Shiomari von abgemeldet (Waffen, Brüder und andere Probleme) ================================================================================ Kapitel 3: Wie Hund und Katz ---------------------------- Kaum dass das erste Licht des neuen Tages durch das Blätterdach des Waldes drang, kehrte Sesshōmaru zurück auf die Lichtung, an deren Rand sich das Schwert im Felsen befand. Er hatte es vorgezogen die Nacht außerhalb der kleinen Hütte zu verbringen, war jedoch stets wachsam geblieben, um beim kleinsten Anzeichen von Gefahr eingreifen zu können. Doch nichts war geschehen; die Nacht hatte sich ihrem Ende zu geneigt, ohne dass Mitsuki oder ihr vierbeiniger Begleiter zur Hütte zurückgekehrt wären. Als Sesshōmaru die Lichtung erreichte, lag diese völlig verlassen da, während Sonne, Wolken und Blätter ein sich ständig änderndes Muster aus Licht und Schatten auf Boden und Felsen zeichneten. Ohne sich davon ablenken zu lassen, schritt der Yōkai zielstrebig auf den Felsen zu und sprang mit übermenschlicher Leichtigkeit die Felsbrocken hinauf, bis er bequem den Griff des Schwertes erreichen konnte. Sobald er seine Hand um den Griff legte, spürte er ein warmes Prickeln an seiner Handfläche, das sich allmählich seinen ganzen Arm hinaufzog, um dann ebenso plötzlich zu enden, wie es begonnen hatte. Sesshōmaru ließ sich davon nicht beeindrucken, packte den Griff des Schwertes fester und zog das Schwert aus dem Felsen. Widerstandslos glitt die Klinge aus ihrer steinernen Scheide, blinkte auf, wenn ein Sonnenstrahl auf das mattdunkle Metall traf und schien nur darauf gewartet zu haben, endlich von jemandem aus dem Stein gezogen zu werden. Doch kaum, dass Sesshōmaru das Schwert vollständig aus dem Felsen gezogen hatte, erklang ein metallisches Klirren, als die Spitze der Klinge hart auf den steinernen Sims traf, auf dem der Yōkai stand. Noch immer den Griff des Schwertes umklammernd starrte Sesshōmaru mit leicht verengten Augen auf das Tsurugi herab. Der Schmied musste ein Idiot gewesen sein, der keine Ahnung vom Gewicht eines guten Schwertes hatte. Dieses hier wog um Längen schwerer als die gesamte Ausrüstung einer Armee, selbst für ihn war es beinahe unmöglich das Schwert anzuheben. Wie sollte jemand mit so einer Waffe kämpfen können? Sie war völlig nutzlos. Er besaß bereits eine solche Waffe, eine zweite hatte er gewiss nicht nötig. Gerade als er das Schwert einfach fallen lassen und gehen wollte, erklang schräg unter ihm eine belustigte Männerstimme. „Was starrst du so fassungslos, ototo? Davon wird es dir bestimmt nicht gelingen Shiomari zu beherrschen. Du hast gerade erst angefangen, es dir zu verdienen. Also lass uns gleich weitermachen, damit es dir vielleicht doch noch irgendwann gehört.“ Während dieser Worte hatte Sesshōmaru sich zu dem Sprecher gedreht und erkannt, dass es sich um den weißhaarigen Mann der vergangenen Nacht handelte, der in einer Hand ein Bambusschwert hielt, dessen hölzerne Klinge er an einer Schulter abstützte. Die Haare waren nun am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, die Beine steckten in einer schwarzen Hakama, die Füße in einfachen Strohsandalen. Der bloße Oberkörper gab den Blick auf sehr helle Haut und eine fein gearbeitete Goldschmiedearbeit mit rotem Stein in der Mitte frei, die direkt in die Haut eingelassen war. „Tomoki“, eine ruhige Feststellung Sesshōmarus, die hervorragend über die aufkeimende Wut in seinem Inneren hinwegtäuschte, angesichts dieser neuerlichen Respektlosigkeit seines Gegenübers. Die Augen des Angesprochenen funkelten erheitert, als wüsste er genau, wie es im Inneren des Yōkai in diesem Moment aussah, während er anerkennend feststellte: „Ich merke, du denkst mit, das erleichtert die Sache. Ich werde mit dir trainieren, du kannst deine Rüstung anlassen, alles, was du für den Moment zu tun hast, ist meine Angriffe abzuwehren. – Noch Fragen? Nein? Schön, dann fangen wir an.“ Kaum, dass er das letzte Wort gesprochen hatte, griff Tomoki auch schon an, stieß sich von dem Felsen, auf dem er stand, ab, schien einen Moment zu verschwinden und befand sich im nächsten hinter Sesshōmaru, um diesem das Bambusschwert auf die Schulter zu schlagen. Doch soweit kam es nicht. Der Angegriffene hat mit etwas Derartigem gerechnet, kurzerhand das viel zu schwere Schwert losgelassen, sich umgedreht und hielt nun völlig mühelos die hölzerne Klinge in seiner Hand. Während er Tomoki mit eisiger Gleichgültigkeit in die Augen starrte, barst unter dem leicht verstärkten Druck seiner Hand das Bambusschwert in ungezählte Splitter. Wenn er nun damit gerechnet hatte, Tomoki auf diese Weise einschüchtern zu können, hatte er sich geirrt. „Hör mit diesen Taschenspielertricks auf und fang endlich an zu üben. Oder hast du keine Ahnung davon, wie man mit Schwertern kämpft und trägst die beiden Exemplare an deiner Hüfte nur der Form halber spazieren?“ Ohne auf diese Beleidigung zu antworten, zog Sesshōmaru Tōkejin aus seiner Scheide und griff sein unbewaffnetes Gegenüber an, dem nichts anderes übrig blieb als zurück zu weichen, wobei er geschickt von Felsbrocken zu Felsbrocken sprang und schließlich auf dem Waldboden der Lichtung ankam. Während Tomoki weiterhin vollauf damit beschäftigt war, dem zum Mord entschlossenen Hundedämon auszuweichen, näherte er sich in weiten Kreisen einer Felsspalte, die sich, durch davor liegende Felsbrocken verborgen, unterhalb der Stelle befand, in der Shiomari im Felsen gesteckt hatte. Tomoki blieb nicht viel Zeit, aber im letzten Moment schaffte er es, aus dieser Spalte ein bereits leicht angerostetes Schwert zu ziehen, sich rechtzeitig herumzudrehen und die Klinge Tōkejins abzuwehren. Während sich nun beide Gegner wieder bewaffnet einander über die Lichtung trieben, Angriffen auswichen oder sie parierten, um anschließend ihrerseits anzugreifen, erklärte Sesshōmaru herablassend, begleitet vom Klirren der aufeinander treffenden Klingen: „Ich muss dir Respekt zollen, du hast bisher länger überlebt als jeder meiner vorherigen Gegner.“ In den blutroten Augen Tomokis blitzte es vergnügt auf, „das Kompliment kann ich beinahe uneingeschränkt zurückgeben. Allerdings finde ich, wir sollten allmählich mit dieser Kinderei aufhören und ernsthaft anfangen zu trainieren.“ „Den Wunsch, diesen Kampf zu beenden, kann ich dir erfüllen“, erwiderte Sesshōmaru noch immer mit kühler Herablassung, sprang einen kleinen Schritt zurück, ließ Tōkejin durch die Luft sausen und sandte auf diese Weise eine blaue Klinge reiner Energie in Richtung Tomoki. Ohne abzuwarten, ob diese ihr Ziel traf, bewegte er sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in einem Kreis um sein Opfer herum und sandte unzählige dieser Energieklingen auf das immer gleiche Ziel ab. Als er schließlich in dieser Taktik innehielt, hatte sich an der Stelle, an der zuvor Tomoki gestanden hatte, eine Art hellblauer Energienebel gebildet, der den Blick auf den weißhaarigen Mann verwehrte, am Boden lagen die zerstörten Reste seines Schwertes. In der sicheren Überzeugung seinen Kontrahenten getötet zu haben, wandte Sesshōmaru sich von diesem Bild ab und lief auf den Rand der Lichtung zu, wo vor geraumer Zeit Rin und Jaken aufgetaucht waren und gespannt den Kampf verfolgt hatten. Sesshōmaru hatte etwa die Hälfte der Distanz zwischen sich und ihnen zurückgelegt, als die beiden Zuschauer plötzlich aufkeuchten und der Dämon im nächsten Moment eine Schwertklinge an seinem Hals spürte. „Inu-chan, du bist ein rechter Hitzkopf und viel zu leichtsinnig. Hat dir denn niemand beigebracht, dass man einem Gegner nie den Rücken zukehrt, bis man völlig sicher ist, dass er selbigen nicht mehr durchbohren kann?“, diese Worte wurden ganz sanft hervorgebracht, erinnerten schon mehr an ein Schnurren, als an menschliche Laute. Ein unwilliges Knurren ertönte, als sich Sesshōmaru mit wenigen, effizienten Bewegungen aus der Falle befreite und im nächsten Moment seinerseits versuchte Tomoki zu töten. Dessen Stimmung hatte sich offenbar geändert, denn völlig unbeeindruckt hielt er den Schwertarm des Dämons gefangen und erklärte mit ruhiger Gelassenheit: „Ich habe genug von deinen Albernheiten, Inu-chan. Nimm deine Begleiter und verschwinde. Du bist auch ohne Shiomari stark genug und solang kein anderer es aus dem Stein zieht, wirst du wohl auch nicht so schnell besiegt werden. Es mag dir als Genugtuung dienen, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit drei Schwerter für einen Gegner benötigt habe.“ Anschließend ließ er Sesshōmaru wieder los und wandte sich ab, um auf den Wald zu zugehen. Ein leises Zischen erklang, als die Giftpeitsche die Luft zerschnitt, um den respektlosen Frevler zu strafen. Doch im Gegensatz zum letzten Mal, wich Tomoki nicht aus, sondern drehte sich lediglich in einer fließenden Bewegung wieder herum und hielt im nächsten Moment die Peitsche zwischen den Fingern einer Hand gefangen, so unmöglich das auch schien. „Ich habe dir gesagt, du sollst diese Spielereien bleiben lassen. Komm wieder, wenn es dir Ernst damit ist, Shiomari zu besitzen“, damit ließ er die Peitsche los, die sich augenblicks in Luft auflöste und verschwand nun endgültig im Dunkel des Waldes. Zurück blieben eine sprachlose Rin, ein fassungsloser Jaken und ein Hundedämon, der nicht recht wusste, ob er nun beeindruckt oder wütend sein sollte oder diese ganze demütigende Episode am besten einfach aus seinem Gedächtnis strich. „Sesshōmaru-sama“, erklang auf einmal Rins überraschte Stimme, während sie gleichzeitig mit einem Finger auf die Felswand deutete. Als der Angesprochene, ebenso wie Jaken, in die angegebene Richtung blickte, sah er, dass Shiomari wieder im Felsen steckte, als wäre es nie herausgezogen worden. Ausdruckslos starrte Sesshōmaru auf den Griff des Schwertes, während er eine Entscheidung traf, „Jaken, Rin, lasst mich allein.“ „Ja, Sesshōmaru-sama“, lautete die zweistimmige Erwiderung, bevor sich die Beiden eiligst zurückzogen, um sich nicht den Zorn ihres Herrn zu zuziehen. Unterdessen kehrte Sesshōmaru zu dem Felsen zurück, sprang erneut hinauf zu dem Vorsprung, auf dem er am Morgen bereits gestanden hatte und zog ein weiteres Mal Shiomari aus dem Stein. Dieses Mal gab es kein Prickeln in Hand und Arm, aber kaum hatte die Klinge den Stein vollständig verlassen, klirrte sie wieder gegen den Boden. Gleichzeitig äußerte Sesshōmaru, ohne seinen scheinbar aus dem Nichts aufgetauchten Gesprächspartner anzusehen: „Lass uns anfangen.“ Ohne darauf etwas zu erwidern, ging Tomoki erneut und direkt zum Angriff über. Sesshōmaru musste jedes Quäntchen Kraft mobilisieren, um das Schwert auch nur für einen kurzen Moment anheben zu können und so Tomokis Waffe abzuwehren. Er merkte wohl, dass Tomoki wesentlich langsamer agierte als in ihrem Kampf kurz zuvor, dass dieser nun immer wieder kurze Pausen einlegte, um Sesshōmaru Zeit zu geben, sich an das Gewicht des Schwertes zu gewöhnen. Zwischen den Beiden herrschte verbissene Stille, während über dem Training allmählich die Zeit verging und es Abend wurde, ohne dass einer der Beiden den Vorschlag gemacht hätte, eine Ruhepause einzulegen. Sesshōmaru nicht, weil es gegen seinen Stolz gegangen wäre, zu zugeben, dass er eine Pause mehr als nötig gehabt hätte und Tomoki nicht, weil es für ihn nicht sonderlich anstrengend war. Es war bereits vollkommen dunkel, als Tomoki zum ersten Mal seit Beginn des Trainings die Stimme erhob: „Das reicht für heute, ruh dich aus, wir werden Morgen weiter üben.“ Ohne Sesshōmaru Zeit zu geben darauf zu reagieren, ließ Tomoki den Yōkai einfach auf der Lichtung stehen und verschwand zwischen den Bäumen. Für einen Moment vor den Kopf gestoßen, starrte Sesshōmaru seinem selbsternannten Lehrmeister hinterher, um sich schließlich doch in Richtung der Hütte in Bewegung zu setzen, Shiomari im Felsen steckend zurücklassend. Sobald er bei der Hütte angekommen war, lief ihm eine fröhlich lächelnde Rin entgegen, begrüßte ihn und fügt anschließend in unbeschwertem Plauderton hinzu: „Ich habe Mitsuki-san geholfen das Bad für Euch vorzubereiten, sie meinte, dass Ihr Euch darüber freuen würdet, wenn Ihr mit dem Training fertig seid.“ Womit Mitsuki vollkommen Recht hatte, obwohl Sesshōmaru selbst wohl kaum das Wort ‚freuen’ verwendet hätte, ein Bad war im Moment einfach angebracht. So lief er die wenigen Schritte zur Rückseite der Hütte und betrat kurz darauf die angenehm warme und von Dampfschwaden erfüllte Badestube. Als der Yōkai schließlich das Bad wieder verließ und sich ankleiden wollte, fand er statt seiner eigenen Kleider frische vor, die seiner zum Verwechseln ähnelte. Kurz fragte er sich, wo Mitsuki diese Sachen her hatte, kleidete sich dann jedoch an und ging wieder zur Vorderseite der Hütte. Als er den einzigen Raum betrat, fand er nur Rin und Jaken vor, von den beiden unkonventionellen Gastgebern fehlte jede Spur. Rin schlief bereits eingehüllt in den geschenkten Yukata auf einer Bambusmatte, während Jaken im Sitzen, seinen Jintōjō neben sich gelegt, vor sich hingedöst hatte, jedoch aufschreckte als sein Herr den Raum betrat. Nachdem Jaken ehrerbietig gegrüßt hatte, stand er auf, ergriff eine kleine Schüssel und lief zu dem Hundedämon hinüber. In der Schale lagen drei Früchte, die in Größe und Form an Apfelsinen erinnerten, deren glatte Haut jedoch ein dunkles Violett aufwies. Auch der Geruch dieser Früchte war ein gänzlich anderer, sehr fein und würzig, ohne Süße. Während Jaken diese Früchte seinem Herrn zeigte berichtete er: „Diese Scharubeel stammen aus den Gärten der Heteri. Ich hatte bisher geglaubt sie seien vollkommen vernichtet worden, aber offenbar gibt es noch einen sehr kleinen Clan hier in der Nähe. Wir waren mit der Frau bei ihnen, sie scheint gut mit ihnen bekannt zu sein…“ Heteri? Sesshōmaru hatte während seiner Ausbildung im Schloss seines Vaters von dieser Yōkaiart gehört, sie erinnerten in ihrem Aussehen an Maulwürfe, waren hervorragende Gärtner, mit einem außerordentlichen Talent für pflanzliche Züchtungen, die ausschließlich dämonischem Genuss vorbehalten waren, und äußerst friedlich. Was sie nicht davor geschützt hatte zum einen von Menschen zum anderen von verschiedenen Yōkaigruppen angegriffen zu werden, bis ihre Zahl so verschwindend gering war, dass sie praktisch nicht mehr existierten. Es musste um die Zeit gewesen sein als sein Vater Taishō wurde, dass diese Wesen völlig von der Erde verschwanden - und diese Frau kannte offenbar die letzten dieser Art und wusste wo sie lebten. Jaken hatte sich in der Zwischenzeit wieder auf seinen Platz an einer der Zimmerwände zurückgezogen, um seinem Herrn etwas Ruhe zu gönnen. Dieser lehnte ebenfalls, scheinbar entspannt, an eine der Wände und wartete auf den kommenden Morgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)