What happened 30 years ago von Peacer (The story of a young Turk) ================================================================================ Kapitel 12: Ein (klärendes) Gespräch ------------------------------------ Es tut mir Leid, dass ich seit einem halben Jahr nicht mehr upgedatet habe, aber das Abitur lässt mir wenig bis gar keine Zeit und wenn doch, ist es mir einfacher gefallen, kleine Oneshots zu schreiben, als mir den Kopf über die Weiterentwicklung dieser langen Story hier zu zerbrechen. Das nächste Update wird voraussichtlich erst in gut 2 Monaten kommen. Aber ich garantiere, dass ich die Fic irgendwann abschließen werde, egal, wie lange ich dazu brauche. Viel Spaß =) --------------------------------------------------------------------------------- Im letzten Moment riss Aireen ihr Schwert hoch und parierte so den Angriff Vincent's. Ihre Arme schmerzten höllisch, als sie die volle Wucht des Hiebes zu spüren bekam und sie hätte das Schwert am liebsten fallen gelassen. Aber der Turk war unnachgiebig und gönnte ihr keine Pause, sondern griff mit unverminderter Schnelligkeit und Kraft weiter an. Sie biss also die Zähne zusammen und gab sich redlich Mühe, seinen Angriffen auszuweichen oder sie, wenn ihr nichts anderes mehr übrig blieb, zu blocken. Es dauerte allerdings nicht lange, bis er ihr das Schwert mit solcher Kraft aus der Hand schlug, dass sie nach hinten taumelte und unsanft auf dem Hosenboden landete. Als sie aufblickte, hatte ihr Vincent schon die Schwertspitze an den Hals gesetzt. Kapitulierend hob Aireen die Hände und meinte mürrisch: „Schon gut, ich geb' auf.“ Vincent ließ sein Schwert daraufhin sinken und hielt ihr seine Hand hin, die sie dankbar ergriff. Mühelos zog er sie auf die Beine und sie klopfte sich notdürftig den Dreck von den Hose und wischte sich ein paar schweißnasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. Während sie zu ihrem Rucksack schlenderte, um ihre Wasserflasche zu holen, sammelte Vincent ihr fallen gelassenes Übungsschwert auf und gesellte sich dann zu ihr. Als sie ihren Durst gestillt hatte, reichte sie Vincent die Flasche, die er dankbar annahm. Während er trank, massierte Aireen abwesend ihre strapazierten Handgelenke und schaute zu den Nibelbergen, deren Spitzen unter den niedrigen Wolken nicht mehr zu erkennen waren. Ein eindeutiges Zeichen, dass sich der Winter mit großen Schritten näherte. Manchmal hatte Aireen das Gefühl, dass die Zeit hier in Gaia schneller verging als bei ihr zu Hause. Wobei das sicher nur daran lag, dass sie hier, im Gegensatz zu ihrem früheren Leben so unglaublich viel zu tun hatte, so dass sie sich eigentlich nie über Langweile beklagen konnte. Abgesehen von ihrer üblichen Arbeit hielten auch alle ihre Freunde sie auf Trab, so dass sie beinahe keinen freien Moment mehr hatte. Was sie allerdings auch nicht sonderlich störte. Das Training mit Vincent machte immer mehr Spaß je mehr sie dazu lernte, und nach ein paar Wochen war der Turk sogar so zufrieden mit ihren Fortschritten, dass er sich von ihr dazu überreden ließ, das mit dem Schwerttraining doch noch auszuprobieren, obwohl er eigentlich wenig von der Idee hielt und ihr lieber den Umgang mit Pistolen beigebracht hätte. Aber ihren großen, flehenden Augen hatte noch niemand widerstehen können, und so hatte er schließlich aufgegeben und gemeint, sie könnten es ja mal versuchen. Zudem hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, Vincent nach dem Training noch hinunter in die Labore zu begleiten, wo sie mehr oder weniger erfolgreich Lucrecia bei ihrer Arbeit unterstützte. Ihr angefangenes Medizinstudium half ihr zwar in den wenigsten Fällen, da die Experimente der Wissenschaftlerin doch meist viel komplizierter waren, aber kleinere Aufgaben konnte sie ohne Probleme übernehmen, wofür ihr Lucrecia äußerst dankbar war. Vor allem aber half Aireen, indem sie ihr, zusammen mit Vincent, immer wieder neuen Mut zu sprach, falls eines ihrer Experimente fehlschlug oder partout nicht so wollte, wie sie es eigentlich geplant hatte. Ihre restliche Freizeit verbrachte sie in der Regel mit Sunry, der es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, so gut wie jeden Nachmittag vorbeizukommen und, wenn sie denn Zeit hatte, etwas mit ihr zu unternehmen. Die Zeit mit ihm genoss sie am allermeisten. Es war schon länger her, dass sie einen festen Freund gehabt hatte, und Sunry war ihrer Meinung nach wirklich ein gelungener Fang. Stets schaffte er es, sie zum Lachen zu bringen, egal wie gedrückt ihre Laune auch sein mochte, und ließ sie ihre zahlreichen Sorgen vergessen. Und dann waren da noch ihre regelmäßige Treffen mit Hojo, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, sie jeden Abend zu untersuchen und ihr zweimal die Woche eine Makoinjektion zu verpassen. Natürlich war dieser Teil ihres Aufenthaltes bei weitem der unangenehmste, aber sie ließ die Behandlungen protestlos über sich ergehen. Die positiven Aspekte ihres derzeitigen Lebens überwogen einfach, da konnte sie den Wissenschaftler auch noch in Kauf nehmen. Vor allem, da er bisher mit seinen Experimenten noch nie über die Strenge geschlagen hatte. Natürlich hatten die Behandlungen auch ihre Nachteile; so fühlte sie sich beispielsweise nach einer Makoinjektion immer recht schlapp und kränklich, bevor sich ihr Körper an die neuen Verhältnisse gewöhnte. Dafür aber steigerte sich ihre Kraft und Kondition, sowohl als auch ihre magischen Fähigkeiten, und das war sicher ein Aspekt, den sie gut gebrauchen konnte. In den seltensten Fällen blieb ihr noch ein bisschen Zeit für sich allein, die sie sich dann wiederum meist mit Büchern vertrieb, die Vincent ihr geliehen hatte. Sie war schon immer eine richtige Leseratte gewesen, und es war einfach zu interessant, mehr über die Welt zu erfahren, in der sie gelandet war, vor allem, da sie sich in vielerlei Hinsicht von der Welt unterschied, die sie aus den Spielen der Reihe kannte. Dreißig Jahre konnten den Planeten sehr verändern. Wobei es nicht nur an ihrer Leidenschaft für Bücher und neues Wissen lag, dass sie ihre Freizeit damit verbrachte. Obwohl Aireen es sich nicht eingestehen wollte, versuchte sie auf diese Weise ihre Sorgen zu verdrängen. Es war soviel einfacher, den Augenblick zu genießen, anstatt über die düstere Zukunft zu grübeln. Zuviele Probleme bereiteten ihr Kopfzerbrechen: Das Jenova Projekt, das damit verbundene Schicksal von Vincent und Lucrecia, die Ungewissheit, was mit Sunry passieren würde... Sie war noch immer in Zweifel, was sie tun sollte. Denn jede Veränderung der bevorstehenden Ereignisse konnte zu noch schlimmeren Folgen führen. Es war alles andere als eine leichte Entscheidung. Sie seufzte. „Alles in Ordnung?“ Sie blickte zu Vincent, der neben sie getreten war und sie nun aufmerksam musterte. Sie nickte. „Klar.“ Er hob eine Augenbraue und blickte skeptisch. Sie seufzte erneut. So langsam müsste sie eigentlich wissen, dass fadenscheinige Ausflüchte bei dem Turk nichts bewirkten. „Die letzten Wochen sind richtig schnell vergangen, findest du nicht?“ Ihre Antwort war ausweichend, aber Vincent gab sich anscheinend zufrieden damit. Vorerst. „Mmh.“ Sie lächelte. Der Turk war gesprächig wie eh und je. Sie schwiegen eine Weile, bevor Aireen sich ausgiebig streckte und dann meinte: „Trainieren wir weiter?“ Vincent hob eine Augenbraue und musterte sie skeptisch. „Noch nicht genug?“ Grinsend schüttelte sie den Kopf. „Ich kann noch ein paar blaue Flecken vertragen.“ Ein schmales Lächeln stahl sich auf die Lippen des Turks, als er ihr ihr Übungsschwert zuwarf, das sie unbeholfen auffing. Dann griff er auch schon an. --------------------------------------------------------------------------------- Vincent nickte anerkennend, als Aireen den brennenden Baum erfolgreich mit einem Eis-Zauber löschte. „Gut. Sowohl deine Reaktion als auch dein Ziel werden immer besser.“ Die Studentin lächelte erschöpft, aber zufrieden. Nachdem sie solange mit dem Schwert trainiert hatten, bis Aireen kaum noch ihre Arme heben konnte, waren sie zu Materiatraining übergegangen. Die Zauber gingen ihr mittlerweile problemlos von der Hand, nur das Zielen musste sie noch perfektionieren. „Das reicht für heute. Gehen wir zurück.“ Die junge Frau sah aus, als wäre sie am Ende ihrer Kräfte angelangt. Es wäre töricht, sie jetzt noch weiter zu strapazieren, außer er wollte riskieren, sie zurück tragen zu müssen. Einmal hatte ihm gereicht, seitdem achtete er mehr darauf, ihre Grenzen nicht mehr zu überschreiten. Zudem sah sie schon wieder recht blass aus, was nie ein gutes Zeichen war. Der Turk legte die Stirn in Falten. Aireen's Tagesform bereitete ihm schon seit längerem Kopfzerbrechen. Einmal ging gar nichts und sie sah so aus, als ob sie nicht mal das Laufen zu Beginn des Trainings überstehen würde. Dann wiederum hatte sie Tage, an denen sie alles mühelos schaffte und wohl noch stundenlang nach Ende der Einheit weiter trainieren konnte. Heute wiederum sah sie aus, als ob sie die ganze Nacht kein Auge zugetan hätte. Aber Fragen nach dem Grund ihrer schlechten Verfassung wich sie meist aus oder gab Albträumen die Schuld. Doch wer hatte in solch regelmäßigen Abständen Albträume? Er seufzte. Die Sache kam ihm äußerst suspekt vor. „Worüber denkst du so angestrengt nach, Vincent?“ Die amüsierte Stimme Aireen's riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte kurz zu ihr, schüttelte dann aber den Kopf. „Nichts, gehen wir.“ Damit ging er los, den bohrenden Blick der Studentin in seinem Rücken geflissentlich ignorierend. --------------------------------------------------------------------------------- „Was soll das heißen, die Daten sind nicht komplett?“ bellte Hojo ins Telefon. Er schwieg kurz, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Dann verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. „Sie wollen mir also erklären, dass Sie nach wochenlangen Recherchen zu keinem anderen Ergebnis gekommen sind als dem, dass große Teile der Daten nicht im Speicher der Firma verzeichnet sind?“ Seine Stimme war nun gefährlich leise geworden. Wieder schwieg er kurz, lauschte. Dann: „Sie sind gefeuert! Und keine Sorge, ich habe die nötigen Befugnisse, um dies einzuleiten!“ Damit legte er auf. „Inkompetente Waschlappen... Und so was schimpft sich Wissenschaftler?“, murmelte er und strich sich genervt eine fettige Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann schnaubte er wütend. „Und woher, in Ifrit's Namen, soll ich die Zeit nehmen, um nach Kalm zu reisen?!“ Missmutig erhob er sich aus seinem Sessel und stapfte Richtung Labore. 'Nur mein Vater könnte auf die bescheuerte Idee kommen, seine Aufzeichnungen irgendwo zu lagern anstatt sie ins Netzwerk hochzuladen...' In dem Augenblick betraten Aireen und Vincent das Arbeitszimmer. Er funkelte beide böse an und sah mit Genugtuung, wie die junge Frau einen Schritt zurückwich. Wortlos rauschte er an ihnen vorbei in sein Labor und knallte die Tür hinter sich zu, woraufhin Aireen zusammen zuckte und den Kopf einzog. „Woah. Da ist wohl jemand heute mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden.“ Vincent nickte, die Stirn in Falten gelegt. „Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Hojo überhaupt schläft.“ Sie grinste. „Da hast du auch wieder recht.“ Amüsiert hob er eine Augenbraue. „Hab' ich das nicht immer?“ Lachend ging sie zur Tür von Lucrecia's Arbeitszimmer und öffnete sie dem Turk mit einer spöttischen Verbeugung. „Eure Hoheit.“ Kopfschüttelnd trat er an ihr vorbei ins Zimmer und sie folgte ihm hinein. „Hey, Lu“, begrüßte Aireen die Wissenschaftlerin fröhlich, während Vincent ihr einfach zunickte. „Hallo ihr beiden. Habt ihr gut trainiert?“, fragte sie und schaute kurz von ihren Akten hoch. Aireen ließ sich seufzend in ihren Stammsessel fallen. „Vincent hat mich wie üblich fertig gemacht. Ich bin ein einziger, blauer Fleck.“ Lucrecia hob eine Augenbraue und sah zu dem Turk, der die Augen rollte. „Sie übertreibt wie üblich.“ Die Studentin schnaubte, erwiderte aber nichts und Lucrecia schmunzelte. Es war doch jeden Tag das Gleiche. Zum größten Teil schweigend gingen sie eine Weile ihren jeweiligen Arbeiten nach, während Aireen ihren Gedanken nach hing. Lucrecias frustriertes Schnauben ließ sie aufblicken. „Was ist los?“ Sie schüttelte den Kopf und strich sich seufzend die Haare aus dem Gesicht. „Ich habe ein paar Wissenschaftlern meine These erläutert, aber niemand zeigt Interesse daran.“ Aireen warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Sie arbeitete schon seit langem an ihrer These zu Omega und Chaos, aber die meisten machten sich darüber lustig. Dabei wusste Aireen, dass mehr Wahres daran war, als die Wissenschaftler ihr zugestehen wollten. Wie sie das allerdings beweisen sollte, wusste sie nicht. So konnte sie sie also nur trösten. „Das sind doch alles kleinkarierte Idioten, Lu, denen es leichter fällt, die mögliche Bedeutung deiner These zu ignorieren anstatt sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Das beweist nur, wie weit du ihnen voraus bist.“ Sie warf ihr ein dankbares Lächeln zu. Aireen stand auf und streckte sich ausgiebig. „So, ich geh' mich dann mal um den Haushalt kümmern. Bis später.“ Vincent nickte ihr zu und Lucrecia winkte kurz, schon wieder in die Lektüre ihrer Arbeit vertieft. Lustlos schlenderte sie zur Tür hinaus und die Treppe hoch zu dem bewohnten Bereich der Villa. Eigentlich hatte sie recht wenig zu tun und hätte ihren Freunden gerne noch etwas Gesellschaft geleistet, aber sie wollte ihnen auch etwas Allein-Zeit gönnen. Sonst würde das mit den beiden womöglich nie klappen. --------------------------------------------------------------------------------- „Sie sieht aus, als ob irgendetwas sie bedrücken würde“, meinte Lucrecia, als Aireen das Zimmer verlassen hatte „Mmh.“ Vincent legte die Stirn in Falten. „Vielleicht ist sie einfach nur müde“, sagte er mit wenig Überzeugung, und die Wissenschaftlerin überging seinen Einwand einfach. „Hat sie nichts gesagt?“ Er schüttelte den Kopf und sie seufzte. „Sie macht es uns nicht gerade einfach.“ Da konnte er nur zustimmen. Seit mehr als einem halben Jahr lebte sie nun schon mit ihnen in der Villa und trotzdem wussten sie so gut wie gar nichts über sie. Obwohl sie eigentlich sehr gesprächig war und manchmal, zu Vincents Verdruss, ohne Punkt und Komma redete, vermied sie es peinlichst genau auch nur ein Wort über ihre Vergangenheit zu verlieren. Wenn er nicht um ihr Heimweh wüsste und ihre gelegentliche Nostalgie sie nicht verriet, hätte man glatt meinen können, sie leide unter Amnesie. So sah es aus, als ob sie irgendetwas verheimlichen würde. „Vielleicht liegt es auch einfach an der Jahreszeit. Der Winter ist, vor allem hier in Nibelheim, recht trostlos“, meinte Lucrecia wenig überzeugt, woraufhin er schwieg. Sie wussten beide, dass es nicht an dem schlechten Wetter lag. Sie arbeiteten eine Weile schweigend weiter, bis Lucrecia entnervt seufzte und sich mit der Hand durch die Haare fuhr. „Wir müssen mit ihr reden, Vincent. Ich halte die ganze Geheimnistuerei nicht länger aus!“ Er runzelte die Stirn. „Das haben wir schon versucht, aber sie weicht den meisten Fragen einfach aus.“ „Dann müssen wir so lange nachbohren, bis sie eine klare Antwort gibt“, meinte sie entschlossen. Er schwieg nachdenklich. War das wirklich die beste Lösung? Sie zu zwingen, sich ihnen zu öffnen? „Wir können ja heute Mittag mit ihr reden“, fuhr sie fort und er nickte. Sie konnten es zumindest versuchen. Da das nun geklärt war, arbeiteten sie in friedlicher Ruhe weiter. Bis sich Lucrecia wieder zu Wort meldete. „Und was machen wir heute Abend?“ Der Turk blickte sie fragend an. „Mmh?“ „Aireen geht doch heute mit Sunry essen.“ Er sah sie weiterhin verständnislos an. Worauf wollte sie hinaus? Sie schnaubte frustriert. „Ach, Vincent.“ Damit wandte sie sich wieder ihren Akten zu und überließ ihn seiner Verwirrung. Was sollte das nun schon wieder bedeuten? Nachdenklich strich sich der Turk die Haare aus dem Gesicht. 'Verstehe einer die Frauen...' Kopfschüttelnd wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Er würde sich später weiter den Kopf über die Bedeutung ihrer Worte zerbrechen. --------------------------------------------------------------------------------- 'Chaos und Omega... Es muss doch eine Möglichkeit geben, ihre Existenz beweisen zu können!' Nachdenklich knabberte Lucrecia am Ende ihres Bleistifts, die Stirn in tiefe Falten gelegt. „Das ist ungesund.“ Sie sah von ihrem Dokument auf und warf Vincent einen fragenden Blick zu. „Dein Bleistift“, erklärte er schmunzelnd. Verwirrt betrachte sie diesen und stellte fest, dass er sich durch ihr unbewusstes Knabbern nun in einem äußerst jämmerlichen Zustand befand. Verlegen lächelnd legte sie ihn zurück auf den Tisch. „Danke für die Warnung.“ Er nickte, der Schatten eines Lächelns auf den Lippen und wandte sich wieder seinem Laptop zu. Lucrecia beobachtete ihn unauffällig. Sie liebte es, wenn er lächelte, und versuchte, es nicht zu zeigen. Oder wie er sich unbewusst ein paar vorwitzige Strähnen aus dem Gesicht strich, ganz in seine Arbeit vertieft. Oder wie er sie ansah, mit seinen außergewöhnlichen rot-braunen Augen, die soviel Tiefe besaßen und Emotionen verrieten, die er sonst zu verbergen suchte. Lächelnd erinnerte sie sich an die vergangenen Wochen. Seit dem schicksalhaften Tag, an dem er bei seinem waghalsigen Trip in die Nibelberge beinahe getötet worden war, hatte der Turk sich verändert. Langsam aber sicher taute er ihr gegenüber auf, war weniger verschlossen und traute sich öfters, seine Gefühle offen zu zeigen. Sie genoss sein Vertrauen in vollen Zügen, selbst wenn er im Vergleich zu anderen noch immer sehr zurückhaltend war. Aber sie konnte nicht erwarten, dass er sein über Jahre an trainiertes Verhalten von heute auf morgen ablegte. Stattdessen freute sie sich über jeden noch so kleinen Erfolg und amüsierte sich damit, ihn immer wieder aus seiner defensiven Haltung heraus locken zu versuchen. Langsam kam der echte Vincent hinter seiner Turk-Fassade hervor und es war manchmal überraschend, wie sehr sich dieser von seinem gespielten Selbst unterschied. Der gefühllose Elitemörder stellte sich zunehmend als schüchterner und fürsorglicher Gentleman heraus, und das ließ sie ihn nur noch mehr lieben. Sie runzelte die Stirn und schüttelte langsam den Kopf. Nein, das durfte sie nicht. Ihre Freundschaft war schon beinahe mehr, als sie verdiente. Er würde sie hassen, wenn er heraus fand, dass sie die Schuld an dem Tod seines Vaters trug. Da konnte sie nicht so egoistisch sein und auch noch auf seine Liebe hoffen. Mal davon abgesehen, dass er sicherlich kein Interesse an einer Beziehung mit einer langweiligen, von ihrer Arbeit besessen Wissenschaftlerin hegen würde, wo doch in Midgar die Mädchen sicher Schlange standen, um mit ihm auszugehen. Sie seufzte und Vincent hob den Kopf und blickte ihr direkt in die Augen, was sie innerlich erschauern ließ. Sie liebte und hasste seine Augen gleichzeitig. Der Blick seiner ausdrucksvollen Augen vermochte es, sie augenblicklich zu betören, während ihr aber gleichzeitig auf schreckliche Weise die Ähnlichkeit mit seinem Vater bewusst wurde und sie so immer wieder an ihre Schuld erinnerte. Sie bemerkte, dass sie ihn unbewusst angestarrt hatte und er sie nun besorgt musterte. Sie schenkte ihm ein, wie sie hoffte, beruhigendes Lächeln und wandte sich dann schnell ab. Als sie seinen Blick nicht mehr auf sich spürte, erlosch ihr Lächeln. Nein, eine Beziehung würde von Anfang an zum Scheitern verurteilt sein... --------------------------------------------------------------------------------- „Ihr seid heute früh dran. Ich fürchte, die Nudeln sind noch nicht ganz fertig“, erklärte Aireen, als Vincent und Lucrecia die Küche betraten. Sie war gerade dabei, den Tisch zu decken und stellte nun auch das letzte Glas auf seinen Platz. Dann ließ sie sich erschöpft auf einen Stuhl fallen und rieb sich müde die Augen. Nicht, dass sie müde von der Hausarbeit war, soviel hatte sie nämlich gar nicht getan. Aber an dem Tag nach einer Makoinjektion fühlte sie sich immer wie ausgelaugt. Das war sowohl eine Nebenwirkung des Mako, der ihren Körper schwächte, bis bis sich dieser wieder darauf eingestellt hatte, als auch die Folge ihres Schlafmangels, der ebenfalls eine Folge der Injektion war, da sie danach einfach zu aufgedreht war, um einschlafen zu können. In der Hinsicht war Mako ein wahres Aufputschmittel. „Alles in Ordnung?“, fragte Lucrecia sie nun besorgt und auch Vincent musterte sie mit gerunzelter Stirn. „Klar, nur etwas müde.“ An den skeptischen Blicken der beide konnte sie erkennen, dass sie sich mit der Antwort nicht zufrieden gaben. Innerlich seufzte sie und bereitete sich schon mal mental auf das ihr bevorstehende Verhör vor. „Du bist in letzter Zeit öfters müde. Um nicht zu sagen regelrecht erschöpft“, meldete sich dann auch schon Vincent zu Wort und blickte sie durchdringend an. Sie zuckte mit den Achseln und schwieg. Es war immer besser, nicht zu viel zu verraten, das hatte sie mittlerweile gelernt. So bot sie weniger Angriffsfläche für mögliche Fragen. „Wir machen uns Sorgen, Aireen“, meinte nun auch Lucrecia uns sah sie ernst an. Sie starrte ohn mit der Wimper zu zucken zurück. „Das müsst ihr nicht. Mir geht's großartig, wirklich.“ Vincent schnaubte. Je öfter er das hörte, desto weniger traute er der Aussage. „Den Eindruck vermittelst du aber nicht gerade.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn stur an. „Was muss ich denn tun, um euch von meinem Wohlbefinden zu überzeugen?“, fragte sie sarkastisch und sah die beiden abwechselnd an. „Zum Beispiel könntest du aufhören, den Fragen auszuweichen und sie stattdessen einmal richtig beantworten.“ Vincents harter Tonfall ließ sie zusammen zucken. Das war nicht mehr Vincent, ihr Freund, sondern der Turk, der nach Antworten verlangte. Lucrecia legte ihm besänftigend eine Hand auf die Schulter, woraufhin er sich unmerklich entspannte. „Wir wollen doch nur helfen, Aireen“, meinte die Wissenschaftlerin sanft. „Aber das können wir nur, wenn du uns erzählst, was los ist.“ In dem Augenblick hätte Aireen ihnen am liebsten alles erzählt. Hojos Experimente und wie sehr diese sie mitnahmen, obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte. Die Sorgen, die sie sich über die Zukunft machte und ihre Angst, was mit den beiden passieren würde. Ihre Ungewissheit, was sie tun sollte. Sie wollten ihnen erzählen, dass sie nicht von dieser Welt stammte, die ihr noch immer fremd und bedrohlich erschien, und dass sie befürchtete, nie wieder nach hause zurück kehren zu können. Sie war kurz davor, ihnen all das zu erzählen, was sich in den letzten Monaten in ihr aufgestaut hatte, einfach nur, um die schreckliche Last ihres Wissens mit jemanden zu teilen. Aber sie tat es nicht. Stattdessen atmete sie einmal tief durch und rang sich ein, wie sie hoffte, beruhigendes Lächeln ab. „Es ist alles in Ordnung, wirklich“, versicherte sie nun schon zum dritten Mal. Da sie allerdings wusste, dass die beiden nicht locker lassen würden, bevor sie nicht wenigstens eine halbwegs einleuchtende Erklärung abgegeben hatte, entschloss sie sich dazu, die halbe Wahrheit zu erzählen. „In letzter Zeit bin ich einfach viel beschäftigt: allmorgendliches Training, die üblichen Hausarbeiten, Kochen, seit kurzem die regelmäßigen Treffen mit Sunry... Das ist zwar manchmal anstrengend und ermüdend, aber das heißt nicht, dass ich keine Freude daran habe.“ Lucrecia schien mehr oder weniger zufrieden mit ihrer Erklärung, aber Vincent wirkte nicht sonderlich überzeugt. „Und Heimweh?“ Nach kurzem Zögern nickte sie. „Ein bisschen. Aber meistens habe ich keine Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Und dafür bin ich äußerst dankbar.“ Er sah noch immer recht skeptisch aus, ließ es dann aber auf sich beruhen. Lucrecia lächelte sie an. „Wenn du irgendwann Hilfe brauchst, zögere nicht, uns zu fragen, okay?“ Aireen nickte dankbar, auch wenn sie wusste, dass sie das nie tun würde. Aber es war trotzdem schön zu wissen, dass sich die beiden um sie sorgten. Das erleichterte es ihr, die Quälerei Hojos zu ertragen, während sie sich überlegte, wie sie ihre Freunde vor ihrem schweren Schicksal retten konnte. Dann waren die Nudeln fertig und sie aßen zum größten Teil schweigend zu Mittag. Schließlich kehrten Vincent und Lucrecia zum Labor zurück, und Aireen deckte den Tisch ab und machte sich an den Abwasch. Während sie noch einmal über das Gespräch nachdachte, fasste sie einen Entschluss. 'Schluss mit verdrängen. Ich muss mich endlich mit der Zukunft auseinander setzen und entschieden, was die beste Vorgehensweise ist, um Lu und Vinc zu retten, ohne dass das ganze in einer Katastrophe endet.' Mit einem konkreten Ziel vor Augen fühlte sie sich gleich besser und stürzte sich mit neuer Energie in die Arbeit. --------------------------------------------------------------------------------- Obwohl Aireens Erklärung durchaus glaubwürdig schien, war Vincent doch skeptisch. Er hatte sie während dem Gespräch genau beobachtet, und war zu dem Schluss gekommen, dass sie ihnen nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Sie hatte es vermieden, ihn anzusehen und sich stattdessen auf Lucrecia konzentriert und ihre Haltung war alles andere als entspannt gewesen, auch wenn sie sich redlich Mühe gegeben hatte, sich nichts anmerken zu lassen. Zudem hatten ihre Antworten einen Tick zu lange auf sich warten gelassen und sie hatte überdurchschnittlich oft geblinzelt. Wenngleich es ihn unglaublich frustrierte, kam er trotzdem nicht umhin, sie für ihre schauspielerische Leistung zu bewundern. Ohne seine Ausbildung, die ihn gelehrt hatte, auf solche Details zu achten, wäre es ihm sicher entgangen. Lucrecia hatte sie mühelos täuschen können, weshalb sie sich wohl auch auf die Wissenschaftlerin konzentriert hatte. 'Raffiniert. Vielleicht würde sie sich doch gut als Turk machen.' Vincent schüttelte den Kopf. Als ob eine nicht schon genug wäre, bereiteten ihm nun schon zwei Frauen Kopfzerbrechen. 'Das kann ja noch heiter werden.' --------------------------------------------------------------------------------- „Schmeckt es nicht?“ Sunrys Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie hörte auf, in ihrem Essen herumzustochern und lächelte ihn entschuldigend an. „Doch, es ist wirklich gut.“ Er blickte sie skeptisch an und sie spürte, wie sich ihr schlechtes Gewissen meldete. Sie hatte sich schon seit langem auf den Abend mit Sunry gefreut, und nun verdarb sie ihn sich, indem sie ihren Gedanken nach hing anstatt ihre gemeinsame Zeit zu genießen. „Tut mir Leid. Ich hab' wohl nicht wirklich Hunger...“ Er lächelte aufmunternd. „Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen.“ Sie nickte, dann stocherte sie wieder in ihrem Essen rum. Sunry musterte sie besorgt. „Fühlst du dich nicht wohl? Du siehst etwas blass aus.“ Sie lächelte schwach. „Nur etwas müde.“ Sein Gesicht verfinsterte sich merklich. „Hat der Turk es wieder mit dem Training übertrieben?“ Ihm gefiel die Idee, dass Aireen im Kämpfen unterrichtet wurde, ganz und gar nicht. Das lag vor allem daran, dass er sich um sie sorgte und nicht wollte, dass sie sich verletzte. Außerdem gefiel es ihm, dass er sie beschützen konnte. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben sogar früher als üblich aufgehört. Ich habe einfach nur einen schlechten Tag.“ Er schwieg, aber sein Blick sprach Bände: sie hatte ziemlich häufig schlechte Tage. Da sie aber keine Lust auf eine weitere solche Diskussion hatte, nachdem sie schon heute Mittag eine gehabt hatte, wechselte sie das Thema. „Was hast du denn so gemacht? Die Restore-Materia endlich gemastert?“ Er hatte ihren Versuch, das Thema zu wechseln, zwar durchschaut, ging aber trotzdem darauf ein. Immerhin kannte er seine Freundin inzwischen gut genug um zu wissen, dass es unmöglich war, mit ihr über etwas zu reden, wenn sie das nicht wollte. Sie konnte ganz schön stur sein. „Nein, sie ist noch immer nicht so weit. Die Monster der Umgebung geben viel weniger AP ab als die in den Nibelbergen“, meinte er und blickte sie vorwurfsvoll an. Schließlich war sie es gewesen, die nach dem Vorfall mit dem Turk solange auf ihn eingeredet hatte, bis er ihr versprochen hatte, die Berge in nächster Zeit zu meiden. Sie seufzte. Das würde er ihr noch lange vorwerfen. Aber so musste sie sich wenigstens um ihn keine Sorgen machen. Zumindest vorerst. Seit ihrem Entschluss, sich über ihre Zukunft klar zu werden und einen Plan zu schmieden, wie sie ihre Freunde retten konnte, hatte sie sich darüber den Kopf zerbrochen, wie sie dies am Besten anstellen konnte. Bisher war sie allerdings noch zu keinem befriedigendem Resultat gekommen. Es war auch recht schwer, sämtliche Faktoren mit einzuberechnen. Schließlich wollte sie nicht riskieren, ihre Freunde zu retten, wenn ihre Entscheidung dann zum Untergang der Welt führen würde. „Aireen?“ Und wieder war sie in Gedanken abgeschweift. Verlegen sah sie ihn an. „Langweile ich dich denn so sehr?“, fragte er grinsend und sie senkte beschämt die Augen. „Tut mir-“ „Hör auf, dich zu entschuldigen. Es gibt keinen Grund dazu.“ Sie nickte. Das war es, was sie so sehr an ihm mochte. Obwohl er ein richtiger Sunnyboy war und normalerweise so gut wie nichts ernst nahm, war er durchaus verständnisvoll, wenn es die Situation verlangte. „Komm, ich bring dich zurück.“ Er bezahlte und sie verließen das kleine und einzige Restaurant Nibelheims und sie machten sich auf den Rückweg zur Villa. Er legte ihr einen Arm um die Schultern und sie schmiegte sich an seine Seite. Sie redeten nicht, aber das war auch nicht nötig. Sie genossen den Augenblick, die Anwesenheit des jeweils Anderen. Worte störten da nur. Dann standen sie vor der Villa und Aireen blickte ihn lächelnd an. Er sah hinreißend aus, mit seinen fröhlichen, braunen Augen und dem widerspenstigen blonden Haar, das unkontrolliert in alle Richtungen wucherte. Grinsend strich er ihr eine Locke aus dem Gesicht. Dann küsste er sie, sanft und liebevoll, und ließ sie ihre Sorgen für einen unendlich langen, kurzen Augenblick vergessen. „Wir sehen uns.“ Er zwinkerte ihr zu. „Schlaf schön, Prinzessin.“ Sie grinste. „Bis bald, oh edler Ritter.“ Sie betrat die Villa und ging schnurstracks zu ihrem Zimmer, wo sie sich erschöpft auf ihr Bett fallen ließ. Und augenblicklich einschlief. --------------------------------------------------------------------------------- Zwei Teller mit Omelett in den Händen balancierend ging Vincent zum Salon, wo Lucrecia schon auf der Couch saß und auf ihn wartete und reichte ihr einen Teller. „Guten Appetit.“ Sie lächelte, er setzte sich neben sie und sie begannen zu essen. „Köstlich. Es ist eindeutig schon zu lange her, dass du dein berühmtes Omelett gemacht hast“, meinte Lucrecia nach den ersten paar Bissen und Vincent lächelte flüchtig. Es war Aireens Idee gewesen, die ihn dazu gedrängt hatte, einen schönen Abend mit der Wissenschaftlerin zu verbringen. Er musste gestehen, dass es ihm gefiel, neben ihr auf der Couch zu sitzen, vor einem knisternden Kaminfeuer, das er aufgrund der im Salon herrschenden Kälte angezündet hatte. Als beide fertig waren, räumte er die Teller schnell weg und kehrte dann zurück an die Seite Lucrecias. Die Stimmung war locker und sie plauderten lange, wobei es meist sie war, die redete, und er, der zuhörte. Aber das war ihm nur recht. Er lauschte gerne ihrer sanften Stimme und ihr gelegentliches Lachen ließ sein Herz höher schlagen. Es war schon recht spät und beide schwiegen, aber es war eine angenehme Stille. Irgendwann legte Lucrecia ihm den Kopf auf die Schulter, was ihn gleichzeitig nervös und glücklich machte. „Schöner Abend. Danke, Vincent“, murmelte sie mit geschlossenen Augen. Sein Herz raste, als er ihr zögerlich einen Arm um die Schultern legte, aber Lucrecia schmiegte sich daraufhin nur fester an seine Seite. Irgendwann schlief sie ein, aber er wagte es nicht, sie zu wecken, den vertrauten Moment zu zerstören. Vorsichtig stand er auf und hob sie behutsam hoch, um sie anschließend vorsichtig zu ihrem Schlafzimmer zu tragen. Dort legte er sie auf ihr Bett und zog, nach kurzem Zögern, ihr die Schuhe aus. Dann deckte er sie noch zu, darauf bedacht, dass ihr nicht kalt wurde. Schließlich trat er einen Schritt zurück und betrachtete sie. Sie sah wie ein Engel aus, als sie so friedlich da lag und schlief, ein kleines Lächeln auf den Lippen. Nach einer Weile riss er sich von dem Anblick los und kehrte in sein Zimmer zurück, wo er sich auf sein Bett fallen ließ. Erst jetzt bemerkte er, dass er die ganze Zeit über gelächelt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)