr oder weniger freiwillig der alten Frau ins Innere der Hütte. Dort wurde er angewiesen, sich an das Feuer zu setzten und bekam eine dünne Decke um die Schultern gelegt, kaum dass er sich gesetzt hatte, gleich darauf bedeckte die Alte mit einer zweiten Decke seine Beine. Anschließend erhitzte sie in einem Kessel über dem Feuer einen Kräutersud, füllte diesen in einen Becher und drückte ihn dann dem Fremden in die Hand, ihm befehlend den Becher bis zum letzten Tropfen auszutrinken, es handle sich dabei um Medizin. Schweigend beobachtete die Frau, dem Mann am Feuer gegenüber sitzend, wie dieser dem Befehl zögernd nachkam. Sie hatte geglaubt, in ihrem Leben schon alles gesehen zu haben, einen Mann der beinahe nackt durch ein Schneegebirge wanderte, war ihr jedoch noch nicht untergekommen. Diese jungen Leute heutzutage waren seltsam, besonders wenn sie reich waren. „Sobald Yume-chan zurück ist, kann sie dir die heißen Quellen zeigen, dann kannst du baden“, erklärte sie und fügte ohne auf eine Antwort zu warten hinzu: „Was hattest du eigentlich in den Bergen zu suchen?“ Sie erhielt auf ihre Frage keine Antwort und nahm an, dass das Denkvermögen des Fremden durch die Kälte etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war und er eine Weile brauchen würde, bis er wieder normal reagierte. Tatsächlich war es so, dass der Mann keine Ahnung hatte, warum er sich in den Bergen befand, er hielt es jedoch nicht für nötig, der Frau das mitzuteilen. Diese versuchte nach kurzem Schweigen mit einer weiteren Frage ihr Glück: „Mein Name ist Ayako. Und wie heißt du?“ Eine gute Frage, wie der Mann feststellte. Er war sich sicher, dass er einen Namen hatte, jedes Lebewesen hatte schließlich einen. Aber an seinen konnte er sich nicht erinnern, er wollte ihm einfach nicht einfallen, so sehr er auch grübelte. Das war nicht gut, so wie es aussah hatte er bei dem Sturz sein Gedächtnis verloren und wenn er es nicht bald wiederfand, würde er wohl für den Rest seines Lebens in diesem Dorf festsitzen. Nun ja, vielleicht auch nicht, wer sollte ihn daran hindern, es zu verlassen und seine Wanderung wieder aufzunehmen. Da der Mann auch auf ihre zweite Frage nicht antwortete, seufzte Ayako etwas ungehalten und murmelte: „Da hat Yume uns ja was Schönes ins Haus gebracht. Am Ende hat man dich ausgesetzt weil du taub und stumm bist und von irgendeinem bösen Geist besessen.“ Auf den eisigen Blick, den sie daraufhin erhielt, erwiderte sie nur: „Gut, taub bist du also nicht. – Hör auf mich so anzustarren, ich bin zu alt, als dass du mir noch Angst machen könntest!“ Während sie sprach, hatte Ayako verwundert beobachtet, wie der Fremde zunächst eindeutig verärgert die Finger einer Hand merkwürdig versteifte, um sie nur einen Wimpernschlag später wieder zu entspannen. Sie hätte gern gewusst, was es damit auf sich hatte, aber sie würde von ihrem stummen Gast wohl kaum eine Antwort darauf erhalten. Unterdessen musterte der Fremde seinerseits die Frau genauer, überrascht von ihrer dreisten Unverfrorenheit. Sie wirkte tatsächlich sehr alt, war erstaunlich klein und ihr Rücken vom Alter gebeugt, die Haare dünn und grau, die Zähne nur noch zum Teil vorhanden. Nur ihre Augen wirkten jung und lebhaft. Da sie von ihrem seltsamen Gast offenbar keine Antworten erhalten würde, schwieg nun auch Ayako. Etwas mühsam erhob sie sich von ihrem Platz und begann sich wieder um ihren Haushalt zu kümmern. Den stummen, völlig in seine Gedanken versunkenen Mann am Feuer beachtete sie nicht weiter, er würde sich schon bemerkbar machen, wenn er etwas wollte. Nach einer Weile erschien Inochiyume wieder in der Hütte, noch leicht außer Atem, weil sie gerannt war. Das Schneefass hatte sie im Palast gelassen, stattdessen hatte sie nun ausgeblichene, jedoch gut instand gehaltene Kleidung dabei. In einer Hand hielt sie zusätzlich ein Paar kurzer Lederstiefel. Sie hatte den stellvertretenden Kommandanten der Schlosswache darum gebeten, der in etwa die gleiche Größe wie der Fremde hatte und ihr gegenüber stets freundlich und entgegenkommend war. Da die Hütte nur aus einem Raum bestand, warteten die beiden Frauen höflich davor, bis sich der Fremde umgezogen hatte. Die Kleidung saß noch immer etwas knapp, war jedoch eine deutliche Verbesserung zu dem Umhang Inochiyumes. Nachdem die beiden Frauen ihn kurz gemustert hatten, schlug Ayako vor, dass ihre Enkelin ihrem Gast die heißen Quellen zeigen sollte, damit dieser sich richtig durchwärmen konnte. Nickend stimmte Inochiyume zu und wandte sich an ihren Gast, um zu sehen, ob auch er mit diesem Vorschlag einverstanden war. Er war, - wie er mit einem auffordernden Nicken, das anscheinend besagte, sie solle voran gehen, zu verstehen gab. Nervös malträtierte Inochiyume ihre Unterlippe mit den Zähnen, während sie ihren Gast zu den etwas versteckt liegenden Quellen führte, deren Wasser in natürlich entstandenen Becken aufgefangen wurde und den Dorfbewohnern als Badeort diente. Sie wusste nicht Recht, auf was sie sich eingelassen hatte, als sie den Fremden mit ins Dorf nahm. Er hatte Hilfe gebraucht und schien seinen Helfern dennoch unendlich weit überlegen zu sein. Er hatte noch nicht ein Wort gesprochen und verunsicherte sie bereits damit derart, dass sie zum ersten Mal leise Zweifel hegte, ob es klug gewesen war, einem Wesen in Not zu helfen. Neben ihr lief Yūjō, der alte dreibeinige Hund, und stieß seine Schnauze tröstend gegen ihre Handfläche. Inochiyume lächelte. Yūjō hatte sie auch gefunden, als er Hilfe brauchte. Er war vor Schmerzen kaum zu bändigen gewesen, hatte er doch gerade erst sein Bein in einer Wildererfalle verloren und nun war er der treueste Freund, den sie sich denken konnte. Eine Hand in dem weichen, seidigen Fell des Hundes vergraben, blieb sie schließlich stehen und erklärte ihrem Gast: „Die Quellen liegen hinter diesem Gebüsch. Um diese Zeit sollte niemand hier sein, sodass Ihr völlig ungestört sein dürftet. Möchtet Ihr, dass ich auf Euch warte?“ „Nein. - Ich benötige ein Schwert.“ Vollkommen ruhig und gleichmütig hatte diese Mitteilung geklungen, dennoch ließ der Klang seiner Stimme Inochiyume einen Schauer über den Rücken laufen, während sie ihn gleichzeitig so erstaunt ansah, als hätte er eben nach der Krone des Tennō verlangt. „Verzeiht, Dono, aber Waffen zu tragen ist nur den Kriegern des Palastes gestattet. Jeder andere würde dafür schwer bestraft werden“, erklärte sie schließlich vorsichtig. Ohne darauf eine Antwort zu geben, sah der Mann das Mädchen durchdringend an, wandte sich dann ab und trat durch das Gebüsch, um in den Quellen zu baden, während Inochiyume sich auf den Rückweg zur Hütte machte. Als auch der Fremde schließlich wieder zu der Hütte zurückkehrte, hatten die Frauen Essen zubereitet und der Mann bemerkte, dass er Hunger hatte. Ein ungewohntes Gefühl, er konnte sich nicht erinnern, je hungrig gewesen zu sein. Andererseits konnte er sich ohnehin nicht an viel erinnern, also war das nicht unbedingt ein zuverlässiger Maßstab. Sobald sie gegessen hatten, erkundigte sich Ayako: „Hat es dir geschmeckt?“ Was zur Folge hatte, dass der Mann zunächst für einen kurzen Moment die alte Frau anstarrte und dann in die geleerte Schüssel. Er musste zugeben, dass seine Neugier geweckt war: „Sollte es das?“, erkundigte er sich also, da er sich eingestehen musste, es nicht zu wissen. Das Essen war warm gewesen, eine Mischung aus fest und flüssig und hatte seinen Magen zum Schweigen gebracht. Es war ihm vernünftig erschienen, es zu sich zu nehmen, aber woran stellte man fest, ob etwas schmeckte oder nicht? Ayako hatte bei der Frage des Fremden empört nach Luft geschnappt, die Augenbrauen zusammengezogen und ihm anschließend eins mit ihrem Stock überzogen. Während sie zugleich entrüstet mit ihrer Altweiberstimme krächzte: „Allerdings sollte es das, du unverschämter Bengel. Solange du unser Gast bist, solltest du wenigstens versuchen höflich zu sein, auch wenn du vielleicht Besseres gewohnt bist!“ Angesichts der neugierig klingenden Frage des Fremden und der empörten Reaktion ihrer Großmutter hatte Inochiyume sich eine Hand vor den Mund gehalten, um ihr Lächeln zu verbergen. Es hatte einfach zu merkwürdig ausgesehen, wie die gebeugte, alte Frau dem jungen, stolzen Krieger umstandslos ihre fragwürdige Erziehung angedeihen ließ. Der Fremde hingegen, statt auf diese erneute Dreistigkeit verärgert zu reagieren, hatte Ayako nur erstaunt gemustert. Diese alte Hexe war offensichtlich völlig immun gegenüber den möglichen Konsequenzen, die ihr Tun haben könnte. Der Mann gestand sich allerdings ein, dass sein Ehrgefühl es kaum zugelassen hätte, den Frauen, die ihm geholfen hatten und völlig unbewaffnet waren, tatsächlich etwas anzutun. Allerdings sollten sie auch nicht seinen Langmut überschätzen. Nach dem Essen ging Inochiyume wieder in den Palast, um ihre Aufgaben zu versehen, während sowohl Ayako als auch der Fremde einen ruhigen Nachmittag vor der Hütte verbrachten und dem Treiben im Dorf zusahen. Nebenbei erzählte die alte Frau ihrem Gast aus der Vergangenheit, sich wenig darum kümmernd, ob dieser ihr überhaupt zuhörte. So erzählte sie ihm von der Zeit, in der ihr Mann und sie als fahrende Spielleute durch das Land gezogen waren und wie es nach der Geburt ihres Sohnes dazu gekommen war, dass sie sich in diesem Bergdorf niedergelassen hatten, wie ihr Mann gestorben war und wie ihr Sohn seine Frau kennengelernt hatte. Schließlich erzählte sie ihm auch von ihrer Enkelin. „Inochiyumes Mutter ist bei ihrer Geburt gestorben und mein Sohn war schon immer etwas verstiegen in seinen Ideen und Ansichten, deshalb auch der verrückte Name der Kleinen. Nun ja, nach dem Tod seiner Frau war Yume-chan alles, was ihm noch von ihr geblieben war. Er hat in den Bergwerken des Fürsten gearbeitet. – Hier in den Bergen werden die verschiedensten Erze und Mineralien abgebaut, deshalb ist unser Herr auch so wohlhabend. – Als Yume-chan sieben war, ist mein Sohn bei einem Stolleneinsturz ums Leben gekommen.“ Ayako seufzte schwer, schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Jedenfalls kümmere ich mich seitdem um das Mädchen. Wir kommen ganz gut zurecht. Seit Yume-chan im Schloss Anstellung gefunden hat, muss ich nicht mehr für das Geld sorgen, sondern brauche mich nur noch um den Haushalt kümmern… Und um Yume-chans Patienten, wenn sie wieder einmal ein verletztes Tier angeschleppt hat, das versorgt werden muss, während sie im Palast ist. Für gewöhnlich lässt sie die Tiere wieder frei, sobald sie gesund sind. Aber Yūjō hier war der Ansicht, dass wir mit ihm besser dran sind, als ohne ihm. Und das stimmt, so habe ich tagsüber Gesellschaft, wenn Yume-chan im Palast ist, nicht war, Yūjō?“ Bei seinem Namen hatte der Hund den Kopf gehoben und zustimmend gebellt, worauf ihn Ayako mit einem breiten Grinsen hinter den Ohren graulte. Ihr Gast hatte das Gerede der Alten schweigend über sich ergehen lassen, abwartend worauf sie eigentlich hinaus wollte. Offenbar war sie mit den Geschichten aus der Vergangenheit nun ttsächlich am Ende, denn nach einer weiteren kleinen Pause, wandte sie den Kopf und sah ihrem Gast direkt ins Gesicht: „Ich weiß nicht, wer du bist oder was du bist und wenn du es nicht sagen willst, ist das in Ordnung. Aber lass mich dich warnen: Tu meinem kleinen Mädchen weh und du wirst bereuen, je in dieses Dorf gekommen zu sein. Sie hat keine Ahnung von der Welt und noch weniger von den Männern, also sei vorsichtig!“ Ungläubig starrte der junge Mann Ayako an. Nicht, dass er mit etwas Bestimmtem gerechnet hätte, aber ihm zu unterstellen, er beabsichtige die Enkelin der Frau vor sich zu verführen und fallen zu lassen, war eindeutig das Letzte womit er gerechnet hatte. Es erschien ihm in seiner Situation vollkommen lächerlich und abwegig - und er hatte die dumpfe Vermutung, dass dem auch in jeder anderen Situation so gewesen wäre. Da er es unter seiner Würde fand, auf die Rede der Alten zu antworten, erhob er sich, verließ das Dorf und sah sich in der Umgebung des Dorfes um. Er kehrte erst zurück, als es bereits begann dunkel zu werden und Ayako sich in der Hütte um das Abendessen kümmerte. Der Fremde hatte sich unter anderem auch im Wald umgesehen, wie einige abgefallene Blätter und kleine Blüten, die sich in seinem Haar verfangen hatten, verrieten. Doch Ayako machte sich nicht die Mühe ihn darauf hinzuweisen, sondern rührte weiter in dem Topf über dem Feuer. So warteten sie schweigend bis bald darauf Inochiyume aus dem Schloss zurückkehrte und berichtete, dass die Soldaten, die die letzte Erzlieferung an einen Käufer im Süden begleitet hatten, angegriffen worden waren. Sie hatten die Waren zwar erfolgreich verteidigt und ausgeliefert, aber zwei der zehn Mann waren unterwegs an ihren Verletzungen gestorben, die sie sich im Kampf zugezogen hatten. Als Inochiyume ihren Bericht beendet hatte, brummte Ayako: „In dieser Zeit ist es wesentlich leichter zu sterben, als am Leben zu bleiben. Wenn das so weiter geht, gibt es in dieser Gegend bald gar keine Menschen mehr.“ „Hör auf so schwarz zu sehen, Bā-chan, es hat sich doch schon Manches gebessert“, versuchte Inochiyume ihre Großmutter zu besänftigen, die darauf nur ein abfällig ungläubiges Schnauben hören ließ. Mit den Eigenheiten ihrer Großmutter nur allzu vertraut, lächelte Inochiyume kurz, bevor sie sich an ihren Gast wandte und erklärte: „Ich dachte, wenn Ihr immer noch ein Schwert haben möchtet, wäre es vielleicht am besten, wenn Ihr Euch bei der Wache meldet und in den Dienst von Nagasawa-sama tretet. – Zumindest bis Ihr Euch wieder erinnert, wer Ihr seid und woher Ihr kommt.“ Auf den erstaunten Blick, den sie für ihre Worte erhielt, fügte sie etwas verunsichert hinzu: „Dass heißt, wenn Ihr einverstanden seid, natürlich.“ „Woher nimmst du die Gewissheit, dass ich mein Gedächtnis verloren habe?“, erkundigte sich ihr Gast, statt auf Inochiyumes Vorschlag einzugehen, es interessierte ihn, wie sie zu dieser Schlussfolgerung gekommen war. Für einen Moment verlegen, sah das Mädchen Hilfe suchend zu seiner Großmutter. Da von dieser Seite jedoch keine Hilfe zu erwarten war, erklärte sie vorsichtig: „Ich habe einfach angenommen, dass Ihr Euch bei Eurem Unfall den Kopf angeschlagen und deshalb vergessen habt, wer Ihr seid und woher Ihr kommt. Sonst hättet Ihr es uns doch sicher längst gesagt oder wärt zu Eurem eigentlichen Ziel aufgebrochen.“ Also war es reine Spekulation gewesen, keine klare Schlussfolgerung. „Ich werde dich morgen begleiten“, erklärte der junge Mann schließlich ruhig, denn das schien im Moment die einzige Möglichkeit zu sein, sich zu bewaffnen. Inochiyume nickte nur und erkundigte sich dann, ob sie ihm helfen solle, seine Haare von den unbeabsichtigten Waldmitbringseln zu befreien. Sie hatte den Tag über nachgedacht und war zu dem Entschluss gekommen, dass sie ihn solange wie ihren Freund behandeln würde, bis er ihr das Gegenteil bewies. Ihr Gast hatte für einen Wimpernschlag erstaunt gewirkt, dann jedoch die Hilfe des Mädchens angenommen, weil er zugegebenermaßen keine Ahnung davon hatte, wie er seine zerzausten Haare wieder in Ordnung bringen sollte. Wie hatte er das gemacht, bevor er sein Gedächtnis verloren hatte? Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass das jemand für ihn erledigt hatte, aber warum konnte er sich dann nicht erinnern, wie sie zu pflegen waren? Während der Mann noch darüber nachgrübelte, hatte Inochiyume sich hinter ihm niedergelassen und begonnen ihm behutsam die Haare zu kämmen, nachdem sie Blätter und Blüten herausgesammelt hatte. Wie schon am Vormittag, als sie ihn in den Bergen gefunden hatte, nahm sie erneut seinen Geruch wahr. Hatte sie diesen am Morgen noch ignoriert, weil Anderes wichtiger gewesen war, stellte sie nun bewusst fest, dass er nach Frühling roch. Eine merkwürdige Erkenntnis - der ganze Mann war eine einzige Merkwürdigkeit. Er war eindeutig ein Krieger und roch doch nicht wie einer. Inochiyume musste sich beherrschen nicht das Gesicht in seinen Haaren zu vergraben und sich angenehmen Tagträumen hinzugeben, so betörend war dieser Duft. Aber es wäre wohl besser, ihm nichts davon zu sagen. Er hatte es schon als Beleidigung aufgefasst, als sie ihn gefragt hatte, ob er sich auf sie stützen wolle. Wer wusste schon, wie er auf die Feststellung reagieren würde, dass er wie der Frühling selbst roch. Um sich von ihren verwirrenden Gedanken abzulenken, äußerte sie an den Mann vor sich gewandt: „Der Kommandant wird morgen sicher Euren Namen wissen wollen und für Euch wäre es doch sicher auch angenehmer, wenn wir Euch mit einem ansprechen könnten.“ Schweigend hatte ihr Gast diese Aussage zur Kenntnis genommen. Da er jedoch nicht antwortete, nahm Inochiyume an, dass er wohl noch immer nicht wusste, wie er hieß und schlug deshalb vor, während sie weiter sanft mit einem Kamm durch seine Haare fuhr: „Was haltet Ihr von dem Namen ‚Haru’?“ Sie wollte ihn ‚Frühling’ nennen? Er mochte keine Ahnung von seinem richtigen Namen haben, aber dass er nicht Haru lautete, da war er sich ziemlich sicher. Andererseits war dieser Name wohl nur vorübergehend, bis er sich wieder an seinen eigenen erinnern konnte und deshalb so gut wie jeder andere. Da ihr Gast nicht protestiert hatte, sondern weiterhin still dasaß, nahm Inochiyume sein Schweigen als Zustimmung und erklärte bekräftigend: „Haru-dono also“, während sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit machte. Vielleicht würde es gar nicht so schwierig werden, mit ihm befreundet zu sein, wie sie anfangs gedacht hatte. P.S. Falls jemand nach Ayakos Anspielung gern wissen möchte, was der Name Inochiyume bedeutet: Inochi = Leben; Yume = Traum - macht im Ganzen Lebenstraum Kapitel 11: Von Einem, der nach unten fiel und sich auf den Weg nach oben machte -------------------------------------------------------------------------------- Danke für die Hilfe in Bezug auf Tenseiga – und selbstredend für eure Kommentare. ^^ Wünsch euch wie immer viel Vergnügen beim Lesen und hoffe, dass Haru nicht allzu sehr ins Unglaubwürdige abgleitet. Früh am nächsten Morgen ging Inochiyume wie jeden Tag zum Palast, um sich dort mit den fünf anderen Bediensteten zu treffen und anschließend mit den leeren Schneefässern ausgerüstet hinauf in die Berge zu steigen, um ihren Teil zur Schönheit der Prinzessin beizutragen. Anders als sonst, wurde sie an diesem Tag von Haru begleitet, den sie zu den Unterkünften der Krieger führte, wo sie an der Tür des Vizekommandanten klopfte. Als dieser die Tür öffnete und sah, wer davor stand, glitt ein Lächeln über sein Gesicht. „Yume-chan, schön dich zu sehen, brauchst du noch mehr Kleider für dein neuestes Hilfsprojekt?“ Das Mädchen errötete leicht, schüttelte hastig den Kopf und beeilte sich eine Erklärung zu geben. „Kaoru-san, dass ist Haru-dono, er würde gern eurer Truppe beitreten.“ Kritisch musterte der Vizekommandant daraufhin den jungen Mann vor sich. An der Kleidung, die dieser trug und bei der es sich um die gleiche handelte, die er gestern Yume-chan geliehen hatte, erkannte Kaoru, dass es sich um den Findling des Mädchens handeln musste. „Ist deine Kopfwunde denn schon wieder in Ordnung, dass du glaubst kämpfen zu können?“, erkundigte er sich skeptisch. Sicher, Haru wirkte durchtrainiert und nach der Geschichte, die Yume-chan ihm Gestern erzählt hatte, musste er auch ein guter Kämpfer sein, aber irgendetwas störte Kaoru an diesem Jungen. Vielleicht wirkte er einfach zu selbstbewusst für jemanden, der erst am vergangenen Tag eine üble Niederlage hatte hinnehmen müssen, sei es auch gegen eine Übermacht. Da Haru auf die Frage nicht geantwortet hatte, sondern seinerseits mit ausdruckslosem Gesicht den stellvertretenden Kommandanten musterte und sich sein Erstaunen bei dessen Frage nicht anmerken ließ, antwortete Inochiyume an seiner statt. „Es ist nicht weiter schlimm gewesen, ich bin sicher, er wird keine Probleme beim Kämpfen haben“, dass sich Haru an nichts erinnerte, musste Kaoru nicht unbedingt wissen. Außerdem erzählte Haru das wohl besser selbst, wenn er denn wollte, dass noch andere davon erfuhren. „Also gut, Yume-chan, wenn du sicher bist, dass er etwas taugt, werde ich ihn prüfen und dann entscheiden, ob wir ihn nehmen oder nicht“, erklärte sich Kaoru lächelnd einverstanden und wandte sich dann erneut an Haru: „Komm in zwei Stunden wieder hierher, dann wirst du gegen mich kämpfen.“ „Vielen Dank, Kaoru-san“, sagte Inochiyume, während sie sich verbeugte. „Keine Ursache, Yume-chan, noch ist er nicht in der Truppe. - Und du solltest dich jetzt besser beeilen, sonst bekommst du noch Ärger, weil du dich verspätest.“ „Hai. - matane, Kaoru-san“, antwortete das Mädchen mit einem dankbaren Lächeln und wollte sich anschließend auch von Haru verabschieden, als dieser erklärte: „Ich begleite dich.“ Es klang eher nach einer Drohung, denn nach einem freundlichen Angebot und so trat Kaoru auch einen Schritt vor, falls es nötig werden sollte Inochiyume zu verteidigen. Doch diese nickte lediglich zustimmend, bevor sie sich in Richtung Dienstbotentrakt in Bewegung setzte. Haru schritt schweigend neben ihr her, bis sie außer Hörweite des Fukutaishō waren und erkundigte sich dann ruhig: „Was hast du ihm gestern über mich erzählt?“ Inochiyume hatte bereits geahnt, dass er so etwas fragen würde, nachdem er die Bemerkung Kaorus gehört hatte und antwortete nun: „Ich dachte, dass es Euch vielleicht unangenehm wäre, wenn mehr Leute davon wüssten, unter welchen Umständen ich Euch gefunden habe. Also habe ich Kaoru-san erzählt, Ihr wärt von Banditen überfallen worden, die Euch wohl irrtümlich für tot hielten, nachdem Euch einer von ihnen hinterrücks niedergeschlagen hatte.“ Als Haru hörte, dass Inochiyume ihn mehr oder weniger als einen idiotischen Schwächling dargestellt hatte, versteifte er verärgert seine Finger, bevor er sich selbst zur Vernunft rief und sich sagte, dass diese Version der Ereignisse wohl um ein Wesentliches glaubwürdiger und weniger peinlich war, als die Wahrheit. Dass er kein idiotischer Schwächling war, würde er diesem Kaoru in ihrem Kampf schon beweisen. Auch wenn er sich bis jetzt nicht daran erinnern konnte je ein Schwert in der Hand gehalten zu haben, sprachen die Schwielen an seinen Händen doch eine andere Sprache und auch sein Instinkt sagte ihm, dass er mit einem Schwert in der Hand sehr wohl umzugehen wusste. Nachdem sie am Dienstboteneingang angekommen waren, verabschiedete sich Inochiyume bei ihrem Begleiter und wünschte ihm für seinen Kampf Glück, ihn damit ohne es zu ahnen erneut beleidigend. Schien der Wunsch doch anzudeuten, dass Inochiyume glaubte, Haru hätte dieses Glück nötig, um zu gewinnen. Aber da dieser erkannte, dass das Mädchen eine Beleidigung keineswegs beabsichtigt hatte, blieb er gelassen und unternahm stattdessen einen Spaziergang durch die Gartenanlagen des Palastes, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Ayako hatte mit ihrer Bemerkung über den Reichtum des Schlossherrn offenbar Recht, betrachtete man die Größe der Gärten, die vielzähligen, seltenen Pflanzenarten und wie gepflegt die gesamte Anlage wirkte. Während seines Spaziergangs durch die Gärten, konnte Haru die Augen, die ihn unablässig beobachteten, beinahe körperlich spüren. Er ignorierte sie jedoch, solang sich ihm niemand näherte und erklärte, er hätte in den Gärten nichts verloren. Tatsächlich wagte niemand sich ihm zu nähern, da jeder der ihn sah vermutete, es müsse sich um einen hochrangigen Gast des Fürsten handeln. Auch wenn er kaum standesgemäße Kleider trug, besagten seine Haltung, sein Aussehen und seine natürliche Autorität doch Etwas gänzlich anderes und da es sich niemand mit dem Fürsten verscherzen wollte, wagte niemand den selbstbewussten Unbekannten aus den Gärten zu vertreiben. Sobald die zwei Stundenfrist verstrichen war, stand Haru wartend vor der Tür des stellvertretenden Kommandanten. Dieser erschien wenige Minuten später nicht nur mit zwei Schwertern in den Händen, sondern auch in Begleitung mehrer Männer, die wohl zu der schlosseigenen Armee gehörten und sich das bevorstehende Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Neben Kaoru ging ein stattlicher, älterer Mann, bei dem es sich vermutlich um den Kommandanten handelte, der sich wohl selbst eine Meinung über den Neuling bilden wollte. „Ich gehe davon aus, dass du das Schwert Pfeil und Bogen vorziehst“, äußerte Kaoru anstelle einer Begrüßung, als er bei Haru angekommen war, „ist meine Annahme korrekt?“ Haru nickte nur knapp und hielt im nächsten Moment eines der beiden Schwerter in der Hand, während sich Kaoru bereits ein Stück entfernte und sich auf dem Übungsgelände, das sich direkt vor den Unterkünften der Krieger befand, in Kampfhaltung aufbaute. Sobald Haru ihm gegenüber Position bezogen hatte, erklärte Kaoru: „Wir werden kämpfen, als würde es sich um einen echten und nicht einen Scheinkampf handeln. Der Kampf endet, sobald einer von uns nicht mehr fähig ist weiter zu kämpfen. Bist du bereit?“, wieder nickte Haru lediglich gelassen und Kaoru fuhr fort: „Gut, dann fangen wir an.“ Für einen Augenblick schien es, als würde keiner der beiden Männer den anderen angreifen. Vollkommen ruhig standen sie einander gegenüber, musterten sich prüfend, versuchten die Stärke des Gegners abzuschätzen und dessen Gedanken im Voraus zu erahnen, um die bald folgenden Angriffe besser abwehren zu können. Dann jedoch schloss Kaoru mit wenigen, geschmeidigen Schritten die kurze Distanz zu Haru und der Kampf begann. Gelassen parierte der Angegriffene die ersten Schläge seines Gegners und ließ sich eine Weile in der Defensive über den Platz treiben. Sowohl um ein Gefühl für das Schwert in seiner Hand zu erhalten, als auch, um zu sehen wie stark sein Gegner war und wie groß dessen Können. Die Zuschauer am Rand kommentierten untereinander das Geschehen. Sie wussten wie gut ihr Vizekommandant war, nicht umsonst war er es mit so jungen Jahren geworden. Aber sie sahen auch, dass es diesem bisher nicht gelungen war mit einem seiner Angriffe seinen Gegner zu verletzen, was für gewöhnlich bereits nach wenigen Minuten der Fall war. Stattdessen schien es eher so, als würde der Neuling noch nicht einmal den Bruchteil seines Könnens zeigen und das war angesichts der Tatsache, dass er noch jünger zu sein schien als Kaoru und dementsprechend weniger Kampferfahrung haben musste, wirklich bemerkenswert. Dann jedoch gelang es Kaoru, durch eine schwierige Kombination von Angriffen, dem Neuling einige leichtere Verletzungen zu zufügen und die Männer am Rand des Übungsgeländes revidierten ihre Meinung. Der Neuling war wohl doch nicht so überlegen, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte, sondern er schien bisher einfach nur Glück gehabt zu haben. Was die Männer am Rand nicht sehen konnten, weil sie zu weit entfernt waren, konnte hingegen der kämpfende Fukutaishō sehen: Die nur einen Wimpernschlag sichtbare Überraschung im sonst stets gleichmütig wirkenden Gesicht seines Gegners, als er diesen verletzt hatte. Verärgert fragte sich Kaoru, ob sich dieser Grünschnabel tatsächlich für so überlegen im Schwertkampf gehalten hatte, dass er glaubte unverwundbar zu sein. Oder hatte er etwa angenommen er, Kaoru, hätte den Posten des Vizekommandanten in seinem Alter nur auf Grund von Beziehungen und Speichelleckerei bekommen und dementsprechend in Wirklichkeit keine Ahnung von richtigem Schwertkampf? Mit einer erstaunlichen Wut im Bauch, die aus einem diffusen Gefühlsgemisch entstanden war, das sich wohl noch nicht einmal Kaoru selbst richtig erklären konnte, drang er mit neuer Energie und sehr viel energischer als zuvor auf seinen Gegner ein. Haru war tatsächlich für einen Moment überrascht gewesen, dass er verletzt worden war. Er hatte auf Grund der Angriffe nicht den Eindruck gewonnen, dass der Vizekommandant ihm sonderlich gefährlich werden könnte. Offenbar hatte ihn seine Selbstsicherheit in dieser Hinsicht getrogen, was allerdings nur zur Folge hatte, dass er den Kampf nun tatsächlich ernst nahm und ihn nicht mehr als Spielerei betrachtete. Dementsprechend beendete er seine Defensivstrategie und griff nun seinerseits an, seinen Gegner dabei beständig über den Platz treibend, ohne ihm Zeit zu lassen zu Atem zu kommen oder zu einem Gegenschlag auszuholen. Die Männer am Rand schwiegen überrascht, während sich allmählich ein gewisses Unbehangen, ja beinahe etwas wie Furcht, unter ihnen breit machte, angesichts der Geschwindigkeit und eleganten Wendigkeit mit der Haru die Oberhand in diesem Kampf übernommen hatte und nicht wieder her gab. Keiner der Zuschauer beneidete den Fukutaishō um seine Aufgabe oder wäre gern an dessen Stelle gewesen. Stattdessen verursachten derartige Vorstellungen bei den Einzelnen wahre Beklemmungszustände und ließen sie zu allen möglichen Göttern und Schutzgeistern beten, dass sie nie in eine Situation kommen mochten, in der sie gegen diesen menschgewordenen Dämon kämpfen mussten. Als Haru seinem Gegner eine oberflächliche, wenn auch stark blutende, Schnittwunde am Hals zufügte, beendete der Kommandant, der sich das Ganze bisher schweigend etwas abseits von seinen Männern angesehen hatte, den Kampf. Er konnte es sich nicht leisten einen so fähigen Mann wie Kaoru für unbestimmte Zeit an das Krankenbett zu verlieren. An Haru gewandt sagte er: „Du bist aufgenommen. Sobald eure Wunden versorgt worden sind, wird Kaoru sich darum kümmern, dass du entsprechende Kleider und Waffen erhältst und dir deine Unterkunft zeigen. – Mich würde interessieren wer dich im Schwertkampf ausgebildet hat. Deine Technik ist hervorragend, deine Reaktionszeit von ungewöhnlicher Schnelligkeit, ich habe bisher niemanden kennen gelernt, der so kämpfen kann.“ Da Haru lediglich dankend den Kopf neigte, um sich für das Lob erkenntlich zu zeigen und keinerlei Anstalten unternahm die indirekte Frage des Kommandanten zu beantworten, runzelte dieser nach einer Weile nachdenklich die Brauen, warf dem jungen Mann noch einen prüfenden Blick zu und stellte fest: „Du gehörst offenbar zu den schweigsamen Menschen. Nun gut, solang du tust, was dir befohlen wird, soll es mir Recht sein“, damit wandte sich der Kommandant ab und verließ das Übungsgelände, um sich anderen Aufgaben zu widmen. Kaoru hatte, wie es seine Pflicht war, dafür Sorge getragen, dass Haru ordnungsgemäß eingekleidet und ausgerüstet wurde. – Dieses Mal passte Haru die Kleidung tatsächlich, ohne dass er irgendwelche Einschränkungen hinnehmen musste. – Anschließend hatte der Vizekommandant dem Neuzugang ein kleines Zimmer zugewiesen, in dem dieser von nun an wohnen würde. Die winzige Kammer wurde im Normalfall nicht benutzt, aber nach den Gesichtern der anderen Soldaten zu schließen, legte keiner gesteigerten Wert darauf mit dieser schweigenden Kampfmaschine ein Zimmer zu teilen. Demnach war die Kammer die beste Lösung, denn auch Haru schien keinen Wert auf Gesellschaft zu legen, übersah er doch gekonnt jeden der anderen Krieger. Die Erklärungen Kaorus, wann die Truppe trainieren würde und die Männer erfuhren, welche Aufgaben sie zu erledigen hatten, nahm Haru ebenso stoisch und schweigsam zur Kenntnis, wie Zimmer- und Kleiderzuteilung. Es war um die Mittagszeit, als der stellvertretende Kommandant die Einweisung Harus in die Aufgaben und Pflichten eines Mitgliedes der Schlosswache beendete und kurz darauf Inochiyume in der Nähe des Übungsgeländes auftauchte. Kaoru bemerkte sie zuerst und begrüßte sie freundlich, bevor er fragte, was sie herführe. Während Inochiyume die Begrüßung erwiderte, dachte Haru sich, dass Ayako besser daran täte Kaoru statt seiner zu verdächtigen, irgendwelche Absichten in Bezug auf ihre Enkelin zu hegen. Aber vermutlich hatte sie keine Ahnung von der offensichtlichen Zuneigung des Fukutaishō. Auch Inochiyume schien keine Ahnung davon zu haben, welchen Eindruck sie auf Kaoru machte. Sie war zwar stets freundlich und höflich, ermutigte ihn jedoch in keiner Weise. - Allerdings entmutigte sie ihn auch nicht. Inzwischen hatte das Mädchen sich dem schweigenden Begleiter Kaorus zugewandt, kurz dessen neuen Waffenrock gemustert und mit einem Lächeln, in dem sich Anerkennung und Freude mischten festgestellt: „Ihr habt die Prüfung bestanden.“ Wieso mussten die Menschen hier immer das Offensichtliche aussprechen? Oder taten das alle Menschen und er hatte diese lästige Tatsache erfreulicherweise ebenfalls vergessen? Das wäre dann wohl das erste positive an seinem Gedächtnisverlust. Allerdings musste er zugeben, dass ihre Stimme nicht geklungen hatte, als würde sie eine Antwort erwarten und es schien als würde sie sein Schweigen als Zustimmung werten. Das Mädchen lernte erfreulich schnell. Kaoru war in dieser Beziehung wohl etwas langsamer oder er wollte nur die Aufmerksamkeit Inochiyumes wieder auf sich lenken. Jedenfalls bestätigte er die Feststellung der jungen Frau, verpackt in einem Kompliment darüber, dass sie mit ihrer Meinung Recht behalten hatte. Leicht verlegen und etwas irritiert bedankte sich Inochiyume für das Kompliment und erkundigte sich dann wieder an Haru gewandt, ob er noch einmal mit ihrer Großmutter und ihr zu Mittag essen wolle oder lieber in den Soldatenunterkünften bliebe. Haru musste zugeben, natürlich nur gegenüber sich selbst, dass es ihm etwas wie Schadenfreude bereitete, als er die Veränderungen in Kaorus Gesicht beobachtete, während er ruhig äußerte: „Gehen wir.“ Für einen Moment hatte sich der Ausdruck im Gesicht des Vizekommandanten verdüstert, bevor er sich wieder so weit unter Kontrolle hatte eine freundlich höfliche Miene zu zeigen, während sich Inochiyume von ihm verabschiedete und anschließend zusammen mit Haru sowohl das Übungsgelände als auch die Palastanlage verließ. Im Gegensatz zu ihrem ersten gemeinsamen Essen, verlief dieses vollkommen friedlich. Es schien, als wäre das Ayakos Art die Leistung und neue Stellung Harus zu würdigen, denn im Gegensatz zu ihrer Enkelin verlor sie kein Wort darüber, dass Haru die Prüfung bestanden hatte und von nun an im Schloss leben würde. Als Inochiyume und Haru schließlich wieder im Palast ankamen, trennten sie sich in der Überzeugung, dass sie sich von nun an nur noch zufällig begegnen würden, hatten doch beide verschiedenen Arbeiten nachzugehen. Und auch ihre anderen Lebensumstände ließen ein häufiges Aufeinandertreffen unwahrscheinlich wirken. Einige Tage nachdem Haru der Schlosswache beigetreten war, verbrachte er wieder einmal Zeit in den ausgedehnten Gartenanlagen des Schlosses, bemüht mit Hilfe von Meditation seine verlorenen Erinnerungen zurück zu gewinnen. Sein Unternehmen war nicht wirklich von Erfolg gekrönt, als vor ihm plötzlich eine helle Frauenstimme erklang, die ihn die Augen öffnen und aufblicken ließ. „Wer bist du und was tust du hier?“, die Stimme gehörte zu einer selbstsicher wirkenden, kostbar gekleideten, jungen Dame, die ihn mit unverholender Neugier betrachtete. Etwas hinter ihr stand eine unscheinbare, ältere Frau, die einen aufgespannten, aus edel bemaltem Seidenpapier bestehenden Sonnenschirm schützend über die Jüngere hielt. Haru nahm an, dass es sich bei der Person vor ihm um Hinagiku-hime handelte, ihres Zeichens einzige Tochter des Fürsten, weshalb er sich vom Boden erhob und höflich verneigte, während er sich zugleich vorstellte und eine nichtssagende Erklärung für seine Anwesenheit im Garten gab. In anbetracht ihrer beider Stellung wäre es üblich gewesen, dass Haru vor der Prinzessin kniete, wogegen sich allerdings jede Faser seines Stolzes sträubte. Glücklicherweise schien der jungen Frau dieser Affront nichts auszumachen, stattdessen musterte sie ihn aufmerksam und stellte fest: „Du siehst gut aus. Woher kommst du?“ Die Feststellung geflissentlich überhörend, beantwortete er ihre Frage so kurz und ausweichend wie möglich, ohne sich noch sonderlich um Höflichkeit zu scheren. Die Antwort schien die Prinzessin zufrieden zustellen, denn nach einem Moment des Schweigens erklärte sie plötzlich: „Du reagierst gar nicht wie die Anderen.“ Wer diese Anderen waren, würde Haru wohl nie erfahren, denn die junge Frau fuhr ohne Unterbrechung fort: „Findest du mich nicht schön?“ Gleichmütig sah Haru die Fürstentochter vor sich an, ohne auf die Frage zu antworten. Nach dem zu urteilen, was er bisher an Gesprächsfetzen der Krieger mitbekommen hatte, wurde Hinagiku-hime allgemein als atemberaubende Schönheit betrachtet und wenn er sie nun im Geiste mit den Frauen verglich, die ihm seit seinem Gedächtnisverlust begegnet waren, war sie ohne Zweifel die Schönste von ihnen, aber er hatte keinerlei Veranlassung diesem eiteln Geschöpf diese Tatsache zu bestätigen. „Warum antwortest du nicht, ich habe dir eine Frage gestellt“, bohrte Hinagiku schließlich nach und fügte hinzu: „Fehlen dir die Worte, um zu beschreiben, wie schön ich bin? Das ist nur natürlich, so geht es allen Menschen, die mich das erste Mal sehen.“ Haru fand, dass er diese Person nun lang genug erduldet hatte, verbeugte sich erneut und ließ die Prinzessin stehen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Nachdenklich sah Hinagiku dem die Gartenanlage verlassenden Soldaten nach, während sie nachdenklich mit dem zusammengefalteten Fächer gegen ihr Kinn tippte. Schließlich erklärte sie der unscheinbaren Frau in ihrem Rücken, die noch immer den Sonnenschirm hielt, mit entschiedener Gelassenheit: „Ich denke, Chichiue hat Recht. Es wird Zeit, dass ich heirate. – Und ich weiß auch schon wen. Er passt perfekt zu mir.“ Kapitel 12: Alles umsonst ------------------------- Salvete, ^^ Danke, für eure Kommentare und keine Sorge, so schnell wird in dieser Geschichte nicht geheiratet. :D Obwohl Haru vielleicht versucht sein könnte, sich irgendwann zu wünschen er hätte Hinagiku geheiratet, als er die Möglichkeit dazu hatte. Die Tatsache, dass sich die Ehefrau dem Gatten unterzuordnen und zu gehorchen hat, sollte man nicht unterschätzen… *hüstel* Die Gruppe um InuYasha war glücklich aus dem Osten zurückgekehrt und landete gerade auf einer Wiese unweit vom Schloss des Westens entfernt. Sie hatten sich geeinigt, dass lediglich InuYasha, Jaken und Rin dem Schloss und seinem Herrn einen Besuch abstatten würden, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden und die Bewohner nicht zu provozieren. So blieben InuYashas Freunde wartend auf der Wiese zurück, während sich die anderen Drei auf den Weg zum Schloss machten. Dort angekommen wurden sie von Besuchern, Bewohnern und Bediensteten misstrauisch, skeptisch oder verwundert beobachtet, jedoch nicht aufgehalten. Ohne größere Schwierigkeiten gelangten sie bis in das Vorzimmer des Audienzraumes. Als sie dieses Vorzimmer betraten, sah Rin sich neugierig um, während Jaken und InuYasha verblüfft erstarrten. Bei ihrem Eintritt hatten sich ihnen etwa fünfzig Augenpaare zugewandt, deren Eigentümer alle samt und sonders eines oder sogar mehrere Schwerter bei sich hatten und darauf warteten zum Herrn der westlichen Länder vorgelassen zu werden. Die Tatsache, dass hier alle Anwesenden Schwerter bei sich hatten, erklärte zwar, warum niemand InuYasha mit seinem Schwert aufgehalten hatte, jedoch nicht, wieso es plötzlich gestattet war sich bewaffnet im Schloss zu bewegen. Während InuYasha, Jaken und Rin darauf warteten zu Sesshōmaru vorgelassen zu werden, konnten sie beobachten, wie ein kleiner Teil der anderen Anwesenden mit ihren Schwertern das Audienzzimmer betrat und schließlich ohne Schwert oder mit einem weniger als sie das Zimmer betreten hatten, wieder herauskamen. Der weit größere Teil der Schwertträger hingegen verließen gänzlich unverändert das Audienzzimmer, sah man von den enttäuschten Gesichtszügen ab, die die meisten von ihnen dabei zur Schau trugen. Neugierig erkundigte sich Jaken bei einem der Wartenden, was es mit diesen Vorgängen auf sich hatte und erfuhr, dass der Herr der westlichen Länder, nachdem er in sein Schloss zurückgekehrt war, hatte verbreiten lassen, dass er am Erwerb seltener und wertvoller Schwerter interessiert war. Jeder, der glaubte ein solches Schwert in seinem Besitz zu haben, sollte sich im Schloss einfinden. Wäre der Herr der westlichen Länder der Ansicht, dass ein Schwert tatsächlich seinen Ansprüchen genügte, würde er es behalten und der ehemalige Besitzer reich entlohnt. Auf die Frage wann Sesshōmaru-sama in das Schloss zurückgekehrt war, erfuhr Jaken, dass es wohl an die vier Wochen her sein mochte, genau konnte es sein Gesprächspartner nicht sagen. Wenn es allerdings stimmte, was der Mann gesagt hatte, dann war Sesshōmaru-sama kurz nach seinem Verschwinden wieder aufgetaucht, etwa zu der Zeit als Jaken, InuYasha und die Anderen sich auf den Weg zum Spiegelsee gemacht hatten. Schweigend grübelte der kleine Kappa vor sich hin, während er zusammen mit Rin und InuYasha darauf wartete zum Herrn der westlichen Länder vorgelassen zu werden. Die ohnehin nicht sehr große Geduld des Halbdämons wurde auf eine harte Probe gestellt, bis die Reihe das Audienzzimmer betreten zu dürfen endlich an ihm und seinen Begleitern war. Sie hatten kaum den Raum betreten, als ihnen klar wurde, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. „Sesshōmaru-sama“, lautete Rins freudig hervorgebrachte Begrüßung, während Jakens Stimme ehrerbietiger klang, „Sesshōmaru-sama, ich bin froh Euch wieder zu sehen.“ Der Herr der westlichen Länder hatte auf diese Begrüßungen keinerlei Reaktion gezeigt und schien InuYashas Gegenwart nicht im Mindesten als unangemessen zu empfinden. Er hatte lediglich auf dessen Schwert gesehen und ruhig geäußert: „Ich hatte früher mit dir gerechnet.“ „Was redest du wieder für blödes Zeug?“, erkundigte sich der Halbdämon verärgert, während er gleichzeitig herauszufinden versuchte, was ihn am Geruch des Hundeyōkais störte. Er roch gleichzeitig vertraut und störend fremd. Er sah ohne Zweifel aus wie sein Bruder: langes, silberweißes Haar, goldene Augen, die vertrauten Körperzeichnungen an Händen und Gesicht, die als Rangabzeichen dienende Fellstola, selbst die Kleidung war die gleiche, wie an dem Tag als er plötzlich von diesem schwarzgrauen Nebel verschluckt worden war. Neben ihm lagen seine Schwerter Tōkejin und Tenseiga. Während InuYasha seinen angeblichen Bruder musterte, hatte Jaken sich mit höflicher Unterwürfigkeit erkundigt, ob Sesshōmaru-sama ihnen erzählen würde, was er erlebt hätte, seit er von diesem Nebel angegriffen worden war. Allerdings wurde er noch immer vollständig ignoriert, sein Herr schien ausschließlich an Tessaiga und dadurch bedingt an InuYasha interessiert zu sein, wie der ruhig hervor gebrachte Satz: „Sofern du mir Tessaiga überlässt, magst du dir eines der Schwerter aussuchen, die ich angenommen habe“ bezeugte. „Was? Vergiss es, das kommt überhaupt nicht in Frage“, schmetterte InuYasha das fragwürdige Angebot Sesshōmarus ab. „Ich habe diese Reaktion erwartet. Dann werden wir, wie in der Vergangenheit, darum kämpfen, wem es gehören wird“, erwiderte dieser daraufhin ungerührt und erhob sich, Tōkejin zur Hand nehmend. „Folge mir“, war alles, was er noch äußerte, bevor er den Raum verließ und sich in den Hof des Schlosses begab, wo sich der Platz für Schwertübungen befand. Die Arme schweigend in den Ärmeln verborgen, folgte InuYasha der Aufforderung, zum Einen registrierend, dass Sesshōmaru tatsächlich nicht mehr über Shiomari zu verfügen schien, zum Anderen, dass auch am Gang des Älteren etwas nicht stimmte. Oberflächlich betrachtet lief dieser vollkommen normal, aber wenn man ihn länger und genauer beobachtete, konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, eine mechanische Puppe vor sich zu haben. Unauffällig trat InuYasha näher an den vorausgehenden Yōkai heran. Haar und Kleidung schienen tatsächlich Sesshōmaru zu gehören, aber der Geruch, der darunter lag, erinnerte ihn an gebrannten Ton. Etwas, dass InuYasha noch zusätzlich verwirrte, war das Yōki seines Bruders. Es handelte sich ohne Zweifel um seines, aber es schien seinen Körper nicht, wie sonst, in einer Art zweitem Blutkreislauf zu durchpulsen, dessen magische Stärke Sesshōmaru je nach Bedarf unterdrücken oder offen zutage treten lassen konnte, sondern schien diesen komplett auszufüllen, als wäre der Körper eine Art Wasserkrug, der bis zum Rand mit der Magie seines Bruders angefüllt worden war. „Wo hast du eigentlich deine neue Wunderwaffe gelassen?“, erkundigte sich InuYasha, während sie auf dem Hof ankamen und zu dem Trainingsplatz hinüber gingen. „An einem sicheren Ort“, lautete die wenig aufschlussreiche Antwort. „Keh“, brummte der Halbdämon denn auch wegwerfend, bevor er die Frage hinterher schob: „Und wie bist du dem Nebel und der Wolke entkommen?“ „Zu Fuß“, erwiderte der Gefragte, zog Tōkejin aus der Scheide und stellte sich seinem Bruder gegenüber. Auch InuYasha zog sein Schwert, während er etwas äußerst Unfreundliches über diesen Kerl dachte und Rin und Jaken am Rand die Rolle von Zuschauern einnahmen. Obwohl der folgende Kampf nur eine Wiederholung all der Kämpfe zuvor war, lockte er doch eine größere Zahl Schlossbewohner als Beobachter an, die ein solches Schauspiel nicht gewohnt waren. Während sich das Publikum am Rand murmelnd unterhielt, beeindruckt von den Kampfkünsten der beiden Kontrahenten, stellte InuYasha fest, dass Sesshōmaru zwar noch das Wissen darüber besaß, wie man mit einem Schwert umging, aber bei weitem nicht mehr über das Können und die Geschicklichkeit ihres letzten Aufeinandertreffens verfügte. Nicht einmal die Yōkiangriffe Tokejins besaßen die gleiche Intensität wie sonst. Es war, als wäre ihm mit einem Schlag alle in Jahrhunderten erworbene Übung abhanden gekommen und Sesshōmaru zwar talentiert, aber dennoch nur ein blutiger Anfänger, ohne jede Erfahrung. Es wurde bald klar, wer von den beiden Gegnern der Überlegenere war. Mochte der angebliche Herr der westlichen Länder auch über die größere Stärke verfügen, fehlte es ihm doch an Fertigkeit sie richtig einzusetzen. Etwas, das selbst den Zuschauern nicht verborgen blieb und sie besorgt die Stirn runzeln ließ. Als InuYasha einen Angriff Tōkejins mit seinem Bakuryūha abwehrte und zurücksandte, gelang es Sesshōmaru nicht mehr auszuweichen, sodass ihn dieser Angriff mit Sicherheit das Leben gekostete hätte, wenn nicht im letzten Moment eine Wand aus grauschwarzem Nebel den Angriff vollkommen geschluckt hätte. Nur zwei der Zuschauer – ein kleines Mädchen und ein Krötenyōkai – wussten ebenso wie der Hanyō, um was für einen Nebel es sich dabei handelte, während alle anderen Zuschauer verblüfft starrten. Nun war sich InuYasha endgültig sicher, dass es sich bei dem Mann vor ihnen nicht um den Hundedämon und Herrn der westlichen Länder handeln konnte. Aber was war dann mit dem echten geschehen? Der Hanyō entschied, es für den Moment bei einem Unentschieden bewenden zu lassen, auch wenn das sonst nicht seine Art war. Er musste sich erst einmal mit seinen Freunden beraten, was zu tun war, bevor er diesen Doppelgänger erledigte und so beeilte er sich wieder zu Rin und Jaken zu gelangen und verließ mit ihnen zusammen gleich darauf das Schloss, erneut ohne ein einziges Mal aufgehalten zu werden. Der zurückbleibende Hundedämon sah den Davoneilenden gleichmütig nach, bevor er ins Schloss zurückkehrte um die Audienzen fortzusetzen. Noch bestand kein Grund zur Eile Tessaiga in seine Gewalt zu bringen. Sein Herr war zurzeit vollauf damit beschäftigt einen Weg in die Hölle zu finden, bis er aus dieser zurückkehrt war, würde Sesshōmaru noch genügend Möglichkeiten haben sich das Schwert des jüngeren der Hundebrüder anzueignen. Unterdessen kehrten InuYasha, Jaken und Rin auf kürzestem Weg zu den Wartenden auf der Wiese zurück. Die kleine Gruppe staunte nicht schlecht, als sie den Hanyō noch immer in der Begleitung Rins und Jakens sah und so wurden die Drei sofort mit neugierigen Fragen bestürmt, was im Schloss vorgefallen war und warum Rin und Jaken nicht bei Sesshōmaru geblieben waren. „Das im Schloss ist nicht Sesshōmaru“, erklärte InuYasha knapp, während er sich ebenso wie alle Anderen auf der Wiese niederließ, Tessaiga in seinen Schoß legend. „Nicht Sesshōmaru?“, echoten die Kagome, Sango, Shippō und Miroku verblüfft und Rin ergänzte: „Es kann nicht Sesshōmaru-sama sein, er hätte Jaken und mich nie ignoriert.“ „Das im Schloss ist eine wandelnde Maschine“, fügte Jaken bekräftigend hinzu und erhielt dafür von InuYasha und seinen Freunden erstaunte Blicke, während Shippō verständnislos fragte: „Ist er das sonst nicht?“ Energisch widersprach Jaken, sein richtiger Herr hätte ihn nicht einfach irgendwo im Grünen stehen lassen, nur um in sein Schloss zurückzukehren. Sein richtiger Herr hätte ihn bei ihrem Wiedersehen zumindest mit seinem Namen begrüßt. Sein richtiger Herr hatte durchaus schon Gefühlsregungen gezeigt, zum Beispiel als er Jaken schlechtgelaunt unter Wasser getaucht hatte, als dieser den Namen von InuYasha erwähnt hatte oder als er ihn mit Kieseln beworfen hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen oder als er gelächelt hatte, als er feststellen musste, dass Tōtōsai vor ihm Reißaus genommen hatte. Während dieser langen Verteidigungsrede zu Gunsten des verschwundenen Hundedämons, beugte sich Miroku zu Sango hinüber und fragte sie flüsternd: „Ob ihm auffällt, dass Sesshōmaru ihm gegenüber offenbar nur negative Gefühle zum Ausdruck bringt?“ „Ich glaube nicht, er scheint es eher als eine seltsame Form von Zuneigung zu verstehen“, flüsterte Sango leise zurück, bevor sie plötzlich ein sowohl entnervtes wie peinlich berührtes Gesicht zog und dem Priester im nächsten Augenblick eine heftige Ohrfeige verpasste, da sich seine Hand wieder einmal in Regionen verirrt hatte, in die sie sich definitiv nicht zu verirren hatte. Rin und Jaken hatten dieses Schauspiel mit erstaunter Verblüffung verfolgt, während InuYasha, Kagome und Shippō dieses Bild schon so gewohnt waren, dass sie es einfach ignorierten und Kagome sich an alle Versammelten gewandt erkundigte: „Aber wenn das nicht Sesshōmaru ist, wieso hat der Spiegelsee dann ihn gezeigt?“ „Woher soll ich denn das wissen“, murrte InuYasha missmutig, während Miroku nachdenklich antwortete: „Der See hatte doch zunächst Schwierigkeiten uns ein klares Bild zu zeigen, erst als InuYasha, Jaken und Rin sich an vergangene Situationen mit Sesshōmaru erinnert haben, konnten wir etwas erkennen. Wenn es nun diesem Doppelgänger gelungen ist, das Aussehen Sesshōmarus nachzuahmen und ihm seine Erinnerungen zu nehmen, würde das erklären, warum wir ihn im See gesehen haben und nicht den echten.“ „Er hat nicht nur das Aussehen und vermutlich die Erinnerungen, sondern auch sein Yōki“, fügte InuYasha ergänzend hinzu. Für einen Moment schwieg die kleine Versammlung betroffen. „Woran hast du denn dann aber erkannt, dass der Sesshōmaru im Schloss nicht der echte ist?“, verlangte Shippō von InuYasha mit der gesunden Skepsis dessen zu wissen, der bereits ausgiebig Erfahrung mit dem schlichten Gemüt des Hanyō gesammelt hatte. „Was soll das denn heißen?“, knurrte der Hanyō denn auch beleidigt und fügte in drohendem Tonfall hinzu: „Hältst du mich für so dämlich, dass ich nicht einmal mehr den Geruch meines Bruders von einer billigen Nachahmung unterscheiden kann?“ Erschrocken wehrte der kleine Kitsune schnell mit Händen und Worten diesen Verdacht ab und brachte sich vorsichtshalber in Kagomes Nähe in Sicherheit, er legte wirklich keinen Wert darauf schon wieder eine Beule zu erhalten. „Aber wenn Sesshōmaru nicht riecht, wie Sesshōmaru und sich auch nicht so verhält, wieso haben dann die Leute im Palast nicht längst dafür gesorgt, dass diese Fälschung auffliegt?“, überlegte Kagome laut und erhielt von InuYasha die Antwort: „Die haben ihn vermutlich solange nicht mehr im Schloss gesehen, dass sie keine Ahnung haben, ob es nun der richtige oder der falsche Geruch ist, den sie an ihm wahrnehmen.“ Worauf Miroku noch hinzufügte: „Und wenn sich diese Puppe wie ein Automat ohne Gefühle verhält, dürften sie auch weiter keinen Verdacht schöpfen. Ich glaube nicht, dass er den Bewohnern des Schlosses gegenüber sonderlich viele Regungen an den Tag gelegt hat.“ „Außerdem sind sie vermutlich einfach zu erleichtert, dass der Herr des Hauses wieder zurückgekehrt ist und sich selbst um seinen Besitz kümmert“, ergänze Sango die Argumentation um einen weiteren Punkt. Angesichts dieser düsteren Aussichten und der Tatsache, dass sich ihre einzige Spur, Sesshōmaru zu finden, als falsche Fährte erwiesen hatte, schwieg die bunte Gruppe wieder bedrückt, angestrengt darüber nachdenkend, was nun zu tun übrig blieb. Erneut zum Spiegelsee zu gehen, machte keinen Sinn. Ohne Yōki würde Sesshōmaru nur ein Mensch sein, wenn er denn noch lebte, und keiner von ihnen wusste, wie er als Mensch aussehen könnte. Sich einfach auf Gutglück eine Abwandlung InuYashas in Neumondnächten vorzustellen, dürfte kaum effektiv sein. „Angenommen, wir könnten diesen Doppelgänger besiegen, würden dann das Yōki und die Erinnerungen zu ihrem eigentlichen Eigentümer zurückkehren?“, sprach Sango eine ihrer Überlegungen laut aus, wohlweislich die Möglichkeit, dass der Hundeyōkai vielleicht bereits tot war verschweigend. Myōga schüttelte auf diese Frage ebenso vehement den Kopf wie der Kappa und erklärte anschließend: „Wenn sich Sesshōmaru nicht in direkter Nähe des Doppelgängers befindet, wenn er zerstört wird, dann werden sich sowohl die Erinnerungen und das Yōki verflüchtigen und er wird nie mehr in der Lage sein sie zurückzugewinnen.“ „Den Doppelgänger zu besiegen wird auch nicht gerade einfach. Er benutzt die gleiche Magie wie die komische Wolke damals. Der Nebel schluckt jeden Angriff, egal wie stark er ist“, ergänzte InuYasha die Ausführungen des Flohgeistes. „Und wie soll es jetzt weiter gehen?“, erkundigte sich Shippō schließlich ratlos, aussprechend, was sich alle im Stillen fragten und worauf keiner eine Antwort wusste. Nur Myōga schien doch noch eine Möglichkeit eingefallen zu sein. Allerdings wirkte er nicht, als wäre er sonderlich erpicht darauf sie den Anderen zu erklären oder sie gar in die Tat umzusetzen. Dementsprechend zögerlich klang es auch, als er sich doch entschieden hatte zu sprechen. „Es gibt da noch eine Möglichkeit, wie wir etwas über Sesshōmaru oder den Angreifer herausfinden könnten, aber das wird nicht ungefährlich.“ Jetzt konnte er sich der geballten Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher sein, die ihn gespannt ansahen und darauf warteten, dass er endlich weiterredete. Noch einmal zögerte der alte Flohgeist für einen Moment, bevor er den Vorschlag machte: „Wir könnten die Drachen um Hilfe bitten.“ Sprachlos starrte ihn der Rest der Versammlung an. Die Drachen um Hilfe bitten? Das wäre an sich schon etwas, das man nur als Scherz abtun konnte. Drachen halfen anderen nicht, sie lebten zurückgezogen und wollten möglichst nicht behelligt werden – und wenn sie doch belästigt wurden, dann fackelten sie meist nicht lange. Wenn man dem Satz aber noch die Worte Hundedämon und Hanyō hinzufügte, glitt die gesamte Idee endgültig ins Absurde ab. InuYasha sollte einen derjenigen fragen, deren Verwandten sein Vater gebannt und er selbst getötet hatte, um seinen Bruder wiederfinden zu können? Das konnte einfach nicht Myōgas Ernst sein. Aber offenbar war es genau das – und das Schlimmste an der Sache war, dass ihnen wohl tatsächlich keine andere Wahl blieb, als es zu versuchen, wollten sie nicht aufgeben. „Wie könnten uns die Drachen denn weiterhelfen?“, fragte Kagome skeptisch und Myōga antwortete: „Einige von ihnen verfügen über das zweite Gesicht. Sie können Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben, allerdings sind diese Visionen selten so klar, wie die Bilder des Spiegelsees. Aber zumindest müssten wir herausfinden, ob Sesshōmaru-sama überhaupt noch am Leben ist.“ „Falls wir den Versuch zu fragen überleben sollten“, murmelte Sango zweifelnd. Dagegen gab es nichts zu sagen, sodass für einen Moment nachdenkliche Stille herrschte, bevor Jaken schließlich mit tapferer Entschlossenheit erklärte: „Ich werde es versuchen“, sich anschließend hoheitsvoll bei InuYasha und dessen Freunden für deren Hilfe bedankend und sie bittend, für ihn auf Rin aufzupassen, bis er zurück wäre. Die einzige Reaktion die er darauf erhielt, war eine Kopfnuss von InuYasha zusammen mit der Beleidigung „Idiot.“ Anschließend wandte sich der Halbdämon an seine Freundin und befahl: „Kagome, du kehrst in deine Zeit zurück.“ „Was? Seit wann willst du, dass ich nach Hause gehe, normalerweise, kann ich dir doch gar nicht lang genug hier bleiben“, wunderte sich das Mädchen aus der Neuzeit. „vielleicht solltest du die Gelegenheit nutzen, er wird das bestimmt nicht sobald wiederholen“, warf Miroku trocken ein, wurde von InuYasha und Kagome jedoch vollkommen ignoriert, die sich bereits mitten in einer lebhaften Diskussion darüber befanden, was Kagome tun oder nicht tun solle, ob InuYasha das Recht habe sie herumzukommandieren, dass sie zusammen sehr viel mehr ausrichten könnten beziehungsweise, dass es viel zu gefährlich wäre, wenn sie alle auf einmal in das Gebiet der Drachen gehen würden. Es endete schließlich damit, dass Kagome wutentbrannt ihren Rucksack schnappte, sich abwandte und erklärte: „Also gut, ich gehe!“, bevor sie auch schon energisch davon marschierte. „Keh“, lautete die wergwerfende Reaktion InuYashas, bevor er sich seinen anderen Freunden zuwandte, die sich bereits erhoben hatten, während Miroku erklärte: „Wir werden Kagome-sama zum Brunnen begleiten und bei Kaede-sama auf dich warten.“ Lediglich mit einem Brummen und einem Nicken stimmte der Halbdämon zu, während Sango Rin aufforderte, sie zu begleiten. Myōga hatte sich bereits während des Streits zwischen Kagome und InuYasha unauffällig davon gestohlen, um nicht mit in das Reich der Drachen reisen zu müssen. So blieben schließlich nur noch Jaken, Ah-Un und InuYasha auf der Wiese zurück. „Komm schon, alte Kröte, wir haben ein ganzes Stück Weg vor uns“, meinte InuYasha an seinen Begleiter gewandt, sich herumdrehend und auf Ah-Un Platz nehmend, während Jaken beeilte sich, es ihm gleich zu tun. Abgesehen von dem bevorstehenden Treffen mit einem Drachen, gab es da allerdings noch eine weitere Sache, die den Krötenyōkai beschäftigte und so fragte er seinen Reisebegleiter, während Ah-Un sie bereits in Richtung Norden und des Himmelsgebirges trug: „Kennt Ihr einen Drachen, der das zweite Gesicht besitzt und den wir fragen können?“ InuYashas Antwort darauf war nicht dazu angetan, Jakens Sorgen zu erleichtern. „Nein, aber wir werden schon einen finden. Versuch so lang einfach, nicht von einem gefressen zu werden.“ „Vielleicht sollten wir besser einen Umweg über das Hian-Kloster fliegen. Ich habe gehört, dort in der Nähe soll es Wesen geben, die seit langem Wissen über die Drachen sammeln. Vielleicht sind sie bereit uns weiter zu helfen“, schlug Jaken vorsichtig vor, um sich nicht versehentlich eine Strafe einzuhandeln. „Hm, warum nicht, einen Versuch ist es wert, wenn wir dadurch weniger Zeit bei den Drachen verbringen müssen“, erklärte InuYasha sich einverstanden und Jaken lenkte Ah-Un erleichtert in die entsprechende Richtung. Trotzdem Jaken und InuYasha auf Ah-Un ritten, war der Weg in den Norden weit, hin und wieder mussten sie Rast einlegen, um dem Drachen eine Pause zu können, damit er fressen und sich ausruhen konnte. Auch die beiden Reiter mussten sich immer wieder mit Nahrung versorgen, wobei InuYasha schmerzlich Kagomes Instant-Ramen vermisste, wenn es für ihn auch kein Problem darstellte, erfolgreich zu jagen oder zu fischen. Die unangenehmste Zeit dieser Reise fiel jedoch in die Stunden der Neumondnacht, in der InuYasha zu einem Menschen wurde, sich stets angreifbar und verletzlich fühlte und ungeduldig darauf wartete, dass es endlich wieder Tag werden würde. Da Jaken diese Verwandlung zum ersten Mal erlebte starrte er zunächst erstaunt, riss sich jedoch schleunigst zusammen als er das noch immer eindrucksvolle Knurren InuYashas vernahm. Jaken war auf den Halbbruder seines Herrn angewiesen und wollte es sich deshalb nicht mit diesem verscherzen, aber vielleicht würde es Sesshōmaru später interessieren zu erfahren, dass und wann sein Bruder zu einem hilflosen Menschen wurde… Schließlich gelangte die winzige Reisegruppe auf die Hochebene von Hian, wo sich auch das gleichnamige Kloster befand. Diese leißen InuYasha und Jaken jedoch unbeachtet und zwängten sich stattdessen am Rand der Hochebene zwischen zwei hoch aufragenden Felsnadeln hindurch in einen so schmalen Gang, dass InuYasha seitwärts, Tessaiga eng an sich gedrückt, gehen musste, um überhaupt hindurch zu passen. Ah-Un hatten sie auf der Hochebene zurückgelassen, mit abgenommenen Maulkörben, sodass sich der Drache im Falle eines Falles verteidigen konnte. Der Gang schien sich endlos hin zu ziehen, während von oben auf die beiden Wanderer ab und zu kleinere Gerölllawinen herabfielen und ihnen das Gehen noch zusätzlich erschwerten. Letztendlich gelangten sie jedoch leicht zerschrammt aber glücklich in einen geschützten Talkessel, dessen Lage es der Natur ermöglicht hatte auch in dieser ungewohnten Höhe üppig zu wuchern und einen wahren Urwald entstehen zu lassen. Im Zentrum dieses Waldes angekommen, setzte der Kappa sich auf einen umgestürzten Baumstamm und begann zu warten. Verdutzt starrte InuYasha ihn für einen Moment an. „Was soll das denn jetzt? Ich denke, wir wollten hier jemanden fragen, der uns mit unserem Drachenproblem weiterhelfen kann. Du kannst dich später ausruhen, jetzt ist wirklich nicht die Zeit dafür.“ Jaken ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen, sondern erklärte: „Wenn wir einen von ihnen treffen wollen, müssen wir hier warten, das geht sehr viel schneller, als wenn wir nach ihnen suchen.“ Der Hanyō wirkte keineswegs von dieser Strategie überzeugt, ließ sich aber dennoch zunächst einmal neben dem Kappa nieder, um abzuwarten, was geschehen würde. Es dauerte jedoch nicht lang und InuYasha begann sich zu langweilen, die Umgebung sorgte auch nicht gerade für Abwechslung mit ihren zigtausend Variationen der Farben braun und grün. „Keh“, brummte der Halbdämon schließlich unzufrieden, „von wegen das geht schneller. Komm schon lass uns wei…“, weiter kam er mit seinem Satz nicht, als plötzlich und unerwartet eine überreife Frucht heran geflogen kam und in seinem Gesicht landete. Wütend sprang InuYasha auf, die Hand bereits am Schwertgriff. „Wer war das? Los zeig dich!“ Ein Kichern war die Antwort, bevor sich Jaken und InuYasha plötzlich von einem Schwarm winziger, geflügelter Wesen umzingelt sahen, die sie mit einer derartigen Geschwindigkeit umschwirrten, dass nicht auszumachen war, wie eines der Wesen allein aussehen mochte. Es war, als würde man an einem heißen Tag versuchen ein heftiges Hitzeflimmern zu beobachten, mit dem einzigen Erfolg, dass einem begannen die Augen zu tränen. Über das beständige, sanfte Sirren unzähliger Flügelpaare, erklang mit einem Mal ein vielstimmiger Chor von sehr hohen Stimmen, der in den Ohren schmerzte. „Wer seid ihr? Was wollt ihr? bringt ihr Gutes oder Schlechtes?“ Diesen Singsang in immer schnellerem Tempo und höherem Tonfall wiederholend, umschwirrten die winzigen Wesen ihre beiden Opfer mit zunehmender Geschwindigkeit in einem immer verwirrender werdenden Muster. Kurzerhand hatten InuYasha und Jaken die Augen geschlossen, um wenigstens diesen ein wenig Schonung zu gönnen. „Sind das die Typen, die uns helfen sollen, mehr über Drachen zu erfahren?“, erkundigte sich der Halbdämon über das Gesirr und den Gesang hinweg schreiend bei seinem Begleiter, der ebenso schreiend erwiderte: „Ich glaube es.“ „Was soll das heißen, du glaubst es, sind sie es oder sind sie es nicht?“, verlangte InuYasha energisch zu wissen. „Ich nehme es an, aber ich weiß es nicht genau“, erwiderte Jaken etwas kläglich, worauf der Hanyō ungehalten murrte: „Großartig, auf die Weise können wir sie noch nicht mal erledigen“, und wandte sich anschließend an den sie umfliegenden Chor: „Seid doch endlich mal still, wie sollen wir euch denn antworten, wenn ihr die ganze Zeit so einen Lärm veranstaltet?!“ Statt darauf einzugehen und die beiden Fremden tatsächlich antworten zu lassen, verstärkte sich nur noch einmal das hektische Geflatter und der Stimmencanon, um dann jäh zu verstummen. Vorsichtig öffneten InuYasha und Jaken ihre Augen wieder und fanden sich im Inneren eines riesigen Seidenkokons wieder, der sanft hin und her schaukelte, als er offenbar durch die Luft getragen wurde. Mit einem scheelen Blick auf den kleinen Kappa brummte InuYasha: „Bereit uns weiter zu helfen, hm?“ „Warten wir erst einmal ab, vielleicht bringen sie uns auch nur zu denen, die uns weiter helfen können“, versuchte Jaken den Halbdämon zu beschwichtigen und sich gleichzeitig an das letzte bisschen Hoffnung zu klammern, das er noch hatte. Wider Erwarten fügte sich der Hanyō, lediglich mit einer seiner Klauen, ein Loch in den Kokon bohrend, um hinaus sehen zu können. Viel zu sehen gab es allerdings nicht, sie schwebten offenbar wenige sun über dem Waldboden dahin, jedem Hindernis geschickt ausweichend. Nach einiger Zeit gelangten sie schließlich zu einer großen, ausladenden und uralten Silbereiche, deren Stamm einen Hohlraum aufwies, in dem bequem ein Kind von Rins Größe Platz gefunden hätte. In der Höhlung schien tatsächlich etwas oder jemand zu sitzen, aber bevor InuYasha genauer erkennen konnte, worum es sich dabei handelte, wurden sie unsanft fallen gelassen. Was der Hanyō kurzerhand als Aufforderung nahm, den Kokon mit Hilfe seiner Klauen zu zerstören. Nachdem schließlich die letzten Seidenfäden sacht zu Boden schwebten und Jaken und InuYasha aus ihrem zeitweiligen Transportgefängnis befreit waren, sahen sie sich das Wesen in der Baumhöhlung näher an. Gleichzeitig wurden sie ihrerseits von dem Wesen in der Baumhöhle und den winzigen geflügelten Wesen betrachtet, die sie hergetragen und sich nun in den weiten Zweigen der Eiche niedergelassen hatten. Das Wesen in dem Baum sah merkwürdig aus, als hätte jemand versucht aus mehreren verschiedenen Tierteilen, die nicht zusammenpassten, ein einziges herzustellen. Unverholen starrte InuYasha das Wesen an, so etwas hatte er noch nie gesehen, aber er hatte davon gehört. Diese Mischung aus Löwe, Pferd, Tiger und Ochse vor ihnen war tatsächlich ein Traumfresser, ein Baku. Allerdings hatte er sich diese Wesen immer wesentlich größer vorgestellt. Vielleicht war auch nur die Ausgabe vor ihnen zu kurz geraten, aber letztendlich war das gleichgültig, schließlich waren sie wegen etwas gänzlich Anderem hier. „Bist du derjenige, der Wissen über Drachen sammelt?“, erkundigte sich der Halbdämon kurz und bündig, ohne sich mit einer langen Begrüßung oder Erklärung aufzuhalten, was Jaken sichtlich in Verlegenheit stürzte, auch wenn er in der Hinsicht nichts zu sagen wagte. „Wer weiß, möglich ist vieles. - Wer will das wissen?“, entgegnete der Baku gelassen mit einer Stimme, die mehr ein sanfter Hauch war, als tatsächlicher Klang. „Na wir“, erklärte InuYasha verständnislos, „also, bist du nun derjenige oder nicht? Sag schon, wir haben nicht ewig Zeit.“ „So ungeduldig, junger Hanyō, hat du es so eilig zu sterben?“, noch immer war die Stimme des Baku ein sanfter, klangloser Hauch, der die Zuhörer einzuhüllen schien. „Keh“, meinte InuYasha nur unbeeindruckt und legte seine Hand um den Griff Tessaigas, „glaub bloß nicht, dass ich mich einfach so umbringen lasse.“ Erschrocken hatte Jaken die Szene verfolgt, wenn dieser dämliche Hanyō tatsächlich vorhatte den Baku umzubringen, würden sie vermutlich nie einen Drachen finden, der ihnen weiterhelfen würde und jede Hoffnung den echten Sesshōmaru-sama zu finden wäre ebenfalls dahin. Also äußerte er hastig: „Inuyasha-sama, bitte lasst mich mit ihm sprechen.“ „Keh“, erwiderte InuYasha lediglich abfällig, entspannte jedoch seine Haltung etwas und schwieg, was Jaken als Einverständnis nahm und dem Baku ihre Namen nannte und anschließend kurz erklärte, weswegen sie gekommen waren. Nachdem Jaken seine Ausführungen beendet hatte, herrschte für einen Augenblick Stille, in der der Baku die Sache zu überdenken schien und schließlich äußerte: „Ich bin der, den ihr sucht. Aber bevor ich euch helfe, müsst ihr zwei Bedingungen erfüllen.“ „Und die wären?“, fragte InuYasha leicht ungeduldig nach. Je mehr Zeit er mit der Suche nach Sesshōmaru verschwendete, um so länger würde es dauern, ehe er wieder mit seinen Freunden auf die Suche nach Juwelensplittern und Naraku gehen konnte, zumal die Suche nach seinem Bruder immer komplizierter zu werden schien. „Bringt mir das Ei des Phönix aus der Mitte des Sees der Tränen und das Auge der Göttin aus dem Wald von Amaterasu, dann werde ich euch sagen, was ihr wissen wollt.“ Für einen Augenblick starrten Jaken und InuYasha den Baku ungläubig an, der See der Tränen lag im tiefsten Süden, der Wald von Amaterasu im äußersten Westen. Um die Wünsche des Baku zu erfüllen, würden sie den Weg zurück müssen, den sie gekommen waren, ohne dass sie mehr Informationen in Händen hatten als zuvor. Aber was blieb ihnen anderes übrig, einfach in das Reich der Drachen einzufallen und jeden beliebigen Drachen, den sie trafen zu fragen, ob er ihnen helfen könne, wäre mit Sicherheit weit ineffektiver und vermutlich um einiges tödlicher. Also fügten sie sich wohl oder übel in ihr Schicksal und machten sich auf den Weg, um die Bedingungen des Baku zu erfüllen. Kapitel 13: Schattenspiele -------------------------- Haru war auf dem Weg ins Dorf, nachdem er unbeschadet von seinem ersten Erzeskortierungsauftrag zurückgekehrt war. Die einwöchige Reise war ohne Schwierigkeiten verlaufen, im Gegensatz zu einer anderen Erzlieferung, war ihre Truppe nicht angegriffen worden oder hatte mit anderweitigen Problemen zu kämpfen gehabt. Dennoch stand jedem von einem Auftrag zurückgekehrten Soldatentrupp ein freier Tag zur Verfügung, um sich zu erholen, bevor sie die nächsten Aufträge erhielten. Haru hatte beschlossen diese Zeit zu nutzen und nachzusehen wie es Ayako und Inochiyume ging. Als er sich der Hütte näherte, sah er Ayako gemütlich vor der Tür sitzen, während sie an einer schmalen Pfeife sog, dünne Rauchwolken in die Luft blies und Inochiyume dabei zusah wie sie mit Yūjō spielte. Als der Hund den Neuankömmling witterte, hielt er in der Bewegung inne und bellte kurz zur Begrüßung, während die beiden Frauen Haru entgegen sahen und Ayako statt einer Begrüßung spöttisch feststellte: „Sieh an, so hoher Besuch. Was will der künftige Fürst denn von uns?“ „Bā-chan“, mahnte Inochiyume leise und vorwurfsvoll. „Schon gut, Kindchen, schon gut“, erwiderte die Alte und tätschelte ihrer Enkelin die Hand, während sie Haru zugleich aufforderte sich zu setzen und Inochiyume anschließend befahl, ihrem Gast etwas zu trinken zu bringen. „Dann erzähl mal, wie dir das Leben im Palast gefällt“, äußerte Ayako an Haru gewandt, bevor sie wieder genüsslich an ihrer Pfeife sog. Da Haru diese Frage vollkommen sinnlos fand, machte er sich nicht die Mühe darauf zu antworten und so herrschte eine Weile Stille, bevor Ayako einen erneuten Versuch unternahm eine Unterhaltung in Gang zu bringen. „Die Leute im Dorf erzählen, dass du bei Hinagiku-sama beträchtlichen Eindruck hinterlassen hast. Sie hält dich angeblich für einen wundervollen Zuhörer und seit du zur Truppe gehörst, soll sie häufig dem Training zusehen.“ Auch darauf antwortete Haru nicht, bedachte Ayako jedoch mit einem durchdringenden Seitenblick, bevor er stoisch an dem Teebecher nippte, den Inochiyume ihm gebracht hatte. Plötzlich kam ein abgehetzt und zerzaust aussehender Junge, der ebenfalls aus dem Dorf stammte und mühsam einen verletzten Luchs in seinen Armen trug, so schnell es seine Last zuließ auf die Hütte von Ayako und ihrer Enkelin zu gelaufen und zerstörte so die entspannte Atmosphäre, die bis dahin geherrscht hatte. Kaum dass er in Hörweite war, bat er Inochiyume sich das Tier auf seinen Armen anzusehen, während er gleichzeitig keuchend nach Luft schnappte. Yūjō hatte bei dem Anblick der schwer verletzten Raubkatze angefangen drohend zu knurren, sodass Inochiyume ihm befahl ruhig zu sein, bevor sie sich an den Jungen wandte und ihn bat ihr zu folgen, damit sie sich das Tier in Ruhe ansehen konnte. Da sich Yūjō trotz des Befehls seiner Herrin nicht beruhigen wollte, sondern sich stattdessen erhob, um ihr nachzulaufen und vor einer möglichen Gefahr zu beschützen, legte Haru, aus einem unklaren Verbundenheitsgefühl heraus, eine Hand in den Nacken des Tieres, es auf diese Weise zurückhaltend und beruhigend. Ohne auf den wachsamen Blick Ayakos zu achten, die das Geschehen mit schweigender Ruhe verfolgt hatte, begann Haru Yūjō den Nacken zu graulen, während er darüber nachdachte, was ihn an dieser Raubkatze so störte, dass sich die feinen Haare auf seinen Unterarmen aufstellten. Der Junge kam bald darauf wieder aus der Hütte, nachdem Inochiyume sich um seine Verletzungen gekümmert hatte, die im Gegensatz zu denen des Luchses nur leicht waren, und blieb nervös wartend davor stehen, während das Mädchen offenbar im Inneren der Hütte noch immer mit der Versorgung des Tieres beschäftigt war. „Was habt ihr zwei denn angestellt, Kizuki, dass dein Freund jetzt so aussieht?“, erkundigte Ayako sich neugierig bei dem unruhig wartenden Jungen. „Nichts“, beteuerte Kizuki daraufhin inbrünstig und fügte erklärend hinzu: „Wir waren im Wald, Holz sammeln, da sind wir plötzlich von einem riesigen Schatten angegriffen worden.“ „Einem Schatten?“, hakte die Alte verwundert nach und der Junge nickte noch einmal bekräftigend, „ja. Ich konnte es nicht genau erkennen, es ging alles so schnell. Und wenn Toru nicht gewesen wäre und mich beschützt hätte, dann wär ich jetzt bestimmt tot.“ „Hm“, brummte Ayako daraufhin nur nachdenklich und paffte einige Züge aus ihrer Pfeife, bevor sie nachfragte: „War der Schatten, der dich angegriffen hat, vielleicht ein Dämon?“ Die Frage provozierte ein erneutes Knurren von Yūjō, während Kizuki mit den Schultern zuckte und erwiderte: „Ich weiß nicht, könnte sein. Woran erkennt man denn einen Dämon?“ „Tja, woran?“, brummelte die alte Frau darauf nur in sich hinein und fügte dann wieder an den Jungen gewandt hinzu: „Wie tief im Wald bist du denn gewesen, als du angegriffen worden bist?“ Nachdenklich schwieg der Junge einen Moment und antwortete dann: „Ziemlich weit, beinahe bei den leuchtenden Steinen, gibt zurzeit nicht viel totes Holz im Wald.“ Er hatte kaum ausgesprochen, als Inochiyume aus der Hütte trat, sich noch die Hände an einem Tuch trocknend, und sofort die volle Aufmerksamkeit Kizukis besaß. Auf den ängstlich fragenden Blick des Jungen hin erklärte das Mädchen entschuldigend: „Ich habe getan, was ich konnte. Aber ob Toru durchkommt, müssen wir abwarten. Lass ihn die Nacht über hier, Morgen sehen wir dann weiter.“ Mit betrübtem Gesicht und hängenden Schultern stimmte Kizuki diesem Vorschlag zu, bedankte sich und verließ die kleine Versammlung vor der Hütte in gedrückter Stimmung. „Du wirst in der nächsten Zeit sehr vorsichtig sein müssen, wenn du in den Wald gehst“, wandte sich Ayako gleich darauf an ihre Enkelin, die in Gedanken noch bei ihrem Patienten war und nur schweigend nickte. „Und du“, fuhr die alte Frau anschließend energisch an Haru gewandt fort, „sagst am besten dem Kommandanten Bescheid, dass wir eine Bestie im Wald herumlaufen haben, die die Dorfbewohner bedroht. Er soll sich gefälligst darum kümmern, dass wir ohne Angst leben können.“ Haru ließ wie üblich keine Reaktion auf die Unverfrorenheit Ayakos erkennen und ebenso wenig, ob er den Befehl der Alten auszuführen oder zu ignorieren gedachte. Da es für den Krieger keinen Grund gab, noch länger im Dorf zu bleiben und es für Inochiyume Zeit wurde wieder ins Schloss und an ihre Arbeit zu gehen, liefen die Beiden bald darauf gemeinsam zum Palast. Auf dem Weg fragte Inochiyume, ob Kizuki erwähnt habe, von was er und sein Luchs angegriffen worden waren. Auf die knappe Verneinung ihres Begleiters erwiderte sie, nach einem kurzen Moment nachdenklichen Schweigens: „Was immer es war, es hat sehr scharfe Klauen und ein starkes Gift. Ich bin nicht sicher, dass Toru die Nacht überleben wird.“ Gerade als sie das Eingangstor des Schlosses erreicht hatten, hörten sie, wie aus Richtung des Bergwerkes Alarm geschlagen wurde. Abrupt blieb Inochiyume für einen Moment stehen und starrte mit blass werdendem Gesicht in diese Richtung, bevor sie sich hastig wieder in Bewegung setzte, um das Schloss zu betreten. Als Haru zu wissen verlangte, was es mit dem Lärm und der am Eingang des Stollens inzwischen entstandenen Hektik auf sich hatte, hob das Mädchen zunächst abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. Es genügte jedoch ein unerbittlicher Blick aus honigfarbenen Augen, um ihr die Erklärung abzuringen: „Sie rufen die Bergleute aus dem Schacht, damit sie sich in Sicherheit bringen können.“ Anschließend verabschiedete Inochiyume sich hastig und verschwand im Dienstbotentrakt. Während Haru seinen Entschluss, zu den Soldatenunterkünften zurückzukehren, änderte und kurzerhand Richtung Bergwerk lief, neugierig herauszufinden was es mit dem verängstigten Verschweigen des Mädchens tatsächlich auf sich hatte. Er wußte nicht, dass er auf diese Weise glücklich einer enthusiastisch nervösen Hinagiku-hime entging, die in vollkommener Anmut unruhig in der Nähe der Soldatenunterkünfte auf und ab wandelte, in der Hoffnung sich zunächst in scheinbarer Hilflosigkeit schutzsuchend an den Arm des jungen Kriegers klammern zu können und ihn schließlich geschickt in den Garten zu lotsen, um dort durch Geplauder ihrer beider Beziehung weiter zu vertiefen. Als Haru am Eingang des Stollens ankam, war die Evakuierung anscheinend gerade zu Ende gegangen. Die Familien der Bergleute schlossen die unversehrt aus dem Stollen zurückgekehrten Männer glücklich in die Arme, während die Luft von erleichtertem Lachen und fröhlichen Stimmen erfüllt war. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich in diesen Freudentaumel das zunächst leise, dann lauter und heftiger werdende Klagen und Weinen einiger Familien mischte, deren Männer nicht zurückgekehrt waren. Ohne auf Trauer oder Freude der Umstehenden zu achten, war Haru näher an den Eingang des Bergwerks herangetreten, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches erkennen. Gerade als er einen ersten Schritt in den Stollen hineingehen wollte, wurde er von einem gebeugt gehenden Mann mit muskulösen Armen, die ihn unverkennbar als Bergarbeiter auswiesen, aufgehalten. „Es ist besser, Ihr geht da nicht hinein, Dono, Nagasawa-sama wäre sehr ungehalten, wenn er einen seiner Krieger im Bergwerk verlieren würde.“ Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, wandte Haru seinen durchdringenden Blick dem Mann neben sich zu, der augenblicklich noch etwas mehr in sich zusammenschrumpfte und in ängstlicher Verlegenheit auf den Boden starrte, während der dunkelhaarige Krieger zu wissen verlangte: „Was befindet sich in dem Berg, dass ihr solche Angst davor habt und es bisher nicht einmal von den Soldaten besiegt werden konnte?“ „Es ist besser, nicht darüber zu reden, Dono. Man soll nicht reizen, was man nicht besiegen kann, sondern muss sich mit ihm arrangieren“, murmelte der Bergmann verschüchtert angesichts des Scharfsinns und des selbstbewusst autoritären Tonfalls seines Gesprächspartners. „Ihr beabsichtigt demnach also nicht, die verschollenen Männer zurück zu holen“, fasste Haru sachlich den abergläubischen Unsinn des Dörflers zusammen, der bei dieser emotionslosen Feststellung schuldbewusst zusammengezuckt war. „Wir haben es früher versucht, Dono. Aber die Verluste waren zu groß und keiner der Verschollenen ist je gerettet worden. Deshalb hat Nagasawa-sama entschieden, sie ihrem Schicksal zu überlassen, ohne weitere Leben für ihre unmögliche Rettung zu opfern.“ Haru erwiderte darauf nichts, es ging ihn nichts an, wie der Fürst regierte oder ob Menschen zu schaden kamen, er selbst gehörte nicht hierher und war demzufolge in keiner Weise verantwortlich zu machen. Abgesehen davon, dürfte er als Einzelner gegen dieses unbekannte Grauen kaum eine Aussicht auf Erfolg haben, wenn schon ganze Rettungsmannschaften in diesem Berg verschollen waren. Da es für Haru am Bergwerk nichts mehr zu tun gab, ließ er den gebeugten Mann wortlos stehen und kehrte zurück in den Palast, entschlossen auf andere Weise herauszufinden, was es mit dem Bergwerk und der Angst der Dorfbewohner auf sich hatte. Als Vizekommandant sollte ihm eigentlich Kaoru Rede und Antwort stehen können. Auch wenn er Haru nicht gerade wohlwollend gegenüberstand, wenn es um das Wohlergehen der Dorfbewohner ging, der Leute, die Kaoru von Kindesbeinen an kannte, sollte er als Krieger eigentlich in der Lage sein private Abneigungen hintenan zu stellen und sich professionell zu verhalten. Doch Haru kam nicht dazu mit dem Fukutaishō zu sprechen, sondern wurde von Hinagiku-hime aufgehalten, die, als das Objekt ihres Interesses nicht erschienen war, sich vorerst allein in den Garten zurückgezogen, jedoch vorsorglich einen Diener in der Nähe der Soldatenunterkünfte postiert hatte, mit dem Auftrag, Haru bei dessen Rückkehr mitzuteilen, er möge ihr doch im Garten Gesellschaft leisten. Wenig erfreut über diese unwillkommene Störung, folgte Haru dem Befehl der Fürstentochter dennoch, blieb ihm doch keine andere Wahl als zu gehorchen. So fand er sich bald darauf Hinagiku-hime gegenüber am Boden, auf einer kostbaren Decke sitzend wieder, während er in schweigender Resignation ihr unbeschwertes Geplauder über Gedichte, Musik und die Schönheiten der Jahreszeiten über sich ergehen ließ. Während einer kurzen Pause in diesem mit Eloquenz und Stilsicherheit geführten Monolog, gelang es Haru in neutralem Tonfall die Frage einzuwerfen, was die Prinzessin über die Vorgänge im Bergwerk wisse. Überrascht sah diese ihn für einen Moment an, bevor sie mit einem grazilen Achselzucken erwiderte: „Die Leute aus dem Dorf fördern die Erze zu Tage, die unseren Wohlstand sichern.“ Es klang wie etwas auswendig Gelerntes, das ihr aufgetragen worden war bei passenden Gelegenheiten zu erwähnen, ohne dass es ihr tatsächlich irgendetwas bedeutete. „Es scheint, dass sich in dem Berg etwas befindet, dass den Dorfbewohnern Angst macht“, erklärte Haru gleichmütig, in dem Versuch dem Gespräch die von ihm gewünschte Wendung zu geben, allerdings erfolglos, denn die Prinzessin winkte nur gleichgültig ab und meinte: „Aberglaube, nichts weiter.“ „Ein merkwürdiger Aberglaube, wenn es ihm gelingt selbst ausgebildete Krieger zu verschlingen.“ Erschrocken sah Hinagiku Haru nach dieser ruhigen Feststellung an. Bevor sie jedoch dazu kam etwas zu sagen, näherte sich ihnen Kaoru verbeugte sich galant und äußerte: „Ich bitte um Vergebung, Hime-sama, aber ich fürchte, ich habe keine andere Wahl als Euch Eurer Begleitung zu berauben.“ „Was fällt Euch ein, Fukutaishō, Euch eine derartige Dreistigkeit herauszunehmen! Es gibt genügend Krieger, die keinen freien Tag haben und denen ihr einen dringenden Auftrag erteilen könnt, ohne dass Ihr mich dafür belästigen müsst“, verärgerte Arroganz sprach aus jeder Silbe Hinagikus, während ihr schönes Gesicht eine ungehaltene Miene zeigte. „Ich bin untröstlich, Euch um Euer Vergnügen zu bringen, Hime-sama“, erwiderte Kaoru formvollendet und mit gleich bleibender, freundlicher Höflichkeit, „aber es handelt sich um eine Sache, die ausschließlich Haru-san imstande ist zu erledigen. – Und ich fürchte, wenn wir uns nicht beeilen, wird Euer Herr Vater äußerst ungehalten sein.“ Widerwillig gab Hinagiku daraufhin nach, wollte sie doch nicht riskieren, dass ihr Vater zornig auf ihren zukünftigen Gatten wäre und ihn möglicherweise für sein Versäumnis strafte. Haru hingegen wäre Kaoru für dessen Auftauchen beinahe dankbar gewesen, hätte dieser sich nicht ausgerechnet den Moment ausgesucht, in dem er kurz davor stand vielleicht doch etwas über das Bergwerk zu erfahren. Allerdings sollte Haru auch dieses Mal nicht dazu kommen, seinen Vorgesetzten über den Stollen auszufragen, während sie gemeinsam Hinagiku und den Garten verließen. Denn Kaoru erklärte, kaum dass sie außer Hörweite waren, mit leiser und energischer Stimme: „Der Fürst will, dass du dich von seiner Tochter fernhältst. Er sieht es nicht gern, dass Hinagiku-hime sich für einen gemeinen Soldaten derart lächerlich macht. Sieh also zu, dass du ihr so wenig wie möglich begegnest.“ Ohne darauf einzugehen, dass er nicht im Geringsten an der Aufmerksamkeit der Prinzessin interessiert war, erkundigte Haru sich lediglich kühl nach dem Auftrag, den er erledigen sollte. Kaoru betrachtete ihn für einen kurzen Moment prüfend von der Seite, bevor er erwiderte: „Es gibt keinen Auftrag für dich. Nagasawa-sama hatte mir lediglich befohlen, dich unauffällig aus der Gesellschaft seiner Tochter zu entfernen. Du wirst den Rest des Tages im Dorf verbringen, damit der Schwindel nicht auffällt. - Aber halte dich von Inochiyume fern. Das Mädchen geht dich nichts an!“ Den leicht aggressiv vorgebrachten Nachsatz schlicht ignorierend, weil er ihn vollkommen abwegig und seiner Beachtung nicht für wert hielt, gehorchte Haru widerspruchslos dem Befehl. Zum einen hatte er ohnehin keine Wahl und war auf diese Weise vor Hinagiku-himes Aufmerksamkeit sicher, die nie auch nur einen Fuß in das Dorf setzte, zum anderen war ihm eingefallen, dass es im Dorf jemanden gab, der ihn mit Sicherheit über das Bergwerk und seine Schrecken aufklären konnte und auch würde. „Du schon wieder“, stellte Ayako ungerührt fest, sich in aller Gemütsruhe eine neue Pfeife stopfend, als Haru zum zweiten Mal an diesem Tag bei ihrer Hütte auftauchte, „erst lässt du dich wochenlang gar nicht blicken und dann schneist du plötzlich ständig vorbei, du scheinst nichts zu tun zu haben.“ Auf Zurechtweisungen, Höflichkeiten und einleitende Floskeln verzichtend, ließ sich der junge Mann gleichmütig neben der alten Frau nieder und erkundigte sich direkt: „Was weißt du über das Bergwerk?“ Ein listiges Funkeln trat in die Augen der Alten, während sich ihr faltiger Mund zu einem Grinsen verzog und sie erwiderte: „Das scheint dich wirklich zu interessieren, wenn du dafür sogar bereit bist den Mund aufzumachen.“ Da Haru darauf ebenso wenig einging wie auf alle anderen Provokationen Ayakos, herrschte einen kurzen Moment Schweigen, bevor Ayako ernst geworden zu reden begann: „Mit Schätzen ist das so eine Sache. Man kann sich nicht einfach an ihnen bedienen, ohne dass man dafür bezahlen muss.“ Haru hatte bereits mit der umständlichen Art Ayakos etwas zu erzählen Bekanntschaft gemacht, sodass er nun ruhig abwartete, dass die alte Frau ihm sagte, was er wissen wollte. „Der Berg ist voll von Schätzen, sowohl Erzen als auch Edelsteinen, aber in ihm hausen auch Wesen, die von den Bergleuten den Namen ‚Schwärzlinge’ erhalten haben. Sie leben in den Tiefen des Berges, kommen niemals ans Tageslicht und ernähren sich von faulendem Unrat. Hin und wieder holen sie sich einen der Bergarbeiter legen ihn gefesselt und lebenidg ins Wasser, damit er langsam vor sich hinfault und essen dann das faulige Fleisch, das bei ihnen wohl als Delikatesse gilt.“ „Woher weißt du das alles?“, wollte Haru wissen, „einer der Bergleute hat mir erzählt, dass nie jemand, den der Berg verschlungen hat, zurückgekehrt ist.“ „Einmal ist es einem Mann gelungen. Er hat es irgendwie geschafft zu flüchten, obwohl sie ihm bereits einen Arm abgefressen hatten. Er kam eines Tages völlig entkräftet aus dem Gebirge ins Dorf getorkelt… Er hat es nicht mehr lange gemacht und ist kurz darauf gestorben. … Vorher hat er im Fieber immer wieder fantasiert, aber in den wenigen klaren Momenten, hat er zumindest Bruchstücke von dem erzählt, was er erlebt hat“, erwiderte Ayako ruhig, währende sie in die Abendsonne blinzelte. „Und ihr seid unfähig euch vor ihnen zu schützen“, stellte Haru ruhig fest, sodass seine Gesprächspartnerin kurz und bitter auflachte. „Wie könnten wir, sie finden sich in kompletter Dunkelheit zurecht und sind in der Lage Menschen allein durch ihren intensiven Hass zu lähmen. Das Einzige, was wir gegen sie tun können sind große Feuer und Singvögel, um sie fern zu halten. Das eine verletzt ihre an Dunkelheit gewöhnten Augen, das andere stört ihre Wahrnehmung und hindert die Bergarbeiter daran sich hypnotisieren zu lassen“, erwiderte die Alte, bevor sie hinzufügte: „Aber die Schwärzlinge sind nicht dumm, sie haben gelernt wie man Feuer zum Erlöschen und Vögel zum Schweigen bringt - und dann bleibt den Bergarbeitern nur eines: So schnell wie möglich den Berg zu verlassen, wollen sie nicht als lebendiger Nahrungsvorrat enden.“ „Ist Inochiyumes Vater tatsächlich durch einen Stolleneinsturz gestorben?“, wollte Haru nach einer kleinen Pause in ihrem Gespräch schließlich wissen und wurde daraufhin schweigend von der Seite taxiert, bevor Ayako seine Vermutung, dass der Stolleneinsturz eine Erfindung gewesen war, bestätigte: „In dieser Gegend ist seit mehr als fünfzig Jahren kein Stollen mehr eingestürzt.“ „Weiß Inochiyume, wie ihr Vater gestorben ist?“ „Sie hat ihn gefunden, als er auf seinem Weg ins Dorf zusammengebrochen war“, lautete die knappe Antwort der Alten, bevor sie sich erhob und schlurfend im Inneren der Hütte verschwand, auf diese Weise dem Gespräch ein Ende setzend. Nachdenklich blieb Haru vor der Hütte sitzen. Das war also der Grund, warum Inochiyume sich geweigert hatte, darüber zu sprechen. Sie wollte nicht, dass noch jemand in Gefahr geriet von den Schwärzlingen gefangen zu werden. Der Anblick ihres verstümmelten Vaters mochte vielleicht auch der Grund dafür sein, dass sie den Drang entwickelt hatte, jedes verletzte Wesen, das sie fand, heilen zu wollen. Nun, letztendlich gingen ihn ihre Gründe nichts an und wenn Fürst und Dorf entschieden hatten, sich mit der Existenz der Schwärzlinge und dem Tod der Bergarbeiter abzufinden, war das ihre Sache. Er würde sich mit Sicherheit nicht einmischen, nachdem seine Neugier nun gestillt war. Mit diesem Beschluss ließ er die Sache auf sich beruhen und verbrachte anschließend einen angenehmen, wenn auch wenig ereignisreichen Abend zusammen mit Ayako und Inochiyume, da er ja offiziell den Auftrag erhalten hatte, sich vorerst vom Palast und damit von Hinagiku fernzuhalten. P.S. Die ‚Schwärzlinge’ wurden ungefragt aus Haruki Murakamis Roman „Hardboiled Wonderland und das Ende der Welt“ entführt. (Allerdings bezweifle ich, dass sie dort jemand vermissen wird.) Kapitel 14: Rotz und Wasser --------------------------- Für dieses Kapitel haben freundlicherweise Miachel Endes "Sümpfe der Traurigkeit" und Andreas Steinhöfels "Mare Lacrimarum" geduldig Pate gestanden. Wünsch euch wie immer gute Unterhaltung und bedanke mich für die erhaltenen Kommentare. ^^ Lieben Gruß Zwiebel Wieder hatten InuYasha und Jaken auf dem Rücken von Ah-Un im Eiltempo das Land durchquert und waren inzwischen im Süden angekommen. Keiner der Beiden wusste, wo genau sich der See der Tränen befand und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich von Dorf zu Stadt und von Stadt zu Siedlung durchzufragen; lediglich mit dem Erfolg, dass ihnen wage die Richtung, in der sich der See befinden sollte, gewiesen werden konnte. Es schien, als würde so gut wie jeder nicht nur den See selbst, sondern auch dessen nähere Umgebung meiden. Den Grund dafür erfuhren sie schließlich von einem ausgemergelt und verbraucht aussehenden Holzfäller, der sich nach getaner Arbeit auf dem Weg nach Hause befand. „Ihr wollt zum See der Tränen?“, überrascht starrte der Holzfäller die beiden ungewöhnlichen Fragesteller an, viel zu erstaunt von ihrem Vorhaben, als dass er angesichts eines Halbdämons hätte verwundert oder verängstigt reagieren können. „Ja. Wir müssen da was erledigen“, erwiderte der Hanyō mit einer Mischung aus Ungeduld, Gereiztheit und unbekümmertem Selbstbewusstsein, ihm dauerte das alles schon viel zu lange und noch war kein Ende der Sache in Sicht. Dem Holzfäller blieb bei dieser Antwort für einen Moment sprachlos der Mund offen stehen, während er die beiden Unbekannten samt ihrem Reitdrachen noch immer ungläubig musterte. Schließlich fing er sich jedoch wieder und erklärte ihnen wie sie zum See gelangten, fügte seiner Erklärung jedoch zum Schluss eine wohlgemeinte Warnung hinzu: „An eurer Stelle, würde ich mir das gut überlegen, dahin zu gehen. Die wenigsten sind zurückgekommen und die, die es geschafft haben, sind meistens bald darauf gestorben.“ „Weshalb?“, wollte Jaken vorsichtig geworden wissen. „Sie waren vollkommen ausgetrocknet, ihre Haut hatte ein ganz merkwürdiges Aussehen, wie dünnes Papier, das jeden Moment reißen kann und sie war völlig faltig. Und die, die überlebt haben, sind erblindet.“ Der Krötenyōkai schluckte, nun ernsthaft besorgt, das klang gar nicht gut, da konnte InuYasha noch so von sich überzeugt sein. Allerdings hatten sie kaum eine andere Wahl, wollten sie herausfinden, wo sich Sesshōmaru-sama befand, da mochte das gesunde Selbstvertrauen eines erprobten Kämpfers noch von Nutzen sein - zumindest hoffte Jaken das aus tiefstem Herzen. Nachdem sich InuYasha und Jaken bedankt und verabschiedet hatten, setzten sie ihren Weg in die angegebene Richtung fort und gelangten schließlich an den Rand einer sandig steinigen Einöde, in der es soweit das Auge reichte keinerlei Abwechslung zu dem gräulich weißen, vollkommen unfruchtbaren Boden gab. Für einen kurzen Moment hatte die kleine Reisegruppe innegehalten, dieses Bild auf sich wirken lassend, während InuYasha gleichzeitig prüfte, ob ihnen möglicherweise aus irgendeiner Richtung unmittelbare Gefahr drohte. Da er nichts dergleichen wahrnehmen konnte und sich die Einöde endlos weit zu erstrecken schien, in deren Zentrum sich laut dem Holzfäller der gesuchte See befand, stiegen Jaken und InuYasha auf den Rücken von Ah-Un, um den Weg auf diese Weise zu verkürzen. Je weiter sie in die Einöde vordrangen, um so stiller wurde es. Zunächst verstummten die Geräusche der größeren, dann der kleineren Tiere, dann war nicht einmal mehr das entfernte Zwitschern von Vögeln, das Zirpen und Summen von Insekten zu hören, während sich unter ihnen in trosloser Eintönigkeit die gräulich weiße Ebene dehnte, in der es nicht das kleinste Anzeichen von Leben oder Farbe zu sehen gab. Nur immer das gleiche farblose Weißgrau des Bodens, das auf seltsame Art jedes Gefühl für Entfernungen aufhob und zugleich beklemmende Unsicherheit aufkommen ließ. Es dauerte eine Weile, bis InuYasha und Jaken merkten, dass Ah-Un, trotz seines Bemühens Höhe zu gewinnen, immer tiefer sank, bis er schließlich notgedrungen auf dem steinigen Grund landen musste, weil es ihm einfach unmöglich war sich länger in der Luft zu halten. Je mehr sich der Drachen dem Boden näherte, umso mehr bekamen auch die beiden Reiter auf Ah-Uns Rücken den Grund dafür zu spüren, warum es diesem immer schwerer fiel zu fliegen. Aus Unsicherheit und Beklemmung, wurde nur zu schnell eine unbestimmte Traurigkeit, die immer größer und schwerer wurde, je weiter sie in die Einöde vordrangen. Als Ah-Un schließlich nicht mehr in der Lage war zu fliegen, weil die Traurigkeit seinen Körper zu schwer werden ließ, als dass er sich hätte in der Luft halten können, blieb Inuyasha und Jaken keine andere Wahl, als ihren Weg zu Fuß fortzusetzen, Ah-Un am Zügel hinter sich herführend. Inzwischen hatte selbst der Wind aufgehört zu wehen, schien den Atem anzuhalten und darauf zu warten, was geschehen würde, während InuYasha und seine Begleiter verbißen langsam weiter Richtung See liefen. Kein Laut war zu hören, abgesehen von den Geräuschen ihrer Schritte auf knirschendem Grund und ihrem leisem Atmen. Diese beinah vollkommene Lautlosigkeit war von bleierner Schwere, die ebenso zu wachsen schien, wie das Gefühl der Traurigkeit. Die drückende Stille verursachte den immer stärker werdenden Wunsch zu schreien, nur um dieses lastende Schweigen zu durchbrechen und sich zu versichern, dass sie noch am Leben waren. Aber alles, was bei dem Versuch herauskam, war ein trauriges Krächzen, das beinahe schon in ein Schluchzen überging. Trostlosigkeit ließ die Körper schwer werden, machte es schwierig klar zu denken und ließ nichts als brennende Einsamkeit, qualvolle Sehnsucht und die alles verzehrende Traurigkeit selbst Wirklichkeit sein. Das Laufen wurde zur mühevollen Anstrengung, während den drei Wesen begannen unaufhaltsam und unaufhörlich Tränen über das Gesicht zu rinnen; unablässig mehr werdend und doch kein bisschen Erleichterung verschaffend, während sie ein bohrender Schmerz in ihrer Brust breit machte und immer stärker wurde. Anfangs wischten InuYasha und Jaken die Tränen noch fort, um besser sehen zu können. Doch es half nichts, und so verlor diese Tätigkeit schnell ihren Sinn, ebenso wie nach und nach das Gehen. Immer größer wurde der namenlose Kummer, der sie erfasst hatte. Immer schwerer fiel es ihnen einen Fuß vor den anderen zu setzen. Immer bedeutungsloser wurde das Ziel, das sie vor Augen hatten und immer nebensächlicher der Grund, warum sie diese Reise überhaupt begonnen hatten. Dennoch liefen sie weiter, als gäbe es einen letzten, verborgenen Winkel in ihrem Inneren, der diesem heimtückischen Angriff Trotz bot und Widerstand leistete, sich nicht geschlagen geben wollte und sie auf diese Weise vorwärtstrieb. So gelangten sie schließlich an das Ufer eines Sees, der gerade groß genug war, um in seiner Mitte eine Insel zu beherbergen, die außer Steinwurfweite lag. Die Insel selbst war lediglich ein kahler, toter Felsbrocken, dessen Oberfläche vom Salzwasser des Sees zerfressen und porös war - gerade groß genug, um neben einer kurzen Steinsäule noch einem Menschen Platz zu bieten. Wie zum Hohn ruhte auf der einsam aufragenden Stele ein eiförmiger Kristall, der in allen Regenbogenfarben leuchtete sobald die Sonne darauf traf. Das Ei des Phönix. Doch so nah InuYasha und seine Begleiter ihrem Ziel auch waren, so sinnlos erschien ihnen in diesem Moment das ganze Unterfangen, so bedeutungslos das Leben selbst und so gleichgültig war ihnen alles, was sie bisher durchgestanden hatten. Sie wollte sich nur noch an das Ufer des Sees setzen und weinen. - weinen. Den See mit ihren Tränen füllen, ihm auf diese Weise frisches Wasser zuführen, bis sie zu ausgelaugt waren, um weiter zu leben und einfach sterben würden. Es gab ein dumpfes Geräusch, als Ah-Uns Beine schließlich unter der Schwere seines Körpers nachgaben und der zweiköpfige Drachen auf dem sandigsteinigen Untergrund zusammenbrach. Die Köpfe des Drachen ruhten ebenfalls auf dem Boden, während er mit einem Blick tödlicher Hoffnungslosigkeit zu Jaken und InuYasha aufsah. - Lange würde der Drachen nicht mehr durchhalten. Schwerfällig und langsam ließ sich auch der Kappa nach einem Moment der vollkommenen Reglosigkeit neben Ah-Un auf den Boden sinken, starte mutlos auf die glatte Wasseroberfläche des Sees und berührte mit einer seiner schmalen, dreifingrigen Hände die Flanke des Drachen, als wollte er ihm auf diese Weise zu verstehen geben, dass er sich genauso fühlte oder sich selbst versichern, dass er nicht allein in dieser Einöde der Traurigkeit war. InuYasha war mehr als versucht, sich neben die anderen Beiden zu setzen und einfach darauf zu warten, dass es irgendwann vorbei wäre, es erschien so unglaublich verführerisch. Aber da war noch etwas, das ihn daran hinderte, ein letzter Rest Eigensinn und Widerstand. Ein winziger Funken des Widerspruchsgeistes, der ihn so oft mit Kagome zusammengeraten ließ. Kagome. Sie würde darauf waren, dass er zurückkam oder schlimmer noch, sich auf den Weg machen, um herauszufinden was aus ihm geworden war. Wenn er nicht wollte, dass ihr das Gleiche wie ihm passierte, musste er es irgendwie schaffen diesen Ort lebend zu verlassen. „Jaken, nimm Ah-Un und geh zurück. Beeil dich“, die Stimme des Hanyō klang schwach, heiser und kein bisschen überzeugend, als er diesen Befehl aussprach. So war es kein Wunder, dass Jaken zunächst nicht auf dessen Worte reagierte, sondern weiter still in seiner Traurigkeit versunken, den See mit Tränen versorgte. Leicht ungehalten runzelte InuYasha die Stirn und versuchte erneut die Aufmerksamkeit des Kappa auf sich zu lenken. „Jaken!“, dieses Mal klang seine Stimme schon kräftiger und energischer. Mit hoffnungslos leerem Blick sah der kleine Krötenyokai auf, ohne irgendwelche Anstalten zu machen der Aufforderung des Halbdämons nachzukommen. Verärgert ließ dieser seine Finger knacken, wortlose Warnung an den Schwächeren, er solle ihm gehorchen, wenn er nicht in Stücke geschnitten werden wollte. Für einen Moment starrte Jaken wie hypnotisiert auf die zum Angriff versteiften Klauen, murmelte dann leise den Namen seines Herrn und erhob sich mühsam und sehr langsam. Teilnahmslos erkundigte er sich dabei, was InuYasha vorhätte. „Ich hole das Ei des Phönix und komme dann nach“, lautete die Erwiderung, die leider nicht ganz so heldenhaft klang, wie sie sollte, da InuYasha noch immer die unaufhörlich fließenden Tränen zu schaffen machten, zu denen sich jetzt auch noch ein hinterhältiger Schluckauf gesellte. Jaken jedoch nahm die Antwort gleichgültig zur Kenntnis, ergriff die Zügel von Ah-Un und zog mit all seiner verbliebenen Kraft an diesen, um den Reitdrachen dazu zu bringen ihm zu folgen, während er mühsam in die Richtung lief, aus der sie gekommen waren. Da Ah-Un nur sehr widerwillig aufstand und dem an den Zügeln zerrenden Jaken folgte, musste der kleine Kappa seine ganze verbliebene Energie darauf konzentrieren den Drachen hinter sich her zu ziehen, sodass ihm anfangs gar nicht auffiel, wie sich die Traurigkeit ganz allmählich immer weiter aus ihm zurückzog, je größer die Entfernung zwischen ihm und dem See wurde. InuYasha hatte den beiden sich langsam entfernenden Gestalten nachgesehen und sich plötzlich so allein und verlassen gefühlt, dass er den Mund öffnete, um Jaken hinterher zu rufen, er habe es sich anders überlegt und sie sollten wieder zurückkommen. Gerade als der Hanyō die ersten Laute formte, hörte er hinter sich das verärgerte Rauschen des Sees und schloss seinen Mund schleunigst wieder, entschlossen die Lippen auf einander pressend. Das fehlte noch, dass er diesem hinterhältigen Teich in die Hände spielte und zwei der glücklich entkommenen Opfer zurückholte. Um sich von der Traurigkeit in ihm abzulenken, die wieder begonnen hatte ihn weiter in ihre gefährliche Tiefe zu ziehen, wandte InuYasha sich dem praktischen Problem zu, wie er seine Ankündigung, das Ei des Phönix zu holen, in die Tat umsetzen sollte. Fliegen konnte er als Halbdämon nicht und die Vorstellung diesen See schwimmend zu durchqueren, war einfach nur abwegig. Wenn der See einen bereits außerhalb des Wassers so völlig auslaugte, wie mochte es dann erst sein, wenn man sich in ihm drin befand? So blieb nur noch die Möglichkeit, zu versuchen mit einem besonders weiten Sprung hinüber zu gelangen. Auf der Uferseite war das auch nicht weiter schwierig, da er genug Anlauf nehmen konnte, aber der Felsbrocken in der Mitte des Sees war gerade groß genug um darauf zu stehen, Anlauf zu nehmen war da unmöglich. Trotz dieser Überlegungen sprang Inuyasha schließlich mit einem gewaltigen Satz über den See. Allerdings war seine Sicht durch die noch immer fließenden Tränen behindert und auch das grauweiße Einerlei um ihn herum trug nicht dazu bei, die Entfernung besser abschätzen zu können. Beinahe wäre es ihm gelungen, neben der Steinsäule zu landen, aber eben nur beinahe. Sein Fuß berührte kurz den porösen Fels, bevor er abrutschte und unfreiwillig in das Wasser des Sees tauchte. Reflexartig hatte InuYasha gleichzeitig seine Arme ausgestreckt und versucht mit seinen Klauen Halt in dem von Salzwasser zerfressenen Stein zu finden. Tatsächlich gelang es ihm letztendlich mit einiger Mühe aus dem See und den Felsbrocken hinauf zu klettern. Sich nicht näher mit der Merkwürdigkeit befassend, dass das Wasser des Sees die Eigenart besaß den Teil, der auf der Oberfläche schwamm, zu tragen, aber alles, was sich darunter befand, gierig in die Tiefe ziehen zu wollen. Selbst der kurze Augenblick, den InuYasha in dem Wasser verbracht hatte, hatte genügt dass er sich wie eine Ziehharmonika auseinandergezogen fühlte und nun schmerzhaft seine Rippen zu spüren bekam. Für einen Moment saß der Hanyō neben der Steinsäule auf dem Felsen und kämpfte erneut gegen dieses stetig nagende und bohrende Gefühl an, das ihn dazu bringen wollte, sich einfach zusammenzurollen, sich der Traurigkeit zu überlassen und zu weinen. Einfach nur weinen. Es wirkte so verlockend, sich diesem inneren Meer aus Trübsal zu überlassen und an nichts mehr zu denken, sich in sich selbst zu verkriechen und den Tränen ihren Lauf zu lassen. Aber er hatte an Andere zu denken. Es gab Jemanden, der darauf wartete, dass er zurückkehrte. Es gab Jemanden, der sich darauf verließ, dass er Erfolg haben würde und Sesshōmaru wiederfand. Es gab Jemanden, mit dem er noch mehr als eine Rechnung zu begleichen hatte. Entschlossen erhob sich InuYasha, trat auf die Stele und den darauf liegenden eiförmigen Kristall zu, rieb sich wieder einmal in dem vergeblichen Versuch besser sehen zu können über die tränentrüben Augen und prüfte, ob er eine Falle entdecken konnte. Jahre voller Hinterhalte hatten ihn in dieser Hinsicht etwas vorsichtiger werden lassen - zumindest wenn er auf sich allein gestellt war. Da er nichts entdecken konnte, ergriff er schließlich den Kristall und verbarg ihn in seinem Obergewand, um ihn nicht zu verlieren und möglichst wenig durch ihn behindert zu werden. InuYasha hatte sich gerade abgewandt, um erneut mit einem mächtigen Satz den See zu überqueren, als der Felsen völlig lautlos und ohne jegliche Vorwarnung, wie etwa einem verdächtigen Zittern, im See versank. Hastig stieß sie der Halbdämon von Stelle ab, auf der er stand, und blickte kurz über die Schulter zurück zu der winzigen Felsinsel, auf der er gerade noch gestanden hatte. Es war bereits nichts mehr zu sehen, der Felsbrocken schien nie existiert zu haben, nicht einmal ein Kräuseln der Wasseroberfläche bot einen Hinweis darauf, dass gerade etwas im See versunken war. InuYashas Schwung reichte diesmal noch weniger als auf dem Hinweg ihn vollständig über den See zu tragen und so versank er schließlich wenige ken vom Ufer entfernt im Wasser. Aber anders als beim ersten Eintauchen in den See hatte der Hanyō diesmal nicht das Gefühl schmerzhaft auseinandergerissen zu werden, noch wurde er überhaupt in die Tiefe gezogen. Er schwebte unbeeinträchtigt im Wasser und schien von den Kräften des Sees nicht wargenommen zu werden und so beeilte InuYasha sich mit kräftigen Bewegungen ans Ufer zu gelangen, bevor es sich dieser Teich vielleicht doch noch anders überlegte. Sobald er erfolgreich aus dem See geklettert war, tastete er nach dem Kristall in seinem Obergewand und stellte erleichtert fest, dass er ihn nicht im Wasser verloren hatte. Gleich darauf machte er sich eilig auf den Rückweg, um Jaken und Ah-Un einzuholen, ohne sich die Zeit zu nehmen sich auszuruhen oder noch einen letzten Blick auf den See zu werfen. Der Weg aus der Einöde hinaus kam InuYasha wesentlich weiter vor, als der Weg hinein. Das Ei des Phönix hatte ihn offenbar im See der Tränen geschützt, aber gegen die drückende Stille, Einsamkeit und Leere war offenbar auch der Kristall machtlos, vielleicht war er auch zum Teil mit dafür verantwortlich. Dem Hanyō war es gleichgültig, er wollte nur endlich aus dieser steinigen Wüste herauskommen. Müde setzte er stetig einen Fuß vor den anderen, sich ausschließlich darauf konzentrierend diesen Ort zu verlassen, nicht weiter darauf achtend, dass nach und nach die schmerzhafte Trauer nachließ, sich der eiserne Klammergriff allmählich löste und er aufhörte zu weinen. Seine vom Seewasser durchdrängte Kleidung trocknete, wurde ebenso wie seine Haare durch die Unmengen Salz in dem Wasser steif und hart, während InuYasha noch immer durch diese grauweiße Endlosigkeit lief, sich nicht einmal mehr fragend, wie lang es noch dauern mochte, bis er deren Rand erreichte. Irgendwann, er wusste nicht mehr wie lang er gelaufen war, noch ob er überhaupt in die richtige Richtung lief, kam allmählich etwas Grünes am Horizont in Sicht, wurde größer und entpuppte sich schließlich als wohltuende Erholung versprechender Waldrand. Mühsam schleppte sich der Hanyō weiter vorwärts, inzwischen mehr stolpernd als gehend. Zwar war die Traurigkeit beinahe vollständig von ihm gewichen, aber die Anstrengung gegen sie anzukämpfen, sich nicht von ihr überwältigen zu lassen, einfach auf den steinigen Grund zu sinken und auf das Ende zu warten, hatten ihren Tribut gefordert und stärker an den Kräften des Hanyō gezehrt, als dieser vermutet hatte. Er war nur noch wenige Schritte vom Rand der Einöde, vom schattigen Grün und einem weichen Ruhebett entfernt, als sein Körper ihm den Dienst versagte und er kraftlos in sich zusammensackte. Als InuYasha wider zu sich kam, war das Erste, was er zu hören bekam, Jaken, der feststellte: „Ihr seid wieder wach, InuYasha-sama.“ Wäre der Angesprochene dazu in der Lage gewesen, hätte er dem Kappa auf diese dämliche Bemerkung eine deftige Antwort gegeben, so jedoch schwieg er nur, viel zu ausgelaugt um noch großartig sprechen zu können. Seine Haut spannte vom vielen Weinen, fühlte sich brüchig und rißig an, seine Augen brannten unangenehm, seine Nase fühlte sich geschwollen an und er hatte schrecklichen Durst. Jaken schien zu bemerken in welcher Verfassung sich der Hanyō befand und reichte ihm entgegenkommend ein Gefäß mit Süßwasser. InuYasha hatte keine Ahnung wo und wie der Kappa diese Dinge aufgetrieben haben mochte, es interessierte ihn aber auch nicht, er war einfach nur froh trinken und ausruhen zu können. Als er sich schließlich ebenso wie Jaken und Ah-Un von den Folgen des Seebesuchs erholt und sich an einem Bach die salzigen Rückstände der Tränen und des Seewassers abgewaschen hatte, machten sich die Drei auf den Weg zu ihrer zweiten Aufgabe: Dem Wald von Amaterasu, um das Auge der Göttin zu holen. Kapitel 15: Hito da ------------------- Mehr als zwei Monate waren inzwischen vergangen, seit Inochiyume Haru bewusstlos in den Bergen gefunden hatte. Mehr als zwei Monate Zeit, in denen sich alltägliche Gewohnheiten eingestellt hatten, die in ihrer Gleichförmigkeit lediglich durch die Begleitung von Erztransporten, den Auftrag für den Schutz von Gästen des Fürsten zu sorgen und durch die wechselnden Patienten Inochiyumes unterbrochen wurden. Haru war nicht völlig unzufrieden mit diesem Leben, immerhin hatte er noch eines. Wenn ihn das Mädchen damals nicht gefunden hätte, wäre er in den Bergen erfroren. Aber Haru war auch weit davon entfernt mit diesem Leben glücklich zu sein. Es machte ihm zu schaffen, dass er sich trotz steter Bemühungen noch immer an rein gar nichts aus seinem früheren Leben erinnern konnte, er fühlte sich unausgelastet und von der abergläubischen Schlichtheit des Großteils der Bewohner in Schloss und Dorf gelangweilt und abgestoßen. Im Schloss selbst hätten ihm vielleicht Hinagiku und Kaoru angenehme Gesellschaft sein können, wäre die Prinzessin nicht zu vernarrt in ihn gewesen und der stellvertretende Kommandant zu misstrauisch. Inzwischen genügte bereits die bloße Nähe Hinagikus, um Haru Kopfschmerzen und nervöses Adernzucken zu bescheren. Wenn er noch lange gezwungen wäre ihre Annährungsversuche zu ertragen, würde es mit Sicherheit Tote geben - Gehorsamspflicht hin oder her, auch seine Selbstbeherrschung kannte Grenzen. Die enervierende Eifersucht Kaorus war dagegen fast schon entspannend, wenn sie nicht so vollkommen unbegründet gewesen wäre und dafür gesorgt hätte, dass Haru alle möglichen belanglosen und niederen Aufträge erhielt, nur um ihn sowohl von Hinagiku-hime als auch von Inochiyume fernzuhalten. Aufgrund dieser Einschränkungen hatte Haru inzwischen ein fein ausgeklügeltes System entwickelt, sowohl Kaoru als auch Hinagiku so oft wie möglich aus dem Weg zu gehen, ohne seine Dienstpflicht zu verletzen. Ironischerweise verbrachte Kaoru, Dank des Befehls des Fürsten, Haru solle sich von der Prinzessin fernhalten und dem stellvertretenden Kommandanten die Verantwortung dafür übertragen hatte, dass diesem Befehl auch Folge geleistet wurde, weit mehr Zeit in der Gesellschaft Hinagikus als je zuvor. Haru währenddessen trat, sobald es ihm irgend möglich war, den strategischen Rückzug ins Dorf an und verbrachte so den Großteil seiner freien Zeit in Gesellschaft von Ayako und deren Enkelin. Weitere Bekanntschaften vermied der Haru möglichst, sofern sie nicht unumgänglich waren. Er seinerseits wurde wiederum von den ansässigen Bewohnern gemieden, weil er ihnen unheimlich war. Allerdings war auch die kleine Hütte, in der er häufig zu Gast war, nicht frei von Wermutstropfen, denn die anfängliche Scheu und Zurückhaltung – die sich zumindest bei Inochiyume bemerkbar gemacht hatten –, waren inzwischen beinahe vollkommen verschwunden und mit ihen auch der von Furcht gespeiste Teil an Respekt, dessen fehlen Haru gelegentlich schmerzlich spürte. Die beiden Frauen waren wohl die Einzigen, die es wagten sich hin und wieder einen Scherz mit dem schweigsamen, stoischen Krieger zu erlauben und damit auch unbeschadet durchkamen. Besonders Ayako pflegte sich gründlich und ausgiebig über Haru zu belustigen, und auch wenn Inochiyume ihre Großmutter in der Regel ermahnte etwas höflicher mit ihrem Gast umzugehen, hatte die Dreistigkeit Ayakos doch insoweit abgefärbt, dass das Mädchen den Krieger hin und wieder zu necken wagte. Der Grund dafür, dass sich die beiden Frauen diese Freiheit herausnehmen durften, lag einzig in der Tatsache begründet, dass sie Haru das Leben gerettet hatten – und vielleicht darin, dass sich jede auf ihre Art seine Achtung erworben hatte, auch wenn er das nie zugeben würde. Es war jedoch nicht alles schlecht, was das Leben für Haru in dem Dorf bereit hielt. So waren das Schwerttraining und die Zeit, die er unbehelligt in den Schlossgärten verbringen konnte angenehme Lichtblicke, ebenso wie es eine willkommene Abwechslung geworden war, wenn Ayako aus der Zeit erzählte, als sie noch mit ihrem Mann durch das Land gereist war, um die Menschen mit ihren Darbietungen zu unterhalten. Und es gab noch etwas, das Haru zusagte: Ein Lächeln. Es war dem Krieger zur Gewohnheit geworden, nach der Rückkehr von einem Auftrag bei den beiden Frauen vorbeizusehen, um zu erfahren, wie es ihnen ging. Jedes Mal, wenn er dann Inochiyume angesichts seiner unversehrten Rückkehr glücklich lächeln sah, hatte er für Sekunden das Gefühl, als wäre er tatsächlich nach Hause gekommen und nicht nur in eine vorübergehende Bleibe zurückgekehrt, die ihm lediglich als Aufenthaltsort diente, bis er in sein richtiges Leben zurückgefunden hätte. Als Haru an diesem Tag die Hütte der beiden Frauen erreichte, traf er nur eine in trübsinniges Schweigen vertiefte Ayako an, die bei seinem Anblick tief seufzte und statt eine Begrüßung erklärte: „Yume-chan ist auf der Wiese.“ Womit die einzige größere Grünfläche in der näheren Umgebung des Dorfes gemeint war, die sich zwischen Wald und Felsklamm erstreckte. Haru zeigte keine Reaktion angesichts dieser Information Ayakos, sondern wartete schweigend darauf, dass die alte Frau ihm sagte, warum er sich offenbar die Mühe machen sollte, nach dem Mädchen zu sehen. Ayako murrte ungehalten angesichts Harus stoischer Gleichgültigkeit und ließ sich zu der ergänzenden Bemerkung herab: „Yūjō ist tot. Sie wollte ihm auf der Wiese eine Feuerbestattung bereiten. Dort draußen ist sie weit genug vom Dorf entfernt, sodass sich niemand über den Gestank beklagen kann. Eigentlich wollte ich sie begleiten, aber meine Knochen sind zu alt, sie gehorchen mir nicht mehr richtig. Also beweg dich endlich, damit mein Mädchen nicht völlig allein da draußen ist!“ Haru kam nicht umhin die Ironie der Situation zu bemerken, dass gerade die Frau, die ihn vor nicht einiger Zeit noch davor gewarnt hatte, sich mit ihrer Enkeltochter einzulassen, ihn nun dazu aufforderte, sich gefälligst aufmerksam um eben diese Enkeltochter zu kümmern. – Frauen, ein ewiges Rätsel! Vermutlich von den Göttern erfunden, um die Menschheit zu ärgern und sich zu unterhalten. Nichts desto trotz befand Haru sich bereits kurz darauf auf dem Weg zu der Hochwiese. Unwillkürlich erinnerte er sich auf seinem Weg an einen Tag wenige Wochen zuvor, als er diesen Weg mit genau dem gleichen Ziel schon einmal gegangen war. Damals nicht auf der Suche nach Inochiyume, sondern weil er den Auftrag erhalten hatte, zu überprüfen ob am Rand der Wiese tatsächlich Abdrücke des Wesens zu sehen waren, das Kizuki und seinen Luchs angegriffen hatte. Dieser Schatten, wie ihn die Dorfbewohner in genialer Einfalt getauft hatten, terrorisierte noch immer ungehindert den Wald, klug genug die Soldaten des Fürsten zu meiden und sich nur wehrlose Beute als Ziel zu nehmen. Die Dörfler ließen sich jedoch trotz dieser Bedrohung nicht davon abhalten, sich das aus dem Wald zu holen, was sie brauchten. Sie nahmen die Bestie und den immer wiederkehrenden Tod mit beinahe tierischem Gleichmut hin. Als wäre es schon immer so gewesen, dass es nur Jäger und Gejagte geben konnte und wenn man eben zur Beute gehörte, sich darein zu schicken hatte und bestenfalls darum betete einen schnellen Tod zu sterben. Diese resignierte Hinnahme, ohne wenigstens den Versuch zu unternehmen sich zu wehren, hatte Haru schon bei der Sache mit den Schwärzlingen irritiert und tat es nun wieder. Als er jedoch einmal eine beiläufige Bemerkung darüber hatte fallen lassen, dass sich die Dörfler wie Schafe verhielten, die sich mit ihrem unabänderlichen Schicksal abgefunden hatten, hatte Ayako ihn nur ruhig angesehen, an ihrer Pfeife gesogen und dann gefragt: „Was sollten wir deiner Meinung nach tun? Nicht einmal den ausgebildeten Kriegern gelingt es dieses Wesen zur Strecke zu bringen und wir sind nun einmal auf den Wald angewiesen. Also bleibt uns nicht anders übrig, als den Tod in Kauf zu nehmen.“ Einen Moment hatte die Alte darauf geschwiegen, bevor sie mit einem Seufzen gemurmelt hatte: „Der Tod ist ohnehin der Preis für das Leben, ist es nicht so?“ Damit mochte Ayako zwar Recht haben, aber Haru fand dennoch, dass man dieses Leben so teuer wie möglich verkaufen und nicht einfach ergeben darauf warten sollte zu sterben. Aber wie bereits bei den düsteren Bewohnern des Berges, entschied Haru auch hier, dass er sich nicht in die Belange der Dorfleute und des Fürsten einmischen würde. Zwischen ihm und ihnen gab es keinerlei Beziehung, die ihn dazu verpflichtet hätte einzugreifen, also tat er lediglich das, was ihm aufgetragen wurde und sah ansonsten schweigend zu, wenn wieder die kläglichen Überreste eines Schattenopfers unter klagen und weinen begraben wurden. Abdrücke der Waldbestie hatte Haru damals, bei seinem letzten Besuch auf der Wiese, nicht gefunden. Dafür aber Inochiyume samt Yūjō und einer winzige Gruppe kleiner Mädchen, die ihr mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen lauschten, wie sie eine Geschichte erzählte, während ihre Hände geschickt Blumenkränze flochten, die sie den Mädchen anschließend auf den Kopf setzte. Als Haru zu dieser unbekümmerten Gruppe getreten war und ihnen brüsk befohlen hatte, ins Dorf zurückzukehren, war er umgehend der vollen Aufmerksamkeit der kleinen Mädchen ausgesetzt gewesen, die ihn mit großen, überraschten Augen anstarrten. Die Mutigste von ihnen hatte schließlich an Inochiyume gewandt halblaut die Frage gestellt: „Ist er der König, von dem du uns erzählt hast?“ Was innerhalb der Mädchengruppe sofort die Diskussion auslöste, ob Haru tatsächlich der Märchenkönig wäre, von dem die Ältere erzählt hatte oder ob er es nicht war, weil er ja schließlich weder eine Krone, noch Dienerschaft oder sonstige Herrscherattribute bei sich hatte, an denen man einen König unzweifelhaft identifizieren konnte. Haru hatte unterdessen die kleine Gruppe schnatternder Gänschen ignoriert und stattdessen Inochiyume ungehalten angesehen, die mit verlegen geröteten Wangen und auf dem Rücken verschränkten Händen fortgesehen hatte, unfähig seinem eisigen Blick standzuhalten. Bevor sie jedoch zu einer Erklärung ansetzen oder die Kinder dazu bringen konnte, ins Dorf zurückzukehren, hatte das Mädchen, das die Diskussion über Harus Königtum ausgelöst hatte, an Inochiyumes Kleidung gezupft und ihr bedeutet sie solle sich zu ihr herunterbeugen, sobald sie die Aufmerksamkeit der Älteren erlangt hatte. Schweigend hatte sich Inochiyume angehört, was ihr das Mädchen anschließend ins Ohr flüsterte und schließlich begonnen zu lächeln, genickt und das Mädchen hochgehoben. Mit einem schnellen Schritt, war sie nah an Haru herangetreten, der das Geschehen nur überrascht verfolgen und über sich ergehen lassen konnte. Denn schon im nächsten Augenblick hatten sich Inochiyume und das Mädchen in ihrem Arm gestreckt, sodass das kleine Mädchen ihren Blumenkranz dem überrumpelten Krieger auf den Kopf setzen konnte, ihm gleichzeitig erklärend, nun könne niemand mehr bezweifeln, dass er ein König sei, wenn er eine Krone auf dem Kopf trug. Die Blumenkrone saß ziemlich schief auf dem Haupt des unwilligen Königs, während Inochiyume das kleine Mädchen wieder absetzte und die Anderen ergriffen schwiegen. Haru hingegen hätte in diesem Moment Inochiyume gern gewürgt, um sie zu Verstand zu bringen. Was fiel ihr ein, ihn derart lächerlich zu machen?! Auf die sie umringenden Kinder konnte er schlecht wütend sein, sie wussten es nicht besser. Was sollte man schließlich von Kindern erwarten, deren Eltern nicht mehr von der Welt wussten, als das, was in den engen Grenzen ihres Dorfes und dessen näherer Umgebung vorging. Dass Inochiyume dieses Dorf ebenfalls nie verlassen hatte, hatte Haru geflissentlich übersehen, schließlich war sie den Kindern im Alter voraus und sollte doch auch mehr Erfahrung darin besitzen zu wissen, was sich gehörte und was nicht. Das Demütigendste für Haru allerdings war wohl, dass sein Zorn auf Inochiyume lautlos in sich zusammenfiel als sie ihn mit einem Blick ansah, in dem vollkommenes Vertrauen lag und sie ihm ein anerkennendes Lächeln schenkte. Er hatte keine Ahnung womit er sich dieses Vertrauen verdient haben mochte und zog es nicht einmal vage in Betracht, dass sie es ihm auf Vorschuss gewährte, bis er sich dessen unwürdig erwies. Ebenso wenig wusste er, wofür sie ihm Anerkennung zollte. Fakt blieb jedoch, dass es ihm aufgrund dieser beiden Dinge völlig unmöglich war, weiterhin auf Inochiyume wütend zu sein. Wodurch er sich noch um einiges lächerlicher vorkam, als er das ohnehin schon tat. Er hätte sich nur zu gern den albernen Blumenkranz vom Kopf gerissen, um anschließend beleidigt davon zu stapfen. Das Einzige, was ihn davon abhielt, war sein Stolz und das Wissen, dass er damit seiner Entwürdigung die Krone aufgesetzt hätte - das unbeabsichtigte Wortspiel, ließ ihn innerlich zusammenzucken. Aber so albern er sich auch vorkam, er konnte einfach nicht mehr wütend sein. Von diesem äußerst unangenehmen Zustand reichlich irritiert, hatte er letztendlich nur äußerst beherrscht den Blumenkranz abgenommen, diesen dem Mädchen wieder auf den Kopf gesetzt und anschließend ebenso gefasst befohlen: „Bring die Kinder zurück ins Dorf“, bevor er sich abgewandt hatte und würdevoll davon geschritten war, die ihm fasziniert nachsehenden Blicke in seinem Rücken bewusst ignorierend. Dieses Mal flocht Inochiyume keine Blumenkränze. Erzählte sie keine Märchen von Blumenkönigen oder hatte sie eine Kinderschar um sich versammelt. Dieses Mal stand sie allein und kerzengerade vor einem kleinen Scheiterhaufen, auf dem gerade die letzten Reste eines Hundeleichnams verbrannten. Sie sah Haru nicht an, als dieser schweigend neben sie trat; noch warf sie einen Blick zur Seite, um überhaupt herauszufinden wer sich da neben sie gestellt hatte. Stumm starrte sie geradeaus auf die emporzüngelnden Flammen und schien sich keinen Moment an dem stechenden Geruch von verbrennendem Fleisch, Fett und Haar zu stören. Verwundert stellte Haru fest, dass Inochiyume weinte. Er wusste, dass sie sehr viel Zeit mit diesem dreibeinigen Hund verbracht hatte, aber er war alt gewesen, sein Tod nur eine Frage der Zeit; jetzt über etwas vollkommen Natürliches zu trauern, erschien Haru mehr als sinnlos. Da es jedoch nicht so aussah, als würde das Mädchen die ganze Sache genauso rational betrachten wie er, brach er schließlich das herrschende Schweigen und befahl kühl: „Hör auf zu weinen.“ Inochiyume richtete sich noch ein wenig höher auf, während sie sich bemühte dem Krieger mit der gleichen Ruhe zu antworten, mit der er sie angesprochen hatte, auch wenn die vom Weinen verstopfte Nase das Ganze weniger eindrucksvoll wirken ließ, als es eigentlich sollte. „Ich weine nicht. Der Rauch reizt nur meine Augen.“ Skeptisch sah Haru auf den Rauch, der eindeutig in von ihnen abgewandter Richtung langsam gen Himmel stieg, erwiderte jedoch nichts auf die offensichtliche Lüge Inochiyumes, sondern sah ihr gleichmütig dabei zu, wie sie, nachdem das Feuer erloschen war, ein kleines Gefäß aus gebranntem Ton mit der Asche Yūjōs füllte und das Gefäß anschließend mit einem Deckel verschloss. Noch immer schweigend begleitete Haru das Mädchen danach zur Felsklamm, in der Inochiyume schließlich das Tongefäß in eine Felsnische stellte, noch für einen kurzen Moment still davor stehen blieb, sich schließlich entschlossen abwandte und davon ging. Als sie sich bereits wieder auf dem Rückweg ins Dorf befanden, erkundigte sich Inochiyume plötzlich bei ihrem nach wie vor schweigenden Begleiter: „Warum hast du mich eigentlich gesucht, Dono?“ „Habe ich nicht“, war dessen knappe Antwort darauf, von der sich das Mädchen jedoch nicht abschrecken ließ. Stattdessen runzelte sie verwundert die Stirn und hakte neugierig nach: „Wenn du mich nicht gesucht hast, dono, was wolltest du dann draußen auf der Wiese? Es gab doch in den letzten Tagen gar keine Angriffe von dem Schatten.“ Bei der Verwendung des albernen Titels, den die Dörfler dem tödlichen Waldbewohner gegeben hatten, erhielt das Mädchen einen strafenden Blick ihres Begleiters, blieb davon jedoch ebenfalls unbeeindruckt und sah ihn stattdessen nur erwartungsvoll an. „Das geht dich nichts an“, wies Haru sie kühl ab, er hatte nicht vor ihr zu erzählen, dass er tatsächlich einmal getan hatte, was ihm Ayako befohlen hatte. Es genügte völlig wenn er und die alte Hexe davon wussten. Nachdem sie daraufhin erneut eine Weile geschwiegen hatten, unterbrach schließlich Haru die Stille mit der Frage: „Warum hast du geweint?“ Es war etwas, das ihn tatsächlich beschäftigte, weil es ihm einfach unmöglich war, einen vernünftigen Grund dafür zu finden. Inochiyume bestand nicht auf ihrer Lüge, dass sie nicht geweint hätte, sondern erwiderte leise: „Er war mein Freund - und er fehlt mir.“ Eine Antwort, die nicht dazu angetan war Haru die Sache verständlicher zu machen. „Dann weinst du um jedes Wesen, das aus deinem Leben verschwindet?“ Inochiyume schüttelte den Kopf, „nicht um jedes. Aber um die, die ich gern habe.“ Nachdenklich runzelte Haru die Stirn und stellte fest: „Dann wirst du auch weinen, wenn Ayako stirbt.“ Inochiyume zuckte bei dieser Feststellung zusammen, nickte dann jedoch in schweigender Zustimmung. „Und du würdest auch weinen, wenn Kaoru stirbt.“ Verwundert über dieses fortgesetzte Nachhaken, sah Inochiyume zu Haru auf, der ihren Blick aus durchdringenden, kühlen Augen erwiderte, als versuchte er auf diese Weise herauszufinden, warum sie so empfand und reagierte wie sie es tat. „Ich weiß nicht, aber ich denke schon“, erwiderte Inochiyume schließlich etwas verspätet auf Harus letzte Bemerkung, worauf dieser seinen Blick abwandte, erneut einen Moment schwieg und sich dann vollkommen gleichmütig erkundigte: „Wirst du auch weinen, wenn ich gehe?“ Er sagte nicht „falls“, nicht „würde“, es stand für ihn offenbar unumstößlich fest, dass er gehen würde. Die Frage war lediglich, wann er ging. Inochiyume hatte bei Harus Frage ebenfalls den Blick abgewandt, während sie statt eine Antwort zu geben, leise die Gegenfrage stellte: „Würdet Ihr denn wollen, dass ich weine?“ Instinktiv war sie wieder in die formellere Anredeform verfallen, in dem Versuch die Dreistigkeit ihrer Frage ein wenig zu dämpfen. Haru schien sich jedoch nicht weiter an deren Ungebührlichkeit zu stören, sondern erwiderte lediglich mit ruhiger Entschiedenheit: „Ich lege keinen Wert auf Tränen.“ Ein kleines, undeutbares Lächeln huschte kurz über Inochiyumes Gesichtszüge, bevor sie leise und ebenso ruhig erwiderte: „Dann werde ich nicht weinen, Dono.“ Kapitel 16: Getreuer Diener seines Herrn ---------------------------------------- Salut, der Ein- oder Andere hat das folgende Kapitel vielleicht schon mit Neugier erwartet, um zu erfahren, was auf InuYasha und Jaken im Wald von Amaterasu zu kommt. Ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt und das Kapitel kann die Erwartungen erfüllen. Wünsch euch wie stets viel Vergnügen beim Lesen und bedanke mich ganz herzlich bei meinen treuen Kommentatoren. ^^ Nach einer verhältnismäßig kurzen Reise waren InuYasha und seine beiden Begleiter schließlich ohne größere Schwierigkeiten in die Nähe des Waldes von Amaterasu gelangt und hatten entschieden, eine letzte Rast einzulegen, bevor sie sich den noch unbekannten Herausforderungen des Waldes stellen würden. Im Stillen hoffte InuYasha, dass diese Herausforderungen von handfesterer Natur waren, als am See der Tränen. Er zog einen Gegner, den er sehen und mit Hilfe von Tessaiga außer Gefecht setzen konnte, entschieden diesen hinterhältigen Spielchen nach Machart des Sees vor. Jakens Hoffnungen waren schlichterer Art: Er hoffte einfach, dass sie möglichst unbehelligt den Wald betreten und diesen mit dem Auge der Göttin auch wieder verlassen konnten. Allerdings kamen sie zunächst einmal gar nicht dazu den Wald zu betreten. Denn wie aus dem Nichts gewachsen stand plötzlich Sesshōmaru vor ihnen – und es sah nicht so aus, als wollte er ihnen einen Höflichkeitsbesuch abstatten. „Es ist sehr entgegenkommend von dir, mir die Suche nach Tessaiga zu erleichtern, indem du auf meine Länder zurückkehrst.“ Begrüßte der Herr der westlichen Gebiete InuYasha gleichmütig, während dieser sich eilig in Kampfhaltung vor ihm aufgebaut hatte und anschließend auf dessen Worte abfällig erwiderte: „Keh, egal ob Puppe oder nicht, du bleibst immer gleich langweilig. Du kriegst Tessaiga nicht, solange ich lebe – und wen du dich dafür auf den Kopf stellst.“ „Dann wirst du jetzt sterben“, lautete die lapidare Reaktion des Hundedämons darauf, die InuYasha verächtlich auflachen ließ und ihm die großspurige Bemerkung entlockte: „Keh, versuch’s doch!“ Um im nächsten Moment die neugierige Frage anzuhängen: „Was willst du überhaupt mit Tessaiga, du kannst es doch sowieso nicht führen.“ „Was mein Herr mit seinem Eigentum anfängt, braucht dich nicht zu interessieren. Aber du kannst versichert sein, dass er es gebührend zu schätzen weiß – weit mehr als du es je tun wirst“, gab Sesshōmaru ohne ersichtliche Gemütsregung zur Antwort, während er gleichzeitig eine winzige Handbewegung vollführte und im nächsten Moment InuYasha und seinen Begleitern nicht mehr allein gegenüber stand, sondern über eine wahre Armee an bewaffneten, sich selbstständig bewegenden Tonfiguren verfügte, denen jedoch jede Individualität fehlte. Da InuYasha auf die Worte Sesshōmarus nur mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck und einem abfälligen Geräusch reagierte, schien der Dämon sich bemüßigt zu fühlen, näher auf die Absichten seines Herren einzugehen – falls er denn zu so einer Regung fähig war und dies nicht auf Anweisung seines Herrn geschah, um seine Gegner zu verunsichern und zu entmutigen. „Er wird die drei Brüder wiedervereinen. Gerade ist er dabei den mächtigsten der drei aus der Hölle zu befreien.“ Bei den Worten des Dämons war Jakens Blick unwillkürlich zu dessen Hüfte geglitten, an der sich für gewöhnlich Tōkejin und Tenseiga befanden, aber von Tenseiga konnte er keine Spur entdecken, lediglich Tōkejin befand sich an seinem angestammten Platz. „Keh, als ob es so einfach wäre Sōunga zurückzuholen“, hatte InuYasha unterdessen übelgelaunt gebrummelt, bevor er lauter, an seinen Kontrahenten gewandt, erklärte: „Aber ich helf’ dir gern dabei, zur Hölle zu fahren!“ Jaken war in diesem Moment derjenige, der dachte: ‚Aber nicht jetzt, sonst wird der echte Sesshōmaru-sama nie wieder zurückkommen’, eine Vorstellung, die dem Kappa echte Alpträume bereitete, hatte er doch keine Ahnung, was dann aus ihm werden sollte. InuYashas Gesprächspartner hingegen hatte in keiner Weise auf dessen Provokation reagiert, sondern lediglich seinen versammelten Tonkriegern das Zeichen gegeben die kleine Truppe vor ihnen anzugreifen. Diese reagierten augenblicklich und kamen mit gezogenen Waffen in einem immer enger werdenden Kreis auf InuYasha, Jaken und Ah-Un zu. Die drei Eingekreisten warteten jedoch nicht ruhig darauf von dieser heranrückenden Armee niedergemäht zu werden, sondern gingen stattdessen ihrerseits zum Angriff über. So zerbarst gleich darauf ein Teil der Tonkrieger unter den Lichtblitzen Ah-Uns, sobald Jaken diesem in aller Eile die Maulkörbe abgenommen hatte, ein weiterer Teil zersprang unter der feurigen Hitze von Jakens Jintōjō und wieder ein beachtlicher Teil wurde von der immer wieder losgeschickten Windnarbe zerstört. Es schien, als würde sich die kleine Gruppe InuYashas mühelos gegen die Tonkrieger durchsetzen und als Sieger aus diesem Kräftemessen hervorgehen, auch wenn die Zahl der stetig dezimierten Tonkrieger immer wieder durch neu auftauchende Puppen ausgeglichen wurde. Plötzlich jedoch griff Sesshōmaru in das Geschehen ein, der die Vorgänge bisher nur unbeteiligt verfolgt hatte. Schnell und lautlos näherte sich der Herr der westlichen Länder mit gezogenem Schwert dem ungeschützten Rücken des verbissen kämpfenden Hanyōs, der durch die noch immer herandrängenden Tonkrieger, die offenbar nicht weniger werden wollten, egal wie viele die drei Angegriffenen bereits zerstört hatten, abgelenkt war. Sobald Sesshōmaru nah genug heran gekommen war, stieß er Tōkejin bis zum Heft InuYasha in den Rücken, der bei diesem hinterhältigen Angriff und dem folgenden heftigen Schmerz aufkeuchte, bevor er einen beleidigenden Fluch an den Attentäter in seinem Rücken knurrte und wild entschlossen den Griff Tessaigas umklammernd weiter gegen die Tonkrieger vorging. Gleichzeitig versuchte er nun jedoch mit seiner linken Klaue den Gegner in seinem Rücken loszuwerden. Doch es gelang ihm nicht, stattdessen zog sein ehrloser Angreifer Tōkejin aus dem Körper des Hanyō, um es ihm im nächsten Moment in die Flanke zu rammen. Wieder keuchte InuYasha auf vor Schmerz, während er Blut spuckte und Mühe hatte eine klare Sicht zu behalten. Er durfte hier nicht sterben, er musste durchhalten. Unterdessen hatte Sesshōmaru Tōkejin erneut aus InuYashas Körper gezogen und zielte nun auf dessen Schulter, um an Tessaiga zu gelangen, indem er es samt Arm vom Körper des Hanyō trennte. Aus den Augenwinkeln hatte InuYasha eine Bewegung wahrgenommen und im letzten Moment Tessaiga der herabsausenden Klinge entgegengehalten auf diese Weise jedoch den heranrückenden Tonkriegern schutzlos ausgeliefert. Allerdings nur für einen kurzen Augenblick, denn schon im nächsten Moment hielt InuYasha sich die Tonkrieger mit Hilfe von Hijinkessō vom Leib, während er gleichzeitig weiterhin dem Dämon in seinem Rücken Widerstand leistete. So ging das nicht weiter, auf diese Weise würde es ihnen nie gelingen lebend und mit Tessaiga aus diesem Aufeinandertreffen hervorzugehen. Er musste es anders versuchen. Der Plan den InuYasha in diesem Moment entwickelte war einfach: Er würde seinem Gegner Tessaiga überlassen, anschließend die Tonkrieger ausschalten und wenn er dann Sesshōmaru angriff hoffentlich wieder zu Verstand kommen. Dass sein Plan einige gravierende Schwachstellen aufwies, ignorierte der Halbdämon in diesem Moment, denn viel Zeit blieb ihm nicht mehr, wenn sie doch noch gegen ihre Angreifer gewinnen wollten. Also schrie er Jaken zu: „Bring dich in Sicherheit!“, und warf anschließend, ohne darauf zu warten, ob der Kappa seinem Befehl auch Folge leisten würde, Tessaiga mit aller Kraft von sich. Im Flug veränderte sich das Schwert wie stets von einer beeindruckenden Waffe zu einem alten, abgenutzt wirkenden Katana und blieb schließlich leicht vibrierend etwas entfernt vom Kampfgeschehen im Boden stecken. Jaken hatte bei InuYashas Befehl kurz verblüfft auf diesen gesehen, bevor er sich schleunigst auf Ah-Un gesetzt und schnell an Höhe gewonnen hatte, um das folgende Geschehen von oben zu betrachten. InuYasha hatte sich unterdessen auf unheimliche Art verändert: Die sonst golden schimmernden Augen hatten sich zu milchig blassblauen Pupillen zusammengezogen, das Weiß der Augen sich blutrot verfärbt. Breite, violette Streifen zierten sein Gesicht, scharfe Reißzähne ragten aus seinen Mundwinkeln, während er ein irres Kichern hören ließ und sich mit blutlüsterner Begeisterung zunächst auf die verbliebenen Tonkrieger stürzte, unter ihnen einen wahrhaft vernichtenden Eindruck hinterlassend. Allerdings war die Zerstörung tönerner Puppen, die nicht bluteten, nicht schrien, keine Angst kannten, kein Vergnügen für die entfachte todeswütige Gier des Halbdämon und so wandte er sich nur allzu bald dem Wesen zu, dass als einziges der Krieger den Eindruck erweckte aus Fleisch und Blut zu bestehen. Sesshōmaru hatte nicht darauf gewartet zu erfahren, was der Halbdämon im Schilde führte, sondern sich augenblicklich Tessaiga zugewandt, als InuYasha es fortgeworfen hatte. Während hinter ihm die Tonkrieger in Scharen zu Staub zerfielen, zog er Tessaiga aus dem Boden und wollte sich ohne einen weiteren Blick zurück auf und davon machen, als er unerwartet von Jaken aufgehalten wurde. Der Kappa hatte auf dem Rücken von Ah-Un sitzend das Geschehen von oben verfolgt und musste beim Anblick des durchgedrehten Hanyō nervös schlucken, bevor er seine Aufmerksamkeit Tessaiga und Sesshōmaru zuwandte und sehr schnell erkannte, dass die Beiden jeden Moment verschwinden würden. Das konnte Jaken nicht zulassen, nicht solange der echte Sesshōmaru-sama wieder da war, wo er hin gehörte: Drei Schritte vor Jaken, während sie das Land durchwanderten, um ihr Großreich aufzubauen. Also stürzte Jaken zusammen mit Ah-Un in die Tiefe, um Tessaiga aus den Händen dieser nichtswürdigen Kopie seines Herrn zurückzuholen. Leicht erstaunt, sofern das einer gefühllosen Marionette möglich ist, sah Sesshōmaru auf, als er das äußerst seltene, drohende Brüllen Ah-Uns vernahm und er im nächsten Moment den zweiköpfigen Drachen direkt auf sich zukommen sah. Der Dämon wich nicht einen bu zur Seite, sondern verharrte ruhig wo er war, sicher, dass ihm nichts geschehen würde. Tatsächlich verhinderte Ah-Un nur sehr knapp einen Zusammenstoß mit dem Herrn der westlichen Länder, indem er geringfügig seine Flugrichtung änderte, sodass im nächsten Augenblick Jaken Tessaiga aus den Händen des Dämons reißen konnte und auch schon wieder nach oben getragen wurde, während er noch die Folgen des schützenden Bannkreises Tessaigas zu spüren bekam. Verbissen bemühte sich der kleine Kappa das Katana in der Hand zu behalten und gleichzeitig nicht von Ah-Un zu stürzen, denn beides hätte bedeutet, dass das Schwert wieder in die Hände ihres Gegners fallen würde. Aber lange würde er das nicht durchhalten, die Abwehrreaktion Tessaigas war einfach zu heftig. Offenbar hatte es keine Ahnung davon, dass Jaken es gerade gerettet hatte. Durchhalten - er musste durchhalten. Und festhalten - er musste unbedingt das Schwert festhalten. Sobald Ah-Un genug Höhe gewonnen hatte, um außer Reichweite Sesshōmarus zu sein, vollzog er eine knappe, elegante Wende und flog nun direkt auf InuYasha zu, der gerade mit mordlüsternem Blick den letzten der Tonkrieger zerstört hatte und sich nun wütend dem letzten lebenden Wesen in seiner Nähe zugewandt hatte. Sesshōmaru schien im ersten Moment zu erstaunt über die Dreistigkeit des Kappa gewesen zu sein, als dass er irgendeine Regung hätte zeigen können, versuchte dieses Zögern jedoch nun mit zielstrebiger Entschlossenheit auszugleichen und sich Tessaiga zurückzuholen, als er auch schon von InuYasha angegriffen wurde und nun vollauf damit beschäftigt war, sich des mordlüsternen Hanyō zu erwehren. Der Halbdämon ließ erneut ein begeistertes Kichern hören, als er endlich einen Gegner gefunden zu haben glaubte, den zu töten ein Vergnügen zu werden versprach, während er spielerisch einer der Energieklingen Tōkejins auswich und gleich darauf versuchte seinerseits die Distanz zu Sesshōmaru mit einem einzigen großen Satz zu schließen und diesen direkt anzugreifen. InuYasha hatte sich gerade vom Boden abgestoßen, als plötzlich Ah-Un in seiner Sprungbahn auftauchte und mit beängstigender Geschwindigkeit näher kam. – Beängstigend für den Kappa auf Ah-Uns Rücken, der trotz der Beeinträchtigungen die er durch Tessaiga hinnehmen musste, für seinen Geschmack noch viel zu gut die Blutgier und Mordlust des Hanyō wahrnehmen konnte. Jaken schluckte verängstigt. Dennoch, er hatte keine andere Wahl, es musste ihm einfach gelingen Tessaiga dessem rechtmäßigen Herrn zurückzugeben, um diesen wieder zu Verstand zu bringen. ‚Für Sesshōmaru-sama!’ Mit diesem letzten Gedanken warf sich der kleine Kappa samt Tessaiga dem durchgedrehten Halbdämon entgegen. Dabei fest die Augen schließend und betend, dass er diese Aktion wider alle Vernunft überleben möge. Als Jaken schließlich vorsichtig blinzelnd wieder die Augen öffnete, fand er sich eingeklemmt in der Armbeuge InuYashas wieder, der ohnmächtig quer über dem Rücken Ah-Uns lag, während der Drache so dicht wie möglich über den Wipfeln des Waldes von Amaterasu ruhig durch die Luft flog. Als der Drachen anzunehmen schien, dass sie sich weit genug von Sesshōmaru entfernt hatten, ließ er sich langsam absinken und landete schließlich zwischen den Bäumen des Waldes. Mit einiger Anstrengung gelang es dem Kappa sich aus dem Klammergriff des bewusstlosen Hanyō zu befreien, von Ah-Un zu klettern und anschließend auch InuYasha unsanft von dem Drachen herunter auf den weichen Waldboden zu ziehen. Während der Drachen daraufhin zwischen den Bäumen verschwand, um einer nur ihm bekannten Notwenigkeit nachzugehen, betrachtete Jaken mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Besorgnis den schwerverletzten Halbdämon vor sich, der trotz Bewusstlosigkeit mit einer Hand fest die Klinge Tessaigas gepackt hielt. Was sollte er jetzt mit dem Hanyō anstellen? Der schien dringender Pflege zu bedürfen, aber da die Gruppe um Sesshōmaru für gewöhnlich kein Verbandszeug brauchte, hatte Jaken auch jetzt nichts dabei. Aber vielleicht fand er ja im Wald etwas, das ihm nützlich sein würde, Kräuter gab es hier mit Sicherheit und irgendwelche Blätter würden doch hoffentlich als Verband auch genügen. Nachdem er im Wald fündig geworden war und InuYasha notdürftig verarztet hatte, blieb Jaken vorerst nichts anders übrig, als abzuwarten, ob der Hanyō sich von seinen Verletzungen erholen würde und darauf zu hoffen, dass sie ihren Weg bald fortsetzen konnten. Unterdessen befriedigte Jaken zunächst einmal seinen knurrenden Magen und legte sich dann ebenfalls hin, um sich auszuruhen und neue Kraft zu schöpfen, nachdem er sich versichert hatte, dass sie weder von der unwürdigen Nachahmung Sesshōmarus noch von dessen Tonkriegern belästigt werden würden. Das erste, was InuYasha zu sehen bekam, als er aufwachte, war das von Haaren in kräftigem Violett umrahmte Gesicht einer Frau, in dem eindeutig die Farbe grün dominierte. Diese über ihn gebeugte Frau erkundigte sich unterdessen bei ihm: „Geht es dir jetzt wieder besser?“ Für einen Moment völlig verwirrt und orientierungslos erwiderte InuYasha darauf nur: „Was ist denn passiert?“ „Du hast zusammen mit deinen Begleitern gegen einen weißhaarigen Dämon gekämpft, ohne ihn besiegen zu können, deshalb habt ihr euch hierher geflüchtet.“ Lautete die nüchtern vorgebrachte Erwiderung der Frau. „Und wo ist ‚hier’?“, verlangte InuYasha als nächstes zu wissen, während er sich langsam aufsetzte und die Fremde zurückwich, um sich ihm gegenüber auf einem Stein niederzulassen, zugleich InuYashas Frage beantwortend: „Der Wald von Amaterasu.“ Diese Antwort veranlasste InuYasha sich gründlich umzusehen, wobei er neben jeder Menge Wald auch Jaken und Ah-Un sah, die nicht weit von ihm entfernt ruhig nebeneinander auf dem Boden saßen und sowohl den Hanyō als auch die fremde Frau im Auge behielten. „Und wer bist du?“, wollte InuYasha schließlich wissen, seine Aufmerksamkeit wieder der Frau vor ihm auf dem Stein zuwendend, nachdem er sich umgesehen, Tessaiga zurechtgerückt und überprüft hatte, ob er noch immer im Besitz des Phönixeis war. „Die Kami dieses Waldes“, lautete die Antwort, die den Halbdämon zu der skeptischen Frage veranlasste: „Dann bist du Amaterasu?“ Die Frau lachte auf, „nein, ganz gewiss nicht. Ich bin Sumire.“ „Hm“, brummte InuYasha darauf nur und schwieg nachdenklich, die entstandene Pause nutzte Jaken um einzuwerfen, dass Sumire-sama in Begleitung Ah-Uns zu ihnen gekommen war und nicht nur dafür verantwortlich war, dass ihr Verfolger sie nicht hatte erneut angreifen können, da sie um den Wald einen schützenden Bann errichtet hatte, sondern auch InuYashas Wunden versorgt hatte, weshalb dieser bereits wieder völlig genesen wäre. Diese Bemerkung führte dazu, dass InuYasha sich unbehaglich mit einem Finger an der Wange kratzte, während er erklärte: „Das ist schlecht“, und sowohl von Jaken als auch Sumire dafür erstaunte Blicke erntete, während er bereits fortfuhr: „So wie es aussieht, müssen wir dir nämlich ein Auge ausreißen.“ Während die Kami lediglich milde überrascht schien und neugierig erwiderte: „Tatsächlich? Warum?“, war Jaken bei InuYashas Bemerkung vor ungläubigem Erstaunen der Mund offenstehen geblieben, während er dachte: ‚Was redet dieser dumme Hund – vergebt, Sesshōmaru-sama – uns jetzt schon wieder für Schwierigkeiten ein? Kann er nicht einmal einfach nur den Mund halten?!’ Anschließend wandte er sich hastig an InuYasha, um diesen an einer Erklärung zu hindern und bat: „InuYasha-sama, bitte, lasst mich die Sache erklären.“ „Was soll das, alte Kröte, glaubst du vielleicht ich bin zu dämlich, um zu erklären warum wir hier sind? – Mir gefällt es auch nicht, dass wir Sumire ihre Hilfe so danken, aber anders will uns der Baku nun mal nicht helfen“, knurrte InuYasha missmutig, während er mit gerunzelter Stirn anscheinend nach einer Lösung für dieses Dilemma suchte. „Bitte, InuYasha-sama, lasst mich reden, dann könnt ihr in der Zwischenzeit etwas essen“, flehte der Kappa regelrecht, während er gleichzeitig eine Handvoll Beeren und Wurzeln InuYasha entgegen hielt. Dieser beäugte zunächst ungehalten den Kappa und dann zweifelnd die angebotene Nahrung, entschied sich dann jedoch nachzugeben, griff nach dem Essen und murrte: „Bitte, dann rede du eben“, und das tat Jaken. Sobald er zu Ende berichtet hatte, warum sie sich im Wald von Amaterasu befanden und was es mit der Forderung nach dem Auge der Waldkami Sumire auf sich hatte, erhob sich diese und erklärte: „Ich denke, ich weiß wonach ihr sucht. Ich werde euch zeigen, wo ihr das Auge der Göttin finden könnt.“ Skeptisch betrachtete InuYasha die Kami, während er sich zugleich erkundigte: „Warum hilfst du uns eigentlich so bereitwillig?“ Sumire lächelte leicht belustigt, während sie auf den noch immer sitzenden Hanyō hinab sah und erwiderte: „Weil ihr Hilfe gebrauchen könnt.“ „Und das ist alles?“, Inuyasha klang misstrauisch, dass ihm jemand einfach ohne besonderen Grund half war selten, noch seltener war es, dass eine Kami einem Yōkai oder Halbdämon ihre Hilfe ohne jede Forderung nach einer Gegenleistung zukommen ließ. „Ja“, bestätigte Sumire unterdessen ruhig InuYashas Frage, wandte sich ab und schritt ihren Gästen voraus, sicher dass diese ihre folgen würden. Die Kami hatte InuYasha nicht die ganze Wahrheit über ihre Beweggründe genannt, zum einen weil es ihrer Ansicht nach nicht notwendig war, zum anderen weil sie vermutete, dass der Hanyō sich kaum für politische Hintergründe interessieren würde, solange sie ihn nicht unmittelbar betrafen – und vielleicht selbst nicht einmal dann. Während die Vier den Wald durchquerten ging allmählich die Sonne unter und InuYasha fragte sich flüchtig, wie lange er wohl geschlafen haben mochte, bevor ihn das sich bietende Naturschauspiel gefangen nahm und sich auf diese Weise klärte, woher der Wald seinen Namen hatte. Warmes, mattgoldenes Sonnenlicht durchflutete den Wald, tauchte ihn in ein unwirkliches, ätherisches Licht. Schien von den Bäumen zu tropfen und aus dem Boden zu sprießen, verschluckte jedes bisschen Dunkelheit und verbreitete ein Gefühl tiefer Geborgenheit, ließ die Welt leicht und schwerelos erscheinen, ohne jeden Anflug von Bosheit, Gier und Tod. Sie waren noch nicht lange durch diesen seltsam beruhigenden Naturzauber gelaufen, als sie schließlich am westlichen Rand des Waldes eine winzige Lichtung erreichten, die gerade groß genug war, um einer einzelnen Statue Platz zu bieten. Bei dieser Statue handelte es sich um die sitzende und gen Osten blickende Figur einer weiblichen Gottheit, deren leere Augenhöhlen durch das Licht der in ihrem Rücken untergehenden Sonne zu feurig goldenem Leben erwacht zu sein schienen. Genau vor dieser Skulptur blieb Sumire stehen und erklärte: „Ich vermute, es ist diese Göttin die ihr sucht.“ Schweigend starten ihre Begleiter einen Moment auf die Steinfigur, bevor InuYasha leicht ungehalten und mit irritierter Enttäuschung feststellte: „Aber die hat doch gar keine Augen.“ „Warte, bis die Sonne untergegangen ist“, war alles, was Sumire gelassen darauf erwiderte. Mit einem missmutigen Brummen fügte sich der Halbdämon und wartete ebenso wie seine beiden Gefährten schweigend und mit in den Ärmeln verborgenen Händen darauf, dass die Sonne endgültig verschwand. Als schließlich die letzten Strahlen der Sonne hinter dem Horizont erloschen waren und nur noch ein mattes Dämmerlicht herrschte, das zunehmend schwächer wurde und es schwierig machte die Dinge zu erkennen, blieb in den zuvor leeren Augenhöhlen der steinernen Göttin ein schwaches Glühen zurück. Erstaunt trat InuYasha neugierig näher an die Statue heran, um zu sehen, was dieses Leuchten verursachte und entdeckte, dass sich nun in den Augenhöhlen zwei perfekt geformte Feueropale befanden, die noch immer ein letztes Glühen der untergegangenen Sonne in sich gefangen zu halten schienen. Erstaunt wandte sich der Hanyō zu Sumire und verlangte zu wissen: „Wie kommen die Steine dahin?“ „Sie sind das tägliche Geschenk Amaterasus. Zeichen dafür, dass sie den Tag über die Welt in ihrem Tun beobachtet hat und zugleich das Versprechen, dass sie am nächsten Tag wiederkommen wird“, erklärte die Waldkami gelassen, während sich InuYasha bereits wieder den Steinen zugewandt hatte, darüber nachdenkend, wie er sie aus der Statue herausbekommen sollte. „Und Ihr habt nichts dagegen, wenn wir einen Stein mitnehmen, Sumire-sama?“, erkundigte Jaken sich vorsichtig, leicht besorgt zu der Angesprochenen aufsehend und ihre Antwort abwartend. „Ich habe nichts dagegen, solang es euch gelingt, einen Stein zu entfernen ohne die Statue zu beschädigen oder zu zerstören“, lautete darauf die Antwort, was ein ärgerliches Brummeln von InuYasha zur Folge hatte, der bereits erfolglos versuchte, einen der Steine zu lösen. Eine Weile sah der Kappa den vergeblichen Versuchen des Hanyō, einen der Steine aus der Augenhöhle der Gottheit zu pulen, zu, lief jedoch schließlich um die Statue herum, um sich deren Rückseite zu betrachten. Allerdings war er nicht groß genug, um sein Vorhaben problemlos in die Tat umsetzen zu können, also wandte er sich an den Halbbruder seines Herrn und äußerte: „InuYasha-sama, seht Euch einmal den Kopf der Statue an, ob Ihr irgendetwas Auffälliges entdeckt.“ „Irgendwas Auffälliges? Geht es nicht ein bisschen genauer?“, murrte der Angesprochene unwillig, kam aber dennoch dem Vorschlag des Kappas nach und besah sich genau den komplizierten, steinernen Kopfputz der Göttin. Und tatsächlich, da war etwas Ungewöhnliches: Die beiden edel gearbeiteten Kämme hatten in der Mitte ihrer reichverzierten Stege je ein Loch. Durch diese gelang es den Sonnenstrahlen die Augenhöhlen der Göttin zu erleuchten, während die Sonne unterging. Vorsichtig versuchte nun InuYasha den Kopfputz zu lösen und wirklich gab dieser nach einigem Ziehen und hin und her Rucken nach und ließ sich vom Rest der Statue lösen. Der Kopfputz besaß ein unerwartetes Gewicht, sodass InuYasha einen Augenblick brauchte, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, als ihm dieses Stück kunstvoll bearbeiteten Steins entgegenkam. Letztendlich legte er es jedoch unbeschadet am Fuß der Statue ab und langte in den Kopf der Göttin, um einen der Opale herauszuholen. Nachdem er den ersten problemlos gelöst hatte und diesen ebenfalls in seinem Gewand, zusammen mit dem Phönixei verstaut hatte und Sumire, auf deren Bitte hin, den zweiten Stein gegeben hatte, wollte InuYasha den Kopfputz der steinernen Gottheit wieder an Ort und Stelle anbringen, als plötzlich zwei tönerne Hände aus der Erde hervorbrachen, InuYasha an den Fußgelenken packten und versuchten diesen unter die Erde zu ziehen. InuYasha fluchte während er einerseits versuchte nicht den schweren Kopfputz fallen zu lassen, den er nun nur noch mit einer Hand festhielt, ihn zugleich mit seinem Körper stützend und mit seiner freien Klaue die ihn angreifenden Hände mit Hilfe von Sankontessō in leblose Tonscherben verwandelte. „Hast du nicht gesagt, wir wären hier sicher?“, erkundigte sich InuYasha brummig während er misstrauisch den Boden musterte, ob ein weiterer Angriff erfolgen würde. Jaken schwieg betreten auf diese Frage, während Sumire statt seiner erklärte: „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie in der Lage wären sich in der Erde fortzubewegen und auf diese Weise angreifen könnten.“ InuYasha blieb eine Erwiderung darauf schuldig, während er überrascht beobachtete, wie Sumire den Feueropal, den er ihr kurz zuvor gegeben hatte, zusammen mit drei weiteren, beinahe identischen Steinen, die sie aus den Ärmelfalten ihres Kimonos hervorholte, um die Statue herum in den Boden steckte, als wären es Samenkörner. Im nächsten Augenblick begannen diese Steine in einem feurigen Goldton zu glühen und strahlenförmig helles, reines Genki von unglaublicher Stärke auszusenden. Sobald das Genki auf einen der bis dahin unbemerkt im Boden verborgenen Tonkrieger traf, explodierte dieser mit einem dumpfen Laut und hinterließ einen zylindrischen Krater im Erdreich. Als offenbar alle unterirdisch herumgeisternden Tonpuppen zerstört waren, erlosch die strahlenförmig ausgesandte Energie der im Boden steckenden Opale wieder, allerdings war Sumire vorsichtig genug, die Steine dennoch im Boden zu belassen, um einer weiteren unliebsamen Überraschung vorzubeugen. Unterdessen hatte InuYasha der steinernen Gottheit ihren Kopfputz wieder aufgesetzt, sodass es die kleine Reisegruppe an der Zeit fand, aufzubrechen. Das Angebot Sumires, die Nacht noch im Wald zu verbringen und erst am nächsten Tag ihre Reise fortzusetzen, lehnten sie ab. Sie hatten mit den Aufgaben des Baku schon genug Zeit vergeudet und noch immer keinen blassen Schimmer wo sich der echte Sesshōmaru befand. Während sich der nach wie vor verborgen haltende Schwertdieb offenbar daranmachte, sich auch noch Sōunga anzueignen. So unwahrscheinlich InuYasha es vor dem Ersatz-Sesshōmaru gehalten haben mochte, dass es dessem Herrn gelang das Höllenschwert zurückzuholen, sicher war er sich seiner Sache nicht und umso wichtiger war es, Sesshōmaru wieder herbei zu schaffen, damit sie im Falle eines Falles wie schon einmal Sōunga wieder in die Hölle schicken konnten. Kapitel 17: Drachenweisheit --------------------------- Bevor es mit dem Eigentlichen losgeht zwei Dinge vorweg: 1. Dank an Hotepneith und Imadriel für ihren Hinweis, wie die göttliche Variante des Yōki tatsächlich heißt. 2. Eine kleine Warnung: Das folgende Kapitel wird ziemlich gesprächslastig, hoffe, dass es mir trotzdem gelungen ist aufkommende Langeweile zu vermeiden. Lieben Gruß Zwiebel Müde von der langen Reise gelangten InuYasha und Jaken schließlich auf Ah-Un wieder zur Hochebene von Hian, wo sie den Reitdrachen wie beim letzten Mal zurückließen und sich durch die Schlucht in den Wald vorarbeiteten. Dort wurden sie wieder von den winzigen Flatterwesen begrüßt und, ebenfalls wie beim letzten Mal, zu dem Baku getragen, der sie mit den Worten begrüßte: „Ah, ihr seid zurück.“ Es klang als hätten sich InuYasha und Jaken ungebührlich viel Zeit für ihre Suche gelassen und so knackte der Hanyō auch verärgert mit den Fingern, während Jaken sich hastig bemühte ihn zu beruhigen und zugleich ehrerbietig den Baku zu begrüßen. Der ging darauf nicht weiter ein, sondern erkundigte sich lediglich: „Habt ihr die Steine dabei?“ „Natürlich haben wir, sonst wären wir ja wohl kaum hier“, knurrte InuYasha ungehalten zurück, ohne jedoch den Baku damit zu beeindrucken. Stattdessen erhob sich dieser lediglich aus seiner Baumhöhle, forderte seine beiden Gäste auf, ihm zu folgen und lief dann vor ihnen her, bis sie zu einer geräumigen, trockenen Höhle gelangten, in der ein dösender Drachen lag, der so unglaublich alt wirkte, dass selbst die Bezeichnung ‚ururalt’ noch geschmeichelt gewesen wäre. Auf diesen Drachen lief der Baku zu, stupste ihn mit einer seiner Vorderpfoten an und sagte: „Wach auf, Ryōeichi, du kannst endlich deinen Kelch vervollständigen.“ „Hm?“, brummte der Drache, tief aus dem Bauch heraus, während er träge mit einem Auge blinzelte, schließlich die beiden Fremden in seiner Höhle entdeckte und Jaken und InuYasha genauer betrachtete. Dann hob er langsam den Kopf während er auch das zweite Auge öffnete und mit gelassener Neugier nachhakte: „Ihr habt das Ei des Phönix und das Auge der Göttin bei euch?“ Jaken und InuYasha nickten nur. „Hm“, brummte der Drache wieder und verlangte dann zu wissen: „Was hat euch Yumeji dafür versprochen?“ „Ich habe ihnen versprochen, ihnen zu sagen, was ich über wahrsagende Drachen weiß“, erwiderte der Baku anstelle der beiden Gefragten und erhielt bei der Bemerkung über ‚wahrsagende Drachen’ einen durchdringenden Blick Ryōeichis. „Eigentlich sind wir auf der Suche nach einem Drachen, der uns sagen kann, wo wir meinen Halbbruder finden können“, mischte sich InuYasha kurzerhand in das Gespräch der Beiden ein und erkundigte sich dann sehr direkt: „Kannst du uns sagen, wo wir ihn finden oder müssen wir dafür jemand anderen suchen?“ „InuYasha-sama“, konnte Jaken nur noch erstickt hervorflüstern, während er für sich beschloss jegliche Mitschuld oder Verantwortung am Verhalten des Halbdämons weit von sich zu schieben. Ryōeichi unterdessen schien eher belustigt als verärgert, während er erwiderte: „Für eine halbe Portion bist du ganz schön vorlaut, kleiner Hanyō.“ „Keh, von wegen halbe Portion. Frag mal, wer Ryōkotsei erledigt hat!“ Jaken wirkte inzwischen als würde er tausend Tode sterben oder gern in der Erde versinken, während sich die Gesichtszüge des Drachen grimmig verfinsterten. „Du warst derjenige, der meinen Enkel ermordet hat und wagst es auch noch damit vor mir zu prahlen?!“ ‚Ups…’, war alles was InuYasha im ersten Moment einfiel, bevor er verzweifelt versuchte eine zufriedenstellende Erklärung für den Tod Ryōkotseis zu finden, die den alten Drachen besänftigen würde. „Ich hatte damals keine andere Wahl… Naraku hatte den Bann gelöst und es war der einzige Weg das Bakuryūha zu bekommen…“, irgendwie schien die Erklärung nicht dazu angetan, Ryōeichi wieder milder zu stimmen, eher im Gegenteil. „Beruhige dich, Ryōeichi“, griff da der Baku erneut in das Gespräch ein, „du hast doch sowieso nie viel von Ryōkotsei gehalten. Einen Tunichtgut hast du ihn immer genannt, warum regst du dich jetzt auf einmal so auf?“ „Weil es diese halbe Portion von einem Hund wagt sich im Angesicht eines Drachen mit dem Mord an einem anderen zu brüsten!“, erwiderte Ryōeichi verärgert und erhielt die von einem merkwürdig aussehenden Schulterzucken begleitete Antwort Yumejis: „Er ist eben dumm. Aber er hat kein schlechtes Herz. Sieh es ihm nach und erfüll ihm seine Bitte, dann bist du ihn bald wieder los.“ Dieses Mal erhielt der Baku von zwei Seiten ein unwilliges Knurren als Reaktion auf seine Worte. Aber InuYasha war klug genug, den Mund zu halten und Ryōeichi vielleicht zu großmütig, um länger auf seinem Zorn zu bestehen. Stattdessen knurrte er nur an InuYasha gewandt: „Zeig mir die Steine.“ Kaum hatte der Halbdämon dieser Aufforderung Folge geleistet, kamen auch schon vier der winzigen, nervtötenden Flatterwesen heran und hoben jeweils zu zweit die Steine aus der Hand InuYashas, um sie zu Ryōeichi zu tragen. Der hatte unterdessen von irgendwoher einen aus Malachit geschnittenen Kelch geholt an dem sich bereits ein schwarzer Onyx und ein dunkler Amethyst befanden, die kleinen Flatterwesen setzten nun ohne weiteres Zögern den Feueropal in die Vertiefung gegenüber dem Amethyst und den eingeschliffenen, farblosen Kristall gegenüber dem Onyx in die Außenseite der Kelchschale ein. Sobald sie ihre Arbeit erledigt hatten, verschwanden die kleinen Wesen wieder und der Drache betrachtete einen Moment in schweigender Andacht seinen Kelch bevor er sich erneut an InuYasha und Jaken wandte: „Ihr wollt also jemanden wiederfinden“, die beiden Angesprochenen nickten und Jaken erklärte hastig, um dem Hanyō zuvor zukommen: „Wir suchen den Herrn der westlichen Länder: Sesshōmaru-sama.“ „Hm“, brummte der Drache zur Kenntnis nehmend und hakte nach: „Und die halbe Portion ist mit ihm verwandt?“ Wieder nickte Jaken, während InuYasha nur ein abfälliges „Keh“ von sich gab und beleidigt den Blick zur Seite wandte. Unbeeindruckt von dieser Reaktion forderte der Drache den jungen Halbdämon auf: „Lass ein wenig von deinem Blut in den Kelch fließen. Ihr teilt zwar nur zur Hälfte das gleiche Blut, aber es sollte genügen, um deinen Halbbruder zu finden.“ Widerwillig gehorchte InuYasha und ritzte die Haut an seinem Handgelenk, nachdem er die wenigen Schritte an den Kelch herangetreten war. Sobald sich am Boden der Kelchschale eine Pfütze aus Blut gebildet hatte, fragte er unwirsch: „Reicht das?“, und erhielt von dem Drachen, nachdem dieser einen Blick in die Schale geworfen hatte, die Antwort: „Es wird wohl genügen.“ Umgehend trat InuYasha zurück und sah nun ebenso erwartungsvoll wie Jaken zu Ryōeichi, der alle anderen ignorierend konzentriert in die Kelchschale blickte, als könnte er darin höchst interessante Dinge erkennen. Schließlich begann er zu sprechen: „Ihr wisst, dass derjenige, den ihr sucht zurzeit ein Mensch ist?“, einhelliges Nicken von Seiten InuYashas und Jakens. „Und dass er keine Ahnung davon hat, wer er in Wirklichkeit ist?“, erneut nickten seine beiden Zuhörer zustimmend. „Nun gut, es sieht aus, als wäre er nicht weit von hier in einem Dorf in den Bergen, fünf Tagesreisen südlich von hier. Es gehört zur direkten Umgebung des menschlichen Fürstenschlosses Nagasawa.“ Jaken hatte diesen Informationen mit wachsender Erleichterung gelauscht, ein Wiedersehen mit Sesshōmaru-sama war nun in greifbare Nähe gerückt. Bestimmt würde bald alles wieder in Ordnung kommen. InuYasha hingegen war weniger begeistert, da waren sie nun zweimal quer durchs ganze Land gereist, um irgendwelche dämliche Steine zu besorgen, nur um am Ende zu erfahren, dass sie ihr eigentliches Ziel praktisch schon beim ersten Besuch direkt vor der Nase gehabt hatten. InuYasha fand diese Tatsache absolut nicht komisch, sondern kam sich ziemlich veralbert vor. Aber er übte sich in eiserner Selbstbeherrschung, um weder gegenüber dem Baku noch dem Drachen handgreiflich zu werden, denn immerhin wussten sie ja nun wo sie zu suchen hatten, um Sesshōmaru zu finden. Nachdem Ryōeichi noch hinzugefügt hatte, dass der Hundedämon von den Menschen ‚Haru’ gerufen wurde, hatte er offenbar alles gesagt, was es zu sagen gab. Und so wollten sich Jaken und InuYasha bereits wieder verabschieden, um sich auf den Weg zu dem genannten Dorf zu machen, als sie von dem Baku aufgehalten wurden: „Was ist mit eurer zweiten Frage?“ Zweite Frage? Verwundert sahen Jaken und InuYasha Yumeji an, der völlig gelassen erklärte: „Zwei Bittsteller, zwei Steine, zwei Fragen. – Also?“ Wenn das so war… Da gab es tatsächlich noch etwas, was der Hanyō gern gewusst hätte: „Kannst du uns sagen, wer für die ganze Sache verantwortlich ist und wo wir ihn finden?“ „Das sind zwei Fragen, falls du nicht zählen kannst“, erwiderte der Drache daraufhin nur mit gleichmütiger Herablassung und InuYasha knirschte wütend mit den Zähnen, lenkte jedoch ein: „Schön, dann sag uns eben nur wo wir den Kerl finden, damit wir ihn erledigen können.“ „Mach den Mund auf, streck die Zunge heraus und hüpf auf einem Bein“, befahl Ryōeichi daraufhin noch immer mit derselben unergründlichen Gleichmütigkeit wie zuvor. InuYasha starrte den Drachen skeptisch an, der keine Miene verzog, sondern ganz den Eindruck erweckte, er hätte seine Worte vollkommen ernst gemeint. „Und das soll dir wirklich dabei helfen, die zweite Frage zu beantworten?“, erkundigte sich der Hanyō misstrauisch und bekam lediglich zu hören: „Das wirst du nur herausfinden, wenn du es versuchst.“ Da Ryōeichi keine Anstalten machte auf dem gleichen Weg wie zuvor an die gefragten Informationen zu gelangen und InuYasha mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn vor dem Drachen stand, ohne sich zu rühren, trat Jaken ein wenig nach vorn, um die Aufmerksamkeit Ryōeichi auf sich zu lenken und anschließend darum zu bitten, die gestellten Forderungen erfüllen zu dürfen. Doch der Drache erwiderte lediglich: „Das würde nichts bringen, entweder er tut es oder ihr werdet nichts erfahren.“ Grimmig hatte InuYasha diesen Worten gelauscht, dem Drachen schließlich einen missmutigen Blick zugeworfen und letztendlich begonnen mit einer großen Portion Selbstüberwindung und herausgestreckter Zunge vor dem Drachen auf und ab zu hüpfen, sich dabei äußerst dämlich vorkommend und sich innerlich schwörend, dass sein Bruder für den ganzen Ärger gründlich büßen würde. Seine Zuschauer schienen das Geschehen ebenso lächerlich zu finden wie der Hanyō, denn auf ihren Gesichtern erschien nach und nach ein immer breiter werdendes Grinsen, sodass InuYasha schließlich schlechtgelaunt, aber noch immer hüpfend und aufgrund der heraushängenden Zunge ziemlich undeutlich nachfragte: „Wie lange muss ich das denn noch machen? Siehst du nicht schon irgendwas?“ Statt dem Halbdämon auf seine Frage zu antworten, wandte sich Ryōeichi an den Baku und erklärte: „Du hast Recht, er ist dumm.“ Der Drache hatte die Worte kaum ausgesprochen, als InuYasha auch schon aufgehört hatte die Anweisungen zu befolgen und wütend auf den Drachen losfuhr, was dem eigentlich einfiele, sich über ihn lustig zu machen. „Betrachte es als Strafe für dein Gerede über Ryōkotsei“, erwiderte der Drache nur ungerührt, bevor er das Thema wechselnd hinzufügte: „Und jetzt erzählt mir, was ihr über euren Gegner bisher in Erfahrung gebracht habt.“ Da InuYasha noch viel zu wütend darüber war, das Opfer des hinterhältigen Drachenhumors geworden zu sein, übernahm wieder einmal Jaken die Erklärungen und erhielt am Ende seiner Ausführungen die gebrummte Bemerkung Ryōeichis: „Wer hätte gedacht, dass der alte Kauz immer noch lebt.“ Aus seinem Mund klang das mehr als merkwürdig, sah er doch selbst wie ein Relikt aus vergangener Zeit aus; allerdings hütete sich jeder der Anwesenden wohlweislich etwas Derartiges zu erwähnen. „Ihr kennt ihn, Ryōeichi-sama?“, hakte Jaken stattdessen aufgeregt nach und erhielt als Antwort ein bestätigendes Brummen des Drachen. „Woher denn?“, wollte nun auch InuYasha neugierig geworden wissen. „Er wurde zu uns Drachen geschickt, damit wir ihn töten oder unter Kontrolle halten“, erwiderte Ryōeichi daraufhin nur und erhielt von Inuyasha zur Antwort: „Keh, sonderlich gut scheint ihre eure Arbeit aber nicht gemacht zu haben, wenn er jetzt in der Weltgeschichte herumfliegt und Dämonen ihre Schwerter stiehlt.“ Die Antwort des Drachen bestand in einem warnenden Blick, der Halbdämon solle ja seine Zunge hüten, bevor er ruhig erwiderte: „Ich werde euch wohl besser die ganze Geschichte erzählen, damit ihr sie versteht.“ Nach einer winzigen Pause, die vielleicht dramatische Spannung erzeugen sollte, begann Ryōeichi in einem leicht belehrend klingenden Tonfall zu erzählen: „Der Mann, den ihr sucht, ist ein Anachronismus…“ „Ein was?“, verlangte InuYasha, den Drachen unterbrechend zu wissen. „Ein Anachronismus, etwas das eigentlich nicht existieren sollte“, erwiderte der Drache erstaunlich geduldig und fuhr fort: „Ōjidai, ist aus der Verbindung zwischen einem Yōkai und einer Kami entstanden, beide waren nicht sonderlich stark und so ging niemand davon aus, dass das Kind überhaupt lebensfähig sein würde. Als es dann jedoch geboren wurde, stellte sich heraus, dass es bereits bei der Geburt weit stärker als seine Eltern war und niemand konnte sagen, inwieweit sich seine Fähigkeiten noch steigern würden, wenn er älter würde. Da weder Yōkai noch Kami gewillt waren, dieses Wesen, von dem man nur vermuten konnte, wie schrecklich es einst werden würde, groß zu ziehen, wurde beschlossen es zu töten. Doch all ihre Versuche schlugen fehl. Jedes Mal baute das Neugeborene eine schützende Wand auf, die weder Götter noch Dämonen durchdringen konnten und so suchte man nach einer Alternative. Man fand sie schließlich darin, das Kind zu uns Drachen abzuschieben, da man davon ausging, dass es von uns entweder sofort getötet werden oder schließlich elendiglich verhungern würde. Doch Ōjidai war zäh und errang das Mitleid einer Drachin, die gerade ihr eigenes Junges verloren hatte, sie nahm das Wesen an dessen statt auf und zog es groß.“ Ryōeichi schwieg einen Moment, wohl um seine Erinnerungen zu ordnen und zu überlegen, wie er fortfahren sollte. Jaken nutzte die sich bietende Gelegenheit und war an dieser Stelle die Frage ein: „Wie hat Ōjidai gelernt Mak Ba’el zu beherrschen? Soweit ich weiß, benutzen Drachen etwas derartiges doch gar nicht.“ Ryōeichi lächelte leicht belustigt: „Das ist ganz einfach, kleiner Kappa, er ist Mak Ba’el“, und da ihn sowohl Jaken als auch InuYasha nur mit großen Augen ansahen, fügte er erklärend hinzu: „Mak Ba’el ist im Grunde nichts anderes als das Gleichgewicht und Zusammenwirken von heller und dunkler magischer Energie, deren zwei Pole Yōkai und Kami darstellen. Mak Ba’el kann beide Formen absorbieren und ausgleichen, weil beide Magien ein Teil von ihr sind. Nur Angriffe von reiner heller oder dunkler Magie, die so mächtig sind, dass sie das inhärente, notwendige Gleichgewicht Mak Ba’els zerstören, können ihr etwas anhaben, alle anderen werden umstandslos neutralisiert oder absorbiert.“ Das hörte sich gar nicht gut an. „Wieso ist der Kerl denn so scharf auf alle möglichen Schwerter, wenn er doch so mächtig ist?“, wollte InuYasha nun wissen. „Bevor er gelernt hat, seine Kräfte zu kontrollieren und sie nach seinem Willen einzusetzen, gab es einige tödliche Unfälle unter den Drachen und da seine Ziehmutter feststellte, dass er seine Magie am besten kontrollieren konnte, wenn er sich auf etwas gänzlich Unmagisches konzentrierte, erteilte sie ihm den Auftrag, sich ein Schwert zu suchen und den Umgang damit zu üben. Er fand ein Schwert und brachte es stolz nach Hause, allerdings fanden sie nur allzu bald heraus, dass er keinerlei Talent fürs Kämpfen besaß, sondern stattdessen zwei linke Füße und zwei rechte Hände, wenn ihr versteht was ich meine.“ Ryōeichis Zuhörer nickten verständig. „Nun mochte das Schwerttraining zwar erfolglos geblieben sein, aber die Sammelleidenschaft des Jungen war geweckt worden und so brachte er immer mehr Schwerter an. Vielleicht lag es daran, dass ihn beinahe jedes Lebewesen, das ihm begegnet war, versucht hatte zu töten. Die Schwerter hingegen waren zwar zum Töten hergestellt worden, aber keines von ihnen hatte je von sich aus versucht Ōjidai zu vernichten. Er hat mit ihnen geredet, als wären sie Wesen die hören, sehen und verstehen konnten was er sagte, hat sie bewundert und gelobt. Er schien in ihnen lesen zu können, wie andere in Büchern. - Es war schon merkwürdig das zu beobachten, aber noch merkwürdiger war, dass die Schwerter darauf offenbar tatsächlich reagierten, von der Aufmerksamkeit, die sie plötzlich erhielten sehr angetan zu sein schienen. Zumindest bei den magischen Schwertern, war es so. Denn, nachdem Ōjidai eine zeitlang nur einfache, von Menschen geführte Schwerter gesammelt hatte, entdeckte er schließlich sein Interesse für mächtigere Waffen. Und da diese sehr viel seltener waren und sehr viel schwieriger zu bekommen, investierte er bald einen Großteil seiner Energie in diese Leidenschaft und wenn ihm dabei jemand in die Quere kam, wurde er gnadenlos beseitigt. Vielleicht sah er in diesen Schwertern so etwas wie Seelenverwandte, die genauso missverstanden wurden wie er. Wer weiß schon, was in dem Kopf des Jungen vorging.“ An dieser Stelle wurde Ryōeichi erneut von InuYasha unterbrochen der feststellte: „Das erklärt, warum er hinter Shiomari und Tessaiga her war. Aber warum hat er einen Doppelgänger von Sesshōmaru geschaffen?“ Ryōeichi hatte den Hanyō, der ihn ständig so unhöflich unterbrach, für einen Moment verärgert angesehen, bevor sich sein Gesichtsausdruck zu Verblüffung wandelte. „Es ist ihm gelungen Shiomari in seinen Besitz zu bringen?“ Seine beiden Besucher nickten nur und der Drache brummte: „Wer hätte gedacht, dass die Beiden nach all der Zeit tatsächlich klein bei geben müssen…“ Und ohne auf die neugierig erstaunten Blicke von InuYasha und Jaken zu reagieren fügte er hinzu: „Wenn Shiomari sich ebenfalls im Besitz Ōjidais befindet, dann wird er den Doppelgänger wohl erschaffen haben, um in der Lage zu sein es zu ziehen, sei es auch nur, um sich an seiner Schönheit zu erfreuen. Anders als die Schwerter, die ihr kennt, ist Shiomari ein auf Mak Ba’el basierendes Tsurugi. Eine Tatsache die Ōjidai zweifellos besonders anziehen musste. Aber seine Versuche, das Schwert aus dem Stein zu ziehen sind immer erfolglos gewesen, denn er ist weder ein Krieger noch genügt er den Vorstellungen von Stolz und Ehre, nach denen Shiomari sich seinen Besitzer erwählt. Dazu kommt, dass dieses Schwert, wenn es sich einmal für einen Eigentümer entschieden hat, von niemand anderem führen lässt, mögen dessen Absichten auch noch so edel sein. Ōjidai hat vermutlich geglaubt, Shiomari täuschen zu können, wenn er einen Doppelgänger von seinem eigentlichen Besitzer erschafft.“ „Aber warum denn dann mit seinen Erinnerungen, hätten Yōki und Aussehen nicht gereicht?“, fragte InuYasha irritiert nach und bekam zur Antwort: „Das ist schwierig zu erklären… Die Persönlichkeit eines Wesens bestimmt sich im Wesentlichen aus drei Dingen: seinen Talenten, seinen Erinnerungen und aus seinen Erfahrungen. Die Erfahrungen sind so fein und so fest mit der Persönlichkeit eines jeden Wesens verwoben, dass man sie unmöglich von diesem trennen kann. Erinnerungen hingegen sind eindeutige, klare Bilder im Kopf, die sich nur zu leicht herauslösen lassen. Die Talente hingegen sind etwas, das zwischen beidem liegt, einen Teil von ihnen kann man herauslösen, weil sie klar und deutlich sind, andere sind nur sehr klein und kaum wahrnehmbar. Wenn Ōjidai nun wollte, dass sein Doppelgänger überzeugend wirkt, konnte er nicht nur auf das im Yōki verankerte Talent zurückgreifen. Andererseits ist es aber auch mit Mak Ba’el unmöglich die Erfahrungen eines Wesens von diesem zu trennen, also blieben nur noch die Erinnerungen, um die Täuschung zu vervollkommnen. Ob es ihm gelungen ist, wer weiß.“ Daraufhin herrschte für eine Weile schweigen, bevor sich Jaken neugierig erkundigte: „Wie ging es denn mit Ōjidai weiter, nachdem er seine Leidenschaft für Schwerter entdeckt hatte, Ryōeichi-sama?“ „Nun, seine Manie wurde schließlich so schlimm, dass er nicht einmal mehr auf die Worte seiner Ziehmutter hörte, doch Vernunft anzunehmen und sich zu mäßigen. Zu der Zeit hatte er bereits gelernt seine Kraft zu kontrollieren und sich in der vergessenen Bibliothek das Wissen angeeignet, sie auch zu nutzen, und da er die ständigen Bitten seiner Ziehmutter leid war und sich gern auf die Suche nach allen existierenden magischen Schwertern machen wollte, um sie irgendwann sein Eigen zu nennen, hat er sich ein Refugium geschaffen, in dem er unangreifbar ist und mit dem er sich problemlos von Ort zu Ort bewegen kann.“ „Das kennen wir schon, aber wo hält er sich denn nun versteckt?“, erwiderte InuYasha energisch auf die letzte Bemerkung des Drachen und erhielt darauf die Antwort: „Warte einen Moment, ich werde nachsehen.“ Dieses Mal war es Ryōeichi, der etwas von seinem Blut in den Kelch tropfen ließ, bevor er sich wieder darüber beugte, um hinein zu sehen. Dann war er eine sehr, sehr lange Zeit still und äußerte schließlich zugleich nachdenklich und verwundert klingend: „Ich kann ihn nirgends entdecken, ich kann euch sagen, wo sich sein Refugium befindet, er selbst scheint nicht mehr in dieser Welt zu sein.“ Für einen Augenblick herrschte sprachlose Stille, bevor Jaken unsicher hervorbrachte: „Der Doppelgänger hat erwähnt, dass sein Herr Sōunga aus der Hölle holen will…“ Der Drache sah den Kappa mit einem Mal äußerst aufmerksam an, bevor er fragte: „Bist du dir da sicher?“ Jaken nickte nur unglücklich. Kurz schwieg der Drache erneut, bevor er nachdenklich, halb an sich selbst gewandt, bemerkte: „Wer hätte gedacht, dass er für ein Schwert selbst in die Hölle hinab steigen würde. Aber das wird ihn einen Großteil seiner Kraft kosten, er muss doch wissen, das irdische Magie in der Hölle nicht viel mehr ist, als ein zarter Frühlingswind und genauso schnell verloren geht.“ „Dann ist also die einzige Möglichkeit ihn zu besiegen dann, wenn er frisch aus der Hölle kommt“, stellte InuYasha sachlich fest, ohne sich von der plötzlich gedrückten Stimmung Jakens und Ryōeichis anstecken zu lassen. Zögerlich stimmte Ryōeichi den Worten des Halbdämon zu, bevor er jedoch ergänzend hinzufügte: „Es wird euch aber nur gelingen ihn zu besiegen, wenn er keine Möglichkeit hat, in sein Refugium zurückzukehren und sich von den Anstrengungen des Höllenbesuchs zu erholen. „Keh, keine Sorge“, erwiderte InuYasha großspurig, „wir holen erst mal Sesshōmaru zurück, kümmern uns dann um dieses Refugium und sobald der Typ aus der Hölle zurückkommt, schicken wir ihn gleich wieder dahin zurück!“ „Für eine halbe Portion bist du äußerst selbstsicher. Glaubst du wirklich, dass es so einfach wird Ōjidai zu besiegen, der dir und deinem Bruder einige Jahrhunderte an Erfahrung voraushat?“ „Keh, natürlich wird es das. Wir sind Krieger er stolpert sogar über seine eigenen Füße! – So und jetzt sag uns, wo wir dieses Refugium finden, damit wir uns darum kümmern können, bevor der Kerl zurückkommt und sich dort erholt“, verlangte InuYasha mit energischer Selbstsicherheit. Ryōeichi konnte ein leises Seufzen nicht unterdrücken, bevor er sich wieder dem Kelch zuwandte und erklärte: „Sein Refugium ist der Watari mono. Ein Berg, der sich in der gleichen Gegend befindet, wie das Dorf, in dem sich dein Halbbruder aufhält.“ Verblüfft sah InuYasha den Drachen an und konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: „Wie blöd ist das denn. Warum lässt er Sesshōmaru denn direkt vor seiner Haustür leben?“ „Vermutlich empfand er ihn nicht mehr als Bedrohung, nachdem er ihm Yōki und Erinnerungen geraubt hat und hat mit ihm einfach das gemacht, was jeder mit Unrat im Haus macht: ihn einfach ‚hinausgekehrt’ und sich darauf verlassen, dass er sich von selbst erledigt, indem er erfriert“, erwiderte Ryōeichi und bekam darauf den empörten Protest des Kappa zu hören, der energisch darauf bestand, dass Sesshōmaru-sama ganz bestimmt kein Unrat sei! Der Drache machte sich nicht die Mühe darauf etwas zu erwidern, sondern wandte sich lediglich an den Baku, der die gesamte Zeit über schweigend anwesend gewesen war: „Ich denke, damit ist dein Versprechen eingelöst, jetzt lass mich wieder in Ruhe, ich bin müde.“ „Wie du willst“, erwiderte Yumeji darauf nur, erhob sich von seinen Hinterläufen und befahl Jaken und InuYasha ihm zu folgen. Schweigend gehorchten die Beiden und verließen zusammen mit dem Baku die Höhle des Drachen. Während sie den Weg zurückgingen, den sie gekommen waren, fragte InuYasha neugierig: „Wiese lebt der alte Zausel eigentlich hier bei dir und nicht bei den anderen Drachen?“ „Weil er es so will“, lautete die knappe Antwort Yumejis, die klar zu verstehen gab, dass es InuYasha absolut nichts anging, wo Ryōeichi leben wollte. Sobald sie zu dem Baum des Baku zurückgekehrt waren, war es Zeit auch von diesem Abschied zu nehmen und zu Ah-Un zurückzukehren, um endlich Sesshōmaru zu finden und ihn mit seiner Puppe zu konfrontieren, damit er seine alte Persönlichkeit zurückerhielt. Kapitel 18: Alles, was Recht ist -------------------------------- Inochiyume waren einige Kräuter ausgegangen, die sie für die Behandlung ihrer Patienten benötigte und so hatte sie sich mit der Warnung ihrer Großmutter versorgt, ja vorsichtig zu sein und sich nicht von dem Schatten töten zu lassen, auf den Weg in den Wald gemacht. Da sie wusste, wo sie suchen musste, um fündig zu werden, dauerte es nicht lang, bis sie den mitgenommenen Korb gefüllt hatte und sie sich auf den Rückweg machte. Sie mochte bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als sie in der Nähe ein hilfloses Krächzen hörte und einer Gewohnheit folgend, sich nach dem verletzten Vogel umsah. Am Fuß einer hohen Kastanieneiche zwischen verknicktem Gesträuch und zerdrücktem Grün fand sie schließlich den Verursacher des Krächzens: Einen schwarzen Raben, der sich, dem ersten Eindruck nach zu urteilen, offenbar einen Flügel gebrochen hatte. Seltsamerweise sträubte sich das Tier keinen Moment gegen das Mädchen, als dieses den Raben vorsichtig vom Boden hob, um ihn nach Haue zu tragen. Stattdessen ließ er alles ruhig mit sich geschehen, als wüsste er genau mit wem er es zu tun hatte. Inochiyume hatte sich gerade aus der Hocke erhoben, um ihren Heimweg fortzusetzen, als der Rabe plötzlich warnend aufkrächzte und gleichzeitig ein bedrohlich klingendes Geräusch zu hören war, das Inochiyume nicht einzuordnen vermochte. Wie sie es geschafft hatte, dem ersten Angriff des Schattens zu entgehen, hätte sie nicht sagen können, noch hatte sie später eine klare Erinnerung an diese Momente. Wenn man sie fragte, konnte sie lediglich antworten: „Ich bin gerannt.“ Und das tat sie. Nicht nur um ihre eigenes Leben, sondern auch um das des Tieres in ihren Armen. Ohne nachzudenken. Ohne klares Ziel vor Augen, hastete sie in wilder Jagd durch das Dickicht des Waldes. Bemühte sich Haken zu schlagen. Ihren Verfolger zu verwirren und vielleicht sogar abzuhängen. Aber ihre Anstrengungen waren vergeblich, das Wesen blieb ihr dicht auf den Fersen und schien Vergnügen daran zu haben seine Beute langsam zu Tode zu hetzen. Je länger die Verfolgungsjagd dauerte, umso langsamer und schwächer wurde Inochiyume, umso rauer und heftiger ging ihr Atem. Aber noch wollte sie nicht aufgeben, noch drückte sie den verletzten Raben an sich und hastete weiter. Es mochte an ihrer zunehmenden Erschöpfung und ihrer Panik liegen, dass sie schließlich eine hervorragende Wurzel übersah und stolperte. Es gelang ihr nicht mehr ihr Gleichgewicht wiederzufinden, sodass sie zu Boden stürzte, im Fallen noch immer darauf bedacht den Raben zu beschützen, als wäre er ihr Kind. Eilig versuchte sie sich wieder aufzurappeln und weiterzulaufen, während sie hinter sich die gefräßige Blutgier ihres Verfolgers spürte; hörte wie er immer näher kam und wusste, dass sie jeden Augenblick sterben würde. Jaken und InuYasha waren auf Ah-Un in die Richtung gereist, die ihnen Ryōeichi genannt hatte und liefen gerade durch den Wald, den man durchqueren musste, wollte man das Dorf erreichen, als der Hanyō mit seinem feinen Gehör plötzlich Geräusche vernahm, die ihn auf der Stelle im Höchsttempo davon stürmen ließen, im Laufen bereits Tessaiga ziehen, während er einen immer stärker werdenden Geruch in die Nase bekam, der sich nur als Todesangst bezeichnen ließ. Er kam in dem Moment bei dem zitternd um Atem ringenden Mädchen an, als sich das Ungeheuer, sich seiner Beute sicher und deren Angst genießend, mit zufriedener Gemächlichkeit diesem genähert hatte und gerade zum Sprung ansetzte, um seinem Opfer den Garaus zu machen. InuYasha hatte bereits ausgeholt, um die Windnarbe auf die Bestie loszujagen, als plötzlich ein weiterer Mensch auf der Lichtung auftauchte und das Wesen ohne eine Sekunde zu zögern angriff. InuYasha starrte etwas verdutzt auf den dunkelhaarigen Mann, der für einen Menschen überraschend schnell war und dessen Kampftechnik zu beobachten ein reines Vergnügen war. Während der Mann und die Bestie einander mit dem Ziel bekämpften, den jeweils Anderen zu töten, sich gegenseitig Verletzungen zufügten, den Angriffen des Gegners auswichen, selbst zum Angriff übergingen und alles andere ausblendeten, sich ausschließlich auf ihr Gegenüber konzentrierend, war auch Jaken mit Ah-Un bei InuYasha angekommen und starrte ungläubig auf das sich bietende Schauspiel. Verwundert fragte er sich, was das für ein Tier sein mochte, in all der Zeit, die er nun schon lebte, hatte er weder so etwas gesehen noch davon gehört. Das Wesen hatte den Körper eines Löwen, der mit rotem Fell bedeckt war, sein Schwanz war der eines Skorpions, während sein Gesicht das eines Menschenmannes war, umrahmt von einer roten Mähne. Inochiyume hatte sich unterdessen aufgerichtet und war zurückgewichen, um ihrem Retter nicht in die Quere zu kommen. Sie war froh, dass sie dem Schatten im letzten Moment noch entkommen war, allerdings fragte sie sich auch, wieso ihr Retter sich überhaupt die Mühe gemacht hatte sie zu suchen, schließlich war es nichts Ungewöhnliches, dass sie in den Wald ging. Unter den aufmerksamen Blicken der schweigenden Beobachter war derweil der Kampf zwischen dem Monster und seinem Gegner ununterbrochen fortgesetzt worden, ohne dabei an Heftigkeit einzubüßen. Anders als die meisten Samurai benutzte der dunkelhaarige Krieger bei seinem Kampf nicht nur das Katana, um gegen die Bestie vorzugehen, sondern kämpfte mit Katana und Wakazashi gleichzeitig, um sich so gegen die vier krallenbewehrten Tatzen sowie den stachelbewehrten Schwanz des Tieres verteidigen zu können und zugleich seine Angriffsmöglichkeiten zu vergrößern. Die Bestie ihrerseits war keineswegs dumm, sondern schien tatsächlich über den Verstand eines Menschen zu verfügen und bei ihren Angriffen mit Bedacht vorzugehen. Dennoch konnte sie dem präzise und erbarmungslos geführten Daishō-Paar einige Male nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Das Tier revanchierte sich jedoch umgehend bei seinem Herausforderer, indem es ihn ebenfalls mit seinen Klauen verwundete. Je länger der Kampf jedoch dauerte, umso mehr schien es, als würde die Bestie aufgrund größerer Kraftreserven gewinnen. Die Bewegungen des Kriegers hatten nach und nach merklich an Kraft und Eleganz eingebüßt. Sein Atem ging immer heftiger, während er mehr und mehr in die Defensive gedrängt wurde und die Bestie mit ihm zu spielen schien. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis das Untier den Sieg davon tragen würde. Aber noch zögerte InuYasha in den Kampf einzugreifen, wäre es doch eine Beleidigung für die Kampffähigkeiten, den Stolz und die Ehre des Kriegers gewesen, für ihn zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte. Plötzlich strauchelte der Krieger und ging in die Knie, während das Ungeheuer seine Chance gekommen sah, den Mann zu töten. Genau in dem Augenblick, als das Tier mit einem kraftvollen Sprung auf den am Boden knienden Mann zuflog und InuYasha mit Tessaiga ausholte, um mit Hilfe der Windnarbe das Schlimmste zu verhindern, sprang der Krieger - plötzlich erstaunlicherweise wieder bei Kräften – auf, rannte auf die Bestie zu und stieß ihr sein Katana tief in die Brust. Noch in der gleichen Bewegung sprang er auch schon zur Seite, um nicht unter dem so abrupt in seinem Angriff gestoppten Tier begraben zu werden. Allerdings gelang es dem Mann nicht mehr rechtzeitig die letzten tödlichen Zuckungen des Skorpionschwanzes vollständig abzuwehren oder ihnen auszuweichen. Und so bohrte sich der giftgefüllte Stachel in den ungeschützten Oberarm des Kriegers, bevor die Bestie endgültig starb. Für einen langen Augenblick herrsche erstarrte Stille, als bräuchte jeder der Anwesenden noch einen Moment, um das Geschehen zu verarbeiten, dann jedoch trat der Krieger auf das tote Untier zu und drehte es mit seinem Fuß so, dass er sein Schwert herausziehen konnte. Gleichzeitig hatte Inochiyume vorsichtig den Raben neben ihrem Korb abgesetzt und war hastig zu dem Mann gelaufen, dabei erschrocken rufend: „Nicht bewegen!“ Augenblicklich erstarrten InuYasha und Jaken wieder in der Bewegung, die sich gerade den anderen Beiden hatten bemerkbar machen wollen und nun annahmen, es drohe weitere Gefahr. Der dunkelhaarige Mann hingegen reagierte allenfalls mit milder Neugier auf die Bemerkung des Mädchens, während er diesem gelassen entgegensah. Kaum bei ihm angekommen erklärte Inochiyume eilig: „Wenn du dich bewegst, Dono, verteilt sich das Gift schneller in deinem Körper. Wenn wir uns nicht beeilen, wirst du daran sterben.“ „Was hast du vor?“, war alles, was Haru darauf gleichmütig zu wissen verlangte und von Inochiyume daraufhin kurz und knapp die Möglichkeit erklärt bekam, die ihr zur Verfügung stand. Sobald Haru mit einem Nicken sein Einverständnis gegeben hatte, riss Inochiyume den durch den Kampf ohnehin bereits beschädigten Kleiderärmel so weit auf, dass sie die Stelle sehen konnte, an der das Tier zu gestochen hatte. Mit Hilfe eines kleinen Messers vergrößerte und vertiefte sie anschließend die Wunde, bis dunkles Blut hervortrat. Gleich darauf begann sie Gift und Blut aus der Wunde zu saugen, immer wieder eilig ausspuckend und sich im Stillen selbst ermahnend, nur nichts hinunter zu schlucken. Stoisch, ohne sich etwas anmerken zu lassen, dass darauf hinwies, ob die Prozedur für ihn in irgendeiner Form unangenehm sein mochte, ließ Haru die Behandlung über sich zu ergehen, noch immer das Schwert in der Hand haltend. Trotz der Wunden, die ihm das Untier zugefügt hatte, stand er hoch aufgerichtet und scheinbar entspannt da. Bis zu dem Moment, in dem InuYasha, der Tessaiga inzwischen wieder in die Scheide gesteckt hatte, gefolgt von Jaken, der Ah-Un am Zügel führte, aus dem Dickicht trat und auf die beiden Menschen zukam. Mit erstaunlicher Schnelligkeit hatte Haru Inochiyume hinter seinen Rücken geschoben und sich mit erhobenem Schwert den Fremden zugewandt, sie mit gespannter Aufmerksamkeit musternd. Da jedoch keines der drei merkwürdigen Wesen den Anschein erweckte kämpfen zu wollen, entspannte Haru sich wieder ein wenig, ohne in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Auch Inochiyume betrachtete neugierig die drei auf sie zukommenden Wesen und registrierte verblüfft deren ungewöhnliches Aussehen. Offenbar liefen zurzeit eine Menge seltsamer Gestalten in diesem Wald herum, aber anders als die Schattenbestie waren diese Drei anscheinend nicht hinter Menschenfleisch her. Während InuYasha zielstrebig auf die beiden Fremden zuschritt, starrte er äußerst konzentriert den dunkelhaarigen Krieger an. Seit dieser aufgetaucht war, hatte der Hanyō einen vertrauten Geruch in der Nase und obwohl er wusste, dass Sesshōmaru zurzeit ein Mensch war, da ihm sein Yōki entzogen worden war, konnte er es nun, da er seinen Bruder tatsächlich vor sich sah, nicht recht glauben. Dieser arrogante, Menschen verachtende Mistkerl von einem Dämon, war nun genau das, was er stets so verabscheut hatte und noch dazu schien ihm das Mädchen an seiner Seite – ein MENSCHEN-Mädchen wohlgemerkt, das mindestens doppelt so alt wie Rin war – keineswegs gleichgültig zu sein. Inuyasha wusste nicht recht, ob er angesichts der Situation, in die sein Bruder geraten war, schadenfroh grinsen sollte oder ob er sich größere Sorgen darüber machen sollte, wie Sesshōmaru reagieren würde, wenn er wieder ganz der Alte wäre. Sobald InuYasha bis auf eine Schwertlänge herangekommen war, richtete Haru warnend die Spitze seiner Waffe auf die Brust des Hanyō und fragte mit eisiger Ruhe: „Was wollt ihr?“ „Keh, dich dahin bringen, wohin du gehörst, Blödmann“, erwiderte InuYasha trotzig, während Jaken mit vor Ergriffenheit schwankender Stimme zur Begrüßung ein „Sesshōmaru-sama“ hervorbrachte und sichtlich Mühe hatte halbwegs seine Würde aufrecht zu erhalten. „Ich kenne euch nicht“, dieser mit kalter Gleichgültigkeit vorgebrachte Satz ließ Jaken die Augen groß werden, das Kinn fassungslos nach unten sacken und Tränen in seine Augen treten, obwohl er noch vor kurzem der Überzeugung gewesen war, für die nächsten Jahrhunderte genug geweint zu haben, als sie am See der Tränen gewesen waren. InuYasha hingegen wetterte ungehalten los, den ganzen angestauten Unmut der vergangenen Reise über dem ahnungslosen Haru auskippend: „Was soll das, du Idiot, wir sind zwei Mal quer durch das ganze verdammte Land gereist, um dich zu finden, damit du endlich wieder deine Schwerter und dein Yōki zurückbekommst und was tust du: Stellst dich hin und behauptest, nicht zu wissen wer wir sind!“ Gleichmütig hatte Haru diese wütende Tirade über sich ergehen lassen, nur der Ausdruck seiner Augen war immer eisiger geworden, während alles, was er zu den Worten InuYashas zu sagen hatte, war: „Du kläffst wie ein räudiger Köter, dem niemand Beachtung schenkt.“ „Du Mistkerl!“, knurrte InuYasha auf diese Beleidigung wütend, „du bist doch selbst ein Hund…“ Bevor die Situation noch weiter eskalieren konnte, trat Inochiyume hastig einen Schritt vor, um nicht mehr durch Harus Rücken verdeckt zu werden und fiel dem Hanyō mit der Bemerkung ins Wort: „Haru-dono kann sich an nichts erinnern, was vor der Zeit war, seit er ins Dorf gekommen ist.“ Das brachte ihr zunächst verdutzte Blicke von InuYasha und Jaken ein, bevor sich in ihren Augen Erkenntnis widerspiegelte, als ihnen wieder einfiel, dass Sesshōmaru mehr als seine Schwerter und sein Yōki verloren hatte. Von Haru hingegen erhielt Inochiyume für ihr eigenmächtiges Eingreifen keine Dankbarkeit, sondern ebenfalls nur einen eisig strafenden Blick, der zu besagen schien, dass sie sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen solle. Das Mädchen ließ sich davon jedoch nicht abschrecken, sondern fragte InuYasha stattdessen, ob er tatsächlich mit Haru-dono verwandt wäre. Im ersten Augenblick war der Angesprochene verwirrt, wer dieser Haru-dono sein sollte, bevor ihm einfiel, dass das braunhaarige Mädchen seinen Bruder bereits zuvor bei diesem Namen genannt hatte. Allerdings erklärte das nicht ihre Frage, so antwortete InuYasha seinerseits mit einer Frage: „Wie kommst du darauf, dass wir beide verwandt sind?“ Inochiyume lächelte, als sie erwiderte: „Ihr habt die gleichen Augen und wer sonst, als die eigene Familie, würde so viele Mühen auf sich nehmen, um einen einzelnen Menschen wieder zu finden – oder so unbekümmert mit ihm sprechen?“ „Keh, als ob sich wegen dem überhaupt jemand irgendeine Mühe machen würde“, brummte InuYasha daraufhin noch immer missmutig, wenn auch bereits etwas besänftigt. „Ihr habt sie Euch gemacht“, lautete Inochiyumes Entgegnung, auf die InuYasha keine Antwort einfallen wollte und er hilfesuchend zu seinem Bruder sah, ob er dem Mädchen nicht irgendwie das Gegenteil beweisen konnte. Sein Bruder jedoch mochte zwar sein Gedächtnis verloren haben, sein Verhalten allerdings war noch immer das Gleiche: Er schien keinerlei Absicht zu hegen, sich an diesem Gespräch zu beteiligen oder ihm noch länger beizuwohnen, denn statt irgendeine Bemerkung zu machen, wandte er sich einfach ab und verließ langsam die Lichtung, trotz der zum Teil noch blutenden Verletzungen nicht ein Quäntchen seiner Würde verlierend. Nur kurz hatten ihm die Zurückgelassenen nachgesehen, bevor sich Jaken hastig in Bewegung setzte, dabei seinem Herrn ein bittendes „Sesshōmaru-sama“ hinterher rufend und noch immer Ah-Un im Schlepptau hinter sich her zerrend. Inochiyume hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt, Korb und Rabe geholt und sich gleich darauf auf den Rückweg ins Dorf gemacht, dabei Haru und Jaken folgend. InuYasha indessen hatte die Vorgänge zunächst mit Verblüffung beobachtet. Wie schaffte es sein Bruder eigentlich immer, dass ihm jeder widerspruchslos hinterher lief und er noch nicht einmal ein Wort sagen musste? Wieso vertrauten ihm Jaken, Rin und jetzt diese junge Menschenfrau blindlings? Es ging über InuYashas Verstand. Aus reinem Trotz wartete er absichtlich etwas länger, um sich selbst der Illusion hingeben zu können, dass er nicht wie die Anderen einfach seinem Herrn Bruder hinterher dackelte, sondern selbst seinen Weg wählte. Aber schließlich machte er sich doch auf den Weg ins Dorf, schließlich gab es da noch das Problem mit Sōunga, dass sie nur gemeinsam lösen konnten. Dafür jedoch musste Sesshōmaru erst einmal wieder ganz er selbst werden. Im Dorf sorgte die Ankunft eines Hanyō, eines Kappa und eines zweiköpfigen Reitdrachen für einiges Aufsehen und einzig die Tatsache, dass Haru diese Gruppe anführte und Inochiyume völlig ruhig inmitten dieser Wesen ging, sorgte dafür, dass es keinen panischen Aufruhr gab, sondern sich die Leute nur verunsichert an die Hüttenwände pressten, um der kleinen Gruppe nicht im Weg zu sein und sich hinter vorgehaltener Hand Bemerkungen über die Fremden, die Wunden Harus und Inochiyumes Seltsamkeit zuflüsterten. Keiner der kleinen Gruppe schenkte dem Getuschel gesteigerte Aufmerksamkeit, nur die Ohren InuYashas zuckten hin und wieder unwillig, wenn er wieder einmal unfreiwillig eine der unfreundlicheren Bemerkungen zu hören bekommen hatte. Menschen waren doch überall gleich: Was sie nicht kannten, fürchteten sie und was sie nicht bekämpfen konnten oder verstanden, hassten sie. Er hatte wirklich Glück gehabt auf einige der wenigen Ausnahmen unter den Menschen zu stoßen und er würde bestimmt nicht zu lassen, dass seinen Freunden irgendetwas zustieß, auch wenn das hieß, dass er mit seinem ungeliebten Bruder zusammenarbeiten musste. Bei der Hütte von Ayako und ihrer Enkelin angekommen, verband Inochiyme zunächst die Wunden Harus und kümmerte sich anschließend um den gefundenen Raben, während Jaken Ah-Un versorgte und Ayako für alle Essen kochte. Sie hatte ebenso wie alle anderen Dörfler die Prozession mit einiger Verwunderung betrachtet, dann jedoch mit der ihr eigenen Fähigkeit die Dinge so zu nehmen, wie sie waren, sich nicht weiter damit aufgehalten über die ungewöhnlichen Vorgänge zu staunen, sondern stattdessen das Kommando übernommen und jedem erklärt, was er zu tun hatte – ob derjenige das nun hören wollte oder nicht. Da Haru in all der Zeit, die er nun bereits im Dorf lebte, nie ein großer Esser geworden war, sondern stets nur das unumgänglich Notwendige zu sich nahm, ließ es Ayako sich nicht nehmen ihn während des Essens stichelnd darauf aufmerksam zu machen, wie es aussah, wenn es jemand genoss zu essen, wobei sie mit einem wohlwollenden Lächeln InuYasha beobachtete, der aß, als hätte er seit Monaten nichts mehr zwischen die Zähne bekommen. Während des Essens erzählte Inochiyume ihrer Großmutter was im Wald vorgefallen war und wie sie InuYasha und dessen Begleiter getroffen hatten. Als das Mädchen von dem Tod des Schattens berichtete und dessen Aussehen beschrieb, brummte Ayako nachdenklich und wirkte einen Moment abwesend, als versuche sie sich an etwas lange Zurückliegendes zu erinnern, bevor sie schließlich erklärte, dass sie einmal von einem Gaijin eine Geschichte über menschenfressende Fabelwesen gehört hatte, auf die Inochiyumes Beschreibung passen würde. Der Fremde hatte diese bösartigen Wesen damals als Mantikore bezeichnet, warum so ein Wesen allerdings nach Japan gekommen war, blieb den Anwesenden unverständlich. Angesichts der Tatsache, dass sie die Lösung für diese Frage wohl nie erfahren würden und der Kadaver des Mantikors für niemanden mehr eine Bedrohung darstellte, wandte sich das Gespräch jedoch schnell anderen, wichtigeren Dingen zu. So ging es zunächst darum, warum Inuyasha und Jaken in das Dorf gekommen waren, wie sie herausgefunden hatten, dass sich Haru in diesem befand und warum sie den Krieger überhaupt gesucht hatten. Die beiden Gefragten wechselten sich bei der Beantwortung der Fragen ab und holten bei ihren Erzählungen sehr bald weiter aus, in der Hoffnung, dass Haru sich bei der Erwähnung von Rin, Naraku, dem Shikon no Tama, der ständigen Auseinandersetzungen der Brüder und der jüngsten Geschehnisse um Shiomari möglicherweise an sein früheres Leben wieder erinnern würde. Aber abgesehen davon, dass sie ein sehr aufmerksames Publikum hatten, das jedem ihrer Worte gespannt lauschte, blieben die Bemühungen der beiden Erzähler vollkommen erfolglos. Und so kam InuYasha schließlich zu der frustrierten Einsicht, dass ihnen wohl wirklich nichts anderes übrig bleiben würde, als Haru in die Nähe seines Tonfigurenersatzes zu bringen und letzteren zu zerstören, damit Sesshōmaru sich wieder daran erinnerte wer er war. „Aber vorher müssen wir noch zum Watari mono. Wenn wir das Refugium von Ōjidai zerstört haben, gehen wir zum Schloss des Westens, damit du endlich wieder normal wirst.“ „Wie wollt ihr diesen Ōjidai denn überhaupt finden?“, fragte Inochiyume neugierig geworden nach und erhielt von Haru, der bisher schweigend der Unterhaltung gelauscht hatte, die Antwort: „Wenn er tatsächlich hinter Tessaiga her ist, es uns gelingt das Refugium und seine Puppe zu zerstören, wird er ganz von allein bei uns auftauchen, um sich zu rächen.“ InuYasha und Jaken hatten im Stillen bei diesen Worten aufgeamtet, waren sie doch eindeutiges Zeichen dafür, dass Haru ihnen offenbar glaubte, sie begleiten und mit ihnen zusammenarbeiten würde – mochte er dies vermutlich auch nur deshalb tun, weil er sein Gedächtnis zurückgewinnen wollte. „Wenn ich euch richtig verstanden habe, verhält es sich mit diesem Ōjidai wie mit einem Hanyō: Er ist weder das Eine noch das Andere und keiner hält es für richtig, dass er lebt“, schaltete sich Ayako nun wieder mit gleichmütiger Stimme in das Gespräch ein und erhielt für diese Worte einen ungehaltenen Blick InuYashas. „Keh, er ist mit Sicherheit nicht wie ich! Schließlich bring ich nicht einfach irgendwelche Leute für ein paar magische Schwerter um!“ „Aber ich nehme an, du tötest diejenigen, die im Besitz der Juwelensplitter sind, von denen du vorhin gesprochen hast“, konterte Ayako ruhig auf die zornig vorgebrachten Worte des Hanyō, der darauf nur mit einem unwilligen Laut reagierte, bevor er verunsichert den Kopf abwandte. War er wirklich wie Ōjidai? Hatte Sesshōmaru all die Zeit mit der Behauptung Recht gehabt, dass er, Inuyasha, den Tod verdiente? Hatte er auf seiner Jagd nach dem Juwel wirklich begonnen sinnlos zu morden? Und wenn dem so war, hatte er dann ein Recht Ōjidai zu verurteilen, durfte er ihn töten, nur weil dieser nie etwas anderes gelernt hatte, als dass nur der Stärkste überlebte und man diese Stellung gezwungen war immer und immer wieder aufs Neue zu verteidigen, mit allen Mitteln die einem zur Verfügung standen, wollte man nicht selbst derjenige sein, der starb? Während InuYasha in nachdenklichem Schweigen versunken vor sich hin starrte, hatte sich Jaken bei den beiden Gastgeberinnen erkundigt, ob diese wussten, wo sich der Watari mono befand. Die Frauen nickten darauf beinahe synchron und Inochiyume fügte anschließend hinzu: Er ist vom Dorf aus in einem halben Tag zu erreichen, aber die wenigsten gehen dort hin, weil die Spitze des Berges immer wieder völlig unerklärlich verschwindet und man den Gipfel nur erreicht, wenn man eine zeitlang im Inneren des Berges entlang geht.“ Jaken sah das Mädchen verständnislos an; dass die Leute angesichts des auftauchenden und wieder verschwindenden Refugiums Ōjidais Angst verspürten, war verständlich. Aber was war so gefährlich daran, das Innere eines Berges zu durchqueren, zumal für Leute die im Gebirge lebten und sich darin auskannten? Bevor Jaken die Frage laut aussprechen konnte, beantwortete Ayako diese bereits mit den Worten: „In dem Berg hausen Wesen, die auf ihre Art genauso böse und vermutlich sogar noch gefährlicher sind, als der Mantikor aus dem Wald.“ Beunruhigt warf Jaken einen Blick auf Haru und InuYasha, würden ihre Kräfte ausreichen, um dieser Gefahr begegnen zu können? Andererseits hatten er und der Hanyō bereits dem falschen Sesshōmaru und dessen Lakaien erfolgreich Trotz geboten, sie würden sicher auch diese Hürde nehmen – und nehmen müssen, wenn alles wieder in Ordnung kommen sollte. Da Jaken schließlich erwartungs- und vertrauensvoll zu Haru aufsah, anscheinend der Meinung, dieser solle die Führung übernehmen und Haru absolut nichts gegen diese Ansicht einzuwenden hatte, äußerte der Krieger in abschließendem Tonfall knapp und entschieden: „Wir brechen morgen Früh bei Sonnenaufgang auf.“ Der Kappa nickte darauf zustimmend, während InuYasha noch immer vollauf mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein schien und Ayako erklärte: „Nehmt Yume-chan mit, sie kennt sich im Gebirge aus und wird euch den kürzesten Weg zeigen können.“ Bei diesen Worten sah Inochiyume ihre Großmutter mit erschrockener Verblüffung an. Jaken hingegen fand die Idee, einen fähigen Führer in den Bergen dabei zu haben, durchaus vernünftig, während Haru sich ein schweigendes Blickduell mit Ayako lieferte, das diese schließlich unter dem Vorwand ihre Pfeife neu zu stopfen abbrach, nachdem sie zuvor noch sehr bestimmt an ihren Kontrahenten gewandt befohlen hatte: „Du wirst auf sie aufpassen!“ Der dunkelhaarige Krieger zeigte wie stets keinerlei Reaktion darauf, weder lehnte er es ab, noch stimmte er zu, stattdessen erhob er sich lediglich wortlos, um in den Palast zurückzukehren. Da auch Inochiyume wieder an ihre Arbeit musste, liefen die Beiden bald darauf nebeneinander in Richtung Schloss, ohne dabei auch nur ein Wort zu wechseln. Haru schwieg, weil er es ohnehin nur selten für notwendig hielt etwas zu sagen und Inochiyume schwieg, weil sie vollauf damit beschäftigt war, sich zum einen Sorgen über den folgenden Tag zu machen und zum anderen im Geist eine Liste der Dinge anfertigte, die es galt bis zum Aufbruch ihrer Expedition noch zu erledigen. Kurz bevor sich ihrer beider Wege trennten, kehrte Inochiyume wieder in die Gegenwart zurück, sah zu ihrem Begleiter auf und erklärte etwas verlegen: „Ich habe mich noch gar nicht für die Hilfe im Wald bedankt…“ Gleich nachdem sie diese Bemerkung vorgebracht hatte, blieb sie stehen, verbeugte sich und äußerte: „Vielen Dank für Eure Hilfe, Haru-dono.“ Sobald sie sich wieder aufgerichtet hatte, ließ Inochiyume ihren Worten ein dankbares Lächeln folgen, das auf Haru allerdings keinen sonderlichen Eindruck zu machen schien, denn er erwiderte nur gleichmütig: „Ich habe lediglich meine Schuld beglichen.“ Bei diesen Worten sah Inochiyume ihn erstaunt an und echote verwirrt: „Eure Schuld?“ „Du hast mir das Leben gerettet, ich habe deines gerettet, damit sind wir quitt“, erklärte Haru mit gleichmütiger Ruhe sein Verhalten. Inochiyume fühlte sich gekrängt, als sie hörte, dass Haru tatsächlich zu glauben schien, er sei ihr etwas schuldig, für eine Sache, die für sie doch eine Selbstverständlichkeit gewesen war, und zugleich war sie seltsam enttäuscht von seiner Gleichgültigkeit. Schließlich erwiderte sie mit kühlem Ernst, bemüht ebenso ruhig und unbewegt wie er zu erscheinen, um sich keine Blöße zu geben: „Dann werde ich mich morgen besser nicht auf Eure Hilfe verlassen, dono“, anschließend verneigte sie sich erneut höflich, wandte sich ab und ging. Diese abrupte Reaktion hatte zur Folge, dass sich für einen winzigen Moment Verblüffung im Gesicht Harus abzeichnete, bevor er sich wieder gänzlich unter Kontrolle hatte und sich auf den Weg in die Soldatenunterkünfte machte, das seltsame Verhalten Inochiyumes schlicht als eine weitere weibliche Merkwürdigkeit abhakend. Unterdessen waren die unerwarteten Gäste bei Ayako zurückgeblieben und hatten nicht viel mehr zu tun, als darauf zu warten, dass die Zeit verging. InuYasha hatte sich etwas abseits von den Anderen außerhalb der Hütte niedergelassen, ignorierte die neugierigen Blicke und das Getuschel der vorbeikommenden Dörfler und versuchte noch immer sich darüber klar zu werden, ob er tatsächlich so skrupel- und ehrlos war, wie Ayako es angedeutet hatte. Diese hatte den Hanyō eine Zeitlang nur schweigend beobachtet. Schließlich konnte sie es jedoch nicht mehr mit ansehen, wie dieser so jung wirkende Halbdämon verbissen schweigend dasaß und schon nicht mehr nur Löcher, sondern bereits bodenlose Tiefen in die Luft starrte. Langsam, mit steifen Gliedern und krummem Rücken schlurfte Ayako zu dem Hanyō hinüber, blieb auf ihren Stock gestützt neben ihm stehen und fragte, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war: „Sag mir, InuYasha, diejenigen, die du getötet hast, hast du sie oder haben sie dich angegriffen?“ Unwillig zuckte der Angesprochene mit den Schultern, antwortete aber dennoch: „Das war unterschiedlich.“ „Und wenn du sie angegriffen hast, hast du es dann getan, weil du es wolltest, weil du Vergnügen daran gefunden hast oder weil es keine andere Möglichkeit gab?“ InuYasha blieb die Antwort auf diese Frage schuldig, denn er wusste nur zu gut, dass er durchaus nicht nur kämpfte, um sich zu verteidigen und zu überleben. Sondern auch weil er es genoss im Kampf seine Kräfte mit denen des Gegners zu messen, seine Grenzen auszutesten und stärker zu werden. „Hast du es genossen zu töten?“, fuhr Ayako unterdessen in ihrem erbarmungslosen Verhör fort, erhielt auf diese in gleichmütigem Ton gestellte Frage einen scheelen Seitenblick InuYashas und erneutes Schweigen, während der Hanyō über diese weitere Frage nachdachte. Hatte er es genossen zu töten? … Nein, nicht wenn er bei klarem Verstand und nicht von seinem Dämonenblut kontrolliert wurde. Wenn er getötet hatte, dann weil es notwendig gewesen war, um sich und seine Freunde zu schützen. Er hatte bereits zu viele Tote gesehen und gerochen, als dass er hätte Befriedigung dabei empfinden können. Es hatte Gegner gegeben, bei denen war er erleichtert gewesen, als der Kampf vorbei gewesen war, bei denen er stolz gewesen war, dass er in der Lage gewesen war, sie zu besiegen. Aber Befriedigung darüber jemanden getötet zu haben, hatte er bisher nie empfunden – was sich bei Naraku vielleicht ändern mochte, wenn er diesen Mistkerl endlich erledigt hatte. Ebenso wenig wie Befriedigung hatte er allerdings auch nie Reue verspürt, vielleicht weil er instinktiv wusste, dass ihn dies im nächsten Kampf im entscheidenden Moment den Vorteil und das Leben kosten konnte, vielleicht weil in dieser Frage das Dämonenblut in ihm die Oberhand behielt. Schweigend hatte Ayako neben InuYasha gestanden und dessen sprechendes Mienenspiel beobachtet. Es war seltsam, dass dieser Junge etwa viermal so alt sein mochte wie sie und bei ihr doch den Eindruck hinterließ ein unerfahrener Hitzkopf zu sein, der keine Ahnung vom Leben hatte und dem man beinahe jede Empfindung von der Nasenspitze ablesen konnte. Nachdem zwischen den Beiden eine lange Zeit Stille geherrscht. hatte, begann Ayako mit einem Lächeln und ruhiger Stimme erneut zu sprechen „Ich werde dir ein Geheimnis verraten, InuYasha. Es gibt im Leben Situationen, in denen sind Kategorien wie ‚gut und böse’, ‚richtig und falsch’, ‚ehrlos und ehrenhaft’ vollkommen ohne Bedeutung und gänzlich fehl am Platz. Manchmal zählt nur, dass man überlebt, sich nicht kampflos geschlagen gibt und hinterher lernt, dass, was geschehen ist, zu akzeptieren. Wenn du wirklich überzeugt bist, dass es notwendig ist diesen Ōjidai aufzuhalten und es keinen anderen Weg gibt, als ihn zu töten, weil es zu gefährlich ist ihn weiter tun zu lassen, was er will, dann töte ihn und lebe mit den Konsequenzen. Wenn du aber nur den kleinsten Zweifel hegst, dann lass es bleiben, dann nimm Haru morgen mit in die Ebene und vergiss, dass du je etwas von Ōjidai und Sōunga gehört hast.“ „Keh, du machst es dir reichlich einfach, Bābā“, erwiderte InuYasha darauf wegwerfend und erhielt von Ayako die Antwort: „Das Leben ist für uns Menschen zu kurz und auch so schon kompliziert genug, als dass wir Schwierigkeiten noch künstlich herbei reden müssten.“ Daraufhin wandte sie sich ab und schlurfte langsam zur Hütte zurück, den Hanyō wieder sich selbst und seinen Gedanken überlassend. Kapitel 19: Die im Dunkeln -------------------------- InuYasha hatte die Nacht damit zugebracht, über die Worte Ayakos nachzugrübeln, während in der Hütte die alte Frau und Jaken um die Wette schnarchten und es jeden nur verwundern konnte, wie es Inochiyume gelang bei einem solchen Lärm überhaupt zu schlafen. Jeden, außer InuYasha, der gegen Morgen schließlich zu dem Entschluss kam, dass er zu Ende bringen musste, was er angefangen hatte, alles andere hätte zu sehr nach aufgeben und Schwäche ausgesehen. Und obwohl er mehr als nur versucht war, seinen arroganten Herrn Halbbruder weiterhin das sein zu lassen, was er so sehr verachtete, ließen sowohl sein Gerechtigkeitsempfinden als auch ein gewisser Familienstolz und die Tatsache, dass da immer noch das Problem mit Sōunga wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebte, nicht zu, dass er diese Möglichkeit ernsthaft gedachte in die Tat umzusetzen. Das Höllenschwert hatte bereits einmal beinahe für eine Katastrophe gesorgt, ein zweiter, erfolgreicher Versuch musste nun wirklich nicht sein. Dazu kam, dass, nach den Worten Ryōeichis zu urteilen, Ōjidai alt und wissend genug sein müsste, um sich sehr wohl bewusst zu sein, was für Schaden Sōunga anrichten konnte, wenn man nicht über genügend Macht verfügte, sich gegen dessen Willen durchzusetzen. Abgesehen davon, nahm InuYasha es diesem Kerl entschieden übel, dass er versucht hatte ihn mit Hilfe einer dämlichen Tonpuppe umzubringen. Diese Art sich einen Gegner mit Hilfe eines Handlangers vom Hals schaffen zu wollen, erinnerte ihn viel zu sehr an Naraku, als dass er hätte noch unbeteiligt darüber hinweg sehen können. Und so versammelte sich früh am nächsten Morgen, an dem Ausgang des Dorfes, von wo der Weg weiter hinauf ins Gebirge führte, ein kleines Grüppchen, bestehend aus zwei Menschen, einem Hanyō und einem Kappa. Ohne sich mit langem Gerede aufzuhalten, brachen diese vier Personen bald darauf in Richtung des Watari mono auf. Da Inochiyume sich in den Bergen am besten auskannte und die anderen Drei führen sollte, ging sie voran, gefolgt von Haru, Jaken und InuYasha. Auf ihrem Rücken trug das Mädchen ein gut verschnürtes Bündel, in dem sich neben Wasser und Nahrung, alle möglichen anderen Dinge befanden, die für eine Wanderung in den Bergen notwendig waren oder nützlich werden konnten, sowie zwei Fackeln für den späteren Gang durch das Berginnere. In einer Hand trug Inochiyume einen einfachen Käfig, in dem drei unauffällig braune Singvögel saßen, die als Einzige der Gruppe des Öfteren längere Unterhaltungen zu führen schienen. Die Wege, die das Mädchen ihre Begleiter führte, waren nicht gerade bequem zu nennen, häufig waren es nicht mehr als schmale Trampelpfade, die auf beiden Seiten häufig von hoch aufragenden Felsen eingeklemmt wurden und das mulmige Gefühl aufkommen ließen, jeden Moment zwischen diesen Wänden zerquetscht zu werden, wenn sie nur eine Winzigkeit enger zusammengeschoben werden würden. Dann wieder verlief der Weg als schmaler Sims an Felswänden entlang, die in schwindelerregende Tiefe abfielen und wo der kleinste Fehltritt den sicheren Tod bedeutet hätte. Manches Mal hatte Inochiyume Mühe Felsen zu erklimmen, weil sie im Gegensatz zu ihren Begleitern nur eine Hand zum Klettern frei hatte, allerdings murrte keiner ihrer Begleiter ungeduldig darüber, waren sie doch auf ihre Hilfe angewiesen und war Inochiyume geübt genug darin sich in den Bergen zu bewegen, dass sie stets eine Möglichkeit fand die Hürden zu überwinden, ohne die Gruppe zu lang aufzuhalten. Jaken hatte aufgrund seiner Größe ebenfalls immer wieder Schwierigkeiten mit dem Vorwärtskommen, sodass InuYasha, der hinter ihm ging, ihn hin und wieder am Kragen packte und kurzerhand die Felsen hinauf warf. Was bei Jaken auf wenig Gegenliebe stieß, waren die Landungen doch nicht nur unsanft, sondern wurde auch sein Stolz in Mitleidenschaft gezogen, aber das war nicht zu ändern. Einmal legten sie eine kurze Rast ein, in der sie sich von der anstrengenden Kletterei erholten und etwas aßen, bevor sie ihren Weg bergauf fortsetzten und schließlich an eine Stelle gelangten, an der der Weg – beziehungsweise das, was sie als solchen benutzt hatten – abrupt endete, da eine zerklüftete Felswand steil vor ihnen aufragte. Mitten in dieser Felswand, nur nach einiger Kletterei zu erreichen, gähnte ein riesiges, dunkles Loch, das sich vermutlich im Inneren des Berges als Gang fortsetzte, was von außen jedoch nicht zu erkennen war. Schweigend stand die kleine Gruppe einen Moment vor der Felswand, ehe Inochiyume sich zaghaft erkundigte: „Seid ihr sicher, dass ihr da hinein wollt?“ Sie erhielt auf ihre Frage nur ein entschiedenes Nicken als Antwort. „Also gut“, murmelte das Mädchen, holte tief Luft, um sich selbst Mut zu machen und erklärte dann: „Wenn wir im Inneren des Berges sind, dürft ihr nicht zurückbleiben und nicht auf das Flüstern hören, das von den Wänden kommen könnte und ihr müsst aufpassen, dass die Fackeln nicht ausgehen.“ Nachdem sie diese Verhaltensregeln aufgezählt hatte, wandte Inochiyume sich wieder dem Höhleneingang zu und starrte einen Moment verunsichert hinauf, während sie sich in alter Gewohnheit auf die Unterlippe biss. Sie wollte da wirklich nicht hinein, ebenso wenig, wie sie wollte, dass einer ihrer Begleiter in die Reichweite der Schwärzlinge gelangte. Jeder Nerv in ihrem Körper schien ihr zu zuschreien, dass dieses Vorhaben viel zu gefährlich war und sie besser wieder umkehren sollten. Ihren Begleitern waren solche Gedanken und Ängste anscheinend gänzlich unbekannt, denn sie strebten bereits demonstrativ auf das Loch in der Felswand zu. Also ergab sich Inochiyume in ihr unvermeidliches Schicksal, und folgte ihren Begleitern hinauf zum Höhleneingang. Dort angekommen setzte die junge Frau ihr Bündel ab und holte die beiden mitgebrachten Fackeln hervor, die sie mit Hilfe von Zunder und Feuerstein zum Brennen brachte. Eine der Fackeln überließ sie anschließend InuYasha, während sie selbst, das Bündel wieder auf den Rücken gebunden, nun in der einen Hand den Vogelkäfig und in der anderen die zweite Fackel hielt. Anschließend machten sich die Vier auf den Weg in den Berg hinein, Inochiyume erneut die Führung übernehmend. Während sie sich durch steinernes Halbdunkel ihren Weg zum Gipfel suchten, regte das Mädchen durch Pfeifen immer wieder die Vögel zum Singen an, um durch diese Art Lärm die Schwärzlinge fernzuhalten. Ihr Weg führte sie zunächst immer tiefer in den Bauch der Erde hinein, um mannshohe Felsbrocken herum, die aus den Gangwänden gebrochen waren, durch schmale, niedrige Gänge und Abschnitte, in denen man erstaunlich bequem laufen konnte, sofern man nicht auf Nimmerwiedersehen in die plötzlich im Boden auftauchenden Löcher fiel. Erst nach einer ganzen Weile änderte sich die Richtung der labyrinthartig gewundenen Gänge, sodass es nun eindeutig wieder bergauf ging und die Wanderer davon ausgehen konnten, dass sie sich allmählich tatsächlich dem Gipfel näherten. Die ganze Zeit über herrschte angespanntes Schweigen, war nur das Zwitschern der Vögel, das gelegentliche Pfeifen Inochiyumes und das Knirschen ihrer Schritte zu hören, sodass sich InuYasha ernsthaft nach seinen Freunden zu sehnen begann, mit denen der Aufstieg zwar auch nicht leichter, mit Sicherheit aber um einiges angenehmer gewesen wäre. Er konnte die Anspannung und Furcht Inochiyumes riechen, nahm allerdings nichts war, was dieser Furcht irgendeine Berechtigung gegeben hätte. Weder waren die angekündigten Stimmen zu hören, noch war sonst irgendetwas auffällig ungewöhnlich. Abgesehen von der Tatsache, dass sich die Luft, trotzdem sie immer weiter dem Ausgang in Gipfelnähe entgegengingen, kein bisschen verbesserte. Es war noch nicht einmal der Hauch eines Luftzugs zu spüren, der einen nahenden Ausgang ankündigte. Egal wie lang sie auch liefen, die Luft blieb stets gleich abgestanden, trocken und auf schwer zu beschreibende Art wattig, als würde man versuchen am Grund eines Sees entlang zu laufen, nur dass eben die Nässe fehlte. Schließlich verbreiterte sich der Gang, dem sie seit einer geraumen Weile im Gänsemarsch folgten, zu einer mittelgroßen Höhle, bei der es sich erneut um eine Sackgasse zu handeln schien, denn abgesehen von dem Weg, den die kleine Gruppe gekommen war, führte kein Weg aus dieser Höhle heraus. „Bist du sicher, dass wir hier richtig sind und du nicht irgendwo falsch abgebogen bist?“, erkundigte sich InuYasha skeptisch bei ihrer Führerin, während er ebenso kritisch und gründlich wie Haru und Jaken die Wände der Höhle musterte, in der Hoffnung vielleicht doch noch einen Ausgang zu entdecken. Doch so wie es aussah, war da nichts anderes als massiver Stein. „Nein, wir haben uns nicht verirrt“, widersprach Inochiyume unterdessen dem Hanyō und wies auf die Wand, die sich dem Ende des Ganges schräg gegenüber befand, während sie zugleich erklärte: „Normalerweise ist dort ein Ausgang, über den man wieder nach draußen und auf ein Plateau gelangt, dass knapp unterhalb des Gipfels liegt.“ Dass dieser Ausgang verschlossen war, konnte dann wohl nur daran liegen, dass Ōjidai sein Refugium auf dem Berg ‚geparkt’ hatte, dachte sich InuYasha und trat näher an die Wand heran, wo sich sonst der Ausgang befand. Als er die Hand ausstreckte, um den Stein zu berühren, erklang plötzlich ein kurzes, trockenes Knistern, während sich im nächsten Moment der Fels zu verändern schien, wie Nebel waberte und sich gierig nach InuYasha auszustrecken schien, als wollte er diesen verschlingen. Überrascht fuhr der Hanyō zurück und legte die Hand um den Griff von Tessaiga, obwohl er bereits mehrmals erfahren hatte, dass das Schwert gegen einen Nebel aus Mak Ba’el rein gar nichts ausrichten konnte. Dennoch schien InuYasha einen Plan zu haben, wie er gegen dieses Hindernis vorgehen wollte, denn während er Tessaiga aus seiner Scheide zog, befahl er seinen drei Begleitern, sie sollten sich in den Gang zurückziehen, damit sie nicht versehentlich durch die Macht Tessaigas verletzt würden. Erstaunlicherweise kam selbst Haru dieser Aufforderung widerspruchslos nach, während Inochiyume und Jaken gleich darauf erstaunt verfolgten, wie Inuyasha begann unablässig ein Kaze no Kizu nach dem anderen auf die Nebelwand zu schleudern, die diese gierig verschlang, ohne davon weiter beeindruckt zu sein oder InuYasha den Gefallen zu tun und sich aufzulösen. Inochiyume war verblüfft, weil sie so ein Schwert zuvor noch nie zu Gesicht bekommen hatte, Jaken irritiert, weil der Hanyō trotz der Erfahrungen, die er bereits mit dieser Art Nebel gesammelt hatte, noch immer nichts dazu gelernt zu haben schien. Als er sich jedoch entsprechend zweifelnd äußerte, ohne sich dabei an jemanden Bestimmten zu wenden, erhielt er von unerwarteter Seite eine mögliche Erklärung für das Vorgehen des Halbdämons. „Wenn Ōjidai tatsächlich die Mak Ba’el-Quelle des Nebels ist und zurzeit in der Hölle, dann ist die Stärke des Nebels Yōkiangriffe zu kompensieren begrenzt. Was bedeutet, dass nach den Ausführungen des Drachen, so wie du sie wiedergegeben hast, der Nebel sehr wahrscheinlich kollabieren wird, wenn es InuYasha gelingt genügend Yōki freizusetzen und das Gleichgewicht aus Yōki und Genki stark genug zu stören.“ Vollkommen gleichmütig hatte Haru diese Erklärung hervorgebracht, während er gelassen die Bemühungen InuYashas verfolgte. Den ihn aus großen Augen verblüfft anstarrenden Kappa ignorierte er, ohne sich im Geringsten der Tatsache bewusst zu sein, dass er gerade das Tun seines missratenen Halbbruders offiziell abgesegnet hatte. Ob InuYasha tatsächlich genau die gleichen Gedanken wie Haru gehegt hatte, blieb unklar, dafür wurde bald deutlich, dass der Plan aufzugehen schien. Nachdem der Nebel anfangs gierig die freigesetzte dämonische Energie verschlungen hatte, begann diese nun in den Nebel einzudringen, ohne dass dieser noch in der Lage zu sein schien, die Angriffe zu absorbieren. Immer wieder zuckten nun dünne, goldweiße Lichtadern durch die dunkle Nebelmasse, zerstörten auch den letzten Eindruck, dass es sich bei dieser um eine Steinwand handelte und begannen sich schließlich entlang einer vertikalen Linie in einer feinen Verästelung über die ganze Höhe der Nebelwand anzuordnen. Als InuYasha diese Veränderung bemerkte, hielt er für einen Moment in seinem Vorgehen inne, schien einen Moment zu überlegen, aktivierte dann entschlossen das rote Tessaiga und sandte erneut eine letzte Energiewelle los, in der er alle ihm noch zur Verfügung stehende Kraft konzentrierte. Zunächst schien nichts weiter zu geschehen, als dass die rote Energie Tessaigas auf die weißgoldene vertikale Verästelung im Nebel traf, lautlos in sie eindrang und verschluckt wurde. „Keh“, äußerte InuYasha mit enttäuschter Verärgerung, bevor er erneut Tessaiga hob um einen weiteren Versuch zu wagen, nicht bereit so einfach aufzugeben, auch wenn er die Folgen der unablässigen Angriffe auf den Nebel inzwischen ziemlich deutlich zu spüren bekam, viel Kraft war ihm nicht mehr verblieben. Da jedoch begann plötzlich der Nebel entlang der weißgoldenen Linie lautlos und so langsam, dass man vor Ungeduld ganz nervös werden konnte, wie ein Stück alten Stoffs aufzureißen. Auf diese Weise einen Spalt bildend, der von ausgefransten, schlapp herabhängenden Stoffbahnen gesäumt schien. Es wirkte enttäuschend unspektakulär. Als InuYasha jedoch, nachdem er Tessaiga vorerst wieder in dessen Scheide zurückgeschoben hatte, erneut neugierig auf die nun aufgerissene Nebelwand zutrat, um durch den Spalt vielleicht einen Blick in das Innere des Refugiums werfen zu können, beziehungsweise um herauszufinden, ob sich hinter dem Nebel der Weg nach draußen tatsächlich fortsetzte, schienen die zuvor leblos herabhängenden Nebelstreifen plötzlich wieder zu neuem Leben zu erwachen und versuchten erneut sich um den Hanyō zu schlingen, wobei weißgoldene Lichtadern durch die Dunkelheit des Nebels zuckten und heftige Schmerzen verursachten, wenn sie auf die Haut InuYashas trafen. Offenbar bekam dieser Nebel, trotz der Tatsache, dass er die dämonische Energie nicht mehr ausgleichen konnte, nicht genug davon, sie in sich aufzusaugen. Unwillkürlich zuckte der Halbdämon bei dieser Abwehreaktion zurück und war versucht auch das letzte bisschen Yōki, über das er im Moment noch verfügte, in diesen Nebel zu jagen, um ihm endgültig in Wohlgefallen aufzulösen. Unterdessen waren auch seine drei Begleiter zu ihm heran getreten und der Nebel interessierte sich nun nicht mehr nur für InuYasha, sondern auch für Jaken, der eilig einige Schritte zurücktrat, sich so außer Reichweite und in Sicherheit vor dem Nebel bringend. Haru und Inochiyume schien der Nebel hingegen nicht einmal zu bemerken, als würden sie für ihn nicht existieren. Offenbar war Ōjidai der Ansicht, dass Menschen zu schwach und unbedeutend waren, als dass sie etwas gegen irgendeine Form von Mak Ba’el hätten ausrichten können. Was durchaus der Wahrheit entsprach, ohne die Hilfe InuYashas wäre es weder Haru noch Inochiyume möglich gewesen, gegen den Nebel etwas auszurichten. Aufmerksam hatte Haru den Nebel und dessen Reaktion auf jede noch so schwache Form von Yōki beobachtet, befahl schließlich gleichmütig: „Wartet hier“, trat gleich darauf, ohne auf eine Antwort zu warten oder auf die ungehaltenen Proteste InuYashas zu reagieren, durch den Spalt hindurch und war im nächsten Moment verschwunden. „Keh, dieser Idiot, was will er schon allein ausrichten“, grummelte InuYasha missmutig vor sich hin, unternahm jedoch keinen Versuch seinem Bruder zu folgen, sondern schien vorerst bereit auf dessen Rückkehr zu warten. Er hatte sich gerade von dem Nebel abgewandt, sich nach einem halbwegs bequemen Platz zum Sitzen umsehend, als seine empfindlichen Ohren ein seltsames Geräusch vernahmen, das sich bald zu einem unablässigen Flüstern auswuchs. Dieses Flüstern war bar aller verständlichen Worte und gerade deshalb faszinierend, weil man sich umso mehr darauf konzentrierte, je unverständlicher die Worte erschienen, in der Hoffnung, doch noch ihre Bedeutung herauszufinden. Je länger und intensiver der Hanyō diesem Flüstern lauschte, um es zu verstehen und herauszufinden von wo es kam, umso mehr vergaß er alles um sich herum, stand vollkommen hypnotisiert da und überließ sich diesem leisen, unablässigen Murmeln. Er merkte nicht, wie er sich schließlich willenlos in Bewegung setzte, um dem Raunen entgegen zu gehen, wie ein Schlafwandler. Er sah nicht, wie Jaken ihn erstaunt musterte, der offenbar nichts hörte und wie Inochiyume im ersten Moment erschrocken erstarrte, bevor sie sich ihm hastig in den Weg stellte und zunächst versuchte ihn aus seiner Trance zu wecken, indem sie ihn an den Schultern schüttelte. Als er darauf nicht reagierte, schlug sie ihm mehrmals heftig ins Gesicht, ihn immer wieder auffordernd aufzuwachen und nicht auf das Flüstern zu hören. Schließlich hatte sie Erfolg. Etwas benommen und mit brennenden Wangen, sah der Halbdämon das Mädchen vor sich an und schien es tatsächlich wahrzunehmen, während er verwirrt fragte: „Was ist passiert?“ Wieder biss sich Inochiyume auf die Lippe, unsicher und besorgt, bevor sie ihrerseits erst einmal fragte: „Habt ihr bis eben etwas gehört?“ InuYasha nickte, noch immer darum bemüht die letzten Spinnweben des hypnotisierenden Flüsterns loszuwerden. „Ich glaube, es liegt daran, dass Ihr von uns das feinste Gehör besitzt. Ihr habt die Schwärzlinge gehört, bevor wir sie wahrnehmen konnten…“ Inochiyume schien allein schon während sie die Worte aussprach um einiges unruhiger und angespannter zu werden, während ihr Blick unwillkürlich zu dem abgestellten Vogelkäfig huschte, in dem die braunen Singvögel noch immer vor sich hin zwitscherten. Aber wer wusste, wie weit die Schwärzlinge noch entfernt waren, bis auch die Vögel nichts mehr gegen sie ausrichten konnten. „Ihr dürft nicht auf sie hören, egal was sie flüstern, ihr dürft nicht auf sie hören“, Inochiyume klang beschwörend, während sie diese Mahnung erneut an Jaken und InuYasha richtete, die darauf nur bestätigend nickten. Für einen Moment herrschte angespanntes Schweigen, bevor Inochchiyume den zaghaften Vorschlag machte: „Vielleicht wäre es besser, wenn wir versuchen würden auch durch den Nebel zu gehen. Glaubt ihr, ihr könnt das schaffen?“ Nachdenklich starrte InuYasha kurz auf das Hindernis vor dem Ausgang, während Jaken eindeutig gegen diesen Vorschlag zu sein schien, denn zum einen hatte Haru ihnen befohlen zu warten, zum anderen hatte ihm das eine Mal, das er mit dem Nebel in Berührung gekommen war, vollauf genügt. Der Hanyō hingegen schien anderer Ansicht zu sein und nur zu bereit, es zu versuchen. Wofür wohl sowohl Neugier, was sich hinter dem Nebel verbergen mochte, als auch Trotz gegenüber seinem Bruder verantwortlich waren. Doch sie sollten nie dazu kommen, ihre Absicht in die Tat umzusetzen. Inochiyume hatte gerade wieder den Käfig mit den Vögeln aufgenommen, die von einem Moment zum anderen zuerst vollkommen verstummt waren und dann in ein hektisches Gekreisch ausbrachen, als gälte es mit so großen Lärm wie möglich einen überlegenen Feind zu vertreiben. Unterdessen trat InuYasha zum wiederholten Mal auf den Nebel zu, der sich bereits wieder in Erwartung des Hanyō zu regen begann, als es ihn und seine beiden Begleiter unerwartet und mit voller Wucht traf. So heftig, dass das Gekreisch der Vögel ebenso plötzlich verstummte, wie es begonnen hatte und sich die Tiere in ängstlichem Schweigen, zitternd an einander schmiegten, während Inochiyume und Jaken mit einem erstickten Keuchen in die Knie gingen und nur die lähmende Heftigkeit des Angriffs verhinderte, dass sie gepeinigt aufschrien. InuYasha war trotz des Schmerzes, den er spürte, nicht zusammengebrochen, sondern im gleichen Moment, als die anderen Beiden zusammenbrachen, herumgefahren, seine Hand bereits am Griff Tessaigas. Nur, da war nichts, was er hätte angreifen können. Hinter ihm befanden sich nur Inochiyume und Jaken, die der unausgesetzt herantobenden und über ihnen zusammenschlagenden Aggressivität keinen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen hatten. Die Fackel, die sie zurückbehalten hatten, war zu Boden gefallen, brannte jedoch noch ruhig vor sich hin. Die Vögel hingegen hatten diesem pausenlosen, intensiven Angriff noch weniger standgehalten, als das Menschenmädchen und der Kappa, vollkommen erstarrt lagen sie rücklings am Boden des Käfigs und rührten sich nicht mehr. In diesem Moment konnte InuYasha etwas hören. War zuvor nichts anderes wahrzunehmen, als diesem scheinbar aus dem Nichts kommenden, heftigen Angriff, konnte er nun die Geräusche sich langsam und stetig nähernder Kreaturen hören. Leise, schabend, nackte Haut auf rauem Fels, zischelnde, haltlose Gier. Und mit jedem kriechenden Schritt, den diese Wesen näher kamen, wurde die Intensität ihres Hasses stärker. InuYasha hatte geglaubt, der See der Tränen wäre in seiner Art und Macht einzigartig, nun musste er erkennen, dass dieser gegen seine unsichtbaren Angreifer geradezu erträglich gewesen war. Hatte der See die Traurigkeit in einem um ein Vielfaches verstärkt und so den Lebenswillen nach und nach aus einem herausgesogen, war der Hass dieser unbekannten Wesen dazu angetan, die Gegner mit seiner Wucht und Heftigkeit zu lähmen, ihn in immer größeren Schichten auf die Beute zu laden und sie so allmählich den Verstand verlieren zu lassen, jeden Funken Widerstandskraft und eigenen Willen regelrecht zu zermalmen und die Opfer schließlich bewusstlos zusammenbrechen zu lassen. Es gab vermutlich nichts, was diesem blinden, alles verneinenden Abscheu auf Dauer würde standhalten können. So hatte auch InuYasha inzwischen erhebliche Mühe dieser körperlich und geistig fühlbaren Verachtung gegenüber unbekanntem Leben standzuhalten; gegen diesen Hass auf Alles, was anders und nicht so wie diese Wesen der Dunkelheit war, anzukommen. Dennoch trat er mit gezogenem Tessaiga entschlossen zwischen die sich nähernden Kreaturen und seine hilflos am Boden liegenden Begleiter, nicht bereit kampflos aufzugeben oder es diesen Angreifern in irgendeiner Weise leicht zu machen. Er konnte keinerlei magische Energie spüren, was entweder bedeutete, dass diese Wesen in der Lage waren ihre Energien hervorragend zu unterdrücken oder dass sie über keinen Funken Magie, welcher Form auch immer, verfügten, was die Sache noch um einiges erschreckender machen würde, als sie es bereits war. Die Schwärzlinge schienen zu spüren, dass da noch jemand bemüht war ihnen Widerstand zu leisten oder sie hatten ihr Vorgehen bereits von Anfang an auf diese Weise geplant, denn mit einem Mal hielten sie in der Bewegung inne. In sicherer Entfernung des Fackelscheins, in den Schatten verborgen, verharrten sie in plötzlichem, erstickendem Schweigen und schienen auf etwas zu warten. Dieses Etwas war offenbar Verstärkung, denn noch immer nahm der Hass stetig zu, lähmte immer mehr den Willen des Halbdämons, ließ es für ihn immer schwieriger werden einen klaren Gedanken zu fassen und Tessaiga festzuhalten. Jaken und Inochiyume hatten den Kampf gegen diesen Angriff längst verloren und waren bereits ohnmächtig geworden. Dann begann wieder das hypnotische Flüstern, mit dem diese bizarre Schlacht begonnen hatte, wollte InuYasha dazu verführen aufzugeben, sich wieder in die Traumwelt vom letzten Mal zurückzubegeben, sich nicht länger gegen das Unvermeidliche zu wehren. Es war ein ungleicher Kampf, dessen Ergebnis von vornherein feststand. Befanden sich doch auf der einen Seite eine unbekannte und immer größer werdende Anzahl ausgeruhter Wesen, deren Hass durch nichts zu besänftigen war, sich nicht besänftigen lassen wollte, und auf der anderen Seite ein einzelner Halbdämon, der sein Yōki bereits beinah vollständig dafür gebraucht hatte, den Nebel aus Mak Ba’el aufzubrechen. So war es schließlich nur eine Frage der Zeit, bis Geist und Körper InuYashas von diesen unausgesetzt heftigen Angriffen kapitulierten, Tessaiga den kraftlos gewordenen Händen des Hanyō entglitt und dieser mit einem dumpfen Laut bewusstlos auf dem Boden zusammenbrach. Für einen Moment schien es, als wäre das alles, was die Schwärzlinge bezweckt hatten, denn für eine Weile verharrte alles in vollkommener Reglosigkeit, nur die Flamme der Fackel erzitterte hin und wieder still in einem unerwarteten Luftzug. Dann jedoch kam aus der Dunkelheit ein Felsbrocken von der Größe eines Kinderkopfes geflogen, landete zielgenau auf der Fackelflamme und löschte diese aus, sodass von einem Moment auf den anderen die Höhle in völliger Schwärze versank und niemand, der nicht seit langer Zeit daran gewöhnt war sich in vollkommener Dunkelheit zu bewegen, auch nur die Hand vor Augen erkennen konnte. Gleich darauf erklang wieder das Geräusch sich nähernder Schritte, die im nächsten Augenblick, bei der bewusstlos am Boden liegenden Beute angekommen, innehielt, diese packten und im nächsten Augenblick davon trugen, den Vogelkäfig, die gelöschte Fackel und Tessaiga unbeachtet zurücklassend. Kapitel 20: Niemandsland ------------------------ Ein, zwei Warnungen vorweg: Zum einen sind mir in diesem Kapitel die Dialoge nahezu gänzlich abhanden gekommen und zum anderen habe ich mir in Bezug auf Jakens Kopfstab eine dichterische Freiheit herausgenommen. Ich konnte nirgendwo eine Bemerkung darüber finden, dass er ausschließlich von Dämonen benutzt werden kann, also habe ich den Gebrauch seiner Fähigkeiten kurzerhand zu einer reinen Kopfsache erklärt. LG Zwiebel Sobald Haru den Nebelvorhang durchschritten hatte, fand er sich in einem steinernen Gang wieder, der sich in nichts weiter von den vorherigen Gängen unterschied als der Tatsache, dass er von einem matten, grauweißen Licht erfüllt war, das die brennende Fackel in Harus überflüssig machte. Der Krieger behielt die Fackel dennoch in der Hand, um nicht plötzlich buchstäblich im Dunkeln zu stehen, sollten sich die Lichtverhältnisse unerwartet wieder zu seinen Ungunsten ändern, während er zügig, jedoch ohne Hast den Gang entlang schritt. An dessen Ende gelangte er nicht, wie von Inochiyume angekündigt, auf ein knapp unter unter dem Gipfel befindliches Felsplateau, sondern fand sich einer zweiten Nebelwand gegenüber, die allerdings nicht im Entferntesten versuchte eine Steinmauer zu imitieren, sondern schlicht und ergreifend neblig war. Versuchsweise tauchte Haru seine Hand in diese Wand aus dunkelm Dunst und stellte überrascht fest, dass er auf keinerlei Widerstand stieß, nichts schien ihn daran zu hindern diesen zweiten Nebel zu betreten. Da er nicht wusste, was ihn auf der anderen Seite erwarten mochte, zog er vorsichtshalber sein Schwert aus der Scheide, um bei einem Angriff nicht erst wertvolle Zeit damit zu verschwenden und schritt dann entschlossen in den Nebelschleier hinein. Kaum dass sich dessen Schwaden vollkommen um Haru geschlossen hatten, war es für den Krieger unmöglich sich in irgendeiner Form zu orientieren. Es gab nichts als schwarzgrauen Nebel, der zu allen Seiten gleich aussah, das Licht der Fackel schluckte und Haru so, trotz des Feuers, den Eindruck vermittelte in gräulichem Dämmerlicht zu stehen, das es unmöglich machte etwas klar zu erkennen. Je weiter Haru nach Gutdünken in diesen Nebel hineinlief, umso mehr hatte er das Gefühl, dass Körper und Geist ganz allmählich und doch unaufhaltsam in hauchdünnen Faden von ihm fortdrifteten, Teil des Nebels wurden und er sich aufzulösen begann. Es änderte auch nichts an diesem Eindruck, als er sich die Hand vor Augen hielt, um sich zu überzeugen, dass sie nach wie vor vollständig vorhanden war und schließlich sogar so weit ging, sein Gesicht zu berühren, um sich zu versichern, dass er noch immer existierte. Es half nichts, dieses beständig stärker werdende Gefühl, sich in winzige Partikel aufzulösen, nach und nach vollkommen zu zerfasern und auch noch das letzte bisschen Selbst zu verlieren, über das er seit seinem Gedächtnisverlust verfügte, ließ sich weder mit unwiderlegbarer Logik noch mit Ignoranz beseitigen, sondern nahm stetig zu, je tiefer er in den Nebel eindrang. Zu diesem Gefühl des sich selbst Verlierens, gesellte sich wachsende Orientierungslosigkeit, da ringsum nichts anderes zu sehen war als dunkelgraue Nebelschwaden. Haru glaubte zwar ausschließlich geradeaus gegangen zu sein, aber er hätte es nicht mit Sicherheit sagen können. Diese wachsende Unsicherheit war für ihn völlig ungewohnt, ließ ihn zugleich ungehalten auf sich selbst werden und ein so ungewohntes Gefühl in ihm aufkommen, dass er es erst nach einiger Zeit als Angst identifizierte. Er hatte tatsächlich Angst sich vollkommen in diesem Nebel zu verlieren, in mehr als einer Hinsicht. Ein unwilliges Knurren drang tief aus seiner Kehle, während er sowohl gegen die ungewohnte Gefühlsvielfalt ankämpfte und sich gleichzeitig zwang vorwärts zu gehen, nicht stehen zu bleiben, nicht einfach aufzugeben. Noch verfügte er über genügend klaren Verstand zu erkennen, dass eine Niederlage an dieser Stelle für ihn vollkommen untragbar wäre und so biss er entschlossen die Zähne zusammen und zwang sich einen Schritt vor den anderen zu setzen, bemüht alles andere aus seinem Bewusstsein auszublenden, so gut es eben ging. Haru verlor jedes Gefühl für Zeit oder Entfernungen, konnte nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob er sich noch vorwärts bewegte oder ob es nur eine letzte, blasse Erinnerung daran war, dass er dazu einst in der Lage gewesen war. Er hätte nicht mehr beschreiben können, wie es war Sonne, Wind und Regen auf der Haut zu spüren. Er hätte nicht einmal sagen können, was diese Dinge sein sollten, oder woran man Feuer erkannte. Stur und widerspenstig klammerte er sich einzig an die letzten Reste dessen, was er noch immer als ‚Ich’ bezeichnete und nicht mehr als sein Name war: Haru. Er war Haru. Es erschien ihm von größter Wichtigkeit diese Tatsache nicht zu vergessen, andernfalls, so war er sicher, würde er diese wabernde Masse um sich herum nicht mehr verlassen können. Es schien mehr als nur eine Ewigkeit vergangen zu sein, als Haru mit einem letzten Schritt plötzlich und unerwartet den Nebel hinter sich ließ und den Ort betrat, dessen Schutzmantel der Nebel gewesen war. Zunächst jedoch schenkte der junge Mann seiner Umgebung keine weitere Beachtung, zu sehr darauf konzentriert sich zu sammeln, festzustellen, dass er immer noch über einen vollständigen und funktionierenden Körper verfügte und seine zurückkehrenden, durcheinander purzelnden Gedanken und Erinnerungen wieder zu ordnen. Schließlich sah er sich prüfend um, in dem Bemühen herauszufinden, wo er sich befand und ob noch jemand außer ihm zugegen war. So, wie es aussah, war er allein in einem Raum, der stark an das Labor eines gut versorgten Alchemisten erinnerte. Haru hielt sich nicht lange damit auf, sich in dem menschenleeren Raum genauer umzusehen, sondern durchquerte zielstrebig das Arbeitszimmer, um am gegenüberliegenden Ende einen Durchgang zu passieren und nachzusehen, was sich hinter diesem befand. In gewissem Sinn hatte er darauf gehofft, diesen Ōjidai in einem der Räume anzutreffen, um ihn zur Rede stellen zu können und sich anschließend angemessen für die verursachten Unannehmlichkeiten zu revanchieren, aber er fand lediglich Spuren lebender Wesen vor, ohne jedoch jemandem zu begegnen. Dies änderte sich schlagartig, als er schließlich einen Raum betrat, der weit größer war, als all die anderen zuvor und in dem mit allergrößter Sorgfalt und allem möglichen Komfort eine Unmenge an Schwertern untergebracht waren, die sich in ihrem Aussehen ebenso unterschieden, wie in ihren mutmaßlichen Fähigkeiten. Für einen Moment starrte Haru sowohl verblüfft als auch fasziniert auf diese wertvolle Sammlung Ōjidais, bevor er sich entschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen und nach dem Schwert Shiomari Ausschau zu halten, das Jaken am Tag zuvor ausführlich beschrieben hatte. Er kam jedoch nicht dazu sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, denn neben den Schwertern befand sich noch etwas in dem Raum. Ein Wesen mit schlangenartigem Unterleib, einem Paar Vorderpranken und drachenhaft geschuppter Haut. Ein ausgewachsener Tatzelwurm; der über die Anwesenheit Harus in seinen heiligen Hallen alles andere als erfreut war, denn ohne zu zögern glitt er mit überraschender Schnelligkeit auf den ihm unbekannten Eindringling zu und griff an. Haru gelang es beinahe mühelos der zubeißenden Schnauze auszuweichen und zugleich die zum Schlag erhobene Pranke abzuwehren, was ein wütendes Zischeln des Wurmes zur Folge hatte und ihn gleich darauf erneut angreifen ließ, nur um ihm nächsten Augenblick geblendet von der brennende Fackel in Harus Hand, die dieser dem Tier gezielt zwischen die Augen geschlagen hatte, mit einem gepeinigten Schmerzenslaut zurückzuweichen. Haru nutzte diesen Moment nicht, um das Tier zu töten, sondern um weiter in den Raum zu gelangen. Denn zwischen den beiden Angriffen des Tatzelwurmes hatte er aus dem Augenwinkel etwas gesehen, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte: Ein schmales, kupfernes Wakazashi, auf einem dunkelblauen Polster und ein mannshohes Schwert mit sehr breiter Klinge, das eindeutig nur mit beiden Händen geführt werden konnte. Zwischen diesen beiden Schwertern befand sich ein drittes, das als einziges Schwert in dem Saal in der Schwertscheide steckte. Es gelang Haru jedoch nicht, nah genug an diese Dreiergruppe von Schwertern heran zu kommen, bevor er erneut von dem schlangenartigen Wächter des Raumes angegriffen wurde, der sich bereits wieder von dem Fackelangriff erholt hatte. Noch einmal gelang es dem jungen Krieger seinen Angreifer abzuwehren, wobei er feststellte, dass die Haut des Wesens nicht von einem normalen Schwert zu durchdringen war, sondern lediglich ein klirrendes Geräusch erzeugte, als träfe Stahl auf Glas. Je häufiger der Tatzelwurm jedoch mit seinen Angriffen erfolglos blieb, umso aggressiver und entschlossener ging er gegen seinen Gegner vor, sodass Haru mehr und mehr Mühe hatte, sich seines Angreifers zu erwehren und hin und wieder gezwungen war zurückzuweichen, ohne dabei anfangs zu bemerken, dass er auf diese Weise in die Nähe seines vorherigen Zieles kam, sich schließlich jedoch gezielt von dem Berge bewohnenden Drachenverwandten in diese Richtung treiben lassend. Sobald er nah genug an die Schwertergruppe herangekommen war, stieß er sein Katana in den aufgerissenen Rachen des heranschnellenden Tieres, sodass es im weichen Inneren des Oberkiefers stecken blieb, blendete ihn zugleich erneut mit seiner Fackel und zog im nächsten Moment das Wakazashi aus seinem Schwertgurt hervor, um sich der zuschlagenden Klauen und des peitschenden Schlangenschwanzes zu erwehren. Seine Schnelligkeit genügte allerdings nicht, um diesen doppelten Angriff von Klauen und Schwanz gänzlich zu parieren, sodass ihm Kurzschwert und Fackel aus der Hand geschlagen wurden und sich zu den Wunden, die der Mantikor ihm zu gefügt hatte, weitere, frische Wunden gesellten, ohne dass der Tatzelwurm bereits besiegt gewesen wäre, während Haru hastig einige weitere Schritte zurückwich. Für den Moment war der Wurm durch die Schmerzen, die ihm seine geblendeten Augen und das in seinem Gaumen steckende Katana verursachten, lang genug abgelenkt, dass Haru nach dem in der Scheide steckenden Schwert greifen und es aus seiner Hülle ziehen konnte. Am Griff des Schwertes, genau die unterhalb des Hefts angebrachten Schmucksteine verdeckend, befand sich ein schmaler Streifen Papier, der mit seltsamen Symbolen versehen war und vermutlich eine Art Bannsiegel oder sonstige Magie enthalten mochte. Kurzentschlossen entfernte Haru das Stück Papier und ließ dessen Reste achtlos zu Boden fallen, bevor er sich auch schon wieder seinem Gegner zuwandte. Dieser schien auf geheimnisvolle Weise Verstärkung angefordert zu haben, denn aus den dunklen Schatten der Saalecken kamen nun zwei weitere, wenn auch kleinere und damit vermutlich jüngere, Exemplare von Tatzelwürmern herangeschlängelt, offensichtlich nur allzu erpicht darauf sich an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen. Die Hand fest um den Griff des Schwertes geschlossen, sah Haru seinen Gegnern entgegen, während er in seiner Schwerthand plötzlich ein sanftes, warmes Prickeln spürte, das sich langsam seinen Arm hinaufzog und sich merkwürdig vertraut anfühlte. Obwohl er keine plausible Erklärung dafür hatte und für gewöhnlich nichts von vagen Ahnungen und Gefühlen hielt, nahm er es in diesem Fall als weiteres Indiz dafür, dass es sich bei diesem Schwert tatsächlich um Shiomari handelte. Der erste Hinweis war die Beschreibung gewesen, die er am Vorabend, neben einem Bericht über die Fähigkeiten des Schwertes, von Jaken erhalten hatte und die zu gut auf das Aussehen des Tsurugis in seiner Hand passte, als dass es hätte Zufall sein können. Ob es sich bei dem Schwert um das Original oder eine Nachbildung handelte, beabsichtigte Haru herauszufinden, indem er es an seinen momentanen Gegnern ausprobierte. Ohne noch länger zu zögern, ließ Haru das Schwert mit einer fließenden Bewegung durch die Luft gleiten und äußerte ruhig: „Susanoo“, während die beiden neu hinzugekommenen Tatzelwürmer ihn gerade angreifen wollte, der eine auf die Kehle des Kriegers zielend, der andere auf seinen Bauch. Es blieb bei diesem Versuch, denn kaum hatte das Wort Haru ausgesprochen, als sich auch schon von der Schwertspitze Shiomaris ein aus zwei Energiesträngen bestehender Wirbel löste, quer durch den Raum raste, die beiden angreifenden, jungen Tatzelwürmer einfach mit sich riss und eine Spur der Verwüstung hinterließ, die nicht nur den Schwertsaal in Mitleidenschaft zog, sondern auch eine, der trotz ihrer nebligen Konsistenz äußerst stabil wirkenden Wände durchbrach und gleich darauf auch im angrenzenden Raum nichts als Zerstörung zurückließ, bevor sich der Energiewirbel allmählich verflüchtigte und auflöste. Am Boden lagen die toten Überreste der beiden Tatzelwürmer, die der vollen Wucht Susanoos nichts entgegenzusetzen hatten. Der älteste, noch übriggebliebene Tatzelwurm stieß bei diesem Anblick ein klagendes Gebrüll aus, sich gleich darauf in blinder Wut erneut dem Eindringling zuwendend, um diesen ein letztes Mal anzugreifen. Mit etwas, das beinahe an Erstaunen grenzte, hatte Haru die Wirkung Shiomaris und seines Angriffs beobachtet, ein wenig irritiert darüber, wie problemlos ihm das Schwert gehorchte. Es blieb ihm allerdings nicht viel Zeit verwundert zu sein, da sich auch schon wieder der letzte seiner Gegner auf ihn stürzte. Haru hatte nicht die Absicht, ihn ein weiteres Mal nah genug an sich heran zu lassen, um verletzt zu werden, und so machte er ein weiteres Mal von Shiomaris Fähigkeit gebrach und vernichtete auch den letzten seiner drei Angreifer. Sobald die letzte Spur der Energie Shiomaris verflogen und Haru sicher war, dass es keine weiteren Angriffe geben würde, schob der Krieger die Scheide Shiomaris in seinen Waffengürtel, hob die erloschene Fackel vom Boden und machte sich auf den Rückweg zu seinen Begleitern. Als er wieder im Alchemielabor angekommen war, setzte er, statt sich erneut der Magie des Nebels auszusetzen, zum wiederholten Mal die Energie Susanoos ein, um dieses Mal ein Bresche in den Nebel zu schlagen, ohne dabei jedoch dessen anderes Ende zu erreichen. Prüfend besah sich Haru noch einmal sein Werk, bevor er ohne weiter zu zögern in die Schneise zwischen den Nebelwänden trat und seinen Rückweg fortsetzte. Allerdings hielt er nach wenigen Schritten noch einmal inne und drehte sich zu dem Labor in seinem Rücken um. Schon beim ersten Mal hatte ihn der Anblick dieses Raumes merkwürdig wütend gemacht, obwohl er sich nicht erinnern konnte, irgendwann schon einmal dort gewesen zu sein, und dennoch war er sich sicher, dass aus diesem Raum nie etwas Gutes gekommen war oder kommen würde. Kurzerhand hob er erneut Shiomari und zerstörte mit zwei weiteren Energiewirbeln das Labor so gründlich, dass nichts als winzige Fetzen und Trümmer davon übrig blieben. Auf diese Weise dafür sorgend, dass der Eigentümer dieses Laboratoriums eine lange Zeit brauchen würde, bevor er wieder in der Lage sein würde es zu benutzen. Ohne einen Funken Reue zu verspüren, wandte er sich anschließend endgültig ab und ging davon, auf halbem Weg noch einmal Susanoo losschickend, um den Nebel unbehelligt bis zum anderen Ende durchqueren zu können. Als er letztendlich wieder die kleine Höhle betrat, in der er Inochiyme, Jaken und InuYasha zurückgelassen hatte, lag diese in völliger Finsternis. Da ihm sein Schwert in dieser Finsternis nicht viel nutzen würde, steckte er es zunächst einmal in dessen Hülle zurück, bevor er sich daran machte, sich langsam vorwärts zu tasten, auf der Suche nach einem Hinweis, ob seine Begleiter sich noch in diesem Dunkel befanden oder wenn nicht, wo sie abgeblieben sein mochten. Auf die Idee, dass sie sich bereits ohne ihn auf den Rückweg gemacht haben könnten, ihn einfach zurücklassend, kam er gar nicht erst, sie war einfach zu abwegig. Während er sich vorsichtig seinen Weg durch das Dunkel bahnte, stieß Haru plötzlich gegen etwas Hölzernes, bei dem es sich, wie er nach kurzem, prüfendem Tasten feststellte, nur um den Käfig mit Singvögeln handeln konnte. Allerdings schien der Käfig inzwischen leer zu sein, denn es gab keinen noch so kleinen Hinweis darauf, dass sich noch irgendetwas Lebendiges darin befand. Haru runzelte kurz die Stirn, während er zu der unerfreulichen Erkenntnis gelangte, dass seine Begleiter offenbar doch von Schwärzlingen angegriffen worden waren und dieser nichtsnutzige Halbdämon ganz offensichtlich nicht in der Lage gewesen war, gegen sie anzukommen. Sich aus der Hocke erhebend, den Käfig einfach stehen lassend, tastete Haru sich schließlich weiter vorwärts, nur um bald darauf beinahe über einen Knüppel zu stolpern, der am Boden lag. Da zuvor nichts dergleichen herumgelegen hatte, ging Haru davon aus, dass es sich bei dem Knüppel um Jakens Jintōjō handelte, den der Kappa verloren haben musste. Um später kein Zeit damit zu vergeuden in die Höhle zurückzukehren, um den Stab zu holen, hob Haru den Stock auf und dachte dabei ein wenig missmutig, dass es bereits eine Erleichterung darstellen würde, wenn er wenigstens Feuer hätte, um zu sehen wohin er ging und nicht ständig über herumliegende Gegenstände zu fallen. Er hatte das Wort ‚Feuer’ kaum gedacht, als am oberen Ende des Stabes plötzlich eine Stichflamme aufloderte, die Haru nur knapp verfehlte und sowohl seine Kleidung, als auch seine Haare anschmorte. Statt sich jedoch mit Unglaube, Schock oder ähnlich Hinderlichem aufzuhalten, starrte Haru nur einen Moment nachdenklich auf den Jintōjō in seiner Hand, drehte schließlich die Seite, aus der das Feuer geschossen war, von sich weg, hielt seine Fackel vor dieses Ende und versuchte den Stab erneut zum auflodern zu bringen, indem er an Feuer dachte. Seine Strategie funktionierte, und so hielt er nur einen Wimpernschlag später wieder eine brennende Fackel in der Hand. Der Anblick, den ihm die Höhle, vom Fackelschein erleuchtet, daraufhin bot, war nicht dazu angetan Harus Stimmung in irgendeiner Form zu bessern. Wie erwartet, sah er den abgestellten Vogelkäfig, indem sich zwar noch immer die Singvögel befanden, ohne dass sie jedoch je wieder einen Ton von sich geben würden. Unweit der Stelle, an der Jakens Jintōjō gelegen hatte, halb unter einem Felsen verborgen lag die erloschene zweite Fackel. Mit eiserner Ruhe betrachtete Haru sich dieses Bild, während er versuchte, sich eine Lösung einfallen zu lassen, wie er seine Begleiter wiederfinden sollte. Einfach im Berg herumzuspazieren und sich ebenfalls von den Schwärzlingen gefangen nehmen lassen, wäre die einfachste Möglichkeit gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er anschließend jedoch noch in der Lage wäre, etwas gegen die Schwärzlinge auszurichten, war praktisch Null, wenn man die Tatsache bedachte, dass selbst ein Hanyō, der den Möglichkeiten eines Menschen eindeutig überlegen war, nichts gegen sie hatte ausrichten können. Auf diese Weise würde er also vermutlich bestenfalls in nächster Zukunft den Anderen dabei Gesellschaft leisten als Nahrung vor sich hin zu faulen. Es musste einen anderen Weg geben. Während er über weitere Rettungsstrategien nachdachte, glitt sein Blick suchend durch die Höhle, ob er vielleicht irgendetwas übersehen hatte, das ihm weiterhelfen könnte. Tatsächlich blieb sein Blick schließlich in der Nähe des Höhleneingangs an einem trüb im Fackelschein aufleuchtenden, alt und vernachlässigt aussehenden Katana hängen. Überrascht starrte Haru auf diese Waffe, bei der es sich eindeutig um Tessaiga handelte. Da Haru den Hanyō nicht für so unvorsichtig und beschränkt hielt, einfach sein Schwert zurückzulassen, das er bisher wie seinen Augapfel gehütet und noch nicht einmal beim gierig verschlungenen Essen wirklich fortgelegt hatte, nahm Haru an, dass InuYasha das Schwert mit Absicht zurückgelassen und die Schwärzlinge kein Interesse und keine Verwendung dafür hatten. Sobald Haru die wenigen Schritte auf das Schwert zu gegangen und den Jintjōtō, in Ermangelung besserer Möglichkeiten, ebenfalls in den Waffengürtel seiner Uniform geschoben hatte, hob er das abgenutzt wirkende Katana vom Boden auf und betrachtete es kurz, ob sich daran irgendeine Form von Nachricht befinden mochte. Aber weder an dem Schwert noch am Boden oder sonst irgendwo fand sich auch nur der geringste Hinweis auf einen möglichen Verbleib von Inochiyume, InuYasha und Jaken. So blieb Haru vorerst nichts anderes übrig, als den Weg zurückzugehen, den das Mädchen sie heraufgeführt hatte und zugleich weiter nach einer Lösung für das Problem zu suchen. Er war noch nicht lang den Gang hinabgelaufen, als er an eine Weggabelung kam und sich bereits dem Abzweig zugewandt hatte, den er zuvor zusammen mit Jaken, InuYasha und Inochiyume gekommen war, als Tessaiga in seiner Hand eine Art Eigenleben zu entwickeln schien und anscheinend versuchte ihn in eine ganz bestimmte Richtung zu dirigieren. Haru zögerte nur kurz, skeptisch auf das Schwert starrend, bevor er entschied, dass er ihm vertrauen würde, da es offenbar eine ähnliche Bindung zu InuYasha hatte, wie Shiomari an ihn. Also schlug er nicht den Weg aus dem Berg hinaus ein, sondern den, der ihn immer tiefer in den Berg hineinführte, ohne Aussicht darauf, auf diesem Weg wieder ans Tageslicht zu gelangen. Je tiefer Haru in den Berg eindrang und je länger er den ungewöhnlichen Hinweisen des Schwertes folgte, umso heftiger vibrierte Tessaiga, schien es von etwas wie magisch und immer stärker werdend angezogen zu werden. Haru hoffte nur, dass sich dieses Etwas als InuYasha und dessen Begleiter erwies und nicht als störende und zeitraubende Sackgasse. Es schien jedoch, als befände er sich auf dem richtigen Weg, denn mit einem Mal konnte er das Flüstern hören, vor dem Inochiyume sie gewarnt hatte. Ein leises, hypnotisches Murmeln, das keinen Sinn zu ergeben schien und von dem Haru dennoch unwillkürlich fasziniert war und konzentriert lauschte, um zu erfahren, worum es bei dem Flüstern ging. Er merkte kaum, wie er langsamer wurde und allmählich in einem willenlosen Traumzustand versank. Doch ähnlich wie es InuYasha am See der Tränen ergangen war, ging es nun auch Haru: trotz des hypnotischen Wisperns und Raunens, das ihn immer tiefer in eine willenlose Trance ziehen wollte, leistete ein Teil in ihm zäh und verbissen Widerstand, zu stolz um diese fremde Übernahme seines Willens einfach zu akzeptieren. Ihn mahnend nicht auf das Flüstern zu hören, sich zusammenzunehmen und sich auf den Grund seiner Wanderung zu besinnen. Es gelang Haru nur mit Mühe, die fremde Beeinflussung abzuschütteln, in die Gegenwart zurückzufinden und seinen Weg fortzusetzen, während er zu der Erkenntnis kam, dass Inochiyume mit ihrer Warnung nur allzu Recht gehabt hatte. Sobald die Schwärzlinge erkannten, dass sie mit ihrem Angriff gescheitert waren, hörte Haru ein leises, wütendes Zischen, dem bedrohliche Ruhe folgte. Angespannt setzte der junge Mann seinen Weg fort, jeden Augenblick mit einem weiteren Angriff rechnend. Doch für eine geraume Zeit blieb es erdrückend still, bis plötzlich ein wahrer Hagel aus Felsbrocken einsetzte, die sowohl ihm als der Fackel in seiner Hand zu gedacht waren, und dessen Heftigkeit immer stärker wurde. Zunächst versuchte Haru noch den heran fliegenden Steinen lediglich auszuweichen, das abgenutzte Schwert in seiner Hand taugte nicht dazu die Geschosse abzuwehren oder unschädlich zu machen. Letztendlich erwies sich das Ausweichen jedoch weder als effektiv noch erfolgversprechend und so schob Haru, vor dem Steinhagel zurückweichend, Tessaiga schließlich in seinen Schwertgurt, um die Hand für Shiomari frei zu haben. Kaum hatte er das Tsurugi aus der Scheide gezogen, jagte er in die Richtung, aus der die Steine geworfen wurden, einen durch Susanoo erzeugten Energiewirbel und löste auf diese Weise nicht nur die heran fliegenden Gesteinsbrocken in Nichts auf, sondern hinterließ auch in den Reihen der aus dem Dunkeln agierenden Schwärzlinge klaffende Lücken. Allerdings hatte er damit den Widerstand der Schwärzlinge noch längst nicht gebrochen, sondern nur derem Hass neue Nahrung gegeben. Mit aller Macht schlug ihm nun die abgrundtiefe Ablehnung entgegen, zwang ihn in die Knie, während er sich angestrengt bemühte bei Verstand zu bleiben und nicht vollkommen zu Boden zu gehen. Doch je mehr er sich dagegen wehrte, umso heftiger wurde der Angriff auf all seine Sinne, gab ihm das Gefühl zwischen Mühlsteine geraten zu sein und langsam zerquetscht zu werden, ohne etwas dagegen tun zu können. Von einer Sekunde zur anderen war dieses Gefühl jedoch plötzlich verschwunden, als hätte es nie existiert, und Haru sah sich verwirrt um, in der Annahme, dass ihm jemand zu Hilfe gekommen sein müsse, der gegen diese Art Angriff etwas zu unternehmen in der Lage war. Aber da war niemand außer ihm und den in den Schatten verborgenen Schwärzlingen. Immer noch auf der Suche nach der Ursache für dieses plötzliche Ende des Angriffs glitt Harus Blick zu dem Schwert in seiner Hand und er entdeckte, dass der dunkelblaue Schmuckstein begonnen hatte zu glühen, während sich etwas, das entfernt an hauchdünnen, durchscheinenden Stoff erinnerte, ausgehend von dem Schwert über Harus gesamten Körper zog und auf diese Weise den Hass einfach abzublocken schien. Es dauerte einen Augenblick bis Haru sich wieder so weit im Griff hatte, dass er aufstehen und seinen Weg fortsetzen konnte. Er spürte noch immer die Anwesenheit der Schwärzlinge, musste noch immer heran fliegende, steinerne Geschosse beseitigen und zunehmend aufpassen wohin er trat, da sich erneut die Löcher im Boden vermehrten, aus denen man nicht wieder herauskam, war man einmal hineingefallen, – es sei denn als Mahlzeit für die Schwärzlinge. Das einzig Gute an den Wurfgeschossen und den Löchern war, dass es Haru auf diese Weise problemlos gelang das hypnotische Flüstern auszublenden und sich nicht wieder davon gefangen nehmen zu lassen. Schließlich gelangte er mit der Hilfe Tessaigas und entgegen der energischen Bemühungen der Schwärzlinge, ihn aufzuhalten beziehungsweise ihn nur hilflos und unter ihrer Kontrolle dorthin gelangen zu lassen, in die Höhle, die ihnen als Rückzugsort diente. Als er den Ort betrat, noch immer mit der brennenden Fackel in der Hand, klang ihm erneut hasserfülltes, zorniges Zischen entgegen, in das sich jedoch unverkennbar begann Angst zu mischen. Völlig unbeeindruckt davon blieb Haru am Eingang der Höhle stehen und versuchte so gut das beim Schein einer einzelnen Fackel möglich war, zu erkennen, was genau sich vor ihm befand. Was er in dem trüben Licht sah, oder besser nicht sah, gefiel ihm nicht. Er konnte weder Inochiyume, noch InuYasha oder Jaken entdecken, nur die grotesk verzerrten Schatten der Schwärzlinge tanzten an den Wänden, wenn das Licht einen von ihnen streifte. Diese ureigenen Bewohner des Berges versuchten unterdessen noch immer sich des Kriegers zu bemächtigen und die ihren Augen Schmerzen verursachende Fackel zu löschen; mussten ihre Versuche dafür jedoch stets mit dem Leben bezahlen. Während er die sich ihm in den Weg stellenden Gegner beseitigte, war der dunkelhaarige Krieger erneut dem Pulsieren Tessaigas gefolgt und so tiefer in den hinteren Teil der Höhle gelangt, bis zu einem natürlichen Becken, dessen Inhalt mehr an flüssigen Unrat, denn an Wasser erinnerte und dessen widerlicher Geruch immer stärker wurde, je mehr man sich dieser Mulde näherte. Mitten aus dieser brackig fauligen Brühe ragte eine schmale Felsnadel, an der die Enden von drei Seilen festgemacht waren. An den anderen Enden der Seile befanden sich jeweils gut verschnürt, sodass es ihnen unmöglich gewesen wäre von allein zu entkommen, die nackten Körper von Jaken, Inochiyume und InuYasha. Die ersten Beiden schienen noch immer ohne Bewusstsein zu sein, während der Hanyō bisher von den Schwärzlingen nur gerade so unter Kontrolle gehalten worden war, anscheinend bereitete es ihnen erhebliche Mühe gegen das Dämonenblut InuYashas die Oberhand zu behalten. Je mehr Schwärzlinge der ruhigen Präzision Harus zum Opfer fielen, desto mehr hatte die Stärke des angesammelten Hasses abgenommen und der Hanyō war aus seiner oberflächlichen Ohnmacht erwacht, ein leises Kichern von sich gebend, das von irrer Begeisterung angesichts des Todes zeugte, sich aber schnell mit einem aggressiven Knurren mischte, das ausdrücke, wie unzufrieden der Hanyō mit der Tatsache war, nicht selbst töten zu dürfen. Haru zögerte bei diesen Geräuschen einen Moment und überlegte, ob es wirklich klug war, den anscheinend inzwischen wahnsinnig gewordenen Halbdämon zu befreien. Letzten Endes allerdings stieg er doch in die stinkende Brühe, trat an den sich inzwischen in dem Versuch freizukommen windenden Hanyō heran und wechselte zunächst einem Instinkt folgend, den er nicht zu seiner vollen Zufriedenheit hätte begründen können, Shiomari mit Tessaiga und schnitt anschließend InuYasha los. Dieser schien sich, sobald Tessaiga in seine unmittelbare Nähe gekommen war, erstaunlicherweise zu beruhigen. Kaum war er jedoch frei, sprang er auch schon auf, riss Haru das Schwert aus der Hand und fuhr anschließend mit einer zur Klaue verkrümmten Hand durch die Luft, während er „Sankontessō“ schrie. Im gleichen Augenblick löste sich von den Fingerspitzen seiner Klaue eine Reihe von schmalen Energieklingen, die eine Gruppe von Schwärzlingen, die sich hinterrücks angeschlichen hatte, in Stücke schnitt. Im gleichen Moment, als InuYasha die Energieklingen losschickte, fuhr Haru herum, verärgert über seine unentschuldbare Nachlässigkeit in einer solchen Situation, zog noch in der Bewegung Shiomari wieder aus der Scheide und äußerte ohne zu zögern: „Shirakyuki“. Während das Echo von Harus Stimme verzerrt und vielfältig von den Felswänden zurückgeworfen wurde, löste sich von der Spitze des Tsurugi ein schmales Band leuchtendweißer Energie, das sich schnell, wie ein Fächer verbreiterte und schließlich wie ein gleißendes Leichentuch von unbeschreiblich reinem Weiß in der Luft hing. Die Helligkeit des Angriffs zwang Haru und InuYasha, deren Augen sich bereits an das in der Höhle herrschende, schummrige Halbdunkel gewöhnt hatten, die Augen zu schließen, um nicht zu erblinden, löste sich nur einen Wimpernschlag später in winzige Lichtreflexe auf und war im nächsten Moment vollkommen verschwunden. Ebenso wie jeder zuvor noch lebende Schwärzling, der sich in der Höhle befunden hatte. Es war nicht so, dass diese Wesen tot am Boden langen, sondern als hätten sie nie existiert. Von ihnen war nicht mehr geblieben, als ein paar Fetzen abgenutzter Lumpen, mit denen sie ihre Körper bedeckt hatten. Dort, wo eben noch beständiges Flüstern, Zischeln und Fußgetrappel zu hören gewesen war, herrschte nun unheimliche Stille, existierte nichts als vollkommenes Schweigen. So sehr sich InuYasha auch bemühte, er konnte einfach nichts mehr hören, was auf weitere Schwärzlinge hinwies. Seiner Nase konnte der Hanyō aufgrund des Gestanks aus dem Wasserbecken im Moment nicht trauen, aber es sah wirklich so aus, als hätte Haru mit einem einzigen Angriff alle noch lebenden Schwärzlinge ausgelöscht. Ungläubig starrte der Halbdämon auf das Bild vor sich und konnte nicht verhindern, darüber erleichtert zu sein, dass sein Bruder nicht versucht gewesen war diese Taktik an ihm auszuprobieren. Haru unterdessen befahl InuYasha kurz und knapp sowohl seine als auch Jakens und Inochiyumes Kleider herbei zu schaffen, während er sich daran machte die Stricke, mit denen Jaken und Inochiyume nach wie vor festgebunden und verschnürt waren, zu durchtrennen. Erst als er die Beiden bereits aus dem Wasser gezogen hatte und sich InuYasha wieder bekleidet mit ihren Sachen näherte, kamen Inochiyume und Jaken allmählich wieder zu sich, waren jedoch immer noch viel zu durcheinander von den Nachwirkungen der Hassattacken, als dass sie sich Gedanken darüber gemacht hätten, warum sie nackt waren und wo sie sich befanden. Die kleine Gruppe befand sich bereits auf dem Weg aus dem Berg hinaus, als Jaken wieder so weit hergestellt war, dass er sich neugierig erkundigen konnte, was genau passiert war, während Inochiyume verlegen schweigend Haru folgte, der nun die Führung übernommen hatte, während InuYasha erneut den Abschluss der Gruppe bildete und gelegentlich über den ihnen allen noch immer anhaftenden, widerlichen Geruch des Wasserbeckens murrte, der es ihm erheblich erschwerte Witterung aufzunehmen. Ohne weitere Zwischenfälle gelangten sie schließlich aus dem Berg hinaus und machten sich auf den Rückweg ins Dorf, wo bereits schläfrige Ruhe herrschte, als sie endlich müde und erleichtert spät in der Nacht ankamen. Trotz ihrer Müdigkeit wollte jedoch keiner von ihnen darauf verzichten in den heißen Quellen zu baden, um den ekelerregenden Gestank endlich loszuwerden und sich wieder sauber zu fühlen. Als sie schließlich alle zusammen wieder in der kleinen Hütte von Ayako und Inochiyume saßen, InuYasha und Jaken mit frischen Kleidern versorgt, die eilig von heraus geklopften Nachbarn zusammengeborgt worden waren, und sich nach den überstandenen Strapazen an Ayakos Kochkünsten stärkten, erzählte die alte Frau ihnen, dass während des Tages der Kadaver des Mantikor aus dem Wald geschafft und verbrannt worden war und laut Gerüchten Hinagiku-hime ihren Vater dahingehend überredet hatte, Haru öffentlich für seine Tat zu belobigen. Was der Adressat dieser Ehrung davon hielt, blieb allerdings unklar, denn der verzog bei dieser Nachricht nicht eine Miene, sondern erklärte lediglich ruhig an InuYasha gewandt: „Wir brechen morgen auf.“ Der Hanyō nickte darauf nur einverstanden; je eher sie aus dem Dorf wegkamen, desto schneller war er wieder bei seinen Freunden und diese ganze dämliche Angelegenheit hoffentlich bald vorbei. Ayako hingegen erklärte mit einem belustigten Grinsen an Haru gewandt: „Du erweckst beinahe den Anschein, als wolltest du vor Hime-sama und ihrem Vater die Flucht ergreifen, wäre es nicht besser, wenn ihr die morgige Zeremonie abwartet und erst übermorgen aufbrecht? Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es doch sicher nicht an.“ Während ihrer Worte war Ayako regelrecht von Harus durchdringendem Blick durchbohrt worden, ohne dass es einen nennenswerten Eindruck auf die alte Frau zu haben schien, letztendlich ließ sich der dunkelhaarige Krieger lediglich zu der kategorischen Bemerkung herab: „Ich werde meine Entscheidung nicht ändern“, bevor er sich erhob, grußlos die kleine Hütte verließ und in seine eigene Kammer in den Soldatenunterkünften zurückkehrte. Kapitel 21: Auf eigene Faust ---------------------------- Es war früh am Morgen, die Sonne erhob sich langsam und majestätisch über den Horizont und die Berge, einen neuen Tag ankündend, als Haru bereits vollständig angekleidet und fertig zum Aufbruch in der winzigen Kammer stand, die ihm in den vergangenen Wochen und Monaten als Unterkunft und Schlafplatz gedient hatte. Vor ihm auf einem schmalen Tisch lagen Katana und Wakazashi, die er seit seinem Eintritt in die Palastwache getragen hatte, daneben stapelte sich ein kleiner Berg Münzen, den er im Austausch für einen Teil des als Sold gezahlten Reises erhalten hatte. Die Schwerter würde Haru nicht mehr brauchen, er hatte nun ein besseres. Das Geld war Bezahlung für die Kleidung, die er trug. Da er über keine andere verfügte, würde er vorerst die Uniform der Palastwache behalten und beglich mit den Münzen die entstehenden Kosten, da er nichts davon hielt, Anderen in irgendeiner Form etwas schuldig zu bleiben. Kurze Zeit später verließ er zum letzten Mal die Soldatenunterkünfte und das Palastgelände, begab sich zu dem Ausgang des Dorfes, der durch den Wald hinab ins Tal führte, dort auf InuYasha und Jaken treffend, der wieder Ah-Un am Zügel führte. Nach dem Bündel zu urteilen, das InuYasha trug, hatten Ayako und ihre Enkelin die halbe Nacht damit zugebracht, für die Reisenden Proviant vorzubereiten, damit sie unterwegs zumindest nicht Hunger leiden mussten. Allerdings waren weder Ayako noch Inochiyume gekommen, um sich zu verabschieden, noch hielt Haru es für notwenig etwas Derartiges zu tun. Schweigend, ohne Bedauern oder noch einmal zurückzublicken, verließ Haru begleitet von InuYasha und gefolgt von Jaken mit Ah-Un das Dorf, mit dem Ziel seine Erinnerungen, seine Macht und sein Eigentum zurückzuerlangen. Inochiyume war wie jeden Morgen hinauf in die Berge gestiegen, um Schnee für das Bad der Fürstentochter zu sammeln. Am Tag zuvor hatte sie von der Haushofmeisterin die Erlaubnis erhalten, sich einen Tag frei zu nehmen, da Inochiyume zum ersten Mal eine solche Bitte vorbrachte und sich bisher bei ihrer Arbeit nie hatte etwas zu schulden kommen lassen. Als das Mädchen an diesem Tag wieder der ersten ihrer Pflichten nachging, kam sie auch an der Stelle vorbei, an der sie vor Monaten Haru im Schnee liegend gefunden hatte. Für einen Moment blieb sie stehen und sah still auf die Stelle am Fuß des alten, verkrüppelten Baumes hinab, drehte sich schließlich herum und wandte ihren Blick Richtung Dorf. Wo er jetzt wohl war? Ob sie gerade den Wald durchquerten oder hatten sie diesen schon hinter sich gelassen? Ob sie sich wohl wiedersehen würden? Vermutlich nicht, weder hatte Haru einen Grund in das Dorf in den Bergen zurückzukehren, noch würde sie das Dorf je verlassen. Und obwohl sie wusste, wie unvernünftig, falsch und selbstsüchtig es war, wünschte sie sich doch, er wäre noch da, wäre nicht auf dem Weg zurück in seine Welt, sondern würde noch immer gelassen schweigend seinen Platz in der winzigen Hütte zwischen ihr und ihrer Großmutter einnehmen. Dabei war sie seit dem vergangenen Tag, genauer seitdem Moment, als sie sich nackt und schmutzig in der Höhle der Schwärzlinge wiedergefunden hatte, nicht mehr in der Lage gewesen ihm ins Gesicht zu blicken oder mit ihm zu sprechen. Obwohl sich Inochiyume seit diesem Vorfall mehr als einmal gründlich gewaschen hatte, fühlte sie sich noch immer schmutzig, als wäre ihr das abgestandene, dreckige Wasser tief unter die Haut gedrungen und ließe sich auch mit noch so viel Eifer und schrubben nicht mehr entfernen. Dazu kam, dass ihr geradezu schmerzhaft bewusst war, dass sie vollkommen unbekleidet und völlig hilflos gewesen war. Sie wünschte, der letzte Eindruck, den er von ihr erhalten hatte, wäre weniger erbärmlich gewesen, wünschte, dass er ihr so gleichgültig wäre, wie sie ihm und konnte nur hoffen, dass es ihr irgendwann gelang, das was geschehen war, wenn nicht zu vergessen, so doch mit ruhiger Distanz zu betrachten. Entschlossen sich nicht von ihren widersprüchlichen Gefühlen überwältigen zu lassen und ihr Leben auf die bestmögliche Weise zu leben, wandte Inochiyume sich schließlich von ihren Gedanken und dem Blick in Richtung Dorf ab und machte sich wieder an die Erledigung ihrer Aufgabe. Als Inochiyume später am Tag wie üblich ihren Dienst im Schloss versehen wollte, wurde ihr stattdessen von der Karei der Befehl erteilt, sie solle sich bei der Zofe der Prinzessin melden. Verwundert und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, folgte das Mädchen dieser Anweisung und kniete bald darauf mit ehrerbietig gebeugtem Kopf und Oberkörper vor einem kostbaren, mit Shōjipapier bespannten Wandschirm, auf dem sich der schattenhafte Umriss Hinagiku-himes abzeichnete. Neben dem Shōheiga kniete die ältliche Zofe der Prinzessin, diese aufmerksam beobachtend, um bei der kleinsten Regung zu Diensten sein zu können. Eine lange Weile schwieg die Prinzessin, während sie gelassen Tee trank und eine Schriftrolle studierte. Schließlich schien ihr die noch immer vor dem Wandschirm auf den Knien liegende Dienerin in den Sinn zu kommen und sie erkundigte sich mit kühler Herablassung und Ruhe: „Du bist diejenige, die Haru-san gefunden hat und die er immer wieder im Dorf aufgesucht hat?“ „Hai, Hime-sama“, erwiderte Inochiyume nur leise, sich keinen Moment über das erstaunliche Wissen der Prinzessin wundernd, sondern noch immer besorgt darauf wartend, zu erfahren, warum sie diesen ungewöhnlichen Befehl erhalten hatte. Unterdessen setzte Hinagiku ihr Verhör ruhig und zielstrebig fort: „Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?“ „Gestern, Hime-sama“, antwortete Inochiyume wenn möglich noch leiser als zuvor, während sich ihre Wangen bei der Erinnerung vor Verlegenheit röteten. Offenbar war der Prinzessin auch diese Tatsache bereits bekannt gewesen, denn ohne auch nur das geringste Anzeichen von zögern erkennen zu lassen, fragte sie im nächsten Augenblick: „Wer waren die Wesen, in deren Begleitung ihre gesehen worden seid?“ Inochiyume fand diese Frage unerwartet schwierig zu beantworten, da sie die Prinzessin jedoch nicht verärgern wollte, indem sie zu lange schwieg, erklärte sie schließlich ausweichend: „Angehörige seiner Familie, die auf der Suche nach ihm waren, Hime-sama.“ Trotz ihres gegenteiligen Bestrebens schien Inochiyume die Prinzessin mit ihrer Antwort gereizt zu haben, denn die nächsten Worte wurden mit weit größerer Kälte hervorgebracht als zuvor. „Wann und wohin sind sie aufgebrochen? - Und wage nicht zu sagen, du wüsstest es nicht!“ Inochiyume schluckte bei dieser leisen Drohung verunsichert, bevor sie erwiderte: „Sie sind heute Morgen in Richtung Kinai aufgebrochen, Hime-sama.“ „Weißt du, was sie dort wollen?“, Hinagikus Stimme klang noch immer kalt und fordernd. „Der Sitz ihrer Ahnen befindet sich in diesem Gebiet, Hime-sama“, gab Inochiyume erneut ausweichend Auskunft, während sie die Augen schloss und innig hoffte, dass dieses Verhör bald vorbei wäre. Die seltsam angespannte Atmosphäre in dem Raum gab ihr das Gefühl für ein Verbrechen angeklagt zu werden, von dem sie noch nicht einmal wusste, was für eines es sein mochte. Im nächsten Moment zuckte das Mädchen erschrocken zusammen, als die Prinzessin plötzlich in unerwartetem Zorn die Stimme erhob und mit schneidender Härte äußerte: „Ich soll dir also tatsächlich glauben, dass Haru-san sich einfach unehrenhaft und ohne Erlaubnis von der Palastwache entfernt hat, um mit seinen Angehörigen nach Hause zurückzukehren, ohne dass sie meinem Vater die gebührende Höflichkeit und Respekt erweisen? Dass Haru-san ohne angemessene Bekleidung, sondern in der Uniform des Hauses Nagasawa in seine Heimat zurückgekehrt ist?“ Inochiyume schwieg auf diese Fragen, da ihr jede Antwort ausschließlich Schwierigkeiten eingebracht hätte. Auch Hinagiku schwieg für einen Moment, bemüht ihre Fassung zurückzugewinnen, bevor sie wieder mit kühler Ruhe der vor dem Byōbu knienden Kahi ihre Entscheidung mitteilte: „Ich habe beschlossen, meinem Kyokon nach zu reisen, um selbst herauszufinden, warum er ohne ein Wort verschwunden ist. Da ich überzeugt bin, dass du mehr weißt, als du zugibst, wirst du mich begleiten und mich zu ihm bringen.“ Hatte Inochiyume ungläubig die beiläufige Erklärung, Haru wäre mit Hinagiku verlobt, zur Kenntnis genommen und sich zwingen müssen, nicht überrascht aufzusehen, gelang ihr das bei den letzten Worten der Prinzessin nicht mehr. Ruckartig hatte sie sich aufgerichtet, jede Form der Etikette vollkommen außer Acht lassend, fassungslos auf den Wandschirm vor sich gestarrt und versucht der Prinzessin zu widersprechen. Diese jedoch schnitt ihr entschlossen das Wort ab, indem sie befahl: „Schweig! Du hast kein Recht dich mir zu widersetzen. Tust du es dennoch oder versuchst mich auf unserer Reise in die Irre zu führen, werde ich dafür sorgen, dass du entsprechend bestraft wirst.“ In stummer Verzweiflung schloss Inochiyume ihre bereits zum Protest geöffneten Lippen wieder und senkte ergeben den Kopf, während ihr Hinagiku hinter dem Wandschirm sitzend weitere Anweisungen erteilte: „Wir werden bei Einbruch der Dunkelheit aufbrechen, sieh zu, dass du bis dahin alles vorbereitet hast. Fuse wird dir dabei helfen, damit du nichts vergisst. – Und sorge dafür, dass niemand davon erfährt, ich will nicht aufgehalten oder gestört werden. Sollte das dennoch passieren, wirst du dafür ebenfalls zur Verantwortung gezogen. Hast du alles verstanden?“ „Hai, Hime-sama“, war alles was Inochiyume erstickt hervorbrachte, während sich das Mädchen im Stillen fragte, womit sie die Götter so erzürnt haben mochte, dass sie sie nun auf diese Art bestraften. Denn selbst wenn sie Haru-dono und dessen Begleiter fanden, ihnen unterwegs nichts zustieß und sie schließlich wieder heil und gesund zurückkehren sollten, würde Inochiyume dafür zur Verantwortung gezogen werden, dass sie die Prinzessin allen möglichen Gefahren ausgesetzt und nebenbei auch noch ihre Pflichten im Schloss vernachlässigt hatte. Egal wie man es drehte, Inochiyume konnte nur verlieren und was sollte aus ihrer Großmutter werden, wenn sie nicht mehr in der Lage war das Geld für Nahrung und Kleidung zu beschaffen? Hinagiku jedoch schien keinen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden, die ihr Vorhaben für das Dienstmädchen haben würde, sondern verlangte lediglich zu wissen: „Eines noch: Kannst du reiten?“ Als Inochiyume diese Frage verneinte, klang die Stimme der Prinzessin für einen Moment ungehalten, bevor sie sich mit der Tatsache abzufinden schien: „Was lernt ihr eigentlich von euren Eltern? – Nun gut, es war wohl nicht anders zu erwarten, dann wird es so gehen müssen. Du darfst dich entfernen.“ Damit war Inochiyume entlassen und die Zofe erhielt zugleich einen Wink das Mädchen zu begleiten und dafür zu sorgen, dass Hinagiku auf der Reise möglichst wenig beeinträchtigt wurde. Sobald die junge Dienerin und die ältliche Zofe die Räumlichkeiten der Prinzessin verlassen hatten, atmete das Mädchen tief durch, bemüht wieder einen klaren Kopf zu bekommen und einen Weg zu finden, bei der ganzen Sache doch noch glimpflich davon zu kommen. Gleichzeitig wurde sie von Fuse darüber instruiert, was alles für die Bequemlichkeit der Prinzessin zu erledigen war und woran Inochiyume unbedingt zu denken hatte. Während einer kurzen Pause in der scheinbar endlos langen Liste, stellte das Mädchen vorsichtig die Frage, was Nagasawa-sama von dem Vorhaben seiner Tochter hielt und bekam darauf die Antwort, dass dieser nichts davon wissen und wenn alles gut ging auch nie erfahren würde, da Hinagiku Fuse angewiesen hatte, während der Abwesenheit der Prinzessin eine Krankheit vorzutäuschen und niemanden zu ihr vorzulassen, abgesehen von dem Heiler, der von der Prinzessin bestochen worden war. Nachdem Fuse ihre Erklärung beendet hatte, offenbar stolz darauf, das uneingeschränkte Vertrauen der Prinzessin zu genießen, fragte Inochiyume zaghaft: „Aber wäre es nicht einfacher Hime-sama würde ihrem Verlobten offiziell zu dessen Wohnsitz folgen?“ Fuse winkte wegwerfend ab: „Die Verlobung ist noch nicht offiziell. Hinagiku-hime hatte ihrem Vater zwar das Einverständnis dafür abgerungen, nachdem Haru-san die Bestie aus dem Wald getötet hatte, aber das sollte erst bei der Zeremonie bekannt gegeben werden und nachdem er vom ersten Berater adoptiert worden wäre, damit Nagasawa-sama nicht das Gesicht verliert, weil er einen einfachen Soldaten als Schwiegersohn hat.“ „Und Haru-dono hat in die Verlobung eingewilligt?“, erkundigte Inochiyume sich neugierig und biss sich gleich darauf auf die Lippen, besorgt dass sie zu dreist gewesen oder die Zofe bemerken würde, dass diese Frage aus persönlichem Interesse heraus gestellt worden war. Doch Fuse schien nichts dergleichen zu ahnen oder die Frage des Mädchens seltsam zu finden, sondern erwiderte lediglich: „Ich nehme an, sie hätten ihn vor der Zeremonie der Form halber gefragt, wer wäre schließlich so dumm die Hand einer Fürstentochter und damit auch die Nachfolge von Nagasawa-sama auszuschlagen?“ Inochiyume war seltsam erleichtert, dass Haru-dono eine so gravierende Tatsache, wie seine bevorstehende Hochzeit, ihr und ihrer Großmutter nicht einfach vorenthalten hatte, sondern offenbar selbst noch nichts von seinem Glück wusste. Es hatte erstaunlich weh getan, als sie annehmen musste, dass er offenbar keinen von ihnen Beiden für vertrauenswürdig genug gehalten hatte, ihnen diese Tatsache mitzuteilen, mochte diese für ihn auch noch so nebensächlich gewesen sein. Andererseits bedeutete die Tatsache, dass die Prinzessin trotz der nichtoffiziellen Verlobung Haru-dono nachreisen wollte, dass diesem nichts andere übrig bleiben würde, als Hinagiku-hime zu heiraten, um die Ehre beider wieder herzustellen, falls je herauskäme, dass die Prinzessin ihm ohne angemessene Eskorte und Begleitung aus eigenem Antrieb nachgereist war. Es sei denn, er fand rechtzeitig einen zufriedenstellenden Ersatz, der sowohl den Stolz Nagasawa-samas genügte, als auch dem Schönheitssinn seiner Tochter – und deren Temperament gewachsen war. Nachdem Fuse alle Anweisungen, die sie für notwenig hielt, erteilt und Inochiyume es gewagt hatte, hin und wieder Einwände vorzubringen, wenn ihr etwas gar zu abwegig und für die Reise als unpassend erschien, teilte ihr Fuse noch die Details für den Aufbruch am Abend mit und entließ Inochiyume dann mit dem Auftrag, sich um die Vorbereitungen zu kümmern und es Fuse zu überlassen sie bei der Karei für unbestimmte Zeit zu entschuldigen. Erleichtert, dass sie sich offenbar zumindest um ihre Anstellung im Schloss vorerst keine Sorgen zu machen brauchte – auch wenn das in ihrer Situation vollkommen belanglos war -, verließ Inochiyume bald darauf das Schloss und wollte sich auf den Weg ins Dorf machen, als ihr ein Gedanke kam, der dafür sorgte, dass sie den kurzen Umweg über die Soldatenunterkünfte nahm, nach einiger Suche schließlich Kaoru-san ausfindig machte und ihn fragte, ob er einen Moment für sie Zeit habe. Kaoru hatte, und so schlenderten die Beiden bald darauf gemeinsam durch das Dorf zur Hütte von Inochiyume und ihrer Großmutter. Ayako wirkte ein wenig erstaunt, als sie diesen seltenen Gast bei sich begrüßte, ließ jedoch keine einzige spöttische Bemerkung hören, sondern lauschte ebenso schweigend und aufmerksam wie Kaoru dem Bericht ihrer Enkelin, der sich auf die tatsächlichen Fakten beschränkte und mit Inochiyumes Bitte um Hilfe an Kaoru endete. „Ich weiß, dass ich viel verlange, Kaoru-san, aber wenn Hinagiku-hime etwas zustößt, dann…“ „Du musst nicht weitersprechen“, unterbrach Kaoru das Mädchen beschwichtigend und lächelte freundlich, „ich werde dir helfen, mach dir keine Sorgen. – Ich werde euch mit einigem Abstand folgen, damit Hime keinen Verdacht schöpft und du Probleme bekommst, weil du dich ihr widersetzt hast, und wenn es Ärger gibt, werde ich nah genug sein, um euch helfen zu können.“ Inochiyume lächelte erleichtert, „Vielen Dank, Kaoru-san, ich hoffe, ich kann das eines Tages wieder gut machen.“ „Oh, ich wüsste da eine Möglichkeit“, Kaoru lächelte vieldeutig, „aber ich denke, darüber reden wir, wenn wir diese Angelegenheit erfolgreich erledigt haben.“ Inochiyume wirkte bei Kaorus Bemerkung verwundert, nickte jedoch lediglich zustimmend, ohne nachzufragen, worauf sich die Andeutung des Vizekommandanten beziehen mochte. Ayako hingegen hatte bei den Worten des Kriegers diesen kritisch und gründlich gemustert, als wäre er ein Stück Fisch, von dem sie überlegte, ob sie es kaufen sollte. Nichts in ihrem Gesicht verriet allerdings zu welchem Ergebnis sie bei dieser Musterung gekommen war und sie verlor kein Wort darüber, stattdessen mahnte sie ihre Enkelin endlich mit den Vorbereitungen für die Reise zu beginnen, wenn sie noch vor Einbruch der Dunkelheit fertig werden wollte. Inochiyume nickte zustimmend, während sie sich gleichzeitig erhob, sich noch einmal bei Kaoru für dessen Hilfe bedankte und sich anschließend daran machte, alles Notwendige zusammen zu packen. Unterdessen verließ der stellvertretende Kommandant die Hütte der beiden Frauen, um seine eigenen Vorbereitungen zu treffen und ging Ayako den üblichen täglichen Verrichtungen nach, als wäre nichts Besonderes vorgefallen. Als Inochiyume schließlich alles beisammen hatte, was sie brauchen würde, setzte sie sich ein letztes Mal mit Ayako an die Feuerstelle, um mit ihr gemeinsam zu essen, auch wenn sie keinen richtigen Appetit verspürte bei dem Gedanken an die bevorstehende Reise. Dennoch nahm sie ihrer Großmutter zuliebe einige Bissen des vorbereiteten Essens zu sich. Keine der beiden Frauen sprach an diesem Abend viel, in stillem Einverständnis verbrachten sie die wenige ihnen noch verbleibende Zeit so, als wäre dies ein vollkommen normaler Tag, auf den ein weiterer gänzlich alltäglicher Tag folgen würde. Kurz bevor es für Inochiyume Zeit wurde sich an dem vereinbarten Treffpunkt einzufinden, regte sich plötzlich der Rabe in seinem Krankennest, den das Mädchen an dem Tag, als Haru den Mantikor getötet, im Wald gefunden hatte. Der Rabe hüpfte etwas unbeholfen zu dem verschnürten Bündel, in das Inochiyume die wenigen Sachen für ihren eigenen Bedarf gepackt hatte, und ließ sich darauf nieder, als wollte er damit sagen, dass er beabsichtigte mitzukommen. Verblüfft hatten die beiden Frauen dieses Verhalten beobachtet, bevor Inochiyume den Raben schließlich von dem Bündel hob, ihn vorsichtig wieder in sein Nest setzte und ihm erklärte: „Du bleibst, besser hier, bis du auskuriert bist. Bā-chan kann sich hier viel besser um dich kümmern.“ Doch entweder verstand der Rabe diese Worte nicht oder er hielt nichts von ihnen, denn kaum hatte Inochiyume sich abgewandt, war er auch schon erneut aus dem Nest gesprungen und ließ sich gleich darauf wieder auf dem Bündel nieder. Ungläubig schüttelte Inochiyume den Kopf, machte sich aber dennoch die Mühe den Raben wieder zurück in sein Nest zu tragen, nur damit dieser kurze Zeit später wieder auf dem Bündel saß. Nachdem sie dieses Spiel eine zeitlang erfolglos betrieben hatten, ohne dass eine Seite gewillt war nachzugeben, erklärte Ayako, die das Ganze amüsiert beobachtet hatte, schließlich: „Lass es gut sein, Yume-chan, und nimm ihn mit, wer weiß wofür es noch gut sein mag.“ „Aber wie soll ich mich denn unterwegs richtig um seine Verletzungen kümmern, ich werde auch so schon alles Hände voll zu tun haben“, widersprach das Mädchen mit gerunzelter Stirn und einem ungehaltenen Blick auf den störrischen Raben. „Du wirst das schon irgendwie schaffen“, erklärte Ayako unbesorgt und fügte hinzu: „Du solltest dich allmählich sputen, wenn du Hime nicht durch langes Warten verärgern willst.“ Inochiyume biss sich auf die Lippe, nickte knapp und seufzte schließlich, den Raben auf dem Bündel sitzen lassend. Anschließend verabschiedete sie sich von ihrer Großmutter, schnürte sich ein vollgepacktes Tragegestell auf den Rücken, das den Großteil der Dinge enthielt, die für das Wohlbefinden der Prinzessin notwenig waren, nahm dann das schmale Bündel mit ihren eigenen Sachen und dem darauf sitzenden Raben in die Hand, verließ die Hütte und machte sich auf den Weg zum Dorfausgang. Dort erwartete sie bereits ungeduldig, auf dem Rücken ihres Pferdes, die Prinzessin, nicht wie üblich in einen kostbaren mehrlagigen Kimono gehüllt, sondern in wesentlich praktischere und schlichtere Kleidung, die dennoch kostbar genug war, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auch das Pferd trug noch einige weitere unbedingt notwendige Dinge für den täglichen Bedarf einer Prinzessin. Bei diesem Anblick seufzte Inochiyume gleich noch einmal, diese Reise würde mit Sicherheit kein Zuckerlecken werden. Sie konnte nur hoffen, dass es Kaoru gelang sie vor dem Großteil möglicher Gefahren zu beschützen, Hinagiku-hime in ihren Forderungen nicht allzu überzogen sein und Haru-dono sie nicht in der Luft zerreißen würde, wenn sie ihn schließlich gefunden hatten. Jede Menge Hoffnung also, ohne dass es eine Absicherung für den guten Ausgang des Unternehmens geben würde. Blieb nur noch zu hoffen, dass die Götter es sich vielleicht doch noch anders überlegten und ihnen nicht allzu übel mitspielen würden. Bei diesem Gedanken verzog Inochiyume ihr Gesicht zu einer Grimasse, schüttelte dann seufzend über sich selbst und ihre verdrehten Gedanken den Kopf und beschloss sich nicht weiter mit fruchtlosen Hoffnungen aufzuhalten, sondern sich darauf zu konzentrieren, was es im Augenblick zu bewältigen galt. Um alles andere konnte sie sich Sorgen machen, wenn es soweit war. „Du kommst zu spät“, lautete die ungehaltene Begrüßung Hinagikus, kaum das Inochiyume nah genug heran war, dass sie sie hören konnte, ohne dass die Prinzessin schreien musste. „Verzeiht, Hime-sama“, bat Inochiyume devot und verneigte sich höflich. „Schon gut, ich will nicht noch mehr Zeit verlieren, lass uns endlich aufbrechen“, befahl Hinagiku unwirsch und setzte ihr Pferd in Bewegung, davon ausgehend, dass Inochiyume ihr schon folgen würde. Diese warf noch einen letzten, prüfenden Blick in die Runde, konnte jedoch keine Spur von Kaoru entdecken und machte sich schließlich hastig daran Hinagiku zu folgen, nachdem sie das Licht in einer kleinen, mitgebrachten Sturmlaterne entzündet hatte, damit sie sich im Dunkeln nicht zu verirren würden. Haru und seine Begleiter hatten unterdessen bereits einen beachtlichen Teil ihres Weges zurückgelegt. In dem Bestreben sobald wie möglich seine Erinnerungen wieder zu bekommen, hatte Haru entschieden, dass er zusammen mit Jaken auf Ah-Un reiten würde, der sich an das Tempo InuYashas anpasste, der mit großen Sätzen neben dem Reitdrachen her sprang. Gegen Abend legten sie schließlich Rast ein, um dem Hanyō eine Pause zu gönnen, für den diese Art des Reisens vermutlich am anstrengensten gewesen war, auch wenn er nichts dergleichen je erwähnen würde. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht extra ein Feuer zu entzünden, sondern lediglich etwas von dem Proviant gegessen, bevor Jaken an Ah-Un gelehnt allmählich eindöste und die beiden Brüder jeweils sitzend an einen Baum gelehnt vor sich hin schwiegen, bis der Jüngere schließlich das Schweigen brach und erklärte: „Du solltest schlafen, sonst bist du nicht zu gebrauchen, wenn wir auf deinen Doppelgänger oder Sōunga und Ōjidai treffen.“ „InuYasha“, erwiderte Haru darauf nur mit eisiger Beherrschung, machte eine winzige Pause, als wolle er sicher gehen, dass sein Bruder ihm auch seine volle Aufmerksamkeit schenkte, und fügte dann ruhig hinzu: „Sag mir nie wieder was ich zu tun habe.“ Der Halbdämon verdrehte genervt die Augen, „Ja, ja, schon klar, der Herr Bruder ist sich immer noch zu fein dazu, Ratschläge anzunehmen. Aber so lange du ein Mensch bist, wirst du dich auch wie einer verhalten müssen und schlafen, wenn du überleben willst. – Glaub bloß nicht, ich hab mir den ganzen Ärger gemacht dich zu suchen, nur um am Ende zu zusehen, wie du von einer Tonpuppe erledigt wirst.“ „Ich mag es nicht, wenn man sich unnötige Sorgen um mich macht“, Harus Stimme klang noch immer zurechtweisend, aber ihr fehlte die verletzende Kälte, als nähme er die Sorge seines Bruders zur Kenntnis ohne sich davon angegriffen zu fühlen. Kurz schoss InuYasha die Frage durch den Kopf, ob das eine Folge des erzwungenen Menschseins war, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder und antwortete stattdessen auf die letzte Bemerkung seines Bruders: „Bild dir bloß nichts ein. Ich hab einen ganzen Berg von Dingen, die ich dir noch zurückzahlen will, also wag es ja nicht die von so einem dämlichen Spielzeug besiegen zu lassen, wenn dich jemand erledigt, bin ich das.“ „Große Worte, für jemanden wie dich“, erwiderte Haru mit einem Hauch Belustigung in der Stimme, bevor er wieder vollkommen ernst erwiderte: „Es wird sicher befriedigend sein, dich vom Gegenteil zu überzeugen.“ „Keh“, war alles was InuYasha darauf noch erwiderte, ehe erneut Schweigen zwischen den Brüdern herrschte und sie ruhig auf den Morgen warteten, um ihren Weg fortzusetzen. Kapitel 22: Mondsilbertaufe --------------------------- In fast schon guter, alter Tradition an dieser Stelle wieder einmal eine Warnung vorweg: Das folgende Kapitel enthält mit hoher Wahrscheinlichkeit Spuren von Kitsch, Schnulz und Sueness - ich hoffe allerdings, dass sich allergische Reaktionen darauf noch im erträglichen Rahmen halten werden und ihr mir infolge dieses Kapitels in Zukunft nicht untreu werdet. LG Zwiebel Hinagiku und Inochiyume waren die Nacht durchgewandert, hatten am darauffolgenden Morgen nur eine kurze Rast eingelegt, um dem Pferd etwas Ruhe zu gönnen, und waren bald darauf wieder aufgebrochen. Inzwischen war es bereits wieder später Nachmittag und Inochiyume hatte zunehmend Mühe gegen ihre Erschöpfung anzukämpfen und weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber noch dachte Hinagiku nicht daran erneut eine Rast einzulegen, da sie sich in den Kopf gesetzt hatte, ihren Bräutigam so schnell wie möglich einzuholen und ihm wobei auch immer beizustehen, denn dass er in Schwierigkeiten sein musste, davon war Hinagiku überzeugt. Allerdings verschwendete sie nicht eine Sekunde an den Gedanken, dass ihr angeblicher Verlobter alles andere als begeistert von ihrem Vorgehen sein könnte. Am frühen Abend schließlich hatte die Prinzessin doch ein Einsehen und entschied, dass sie für diesen Tag weit genug gekommen waren, um in dieser Nacht ein Lager aufschlagen zu können. Allerdings hieß das für die Dienerin noch lange nicht, dass sie sich ausruhen konnte, stattdessen galt es auch einem nahen Gebirgsbach Wasser herbei zu schaffen und zu erhitzen, damit Hinagiku sich waschen konnte, anschließend musste Essen zubereitet und das Nachtlager für die Prinzessin gerichtet werden. Nachdem das alles erledigt und auch der Rabe versorgt war, ließ Inochiyume sich todmüde auf dem Boden nieder, mit dem Rücken an einen Stein gelehnt und versuchte zu schlafen. Aber so müde sie war, konnte sie doch keine Ruhe finden und je mehr sie sich bemühte endlich einzuschlafen, umso weniger wollte es ihr gelingen, sodass sie schließlich mit einem Seufzen den Kopf gegen den Stein lehnte, die Augen wieder öffnete und hinauf in den sternenklaren Nachthimmel sah. Der Mond war nur noch als schmale Sichel zu sehen, in ein, zwei Tagen würde Neumond sein, die dunkelste Zeit des Monats, hervorragend geeignet um zwei wehrlose Reisende zu überfallen. Inochiyume hoffte von ganzem Herzen, dass ihnen unerfreuliche Begegnungen erspart blieben, auch wenn Kaoru sie heimlich begleitete, wäre es besser wenn es nicht notwendig werden würde seine Anwesenheit zu enthüllen; und wenn es sich doch nicht umgehen ließe, hoffte Inochiyume, dass Kaoru allein gegen die Bedrohung würde ankommen können. Da, sie tat es schon wieder: fruchtlose Hoffnungen nähren, statt sich mit dem abzufinden was war und das Beste daraus zu machen, wie es ihre Großmutter getan hätte. ‚Bā-chan…’, dachte Inochiyume mit einem wehmütigen Lächeln, wie es ihr jetzt wohl ging, ob sie, trotz der Einschränkungen die ihr das Alter aufzwang, vollkommen allein zurechtkam? Bestimmt, ihre Großmutter hatte schon ganze andere Sachen überlebt, als altersschwach in einem Dorf zu leben und ihre Nachbarn würden ihr doch sicher beistehen, wenn sie Hilfe brauchte. Inochiyume fröstelte, die Nachtluft war unangenehm kühl und so machte sich das Mädchen die Mühe, noch einmal aufzustehen und aus ihrem schmalen Bündel eine dünne Decke zu holen, eingewickelt saß sie bald darauf wieder an den Stein gelehnt und hing Erinnerungen aus ihrer Kindheit nach. Wie ihre Großmutter ihr früher häufig Puppenspiele oder Tänze aus ihrer Gauklerzeit vorgeführt und auch beigebracht hatte, um sie aufzuheitern, abzulenken oder einfach weil Inochiyume sie darum gebeten hatte, ihr etwas vorzuführen. Über diesen Erinnerungen dämmerte das Mädchen allmählich ein und ohne dass sie es noch bewusst bemerkt hätte, begann sie im Einschlafen davon zu träumen, dass sie wieder mit Ayako, Haru und Yūjō glücklich in der kleinen Hütte im Dorf lebte, vollkommen unbehelligt von menschenfressenden Monstern, heiratswütigen Prinzessinnen und schwertlüsternen Zauberern. Es mochte kein sonderlich aufregendes oder bemerkenswertes Leben sein, das sie führten, dennoch lag im Schlaf ein Lächeln auf Inochiyumes Gesicht, während sie tief in ihre Decke gekuschelt von einem lächelnden Blumenkönig, einer tanzenden Großmutter und einem fröhlich zwischen ihnen herum springenden Hund träumte. Der nächste Morgen kam nur allzu schnell und mit ihm das Ende angenehmer Träume, stattdessen hieß es wieder gehorchen, dienen, wandern, aber all das war Inochiyume schon so gewohnt, dass sie es erledigen und gleichzeitig ihren eigenen Gedanken nachhängen konnte. Allerdings war sie es nicht gewohnt, dass einer ihrer tierischen Patienten zu ihr sprach und so hielt sie das heisere Krächzen zunächst nur für einen Ausbund ihrer Fantasie, bevor sie realisierte, dass der Rabe, den sie erneut versorgte, nachdem sie die morgendlichen Wünsche der Prinzessin erfüllt hatte, tatsächlich zu ihr sprach. Im ersten Moment verblüfft hielt sie in ihrer Bewegung inne und starrte den Vogel in ihrem Schoß schweigend an, während der mit seiner krächzenden Stimme wiederholte: „Morgen ist Neumond.“ Ohne auf die Tatsache einzugehen, dass der Rabe plötzlich sprechen konnte, da sie in letzter Zeit zu viel Ungewöhnliches erlebt hatte, als dass sie sich über etwas Derartiges noch längere Zeit wunderte, blinzelte Inochiyume kurz und fragte dann erstaunlich ruhig: „Warum sagst du mir das?“ Statt einer direkten Antwort fuhr der Rabe fort, als wäre er nie unterbrochen worden: „Wenn es dir gelingt in dieser Nacht an den Chūzenji-ko zu gelangen, werde ich dir als Dank für deine Hilfe etwas zeigen, dass nur einmal alle tausend Jahre stattfindet.“ Inochiyume sah den Vogel zweifelnd an und erklärte: „Das ist sehr freundlich von dir, aber wirklich nicht nötig, ich habe dir gern geholfen.“ „Du solltest dir deine Entscheidung gut überlegen, denn sie wird Auswirkung auf deine Zukunft haben“, sprach der Rabe noch immer als hätte das Mädchen ihm die ganze Zeit schweigend und aufmerksam gelauscht. Da der Rabe offenbar ohnehin nicht an den Worten der Kahi interessiert schien und in diesem Moment Hingaiku zum Lager zurückkehrte, nachdem sie sich erleichtert hatte, schwieg Inochiyume auf die letzten Worte des Raben und kümmerte sich stattdessen darum das gepäck zusammenzupacken, sodass sie bald darauf ihre Reise fortsetzen konnten. Während ihrer Wanderung zögerte Inochiyume gelegentlich, da sie das Dorf zuvor noch nie verlassen hatte und sich lediglich auf die Informationen verlassen konnte, die sie von Kaoru und ihrer Großmutter erhalten hatte, um den Weg nach Kinai zu finden. Einmal hatte sie sich bereits für eine Weggabelung entschieden und war auch schon einige Schritte gegangen, als Hinagiku ihr plötzlich befahl den anderen Weg einzuschlagen. Erstaunt sah Inochiyume kurz zu der reitenden Prinzessin auf, sich im nächsten Moment jedoch widerspruchslos fügend, während sie sich im Stillen darüber wunderte, warum Hinagiku-hime diesen Umweg in Kauf nahm, statt auf dem kürzesten Weg Richtung Kinai weiter zu reisen. Ihre Verwunderung wurde noch größer, als sie gegen Abend einen rings von Bergen umgebenen Fluss erreichten, der sich auf natürliche Weise zu einem langgestreckten See staute. Als sich Inochiyume bei einer kleinen Gruppe Händler, die ihnen entgegen kam, erkundigte, wie See und Fluss hießen, erfuhr sie, dass es sich um den Fluss Daiya und dessen See Chūzenji handelte. Woher hatte Hinagiku-hime geahnt, dass Inochiyume der Chūzenji als zukunftsentscheidend prophezeit worden war, hatte sie das kurze Gespräch zwischen dem Raben und ihrer Dienerin belauscht? Aber warum sollte sich die Prinzessin die Mühe machen, diesen Ort aufzusuchen, der doch für sie von keinerlei Bedeutung sein dürfte? Inochiyume erhielt vorerst keine Antworten auf diese Fragen, sondern hatte sich wie stets zunächst um die alltäglichen Belange zu kümmern. Erst als es bereits dunkel geworden war, Hinagiku sich schlafen gelegt hatte und zwischen den Bergen tiefe Stille herrschte, hatte Inochiyume genug Zeit für sich, um über die früher aufgetauchten Fragen nachzudenken. Doch auch dieses Mal gab es jemanden der ihre Aufmerksamkeit verlangte. Hüpfend hatte sich ihr der Rabe genähert, dessen Verletzungen irritierend schnell heilten. „Komm, lass uns gehen. Es hat bereits angefangen“, krächzte er dem Mädchen zu und schien zu erwarten, dass dieses ihm Folge leistete. Für einen kurzen Augenblick zögerte Inochiyume, ob sie Hinagiku tatsächlich allein lassen sollte, um zu dem See hinunter zu gehen, dann jedoch entschied sie, dass sie nah genug sein würde, um zu hören, wenn die Prinzessin nach ihr rief und außerdem war doch sicher Kaoru irgendwo in der Nähe, um auf Hinagiku Acht zu geben. Also erhob sich Inochiyume von ihrem Platz, hob den Raben auf und lief seinen Anweisungen folgend Richtung See, bis sie auf einer nahen Erhebung zu stehen kam, die ihr ein beeindruckendes Bild bot: Mitten im Chūzenji-ko lag hell leuchtend, groß und rund die milchigweiße Scheibe des Mondes, während sich am Ufer des Flusses in majestätischem Schweigen eine Vielzahl durchscheinend blasser und zum Teil geflügelter Wesen von unglaublicher Zartheit versammelt hatten. Beim Anblick des Mondes im Wasser des Sees hatte Inochiyume zunächst verwirrt gen Himmel gesehen, aber da war nichts zu entdecken. Wie der Rabe vorhergesagt hatte, war in dieser Nacht Neumond, der Himmel nur von unendlich vielen Sternen übersät und doch war im Wasser des Chūzenji ganz eindeutig der volle Mond zu sehen. Wie war so etwas möglich? Plötzlich war im Gebüsch hinter Inochiyume ein Knacken zu hören, erschrocken fuhr das Mädchen herum, um zu sehen, was dieses Geräusch verursacht hatte. Aber sie konnte nichts entdecken und da sich der Laut nicht wiederholte, noch sonst etwas Besorgniserregendes geschah, wandte sich die junge Frau wieder um und sah erneut auf den Fluss hinab, wo die durchscheinenden Wesen begonnen hatten im Mondlicht zu baden. Als die ersten schließlich wieder das Wasser verließen, hatten sie sich auf überraschende Art verändert: Waren sie vorher blass und kaum wahrnehmbar gewesen, wirkten sie nun jung, voller Leben und waren sie in all ihrer übernatürlichen Schönheit vollkommen sichtbar. Während diese dem See entstiegenen Wesen unterdessen begannen am Ufer ein rauschendes Fest zu feiern, erklärte der Rabe in Inochiyumes Armen ruhig: „Das ist die Mondsilbertaufe, einmal alle tausend Jahre versammeln sich die Senjo dieses Landes hier an diesem Fluss, um auf ihre Art wiedergeboren zu werden. Senjo sterben nicht so wie Menschen es tun, sie verblassen ganz allmählich mit der Zeit, lösen sich nach und nach auf wie Nebelschwaden in der Sonne. Sie sind Wesen der Dämmerung und Nacht, der Mond gibt ihnen ihre Lebensenergie. Aber einmal alle tausend Jahre müssen, sie dieses Ritual vollziehen, um ihre Verbindung mit dem Mond zu erneuern, ihr Alter zu verlieren und ihre Magie zu verstärken. Es gibt nur wenige Wesen, die das Glück haben diesem Anblick beizuwohnen.“ „Sie sind wunderschön“, flüsterte Inochiyume, während sie weiter verzaubert die Vorgänge am Flussufer beobachtete, wo ein Teil der Senjo inzwischen kompliziert aussehende Reigentänze mit einer Anmut darbot, die einen im Innersten berührte und das Gefühl erzeugte, gleichzeitig lachen und weinen zu wollen, die Welt zu umarmen, weil es so herrlich war, am Leben zu sein. Erneut erklang ein Knacken, dieses Mal gefolgt von einem Rascheln hinter Inochiyume, ohne dass das Mädchen dieses Mal darauf achtete, viel zu gefangen von dem Schauspiel vor sich. So zuckte sie gleich darauf erschrocken zusammen, als auf einmal neben ihr die Stimme Hinagiku-himes erklang, die mit sachlicher Neugier auf das Bild am Fluss hinabsah und sich an den Raben gewandt erkundigte: „Sag mir, was geschieht, wenn ein Mensch in dem Mondlicht baden würde?“ „Das weiß ich nicht, es ist bisher noch nicht geschehen. Die Wenigen, die es versucht haben, wurden von den Senjo daran gehindert und für ihre Frechheit bestraft.“ „Wie bestraft?“, verlangte die Prinzessin interessiert zu wissen, ohne den Raben eines Blickes zu würdigen, sondern weiter die Vorgänge unter sich studierend. „Sie wurden in tote Bäume verwandelt, die erst von ihrem Schicksal erlöst sein werden, wenn sie blühen.“ „Ist das denn je einem von ihnen gelungen?“, fragte Inochiyume neugierig nach, ungewollt Mitleid mit den bestraften Unbekannten empfindend und zugleich von der Erzählung des Raben fasziniert, die sie an alte Märchen erinnerte. „Nur zweien, die anderen könnt ihr da unten am Festrand stehen sehen“, krächzte der Rabe gelassen als Antwort und tatsächlich, wenn man nicht auf die Senjo selbst, sondern ihre Umgebung sah, konnte man sechs schlanke Bäume erkennen, die den Festplatz umgaben, deren blattlose Äste sich gen Himmel streckten und in dieser Nacht von einer Unzahl an Glühwürmchen erleuchtet waren. „Gibt es denn eine Möglichkeit sie zum Blühen zu bringen?“, erkundigte Inochiyume sich, noch immer von dem Thema und dem Anblick der Glühwürmchen erhellten Bäume gefesselt, erhielt von dem Raben jedoch keine Antwort, da Hinagiku ihm zuvor kam und kühl erklärte: „Das ist völlig uninteressant, du wirst sie mit Sicherheit nicht retten können. Aber ich will wissen, was geschieht wenn ein Mensch in diesem Mondlicht badet. Wenn man von hier aus springt, müsste man genau im Mondwasser eintauchen, ohne dass die Senjo genug Zeit hätten, etwas dagegen zu unternehmen.“ „Verzeiht, Hime“, wagte Inochiyume besorgt zu widersprechen: „Aber seit Ihr sicher, dass es eine kluge Idee ist, das zu tun?“ „Das werden wir sehen, sobald du gesprungen bist“, erwiderte die Prinzessin ruhig und entschieden. „Ich?“, Inochiyume klang entsetzt, „aber warum sollte ich in den See springen, ich kann doch noch nicht einmal schwimmen?!“ „Du wirst springen, weil ich es dir sage und so schnell wirst du schon nicht ertrinken. Dazu an Land zu paddeln, wirst du ja wohl noch in der Lage sein“, die letzten Worte klangen, als hielte Hinagiku Inochiyume für ein äußerst nutzloses Lebewesen, um dessen Verlust es nicht sonderlich schade wäre. „Aber…“, versuchte sich Inochiyume hilflos zur Wehr zu setzen, erhielt jedoch nur den lapidaren Befehl: „Kein Aber, leg deinen Yukata ab und tu, was ich dir befohlen habe.“ ‚Bā-chan, wo bin ich da nur reingeraten…’, dachte Inochiyume mit wachsender Verzweiflung, sie hätte sich in diesem Moment gern einfach der Prinzessin verweigert und wäre auf dem schnellsten Weg nach Hause zurückgekehrt, aber das wäre nicht nur ehrlos gewesen, sondern hätte auch den Tod für sie und ihre Großmutter bedeutet. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als zu tun, was ihr befohlen worden war, während ihr wieder einmal nichts anders als die Hoffnung blieb, dass die Sache gut ausging. Und so stand Inochiyume kurze Zeit später nackt auf der Erhebung über dem Chūzenji, während ihr Yukata ordentlich zusammengelegt neben ihr auf dem Boden lag und darauf der Rabe Platz gefunden hatte. Inochiyume zitterte leicht in dem kühlen Nachtwind, während sie hinab auf den See starrte und schließlich mit einem Stoßgebet an die Götter, sie diesen Sprung überleben zu lassen, dem Befehl Hinagikus Folge leistete. Der Chūzenji-ko lag nicht weiter unter der Erhebung, es war also nur ein kleiner Sprung notwendig, um in das Wasser zu gelangen, aber dennoch schien für Inochiyume eine Ewigkeit zu vergehen, bevor sie schließlich in das kalte Wasser des Sees eintauchte und augenblicks in dessen eisiger Tiefe versank. Mit unbeholfenen Bewegungen, die noch zusätzlich durch die lähmende Kälte des Wassers erschwert wurden, versuchte Inochiyume wieder an die Oberfläche zu gelangen, während ihr gleichzeitig nur allzu schnell die Luft knapp wurde und ihre Lunge in dem Verlangen nach Sauerstoff zu schmerzen begann. Verzweifelt, weil sie trotz ihrer Bemühungen noch immer nicht die Wasseroberfläche erreicht hatte und in zunehmender Panik, weil sie keine Luft bekam, versuchte Inochiyume irgendwie aus dem Wasser herauszukommen, schließlich gegen den Reflex den Mund zu öffnen, um zu atmen, nicht mehr ankommend und auf diese Weise Wasser schluckend. Gerade als sie glaubte, dass sie im Wasser des Sees, umgeben von milchweißem Mondlicht, sterben würde, spürte sie, wie jemand sie an den Armen packte, sie nach oben und schließlich Richtung Ufer zog, wo Inochiyume schließlich hustend und keuchend zusammengekrümmt liegen blieb und zu begreifen versuchte, dass sie noch lebte. Unterdessen hatte Hinagiku gelassen die Vorgänge von der Anhöhe aus verfolgt. Als sie bei ihrer letzten Rast zufällig die Worte des Raben hörte, hatte sie, neugierig geworden, beschlossen herauszufinden, was es mit dieser Sache auf sich hatte; in der Hoffnung, dass sie die Andeutungen des Raben zu ihren Gunsten würde nutzen können. Im Moment schien es, als würden ihre Überlegungen von Erfolg gekrönt werden, während sie ruhig zusah, wie der schlanke Körper ihrer Dienerin Richtung Wasser fiel. Die Senjo im See und am Ufer hielten erstaunt in ihrem Treiben inne, als könnten sie nicht glauben, was da geschah. Ebenso tatenlos zusehend wie Hinagiku, wie die Wasseroberfläche kleine Wellen schlug, nachdem das Mädchen darin versunken war. Dann jedoch kam wieder Leben in die Senjo, während die Prinzessin noch immer gelassen abwartete, ob Inochiyume wieder auftauchen würde. Als das nicht geschah, nahm Hinagiku für einen kurzen Moment verärgert an, dass das Mädchen doch ertrunken wäre, bis sie sah, wie zwei der Senjo, den Körper einer dunkelhaarigen, jungen Frau zwischen sich, dem Ufer zustrebten. Als die beiden Nymphen Inochiyume aus dem Wasser zogen, weiteten sich Hinagikus Augen für einen Moment überrascht. Der gesamte Körper Inochiyumes schien für Augenblicke in einen silberweißen Kokon aus Licht eingehüllt zu sein, der sich schließlich wieder langsam in den Fluss zurückzog, als würde der Körper nach und nach von einem Stück verhüllenden Tuchs befreit werden. Was genau mit Inochiyume anschließend geschah, interessierte die Prinzessin nicht sonderlich, sie hatte gesehen, was sie sehen wollte: Das Mondlicht gab auch Menschen Schönheit, etwas anderes konnte der Lichtkokon nicht zu bedeuten haben und diese Schönheit wollte Hinagiku auch für sich haben, sicher dass ihr Haru anschließend umso mehr verfallen würde. Die Senjo unterdessen hatten sich um Inochiyume versammelt, sich leise raunend unterhaltend und sich offenbar nicht Recht im Klaren darüber, was sie nun mit diesem Menschenwesen in ihrer Mitte anfangen sollten, als sie unerwartet ein weiteres Mal das Geräusch eines auf die Wasseroberfläche treffenden Körpers vernahmen. Anders als das am Boden kauernde Wesen vor ihnen, hatte diese neuerliche Störung ihres Festes jedoch kein Problem sich im Wasser schwimmend fortzubewegen und selbstständig ans Ufer zu gelangen. Mit stolzer Würde verließ Hinagiku kurz nachdem sie in das Mondlicht getaucht war, den See wieder, während sie es genoss zu spüren, wie sich der Lichtkokon auf ihrer Haut langsam zurückzog, als wäre er kostbarste Seide, die über ihre Haut glitt. Sobald sie den Fluss verlassen hatte, trat die Prinzessin mit hocherhobenem Haupt auf die Senjo und Inochiyume zu und äußerte an Erstere gewandt mit fürstlicher Herablassung in der Stimme: „Verzeiht die Unterbrechung eurer Feierlichkeit. Wir werden euch nun nicht länger stören“, ohne sich im geringsten darüber Sorgen zu machen, ob ihr diese Wesen schaden oder ihr Benehmen als Beleidigung auffassen könnten. Sie war die Fürstentochter, demnach hatten alle anderen ihr zu gehorchen. Im nächsten Moment war sie nah genug herangekommen, um Inochiyume aus der Nähe zu sehen, und hielt abrupt inne. „Wie kann das sein, du siehst nicht im Geringsten besser aus als zuvor?!“, erklärte sie dann zornig und schien Inochiyume persönlich für dieses Versagen verantwortlich zu machen, bevor sie zurück zum Ufer des Chūzenji eilte, um sich in der spiegelnden Oberfläche zu betrachten. Mit enttäuschter Wut musste sie feststellen, dass sie sich ebenfalls kein bisschen verändert hatte, sie sah noch genau so aus, wie vor ihrem Bad im Mondlicht. Unterdessen waren die Senjo untereinander offenbar zu einer Einigung gelangt, was mit den beiden Störenfrieden in ihrer Mitte geschehen sollte, denn nun trat ein trotz seines kindlichen Aussehens königlich wirkender Mann vor, dessen Haar und Haut ein blasses Blaugrün aufwiesen. Im Gegensatz zu seiner kühlen Erscheinung klang seine Stimme angenehm warm, was dem Inhalt seiner Worte jedoch nichts von dessen Bedeutungsschwere nahm. „Ihr habt es gewagt unser Fest zu stören. Wenn es auch nur eine Winzigkeit gibt, von der ihr glaubt, sie zu eurer Verteidigung vorbringen zu können, dann tut es jetzt.“ Bei diesen Worten hatte sie Hinagiku noch immer verärgert herumgedreht und erklärt: „Ich habe es nicht nötig mich zu verteidigen. - Dieser Umweg war vollkommen sinnlos, ich werde nicht noch mehr Zeit mit euren Spielchen verschwenden. Inochiyume, steh auf, wir gehen!“ Damit wandte sich die Fürstentochter ab und wollte zu ihrem Lagerplatz zurückkehren. Sie kam allerdings nicht weit, denn obwohl keine der Senjo sich bewegt hatte, hielt Hinagiku plötzlich mitten in ihrer Bewegung inne, als wäre sie festgewachsen, und begann sich langsam und allmählich zu verwandeln, während der blaugrüne Mann in ihrem Rücken ruhig erklärte: „Du magst in der Welt der Menschen Rang und Namen haben, in unserer bist du nicht mehr als eine von vielen Tausendschön.“ Offenbar war das der Urteilsspruch, denn Hinagiku wurde mehr und mehr zu einer zierlichen, kleinen Blume mit weißer, vielblättriger Blüte, während Inochiyume noch immer versteinert dahockte und für einen Moment nicht wusste, was sie tun sollte. Dann jedoch, warf sie sich vor dem Kindmann auf die Knie und bat: „Sennyo-ō-sama, bitte verzeiht Hinagiku-hime ihr Vergehen. Sie hat es nicht aus Böswilligkeit getan, sondern für ihren Kyokon.“ Der Angesprochene ging nicht auf die angeblichen Beweggründe Hinagikus ein, sondern erkundigte sich stattdessen: „Was ist mit dir, welchen Grund hattest du in das Mondlicht zu springen?“ Inochiyume schluckte nervös, schloss kurz die Augen und flüsterte schließlich leise: „Ich hatte keinen Grund, Sennyo-ō-sama. Ich werde jede Strafe akzeptieren, die Ihr für angemessen haltet, ich bitte Euch nur darum, Hinagiku-hime ihre Reise unbehelligt fortsetzen zu lassen.“ Nach diesen Worten herrschte eine Weile lastende Stille, während die Senjo Inochiyume schweigend anstarrten. Schließlich ergriff der Feenkönig wieder das Wort: „So viel Selbstlosigkeit ist ungewöhnlich. Was bedeutet sie dir, dass du bereit bist, soweit für sie zu gehen?“ „Sie ist die Tochter meines Herrn und Fürsten, Sennyo-ō-sama, ich bin ihm verpflichtet. Nagasawa-kō wäre am Boden zerstört, wenn seiner einzigen Tochter etwas zustieße.“ „Du bist bereit für die, die dich gezwungen hat, zu bitten, nur aufgrund der Tatsache, dass du die Leibeigene ihres Vaters bist?“, der König klang erstaunt. „Vergebt, Sennyo-ō-sama, sie hat mich nicht gezwungen und ihr Vater trägt dafür Sorge, dass die Menschen in meinem Dorf sicher leben können, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, sie zu beschützen, was sollte dann aus ihnen werden?“ „Du bist also bereit, die Strafe auf dich zu nehmen, um das Wohlergehen deines Dorfes zu sichern“, fasste der Sennyo-ō Inochiyumes Worte noch einmal zusammen und erhielt darauf nur eine kurze, geflüsterte Bestätigung, während sie Inochiyume bemühte nicht vor Kälte mit den Zähnen zu klappern. Unterdessen trat der Feenkönig ruhig auf Inochiyume zu, beugte sich zu ihr herab, legte einen Finger unter das Kinn der jungen Frau und hob auf diese Weise deren Gesicht an, bis sie einander in die Augen sehen konnten. „Ich werde deinen Wunsch erfüllen“, warm und sanft klang die Stimme des Kindkönigs, während er dem knienden Mädchen ernst in die Augen sah, „ich werde die Prinzessin verschonen und du wirst allein die Strafe für eure Tat tragen. Merke dir: Sie wird dir nicht dafür danken und das, was du dir am sehnlichsten wünschst, wird niemals in Erfüllung gehen.“ „Ich weiß, Sennyo-ō-sama“, erwiderte Inochiyume leise mit einem traurigen Lächeln, bevor sie hinzufügte: „Ich danke Euch.“ „Wissen und begreifen sind zwei verschiedene Dinge“, erklärte der Sennyo-ō kryptisch in gelassenem Tonfall, bevor er Inochiyumes Kinn losließ und wieder einen Schritt zurücktrat. Anschließend erklärte er: „Es steht euch frei zu gehen“, während sich zugleich Hinagiku wieder in ihr altes, menschliches Selbst zurückverwandelte und anschließend ohne ein weiteres Wort, als wäre sie nie durch den Zauber der Senjo aufgehalten worden, das Flussufer verließ und zu der Anhöhe zurückkehrte, auf der die beiden Frauen ihre Kleider und den Raben zurückgelassen hatten. Hastig hatte sich Inochiyume erhoben, sich höflich verbeugte und war wortlos ihrer Herrin gefolgt. Auf der Anhöhe angekommen, hatte sie erstaunt festgestellt, dass der Rabe verschwunden war, es gab nicht den kleinsten Hinweis auf seinen Verbleib. Auch die Suche nach ihm, sobald sich das Mädchen wieder angekleidet hatte, blieb erfolglos. Inochchiyume kam nicht umhin bei ihrer Suche nachdenklich festzustellen, dass der Rabe so gut wie gar nicht versucht hatte, Hinagiku von ihrem Vorhaben abzubringen, sondern dass es im Nachhinein eher so schien, als wäre genau das, was Geschehen war, seine Absicht gewesen, auch wenn Inochiyume nicht verstand, was der Sinn hinter diesem Vorgehen gewesen sein mochte. Als die Kahi ihre Suche schließlich aufgab und bevor sie wie Hinagiku-hime wieder in das Lager zurückkehrte, warf sie noch einen letzten Blick auf den Chūzenji-ko und dessen Ufer. Die Senjo, ebenso wie der im See liegende Mond, waren inzwischen genauso spurlos verschwunden wie der Rabe, als hätte all das nie existiert, als wäre es nur ein bizarrer Traum gewesen, hervorgerufen durch schlichte Übermüdung. Den einzigen Hinweis darauf, dass die vergangenen Geschehnisse kein Traum sondern Wirklichkeit gewesen waren, gaben die sechs den Festplatz begrenzenden Bäume, deren tot gen Himmel ragende Äste auf einmal begonnen hatten zartes Grün zu treiben und Blütenknospen auszubilden, die so prall wirkten, als würden sie jeden Moment aufspringen wollen. Inochiyume lächelte bei diesem Anblick. Wenn es toten Bäumen gelang Blüten zu treiben, würde vielleicht, trotz des Urteilsspruchs des Feenkönigs, eines Tages doch noch ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen, die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt und wer würde einfach verzweifeln, wenn das Leben noch so viele andere Möglichkeiten bot glücklich zu werden. Mit einem Seufzer der Erleichterung hatte Kaoru die unbeschadete Rückkehr Inochiyumes registriert. So gern er ihr bei ihrer Suche geholfen hätte, galt seine erste Pflicht doch dem Schutz der Prinzessin und so hatte er während der gesamten Zeit angespannt dagesessen und auf jedes noch so kleine Geräusch gelauscht, bereit los zu sprinten, um Inochiyume beizustehen, wenn es nötig werden sollte. Von den Vorgängen auf der Anhöhe und am Flussufer hatte er nicht allzu viel mitbekommen, da er stets einen gewissen Abstand zu den beiden Frauen einhielt, um Hinagiku-hime nicht misstrauisch werden zu lassen. Dennoch hatte er genug gesehen, um sicher sein zu können, dass Hinagiku nicht nur im Gesicht eine Schönheit war und Inochiyume unter ihrem Yukata ebenfalls einen durchaus angenehmen Anblick bot. Bei diesem Gedanken schlich sich ein zufriedenes Grinsen in Kaorus Gesicht, - manche Tage waren entschieden besser als andere. P.S. Senjo = Elfen, Feen, Nymphen Kapitel 23: Die Ersten töten die Hunde -------------------------------------- In schweigender Übereinkunft hatten Haru und InuYasha so selten wie möglich Rast eingelegt, um möglichst schnell zum Palast des Herrn der westlichen Länder zu gelangen, wo sie den Puppenersatz Sesshōmarus zu finden hofften. Haru hatte beabsichtigt auch die folgende Nacht durchzureisen, war in diesem Fall jedoch auf InuYashas Widerstand gestoßen, der darauf bestand, dass sie sich für die kommende Nacht einen sicheren Platz zum Rasten suchten. „Bist du so schwach, dass du schon wieder eine Pause brauchst?“, erkundigte sich Haru mit kühler Herablassung, erhielt darauf jedoch nur ein wegwerfendes „Keh“ des Hanyō als Erwiderung, ohne dass dieser auf die offensichtliche Provokation einging, sondern stattdessen nur mit leichter Unruhe zum Horizont sah, wo langsam die Sonne unterging. Erstaunlich kompromissbereit und friedfertig erklärte InuYasha anschließend: „Du kannst ja vorausreiten, ich hol euch morgen schon irgendwie ein“, ohne eine Antwort abzuwarten ließ er gleich darauf seine Reisebegleiter stehen und verschwand zwischen den Bäumen eines nahegelegenen Waldes. Mit leicht verengten Augen hatte Haru für einen Moment dem Hanyō nachgesehen, bevor er an Jaken gewandt knapp erklärte: „Wir reisen weiter.“ „Vergebt, Sesshōmaru-sama“, äußerte der Kappa mit zögerlicher Besorgnis und tiefer Ergebenheit in der Stimme, aber heute Nacht ist Neumond.“ Ungerührt sah Haru den Krötenyōkai an, darauf wartend, dass dieser seine Bemerkung genauer erklärte. „InuYasha ist ein Halbdämon“, versuchte Jaken seinem Herrn die Sachlage mit Hinweisen zu verdeutlichen, bemüht dessen Stolz angesichts seiner Ahnungslosigkeit nicht zu verletzen, da dies in der Vergangenheit hin und wieder schmerzhafte Konsequenzen für Jaken zur Folge hatte. Haru mochte sein Gedächtnis verloren haben, sein Verstand jedoch funktionierte noch immer hervorragend und so erwiderte er auf die Äußerungen seines krötenähnlichen Begleiters feststellend: „Er verändert sich also in Neumondnächten.“ Jaken nickte und berichtete kurz was er auf der Reise mit dem Hanyō herausgefunden hatte und in Erinnerung an die erste Auseinandersetzung der Brüder um Tessaiga im Grab ihres Vaters geschlussfolgert hatte: „Er wird ein Mensch und kann Tessaiga in dieser Zeit ebenso wenig benutzen wie seine Menschenfreundin.“ „Es ist nicht die erste Nacht, die er auf diese Weise verbringt“, lehnte Haru den unausgesprochen mitklingenden Vorschlag Jakens ab, ergriff die Zügel Ah-Uns und wollte diesen gerade antreiben die Reise fortzusetzen, als Jaken den Einwand vorbrachte: „Vergebt, Sesshōmaru-sama, aber wenn er in dieser Nacht von den Tonkriegern angegriffen wird, werden sie keine Mühe haben, Tessaiga in ihre Gewalt zu bringen.“ Jaken wusste, dass er sich gerade auf sehr dünnem Eis bewegte, hatte es seinem Herrn doch nie gefallen, wenn er nachlässig oder unachtsam gewesen war und dies in irgendeiner Form von Anderen mitgeteilt bekam. Aber in diesem Fall war es notwendig Haru darauf hinzuweisen, dass er etwas übersehen hatte, denn ohne InuYasha und dessen Schwert würde es ihnen nicht möglich sein Ōjidai und Sōunga aufzuhalten. Der dunkelhaarige Krieger gab mit keiner Silbe zu verstehen, ob er aus Jakens Bemerkungen die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen hatte, sondern trieb lediglich endgültig Ah-Un an, ihn dabei jedoch in die Richtung lenkend, in der kurz zuvor InuYasha verschwunden war. Da Haru in seinem menschlichen Zustand nicht über die Möglichkeiten eines Hundedämon verfügte eine bestimmte Person ausfindig zu machen, überließ er es in diesem Fall dem Reitdrachen den freiwillig verloren gegangenen Hanyō ausfindig zu machen. Dieser hatte sie offenbar bereits gewittert, denn er machte es Haru, Jaken und Ah-Un erfreulich einfach ihn zu finden, auch wenn er keineswegs erfreut wirkte sie so bald wiederzusehen. Stattdessen wirkte er vielmehr äußerst skeptisch, als traue er diesem plötzlichen Sinneswandel seines Bruders nicht recht. „Was ist los?“, verlangte er umgehend zu wissen, als die Drei nah genug herangekommen waren, „Ich denke, du wolltest die Nacht durchreisen. Glaubst du vielleicht, ich wäre nicht in der Lage ohne dich auszukommen oder hast du dir überlegt, dass du mit mir besser dran bist, als ohne mich?“ Die erste Möglichkeit schien InuYasha sehr viel weniger Vergnügen zu bereiten, als die zweite, wie die Veränderung seiner Stimmlang von misstrauisch-schlechtgelaunt zu spöttisch-überheblich bewies. Haru schien die Bemerkungen des Hanyō nicht zur Kenntnis genommen zu haben, denn seine gesamte Reaktion bestand lediglich in der neutral hervorgebrachten Bemerkung: „Wir werden heute Nacht hier rasten.“ Wie so oft gab InuYasha darauf nur ein wegwerfendes „Keh“ von sich, fügte sich jedoch widerspruchslos, war im nächsten Moment an Harus Seite und lief schweigend neben ihm her. Kurze Zeit später fanden sie einen Platz, der ihnen als Rastplatz für die Nacht geeignet schien, da er ihnen zum einen die Möglichkeit bot sich nähernde Wesen schon aus einiger Entfernung zu bemerken und ihnen zugleich massiver Stein in ihrem Rücken Schutz bot. Als die Sonne unterging begann InuYasha sich zu verändern: Die Krallen an seinen Händen und Füßen bildeten sich zurück, wurden zu normalen, menschlichen Fuß- und Fingernägeln, seine Augen und Haare verloren ihr ungewöhnliches Aussehen und nahmen einen braunen beziehungsweise schwarzen Farbton an. Ungewollt fasziniert hatte Haru diese Veränderungen verfolgt, während Jaken zwischen den beiden Brüdern hin und hersah, feststellend, dass ihre Verwandtschaft auf irritierende Art noch offensichtlicher wurde, als wenn Beide über ihr dämonisches Erbe verfügten. Derweil versuchte InuYasha seinen Bruder mit giftigen Blicken in Grund und Boden zu starren, während er schlechtgelaunt feststellte: „Jetzt weißt du es also. Aber glaub bloß nicht, dass du mich in der nächsten Neumondnacht einfach umbringen kannst, wenn du dein Yōki wieder hast.“ Kurz verengten sich Harus Augen bei dieser beleidigenden Provokation, bevor er mit eisiger Beherrschung erwiderte: „Spar dir deine infantilen Beleidigungen, ich habe es nicht nötig hilflose Narren anzugreifen.“ InuYasha konnte darauf nicht mehr als ein Knurren äußern, denn Haru fuhr, das Thema wechselnd, in analytisch kühlem Tonfall fort: „Wie lang hält diese Verwandlung an?“ „Nur die Nacht über“, gab InuYasha widerwillig Auskunft, sich instinktiv der Autorität des Älteren beugend. „Geschieht diese Verwandlung ausschließlich in Neumondnächten oder ist damit zu rechnen, dass du plötzlich während eines Kampfes zu einem Menschen wirst?“ „Keh, bin ich vielleicht schon mal während einem unserer Kämpfe zu einem Menschen geworden?“, konterte der Hanyō auf die Frage Harus missgelaunt und erhielt dafür nur einen durchdringenden Blick als Antwort, der eindeutig klarstellte, was der dunkelhaarige Krieger von dieser Bemerkung hielt, dennoch beließ er es für den Moment bei diesem Schlagabtausch, sodass zwischen den Brüdern wieder angespanntes Schweigen herrschte. Entgegen Jakens Befürchtungen schien es eine ruhige Nacht zu werden, in der es keinen Angriff von Ōjidais Tonkriegern geben würde, dennoch war eine gewisse Anspannung sowohl bei Inuyasha als auch Haru zu spüren, während sie mit größter Aufmerksamkeit abwechselnd Wache hielten. Es war bereits nach Mitternacht, als sich erwies, dass sie mit ihrer Vorsicht Recht behalten hatten. Die Tonkrieger gaben sich dieses Mal nicht die geringste Mühe leise zu sein, sondern schienen im Gegenteil so viel Lärm wie möglich zu machen, um die Sinne ihrer Opfer darüber zu täuschen, aus welcher Richtung genau sie nun kamen und eine Schätzung zu erschweren wie viele sie sein mochten. Allerdings hatte sich derjenige, der den Tonkriegern die Befehle erteilte, schwer im Charakter seiner Gegner getäuscht, wenn er denn überhaupt einen Gedanken an diese verschwendet hatte. Denn statt verängstigt und kopflos zu reagieren, behielt die kleine Gruppe um Haru einen kühlen Kopf und traf ihre Vorbereitungen für den bevorstehenden Kampf, indem Ah-Un die Maulkörbe abgenommen wurden, Jaken am Rand des Rastplatzes mit Hilfe seines Jintōjō mehrere Feuerstellen in Brand setzte, um das Gelände besser übersehen zu können und die vier anschließend in Kampfhaltung ruhig auf ihre Angreifer warteten, die kurz darauf auch schon wie ein hungriger Schwarm aggressiver Moskitos über sie her fielen. Nur um im nächsten Moment umgehend und ohne Zögern von Haru mit Hilfe von Shiomari zurückgeschlagen zu werden. Nach diesem ersten, vergeblichen Versuch in den Besitz der begehrten Schwerter zu gelangen, zogen sich die wenigen, überlebenden Tonkrieger schleunigst zurück, ohne dass Haru und InuYasha den Fehler begingen sie zu verfolgen, und angespannte Stille senkte sich über den Wald. Eine zeitlang schien es, als hätten die verbliebenen Tonkrieger nach dieser ersten vernichtenden Niederlage bereits aufgegeben. Doch dann trat mit majestätischer Ruhe eine hochgewachsene, weißhaarige Gestalt aus den Schatten der Bäume hervor und betrachtete die kleine Gruppe aus Menschen, Kappa und Reitdrachen mit emotionsloser Gelassenheit, ohne sich zu bewegen. Nach einem langen Moment des Schweigens, in dem sich die Atmosphäre spürbar anspannte, bewegte sich der Neuankömmling plötzlich mit beeindruckender Schnelligkeit auf Haru zu und griff ihn an. Es bestand kein Zweifel, dass der Doppelgänger Sesshōmarus in der Zeit, die seit der letzten Begegnung mit InuYasha vergangen war, an Übung im Kampf gewonnen hatte. Offenbar hatte der Doppelgänger seine Zeit nicht nur mit dem Einkaufen von Schwertern verbracht, sondern auch den Umgang mit einem solchen trainiert. Haru konnte zunächst nichts anderes tun, als die Angriffe des weißhaarigen Dämons zu parieren, vor dessen Yōki durch die dunkelblaue Energie Shiomaris geschützt. Allerdings war das nur eine geringe Erleichterung. Mochte der Doppelgänger auch nicht über so viel Erfahrung verfügen, wie sein Original, war er dem beachtlichen Können Harus dennoch überlegen, da er im Gegensatz zu diesem auf die Fähigkeiten eines Dämons zurückgreifen konnte, während Haru nur über rein menschliches Talent verfügte. Dennoch dachte der zum Mensch gewordene Dämon nicht eine Sekunde daran, sich von seinem Gegner so einfach besiegen zu lassen. Wenn er verlieren würde, dann würde er seinem Gegner den Sieg so schwer wie möglich machen. Während die beiden Männer mit einander kämpften, entfernten sie sich allmählich von dem Lagerplatz der kleinen Reisegruppe, sodass in deren Verteidigungslinie eine Lücke zurückblieb, deren Gefährlichkeit den zurückgebliebenen Reisegefährten nur allzu schnell schmerzlich bewusst gemacht wurde, als die Tonkrieger in zurückgewonnener Stärke erneut angriffen. Ebenso wie Haru gegenüber dem Dämon, befand sich auch InuYasha im Nachteil gegenüber seinen Gegnern, konnte er dieses Mal doch nicht auf die magischen Fähigkeiten Tessaigas zurückgreifen, sondern sich nur mit Klinge und der zu Hilfe genommenen Schwertscheide gegen seine Angreifer zur Wehr setzen, während Jaken und Ah-Un wie schon damals beim Wald von Amaterasu effektiv gegen die Tonkrieger vorgingen. Trotz der sowohl zahlen- als auch kräftemäßigen Unterlegenheit von Haru und seinen Gefährten, erwiesen sich diese vier als erstaunlich zäh und widerstandsfähig gegenüber ihren Angreifern und so dauerten die Kämpfe an, ohne dass eine Seite einen entscheidenden Vorteil oder den Sieg für sich gewinnen konnte. Geredet wurde während dieser Kämpfe nicht ein Wort, zu sehr waren die aufeinandertreffenden Parteien darauf konzentriert ihren Gegner entweder zu töten oder sich dessen zu erwehren. Haru atmete schwer, während seine Arme allmählich von dem langen Kampf ermüdeten und er fühlte, wie ihm vor Anstrengung begann der Schweiß über den Körper zu rinnen und sich zunehmend seine älteren, noch nicht vollständig verheilten Verletzungen aus den Begegnungen mit dem Mantikor und den Tatzelwürmern bemerkbar machten, ohne dass er bisher den tödlichen Schwachpunkt des Dämons hatte ausmachen können. Die direkten Schwertangriffe waren mühelos gekontert worden, den Magieangriffen Shiomaris war sein Gegner mit der dämoneneigenen, übermenschlichen Leichtigkeit ausgewichen. Eine Tatsache, die Haru verwunderte, da InuYasha berichtet hatte, dass dieses Wesen ebenfalls über Mak Ba’el verfügte. Er vermutete jedoch, dass dessen Stärke nicht gegen die Shiomaris ankam, vielleicht weil Ōjidai zur Zeit in der Hölle weilte, vielleicht weil der Doppelgänger von Anfang an nicht über ein sonderlich großes Maß an Mak Ba’el verfügt hatte, da sonst das Yōki und damit die Täuschung verloren gegangen wären. Letztendlich war das Warum nebensächlich, solang es Haru nur irgendwie gelang seinen Gegner zu besiegen. Anders als bei dem Mantikor würde ein Vortäuschen von Schwäche nichts nützen, um den Dämon angreifbar zu machen, da dieser lediglich mit Hilfe Tōkejins eine tödliche Energieklinge aus sicherer Entfernung seine Richtung zu senden brauchte, ohne sich ihm nähern zu müssen. Er musste also eine andere Möglichkeit finden. Und dann bemerkte Haru es, die eine, an sich unbedeutende Eigenheit, die den Dämon seinen Sieg kosten würde. Trotz seiner Erschöpfung glitt ein zufriedenes Lächeln über Harus Gesicht, während er ein weiteres Mal Susanoo auf seinen Gegner zu rasen ließ, der wie die Male zuvor nach links auswich, bevor er selbst zum Angriff überging. Aber Haru ließ ihm dazu keine Zeit, sondern zwang ihn immer wieder aufs Neue nach links auszuweichen, während er Susanoo um Susanoo in Richtung des Dämons schickte, sodass der Wald um sie herum bald nur noch als Bruchholz existierte. Schließlich hatte der menschliche Krieger seinen Gegner da, wo er ihn haben wollte: In die Ecke gedrängt, zwischen umgestürzten Bäumen. Ihm war klar, dass das den Dämon nicht beeindrucken, noch sonderlich lang aufhalten würde, aber auf diese Weise blieb ihm nur ein Ausweg, der nach oben. Und so schickte Haru ein letztes Mal Susanoo los, sorgte dafür, dass der Dämon in die Luft springen musste und gerade als dieser sich in die Luft erhoben hatte, äußerte Haru „Shirayuki“, während er die Schwertspitze auf einen Punkt in der Luft gerichtet hielt, an dem sich wenige Sekunden später der Dämon befinden würde. Wieder breitete sich fächerartig ein schlohweißes Leichentuch aus gleißender Energie aus, dieses Mal etwas über Kopfhöhe des Dämons, der erschrocken aufkeuchte, im letzten Moment seine Aufwärtsbewegung stoppte und wieder auf dem Boden ankam, wo er bereits von Haru erwartet wurde, der zu der Stelle gerannt war, an der der Dämon wieder zu Boden kommen würde. Dem Doppelgänger blieb gerade noch Zeit unwillig die Augen zu verengen und Tōkejin in dem Bestreben sich zu verteidigen zu heben, als ihm Haru auch schon Shiomari unterhalb des Brustpanzers in den Körper stieß und es anschließend mühelos aufwärts zog, als glitte es durch Reisschleim, sodass der Dämon im nächsten Moment vom Bauchnabel aufwärts in zwei Hälften auseinanderklappte, wie eine geschälte Frucht. Gleichzeitig mit dem Tod des Doppelgängers erlosch der Zauber Ōjidais und der Dämon verwandelte sich wieder in das, was er zu Beginn gewesen war: Ein tönernes Gefäß zur Aufbewahrung von Magie und Erinnerungen. Sowohl Yōki als auch Erinnerungen befreiten sich in einem wild strudelnden Wirbel aus dem Körper der Tonpuppe und begannen sich in der Luft zu einer aus unzähligen dünnen, um sich selbst rotierenden Fäden bestehenden Masse aufzutürmen, um schließlich, einer riesigen Meereswoge gleich, mit ungehinderter Wucht auf Haru nieder zu stürzen, als wollte sie diesen unter sich begraben. Stattdessen jedoch sog Harus Körper diese ungebändigte Masse an Yōki und Erinnerungen in sich auf, wie ein trockener Schwamm Wasser. Entgegen dem, was Haru beim Anblick dieser ungezügelten, starken Energie erwartet hatte, schmerzte es nicht, als diese auf ihn herabsauste und von seinem Körper aufgesogen wurde. Es war allerdings auch nicht angenehm, sondern es war einfach etwas, das geschehen musste, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Sobald Magie und Erinnerungen vollständig im Körper des Kriegers verschwunden waren, konnte Haru spüren, wie sich ein warmes Prickeln in seinem Körper ausbreitete, wie sich Macht und eine Vielzahl neuer und doch altvertrauter Möglichkeiten die Wege zu ihren angestammten Plätzen bahnten und ihm immer schneller werdend sein dämonisches Aussehen wiedergaben. Es erzeugte ein merkwürdiges Gefühl aus Kitzeln und Ziehen, als seine Krallen wieder wuchsen und seine Ohren ihre Spitze Form zurück erhielten. Ein kurzes Brennen bestätigte das Wiedererscheinen seiner Körperzeichnungen und als er an seinem Gesichtsfeld etwas Silbriges aufblitzen sah, fing er es ein und stellte fest, dass auch seine Haare wieder die ursprüngliche Farbe aufwiesen. Im nächsten Augenblick allerdings wäre er beinahe in die Knie gegangen und konnte sich nur leicht taumelnd auf den Beinen halten, während er sich mit einer Hand an die Stirn griff, als mit einem Schlag alle verlorenen Erinnerungen auf einmal zurückkehrten, inklusive derer, die die Tonpuppe in ihrer Zeit als Sesshōmaru gesammelt hatte. Es war eine Flut von Informationen, die in ihrer Unmenge und Heftigkeit für ein an menschliche Dimensionen gewöhntes Gehirn nur schwer zu verarbeiten waren. Aber so schnell und plötzlich die wiederkehrenden Erinnerungen Schmerzen verursachten, so schnell gewöhnte sich sein Gehirn wieder an das altbekannte dämonische Dasein, verging der Schmerz und wurde der erneute Besitz seiner Erinnerungen normal. Nur die Tatsache, dass er für die Zeit seines Menschseins von nun an über doppelte Erinnerungen verfügte, einmal über die Harus und einmal über die des Ersatz-Sesshōmarus, war irritierend. Zumal ihm einige der Erinnerungen seines Doppelgängers keineswegs zusagten. Es schien nicht nur, dass dieser sich unverfroren an seinem Besitz vergriffen hatte, um damit Unmengen von Schwertern zu erwerben, sondern dass er auf höchst beleidigende Weise versucht hatte, InuYasha zu töten. Sesshōmaru gestand sich nur widerwillig ein, dass er wohl oder übel in der Schuld seines Halbbruders stand. Ein Gedanke der ihm keineswegs behagte, auch wenn er dem Hanyō zugestehen musste, dass dieser sich anscheinend recht gut behauptet hatte. Unterdessen war der Kampf zwischen den übriggebliebenen Tonkriegern auf der einen und InuYasha, Jaken sowie Ah-Un auf der anderen Seite noch längst nicht zu Ende. Auf der Seite der Verteidiger machte mehr sich und mehr die Erschöpfung bemerkbar, während die Zahl der in einem Angriff zerstörten Tonkrieger merklich schrumpfte und zugleich die Zahl der Verletzungen auf Seiten InuYashas, Jakens und Ah-Uns immer mehr wurden. Zu sagen, dass es langsam brenzlig würde, wäre stark untertrieben gewesen. Jaken hoffte im Stillen, dass Sesshōmaru-sama seinen Gegner möglichst bald besiegen möge, um ihnen zu Hilfe zu kommen, während InuYasha ungeduldig darauf wartete, dass die Sonne aufging, damit er endlich wieder Tessaiga in seiner vollen Stärke benutzen konnte. Es sah bereits so aus, als würde InuYasha den Sonnenaufgang nicht mehr erleben, als der Hanyō plötzlich das vertraute Kribbeln in seinem Körper verspürte, das jedes Mal mit seiner Verwandlung einher ging und ihm so im allerletzten Moment zu verstehen gab, dass er wieder über seine normale Stärke verfügte. Diese Stärke demonstrierte er umgehend an den verbliebenen Tonkriegern, während er mit einem zufriedenen Grinsen beobachtete, wie jede der Puppen von der freigesetzten Energie der Windnarbe in Staub verwandelt wurde. Sobald auch die letzte der Puppen zerstört worden war, stützte InuYasha zufrieden Tessaiga an seiner Schulter ab, während er prüfend die Luft durch die Nase einsog, um heraus zu finden, ob er etwas über den Verbleib Harus in Erfahrung bringen konnte. Wie sich zeigte, erübrigte sich dieses Bemühen von selbst, denn genau in diesem Moment trat Sesshōmaru zwischen den Resten des Waldes hervor, noch immer in der Kleidung Harus, jedoch trug er nun wieder die Fellstola über der Schulter und neben Shiomari Tōkejin an seiner Hüfte. „So, du hast ihn also platt gemacht“, stellte InuYasha in neutralem Tonfall fest, während die Formulierung ein minimales Augenbrauenzucken bei seinem Bruder verursachte, er aber in ebenso gleichmütigem Ton bestätigte: „Wie du siehst.“ „Und, hast du jetzt gleich vor gegen mich anzutreten oder warten wir bis die Sache mit Ōjidai erledigt ist?“, nun klang InuYashas Stimme wieder herausfordernd und ein wenig großspurig. Sesshōmaru blickte seinen jüngeren Bruder einen Moment in gleichmütigem Schweigen an und erwiderte schließlich lediglich: „Seit in vier Tagen am Nikkō-Futarasan-Schrein.“ Er hatte diesen Satz kaum ausgesprochen, als er sich auch schon abwandte, seine Begleiter ohne weitere Erklärung zurücklassend und innerhalb eines Wimpernschlags in einem grellen Aufleuchten reinen Yōkis verschwand. Verblüfft hatten ihm Jaken und InuYasha nachgesehen und während Jaken von den Vorgängen noch etwas überrumpelt nur hilflos den Namen seines Herrn halb flüstern, halb stammeln konnte, knurrte InuYasha nur unmutig etwas über dämliche, eingebildete Halbbrüder vor sich hin, bevor er sich auf den Boden fallen ließ und die letzten Reste des Essens plünderte, das ihnen Ayako und Inochiyume mitgegeben hatten. Am Chūzenji-ko hatte die Nacht für Hinagiku und Inochiyume ohne weitere Aufregungen geendet. Als Inochiyume am Morgen für die Prinzessin Wasser holen gegangen war, war es Kaoru gelungen unbemerkt von Hinagiku kurz mit deren Dienerin zu sprechen und mit ihr die weitere Reiseroute zu klären. Ihr Weg führte die beiden Frauen zunächst um den See herum, bevor sie weiter nach Westen wandern konnten. Kaoru folgte ihnen, noch immer unbemerkt von der Prinzessin. Wenn sich eine Möglichkeit bot, überholte er sie unbemerkt, um den Weg zu prüfen und gelegentlich einen Hinweis für Inochiyume da lassend, welchen Weg zu nehmen ratsamer wäre. Er war gerade auf dem Rückweg von einem seiner Erkundungsritte, zu dem er aufgebrochen war, nachdem Hinagiku erklärt hatte, dass sie dringend eine Rast benötige, um sich von den vergangenen Strapazen zu erholen, als er zunächst die wütende Stimme Hinagikus hörte, die offenbar sehr energisch ihre Meinung zum Ausdruck brachte und gleich darauf das Geräusch von Metall, das auf Metall traf. Ernsthaft besorgt, dass den beiden Frauen etwas oder besser jemand zugestoßen war, trieb Kaoru sein Pferd an und kam kurz darauf zu dem kleinen Rastplatz, an dem sich nicht mehr nur Hinagiku und Inochiyume befanden, sondern auch sechs leicht verwahrlost aussehende Rōnin, die es augenscheinlich nicht nur auf etwas zu Essen abgesehen hatten, sondern auf so Einiges mehr. Es wirkte allerdings nicht, als wäre Hinagiku bereit ihnen irgendetwas zu überlassen, was ihr gehörte. Stattdessen hielt sie ein Schwert in der Hand, von dem Kaoru sich verblüfft fragte, wo sie es bisher versteckt haben mochte und bei dem er sich bei näherem Hinsehen beinahe sicher war, dass es sich um das zurückgelassene Katana Harus handelte. Das metallische Geräusch, das Kaoru zuvor gehört hatte, war offenbar die Folge eines Aufeinandertreffens des gusseisernen, kleinen Topfes, den Inochiyume für gewöhnlich zum Kochen von Reis oder Wasser verwendete, und dem metallbewehrten Speer eines der Rōnin gewesen. Anders war die Lage des Kessels nicht zu erklären, ebenso wenig wie die offensichtlich neue Scharte im vom Feuer geschwärzten Metall des Kessels. Kaoru konnte nur vermuten, warum Inochiyume es für nötig gehalten hatte ein Kochutensil durch die Gegend zu werfen, aber offenbar hatte sie auf diese Weise erfolgreich den Speerträger davon abgehalten, sich der Prinzessin zu nähern. Allerdings war diese Ablenkung nur von kurzer Dauer gewesen und es nicht nur einer, sondern sechs Krieger, die alle nicht den Eindruck erweckten, als würden sie Gnade walten lassen, wenn dies bedeutete, dass sie auf ihr Vergnügen verzichten müssten. Die sechs Männer hatten sich unterdessen aufgeteilt, jeweils drei näherten sich einer der beiden Frauen, untereinander feilschend, wer von ihnen zuerst an der Reihe wäre sein Vergnügen mit einer von ihnen zu haben. Kaoru wartete nicht darauf, dass sie zu einer Einigung kamen, sondern nahm den Bogen von seinem Rücken, zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte an, zielte kurz und traf den ersten der Krieger, die sich der Prinzessin näherten, in den Hals. Ohne zu zögern oder sich zu versichern ob er tatsächlich getroffen hatte, legte Kaoru bereits den nächsten Pfeil an, kaum dass er den ersten abgeschossen hatte, wieder traf der Pfeil einen der Rōnin, während auch schon der dritte Pfeil von der Sehne schnellte, als die Rōnin endlich reagierten und sich diesem unerwarteten Angreifer zuwandten, sich mit vereinten Kräften und in blinder Wut auf ihn stürzend. Schnell ließ Kaoru den Bogen fallen, griff zu seinem Schwert und stieß gleichzeitig die Fersen in die Flanken seines Pferdes, sodass dieses mit einem heftigen Satz vorwärts sprang, mitten zwischen die heran rennenden Rōnin. Während nun ein heftiger Kampf zwischen Kaoru und den Rōnin entbrannte, lief Inochiyume die wenigen Schritte zu Hinagiku hinüber. Die Prinzessin hielt noch immer das Katana in der Hand, das sie in eine Decke gewickelt auf dem Rücken ihres Pferdes verstaut gehabt und nur in letzter Sekunde hatte hervorholen können, während sie auf einen der von einem Pfeil getroffenen und anscheinend tot am Boden liegenden Angreifer zuging. Neugierig starrte Hinagiku auf den Rōnin vor sich herab, ohne ihn jedoch zu berühren, da sie nicht mit etwas Unreinem in Berührung kommen wollte. Stattdessen verlangte sie von ihrer Dienerin, sobald diese neben ihr stand: „Sieh nach, ob er tot ist und sorg dafür, dass mein Haori verbrannt wird.“ Inochiyume wagte weder der Prinzessin zu widersprechen, zumal ihr dies ohnehin nichts gebracht hätte, noch anzumerken, dass der kostbare Haori wieder völlig in Ordnung wäre, wenn man ihn reinigen würde. Gehorsam beugte sie sich lediglich zögernd zu dem Rōnin hinunter und streckte vorsichtig die Hand aus, um zu prüfen, ob der Mann noch atmete oder am Hals die pulsende Bewegung von Blut zu spüren war. Doch das Mädchen konnte nichts anderes wahrnehmen als ihren eigenen sich plötzlich verdoppelnden Herzschlag, das Rauschen ihres Blutes in den Ohren und nervöses Kribbeln in Magen und Fingerspitzen, als würden ihr tausende von emsigen Ameisen über die Haut krabbeln. Nur eine Sekunde später zuckte die Dienerin erschrocken zurück, als der Todgeglaubte sich jäh aufsetzte und im nächsten Moment Inochiyume mit einem zufriedenen Grunzen als Schutzschild an sich presste, während er sich erhob. Im ersten Moment war Inochiyume zu überrascht von den Vorgängen gewesen, als dass sie hätte reagieren können, nun jedoch kam wieder Leben in sie und sie biss den Rōnin in den ungeschützten Unterarm, während sie ihm zugleich auf den Fuß trat und versuchte ihren Ellebogen in seinen Magen zu stoßen. Letzteres war wenig erfolgreich, da der Mann durch eine Lederpanzer geschützt war und auch der Fußtritt zeigte angesichts Inochiyumes bloßer Füße keine große Wirkung, allerdings handelte sie sich für den Biss in den Unterarm einen heftigen Schlag ins Gesicht ein. Während sich das Mädchen ungeachtet dessen versuchte weiter zur Wehr zu setzen, wandte sich der Rōnin an Hinagiku und erklärte mit einem schmutzigen Grinsen: „Eine richtige Wildkatze, deine Freundin, es wird sicher Spaß machen, sie zu zähmen. Jetzt gib mir deine Wertsachen, dann werde ich euch Beide vielleicht am Leben lassen.“ Hinagiku schnaubte undamenhaft vor Empörung, bevor sie dem Mann vor sich kategorisch erklärte: „Was du mit meiner Dienerin machst, ist deine Sache. Aber das, was mit gehört, werde ich auch behalten. Und wenn du mir auch nur ein Haar krümmst, wirst du es bereuen. Mein Verlobter wird dich töten.“ Der Rōnin lachte, „dein Verlobter, meine Schöne, scheint mir gerade viel zu beschäftigt, um sich mit mir zu befassen, aber wenn ihm so viel an dir liegt, dass er für dich töten würde, sollte ich dich wohl besser mitnehmen und ein hübsches Lösegeld für dich verlangen.“ „Was fällt dir ein, du ungehobelter Klotz!“, Hinagiku war nun ernstlich wütend, wie die Lautstärke ihrer Stimme verriet, „ich rede doch nicht von dem Kerl da drüben, mein Verlobter ist der Erbe von Kinai!“ Inochiyume hatte in ihrer Gegenwehr innegehalten und ungläubig ihre Herrin angestarrt, sie konnte einfach nicht glauben, dass diese so unbesonnen war eine derartige Information einfach einem Kerl ins Gesicht zu schreien, der damit drohte sie zu entführen. Der Rōnin lachte auch nur wenig beeindruckt und erwiderte lediglich: „Umso besser, dann kann ich die Summe ordentlich in die Höhe treiben.“ „Gar nichts wirst du“, erklärte Hinagiku energisch und hob das Katana, um anzugreifen. Sie hatte so häufig bei den Übungsstunden der Palastwache zugesehen, dass sie überzeugt war, mit dieser Waffe nun ebenfalls umgehen zu können. Mit einem überlegenen Grinsen und ohne sich zu bewegen sah der Rōnin zu, wie die Prinzessin mit zum Angriff erhobenem Schwert auf ihn zu kam, schließlich war sein Angreifer nur eine Frau und hatte er noch dazu einen lebenden Schutzschild vor sich, was sollte ihm da schon geschehen? Wie sich herausstellte, geschah ihm der Tod. Da er so völlig von den beiden Frauen in Anspruch genommen worden war, hatte er vollkommen vergessen an seinen ungeschützten Rücken zu denken. Dieser war genau in dem Moment, als Hinagiku ihr Schwert in ihren Gegner bohren wollte, dabei völlig außer Acht lassend, dass sie auch ihre Dienerin schwer verletzen würde, von Kaorus Katana getroffen worden. Der Mann brüllte schmerzerfüllt auf, ließ Inochiyume los, fuhr herum, um seinen zweiten Angreifer sehen zu können, während er gleichzeitig seine eigene Waffe zog und war gerade noch in der Lage ein überraschtes Gurgeln von sich zu geben, als ihm auch schon sauber der Kopf von den Schultern getrennt wurde. „Vergebt, Hime-sma, ich hätte das erste Mal besser zielen sollen“, erklärte Kaoru ruhig und stieg von seinem Pferd, nachdem er auch den letzten der Rōnin getötet hatte. Die beiden Frauen starrten unterdessen mit blassen Gesichtern auf die kopflose Leiche des Mannes vor ihnen, dessen Blut noch immer schwallweise durch die letzten Bewegungen des Herzens aus dem Körper gepumpt wurde. Im nächsten Moment hatten Hinagiku und Inochiyume es äußerst eilig zwischen einigen Büschen zu verschwinden, wo sie sich heftig übergeben mussten. Sobald die schlimmste Übelkeit vorbei war, wurden in stillem Einverständnis hastig die Sachen zusammengepackt und die Drei reisten schleunigst weiter, bemüht so viel Abstand zwischen sich und die Toten wie möglich zu bringen. Schließlich legten sie an einem schmalen Bachlauf erneut Rast ein. Sobald sich Hinagiku erfrischt und von ihrer ersten Begegnung mit einem Toten erholt hatte, thronte sie hoheitsvoll auf einem Felsbrocken, betrachtete Inochiyume und Kaoru, als wären sie widerwärtige, lästige Insekten und verlangte von Inochiyume eisig Rechenschaft darüber, warum Kaoru sich bei ihnen befand. Statt der Gefragten antwortete jedoch Kaoru mit ruhiger Höflichkeit, ohne allzu ergeben zu wirken, „wir waren ausschließlich um Eure Sicherheit besorgt, Hime-sama, deshalb schien es am vernünftigsten, wenn jemand von der Palastwache Euch begleiten würde.“ „Euch habe ich nicht gefragt, Fukutaishō“, kanzelte die Prinzessin ihren Leibwächter mit kalter Herablassung ab, bevor sie hinzufügte: „Ich bin sehr gut in der Lage, mich selbst zu verteidigen!“ Keiner der Anderen wagte darauf eine Miene zu verziehen, was angesichts der Tatsache, dass Hinagiku nie zuvor aus dem Schloss herausgekommen war und sich in einem Kampf hätte bewähren müssen, nicht gerade einfach war. Hinagiku nahm das Schweigen ihrer beiden Diener als Zustimmung zu ihrer Ansicht und so kehrte sich nach einem kurzen Moment des Schweigens zum eigentlichen Thema zurück, indem sie sich erkundigte: „Wer im Palast weiß alles von meiner Reise?“ „Niemand außer dem Heiler und Eurer Zofe, Hime-sama“, erwiderte Inochiyume und bekam darauf zu hören: „Ich soll dir glauben, dass du zu niemandem sonst ein Wort gesagt hast, nachdem ich den Beweis des Gegenteils vor mir stehen habe?“ Inochiyume biss sich auf die Lippen, um ihren Ärger zu unterdrücken und der Prinzessin keine Widerworte zu geben. Kaoru schien in dieser Hinsicht weniger Bedenken zu haben: „Ihr könnt Euch auf das Wort Inochiyumes verlassen, sie hat nur mir gegenüber von Eurer Absicht gesprochen, falls es sonst noch jemand im Palast erfahren hat, dann ist es sicher nicht ihre Schuld.“ Mit leicht verengten Augen betrachtete die Prinzessin den Mann vor sich: „Ist das so“, es klang nicht, als würde Hinagiku auch nur den kleinsten Zweifel daran hegen, dass Kaoru die Wahrheit zurechtbog. „Was ist mit Euch, Fukutaishō, wem habt ihr die Gründe Eurer Reise mitgeteilt?“ „Niemandem, Hime-sama, der Taishō vertraut mir genug, um mich ohne Angaben gehen zu lassen. Es gefällt mich jedoch nicht, dass ich gezwungen war, auf diese Weise vorzugehen.“ Bei diesen Worten, die schon einen unverhüllten Tadel an die Prinzessin darstellten, hielt Inochiyume die Luft an und wartete nervös auf Hinagikus Reaktion. Kaoru war jedoch noch nicht fertig, sondern fügte seinen Worten noch den Rat hinzu: „Lasst uns umkehren, Hime, bevor jemand Eure Abwesenheit bemerkt und nicht wieder gut zu machender Schaden entsteht.“ „Du wagst es mich zu kritisieren und mir dann auch noch Ratschläge erteilen zu wollen?!“, Hinagikus Augen sprühten vor Wut, während sie sich ruckartig erhob und einige Schritte ging, um etwas Abstand zu ihren Begleitern zu erhalten und sich zugleich bemühte ihre Beherrschung nicht vollkommen zu verlieren. Dann wandte sie sich abrupt wieder zu ihnen um und befahl mit herrischer Stimme: „Wir reisen weiter. Ihr, Fukutaishō, werdet uns begleiten. Sobald wir in das Schloss meines Vaters zurückgekehrt sein werden, werdet ihr für eure Dreistigkeit bestraft.“ Schweigend hatten Inochiyume und Kaoru die Worte Hinagikus zur Kenntnis genommen, jeder für sich einen kurzen Augenblick versucht, diese verwöhnte Person einfach sich selbst zu überlassen, dann jedoch siegte die von Kindesbeinen an eingebläute Gehorsamspflicht und sie setzten doch zusammen mit der Prinzessin die Reise fort. P.S. Sowohl der Chūzenji-ko als auch der Nikkō-Futarasan-Schrein sind keine Erfindungen von mir, sondern existieren tatsächlich. Sie befinden sich in der heutigen Präfektur Tochigi und gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO. Kinai ist übrigens eine alte Bezeichnung für die Kansai-Region, was übersetzt nichts anderes bedeutet als "westlich der Grenze" (Kansai) bzw. "Hauptstadtinneres" (Kinai). Kapitel 24: Stürmische Ruhe --------------------------- Kagome war nach ihrem Streit mit InuYasha tatsächlich in ihre Zeit zurückgekehrt und hatte dort versucht so zu leben, als wäre sie nie durch den magischen Brunnen in die Sengoku-Ära gelangt und dort einen gewissen dickköpfigen, unsensiblen, ungeduldigen und anstrengenden Hanyō kennen gelernt. Sie traf sich mit ihren Freundinnen, nahm an Schulaktivitäten teil, verabredete sich mit Hōjō, machte ihre Hausaufgaben, half im Tempel aus und verbrachte Zeit mit ihrer Familie, stets bemüht nicht einen Gedanken an InuYasha zu verschwenden. Bedauerlicherweise wirkte diese Strategie nur für eine sehr begrenzte Zeit, dann begann Kagome unruhig zu werden, sie konnte sich in der Schule nicht mehr richtig konzentrieren und stand zu Hause immer häufiger am Rand des knochenfressenden Brunnens, während sie sich selbst davon zu überzeugen versuchte, dass sie sich keine Sorgen um ihren Halbdämon zu machen brauchte, sondern er sicher bald in ihrer Zeit auftauchen würde, um sie abzuholen. Doch er kam nicht. Stillschweigend hatte Kagomes Mutter ihre Tochter in der ganzen Zeit beobachtet. Als das Mädchen schließlich einen Monat nachdem sie das letzte Mal aus der Ära der kriegerischen Staaten zurückgekehrt war, zu ihr in die Küche kam, konnte sie Kagome die Entscheidung, die diese getroffen hatte, bereits ansehen und so erklärte sie mit freundlicher Ruhe, bevor Kagome auch nur ein Wort sagen konnte: „Ich habe dir deinen Rucksack schon vorbereitet.“ Wofür sie im ersten Moment von ihrer Tochter überrascht angestarrt wurde, bevor Kagome lächelte und sich bei ihrer Mutter bedankte. Diese tat den Dank mit einer abwehrenden Bemerkung ab und fügte anschließend mit einem Lächeln hinzu: „Ojī-san wird sicher begeistert sein, sich wieder Krankheiten für dich ausdenken zu können.“ Auch Kagome musste bei diesem Gedanken grinsen, ihr Großvater hatte in den vergangenen vier Wochen tatsächlich hin und wieder etwas enttäuscht darüber gewirkt, dass er sich keine ausgefallenen Entschuldigungen mehr für das Fehlen seiner Enkelin in der Schule ausdenken musste. Sobald sich Kagome von ihrer Familie verabschiedet hatte, kehrte sie mit Sack und Pack durch den knochenfressenden Brunnen in die Sengoku-Ära zurück, von ihren Freunden und Kaede verwundert begrüßt, als sie schließlich bei ihnen im Dorf angekommen war. Die Verwunderung legte sich allerdings sehr schnell angesichts Kagomes erster Frage, ob sie irgendetwas über den Verbleib von InuYasha und seinem Bruder wüssten. Mit einem fast schon entschuldigenden Gesichtsausdruck verneinten Sango, Miroku und Kaede diese Frage, während sie sich zusammen mit Kagome in der Hütte niedergelassen hatten, in Erwartung einer längeren Unterhaltung. Shippō und Rin drückten sich ebenfalls betont unauffällig in der Hütte herum, neugierig zu erfahren, worüber sich die Älteren wohl unerhalten würden. Zunächst ging es jedoch nur um ganz allgemeine Dinge, wie sie sich Menschen erzählen, die sich eine zeitlang nicht gesehen haben und einander auf den neuesten Informationsstand bringen. Schließlich jedoch schlug Kagome ihren Freunden die Idee vor, die ihr während des fruchtlosen Wartens auf InuYasha gekommen war. „Was haltet ihr davon, wenn wir schon einmal ohne InuYasha weiter nach Juwelensplittern suchen, damit sich nicht Naraku auch noch die restlichen unter den Nagel reißen kann?“ „Möglich wäre es schon“, erwiderte Sango zögernd, gab jedoch zu bedenken: „Aber was ist, wenn InuYasha zurückkommt und wir sind gerade irgendwo auf der Suche nach Juwelensplittern? Er wird sicher nicht warten, bis wir wieder da sind, sondern auf eigene Faust loslaufen und uns suchen. Auf die Weise würden wir vermutlich ewig aneinander vorbei rennen, ohne es zu merken.“ „Wie wäre es, wenn wir ein bestimmtes Datum für unsere Rückkehr festlegen, falls InuYasha vor unserer Rückkehr hier her kommt, kann Kaede-sama ihn so vielleicht dazu bringen, auf uns zu warten, anstatt nach uns zu suchen“, schlug Miroku daraufhin vor, während Shippō einwarf: „Außerdem können wir ja in der Gegend von Sesshōmarus Schloss suchen, wenn sie den Doppelgänger dort besiegen wollen, müssen sie ja irgendwann dort auftauchen.“ Wohlwollend lächelte Kagome dem kleinen Kitsune zu, so ähnlich hatten auch ihre Gedanken ausgesehen. „Glaubt ihr denn, dass es in der Nähe des Schlosses für euch sicher genug ist?“, erkundigte sich Kaede unterdessen bei ihren jungen Gästen und erhielt darauf von Miroku die Antwort: „Ich denke nicht, dass es gefährlicher ist als in anderen Gegenden, eher friedlicher. Der Doppelgänger ist wohl nur hinter wertvollen Schwertern her und die Zahl bösartiger Dämonen dürfte sich Dank Sesshōmarus Ruf ebenfalls in Grenzen halten.“ Die alte Miko brummte nur vieldeutig, während Rin mit einer Mischung aus Neugier, was mit ihr geschehen sollte und Sorge, dass sie möglicherweise als Einzige bei Kaede zurückgelassen werden sollte, fragte: „Darf ich auch auf die Suche nach Sesshōmaru-sama mitkommen?“ Nachdenklich wandten Kagome, Miroku und Sango ihre Blicke dem kleinen Mädchen zu, während Kagome erklärte: „Wir wollen nicht Sesshōmaru suchen, Rin-chan, sondern Juwelensplitter des Shikon no Tama.“ „Aber ihr habt doch gerade gesagt, ihr geht in die Nähe von Sesshōmaru-samas Schloss und dass ihr glaubt, er wird auch dort hin kommen“, beharrte das kleine Mädchen auf ihrer Ansicht der Dinge, während Sango der drohenden Diskussion ein Ende setzte, indem sie ruhig erklärte: „Ich denke, es ist besser, wir nehmen sie mit, dann ersparen wir den Leuten hier nicht nur die Konfrontation mit Inuyashas Bruder, sondern uns auch seinen Unmut.“ „Also seit ihr einverstanden, dass wir uns in der Gegend von Sesshōmarus Schloss nach Juwelensplittern umsehen“, fasste Kagome erleichtert die Entscheidung der Anderen zu ihrer Idee zusammen und erhielt darauf einhelliges Nicken. So entspannend es gewesen war, sich eine zeitlang bei Kaede von den Anstrengungen der bisherigen Suche zu erholen, allmählich begann ihnen die Decke auf den Kopf zu fallen und sie sich danach zu sehnen, endlich wieder etwas zu unternehmen, dass nichts mit den alltäglichen Verrichtungen in einem Dorf zu tun hatte. So kam es, dass sich wenig später Rin, Kagome, Sango, Shippō und Miroku zusammen mit Kirara auf den Weg gen Westen machten, offiziell auf der Suche nach weiteren Juwelensplittern, inoffiziell Ausschau haltend nach zwei Hundebrüdern und deren Begleitern. Wie sich jedoch besonders zu Rins und Kagomes großer Enttäuschung herausstellte, gab es in der Gegend weder Anzeichen der beiden Halbbrüder noch von Juwelensplittern und so verlagerten sie ihre Suche, nachdem sie zu dem mit Kaede verabredeten Zeitpunkt in das Dorf zurückgekehrt waren und feststellen mussten, dass von InuYasha noch immer jede Spur fehlte, weiter nach Norden, in der Hoffnung InuYasha vielleicht auf dessen Rückweg von den Drachen zu treffen. Allerdings blieb auch diese Hoffnung vergebens. Dafür jedoch gelang es Kagome eines Tages sehr schwach einen Splitter des Juwels zu spüren, der entweder sehr klein oder sehr weit entfernt sein musste. In jedem Fall machte sie die Gruppe jedoch auf, den Splitter zu suchen, erleichtert darüber, dass ihre Bemühungen nicht vollkommen umsonst gewesen sein würden. Auf ihrer Wanderung gelangten sie immer weiter in den Norden, ohne dass sie dem Juwelensplitter nennenswert näher zu kommen schienen. Was wohl bedeutete, dass er erstaunlich groß sein musste, wenn Kagome ihn selbst noch über eine derartige Distanz spüren konnte. Und das wiederum würde bedeuten, dass auch Naraku beziehungsweise einer seiner Abkömmlinge mit Sicherheit eher früher als später in der Gegend auftauchen würde, um sich des Splitters zu bemächtigen. Statt jedoch auf einen von Narakus Abkömmlingen zu treffen, stand ihnen plötzlich jemand vollkommen anderes gegenüber, der über den Anblick der kleinen Gruppe und die Tatsache, sie in dieser Gegend anzutreffen, ganz und gar nicht erfreut wirkte. „Was macht ihr denn hier?“, erkundigte sich InuYasha missmutig, während er sich mit verschränkten Armen vor seinen Freunden aufbaute, als wollte er sie am Weitergehen hindern. Er hatte zunächst geglaubt, dass ihm sein Gehirn einen Streich spielte, als er mit einem Mal den Geruch seiner Freunde wahrgenommen hatte. Immer hin hatte er sie lang genug nicht gesehen, um sie zu vermissen, sodass sein Körper ihm nun vielleicht so etwas wie eine Nasenhalluzination vorgaukelte. Dennoch war er schließlich sicherheitshalber dem Geruch gefolgt, als dieser sich als hartnäckig erwies, und auch prompt auf die sechs Personen gestoßen, zu denen der Geruch gehörte. Bevor es einem der Anderen gelang auf die erste Frage InuYashas zu antworten, fügte dieser seinen ersten Worten noch die zugleich ungeduldig und entnervt klingende Feststellung „wir wollten und doch bei Kaede treffen“ hinzu und bekam darauf von Kagome die verärgerte Antwort zu hören: „Was ist das denn für eine Begrüßung?!“ Anschließend ging sie energisch auf den Hanyō zu, blieb dicht vor ihm stehen, beugte sich etwas vor, stützte eine Hand in die Hüfte und tippte mit dem Zeigefinger der anderen immer wieder gegen die Brust des Halbdämons auf diese Weise jedes weitere ihrer Worte unterstreichend. „Du bist doch derjenige, der Monate lang nichts von sich hören lässt, nachdem er einfach auf eigene Faust losgerannt ist. Und da wunderst du dich, wenn wir uns Sorgen machen und nach dir suchen!?“ „Keh, glaubst du vielleicht ich bin so schwach, dass ich nicht alleine auf mich aufpassen kann?“, schimpfte InuYasha nicht weniger ungehalten als Kagome, die darauf sehr bestimmt erwiderte: „Das hat doch damit gar nichts zu tun, was wäre denn zum Beispiel passiert, wenn du Tessaiga verloren hättest oder auf einen Gegner getroffen wärst, den du nicht allein besiegen kannst?“ Während sich InuYasha und Kagome weiter wie zwei Kampfhähne gegenüberstanden und miteinander stritten, sahen Miroku, Shippō, Sango und Kirara dem Schauspiel mit einer gewissen ergebenen Resignation zu und warteten darauf, dass sich ihre beiden Weggefährten einig wurden. „Denkst du wir sollten dafür sorgen, dass sie aufhören zu streiten?“, erkundigte sich Miroku in einem Tonfall, der verriet, dass die Frage rein rhetorisch gemeint war, unterdessen bei Sango und erhielt darauf die Antwort: „Lass sie, sie haben sich so lange nicht gesehen, da müssen sie jetzt einiges nachholen.“ „Da hast du wohl Recht“, stimmte der Priester mit einem amüsierten Grinsen zu, während Shippō inzwischen zusammen mit Kirara doch versuchte die beiden Streithähne zu trennen und zu beruhigen. Während InuYasha und Kagome ihr ganz eigenes Wiedersehensritual vollzogen, hatte Rin, den Halbdämon vollkommen ignorierend, freudig die Mitglieder ihrer eigenen kleinen Familie begrüßt: „Ah-Un, Jaken-sama, ich hab euch so vermisst! – Habt ihr Sesshōmaru-sama wiedergefunden?“ „Rin, lass mich los, ich bekomm keine Luft!“, röchelte Jaken mühsam hervor, nicht halb so energisch klingend, wie er es beabsichtig hatte. Er wurde dennoch auf der Stelle von einer sich entschuldigenden Rin freigelassen, bevor diese sich dem Reitdrachen zuwandte und ihm zur Begrüßung über Nüstern und Flanken strich. Sobald der Kappa seine in Unordnung geratene Kleidung wieder gerichtet hatte, gab er würdevoll die Erklärung ab, der nicht nur Rin, sondern auch Miroku und Sango interessiert lauschten: „Wir haben Sesshōmaru-sama gefunden und er hat auch den Doppelgänger besiegt, er ist also wieder ganz er selbst.“ Bei den letzten Worten war echte Rührung in der Stimme des Kappa zu hören gewesen. Rin strahlte vor Freude, als sie diese Nachricht hörte und hüpfte aufgeregt herum, während sie wissen wollte, wo der Yōkai denn nun wäre. „Das wissen wir nicht“, erklärte Jaken wieder vollkommen gefasst, während sich inzwischen auch InuYasha und Kagome beruhigt hatten und zusammen mit Shippō und Kirara herangetreten waren, um ebenfalls zu zuhören. „Aber“, fuhr Jaken in seiner Berichterstattung fort, „er hat uns befohlen morgen am Nikkō-Futarasan-Schrein zu sein, dort sehen wir ihn bestimmt wieder.“ Rin, Kagome, Sango, Miroku und Shippō waren einhellig der Meinung Jaken und InuYasha zu dem Schrein zu begleiten, auch wenn diese nur Vermutungen darüber äußern konnten, warum sie sich dort mit Sesshōmaru treffen sollten. Als InuYasha versuchte seine Freunde von der Idee, ihn zu begleiten, abzubringen, weil er nicht wusste, wann Ōjidai mit Sōunga aus der Hölle zurückkehren würde und was dieser außer seinen Puppenkriegern sonst noch auf Lager hatte, bewiesen die Vier eine bemerkenswerte Sturköpfigkeit. Sie gingen sogar so weit, den Halbdämon einfach stehen zu lassen und zusammen mit Jaken, Rin und Ah-Un voraus zu gehen, um InuYasha zu zeigen, wie fest entschlossen sie waren, sich dieses Mal nicht einfach ins Abseits drängen zu lassen, sondern ihrem Freund beizustehen. Einen Moment lang versuchte InuYasha mit wütenden Blicken die Rücken seiner Freunde zu durchbohren, die sich langsam von ihm entfernten. Warum konnten die nie auf ihn hören, er war doch der Anführer der Gruppe, oder? Also hatten sie auch zu tun, was er sagte. Wieso funktionierte, das nur nie so gut wie bei seinem Bruder? Missmutig beendete InuYasha schließlich seine fruchtlose Starrattacke und beeilte sich an die Seite von Kagome zu gelangen, die sich fröhlich mit Rin unterhalten hatte, beim Auftauchen des Halbdämons neben sich, jedoch diesem ihren Blick zuwandte und ihm ein Lächeln schenkte, dass InuYasha die Röte in die Wangen steigen und verlegen zur Seite blicken ließ. Kagomes Lächeln verstärkte sich noch ein wenig bei dieser Reaktion, bevor sie sich wieder Rin zuwandte, gleichzeitig InuYashas Hand ergreifend und sanft umschließend, wortloses Bekenntnis, dass sie froh war ihn heil wiederzusehen. Auf diese Weise, ohne es zu ahnen, erreichend, dass dem Halbdämon plötzlich völlig egal war, ob seine Freunde nun auf ihn, den Anführer, hörten oder nicht. Er würde schon dafür sorgen, dass ihnen nichts passierte. Es wäre doch gelacht, wenn sie Ōjidai nicht würden erledigen können, er war ja schließlich nicht irgendwer – und sein Bruder auch nicht. Besagter Bruder war bereits kurze Zeit nachdem er Jaken und InuYasha allein gelassen hatte, in den äußersten Westen seiner Ländereien gelangt und näherte sich in diesem Moment den Ausläufern des Waldes von Amaterasu, an dessen Rand ihn bereits die Kami wachsam beobachtend erwartete. Nur wenige Schritte von den ersten Bäumen des Waldes entfernt blieb Sesshōmaru schließlich schweigend stehen und wartete auf eine Reaktion Sumires, die auch nicht lange auf sich warten ließ. „Ihr seid also wieder zurück“, stellte die Waldkami ruhig fest und fügte, ohne eine Erwiderung auf ihre ersten Worte zu erwarten, sogleich hinzu: „Der Pakt zwischen uns ist noch immer gültig, auch wenn euer Doppelgänger bemüht war, den Wald zu vernichten, werde ich mich an unsere Abmachung halten, sofern ihr mir Wiedergutmachung für die Schäden versprecht.“ „Was verlangst du?“, fragte der Hundedämon mit kühler Ruhe und erhielt die Antwort: „Die Hälfte der Wiese für den Wald.“ Der Tonfall, in dem die Kami dies äußerte, besagte, dass sie über diese Forderung nicht verhandeln würde. „Ist das alles?“, Sesshōumaru war nicht anzuhören, was er von dieser Forderung hielt, sodass die Kami für einen Moment zögerte, bevor sie entschlossen hinzufügte: „Die Senbon-Quelle fällt ab sofort ebenfalls unter das Hoheitsgebiet des Waldes.“ Kurz verengten sich die Augen des Dämon, bevor er sich wieder vollkommen in der Gewalt hatte und ruhig feststellte: „Du wirst gierig.“ „Keineswegs“, erwiderte Sumire bestimmt und hob ein wenig trotzig den Kopf, während sie erklärte: „Eure Unvorsicht hat dazu geführt, dass ein Doppelgänger versuchte den Wald zu zerstören und Euren Halbbruder verletzt hat, dem ich geholfen habe, Euch zu finden. Die Tatsache, dass Ihr hier seid, ohne dass es einen Angriff auf den Wald gibt, lässt vermuten, dass ihr ebenfalls meine Unterstützung benötigt.“ „Wie du bereits festgestellt hast, ist der Pakt zwischen uns noch gültig, wenn ich also tatsächlich auf deine Hilfe angewiesen wäre, so hättest du sie mir zu geben, ohne etwas dafür verlangen zu dürfen“, die Stimme des Yōkai klang eisig. Wenn er etwas nicht schätzte, dann waren es gierige Kami, die dreist an den Fakt erinnerten, dass er tatsächlich Hilfe benötigte. Seine Worte schienen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Sumire wusste, dass sie auf den Schutz und die Stärke des Dämons angewiesen war, wollte sie den Wald auf Dauer erhalten. Denn nicht alle Wesen waren mit Hilfe der Feueropale so leicht aufzuhalten wie die Tonfiguren des falschen Hundedämons. Hinzu kam, dass die Opale zwar einen Teil der Macht von Amaterasu in sich bargen, aber wie viel Macht passte schon in ein Samenkorn? Die Lebensdauer der Steine war beschränkt; war die Magie in ihrem Inneren aufgebraucht zerfielen sie zu Nichts und Sumire selbst verfügte über keine großen magischen Fähigkeiten, das war die Bedingung gewesen, um im Wald von Amaterasu leben zu dürfen. „Du erhältst die Hälfte der Wiese für den Wald und die Hoheit über die Nihai-Quelle“, dieses Mal besagte die Stimme Sesshōmarus, dass er auf keine weiteren Verhandlungen eingehen würde und so verneigte sich Sumire letztlich vor dem Dämon, so ihre Zustimmung anzeigend und erkundigte sich anschließend ruhig, womit sie ihm dienen könne. „Wie viele der Feueropale sind noch in deinem Besitz?“, verlangte Sesshōmaru ohne zögern zu wissen und erhielt die Antwort: „Mit den beiden von heute Abend, werden es zehn sein, ich musste in letzter Zeit viele von ihnen für den Schutz des Waldes einsetzen“, die letzten Worte Sumires klangen fast schon entschuldigend. Sesshōmaru ging jedoch nicht weiter auf die Bemerkung der Kami ein, sondern forderte lediglich die Steine für sich. Worauf sich Sumire erneut verneigte, höflich ihr Einverständnis ausdrückend, bevor sie die Frage stellte, ob er die Steine sofort wolle oder erst nach Sonnenuntergang, wenn zwei weitere Opale in den Augenhöhlen der Göttin ruhten. Sesshōmaru entschied sich dafür nicht nur den Sonnenuntergang dieses, sondern auch des folgenden Tages abzuwarten und war im nächsten Moment wortlos verschwunden, während sich auch die Kami wieder in den Wald zurückzog. Als der Hundedämon am Abend darauf schließlich auf die Wiese zurückkehrte, trug er nicht mehr die Kleidung einer Palastwache in Diensten des Fürsten Nagasawa, sondern wieder seine eigene Kleidung und Rüstung. Er hatte die Zeit des Wartens nicht nur damit verbracht, sich wieder angemessen zu kleiden, sondern außerdem begonnen sich mit den Veränderungen und Eingriffen zu befassen, die sein Doppelgänger in seinem Namen hatte vornehmen lassen. Die Tatsache, dass er einen beachtlichen Teil der Anordnungen für nichtig erklärte oder abänderte hatte für einige Verwunderung und Unruhe gesorgt, die er jedoch umgehend mit einer winzigen Demonstration seiner Macht im Keim erstickte. Allerdings würde sich erst noch zeigen, wie lang der Eindruck dieser Demonstration vorhielt. Es hätte den Dämon sehr verwundert, wenn nicht innerhalb des Schlosses, seines Hoheitsgebiets und vielleicht auch darüber hinaus, Gerüchte darüber aufgekommen wären, dass er sich seltsam verhielte und nicht mehr so stark wie früher wäre, sodass er wohl in der nächsten Zeit mit einigen Dummköpfen zu rechnen hatte, die versuchen würden, ihm seine Stellung streitig zu machen. Sollten sie es nur versuchen, er würde ihnen schnell genug beweisen, dass er wieder vollständig er selbst war und keinen Widerstand gegen seine Herrschaft duldete. Nach reiflicher Überlegung hatte sich Sesshōmaru dagegen entschieden, allgemein bekannt werden zu lassen, dass er in den letzten Monaten nicht er selbst gewesen, sondern von einem Doppelgänger ersetzt worden war. So würde es zwar ein wenig Gerede über seine scheinbare Launenhaftigkeit geben, aber das würde mit Sicherheit wesentlich schneller verstummen, als wenn er zugab, dass er außer Gefecht gesetzt worden war, ohne dass seine Bediensten davon etwas bemerkt hatten. Niemand konnte von ihm verlangen, dass er sich selbst zum Gespött machte, indem er zugab zur allgemeinen Zufriedenheit durch eine hirnlose Puppe ersetzt werden zu können. – Oder zu zugeben, dass er von einem hinterhältigen Feigling besiegt worden war, der sich seiner bemächtigt hatte. Dieser Feigling würde schon bald feststellen, dass man sich nicht ungestraft mit dem amtierenden Herrn der Hunde anlegte, sondern dabei mit tödlichen Konsequenzen zu rechnen hatte. Und so machte sich Sesshōmaru, nachdem er die Steine von Sumire erhalten hatte, ebenfalls auf zum Nikkō-Futarasan-Schrein, um dort zum Einen auf die Ankunft Jakens und seines Bruders zu warten und zum Anderen auf die Rückkehr Ōjidais. Sesshōmaru hatte aus den Erinnerungen, die sein Ersatzmann während seiner Existenz gesammelt hatte, erfahren, dass der Magier schon bald dort, wo sich der Schrein befand, aus der Hölle zurückkehren würde, sofern dessen Vorhaben nach Plan verlief und er nicht unterdessen für immer in der Hölle gefangen war. Allerdings war diese letzte Variante wohl eher unwahrscheinlich, nach allem, was Sesshōmaru bisher erfahren hatte, würde es Ōjidai sehr wohl gelingen samt Sōunga aus der Hölle zurückzukehren und irgendwie bezweifelte der Yōkai, dass die beiden allein sein würden. Wie sich herausstellte war der Hundedämon der Erste, der am Schrein eintraf, sodass er gezwungen war zu warten, bis sich schließlich nicht nur Jaken und InuYasha an der verabredeten Stelle blicken ließen, sondern auch noch InuYashas Anhang und – zu Sesshōmarus Unmut – auch Rin. Wieso war Rin hier? War seinem idiotischen Halbbruder nicht klar, dass ihnen ein Kampf bevorstand, bei dem das Höllentor geöffnet werden würde? So gedankenlos konnte doch nicht einmal er sein. Viel weiter kam der Dämon mit seinen Gedanken allerdings nicht, denn kaum war er von Rin entdeckt worden, lief sie auch schon in Windeseile auf ihn zu und begrüßte ihn hellauf begeistert, mit kindlicher Freude. Die ganze Reaktion Sesshōmarus bestand in einem ruhig vorgebrachten „Rin“, das Mädchen auf diese Weise mahnend sich etwas mehr Zurückhaltung aufzuerlegen; und nur wer den Dämon so lang kannte wie Jaken und in solchen Dingen so aufmerksam wie Kagome war, hätte bemerkt, dass dessen Stimme bei dieser Anrede eine Winzigkeit sanfter klang als es sonst der Fall war und sich für Sekundenbruchteile in seinen Gesichtszügen so etwas wie Wärme widerspiegelte. Doch diese Eindrücke waren zu flüchtig und Anderes zu wichtig, als dass es einer der Anwesenden bewusst wahrgenommen hätte. Sobald die kurze Begrüßung erledigt war, wandte sich Sesshōmaru an Jaken und befahl diesem die mitgebrachten Feueropale in einem großen Radius rings um den Schrein in die Erde zu stecken. Während Jaken dienstbeflissen davon eilte, um den Befehl auszuführen, erklärte InuYasha seinen erstaunt zuhörenden Freunden, was es mit den Feueropalen auf sich hatte. Sesshōmaru war angenehm überrascht zu hören, dass sein kleiner Bruder tatsächlich mitdenken konnte, als dieser erklärte, dass auf diese Weise ein möglicher Angriff der Tonkrieger vereitelt werden sollte. „Aber eins verstehe ich nicht, warum willst du unbedingt hier auf Ōjidai und seine Krieger warten?“ „Weil sie an diesem Ort aus der Hölle kommen werden“, Sesshōmaru klang, als hätte InuYasha auf diesen Gedanken auch von selbst kommen können. „Ach, und woher weiß der Herr Halbbruder das?“, erkundigte sich der Hanyō ein wenig beleidigt über den herablassenden Tonfall seines Bruders. Der hätte nun wirklich gern darauf verzichtet seinem Halbbruder zu erklären, dass er neben seinen eigenen Erinnerungen auch die des Tonersatzes erhalten hatte. Denn es war nie von Vorteil, wenn andere zu viel über einen wussten, es ließ einen nur verletzlich und erpressbar werden. InuYasha wusste im Moment bereits mehr als Sesshōmaru angenehm war, hatte der ihn doch in der verfänglichen Situation gesehen als Mensch unter Menschen zu leben, ja selbst in den Diensten eines Menschen zu stehen. Diesen Fakten noch einen weiteren hinzuzufügen und zu zugeben über die Erinnerungen des Dieners seines Feindes zu verfügen, als wären es seine eigenen, konnte niemand von ihm verlangen. Dennoch hatte sein Halbbruder nach allem, was geschehen war, sich wohl das Recht auf eine Antwort erworben und so wand sich der Yōkai mit dem diffusen Hinweis aus der Affäre: „Sein Gefolgsmann.“ InuYasha sah seinen Bruder erstaunt an: „Er hat dir verraten, wann und wo der Mistkerl aus der Hölle zurückkommt?!“ Sesshōmaru blieb die Antwort auf diese Frage schuldig und wandte sich stattdessen an Miroku, Sango und Kagome, um ihnen den Befehl zu erteilen, sich zusammen mit Rin, Jaken und Shippō wieder auf den Weg gen Süden zu machen. Überrascht, dass der Yōkai sie nicht nur zur Kenntnis nahm, sondern sogar mit ihnen redete, starrten die drei Menschen Sesshōmaru zunächst sprachlos an, bevor sie zustimmend nickten, dem Hundedämon zu widersprechen wäre sicher nicht klug gewesen. In jedem anderen Fall hätte InuYasha sicherlich dagegen protestiert, dass sein Bruder seine Freunde herumkommandierte, aber ihm war klar, dass es einfach zu gefährlich für sie gewesen wäre in der Nähe des Schreins zu bleiben und da es ihm nicht gelungen war sie wieder zurück zuschicken, war es ganz praktisch, wenn nun Sesshōmaru ihnen diese Anweisung gab und sie sich bereit erklärten, sie zu befolgen. Manchmal konnte sein großer Bruder doch ganz nützlich sein, wie es schien. Es sollte jedoch nicht dazu kommen, dass sich ausschließlich die Hundebrüder in der Nähe des Schreins befanden, als Ōjidai aus der Hölle zurückkehrte. Denn gerade als Rin und Jaken auf Ah-Un sowie Shippō, Kagome, Sango und Miroku auf Kirara davon fliegen wollten, brach die Hölle los. Ōjidai kehrte in die irdische Welt zurück und er war nicht allein. Kapitel 25: Höllenspektakel --------------------------- Es war mühsam gewesen sich durch die unendlich vielen Bände der vergessenen Bibliothek zu arbeiten, auf der Suche nach einem Weg in den Besitz Sōungas zu gelangen, dennoch waren seine Bemühungen schließlich von Erfolg gekrönt gewesen. Auch wenn er von der einzigen Möglichkeit, sich in den Besitz dieses mächtigen Schwertes zu bringen, nicht sonderlich angetan gewesen war. Niemand stieg wohl freiwillig in die Hölle hinab, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Denn es gab keine Garantie, dass es demjenigen gelang auch wieder zurückzukehren, dass man nicht für ewig bei lebendigem Leib in den labyrinthischen Kreisen der Verdammten verloren ging und als Opfer der Gepeinigten vor sich hinvegetieren würde. Die danach trachteten ihre Qualen an ein anderes Wesen weiterzugeben, um ihre Last, wenn schon nicht zu mindern, so doch nicht allein ertragen zu müssen, voller Rachsucht auf die, die noch am Leben waren und bestrebt danach ihnen dieses Leben zu verleiden. Dennoch hatte Ōjidai nicht einen Moment gezögert in die Finsternis hinab zu steigen, eine Finsternis, die nicht im Fehlen von Licht bestand, sondern im Fehlen von Hoffnung und Güte. In der nur Macht hatte, was Angst und Einsamkeit verursachte, Schmerz und Hilflosigkeit, das, was einem den Glauben daran nahm, je dem Würgegriff des Abgrunds in sich selbst zu entkommen. Mit der Hilfe Tenseigas und unter Anwendung von Mak Ba’el hatte er zwischen dem Nikkō-Futarasan-Schrein und der Futarasan-Reisen ein Tor in die Hölle geöffnet, um anschließend an den Ort hinabzusteigen, von dem es für gewöhnlich kein Entrinnen gab, der einem das Herz zusammenpresste und die eigenen Sehnsüchte als schmerzhafte Waffen gegen ihre Eigentümer wendete. Mit seiner eigenen Magie hatte Ōjidai die Macht Tenseigas verstärkt, auf diese Weise einen starken, schützenden Bannkreis aus Hoffnung und Leben um sich gespannt, die Schrecken der Hölle so daran hindernd ihn aufzuhalten. Doch die Hölle war mächtig, sie lag jenseits der irdischen Welt, in ihr war Gut und Böse nicht von Bedeutung, irdische Macht vergänglich und bedeutungslos. Auf seinem Weg bekam Ōjidai diese Weisheit der vergessenen Bibliothek am eigenen Leib zu spüren, je länger er sich auf der Suche nach Sōunga befand, je tiefer er in die labyrinthischen Kreise ohne Wiederkehr eindrang, umso schwächer wurde seine Magie, ebenso wie die Tenseigas, und umso stärker bekam er zu spüren, was es hieß, die Hölle zu erleben. Er war beinahe am Ende seiner Kräfte, als er schließlich fand, was er suchte: Sōunga, scheinbar schwerelos im Nichts schwebend, Zentrum einer es einschließenden Doppelhelix aus bläulich weißem und blassgoldenem Licht. Als Ōjidai jedoch versuchte, das Schwert durch diese Lichtstränge hindurch zu berühren, erfuhr er schmerzhaft, wie schwach er inzwischen tatsächlich war, denn mühelos wehrte ihn die Sōunga einsperrende Magie ab, ließ ihn schmerzgepeinigt aufstöhnen und zurücktaumeln. Es dauerte einige Zeit, bevor es Ōjidai gelang sich noch einmal aufzuraffen und erneut auf das Schwert und dessen Lichtkäfig zu zutreten. Als ihn die Magie des Käfigs abwehrte, hatte er eine der Energien wiedererkannt, hielt er deren Erzeuger doch in seiner Hand, und so hob er dieses Mal Tenseiga an, richtete es auf den bläulich weißen Energiestrang und stieß es im nächsten Augenblick mit aller Macht, zu der er noch fähig war, durch dessen eigene Magie, bis er die Schwertspitze Tenseigas auf die Schneide Sōungas traf und er spüren konnte, wie das Höllenschwert auf seine durch Tenseiga als Leiter gesandte Magie reagierte, wie es mehr und mehr erwachte, als es statt Magie die Finsternis der Hölle aus Ōjidai herauszuziehen, in sich aufzunehmen begann. Gierig saugend, als wäre es ein Verdurstender, der zu lang das Lebensnotwendigste hatte entbehren müssen. Je mehr Sōunga an Kraft gewann, während es sich von der Finsternis in Ōjidai nährte, umso schwächer wurde die leuchtende Doppelhelix, die das Schwert einschloss. Unterdessen erlebte der Schwertsammler eine nie gekannte, heftige Mischung aus Übelkeit, Kopfschmerz und Schwindel, während die Finsternis der Hölle immer stärker in ihn drang, um auszugleichen, was Sōunga aus dem Magier heraussog. Schließlich hielt Ōjidai diesem ständigen, heftigen Wechsel anwachsender und wieder absinkender Qual in seinem Inneren nicht mehr stand und brach mit einem Keuchen in die Knie, Tenseiga neben sich zu Boden fallen lassend. Sōunga unterdessen schien ausreichend Macht zurückgewonnen zu haben, denn nur kurze Zeit später zerstoben die letzten dünnen Fäden der Doppelhelix aus Licht unter dem magischen Druck Sōungas. Im nächsten Moment fiel auch das Höllenschwert zu Boden, dabei so aufkommend, dass der Schwertgriff sich in einladender Nähe zu Ōjidai befand. Dieser folgte mit vor Entkräftung zitternder Hand mühsam der Einladung und umklammerte den Griff Sōungas, als wäre es ein Rettungsanker. Mit einem Mal hörte der Schwertsammler in seinem Kopf eine Stimme, die klang als wäre sie seine eigene und doch wusste er, dass er nichts von dem, was die Stimme sagte, selbst gedacht hatte; dass es Sōunga war, das zu ihm sprach. Das erste Schwert in all den Jahren, dass nicht nur auf ihn reagierte, sondern das tatsächlich in der Lage war ihm zu antworten, ein erschöpftes Lächeln huschte über Ōjidais gequältes, blasses Gesicht, endlich hatte er gefunden, wonach er so lang gesucht hatte, der Ausflug in die Hölle hatte sich gelohnt. ‚Ruh dich aus und überlass alles andere mir. Ich sorge dafür, dass wir hier herauskommen, vertrau mir’, lauteten die Worte Sōungas, einschmeichelnd, vertrauenerweckend und Ōjidai war nur zu bereit, zu tun, was das Schwert wollte. Er zog sich in den hintersten Winkel seines Bewusstseins zurück, ließ Sōunga die Kontrolle über seinen Körper übernehmen, nahm nur wie ein Zuschauer wahr, wie sein Körper sich vom Boden erhob, Tenseiga mit der freien Hand ergriff, während er in der anderen noch immer Sōunga hielt und sich auf den Rückweg machte, um die Hölle da zu verlassen, wo er sie betreten hatte. Auf ihrer Wanderung, schlossen sich dumpf und schweigend immer mehr Verdammte an, von Sōunga eingeladen ihnen zu folgen, um sich an den Lebenden zu rächen, schritten, schlurften, stampften, krochen und flogen sie in immer größer werdender Menge und bedrohlichem Schweigen dem an der Spitze gehenden Schwertsammler hinterher. Unter ihnen viele, die durch die Schwerter InuYashas, Sesshōmarus und deren Vater gefallen waren und nun eine Gelegenheit sahen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten; von den Fungeki to Senbō-den alles an Waffen mitnehmend, was ihnen in die Hände fiel. Schließlich war es soweit, sie hatten den Ort erreicht, an dem sie die Hölle verlassen würden. Ōjidai hatte geplant eine von seinem wie Sesshōmaru aussehenden Diener angeführte Abordnung der Tonkrieger erwartet zu werden, deren in ihnen gespeichertes Mak Ba’el er beabsichtigt hatte für seine Regeneration zu verwenden, damit er wieder über genügend Stärke verfügte, sein Refugium zu kontrollieren. Stattdessen jedoch erkannte er von seinem Platz als Zuschauer in seinem eigenen Kopf eine Gruppe von Menschen, Dämonen und einem Halbdämon angeführt von eben jenem, dessen Doppelgänger er erwartet hatte. Ōjidai war nicht der Einzige, der diese Gruppe gesehen hatte, auch die Toten hinter ihm hatten sie gesehen und es verbreitete sich unter ihnen wie ein Lauffeuer, welches Glück ihnen nach all der Zeit beschieden war, während die ersten bereits das Höllentor verlassen hatten, mit dem lautlosen Kriegsschrei „Tod den Hunden“ auf die kleine Gruppe in wilder Raserei zu stürmten und den Kampf eröffneten. Es gelang den Überrumpelten nur mit Mühe diesen ersten Ansturm abzuwehren, in aller Eile, in ungewöhnlichem Einklang zusammenarbeitend. Schützend hatten sich Kagome, Sango, Mirko und Jaken, um Rin und Shippō aufgebaut, die beiden Jüngsten ihrer Gruppe vor den Angreifern schützend, während InuYasha, Sesshōmaru, Kirara und Ah-Un in einem weiteren Kreis versuchten die immer noch nachstürmenden Gegner zurückzudrängen. Doch es zeigte sich nur allzu schnell, dass Waffen, die für den Kampf gegen Lebende geschaffen worden waren, den Toten nichts entgegen zu setzen hatten. Das Feuer Kiraras und des Jintōjō, verpuffte so wirkungslos, wie die Energieblitze Ah-Uns. Der Hiraikotsu konnte nicht zerschneiden, wo es nichts mehr zu zerschneiden gab, Tessaiga, Tōkejin und Shiomari nicht töten, was bereits tot war. Einzig die Pfeile Kagomes, die Bannsprüche, der Mönchsstab und das Kazāna Mirokus schien den aus der Hölle Gekrochenen etwas anhaben zu können, denn neben den beiden Hundebrüdern wurden sowohl das Mädchen aus der Neuzeit als auch der buddhistische Priester Hauptziele der Angreifenden, um durch den Einsatz der läuternden Magie sowie des Kazānas nicht unnötig aufgehalten zu werden. Als sich immer mehr Höllenwesen auf das hauptsächlich aus Menschen bestehende Grüppchen Verteidiger stürzte, erzeugte Miroku hastig einen schützenden Bannkreis, um zu verhindern, dass sie von den höllischen Angreifern einfach überrannt wurden. Doch dieser Schutz hielt dem Ansturm der unaufhaltsam herantobenden, immer wieder zurückgeworfenen und erneut, mit noch größerer Verbissenheit angreifenden Wesen auf Dauer nicht stand, sodass er schließlich unter dem Druck von mehreren Hundert gleichzeitig auf den Bannkreis eindringenden Höllenkriegern zusammenbrach und eines der ersten Opfer dieses Krieges Kagome wurde, die durch einen ihrer eigenen Pfeile starb, mit dem sie einen der Untoten in die Hölle zurückgesandt hatte, aus der dieser durch das offene Tor wieder hervorgekrochen war und sich nun auf diese Art an seiner Peinigerin rächte. Den anderen blieb für den Moment keine Zeit, um das junge Mädchen zu trauern, konzentrierte sich doch jeder von ihnen verzweifelt darauf seinen Teil der heranstürmenden Krieger abzuwehren, während der Zorn über den Tod Kagomes ihnen noch einmal frische Kraft verlieh. Doch auf Dauer war es nicht genug, das zweite Opfer auf Seiten der Lebenden war Jaken, der trotz des verzweifelten Versuchs die Streitaxt seines Gegners mit dem Jintōjō abzuwehren, der Kraft des Höllenkriegers nichts entgegenzusetzen hatte und mit einer klaffenden Wunde, die beinahe seinen ganzen Körper bedeckte zu Boden ging. Sowohl InuYasha als auch Sesshōmaru konnten sehr wohl wahrnehmen, was hinter ihnen vor sich ging, doch war es ihnen unmöglich, in irgendeiner Weise helfend einzugreifen, waren sie doch selbst von unzähligen Untoten umgeben, die nur auf eine Chance warteten, ihnen den Garaus zu machen, würden die Brüder auch nur die kleinste Schwäche oder Nachlässigkeit offenbaren. Den Hundebrüdern blieb nichts anderes übrig, als mit tödlicher Präzision so viele der heranrückenden Krieger wie möglich immer wieder zurückzuschlagen, um sie nicht erst in die Nähe ihrer menschlichen und dämonischen Begleiter zu lassen, ohne dass es den Beiden jedoch gelang die Höllenkrieger endgültig wieder ins Jenseits zu senden. Diese Gefolgsleute Sōungas und des Schwertsammlers verfügten zwar nicht mehr über irgendeine Form von Magie, abgesehen von der Sōungas, die sie befähigte im Diesseits zu kämpfen, aber angesichts ihrer schieren Masse und der Tatsache, dass sie nicht tot zu kriegen waren, war das fehlen magischer Angriffe nur ein schwacher Trost. Während dieser ersten Schlachtphase hielten sich Ōjidai und Sōunga vorerst aus den Kämpfen heraus, sahen zu, wie ihre Lakaien ihre Rachsucht auslebten, um so InuYasha, Sesshōmaru und deren Begleiter allmählich zu ermüden und zu schwächen. Auf den Befehl Narakus hin, hatte Kagura sich in den Norden begeben, um ihrem Herrn einen weiteren Juwelensplitter zu besorgen. Während des Fluges dachte sie flüchtig darüber nach, wie ungewöhnlich es war, dass sie seit über zwei Monaten kein einziges Anzeichen von InuYasha und seinen Freunden gesehen hatte, sie verhielten sich ungewöhnlich still, schienen auch nicht mehr nach dem Juwel zu suchen und selbst die Verfolgung Narakus eingestellt zu haben. Kagura wusste nicht recht, was sie von dieser Entwicklung halten sollte. War es möglich dass InuYasha tatsächlich aufgegeben hatte oder war es ihm gelungen das Versteck Narakus ausfindig zu machen, ohne dass dieser etwas davon bemerkt hätte, und war nun dabei Vorbereitungen für eine letzte Schlacht zu treffen? Irgendwie war das kaum vorstellbar, hätte der Hanyō seinen Widersacher ausfindig gemacht, wäre er wohl ohne zu zögern in dessen Versteck eingedrungen, um die offenen Rechnungen zu begleichen. Nein, hinter alldem musste etwas anderes stecken. Zu Kaguras Überraschung fand sie auch bald darauf heraus, was dieses Andere war. Als sie sich bereits weit genug im Norden befand, um das Versteck des Juwelensplitters jeden Moment ausfindig zu machen, entdeckte sie unter sich den geöffneten Schlund eines Höllentores aus dem in nicht enden wollender Zahl die Seelen der Verdammten hervor krochen und sich in einen Kampf gegen InuYasha und seine Freunde stürzten – und, wie Kagura mit nicht geringer Verblüffung feststellte, gegen Sesshōmaru, der offensichtlich mit seinem Bruder Seite an Seite kämpfte. Um diese heftig tobende Schlacht befand sich ein heller Ring aus starkem Genki, der nicht nur dafür sorgte, dass die der Hölle Entflohenen sich nicht über diesen Ring hinaus auf der Erde verteilen konnten, sondern auch eine Gruppe von Tonkriegern am Betreten des Ringinneren hinderte. Fasziniert von dem sich bietenden Schauspiel sah Kagura dem verzweifelten Bemühen des kleinen Trupps Lebender zu, die sich gegen die Höllenkrieger zur Wehr setzten. Aber ihre Position schien aussichtslos, sie waren schon zahlenmäßig unterlegen und im Gegensatz zu ihren Angreifern konnten sie sehr wohl verletzt werden und sterben. Während Kagura noch überlegte, ob sie das Ende dieser Schlacht abwarten sollte, um sich möglicherweise die in Kagomes Besitz befindlichen Juwelensplitter zu sichern oder ob sie zunächst den Auftrag Narakus ausführen sollte, wurde ihr diese Entscheidung auch schon von einem Saimyoshō abgenommen, das ihr nicht nur eine an ein Wespennest erinnernde Kugel brachte, sondern auch den Befehl, dafür Sorge zu tragen, dass InuYasha und seine Begleiter diese Begegnung mit der Hölle nicht überleben würden, um anschließend die Juwelensplitter einzusammeln. Für einen Augenblick zögerte Kagura diesen Befehl auszuführen, dann jedoch flog sie so nah wie möglich an den Ring aus Genki heran und zerbrach das Wespennest in ihrer Hand, auf diese Weise hunderte niederer Dämonen anlockend, die dumm genug waren, zu versuchen die Genkibarriere zu durchbrechen und dabei geläutert wurden. Der Ansturm dieser Dämonen, die beim Auftreffen auf den Ring aus göttlicher Magie umgehend starben, genügte nicht, um die Genkibarriere dauerhaft zu zerstören, reichte jedoch aus, für Sekunden eine Lücke in dem Ring zu öffnen und es so einem dichten Schwarm aus Saimyoshō zu ermöglichen in das Innere des Kreises vorzudringen, bevor sich die Barriere wieder schloss und die Tonkrieger zerstörte, die ebenfalls versucht hatten durch den Ring aus Genki zu gelangen. Während die Saimyoshō nun auf Seiten der Höllenkrieger ebenfalls in das Geschehen eingriffen, Miroku daran hinderten sein Kazāna einzusetzen, sich auf die beiden schwächsten Glieder der kleinen Truppe Verteidiger stürzten, dabei durch Shippōs Fuchsfeuer und Sangos Bumerang zerstört werdend, war Sesshōmaru zu der Erkenntnis gelangt, dass er im Moment nicht nah genug an Ōjidai herankommen würde, um sich Tenseiga zurückzuholen. Aber es gab da jemanden, der wohl schnell genug war, um sich darum zu kümmern. Eine Fingerbewegung und zwei Worte später, stand ein sehniger Mann mit weißen Haaren neben Sesshōmaru, der diesem den knappen Befehl erteilte: „Kümmere dich um Tenseiga.“ Shioken hielt sich nicht damit auf, dem Yōkai etwas auf dessen Befehl zu erwidern, sondern war im nächsten Moment auch schon an der Seite Ōjidais, entrang ihm mühelos Tenseiga und stand auch schon wieder neben Sesshōmaru, bevor der überrumpelte Schwertsammler auch nur irgendeine Möglichkeit hatte auf den plötzlichen Raub zu reagieren. Da dem Dämon nicht genügend Zeit blieb erst langwierig ein Schwert in die Scheide zu stecken, bevor er Tenseiga in die Hand nehmen konnte, ließ er kurzerhand Tōkejin los, sodass es mit der Schneide voran in der Erde neben ihm stecken blieb, während er schon Tenseiga ergriff, Shioken zurückrief und im nächsten Moment gegen Ōjidai und Sōunga zu kämpfen hatte, die sich für den Verlust Tenseigas rächen wollten. Von ihrem Logenplatz in luftiger Höhe aus konnte Kagura verfolgen, wie zwischen dem Schwertsammler und dem Dämon ein heftiger Kampf entbrannte, während InuYasha noch immer mit Hilfe der Windnarbe Schneise um Schneise in die sich sofort wieder schließenden Reihen der Höllenkrieger trieb, der Priester trotz der Hölleninsekten seine Kazāna einsetzte, um zu verhindern, dass Sango, die gerade mit ihrem Hiraikotsu einen Teil der Saimyoshō gründlich halbiert hatte, von mehreren verdammten Seelen gleichzeitig angegriffen wurde. Es war ein aussichtloser Kampf; und so wurde Kagura bald darauf Zeuge, wie Sango von einem Speer durchbohrt wurde, sich die Höllenkrieger in den Reitdrachen und die Dämonenkatze verbissen und sie unter sich begruben, während Miroku noch immer verzweifelt versuchte Shippō und Rin zu schützen. Aber die Saimyoshō, die ebenso wie die untoten Krieger immer wieder aufs Neue aus dem offenen Höllentor hervorkamen, erreichten schließlich, wofür sie geschickt worden waren: Miroku hatte neben unzähligen Verdammten auch Hölleninsekten mit seinem Kazāna eingesogen, deren Gift nun begann seine Wirkung zu entfalten und den Mönch zu lähmen, sodass er schließlich hilflos zusehen musste, wie Shippō allein versuchte mit seinem Fuchsfeuer die angreifenden Insekten fern zu halten. Dennoch gelang es einigen Insekten Rin zu vergiften, während der kleine Kitsune zeitgleich unter dem Schwerthieb eines Höllenkriegers fiel und Miroku unter der Wucht einer Keule, die auf seinen Kopf traf, leblos zusammensackte. Unzufrieden damit keine weiteren lebenden Gegner mehr zu finden, da nicht alle der unzähligen Höllenkrieger gleichzeitig gegen die beiden Hundebrüder antreten konnten, versuchten einige dieser Wesen nun die Barriere aus Genki zu zerbrechen, um sich außerhalb dieses Kreises neue Gegner zu suchen und die langen Jahre der Gefangenschaft in der Hölle auszugleichen, indem sie ihre Sehnsüchte stillten. Während noch Miroku, Sango, Shippō und Rin den aus der Hölle Gekrochenen letzten, verzweifelten Widerstand leisteten, kämpfte Sesshōmaru verbissen gegen den von Sōunga besessenen Ōjidai, diesen immer wieder zurückdrängend, ohne eine tatsächliche Entscheidung herbeiführen zu können. Trotzdem er Erschöpfung, Blut und wachsende Verzweiflung der kleinen Gruppe in seinem Rücken ebenso wahrgenommen hatte, wie InuYasha, dessen wutentbranntes, gnadenloses Vorgehen gegen ihre Gegner nur zu beredetes Zeugnis davon gab, wie sehr es ihn traf, dass er nicht in der Lage war seinen Freunde auf bessere und vor allem erfolgreichere Weise zu beschützen, war es Sesshōmaru angesichts der Stärke Sōungas und der unausgesetzten Heftigkeit seiner Angriffe nicht möglich viel mehr als bisher für ihre Begleiter zu tun. Wenn es nur eine Möglichkeit gegeben hätte, den Höllenschlund zu versiegeln, um die Krieger an ihrer stetigen Wiederkehr aus der Hölle zu hindern… Mamori. Sobald die dunkelhaarige, schlanke Gestalt Mamoris auf Sesshōmarus hastig zwischen zwei Angriffen hervorgebrachten Befehl hin, neben ihm stand, wies er sie knapp an: „Versiegle den Eingang zur Hölle“, nachdem er selbst den Schwertsammler angegriffen hatte und bevor er einen weiteren Angriff von diesem parierte, während er mit Hilfe Tenseigas Hundert der Höllenkrieger zurück an den Ort sandte von dem sie gekommen waren. Auch Mamori hielt sich nicht mit irgendwelchen Bemerkungen auf, sondern stand im nächsten Moment bereits neben dem geöffneten Schlund, streckte beide Hände aus und ließ eine Wand aus dunkelblauer, schwach durchsichtiger Energie entstehen, die sich wie eine genau eingepasste Scheibe Glas über den Eingang zur Hölle legte und alles in diese zurückschleuderte, was sich von Innen dagegen presste. Allerdings zwang der beständige Sog der Hölle Mamori die Barriere immer wieder nachzubessern, damit der Bannkreis aus Mak Ba’el dem Ansturm der Höllenkrieger auch weiterhin standhielt. Nun endlich gelang es die Zahl der Höllenkrieger dauerhaft zu dezimieren. Für Rin, Kagome, Sango, Shippō, Jaken und Miroku jedoch war es bereits zu spät, sie hatten der Macht der Höllenkrieger nicht länger standhalten können. Der Tod seiner Freunde sorgte nun dafür, dass InuYasha mit all seiner Wut gegen Ōjidai vorging, nachdem er dessen Aufmerksamkeit mit der Bemerkung „hey, ich bin auch noch da“ und einer zur Bekräftigung hinterher gesandten Windnarbe zeitweilig auf sich lenkte, ihn auf diese Weise beschäftigend, während er sich sicher war, dass Sesshōmaru unterdessen die Seelen aus der Unterwelt durch die Macht Tenseigas wieder dorthin zurückschickte, von wo sie gekommen waren. Sobald die Zahl der Höllenkrieger keinerlei Bedrohung mehr darstellte, tauschte Sesshōmaru für einen kurzen Augenblick das reinweiße Shiomari mit dem im Boden steckenden Tōkejin, rief den Namen seines Bruders, um dessen Aufmerksamkeit zu erhalten, als dieser gerade einen Satz rückwärts gemacht hatte, um sich gegenüber Ōjidai in eine bessere Angriffsposition zu bringen. Kaum das InuYasha einen Blick in die Richtung des Rufers geworfen hatte, um zu sehen, was dieser von ihm in so einem Moment wollen könnte, ließ Sesshōmaru eine mit Hilfe Tōkejins erzeugte Energieklinge blau schimmernden Yōkis auf seinen Bruder zurasen. Für einen Augenblick war InuYasha wie erstarrt und sah ungläubig auf die heranrasende Energie, dann jedoch begriff er, was Sesshōmaru plante und wechselte hastig erneut seine Position, um schließlich mit Hilfe des Bakūryha die Energie Tōkejins durch die Windnarbe verstärkt auf Ōjidai und Sōunga zu lenken. Gleichzeitig sandte Sesshōmaru eine weitere Energieklinge Tōkejins los, dieses Mal in Richtung des Schwertsammlers, anschließend zu Shiomari greifend, um mit einem Shirayuki den letzten Fluchtweg Ōjidais abzuschneiden, sodass InuYashas Bakūryha den Schwertsammler frontal traf. Doch so leicht war Sōunga nicht zu besiegen und so griffen die Brüder Ōjidai und sein jüngstes Sammelobjekt erneut an. Trieben ihn zurück in die Nähe des Höllenschlunds, bedrängten ihn, ohne ihm Zeit zu lassen, zu Atem zu kommen oder zu realisieren, wie nah er sich bereits wieder am Abgrund befand. Kaum hatten die beiden Halbbrüder ihren Gegner da, wo sie ihn haben wollten, setzten sie ein letztes Mal die Macht ihrer Schwerter frei, die den Schwertsammler trotz Sōungas Schutz hart genug traf, um ihn rückwärts taumeln zu lassen, hinein in den Abgrund, der in diesem Moment von Mamori noch einmal freigegeben worden war. Sobald Sōunga und Ōjidai den Rand des Tores überschritten hatten, wurden sie zurück in die Tiefen der Hölle gesogen, verlangte die Unterwelt zurück, was ihr zugestanden worden war. In einem letzten Aufbäumen von Widerstand verbanden die beiden Gefallenen ihre Macht, und sandten eine Welle dunkler Energie in Richtung des sich bereits schließenden Tores und der Oberwelt. Es war das letzte, was Ōjidai in der Lage gewesen war zu tun, denn dieser Angriff hatte nun auch die letzten, ihm noch verbliebenen Reserven an Magie und Lebenskraft aufgezerrt und so würde er nie erfahren, ob seinem Bemühen Erfolg beschieden war. Vor dem Tor stand noch immer Mamori, den Bannkreis aufrecht erhaltend, um den Höllenkriegern jede noch so kleine Möglichkeit zu nehmen, erneut in das Diesseits vor zu dringen, so lange sich der Schlund nicht endgültig wieder geschlossen hatte. Die dunkelhaarige Frau sah die gebündelte Energie Sōungas und Ōjidais heranrasen, verstärkte noch einmal die erzeugte Barriere, sicher die Energie auf diese Weise aufhalten zu können. Doch sie hatte sich geirrt. Die Energie durchdrang die Barriere, sich dabei zu einem haarnadelfeinen Speer verformend, und traf im nächsten Augenblick auf den Schmuckstein Mamoris. Während sich das Höllentor endgültig schloss, die von Mamori erzeugte Barriere in sich zusammenbrach und die dunkelhaarige Frau mit einem Gesichtsausdruck vollkommener Verwunderung in der Bewegung erstarrt schien, war zugleich ein unheilvolles, leises Knacken zu hören, das gleich darauf von einem Splittern ergänzt und schließlich abgelöst wurde. Der Schmuckstein Mamoris war durch die vereinte Macht des Schwertsammlers und des Höllenschwerts geborsten. Die Einheit Shiomaris existierte nicht mehr, dass sich gegenseitig kontrollierende Gleichgewicht der beiden Kräfte war zerstört. Der Gehorsam gegenüber dem Besitzer des Schwertes bedeutungslos geworden. Das Geräusch zerbrechenden Kristalls war noch nicht vollkommen verklungen, als sich von Shiomaris Spitze eine gleißendweiße Energiesäule löste und im Fliegen die Gestalt Shiokens annahm, der im letzten Moment, bevor Mamoris lebloser Körper auf dem Boden aufschlug, bei der schlanken Frauengestalt ankam, sie auffing und sanft zu Boden gleiten ließ. Kein Laut war zu hören, während der weißhaarige Mann mit starrem Blick auf das noch immer verblüfft wirkende Antlitz Mamoris sah und aus dem roten Schmuckstein auf seiner Brust mit einem Mal begannen hellrote Energiebänder zu schießen, den Körper Shiokens stärker und stärker umwickelten ihn in einen Kokon aus Energie hüllten, der schnell größer wurde. Ungläubig hatten die Hundebrüder das Geschehen verfolgt, während InuYasha sich irritiert bei Sesshōmaru erkundigte: „Was soll das denn jetzt?“ Sesshōmaru blieb die Antwort auf diese Frage schuldig. Er hatte Shioken keinerlei Befehl gegeben das Schwert zu verlassen, der weißhaarige Mann hatte vollkommen eigenständig gehandelt. Die sich mehr und mehr mit Spannung aufladende Atmosphäre, verriet jedoch, dass das, was nun kommen mochte, mit Sicherheit nichts Gutes war. Die Menge der freigesetzten Energie erzeugte ein Knistern in der Luft, schien in wellenförmigen Bewegungen von dem noch immer wachsenden Kokon auszugehen und drückte alles nieder, was nicht genügend Widerstand leistete. Kagura flog ein wenig höher hinauf, um nicht versehentlich zwischen die Fronten zu geraten, während sie noch immer fasziniert das Geschehen unter sich folgte. Der Kokon hatte nun von seiner Höhe die Wipfel der umstehenden Bäume erreicht und offenbar auch das Ende seines Wachstums, denn mit einem Mal zerfranste der Kokon plötzlich, riss an mehreren Stellen gleichzeitig und löste sich schließlich vollkommen auf, während Shioken nun wieder in der Gestalt der Pferdekatze vor den Anderen stand, deren Größe sich um ein Vielfaches gesteigert hatte. Die Augen des Tieres wiesen keinen Funken des alten lebendigen Rottons mehr auf, sondern nur noch ein fahles Weiß, ohne Pupillen. Ebenso wie das Augenrot, fehlte nun auch die Goldschmiedearbeit samt Schmuckstein, es gab nur noch die Augen schmerzhaft blendendes Weiß. Für einen Moment stand dieses mächtige Wesen still, bevor es vollkommen lautlos und mit der Gnadenlosigkeit des blinden Todes begann zu erfüllen, weshalb es existierte. Als der sich auflösende Kokon den Tod in Gestalt der Pferdekatze freigab, hatte sich InuYasha instinktiv schützend vor seine Freunde gestellt, er würde sie diesem Wesen nicht kampflos überlassen. Sesshōmaru hatte unterdessen versucht, Shioken in sein Schwert zurückzurufen, doch das Wesen hörte nicht auf seinen Befehl, sondern bewegte sich mit beinahe träger Gemächlichkeit auf InuYasha, dessen Freunde und die Begleiter des Hundedämons zu. Der Hundeyōkai verschwendete keine Zeit damit verärgert über den Ungehorsam Shiokens die Stirn zu runzeln, sondern beeilte sich, dem Wesen den Weg abzuschneiden. Inuyasha mochte seine Freunde beschützen wollen, aber Shioken stand in Diensten Sesshōmarus, also war er auch derjenige, der gegen dieses Wesen kämpfen würde. Kaum hatte sich jedoch der Dämon der Pferdekatze in den Weg gestellt, änderte diese die Richtung durchbrach mühelos die Barriere aus Genki, die daraufhin in sich zusammenbrach, und begann in einem immer schneller werdenden Tempo Richtung Nordosten über das Land zu jagen. Alles Leben auslöschend, das ihm begegnete, gleichgültig ob es sich dabei um Pflanze, Tier, Mensch oder Yōkai handeln mochte. Alles, was mit dem Fell des Tieres in Berührung kam, zerfiel zu Staub, als hätte es nie existiert, sodass nichts anderes zurückblieb als tote Einöde und unfruchtbare Erde. InuYasha kümmerte sich nicht weiter, um die verschwundene Bestie, sondern wandte sich seinen Freunden zu, im nächsten Moment auch schon neben Kagome kniend und sie in den Arm nehmend. Jetzt erst machte sich die Verzweiflung in ihm breit, die er während des Kampfes gegen die Höllenkrieger und deren Anführer notgedrungen ausgeblendet hatte. Seine Freunde waren tot. Er hatte sie nicht beschützen können. Er war nicht stark genug gewesen, um sie davor zu bewahren von ihren Gegnern ermordet zu werden. Voller Trauer barg er seinen Kopf in den Haaren Kagomes, die noch immer ihren unverwechselbaren, liebgewordenen Geruch aufwiesen, als wäre noch alles völlig normal und die Welt nicht von einem Moment auf den anderen aus den Fugen geraten. „Kagome…“, nur ein Flüstern, während er an all die Erlebnisse dachte, an denen sie an seiner Seite gewesen war, in denen sie gestritten und sich versöhnt hatten. Er presste sie noch ein wenig fester an sich, während er seinen Blick über Sango, Shippō und Miroku gleiten ließ, sich stumm bei ihnen dafür entschuldigend, dass er ihnen nicht hatte helfen können, als es notwenig geworden war. Schweigend beobachtete Sesshōmaru seinen Bruder und dessen Reaktion, nachdem er scheinbar stoisch auf die leblosen Körper Rins und Jakens gesehen hatte. Tenseiga würde sie nicht wieder beleben können. Der Yōkai zwang sich, jegliches Gefühl, das er bei dem Anblick dieser beiden toten Wesen empfand, zu unterbinden, er musste einen klaren Kopf behalten, wollte er Shioken doch noch Einhalt gebieten und dennoch hätte er in diesem Moment gern etwas zertrümmert, um sich Erleichterung zu verschaffen. Hätte er gern Ōjidai und Sōunga zurückgeholt, nur um sie ein weiteres Mal zur Hölle schicken zu können. Stattdessen jedoch hob er ohne ein Wort zu sagen Tenseiga und schwang es in Richtung von InuYashas Freunden. Während er anschließend das Schwert in dessen Scheide gleiten ließ, wie er es zuvor schon mit Shiomari und Tōkejin getan hatte, wies er seinen verblüfft starrenden Bruder an: „Kümmere dich um Kagura.“ Im nächsten Augenblick war er in die gleiche Richtung wie Shioken verschwunden, um dessen Verfolgung aufzunehmen. War InuYasha im ersten Moment von der Tat seines Bruders mehr als überrascht gewesen, wandte er im nächsten Moment seine volle und äußerst erleichterte Aufmerksamkeit wieder Kagome zu, als diese sich in seinen Armen zu regen begann und fragte: „InuYasha, was ist denn passiert?“ „Das können wir später klären, jetzt müssen wir erst mal sehen, dass Kagura Sesshōmaru nicht in die Quere kommt“, erklärte der Hanyō hastig seinen Freunden, Kagome loslassend und seine Freunde auf die bisher unbeachtete am Himmel schwebende Dämonin hinweisend. Die entfaltete lediglich ihren Fächer, um dahinter ein abfälliges Lächeln zu verbergen und sank gleichzeitig ein wenig tiefer, um an die kleine Gruppe unter sich gewandt zu erklären: „Du bist sehr von dir überzeugt, InuYasha, aber ich habe im Augenblick keine Zeit mit dir zu spielen, ein Juwelensplitter wartet auf mich“, und anschließend ungehindert davon zu fliegen. „Ein Juwelensplitter? Kagome, warum hast du denn nichts gesagt?“, verlangte der Hanyō gleich darauf verärgert zu wissen und bekam die leicht pikierte Antwort zu hören: „Weil wir damit beschäftigt waren gegen Höllendämonen zu kämpfen?!“ „Ja, schon klar, aber jetzt kriegt Naraku wieder einen Splitter vor uns in die Hände“, InuYasha starrte missmutig vor sich auf den Boden, während Shippō gänzlich andere Sorgen hatte und den Halbdämon ignorierend, besorgt sagte: „Kagome, Rin und Jaken wollen nicht aufwachen.“ Umgehend war die Aufmerksamkeit aller auf die beiden Begleiter Sesshōmarus gerichtet, die noch immer regungslos auf dem zertrampelten Boden lagen. Die große Wunde, die die Streitaxt auf Jakens Körper hinterlassen hatte, machte deutlich woran der kleine Kappe gestorben war, die kaum sichtbare Wunde, die das Hölleninsekt bei Rin hinterlassen hatte, war dagegen schon schwerer zu finden. Ratlos schauten die fünf Freunde einander an, sie hatten keine Erklärung dafür, warum Sesshōmaru Tenseiga nicht auch an diesen beiden eingesetzt hatte, aber sie würden die sie nicht einfach allein hier liegen lassen, sondern stattdessen auf die Rückkehr des Hundedämons warten, vielleicht würden sie dann ja eine Erklärung erhalten. Kapitel 26: Inochi to Shi ------------------------- Shioken war eine lange Zeit immer Richtung Nordosten über das Land getobt, hatte Felder, Dörfer und Wälder zerstört, bis er schließlich an das Meer gelangte, kehrt machte und nun in südwestliche Richtung raste. Noch immer zu schnell, als dass die meisten Lebewesen ihm hätten erfolgreich entkommen können, aber inzwischen doch ein wenig gemächlicher, als hätte er erkannt, dass es keinen Grund zur Eile gab, sondern ihm früher oder später ohnehin alles Leben zum Opfer fallen würde. Auf ihrem Weg Richtung Kinai hatten Hinagiku, Kaoru und Inochiyume den Chūneji-See inzwischen hinter sich gelassen und waren ebenfalls in die Nähe des Nikkō-Futarasan-Schreins gelangt. Hinagiku hatte entschieden, dass sie diesem Schrein einen Besuch abzustatten würden, bevor sie ihren eigentlichen Weg fortsetzen würden. Die Bemerkung Kaorus, dass sie auf diese Weise nur schwerlich die Reisegruppe von Haru einholen würden, wenn die Prinzessin jeder ihrer Launen nachgab, wurde mit einer harschen Zurechtweisung als falsch und unsinnig abgetan, bevor die Prinzessin sich überraschend doch die Mühe machte zu erklären, dass um den Schutz der Berggötter zu bitten, noch nie einem Menschen geschadet hatte. Hinagiku hatte ihre Rede noch nicht ganz beendet, als plötzlich die Pferde nervös wurden und scheuten, sodass die Prinzessin und ihr Leibwächter Mühe hatten sie unter Kontrolle zu halten, während gleichzeitig Vögel und Insekten verstummten, einen kurzen Moment spannungsgeladene Stille herrschte und schließlich die Geräusche von verzweifelt flüchtenden Lebewesen zu hören waren. Da vor und neben ihnen nichts zu entdecken war, was diese plötzliche Panik erklärt hätte, wandten die drei Reisenden die Köpfe und konnten hinter sich zunächst nur etwas gleißend Weißes erkennen, das für einen Augenblick weder näher zu kommen, noch sich zu entfernen schien. Die nach wie vor panisch flüchtenden Tiere und Yōkai bewiesen jedoch nur zu deutlich, dass dieses Etwas mit Sicherheit nicht harmlos war. Für einen Sekundenbruchteil waren sowohl die beiden Frauen, als auch der Krieger von diesem bedrohlich wirkenden Weiß zu geblendet, um in irgendeiner Weise reagieren zu können, während dieses Weiß viel zu schnell die Konturen eines riesigen Katzenwesens annahm. Kaoru war der Erste, der auf diese schnell näherkommende Gefahr reagierte, indem er dem Pferd der Prinzessin einen heftigen Schlag auf die Kruppe versetzte, es auf diese Weise davon jagend, sodass Hinagiku nichts anders übrig blieb, als sich darauf zu konzentrieren im Sattel zu bleiben und nicht vom Rücken des Pferdes zu stürzen, bis sie es wieder vollkommen unter Kontrolle hatte. Unterdessen hatte Kaoru sich nicht damit aufgehalten, der Prinzessin nachzusehen, sondern noch im gleichen Moment sein Pferd auf der Hinterhand die Richtung ändern lassen, sodass er nun dem schlohweißen Katzentier direkt entgegensah, das sie beinahe erreicht hatte. Noch jedoch gehörte Kaorus Aufmerksamkeit nicht dem heranrasenden Ungeheuer, sondern dem jungen Mädchen, das sich bisher hinter ihm und Hinagiku befunden hatte. Scheinbar zur Salzsäule erstarrt stand Inochiyume seit dem ersten Anblick der Pferdekatze mitten auf dem Weg und starrte dem Tier unverwandt entgegen, während sie das Gefühl hatte, dass sich die Zeit immer mehr verlangsamte, je näher ihr das Tier kam. Wieder konnte sie, wie nur wenige Tage zuvor bei dem scheinbar toten Rōnin, das Rauschen ihres Blutes in den Ohren vernehmen, fühlte sie wie sich ihr Herzschlag vervielfachte und sich ein nervöses Kribbeln in ihr ausbreite, während sie stocksteif auf die Ankunft des weißen Tieres wartete. Kaoru fluchte beim Anblick Inochiyumes und stieß sie grob zur Seite, um sie doch noch im letzten Moment irgendwie vor dem Monster in Sicherheit zu bringen. Als er nur einen Wimpernschlag später sein Schwert ziehen und gegen das Wesen kämpfen wollte, berührte eine der Tatzen beinahe sanft Pferd und Reiter, ohne dass das Katzenwesen überhaupt zu bemerken schien, dass sich ihm jemand in den Weg gestellt hatte. Im nächsten Moment war das Katzenwesen auch schon wieder fort, weiter Richtung Südwesten, nur um auf diese Weise erneut an ein Meer zu gelangen und gleich darauf wieder die Richtung zu wechseln, in stupider Gründlichkeit Linie an Linie Ödland reihend, an das stetig hin und her gleitende Schiffchen eines Webstuhls erinnernd. Währenddessen war von Kaoru und seinem Pferd nach der kurzen Berührung nicht mehr übrig geblieben, als die Kleidung und Bewaffnung des Vizekommandanten sowie Sattel und Zaumzeug seines Pferdes. „Kaoru-san“, es war nur ein entsetztes, fassungsloses Flüstern, das sich Inochiyumes Kehle entrang, während sie sich eilig aufrappelte und die wenigen Schritte zu der Stelle lief, wo sich Sekunden zuvor noch der stellvertretende Kommandant befunden hatte. Ungläubig starrte sie auf die nun herrenlosen Kleider und konnte nicht begreifen, was gerade geschehen war. Von einem Moment auf den anderen hatte Kaoru einfach aufgehört zu existieren, hatte sich aufgelöst wie ein Hitzetrugbild, wenn sich die Luft abkühlt. Ihretwegen war Kaoru-san gestorben, weil sie nicht getan hatte, was notwendig gewesen war. Weil sie statt wegzulaufen, dagestanden und sich nicht gerührt hatte, sonst wäre es ihm doch sicher gelungen diesem Wesen standzuhalten, oder? „Kaoru-san“, hilflos, flehend, als bäte sie darum, dass ihr der Krieger im nächsten Moment persönlich versichern würde, dass das alles nur ein dummes Missverständnis wäre und mit ihm alles in bester Ordnung wäre. Aber so war es nicht und würde es auch nie wieder sein. Stattdessen raste in diesem Moment erneut das Katzenwesen heran, dieses Mal ungehindert und zielgenau auf Inochiyume zu, als würde es von ihr ebenso angezogen werden, wie umgekehrt. Wieder schien sich die Zeit zu dehnen, wurden aus Sekunden scheinbar Stunden und war es dem Mädchen unmöglich davon zu laufen. Wieder rauschte das Blut in ihren Ohren, begann ihr Herz zu rasen und ihr Körper unruhig zu kribbeln, während ihr mit unumstößlicher Sicherheit klar wurde, dass sie das Tier nur würde berühren müssen, um es aufzuhalten. Wenn Leben und Tod ungehindert aufeinander trafen, würden sie sich gegenseitig aufheben, auf ewig zwischen Sein und Nichtsein verharren, zwischen Ende und Neubeginn. Inochiyume wusste nicht, woher sie diese Gewissheit nahm, noch hatte sie eine Erklärung für die dreiste Anmaßung, dass ausgerechnet sie diejenige wäre, der es gelingen würde den Tod aufzuhalten. Es war auch keine Zeit für solche Erklärungen, denn die Pferdekatze war beinahe heran und das Mädchen hatte bereits eine Hand gehoben, um in das Fell des Wesens zu greifen, als urplötzlich ein weiterer riesiger, silbrig rauchgrauer Schemen heranjagte, sich im Hals der schlohweißen Pferdekatze verbiss und im nächsten Moment ein gnadenloser Kampf zwischen den beiden Giganten entbrannte. Sesshōmaru war Shioken zunächst der Spur der Verwüstung entlang gen Nordosten gefolgt, bevor er auf halbem Weg die Witterung von Hinagiku, Inochiyume und Kaoru südlich von ihm wahrgenommen hatte und zugleich bemerkte, wie sich Shioken ihm bereits wieder näherte, ihn hinter sich zurückließ und eindeutig auf die kleine Reisegruppe aus dem Norden zuhielt. Es blieb keine Zeit dafür, sich zu fragen, was die Prinzessin und ihre Untergebenen in dieser Gegend treiben mochten, es blieb auch keine Zeit dafür, zu überlegen, ob es ihm gelingen würde Shioken rechtzeitig einzuholen. Stattdessen nahm Sesshōmaru seine Gestalt als riesiger, rotäugiger Hund an und machte sich erneut an die Verfolgung des Katzenwesens, um gerade so verhindern zu können, dass auch Inochiyume dem ausschließlich Instinkt gesteuerten Katzentier zum Opfer fiel. Während sich die vollkommen außer Kontrolle geratene Pferdekatze heftig gegen ihren Angreifer zur Wehr setzte, sich die beiden in einander verkrallten und verbissenen Gegner überschlugen, einander schwere Verletzungen zufügten, das Ausmaß der Zerstörung um sich noch vergrößerten und sich allmählich von Inochiyume entfernten, war es Hinagiku gelungen ihr Pferd wieder soweit zu beruhigen und zu beherrschen, dass sie zu ihrer Dienerin zurückkehren konnte. Entschlossen ihrem Leibwächter gründlich die Meinung zu sagen, was diesem einfiele ihr einen solchen Schrecken einzujagen. Inochiyume fühlte sich merkwürdig benommen und schwindlig, als sich das Katzentier so unerwartet wieder von ihr entfernte, das Ohrensausen und Kribbeln langsam versiegte. Verwirrt faste sie sich an die Stirn, in dem hilflosen Versuch, die Welt dazu zu bringen wieder normal zu funktionieren und nicht wie ein wild gewordener Kreisel durch die Gegend zu torkeln. So dauerte es auch einen Augenblick, bis sie auf die herrische Frage Hinagikus, wo der Fukutaishō abgeblieben sei, antworten konnte, indem sie der Prinzessin ihr blasses Gesicht zuwandte und leise äußerte: „Er ist tot.“ Für einen Moment schwieg Hinagiku geschockt, während sie versuchte diese Nachricht zu verarbeiten. Kerzengerade und sehr steif, die Hände fest um die Zügel geballt, saß die Prinzessin schweigend im Sattel, bis sie sich schließlich selbst einen Ruck gab und an Inochiyume gewandt, ohne die übliche befehlsgewohnte Herablassung erklärte: „Wir reiten weiter.“ Nun ja, sie ritt, während Inochiyume hinter ihr herlief, nachdem sie Kleider und Schwert Kaorus eingesammelt hatte, um sie nach der Rückkehr in ihr Dorf, dessen Eltern zu geben, als letztes Andenken an ihren Sohn. Kurze Zeit später kamen die beiden Frauen am Futarasan-Schrein an und machten schließlich neben der berühmten Quelle halt, von der nicht weit entfernt der leblose Körper einer dunkelhaarigen, schlanken Frau lag. Die Prinzessin schenkte dem Leichnam jedoch ebenso wenig Beachtung, wie der kleinen Gruppe, die sich etwas weiter entfernt ebenfalls auf dem Gelände des Schreins befand und schweigend auf Etwas in ihrer Mitte blickte, während sie gleichzeitig offenbar auf jemanden oder etwas warteten. Als Hinagiku ein wenig von dem Quellwasser getrunken und von ihrer Dienerin ein Tuch erhalten hatte, um sich Hände und Gesicht zu trocknen, befahl die Prinzessin Inochiyume bereits wieder sehr viel energischer als zuvor, sie solle sie allein lassen. Schweigend tat das Mädchen, was ihr befohlen worden war und zog sich diskret zurück, die Prinzessin ihrer Trauer überlassend, während sie selbst nach der am Boden liegenden Frau sah, ihr Gepäck in der Nähe der Quelle zurücklassend. Sobald Inochiyume neben der toten Frau kniete, begann Inochiyumes Körper zum wiederholten Mal die gleichen Signale zu senden, wie zuvor bei der Begegnung mit der Pferdekatze. Behutsam, nur mit den Fingerspitzen, als wolle sie die Frau nicht noch mehr verletzen, berührte Inochiyume den geborstenen Stein unterhalb der Schlüsselbeine der Frau, ohne dass sie dafür hätte eine plausible Erklärung abgeben können, sondern lediglich einem Instinkt folgend. Kaum spürte sie die unregelmäßigen, scharfen Kanten der Splitter unter ihren Fingerkuppen, begannen diese sich auf magische Weise wieder zu einem vollständigen Ganzen zusammen zu fügen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bevor dieser doch äußerst merkwürdige Vorgang auch schon wieder endete. Sobald diese wundersame Instandsetzung abgeschlossen war, ging ein Seufzen durch den zuvor reglosen Körper der Frau, die im nächsten Moment die Augen öffnete und Inochiyume schweigend anstarrte, ehe sie plötzlich in einem ruhig feststellenden Tonfall „Getsumeiko“ äußerte, sich erhob und anschließend eilig das Gelände des Schreins verließ, innerhalb weniger Sekunden aus dem Blickfeld der Zurückbleibenden verschwindend. Der Kampf zwischen Shioken und Sesshōmaru tobte noch immer unvermindert heftig, keiner der beiden Gegner war gewillt dem Anderen in irgendeiner Form Zugeständnisse zu machen oder ihm den Sieg zu überlassen. Beide Tiere bluteten aus mehreren schweren Wunden, doch während die Pferdekatze unempfindlich gegen den Schmerz zu sein schien und weiterhin mit unverminderter Heftigkeit angriff, bekam Sesshōmaru die Folgen seiner Verletzungen immer stärker zu spüren. Er musste diesem Kampf bald ein Ende setzen, wenn er ihn gewinnen wollte. Mit einem drohenden Knurren stürzte sich der große, silbrig rauchgraue Hund erneut auf die Pferdekatze, mit der Absicht dieser mit einem Biss das Genick zu brechen. Doch der Katze gelang es rechtzeitig auszuweichen, während sie ihrerseits versuchte den Bauch des Hundes zu zerfetzen. Dieser verbiss sich daraufhin in der Pfote mit den ausgefahrenen Krallen und schleuderte im nächsten Moment die Pferdekatze durch die Luft, um ihr sofort nachzusetzen und seinen ursprünglichen Plan doch noch auszuführen. Doch die Katze war zu schnell für ihn, landete geschickt auf ihren Pfoten, ohne dabei Rücksicht auf die frische Verletzung zu nehmen, stieß sich im nächsten Moment auch schon wieder vom Boden ab und versuchte erneut mit ausgefahrenen Krallen tiefe Wunden in dem Hundekörper zu hinterlassen. Ganz gelang es Sesshōmaru dieses Mal nicht mehr auszuweichen, sodass eine weitere blutige Krallenspur in seinem Fell zurückblieb, während sich die beiden großen Tiere im nächsten Moment auch schon wieder lauernd gegenüberstanden, nach einer Möglichkeit suchend den Anderen erneut anzugreifen. Gerade als die beiden Gegner zum Sprung ansetzt hatten und gleich darauf auf einander zu flogen, erschien Mamori am Ort des Kampfes. Ohne einen Moment zu zögern oder eine Einschätzung der Lage vorzunehmen, lief sie mitten zwischen die beiden Angreifer, blieb gleich darauf, das Gesicht der Pferdekatze zugewandt, zwischen den riesigen Tieren stehen und äußerte lediglich ein Wort, ruhig und gelassen: „Shioken.“ Für einen Augenblick schien es, als würde Mamoris verrückte Aktion kein anderes Ergebnis erzielen, als dass sie im nächsten Moment von der Pferdekatze getötet werden würde. Doch noch während das riesige Katzenwesen auf sie zuflog, wurde sie bereits wieder kleiner, erschien bald darauf die Goldschmiedearbeit auf der Brust und waren schließlich auch wieder die leuchtend roten Pupillen in den Augen zu erkennen. Als Shioken schließlich bei Mamori ankam, hatte er bereits wieder seine menschliche Gestalt angenommen, während die Wunden schon beinahe vollständig verheilt waren. Das Gleichgewicht und die Einheit Shiomaris waren wieder hergestellt, der Irrsinn beendet, als Shioken wortlos die Arme um Mamori schloss und sein Gesicht an ihrem Hals barg, ebenso wie sie es bei ihm tat. Sesshōmaru hatte bei dem plötzlichen Erscheinen Mamoris zwischen ihm und Shioken nur durch ein schnelles Ausweichmanöver einen Zusammenprall verhindern können und stand nun etwas abseits von dem Paar während er sie irritiert beobachtete und einen gewissen Unmut auf die Frau spürte, die sich ungefragt und ungebeten in diesen Kampf eingemischt hatte. Als die Beiden auch nach einer Weile keinerlei Anstalten machten, sich von einander zu trennen, stieß der Hundedämon ein Knurren aus, das zugleich Warnung und Erinnerung war. Dieses Knurren war insofern ein Erfolg, als sich die beiden Schwerthälften daraufhin ihm zuwandten, ihn kurz prüfend musterten und Mamori anschließend auf ihn zutrat, um gleich darauf einen enganliegenden, blau schimmernden Bannkreis um Sesshōmarus Körper zu erzeugen, ähnlich einem Ganzkörperverband bei Schwerverletzten. „So wirst du nicht verbluten, bis wir beim Schrein angekommen sind“, fügte sie erklärend hinzu, als sie wieder einen Schritt zurückgetreten war und den Hundedämon ebenso gelassen abwartend ansah wie Shioken. Binnen weniger Sekunden hatte Sesshōmaru seine gewohnte menschenähnliche Gestalt angenommen, der sich auch die magische Bandagierung mühelos anpasste, und starrte Mamori finster an, während er in eisigem Tonfall befahl: „Du wirst dich nie wieder ungefragt in einen Kampf einmischen, egal wer der Gegner ist.“ Mamori neigte nur zustimmend den Kopf, bevor sie ruhig erwiderte: „Es wird nicht wieder geschehen. Aber dieses Mal war es die einzige Möglichkeit.“ Der Blick mit dem Sesshōmaru sie betrachtete, ließ sie erklärend hinzufügen: „Wir können nur getötet werden, wenn die Steine auf unserer Brust zerstört werden. Aber sobald einer von uns stirbt, verliert der andere diesen Stein, ebenso wie jede Fähigkeit rational zu denken. Du hättest Shioken nicht besiegen können, egal wie sehr du dich bemüht hättest. Niemand kann den Tod besiegen. – Allerdings warst du der Einzige, der in der Lage war, überhaupt gegen ihn zu kämpfen, jeder Andere wäre bei der kleinsten Berührung mit Shiokens Fell zu Nichts zerfallen.“ Da Mamori anscheinend nicht beabsichtigte eine weitere Erklärung abzugeben, hakte Sesshōmaru gezwungenermaßen mit einem knappen und fordernden „Warum?“ nach und erhielt dieses Mal von Shioken die Antwort: „Zum einen, weil du der Herr über Shiomari bist, egal was geschieht, der Besitzer Shiomaris kann nicht von uns getötet werden“, Shioken lächelte leicht, während er die Randbemerkung hinzufügte: „Du siehst, wir hätten bis in alle Ewigkeit weiterkämpfen können, wenn nicht einer von uns an Entkräftung gestorben wäre, was aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ich gewesen wäre.“ Dann kehrte er zum eigentlichen Thema zurück und erklärte: „Zum anderen, weil du der Erbe Tenseigas bist, es ist das Schwert das Leben gibt und hat dich in diesem Fall zusätzlich vor mir geschützt. Sonst wärst du, wie einst Atami, jetzt so alt, dass dein Ableben nur noch eine Frage weniger Tage gewesen wäre.“ Für einen kurzen Moment hatten sich Sesshōmarus Augen bei den Worten Shiokens missmutig verengt, bevor er die Antwort der männlichen Schwerthälfte schweigend akzeptierte und sich noch einmal an Mamori wandte, dieses Mal in gleichmütigerem Ton als es zuvor der Fall gewesen war: „Ich benötige deinen Bannkreis nicht um mich zu heilen“, indirekte Aufforderung den blau schimmernden Mantel magischer Energie wieder von ihm abzuziehen. Doch Mamori schüttelte den Kopf, während sie ruhig erwiderte: „Ich bin nicht Tenseiga, ich kann keine Wunden heilen, jedenfalls nicht auf diese Art. Der Bannkreis dient lediglich dazu, dass du nicht verblutest, bis wir am Schrein sind, dort ist jemand, der diese Wunden sehr viel schneller heilen wird, als du es in deinem Zustand kannst.“ Mamori war kaum aus dem Blickfeld des Schreins verschwunden, als gleichzeitig Hinagiku und InuYasha auf Inochiyume zu kamen. Die Prinzessin erreichte das Mädchen zuerst und verlangte zu wissen, was sie mit der Frau gemacht habe, dass diese plötzlich so eilig davon gelaufen war. Bevor das Mädchen auf die Frage ihrer Herrin eingehen konnte, war auch InuYasha heran und erkundigte sich eifrig: „Hey, Inochiyume, kannst du dir Rin und Jaken mal ansehen? Vielleicht bekommst du die ja auch wieder lebendig.“ Das Mädchen wollte bereits mit einem Nicken zustimmen und ohne ihre Herrin erst um Erlaubnis zu bitten, dem jungen Halbdämon folgen, als die beiden von Hinagiku mit den scharfen Worten aufgehalten wurden: „Was bildest du dir ein, dich einfach in meine Unterhaltung einzumischen?!“, nachdem sie auf diese Weise den Hanyō abgekanzelt hatte, wandte sie sich an die Karei und verklärte energisch: „Du wirst nicht mit ihm gehen, ich brauch deine Hilfe selbst!“ „Hime-sama, ich bitte Euch, es wird auch sicher nicht lange dauern“, bat Inochiyume, erhielt allerdings nur eine abschlägige Antwort darauf und die unsinnige Forderung nach einer warmen Mahlzeit. Weshalb Inochiyume ihre Herrin auch nur aus großen Augen erstaunt betrachtete, bevor sie einen nicht ganz ungefährlichen, zweiten Versuch unternahm die Prinzessin umzustimmen. InuYasha unterdessen wurde bei diesem fruchtlosen Hin und Her zwischen den beiden Frauen sichtlich ungeduldig und mischte sich nun mit der an Hinagiku gerichteten Bemerkung ein: „Jetzt stell dich nicht so an, die paar Minuten wirst du schon nicht gleich verhungern und wenn Inochiyume sich um Rin und Jaken gekümmert hat, kann sie dir doch immer noch was zu essen kochen.“ Jetzt starrte Inochiyume InuYasha verblüfft an, bevor im nächsten Moment ein erheitertes Lächeln an ihren Mundwinkeln zupfte, bei dem Gedanken, dass ausgerechnet der Halbdämon, der im Haus ihrer Großmutter die Hälfte des gekochten Eintopfs allein gegessen hatte, es tatsächlich wagte einer Prinzessin zu sagen, sie müsse noch eine Weile auf ihr Essen verzichten. Hinagiku hingegen schien von den dreisten Worten InuYashas kein bisschen erheitert zu sein, stattdessen erkundigte sie sich in hochfahrendem Ton: „Wie kannst du es wagen so mit mir zu reden?!“ „Wieso, was stimmt denn nicht mit dem, was ich sage?“, erkundigte sich der Halbdämon verständnislos und zwang Inochiyume auf diese Weise sich sauf die Lippe zu beißen, um nicht loslachen zu müssen, während die Prinzessin Mühe hatte, nicht entsetzt nach Luft zu schnappen und so ihre Würde zu verlieren. Unterdessen waren auch Shippō und Kagome herangekommen, die wissen wollten, warum InuYasha so lange brauchte, obwohl er gesagt hatte, dass er nur schnell das Mädchen holen wolle, dass bei der toten Frau gekniet hatte. Abgesehen davon, war Kagome zusätzlich in Sorge, dass InuYasha möglicherweise mit seiner rauen Art, die nun einmal nicht jedem auf Anhieb zusagte, nicht vielleicht mehr Schaden als Nutzen bei dem Versuch anrichtete, Hilfe für Rin und Jaken zu organisieren. Als Kagome und Shippō nun das verständnislose Gesicht InuYashas, die empörte Miene Hinagikus und das sowohl erheiterte als auch etwas ratlose Gesicht Inochiyumes sahen, ahnten sie nichts Gutes und der kleine Kitsune begann vorsorglich umgehend damit InuYasha ins Gewissen zu reden, dass er gefälligst etwas höflicher und freundlicher zu den beiden Frauen sein solle, damit sie ihnen halfen. Die einzige Reaktion des Halbdämons, die Shippō darauf erhielt, war eine mit gelangweiltem Gesichtsausdruck ausgeteilte Kopfnuss und die Bemerkung: „Sei still, Winzling“, worauf sich der Fuchsdämon umgehend mit leidendem Gesichtsausdruck bei Kagome über das schlechte Benehmen beschwerte. Diese beruhigte zunächst den Kitsune ein wenig und äußerte dann an die beiden, ihr unbekannten Frauen gewandt: „Es tut mir leid, falls InuYasha zu grob war“, der Halbdämon ließ ein beleidigtes Grummeln hören, wurde jedoch mit einem Blick von Kagome zum Schweigen gebracht, „aber es wäre wirklich nett von euch, wenn ihr uns helfen würdet.“ „Welchen Grund hätte ich denn, euch zu helfen?“, erkundigte sich Hinagiku herablassend, sich ein weniger höher aufrichtend, um ehrfurchtgebietender zu wirken. „Keh, du brauchst uns gar nicht helfen“, brummte InuYasha an dieser Stelle genervt halblaut vor sich hin, „Inochiyume ist diejenige, von der wir Hilfe brauchen.“ „Man merkt, dass du aus der Gosse stammen musst, du hast nicht das geringste Benehmen“, erwiderte Hinagiku mit kühler Arroganz darauf, bevor sie sich abwandte und nur fordernd sagte: „Inochiyume, komm!“ Mit einem Seufzen und nachdem sie sich entschuldigt sowie in Richtung des Halbdämons, des Menschenmädchens und des Kitsune verbeugt hatte, folgte die angesprochenen Dienerin ihrer Herrin, während die anderen Drei zurück blieben und verdutzt den beiden sich entfernenden Frauen nachsahen. „So ein Drachen“, brachte es InuYasha schließlich auf den Punkt, ohne dass ihm einer der anderen beiden widersprach, stattdessen erkundigte sich Shippō nach einem Moment enttäuscht: „Und was machen wir jetzt?“ „Vielleicht sollten wir etwas warten und es dann einfach noch mal versuchen?“, schlug Kagome ein wenig unsicher vor und erhielt auf diesen Vorschlag nur zustimmendes, wenn auch frustriertes Brummen als Antwort. Die drei Freunde hatten sich gerade auf den Weg zurück zu Sango und Miroku gemacht, als hinter ihnen plötzlich jemand rief: „InuYasha-dono, bitte wartet.“ Verwundert blieben die drei stehen und sahen sich um, auf diese Weise Inochiyume sehend, die auf sie zugelaufen kam, bei ihnen angelangt stehen blieb und mit einem Lächeln sagte: „Gehen wir, damit ich mir Jaken-dono und eure Freundin an sehen kann.“ Noch viel zu erstaunt über diesen plötzlichen Stimmungswechsel in der Hilfsbereitschaft der beiden Frauen, nickte InuYasha lediglich und die vier setzten ihren Weg nun gemeinsam fort, während Shippō wissen wollte: „Warum nennst du ihn denn ‚dono’, es ist doch nur InuYasha“, wofür er postwendend die nächste Kopfnuss kassierte und die erneute energische Aufforderung erhielt still zu sein, während Kagome ein wenig entnervt InuYasha ermahnte sich zu benehmen, bevor sie an Inochiyume gewandt erklärte: „Es ist sehr freundlich von dir, dass du uns jetzt doch hilfst.“ „Keh“, meinte der Halbdämon wegwerfend, während er seine Hände in den Ärmeln des Feuerrattengewandes barg, „vermutlich erhofft sich der Drache davon irgendeinen Vorteil.“ Inochiyume lächelte verlegen, als sie diese Ansicht bestätigend erklärte: „Sie hofft, Ihr könntet ihr Genaueres über den Verbleib Haru-donos berichten.“ „Wer ist denn Haru-dono?“, verlangte der kleine Kitsune neugierig zu wissen, während InuYasha zugleich mit gerunzelter Stirn wissen wollte: „Wie kommt sie auf die Idee, dass ich etwas über ihn wüsste, wir sind uns doch nie vorher begegnet.“ Inochiyume wurde noch ein wenig verlegener als sie gestand, dass sie die Prinzessin auf diesen Gedanken gebracht habe. Anschließend wandte sie sich an den jungen Fuchsdämon, um ihm seine Frage zu beantworten, auf diese Weise kurzerhand das Thema wechselnd. Sie hatte ihre einfache Erklärung, dass Haru der Verlobte Hinagikus sei, gerade beendet, als sie auch schon bei den Sango und Miroku sowie den beiden kleinen Leichnamen angekommen waren. Wortlos kniete sich Inochiyume neben die leblosen Körper des Kappa und des kleinen Mädchens, berührte zunächst mit ihrer Hand Jakens kalte, trockene Haut und spürte zum wiederholten Male an diesem Tag das Rauschen in den Ohren, das Kribbeln und den sich vervielfachenden Herzschlag, während sie ebenso staunend wie InuYasha und seine Freunde dabei zusah, wie sich die Wunde Jakens schloss, heilte und schließlich gänzlich verschwand, ehe der Kappa schließlich aufschreckte, als wäre er gerade aus einem Alptraum erwacht und sich anschließend etwas verwirrt umsah. Bevor er jedoch fragen konnte, wie es möglich war, dass er plötzlich wieder lebte, konnte er die Erklärung dafür hautnah miterleben, sobald Inochiyume Rin berührte und diese kurze Zeit später wiedererwachte, als wäre sie nie vergiftet worden, die junge Frau neben sich freundlich anlächelte und anschließend wissen wollte, wo denn Sesshōmaru-sama sei. Als hätte er nur auf dieses Stichwort gewartet, betrat genau in diesem Moment der Gesuchte, von Mamori und Shioken flankiert, das Gelände des Schreins und kam auf die kleine, am Boden kniende Gruppe zu, sich beim Anblick eines lebenden Jaken sowie einer erfreut aufspringenden und ihm entgegen eilenden Rin keinerlei Verwunderung oder Erleichterung anmerken lassend, sondern lediglich mit einem prüfenden Blick feststellend, ob sie tatsächlich wieder vollkommen gesund und unversehrt waren. Unterdessen hatte Mamori, sobald sie nah genug herangekommen waren, an Inochiyume gewandt geäußert: „Berühr seine Hand, Getsumeiko“, worauf sie von dem Mädchen verblüfft angesehen wurde, ehe es sich schweigend aus der Hocke erhob und auf den Dämon zutrat, dabei unwillkürlich so viel Abstand zu dem weißhaarigen Mann neben dem Yōkai haltend, wie irgend möglich und schließlich mit fragendem Gesichtsausdruck unsicher einen Schritt vor dem Dämon stehen blieb, nicht sicher, ob dieser mit der Anordnung der dunkelhaarigen Frau an seiner Seite überhaupt einverstanden war. In dem Moment, in dem Inochiyume zu dem Verletzten vor sich aufsah, hatte sie Mühe nicht überrascht zusammenzuzucken und unverfroren zu starren, als ihr Blick dem kühlen Ausdruck eines goldfarbenen Augenpaares begegnete. Ebenso wie Inochiyume, hatte auch Sesshōmaru Mamori bei deren ungewöhnlicher Aufforderung angesehen, allerdings nicht verwundert sondern prüfend, als wolle er auf diese Weise herausfinden, was sie im Schilde führte. Inochiyume konnte zwar auf menschenmögliche Art heilen, aber bisher hatte er nie erlebt, dass ihr dergleichen allein durch Hand auflegen gelungen wäre. Mamori schien den Blick zu verstehen und äußerte lediglich bekräftigend: „Sie wird dich heilen.“ Da die Wunden des Yōkai diesem inzwischen schwer zu schaffen machten und er nur die Wahl hatte entweder seinen Ruf zu ruinieren, indem er infolge der Verletzungen das Bewusstsein verlor, oder sich von einem Menschen anfassen zu lassen, fiel ihm die Entscheidung nicht wirklich schwer, zumal es sich nicht um irgendeinen Menschen handelte. Also streckte er nur schweigend die Hand aus, sah Inochiyume auffordernd an und wartete ab was geschehen würde. Kapitel 27: Abschied -------------------- Das letzte Kapitel... Ich hoffe, es bietet einen würdigen Abschluss für diese Geschichte und dass euch das Lesen derselben mindesten so gut unterhalten hat, wie mich das Schreiben (auch wenn ich gelegentlich geflucht habe, weil sich die Charaktere nicht so verhalten wollten, wie ich das gern gehabt hätte). Es könnte sein, dass Manchen Sesshōmaru in diesem Kapitel OoC vorkommt. Bitte seht es ihm nach, er hat noch mit den Folgen der Geschichte zu kämpfen. Wünsch euch wie immer gute Unterhaltung, lG Zwiebel Während Inochiyume sich beeilte den gebotenen Handrücken mit den Fingerspitzen einer Hand zu berühren, um die Verletzungen des Yōkai zu heilen, sobald Mamori den schützenden Bannkreis vom Körper desselben genommen hatte, beobachtete Sesshōmaru interessiert das Mädchen vor sich. Er konnte spüren wie die Magie über ihre Fingerspitzen und seine Hand in seinen Körper gelangte und begann die Wunden zu heilen. Ebenso konnte er ihre Trauer wahrnehmen, ohne sagen zu können, ob diese sich auf den Tod Kaorus oder auf das Verschwinden Harus bezog. Er hatte das Erkennen in ihrem Blick gesehen und die Enttäuschung darüber, dass er nicht mehr der Mensch war, den sie die vergangenen Monate über gekannt hatte. Dennoch hielt sie ihr Versprechen, nicht zu weinen, sondern konzentrierte sich stattdessen darauf, ihn zu heilen. Neben der Trauer bemerkte Sesshōmaru auch ihre Nervosität und Verunsicherung. Hatte sie nun Angst vor ihm oder machte sie sich Sorgen darüber, was er von der Tatsache hielt sie und die Prinzessin außerhalb des Dorfes anzutreffen? Seltsamerweise stand er dem Gedanken, dass sie tatsächlich Angst vor ihm haben könnte, weit weniger gleichgültig gegenüber, als er je angenommen hätte. Vermutlich waren das noch letzte Nachwehen seines Menschseins, kein Grund sich weitere Gedanken darüber zu machen, beruhigte er sich hastig selbst. Mit ihrer Sorge, dass er über das Erscheinen der Prinzessin nicht erbaut war, hatte sie allerdings nicht unrecht. Hingagiku wiederzusehen fand er alles andere als erstrebenswert. Unterdessen hatte Inochiyume wieder die allmählich vertraut werdenden Reaktionen ihres Körpers zu spüren bekommen, der auf die unmittelbare Nähe von Tod und Verletzung reagierte. Während sich der Dämonenkörper zusehens von den durch Shioken zugefügten Verletzungen erholte, hielt Inochiyume den Kopf gesenkt, in Gedanken noch immer bei dem Paar goldener Augen, die sie stoisch angesehen hatten. Sie besaßen nicht mehr den sonnenerhellten Honigfarbton, sondern eine weit hellere, kältere Farbe, dennoch war sich Inochiyume bei ihrem Anblick zusammen mit dem Haar des Dämons sicher, den Bruder InuYashas vor sich zu haben. Den Mann, dem sie den Namen Haru gegeben hatte und der von Jaken Sesshōmaru-sama genannt worden war. Haru gab es nun nicht mehr und Inochiyume fühlte sich betrogen und seltsamerweise im Stich gelassen. Dabei wusste sie doch, seit Jaken und InuYasha ins Dorf gekommen waren, dass Haru nicht viel mehr als eine Erscheinung gewesen war, die aufhören würde zu existieren, sobald der Krieger wieder in den Vollbesitz seiner Kräfte gelangt wäre. Und dennoch, dennoch war sie enttäuscht und traurig darüber, dass es Haru nicht mehr gab. Dass auf diese Weise auch die letzte und noch so kleine Möglichkeit, ihm noch einmal zu begegnen, zunichte gemacht worden war. Es blieb nur die Frage, ob auch Hinagiku die Veränderung bemerken würde; und falls dem nicht so wäre, sollte Inochiyume ihr dann sagen, wer der silberhaarige Dämon war oder wäre es klüger diese Wahrheit für sich zu behalten? Ungehalten darüber, solang allein gelassen worden zu sein, obwohl sie ihrer Kahi lediglich aufgetragen hatte, eine Frage zu stellen, die nun wirklich nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen konnte, dass sie das Ausbleiben Inochiyumes noch gerechtfertigt hätte, war Hinagiku schließlich ebenfalls in Richtung der kleinen Gruppe um den rot gekleideten, ungehobelten Jungen gelaufen. Im gleichen Moment als auch die Frau, die von Inochiyume geweckt worden war, in Begleitung zweier bemerkenswert gut aussehender Männer zum Schrein zurückkehrte. Da der Mittlere der beiden hellhaarigen Männer ein wenig vor der Frau und dem zweiten, etwas kleineren Mann lief, war anzunehmen, dass er diesen mindestens an Rang überlegen war. Die Kleidung des voran gehenden Mannes, der ungewöhnlich silbrigweißes Haar besaß, wies trotz ihres desolaten Zustands noch immer darauf hin, dass der Eigentümer ein sehr wohlhabender Mann sein musste. Ebenso wie seine Haltung und die Tatsache, dass er Gefolgsleute hatte, Zeugnis dafür waren, dass er mit Sicherheit nicht aus einem gewöhnlichen Elternhaus stammte. Ein interessanter Mann. Ein sehr gutaussehender Mann. – Vielleicht sollte sie sich die Sache mit Haru noch einmal durch den Kopf gehen lassen, bevor sie eine voreilige Entscheidung traf, überlegte Hinagiku. Ließ es jedoch zunächst bei dem Gedanken bewenden, da sie in diesem Moment hörte, wie Inochiyume mit ‚Getsumeiko’ angesprochen und aufgefordert wurde, den gutaussehenden Fremden zu berühren. Neugierig, was es mit dieser Aufforderung auf sich haben mochte, näherte Hinagiku sich den Anderen so schnell es ging, ohne in unwürdige Hast zu verfallen und konnte im nächsten Moment erstaunt beobachten, wie die Wunden des Mannes anscheinend infolge der Berührung durch Inochiyume nach und nach heilten und schließlich gänzlich verschwanden. Sobald der Heilungsprozess abgeschlossen war, trat Inochiyume wieder zurück und wusste nicht so recht, wie es nun weiter gehen sollte, hatte sie sich einfach zu verneigen und sich zurückzuziehen, sollte sie warten bis sie dazu aufgefordert worden war oder…? „Es ist mir eine Ehre zu sehen, dass meine unzulängliche Dienerin von Nutzen sein konnte“, meldete sich in diesem Moment Hinagiku mit höfischer Nonchalance zu Wort, „ich hoffe, sie hat Eure Wünsche zur Zufriedenheit erfüllen können.“ Während ihrer Äußerung hatten alle Anwesenden ihre Aufmerksamkeit der Prinzessin zu gewandt, die trotz der reisebedingten Einbußen bei ihrer Schönheitspflege noch immer einen beeindruckenden Anblick bot. Hinagiku hatte mit der anerzogenen Selbstverständlichkeit einer Fürstentochter den ihr augenscheinlich ebenbürtigen Unbekannten angesprochen, der von Inochiyume geheilt worden war. Dieser machte jedoch keine Anstalten auf die Bemerkung der Prinzessin etwas zu erwidern, sondern betrachtete sie nur kalt mit ausdruckslosem Blick, als hoffte er sie auf diese Weise einschüchtern zu können. Zu seinem Leidwesen musste Sesshōmaru jedoch feststellen, dass Hinagiku ihn als Dämon offenbar nur noch interessanter fand, als dies bereits bei seiner menschlichen Daseinsform der Fall gewesen war. Allerdings erweckte die Prinzessin nicht den Eindruck als wüsste sie, dass er und Haru ein und dieselbe Person waren. Und wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, dass sie bisher den menschlichen Krieger verfolgt hatte, um seiner habhaft zu werden, so lag es nun anscheinend sehr wohl im Bereich des Möglichen, dass sie Haru ohne Umstände fallen und sich für die Neuerscheinung des Dämonenlords näher interessieren würde. Ein Umstand, der Sesshōmaru beinahe wünschen ließ, wieder Haru zu sein, während die Prinzessin seinem Doppelgänger hinterher jagte. So würde ihm ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als sich die Mühe zu machen, ihr unmissverständlich zu verstehen zu geben, dass er an einer Menschenfrau niemals interessiert sein würde, ganz egal welcher Herkunft sie war. Sollte sie sich trotzdem als hartnäckig anhänglich herausstellen, würde er eher früher als später auf äußerst drastische Maßnahmen zurückgreifen - und das mehr genießen als es für einen Dämon in seiner Position wohl angebracht war. Unterdessen war es Shioken, der anstelle Sesshōmarus, mit einer gewissen Erheiterung über die perfekte höfische Heuchelei der Prinzessin erwidert hatte: „Sie hat die in sie gesetzten Erwartungen sogar noch übertroffen.“ Mit leicht irritiertem Gesichtsausdruck äußerte die Prinzessin darauf: „Ich danke Euch, für diese Großzügigkeit. Aber ich bin sicher, dass ihre Hilfe für Euch nicht von solch entscheidender Bedeutung gewesen sein kann.“ „Doch, das war sie“, unerwartet ernst klang die Antwort Shiokens dieses Mal, bevor er direkt an Inochiyume gewandt erklärte: „Ich danke dir für das Leben meiner Frau.“ Vor Verlegenheit wurde das Mädchen glühend rot, war sie es doch nicht gewohnt, dass man sich bei ihr bedankte, während sie nur abwehrend erwiderte: „Das ist wirklich nicht nötig, Dono, ich habe nichts getan.“ Jetzt lächelte Shioken wieder, während er erklärte: „Mehr als du vielleicht ahnst, Getsumeiko.“ Da Inochiyume auf diese Bemerkung keine passende Antwort einfallen wollte und keiner der anderen Erwachsenen Anstalten machte, das Gespräch in irgendeiner Form fortzusetzen, nutzte Rin die Gelegenheit, um sich neugierig zu erkundigen: „Heißt du wirklich ‚Getsumeiko’?“, da sie noch nie einem Menschen begegnet war, der als ‚Kind des Mondlichts’ bezeichnet wurde. Erleichtert über diese Ablenkung, wandte sich Inochiyume dem kleinen Mädchen zu, schüttelte den Kopf und erwiderte: „Nein, ich werde ‚Inochiyume’ gerufen.“ Verwundert sah Rin die Ältere an, „Warum nennen dich Mitsuki-san und Tomoki-san dann ‚Getsumeiko’?“ Da Inochiyume darauf nur mit dem Bekenntnis, dass sie es nicht wisse antworten konnte, übernahm es Mamori auf die Frage des kleinen Mädchens Auskunft zu geben: „Weil sie ein Getsumeiko ist. Sie hat an der Mondsilbertaufe teilgenommen, ebenso wie ihre Herrin.“ „Dann kann ich jetzt ebenfalls Menschen heilen?“, erkundigte sich Hinagiku zugleich neugierig und ein wenig unzufrieden darüber, dass eine einfache Dienerin die gleichen Fähigkeiten haben sollte, wie sie. „Nein, du bist von anderer Art“, erwiderte Mamori ruhig und da sie anscheinend nicht vorhatte weiter zu reden, hakte die Prinzessin auffordernd nach: „So bin ich von welcher Art?“ Mamori schwieg einen Moment, sah die Prinzessin nur an, als würde sie deren Inneres einer genauen Überprüfung unterziehen und erklärte dann: „Du bist zeitlos. Dein Wunsch war es offenbar nicht zu altern, sondern stets dein jetziges Aussehen zu behalten, so ist es geschehen.“ „Dann bin ich unsterblich?“, Hinagiku klang bei diesem Gedanken hellauf begeistert, würde sie doch die Ewigkeit in Schönheit verbringen. „Nein, sterben kannst du; allerdings nur wenn du getötet wirst, nicht weil du alt und krank bist. Und auch nach deinem Tod wird dein Körper nicht zerfallen, sondern in dieser Form weiter bestehen“, stellte Mamori klar und erhielt von Hinagiku ein enttäuschtes „oh“ als Reaktion, bevor sich die Prinzessin recht schnell damit abfand doch nicht unsterblich zu sein. Stattdessen wandte sie sich gleich darauf, das Thema wechselnd, an Inochiyume und verlangte zu wissen: „Hast du von diesem ungezogenen Jungen erfahren, wo sich Haru-san befindet?“ Der ungezogene Junge murrte unwillig darüber als solcher bezeichnet zu werden und beschloss bei den folgenden Worten Inochiyumes den Mund zu halten, es gab keinen Grund dieser eingebildeten Person in irgendeiner Weise behilflich zu sein. Selbst Kagome schien diese Ansicht zu teilen, unternahm sie doch nicht den geringsten Versuch den Unmut des Hanyōs zu besänftigen, während sich Sango und Miroku im Stillen fragten wer Haru-san sein mochte und mutmaßende Blicke in Richtung von InuYashas Bruder warfen, die glücklicherweise von Hinagiku unbemerkt blieben. Unterdessen hatte Inochiyume so unauffällig wie möglich aus dem Augenwinkel zu Sesshōmaru hinüber gesehen, der auf die Worte Hinagikus allerdings keinerlei sichtbare Reaktion erkennen ließ, bevor sie schließlich scheinbar ruhig erwiderte: „Haru-san gibt es nicht mehr, Hime-sama.“ „Was soll das heißen es gibt ihn nicht mehr? Hat er sich vielleicht in Luft aufgelöst?“ Inochiyume biss sich kurz auf die Unterlippe, als sie bei dieser Formulierung Hinagikus an Kaoru-sans plötzliches Verschwinden erinnert wurde und antwortete dann leise: „Es heißt einfach, dass er nicht mehr existiert, Hime-sama.“ Die Prinzessin runzelte unwillig die Stirn, während sie verstimmt erklärte: „Es scheint eine neu Mode zu sein, dass die Mitglieder der Palastwache einfach so verschwinden.“ „Hime-sama…“, brachte Inochiyume daraufhin nur erstickt hervor, nicht wissend, wie sie diese wenig taktvolle Bemerkung ausgleichen sollte. Shioken hatte da weniger Bedenken und stellte ruhig fest: „Ist Euch je der Gedanke gekommen, dass Ihr daran eine gewisse Mitverantwortung tragt?“ Hochfahrend sah die Prinzessin den weißhaarigen Mann an: „Ich weiß nicht wovon Ihr sprecht und untersteht Euch so mit mir zu reden!“ „Hime-sama, bitte, Ihr ahnt nicht, wer er ist…“, Inochiyumes Stimme klang flehend, als sie versuchte die Prinzessin dazu zu bringen, sich nicht mit dem weißhaarigen Begleiter Sesshōmarus anzulegen. „Was soll das heißen, soll ich mich vielleicht von einem einfachen Gefolgsmann lächerlich machen lassen?“, Hinagiku klang ungehalten, während in diesem Moment zur allgemeinen Überraschung erstmals seit einer geraumen Weile der Hundedämon das Wort ergriff und in einem derart kalten Ton „Schweig!“ befahl, dass die überraschte Prinzessin nicht einen Moment zögerte dieser Aufforderung auch nach zu kommen. Anschließend wandte sich der Dämonenfürst an Shioken und verlangte zu wissen: „Woher weiß sie, was du bist?“, in seiner Stimme klang ein drohender Unterton mit, der keinen Widerspruch gegen seine Forderung duldete. „Ich denke, sie spürt es mehr, als das sie es weiß“, entgegnete Shioken gelassen und wandte sich fragend an Inochiyume: „Du fühlst dich in meiner Nähe nicht wohl, nicht wahr? Gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Ausgeliefert, ohne darauf Einfluss nehmen zu können.“ Inochiyume nickte verwundert und fragte mit neugieriger Vorsicht: „Woher wisst Ihr das? - Geht es Euch auch so?“ Dieses Mal nickte Shioken, während ein leichtes Lächeln um seine Lippen spielte und er anschließend hauptsächlich an Sesshōmaru und Inochiyume gewandt erklärte: „Es liegt daran, was wir sind: Leben und Tod werden einander immer erkennen und von einander angezogen werden. Aber da sie die zwei gegensätzlichen Pole des Seins darstellen, können sie nur schwer gleichzeitig in unmittelbarer Nähe zu einander existieren.“ Anschließend wandte er sich direkt an den Hundedämon und fuhr fort: „Hätten das Mädchen und ich uns berührt, ohne dass du es verhindert hättest, wäre keiner von uns Beiden mehr hier. Wir hätten uns gegenseitig aufgehoben.“ „Du willst damit sagen, dass das Leben mir Untertan ist und der Tod Kō-sama?“, Hiangiku klang amüsiert angesichts dieses Gedankens, während sie bei der Nennung des Fürstentitels den Kopf ein wenig in Richtung Sesshōmarus geneigt hatte, auf diese Weise deutlich machend, wen sie meinte. Anschließend wandte sie sich direkt an den Yōkai und stellte mit einem Lächeln fest: „Es dürfte für uns wohl nur von Vorteil sein, wenn wir in Zukunft eine sehr enge Bindung zwischen unseren Häusern aufbauen, um zu verhindern, dass eine der uns untergebenen Mächte eines Tages möglicherweise außer Kontrolle gerät.“ Gespannt sahen InuYasha und seine Freunde ebenso wie Rin, Jaken und Inochiyume zwischen der Prinzessin und dem Dämonenfürsten hin und her, während Shioken unwillig die Stirn runzelte, dieses Mal jedoch ebenso schweigend auf die Reaktion seines Herrn wartete, wie Mamori, die angesichts der indirekten Erwähnung ihres erneuten Todes erstaunlich unberührt wirkte. Sesshōmaru unterdessen erweckte nicht den Eindruck, als wäre er an irgendeiner Form von Beziehung zum Hause Nagasawa interessiert. Wie sich zeigte, war ihm so wenig an einer Verbindung zwischen den beiden Häusern gelegen, dass er lediglich mit kühler Ruhe äußerte: „Mitsuki, begleite die Beiden in ihr Dorf und kehre anschließend umgehend zurück. – Sollte es nötig sein, fessle und kneble sie.“ Hinagiku schnappte bei diesen Worten empört nach Luft, während Mamori sich lediglich höflich verneigte, als Zeichen dass sie tun würde, was ihr aufgetragen worden war. Unterdessen erklärte die Prinzessin mit aller Beherrschung, die sie noch im Stande war aufzubringen: „Wie Ihr meint. Es wird sich noch zeigen, ob Ihr so klug daran getan habt, mein Angebot einfach auszuschlagen. – Inochiyume, hol unsere Sachen, wir kehren sofort nach Hause zurück!“, damit wandte sich Hinagiku ab und verließ die kleine Versammlung hoch erhobenen Hauptes und gestrecktem Rücken. Die junge Dienerin hatte ihrer Herrin gehorsam zugestimmt, verneigte sich anschließend zunächst ehrerbietig vor dem Hundedämon, um sich für dessen Großzügigkeit zu bedanken, Hinagiku und ihr einen Geleitschutz zur Verfügung zu stellen, und gleich darauf auch vor den restlichen Versammelten, sich auf diese Weise verabschiedend, um letztendlich zusammen mit Mamori Hinagiku zu der Quelle des Futarasan-Schreins zu folgen, wo sich noch immer ihre Sachen befanden. Sobald Mamori und Inochiyume sich abgewandt hatten, informierte Sesshōmaru knapp Rin und Jaken: „Wir kehren in das Schloss des Westens zurück“, sich bereits in Bewegung setzend, während seine beiden Begleiter ihm noch einhellig zustimmten. Während Rin gleich darauf zu Ah-Un lief, um diesen am Zügel zu nehmen, und Jaken bereits seinem Herrn nacheilte, um nicht den Anschluss zu verlieren, verschränkte InuYasha verärgert die Arme, starrte wütend den Rücken seines Bruders an und erklärte energisch: „Du könntest dich wenigstens bei mir bedanken, für den ganzen Ärger, den ich wegen dir durchgemacht habe. Falls es dir nämlich entgangen sein sollte: Ohne mich würdest du immer noch in dem Bergdorf festsitzen und von dieser komischen Prinzessin genervt werden.“ „InuYasha!“, flüsterte Kagome halb entsetzt, halb ungläubig, während Miroku und Sango den Halbdämon in einer Mischung aus Verblüffung und amüsierter Bewunderung betrachteten und Shippō ungläubig den Kopf in die Hand sinken ließ, sicher, dass im nächsten Moment wieder ein Kampf zwischen den Brüdern stattfinden würde – und gekämpft, fand der kleine Kitsune, hatten sie in letzter Zeit eigentlich genug. Gleichzeitig war Sesshōmaru stehen geblieben, hatte den Kopf ein wenig zur Seite gedreht und äußerte über die Schulter gewandt in einem herablassenden Tonfall, als wolle er ein Kleinkind belehren: „InuYasha.“ Angriffslustig knurrte der Halbdämon ein „Ja?“ hervor, sich bereits für die nun sicher folgende Beleidigung wappnend. Für einen kurzen Moment schien es, als würde der Yōkai nach den richtigen Worten suchen oder noch einmal prüfen, was er sagen wollte, dann jedoch ergänzte er vollkommen ruhig und gleichmütig: „Danke.“ „Du elender…“, polterte InuYasha unterdessen schon los, bevor er realisierte was sein Bruder da eben tatsächlich gesagt hatte, während dieser sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, den vollkommen überrumpelten Hanyō zusammen mit seinen nicht weniger erstaunten Freunden unbeachtet hinter sich lassend. „Hat er sich gerade eben wirklich bedankt?“, Kagome klang noch fassungsloser als wenige Minuten zuvor. „Also wenn wir nicht alle plötzlich der gleichen Sinnestäuschung unterliegen, dann ja, er hat sich bedankt“, erwiderte Sango auf Kagomes Frage, noch immer starr vor Staunen. „Sieh an, der Welpe wird erwachsen“, erklang neben der kleinen Gruppe im gleichen Moment die belustigte Stimme Shiokens, der Sesshōmaru ebenfalls nach sah und mit dieser Bemerkung nun seinerseits die volle Aufmerksamkeit der Anderen auf sich zog. „Welpe?!“, echote Miroku entgeistert, während Shioken bereits an InuYasha gewandt äußerte: „Wenn du mal wieder in der Nähe sein solltest, komm vorbei und kämpfe gegen deinen Bruder. Ich fand den letzten Kampf recht unterhaltsam, auch wenn dein Stil hundsmiserabel ist.“ „Willst du damit andeuten ich wäre schwach?!“, knurrte der Hanyō unfreundlich und bekam darauf ein belustigtes Grinsen von Shioken zu sehen, „ich würde sagen, eher im Gegenteil. – Wer weiß, wenn es dir gelingt deinen Bruder zu überleben und du die Prüfungen bestehst, wird Shiomari eines Tages sogar dir gehören.“ „Keh, ich verzichte. Tessaiga genügt völlig, ich brauche niemanden, der für mich durch die Gegend rennt.“ „Weil du bereits genügend Hilfe hast und zudem lieber selber rennst“, spöttelte der weißhaarige Mann ungerührt, bevor er sich abwendend meinte: „Wir sehen uns, InuYasha“, sich gleich darauf dicht neben Sesshōmaru befindend. „Du hältst mich also für schwach genug, dass ich vor InuYasha sterbe?“, diese täuschend gleichmütig gestellte Frage bewies, wie fein das Gehör des Hundedämons tatsächlich war. Shioken hätte bei dessen Worten beinahe die Augen verdreht, erwiderte stattdessen jedoch nur unbekümmert: „Nicht schwächer, aber älter.“ „Das besagt nichts“, lautete die kategorische, wenn auch ruhig hervorgebrachte Erwiderung des Yōkais, die Shioken mit den ebenso gelassen ausgesprochenen Worten parierte: „Wenn man ein Schwert ist, nicht; wenn man ein Lebewesen ist, schon.“ „Ich werde dir das Gegenteil beweisen“, Sesshōmaru wirkte noch immer gänzlich unbewegt, während er diese Bemerkung voller Überzeugung aussprach. „Ah, dann ist das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?“, konterte Shioken mit einem amüsierten, kleinen Lächeln und erhielt darauf zunächst nur einen durchdringenden Blick aus goldfarbenen, stoischen Augen, bevor sich der Dämon zu der kühlen Bemerkung herabließ: „Es wird sich erst noch zeigen, ob du zu mehr als einem bloßen Untergebenen taugst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)