La Revelación - Die Offenbarung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Eine neue Welt ------------------------- Oscar erwachte aus einen furchtbaren fiebrigen Traum, mit Entsetzen fuhr sie hoch, „André, wo ist André?“. War er wirklich im Gefecht gefallen? Konnte es möglich sein? Ihr langjähriger Weggefährte und Freund konnte sie doch nicht im Stich gelassen haben? Oder doch? Verwirrt blickte sie sich um. Wo lag sie bloß und warum schmerzte ihr Kopf und ihr linke Schulter so? Fragen, Fragen, nichts als Fragen, sie fühlte sich so hilflos und verlassen, sie konnte nicht mehr anders und brach in Tränen aus. Wenige Minuten später hörte sie eine vertraute Stimme, Rosalie, war es wirklich ihre junge Freundin, die sich auf sie zu bewegte? „Guten Morgen Lady Oscar, wie freut es mich, dass Ihr endlich aus der Ohnmacht und dem schrecklichen Fieber erwacht seid. Wie fühlt Ihr Euch?“ Oscar brachte unter ihren Tränen ein leichtes Lächeln hervor „Rosalie, wo bin ich und wo ist André?“ „Oscar, Ihr seid in einem Lazarett, eingerichtet von den Bürgern von Paris um den Kämpfern zu helfen, wie ihr es für sie getan habt. Doch bewegt Euch nicht, die Wunde an Eurer linken Schulter ist noch nicht verheilt und die Gehirnerschütterung verschafft Euch mit Sicherheit Übelkeit und Schwindel. Hier, trinkt etwas Wasser, das wird Euch gut tun!“ Rosalie hatte recht, jede Bewegung mit dem Kopf verursachte in ihr ein neues Übelkeitsgefühl. Doch wo war um Himmels willen André? Er wird sie doch nicht für immer verlassen haben? Sie machte sich nur noch Sorgen um André und hatte Angst, dass er sie in der „neuen“ Welt allein gelassen hätte. Am liebsten wäre sie gestorben. Dieses beklemmende Gefühl in ihrer Brust, die Tränen in ihren Augen und der Stich in der Magengegend sobald sie an André dachte, machten sie verrückt. Woher kamen diese Gefühle? Sie, die doch ihr Leben als Mann weiterleben wollte nach der Schmach mit Graf von Fersen, nach welcher sie alle Gefühle unterdrücken wollte und sich nur mehr auf die „wirklich“ wichtigen Dinge im Leben konzentrieren wollte, wusste nicht mehr wie ihr geschieht. Was sagte André damals zur ihr? Eine Rose wird immer eine Rose bleiben! Wie hatte sie sich damals über diese Worte geärgert und dann auch noch der Kuss und ihr zerrissenes Hemd... Sie wäre damals am liebsten geflohen. Und jetzt, wie sie daran zurückdachte, rannen ihr die Tränen übers Gesicht. Ihr tat es in der Seele weh, wenn sie daran dachte, wie sie ihn in dieser Nacht aus dem Zimmer geschickt und er geduckt und gedemütigt ihr Zimmer verlassen hatte. Natürlich war sie erzürnt gewesen, aber wenn sie jetzt darüber nachsinnte, fragte sie sich, was sie damals nur getan hatte. Sie wusste weder ein noch aus, die Gefühle und die Gedanken an André der sie schon so viele Jahre begleitete, sie taten weh und auch wieder nicht. Sie fühlte sich so zerrissen, wenn sie doch nur wüsste was mit ihm geschah, ob er noch lebte? „Rosalie, sag mir doch bitte, was mit André geschehen ist?“ „Lady Oscar, Ihr dürft Euch nicht aufregen, beruhigt Euch zuerst. André liegt im Bett neben Euch, er befindet sich noch immer im Koma, bereits seit drei Tagen. Er fing eine Kugel ab, die für Euch bestimmt war und sie traf ihn in die linke Brust. Er war sehr schwer verwundet, die Ärzte hier im Lazarett haben ihr Bestes getan um ihm zu helfen, jetzt liegt es in Gottes Hand ob er gesund wird oder nicht.“ Oscar traf es wie ein Schlag. Getroffen, von einer Kugel? „Warum traf ihn eine Kugel, die für mich bestimmt war?“, sie kannte sich kaum aus. „Bei dem Sturm auf die Bastille wurde Befehl gegeben nur auf Euch zu schießen. André hatte diesen Wahnsinn erkannt und sich auf Euch gestürzt. Ihr wurdet an der linken Schulter getroffen und André in die linke Brust. Er wollte sein Leben für das Eure geben...“ Dieser Satz wiederholte sich bei Oscar immer wieder. Liebte er sie wirklich so sehr, dass er sogar für sie sterben würde? War es denn wirklich möglich? Warum war sie all die Jahre über, die sie zusammen verbracht hatten so blind gewesen? Es gab keinen Menschen der sie so verstand wie ihr André. Oscar war froh darüber, dass er noch lebte, jedoch beängstigte sie der Gedanke, dass sie ihn doch noch verlieren könnte. Konnte dies denn Gottes Wille sein? Oscar wollte an seinem Bett wachen, die Schulter schmerzte unbarmherzig und jede Bewegung mit dem Kopf brachte ihr erneut einen Schwall an Übelkeit. „Rosalie, wäre es möglich mein Bett an seines heranzuschieben?“ „Natürlich Lady Oscar, wartet, ich rufe ein paar Männer die sich darum kümmern!“ Oscar war Rosalie dankbar, sie wollte nur nah genug bei ihm sein, vielleicht wurde er dadurch wieder schneller gesund? Wie lächerlich der Gedanke doch klang und doch sehnte sie sich danach ihn zu spüren. Es kamen die versprochenen Männer, lautstark lachende Männer und alle trugen Uniformen, die sie als Soldaten zu erkennen gaben. Da erkannte Oscar Alain wieder, der furchtlose Mann der mit seinen offenen Worten genauso gut umgehen konnte wie mit seinem Degen. „Kommandant, schön Euch auf den Weg der Besserung zu sehen, es freut uns, wieder einen von unserer Truppe bei uns zu haben!“, betroffen glitt sein Blick zu André, der auf dem Feldbett lag, als würde er nur schlafen „Wir hörten von Eurem Wunsch“, Alain setzte ein eindeutiges Grinsen auf „und wir denken, dass es genau die richtige Medizin für André sein wird!“. Lachend schoben die Männer Oscars Bett näher an das von André heran. Jetzt trennten die beiden nur noch wenige Zentimeter und Oscar konnte sein regelmäßiges, sanftes Atmen hören. Es beruhigte sie und verschaffte ihr ein wenig Normalität. „Kommandant, wenn Ihr etwas braucht oder wünscht, ruft nach uns, wir kampieren seit Tagen vor den Toren des Lazaretts. Wir gehen nicht ohne Euch zwei von hier fort!“ Alain salutierte vor Oscar und trieb seine Männer zur Tür hinaus. Oscar war gerührt von dieser Loyalität ihrer Männer. Sie hätte es sich nie träumen lassen, dass dieser verrückten Haufen jemals so hinter ihr stehen würde. Es überkam sie Müdigkeit, das Klopfen in ihrem Kopf wurde immer stärker und die überwältigenden Gefühle, die sie in der letzten Stunde für sich entdeckte, ermüdeten sie. Sie drehte sich zu André, sie konnte ihm direkt ins Gesicht blicken, wie friedlich er doch aussah. Oscar nahm seine Hand. Wenn sie nicht mehr für ihren langjährigen Freund tun konnte, so sollte er wenigstens spüren, dass sie für ihn da war. Etwas beruhigter und glücklicher, schlief sie ein und versank in eine Traumwelt. In André erwachte ein neuer Traum. Abwechselnd sah er seine geliebte Oscar in der Gardeuniform vor sich stehen, und dann das Bild von Graf von Fersen. Er wusste um die Liebe, die Oscar für den schwedischen Grafen empfand und es schmerzte ihn wie Tausend Kugeln in der linken Brust. Auch die Bilder der einen Nacht wo er Oscar geküsst und ihr seine Liebe gestanden hatte, kamen in seinen Träumen wieder hoch und er wäre dabei am liebsten gestorben. Wie konnte sie ihn so verletzen? Wieso konnte sie nicht einfach seine Liebe erwidern? Oscar bemerkte, wie sich André im Schlaf regte und wie sich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Es war Nacht geworden und sie fühlte sich etwas besser als am Morgen wie sie erwachte. Jetzt erst bemerkte sie, dass André und sie ein Zimmer für sich hatten. Wie lange wussten die anderen bloß von Andrés Gefühlen für sie? Wie dumm war sie bloß gewesen. Als sie André so hilflos vor sich sah, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Dieser tapfere Mann wollte für sie sterben, sie schaffte es noch immer nicht die ganze Wahrheit zu realisieren. Ihr reichte es nicht mehr nur seine Hand zu halten. Sie setzte sich auf und schlich an die andere Seite des Bettes, die Schmerzen in ihrer Schulter ignorierte sie vollkommen. Sie huschte an die rechte Seite von Andrés Bett und dankte Gott, dass sie selbst so schmal und das Bett breit genug war. Oscar schlüpfte unter die Decke und schmiegte sich an in ihren langjährigen Freund. Ihr wurde regelrecht heiß, als sie seinen muskulösen Oberkörper berührte und seinen Duft wahrnahm. Sie konnte nicht anders und fing an verliebt seine Wangen zu streicheln. Glücklich schlief sie wieder ein. Als André am nächsten Morgen zu sich kam, wusste er nicht wie ihm geschah. Von draußen hörte er die Vögel zwitschern und rundherum war alles so weiß und irgendwie steril. Und dann sah er aus seinen Augenwinkeln einen blonden Haarschopf. Es traf ihn wie einen Blitz. Oscar, seine geliebte Oscar lag neben ihm im Bett. Aber warum bloß? Wollte sie sich lustig machen über ihn? Nein, so war Oscar nicht, aber was wollte sie dann, sie hatte ihn doch jenen Abend von ihr fortgeschickt. Er wusste weder ein noch aus und bewegen konnte er sich auch nicht, da alles schmerzte. Was war noch mal geschehen? Kampf, Kanonen, Schüsse.....?!?! Schüsse, sie wollten Oscar erschießen. Jetzt fiel ihm alles wieder ein, er wollte, nein, er musste seine Oscar retten. Und jetzt lag sie bei ihm im Bett.....Sein Atem ging schneller und er wusste nicht, was er tun sollte. Ratlosigkeit war in sein Gesicht geschrieben und er konnte leider diese für ihn wunderbare Situation nicht genießen. Zu viele Fragen kamen in ihm hoch. Oscar merkt wie Andrés Atem schneller ging, der Brustkorb hob sich viel deutlicher und sie glaubte einige Bewegungen seiner Hand zu spüren. Ganz langsam hob sie ihren Kopf in die Höhe. Sie traute sich fast nicht ihm in die Augen zu sehen und doch gierte sie danach in seine grünen Augen zu versinken. Als sich ihre Blicke trafen, durchfuhr es beide wie einen Blitz. André hatte so viel Liebe und Sehnsucht in seinen Augen, dass Oscar Tränen in sich aufkommen spürte „André,...André du lebst!“, mehr war sie nicht fähig in diesem Moment zu sagen. André konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Oscar seine große und einzige Liebe lag neben ihm, gekleidet in einem mädchenhaften Nachthemd, wie schön sie doch war. Oscar konnte sich nicht mehr zurückhalten. Alle Gedanken die ihr letzte Nacht durch den Kopf gingen, drangen aus ihr heraus. „André, wie konnte ich so blind und dumm sein, ich liebe dich und habe es nicht zugelassen es zu realisieren. Ich bin so froh und glücklich, dass du noch lebst, dass ich mit dir weiterleben kann, wenn du nur willst. Ach, bitte verzeih mir!“ Oscar wollte ihn küssen, doch André hielt sie davon ab und nahm ihre zarten Hände in die seinen. „Oscar ich liebe dich, das weißt du, aber willst du denn wirklich mit einem Krüppel zusammen sein. Du weißt doch sicher, dass ich auch bald mein rechtes Augenlicht verlieren werde.... So etwas will und kann ich dir nicht zumuten!“ André wusste selbst nicht wie ihm geschah als er diese Worte ausgesprochen hatte. Jedoch entsprachen sie nur der Wahrheit, in nicht allzu ferner Zukunft würde er sein Augenlicht für immer verlieren und wie sollte er sich dann um seine geliebte Oscar kümmern, sie beschützen? Er brach in Tränen aus. In Oscar brach eine Welt zusammen, was redete er hier? Ihr war es egal ob er zwei gesunde Augen hatte oder keines. Für sie würde er immer André bleiben und sie immer seine Oscar. Er war der einzige der ihr wahres Ich sah und sie so liebte wie sie war „André, was sagst du da? Willst du mich denn nicht mehr, war das alles von dir gelogen?“ Oscar verstand die Welt nicht mehr. „Bitte Oscar, versteh mich doch, ich würde für dich sterben und habe es fast getan aber was kann ich dir sonst bieten? Ich bin ein ehemaliger Stallbursche, von niederen Stand ohne Hab und Gut, der bald noch sein Augenlicht verlieren wird. Wie kann ich da für dich sorgen?“ Sie stand voller Entsetzen auf, Schwindel überkam sie, sie wollte nur noch in ihr Bett, wie konnte sie dieser Mann nur so verletzen? „Ich, ich liebe dich doch, aber deine Worte sind wie tausende Degenhiebe!“ Oscar legte sich in ihr Bett, am liebsten wäre sie fortgelaufen, hätte alles hinter sich gelassen, aber sie konnte sich nur schwer auf den Beinen halten. Man hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie kauerte sich in ihr Bett und schluchzte leise vor sich hin, auch André versuchte seine Tränen zu unterdrücken. Dann öffnete sich die Tür und Rosalie kam herein. „André, du bist aufgewacht! Mir fällt ein Stein vom Herzen, weiß Lady Oscar schon davon?“ Kurz nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, stürmten Andrés Kameraden zur Tür herein. „André, alter Freund, Gott sei Dank bist du wieder unter uns! Na dann kann ja nichts schief gehen.“ Alain wunderte sich, warum Lady Oscar mit dem Rücken zu André lag und sie keines Blickes würdigte. Diese Frau war ihm einfach ein Rätsel. Nun, er wusste, er würde schon noch herausfinden, was zwischen den beiden vorgefallen war und er wusste, dass diese zwei Menschen für einander geschaffen waren und er sie - koste es was es wolle - zusammenbringen würde. Alain gab Rosalie ein Zeichen um mit ihr ungestört reden zu können. Sie verstand sofort und folgte ihm. „Rosalie, wisst Ihr was zwischen den Turteltauben vorgefallen ist? Ich wusste schon lange, dass die beiden füreinander sterben würden, so groß ist ihre Liebe, nur dem Kommandanten war es noch nicht bewusst!“ Alain lächelte leicht. Rosalie dachte sich bereits so etwas. Eine so aufopfernde Freundschaft wie diese beiden sie pflegten wäre für Mann und Frau unmöglich gewesen sie in der Art weiter zu führen. Aber sie konnte sich auch keinen Reim daraus machen, was vorgefallen war. „Alain, ich werde sehen was ich herausfinden kann. Ich denke, Lady Oscar ist heute schon stark genug aufzustehen und einen neuen Verband anzulegen. Vielleicht öffnet sie ihr Herz und lässt mich an ihrem Schmerz teilhaben!“ Alain nickte, er befand die Idee für ausgezeichnet und versprach dasselbe mit André zu tun. Zwei Stunden später, die zwei Verletzten schliefen bei dem ganzen Tumult und eigenem Gefühlschaos bald wieder ein, weckte Rosalie Lady Oscar zum Verbandswechseln. Sie sollte auch etwas essen und an die frische Luft gehen, um wieder etwas Lebensenergie zu erlangen. Oscar war froh einige Minuten von diesem für sie schrecklichen Raum zu entkommen. In der Nacht zuvor träumte sie davon mit André vor dem Altar zu stehen. Ihr wurde ganz warm bei diesem Gedanken. Sie trug ein leichtes Sommerkleid, sie, Oscar ein Kleid, es war so ungewohnt für sie und doch wollte sie nur für André einmal „ganz Frau“ sein. Die Haare hatte sie nur hälftig zusammengebunden und Rosalie hatte einen Blumenkranz hierfür geflochten. André war legere gekleidet aber doch von edlem Anblick. Er war so ein attraktiver Mann, das wurde ihr jetzt erst bewusst, auch nach dem Verlust seines linken Auges. Alles hätte so schön werden können, sie wären so glücklich geworden. Und jetzt, jetzt war alles aus. Rosalie führte Oscar zu einem Waschraum in dem sich Oscar frisch machen und ihr Haar bürsten konnte. „Ist Euch nicht gut Lady Oscar, Ihr wirkt so schwach?!“ Oscar schwieg für einen Moment, wussten die anderen von dem Vorfall, konnte sie sich Rosalie anvertrauen? Sie wusste diese junge Frau, die schon so viel mitgemacht hatte, war vertrauenswürdig bis in die Haarspitzen, nur war Oscar es nicht gewohnt über ihre Gefühle zu sprechen. Sollte sie über ihren Schatten springen? „Ich,... ich,“ Oscar brach erneut in Tränen aus. Rosalie sah sie erschrocken an. „Aber Lady Oscar was ist denn, alles wird doch wieder gut, André ist auf dem Weg der Besserung und Ihr könnt doch auch wieder das Bett verlassen.“ „Rosalie, ich weiß, ich sage dir jetzt etwas worüber ich sonst mit niemanden spreche, aber wenn ich es nicht tue, habe ich das Gefühl, dass mich dieser Schmerz zerreißen wird.“ Schmerz, Rosalie bekam es mit der Angst zu tun. „Sprecht Lady Oscar, wir sind ungestört!“ Und so begann Oscar über die Geschehnisse zwischen ihr und André zu erzählen. In der Zwischenzeit schlich sich Alain zu seinem kranken Freund ans Bett heran. Schlief er wirklich schon wieder tief und fest oder versuchte er seinen Schmerz vor ihm zu verbergen? Alain kannte André noch nicht lange, jedoch hatten die zwei Männer eine Verbindung zu einander wie Brüder. Der eine wusste vom anderen genau wann es ihm gut ging und wann nicht. André litt schon lange an der unerfüllten Liebe zum Kommandanten. Er wollte seinen Freund glücklich sehen, vor allem jetzt wo das schlimmste vorbei war und sie mit einem neuen Leben ohne Kampf und Krieg beginnen könnten. Alain wünschte sich für alle Frieden und Ruhe. Er war es leid seinen Kopf für andere hinhalten zu müssen. „André, André schläfst du?“ André zuckte mit dem Lid seines gesunden Auges. „Alain, was willst du denn?“, André wirkte wirklich etwas verschlafen. „Andre, was ist geschehen? Gestern noch schoben wir des Bett des Kommandanten an deines heran und heute dreht sie dir den Rücken zu? Ich versteh die Welt nicht mehr!“ André drehte seinen Kopf zur Seite und betrachtete lange Oscars Bett. „Sie liebt mich Alain, sie lag bei mir im Bett und sagte, dass sie mich lieben würde!“ „Aber das ist doch fabelhaft!“ Alain lachte, doch beim Anblick seines Freundes verstummte es sogleich wieder. „Wie ist das möglich, macht sie sich vielleicht doch nur was vor? Ich weiß es nicht. Und was kann ich ihr schon bieten? Ich werde bald vollkommen blind sein. Ich bin des ihren nicht wert.“ André wischte sich seine Tränen vom Gesicht. „Spinnst du jetzt vollkommen? Das ist doch der Tag, auf den du so lange gewartet hast und jetzt sagst du so etwas. Mich wundert es nicht, dass dir unser Kommandant die kalte Schulter zeigt. Ich denke, sie ist in Liebesangelegenheit sehr leicht verletzbar. Wer wäre das nicht in ihrer Situation? Jahrelang musste sie sich als Man beweisen, wurde als Mann großgezogen und dann kommst du und gestehst ihr deine Liebe. Und wie sie dann ihre Gefühle für dich entdeckt, lässt du sie im Regen stehen. André ich versteh dich nicht, was willst du wirklich?“ „Was ich will, fragst du?! Oscar natürlich, ich will mit ihr für immer zusammen sein...!“ „Na eben, dann tu was, du Holzkopf, ihr wird es egal sein ob du sehen kannst oder nicht und noch bist du nicht blind, vielleicht gibt es noch Rettung, genauso wie für dein geschundenes Herz.“ Alain grinste und ließ ihn mit diesen Worten allein. Nun wusste er, was geschehen war. André fühlte sich nicht gut genug für den Kommandanten und hatte sie deshalb abgewiesen. Nun ja, wenn die beiden nicht selbst zueinander finden würden, er würde schon dafür sorgen, das schwor er sich. Rosalie war von Oscars Geschichte betroffen. Sie, die im Armenviertel von Paris aufgewachsen war und auch das Leben der Adeligen und vor allem beider Liebenden kennt, konnte sich mit jeder Seite identifizieren „Aber Lady Oscar, liebe Oscar, gebt nicht auf. Ihr habt den Kampf überlebt, eine zweite Chance bekommen, wahrscheinlich braucht André nur Zeit um alles zu verarbeiten. Tut ihm nicht unrecht und gebt ihn nicht auf. Er war wahrscheinlich viel zu überfordert mit Eurer plötzlichen Offenheit.“ Oscar dachte über Rosalies Worte nach. Konnte sie Recht haben? Gab es noch Hoffnung für sie und André? Rosalie hatte Recht, gerade jetzt durfte sie nicht aufgeben, zu viel hatten sie zu zweit gemeistert und überstanden. Sie würde kämpfen, kämpfen wie sie es schon immer in ihrem Leben getan hatte. Mit neu aufkommenden Mut, frisch gewaschen, gekämmt und mit einem neuen Verband an der Schulter begab sich Oscar zurück in ihr Krankenzimmer. Als sie an der Tür stand und André im Bett liegen sah, erwachte ihr Kampfgeist erneut und ein wohliges Gefühl machte sich in ihr breit. Nie würde sie diesen Mann aufgeben, niemals! Hatte Alain vielleicht doch Recht? Gab es noch einen Chance für Oscar und ihn, er wünschte es sich, innerlich verzehrte er sich nach ihr. Er schloss die Augen als er bemerkte, dass sie zur Tür hereinkam. Oscar legte sich in ihr Bett, sie traute sich nicht André anzusehen, noch nicht. Sie beschloss ein wenig zu schlafen, es tat ihr sicher gut und vielleicht sah danach alles viel besser aus. Und wieder tauchte sie in die Welt der Träume ein. Sie war wieder im Anwesen ihrer Eltern. Doch konnte es wahr sein? Oscar sah sich nicht wie sonst in Hosen und einem praktischen Hemd. Sie trug ein Umstandskleid. Sie, Oscar Francoise de Jarjayes sollte im Traum ein Kind bekommen? Wie lächerlich der Gedanke doch war. Oder nicht? Erschrocken fuhr sie hoch. Es war bereits wieder Nacht geworden. Die Grillen zirpten draußen in der Sommernacht und der Wind hob sanft die Vorhänge an. „Oscar, was ist mit dir?“ Hatte André nicht geschlafen oder hatte sie ihn aufgeweckt? „Ach, ich habe nur geträumt, ein absurder Traum.“ Doch je länger sie darüber nachdachte, fragte sie sich, warum eigentlich. Ihre Zukunft war ungewiss. Man hatte sie damals dazu erzogen den Platz ihres Vaters als General einzunehmen, sie diente der französischen Königin in ihrer Leibgarde und dann als Kommandant der Söldner-Truppe, doch was würde sie in Zukunft tun? Die königliche Familie würde höchstwahrscheinlich interniert werden - früher oder später - und um den Adel selbst stand es ebenso schlecht. Sie könnte hingegen von nun an ein anderes Leben führen, wenn sie wollte. Doch was wollte André? „Oscar, was hast du denn geträumt?“ André wollte es unbedingt wissen, er wollte bei ihr sein, irgendwie, obwohl er die schrecklichen Dinge zu ihr gesagt hat. „Das geht dich nichts an“, fauchte sie zurück. Was bildete er sich nur ein, doch im selben Augenblick tat es ihr wieder leid, sie fing zu schluchzen an. „Oscar?“ André versuchte sich von seinem Bett zu erheben, er war zu schwach und fiel zu Boden. Oscar erschrak „Mein Gott André was tust du?“ Erschrocken sprang sie auf um ihren Freund zur Hilfe zu eilen. Mit leicht verzehrtem Gesicht lag André am Boden, er stöhnte ein wenig. Oscar kniete sich zu ihm und beugte sich über ihn, sie wollte ihm wieder ins Bett helfen, doch er dachte gar nicht daran. Er hob seinen Kopf und versuchte sich aufzusetzen, es kostete ihn alle Kraft, dann zog er Oscar mit einer Bestimmtheit zu sich heran, was sie an den Moment damals in ihrem Zimmer zurückerinnern ließ. André legte all seine Liebe, sein Verlangen und seine Stärke in den Kuss und hoffte dieser Moment würde nie vergehen. In Oscar stieg eine Welle der Hitze auf, die sie zuvor nicht gekannt hatte. Ihr wurde schwindlig und ihr Körper empfand Schmerz und Glück zugleich, dass der Mann den sie so sehr liebte, soeben küsste. „Aber, aber André!“ Oscar kannte sich nicht mehr aus, noch heute morgen wollte er nicht mit ihr zusammen sein und jetzt küsste er sie mit so viel Liebe. “Oscar, ich war so dumm, so dumm..“ er sprach nicht mehr weiter sondern zog sie wieder zu sich runter und küsste sie, jetzt immer fordernder. Oscar lief es heiß und kalt über den Rücken, sie wollte nur mehr mit André zusammen sein. Sie wollte seine Frau sein. André tastete ihren Körper entlang, er fühlte den dünnen Stoff ihres Nachthemdes, ihre langen blonden Haare und ihren geschmeidigen Körper. Er konnte nicht mehr anders, er nahm alle Kraft zusammen und kniete sich vor sie hin. Nun waren sie fast auf gleicher Augenhöhe. Es war zwar dunkel, doch die Umrisse die Andrés ganze Erscheinung abgaben, betörten Oscar ungemein. André nahm trotz Schmerzen Oscars Gesicht in seine Hände und küsste sie abermals, dann glitten sie ihren langen schmalen Hals hinunter und... In dieser Nacht waren sich Oscar und André so nah wie sich zwei liebende Mensch nah sein konnten. Es gab nur mehr sie und der Rest der Welt verschwand durch ihre Leidenschaft für einander. Sie hatten es geschafft, durch die Jahre hindurch gehörten sie wie Freunde zusammen und jetzt nach den schweren Schicksalen, die Frankreich erschütterte, hatten sie als Mann und Frau zueinander gefunden. Andrés Hände waren wie eine Droge für Oscar. Sie wollte immer mehr und so fing sie an behutsam seinen Rücken zu streicheln und seinen Körper Hals abwärts mit Küssen zu übersähen. Oscar war es stets gewohnt gewesen ihre Gefühle zu unterdrücken, in Adelskreisen war es nicht gern gesehen, wenn man seinen Empfindungen nachging und andere daran teilhaben ließ. Umso mehr genoss sie diese Augenblicke mit André. Er tastete nach ihrem Nachthemd und wenige Sekunden später verschwanden seine Hände unter ihrem Hemd. Sie fuhr kurz zusammen und blickte André erschrocken in die Augen, darauf war sie einfach nicht gefasst gewesen. Er aber beruhigte sie mit seinen grünen sanften und doch geheimnisvollen Augen und begann ihren Nacken zu küssen und ihren Oberkörper zu erkunden. Mit der Zeit taten den beiden die Knie weh und ihre Beine wurden durch den Steinboden immer kälter. Sie hatten anscheinend den gleichen Gedanken und zogen sich gegenseitig in die Höhe. Oscar wusste wohin sie diese Leidenschaft heute Nacht führen würde, doch sie hatte keine Angst. Ihr war klar, dass diese Nacht perfekt sein würde, da André und sie sich wirklich liebten und so lange aufeinander gewartet hatten. Sie hätte sich nie im Leben träumen lassen, dass sie zu solchen Gedanken je fähig gewesen wäre, doch sie wollte André so betrachten wie Gott ihn schuf. Sie machte sich daran die Bänder Andrés Hose zu lösen und konnte sich selbst dabei hören wie sie schwer atmen musste. André wusste nicht, wie ihm geschah, nie hätte er sich träumen lassen, dass Oscar so die Initiative ergreifen würde. Es ließ ihn angenehm erschaudern und so begann auch er die seidenen Bänder ihres Nachthemdes zu öffnen, schön behutsam, er wollte diese Momente bis ins Letzte auskosten. Sie konnten beide ihre Blicke voneinander nicht abwenden. Wie schön André doch war. Warum war ihr das nicht viel früher aufgefallen? Er vereinte all das, was sich ein Frau nur wünschen konnte. Er war sensibel und hatte doch seinen eigenen Kopf, loyal und immer ehrlich und er würde für einen geliebten Menschen alles geben. Er war so stark und doch so sanft. Oscar war von seinem Anblick hin und weg und bemerkte gar nicht wie sich André mit ihrem Nachthemd beschäftigte. Gleich war es geschafft, dachte er sich. Oscar legte ihre Hand in seinen Nacken und zog seinen Kopf zu sich ein Stück herunter. Jetzt wo sie nicht ihre Stiefel trug, die doch einen Absatz hatten, bemerkte sie, dass André gut und gerne fünfzehn Zentimeter größer war als sie. Sie küsste ihn, sie musste ihn küssen. Es war so notwendig wie das Wasser, welches sie gegen ihren Durst trank. André spürte wie sich bei ihm etwas veränderte, es war nun unübersehbar wie sehr ihn diese Frau die ihm gegenüberstand erregte. Ein leichter Windhauch hob nicht nur die dünnen Vorhänge an den Fenstern sondern auch Oscars bereits vollständig geöffnetes Nachthemd. Leicht schockiert über soviel Freizügigkeit ihrer selbst starrte sie André an. Er aber grinste nur anzüglich und zog sie zu sich aufs Bett. Er wusste, dass er sich nicht mehr lange zurückhalten konnte und doch wollte er die absolute Vereinigung mit Oscar noch etwas hinauszögern. Er zog die leichte Decke, die eigentlich ein Bettlaken war über ihre beiden Körper. Sie schlossen sich vor der restlichen Welt ein, wie eine schützende Höhle umgab sie die Decke. André begann sie wieder zu küssen, ganz langsam und sanft, wozu sollte er sich auch beeilen, es lag ihr ganzes Leben vor ihnen. Oscar war wie in einem Traum, konnte es wirklich real sein. Ihr war es egal und so zog sie André zu sich, sie wollte nicht mehr länger warten. „Willst du es wirklich?“ André konnte es noch gar nicht fassen. „Bitte...!“, sie flehte ihn regelrecht an. Für beide würde es die erste Liebesnacht sein und doch wusste jeder von ihnen was zu tun war. Oscar bemerkte ein leichtes Ziehen und einen kleinen stechenden Schmerz der aber auch gleich wieder vorüber war, als sie in Andrés große Augen sah. Sie fühlte sich vollkommen. In ihrem ganzen Leben hatte sie nie daran gedacht, dass ihr etwas fehlen könnte und jetzt wo sie die Liebe in ihr Leben gelassen und sie Andrés Berührung zugelassen hatte, wusste sie, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt nie vollkommen gewesen war. André hätte sich diesen Moment nicht schöner vorstellen können. Erschöpft und glücklich legte er sich neben Oscar. Oscar drehte sich zur Seite und schmiegte ihren Rücken an seine Brust. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl seine nackte Haut auf ihrer zu spüren. Sie verfiel in einem leichten Dämmerschlaf als ihr André etwas ins Ohr flüsterte. „Ich liebe dich!“ Oscar drehte sich mit dem Gesicht zu ihm. Sie war ganz nah an seinem Gesicht strich zärtlich über seine Wange und bemerkte dabei etwas, weinte André? „Ich liebe dich!“, antwortete sie ihm und drückte ihre leicht geschwollenen Lippen auf die seinen. Er umarmte sie und drückte sie an sich, so schliefen sie friedlich und erschöpft ein. Als Rosalie am nächsten Tag ins Zimmer trat um die beiden zu wecken und ihnen Frühstück zu bringen, traute sie ihren Augen nicht. Ein blonder und ein dunkelbrauner Haarschopf lugten unter der Bettdecke hervor. Sie ließ fast vor Schreck die zwei Suppenschüsseln fallen. Ein Grinsen machte sich in ihrem Gesicht breit und wohl wissend was sich in der letzten Nacht wohl zugetragen haben mag, schloss sie die Tür so leise wie möglich. Alain kam ihr entgegen und wollte sogleich das Krankenzimmer betreten als sie sich ihm in den Weg stellte. „Rosalie, lass mich vorbei, ich muss mit den beiden sprechen!“ „Ach Alain, lass ihnen noch ein bisschen Zeit die beiden sind doch verwundet obwohl sie den größeren Schmerz in ihrem Herzen doch letzte Nacht vertreiben konnten.“ Sie konnte ein Lachen nicht mehr zurückhalten. Alain blickte sie total verstört an. „Herz, Schmerz, letzte Nacht?“ Wie ein Blitz fuhr es ihm ein. „Was sagst du da? Letzte Nacht? Das ging aber schnell!“, auch er konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen. Nun gut, dann ließ er den beiden noch eine halbe Stunde, darauf sollte es nicht mehr ankommen. André wurde als erster wach, er konnte vom Gang her Stimmen hören und ein Lachen, er wunderte sich. Neben sich spürte er, wie sich etwas regte. Es war also doch kein Traum gewesen, die letzte Nacht war die Wirklichkeit. Oscar lag mit dem Rücken zu ihm, ‚wie zart ihre Haut doch ist’ dachte er sich und fing an sie zu streicheln und im Nacken und an der Schulter zu küssen. Sie spürte seine warmen Hände und seine sanften Lippen auf ihrer Haut, ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht. Sie drehte sich zu André und küsste ihn leidenschaftlich. Diesmal ergriff Oscar die Initiative und liebkoste Andrés ganzen Körper. Ihr war es egal ob jeden Moment jemand ins Zimmer kommen könnte oder nicht. Für sie gab es nur das Hier und Jetzt und diesen Mann, den sie ihr Leben lang kannte. Sie gaben sich ihrer Leidenschaft für einander hin und versanken erneut in einem Liebesspiel. Glücklich und lächelnd sahen sich die beiden an. Oscar musste lachen. „Was würde ich jetzt nicht alles für ein Stück Brot tun, ich sterbe fast vor Hunger!“ André ging es anscheinend nicht anders, denn sein Magen meldete sich heftigst, er grinste noch genauso verlegen wie damals als sie noch Kinder waren. Fast entschuldigend sagte André „Du hast mich aber auch gefordert!“ „Wo Rosalie wohl bleibt, normalerweise ist sie die Pünktlichkeit in Person, vor allem wenn es um den ‚Weckdienst’ geht?! Komisch.“ Oscar tastet nach ihrem Nachthemd, am liebsten wäre sie aus dem Bett gesprungen, doch was wäre, wenn gerade jetzt jemand das Zimmer betreten würde. Vor André schämte sie sich keineswegs. Vor ihm lag sogar ihre Seele blank. André fühlte sich wie neu geboren. Die Ärzte schienen recht zu behalten, wenn sie sagten, dass zur vollständigen Genesung auch die Seele von Nöten ist, wäre da nur nicht sein Auge. Er setzte sich neben Oscar im Bett auf, er konnte nur einen dunklen verschwommen Fleck erkennen, der sich als seine Hosen erweisen sollte. Er langte danach, konnte sie aber beim ersten Mal nicht richtig greifen. In der Früh war es besonders schwer für sein Auge sich an die Lichtverhältnisse anzupassen und Distanzen richtig einzuschätzen. Im Laufe des Tages wurde es dann besser und wieder mal schlechter, da das Auge schnell ermüdete. Es war wieder ein Dämpfer für sein Gemüt, welcher ihn zusammensacken ließ. Oscar reichte ihm sein Gewand und auch sie schlüpfte in ihr Hemd. Sie ergriff seine Hand und streichelte sie mit ihrer anderen. „André ich werde immer bei dir bleiben, egal was geschieht!“ Sie hatte seinen Versuch bemerkt seine Kleidung zu ergreifen. Auch sie hatte Angst, dass André sein Augenlicht vollkommen verlieren könnte, da kam ihr ein Gedanke. Sie hatte doch schon so oft von den arabischen Medizinern - die in Spanien lebten - gehört. Sie wurden zwar geduldet, doch niemand gab in der Öffentlichkeit zu erkennen ihre Fähigkeiten in Anspruch zu nehmen. Doch ihre Heilungen waren legendär. Schon vor Jahrhunderten erzielten sie bessere Heilungschancen als die europäischen Ärzte. Warum sollten sie nicht auch eine Behandlung für Andrés Auge haben? Ein Versuch war es wert. Sie wollte in einer ruhigen Minute mit André darüber sprechen, ihm neuen Mut geben für ein Leben mit ihr gemeinsam. Gerade als sich beide vom Bett erhoben hatten, ging die Tür auf und Rosalie und Alain traten ein. Rosalie hatte eine Tablett mit zwei Suppenschüsseln darauf aus denen Dampf empor stieg. „Guten Morgen. Oh, Ihr könnt das Bett schon verlassen, das freut mich!“ Rosalie stellte das Tablett auf den kleinen Tisch, der den zwei Betten gegenüberstand, ab. „Guten Morgen Rosalie, guten Morgen Alain, wie gut duftet diese Suppe bloß!“ Keine Sekunde später stürzte sich Oscar Francois de Jarjayes auf den Suppenteller. Gierig schlang sie die doch etwas dünne Fleischbrühe hinunter. Alain und Rosalie mussten sich wohlwissend angrinsen, André merkte dies und senkte fast beschämt seine Augen. ‚Sollen wir es ihnen sagen oder wissen sie es schon?’, seine Gedanken kreisten nur so umher. „Ach ja bevor ihr euch den Kopf zerbrecht, zwischen André und mir ist alles gut, mehr als das.“ „Dachte ich mir schon, na dann, herzlichen Glückwunsch, ich hätte euch sonst noch zu eurem Glück zwingen müssen.“ Alain lachte herzlich und umarmte André als Zeichen seiner Freude. André konnte es gar nicht fassen, dass Oscar ihre Beziehung so schnell offiziell machte. Auch Rosalie umarmte Oscar und die Tränen standen ihr in den Augen. „Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass doch noch alles so gut enden würde!“ „Enden Rosalie, warum denn enden? Nein, jetzt fängt erst mein richtiges Leben an. Ein Leben an Andrés Seite.“ Nun ging auch André auf den kleinen Tisch zu, er griff aber nicht nach der Suppenschüssel, sondern nach Oscar und umarmte sie. Am liebsten hätte er sie nie wieder losgelassen. „André du solltest jetzt etwas essen, bevor es kalt wird!“ Fürsorglich drehte sie ihren Liebsten zum Stuhl, damit er am Tisch Platz nehmen konnte. Sie behandelte ihn wie ein rohes Ei und das obwohl sie so eine Nacht hinter sich hatten, er grinste auf seinen Teller. „Alain, sagt den Männern, dass ich sie um zwölf Uhr Mittag sprechen möchte, ich habe ihnen einiges mitzuteilen.“ „Jawohl Kommandant. Wenn es recht ist, würden wir Euch auch gerne etwas erzählen.“ Alain wusste, dass seinem Kommandanten die Idee gefallen würde. Auch er machte sich seit geraumer Zeit Gedanken um Andrés noch relativ gesundes Auge. Alain hatte schon öfters bemerkt, dass er nicht mehr so genau zielen konnte, darum hörte er sich bei jeder Gelegenheit um, ob es nicht eine weitere Chance für seinen Freund geben könnte. Oscar drehte sich mit einer Bitte zu Rosalie. „Wäre es möglich, dass du mir meine Sachen bringst, dieses Nachthemd ist doch zu ungewohnt für mich und so kann ich doch unmöglich vor meine Männer treten.“ Rosalie machte einen bekümmerten Gesichtsausdruck. „Lady Oscar, es tut mir leid, aber Eure Uniform...“ Sie stockte. „Ja Rosalie, meine Uniform, was ist damit?“ „Sie war voller Ruß, Blut und Dreck, ich hab versucht sie zu säubern und sie war fast wieder tragbar, doch dann stahl sie jemand von der Wäscheleine, es tut mir so leid.“ Rosalie glaubte schon jeden Augenblick eine Schelte von Oscar zu erhalten, doch die musste nur gekränkt den Kopf schütteln. „Na ja, das Leben als Kommandant und Adelige ist dann somit endgültig vorbei. Daran muss ich mich erst gewöhnen. Aber was soll ich dann anziehen?“ „Wenn es euch nichts ausmacht, frage ich Bernard, ob er sich von einigen Stücken trennen kann, bis wir für Euch was neues gekauft haben.“ „Das ist sehr nett von dir Rosalie, danke!“ Rosalie nickte und machte sich gleich auf den Weg nach Hause um die gewünschten Sachen zu holen. Alain folgte ihr zur Tür hinaus. So waren Oscar und André wieder alleine. „Wie fühlst du dich?“ fragte Oscar André, der langsam begann seine Suppe zu löffeln. „Hm, eigentlich ausgezeichnet, vielleicht noch etwas schwach, aber kein Wunder nach dieser Nacht.“ Seine Augen blitzten dabei auf und hatten etwas verführerisches. „Es ist irgendwie auch alles so surreal. Wie ein Traum, ach, bitte lass mich nie mehr erwachen.“ Oscar zwickte ihn in den Handrücken. „Aua, wofür war das denn?“ André verzog sein Gesicht, hatte sie ihn wirklich zu fest gezwickt? „Ich wollte dir nur beweisen, dass das alles kein Traum ist sondern die Wirklichkeit. André, ich kann es selbst kaum fassen, gestern noch dachte ich, wir hätten keine Chance mehr und jetzt das. Ich bin so überglücklich. Wie dumm war ich bloß all die Jahre. Wir waren doch jeden Tag zusammen und doch meilenweit von einander entfernt. André, ich weiß, vielleicht ist es für dich jetzt alles zu schnell, doch die letzten Erlebnisse lassen einen nachdenken. Morgen könnte schon alles vorbei sein, ich meine, ich lebte mein Leben als Soldat und.....“ sie stockte, sie war bei vollem Verstand und wenn man ihr letzte Woche gesagt hätte, was sie in ihrem zukünftigen Leben noch tun werde, hätte sie diesen für verrückt erklärt. Und jetzt, jetzt tat sie es wirklich. Sie nahm Andrés Hand, im Vergleich zu ihrer war seine ganz warm. Sie hingegen war nervös, noch nie war sie in so einer Situation, nie hätte sie daran gedacht, doch die Träume der letzten Nächte und die Begebenheiten ließen sie zu einem anderen Mensch werden. Ein Mensch der sie wirklich war, eine Frau mit Gefühlen und eine Frau die eine Gruppe Soldaten befehligte. „André, wir wissen beide nicht, wie es nun weiter gehen soll, aber du siehst wie schnell unser junges Leben vorbei gehen kann. Und mein einziger Wunsch ist es mit dir verheiratet gewesen zu sein, falls ich irgendwann sterben sollte.“ Nun war es gesagt. Sie Oscar Francois de Jarjayes machte ihren besten Freund und Geliebten einen Heiratsantrag. ‚Wie wird er reagieren? Warum sagt er nichts? Will er mich nun doch nicht? Sag doch was, bitte.’ André verschlug es die Sprache. Hatte er gerade richtig gehört, sie Oscar die ihr Leben als Mann leben wollte, hatte ihn gerade gebeten ihn zu heiraten? Nicht in seinen kühnsten Träumen hätte er so etwas erwartet. „Aber Oscar, ich bin fast blind und ich kann dir nichts geben außer meiner selbst!“ Betrübt ließ er den Kopf fallen. Er war einfach keine gute Partie für sie in seinen Augen. Wie gerne würde er mit ihr vor dem Altar stehen. „André, bitte sag ja, ich brauche nicht mehr als dich, das ist schon mehr als ich zu hoffen wagte.“ Er blickte in ihre saphir-blauen Augen, die sich langsam mit Tränen füllten. „Aber meine Augen.....!“ Oscar wurde langsam traurig und wütend. Entweder er liebte sie und wolle bei ihr sein oder, nein diesen Gedanken wollte sie nicht weiterspinnen. „André Grandier“, leicht gereizt stand sie von ihrem Stuhl auf. „Sei nun Mann genug und sag mir was du willst. Ich liebe dich mit und ohne deinen Augen, sei dir dessen bewusst.“ André blickte sie an, dieses Temperament, so kannte und liebte er sie. Er musste gar nicht darüber nachdenken was er wollte oder nicht, er wusste es seit er letzte Nacht am Boden lag und sie sich über ihn gebeugt hatte. André stand auf, kniete sich aber sogleich vor Oscar nieder. „Lady Oscar Francois de Jarjayes, wollt Ihr mich zu Eurem Gemahl nehmen?“ Oscar lachte und fiel auf die Knie, sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und stammelte einige Liebesbekundungen, bevor sie in einem innigen Kuss versanken. ‚Was will uns der Kommandant bloß sagen?’ Alain konnte sich keinen Reim darauf machen. Wollte sie die Truppe verlassen? „Hm, diese Frau birgt ein Rätsel nach dem anderen.“ Rosalie brachte endlich die gewünschte Kleidung. „Es tut mir leid, die schönsten Stücke sind es nicht mehr.“ „Ach Rosalie, mach dir keine Gedanken, es ist doch nur vorübergehend, ich werde mir schon etwas eigenes besorgen, hab vielen Dank!“ Oscar streifte sich ihr neues geliehenes Gewand über und fühlte sich gleich mehr sie selbst. Doch irgendetwas passte ihr nicht. Die Haare, was war bloß mit ihren Haaren los. Sonst trug sie sie auch immer offen und sie störten keineswegs. Wie sich alles änderte, selbst solche Kleinigkeiten. Sie nahm den oberen Teil ihres Haarschopfes zusammen und mit einem kleinen Stück Verbandsstreifen war ihre neue Frisur, ein Halbzopf schon fertig. Warum kam sie nicht schon früher auf diese Idee, so störten die Haare viel weniger beim Fechten und Schießen. Auch André bekam eine frische Hose und ein einfaches Leinenhemd. Er sollte mit Oscar etwas an die frische Luft, außerdem wollte sie sowieso mit der ehemaligen Söldner-Truppe reden. Er fragte sich nur, worum es sich handeln könnte. Oscar stützte André ein wenig, eigentlich brauchte er diese Hilfe nicht, aber es war eine Möglichkeit für beide die Nähe das anderen zu spüren und ihn zu berühren. Die Männer der Söldnertruppe, besser gesagt, der Rest der davon übrig war, hatten es sich auf den Stufen vor dem Lazarett gemütlich gemacht. Es war ein sonniger Tag und die Wärme der Sonnenstrahlen luden zum Faulenzen ein. Als Oscar mit André nach draußen trat, ging ein Jubelschrei durch die Truppe. Alle freuten sich die beiden wohlauf zu sehen, trotz der Blessuren. Oscar hob beschwichtigend die Hände, sie wollte nun zu ihren treuen Soldaten sprechen. „Männer, habt Dank für euren Mut und eure Treue, dank Euch ist es uns gelungen die Bastille einzunehmen und ein wichtiges Zeichen für die Bevölkerung zu setzen.“ Die Männer nickten ihr zustimmend zu. „Trotz allem, oder gerade deswegen möchte ich Euch sagen, dass ich meine Pflichten als Kommandant ablegen werde. Ich habe mich, trotz meiner adeligen Herkunft, gegen die Monarchie gestellt, entweder hält mich die königliche Garde für tot oder sie suchen mich um mich wegen Hochverrats zu töten. Darum möchte ich Euch aus eurem Eid entlassen. Jeder soll sein Leben so führen wie er es für richtig hält und hierfür möchte ich keinem im Wege stehen. Ich selber bin mir noch nicht ganz sicher wohin mich der Wind treiben wird.“ Bei den letzten Worten hatte Oscar Tränen in den Augen. Alain hatte doch recht behalten, sie wollte die Truppe verlassen. Sie wollte ihn verlassen. Keiner der Söldner wusste, ob sie noch Familie hatten nach den furchtbaren Kämpfen die in Paris wüteten. Er wusste, dass er alleine da stand. Er hatte nur mehr die beiden Menschen die auf der Treppe standen und gerade zueinander gefunden hatten. Nun, er würde alleine mit Oscar und André über seinen „Plan“ sprechen müssen. Die anderen Soldaten waren über die Worte von Oscar überrascht und doch freuten sie sich über die Freistellung. Viele von ihnen wollten Paris verlassen und wo anders neu anfangen. André griff nach Oscars Hand und sagte „Lass uns zusammen ein paar Schritte machen.“ „Ja, sehr gerne“. Sie gingen einige Meter und fanden einen schattigen Platz unter einer alten Linde. „Oscar, wenn es immer noch dein Wunsch ist mich zu heiraten, meiner ist es auf jeden Fall, hätte ich eine Bitte an dich.“ Oscar sah ihn verblüfft an, eine Bitte?!? „Ja André, was möchtest du denn?“ „Lass uns in der Nähe von Arras, auf einem der sanften Hügel außerhalb der Stadt heiraten.“ Oscar zuckte zusammen, was sagte er da? In der Nähe von Arras, Hügel. Genauso sah es in ihrem Traum aus. Wie war es möglich? „André, genau davon habe ich geträumt.“ „Wie meinst du das?“ „Na vorletzte Nacht.“ „Was, du auch? Ich dachte, es kam von meiner Verletzung, dass ich so etwas träumte und jetzt sagst du, du hättest dasselbe geträumt? Das ist unheimlich, unheimlich schön.“ Er grinste und zog sie zu sich heran, das hatte er sich immer gewünscht, sie küssen zu können wann immer er wollte. „André ich hätte auch eine Bitte oder besser gesagt eine Verpflichtung.“ „Wir sind noch nicht verheiratet und du willst mich zu etwas verpflichten?!“ Er lachte, ja so hatte er sich das vorgestellt. „Also Oscar, verpflichte mich.“ Sie blickte ihn ernst an. „Nachdem wir geheiratet haben möchte ich mit dir nach Spanien reisen. Du hast doch sicher auch schon von den arabischen Medizinern gehört, ihre Methoden unterscheiden sich erheblich von denen der europäischen Ärzte. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für dein Auge.“ Doch das war nicht alles was sie ihm sagen musste. Sie selbst hätte es fast vergessen, nein, vergessen war das falsche Wort, verdrängt, traf es besser. Sie litt an Tuberkulose, es ging ihr dank des Aufenthaltes im Lazarett und die Ruhe der letzten Tage viel besser, doch sie wusste, wenn sie sich nicht schonen würde, sah es für eine gemeinsame Zukunft nicht gut aus. Das trockene spanische Klima und die neuen Behandlungsmethoden, ließen sie vielleicht schneller genesen. „André, ich habe dir etwas verheimlicht, es ist nicht mehr so schlimm, aber es könnte schlimmer werden.“ Was war geschehen, war das der Grund warum sie ihn so schnell heiraten wollte, weil mit ihr etwas nicht stimmte? „Sprich Oscar, bitte, sag es mir, was ist los?“ Er hatte einfach Angst, Angst ins Bodenlose zu fallen. „Es ist so, ich leide an Tuberkulose, das schlimmste ist überstanden, doch wenn ich nicht aufpasse, könnte sich mein Zustand verschlechtern.“ Sie blickte zu Boden, würde er sie jetzt verlassen? André hatte schon so etwas in der Art befürchtet. Der Husten den sie noch hatte als sie noch zu Hause waren, war furchtbar. Er zog sie zu sich heran und hielt sie einfach nur fest. Er vergrub seine Nase in ihrem dichten lockigen Haar und sprach leise, „und wenn du die Pocken und die Pest gleichzeitig hättest, nichts wird mich von dir trennen.“ Jetzt musste sie schmunzeln. Hieß das, dass er damit einverstanden war? „Ich kann zwar nicht spanisch Oscar, aber wenn es dein Wunsch ist und so unsere Chance größer wird, dann auf in ein neues Abenteuer!“ Sie war einfach nur glücklich. „Kommandant, André, ich muss mit Euch sprechen, es ist sehr wichtig!“ Alain konnte seine Pläne jetzt nicht mehr für sich behalten, er musste ihnen davon erzählen. Die zwei Turteltauben waren überrascht wie aufgeregt, als Alain vor ihnen stand. „Aber Alain, was ist denn los, man könnte glauben der Teufel wäre hinter dir her.“ Der Teufel, nein, der war es nun wirklich nicht. „Nun, es geht um André, wir wissen doch alle wie schlecht es um sein Auge steht und dass er Angst hat jenes zu verlieren.“ „Ja Alain, darum....“ „Nein, lasst mich bitte aussprechen. Während ihr im Lazarett lagt, habe ich mich, na wie soll ich es umschreiben, etwas umgehört. In der Kneipe „Zum tanzenden Bären“ habe ich dann einen Mann kennen gelernt, einen Spanier und er hat mir von Ärzten erzählt, maurischen Ärzten und da dachte ich.....“ André und Oscar fingen an zu lachen, was fanden die beiden jetzt so lustig an seinen Erzählungen? „Versteht mich doch, Andrés Auge....“ „Ach Alain, Oscar hatte mir eben genau den selben Vorschlag unterbreitet. Nach unserer Vermählung werden wir nach Spanien aufbrechen und diese berühmten Ärzte aufsuchen!“ Er tätschelte Alains Gesicht. Er wusste nicht wie ihm geschah, sie hatten schon Pläne nach Spanien zu gehen und hatten ihm diese nicht mitgeteilt. Er ließ traurig den Kopf hängen. „Aber Alain was ist denn los mit dir, wir dachten die Reise wäre in deinem Sinn.“ Oscar runzelte die Stirn. „Das schon, es ist nur so, nachdem ihr uns freigestellt habt, sind die anderen schon abgehauen um ihre Familien zu suchen. Und wie Ihr wisst, hat sich meine geliebte Schwester erhängt und meine Mutter ist vor Gram gestorben. Ich will nicht aufdringlich sein, aber ich wollte Euch auf diese Reise begleiten. Ihr könnt doch jeden kräftigen Mann gebrauchen, oder nicht?“ Hoffnung flammte in seinen Augen auf. Er würde sein Leben für diese beiden Menschen geben, besonders für seinen ehemaligen Kommandanten. „Kräftige Männer, wozu braucht ihr kräftige Männer?“ Eine Stimme wie aus dem Nichts. Perplex drehten sich die drei Köpfe in Richtung aus der die Stimme gekommen war. Auf einem verschwitzten Rappen saß ein etwas müder und in zerschlissener Uniform gekleideter Graf de Girodelle. Oscar vergaß Etikette und Stand und rannte auf den Grafen zu. „Viktor, wie schön euch gesund zu sehen.“ ‚Viktor’, hallte es in Graf de Girodelles Kopf, ‚noch nie hatte sie mich so genannt’. Er lächelte und stieg vom Pferd, er salutierte vor ihr, doch Oscar umarmte in aufs Herzlichste. Es war nicht gern gesehen in ihren Kreisen, doch wen würde es stören. Girodelle war sich seiner Lage bewusst. Noch vorletzte Nacht versuchte er die Aufstände in Paris niederzuschlagen. Doch als er bei einem Erkundungsritt eine Gruppe halbverhungerter Kinder sah, wusste er, dass seine Aufgabe nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbar war. Es musste etwas geschehen. Unbemerkt lauschte er den Erzählungen der Bevölkerung und der Einnahme der Bastille. Er hörte wie die Leute von einer Frau sprachen, einer Frau in Uniform. Da wusste er, dass sein Schicksal mit dem von Oscar verknüpft war. Er begab sich auf die Suche nach ihr. Und jetzt stand er vor ihr. Er musste sich die Nacht über gegen eine kleine Gruppe von Männern verteidigen die ihm das letzte Hemd auszuziehen versuchten. Adelig oder nicht, Menschen die nach Geld aussahen, hatten einen schlechten Stand in Paris. Auch André bewegte sich auf Graf de Girodelle zu und verbeugte sich. „Nicht doch André, nach dem was ich über Euch gehört habe, muss ich mich vor Euch verbeugen. Wir wissen doch beide, dass man als Adeliger zur Zeit einen schlechten Stand in Frankreich hat.“ Viktor reichte ihm die Hand. „Bitte, lasst uns den Standesunterschied vergessen. Wir sind zwei Männer die sich für die gerechte Sache entschieden haben und für das Gleiche kämpfen.“ Sein Blick wanderte zu Oscar. „Girodelle, was ist mit Euch passiert? Mit Sicherheit wollt ihr Euch frisch machen und Euch ein wenig ausruhen. Ich werde gleich Rosalie bitten Essen und Waschzeug bringen zu lassen. Ihr müsst uns alles erzählen.“ Er nickte nur und war erleichtert hier auf Freunde gestoßen zu sein. Die kleine Gruppe machte sich auf den Weg zum Lazarett. Nachdem sich Graf Viktor Clemente de Girodelle einigermaßen gestärkt und frisch zurecht gemacht hatte, begann jeder seine Geschichte zu erzählen. Es wurde eine lange Nacht. Auch Rosalie und ihr Mann Bernard Chatêlet, ein Freund von Robespierre und ehemals der „Schwarze Ritter“ gesellten sich zur der Gruppe und lauschten den Erzählungen. Die Geschichten endeten mit dem Zusammentreffen der Personen an diesem Ort. Von Andrés und Oscars Absichten wurde aber bisher nicht gesprochen. Sie saßen nebeneinander. Oscar hatte sich an André gelehnt und genoss seine Anwesenheit und zog seinen Geruch gierig auf. Konnte es nicht immer so sein? Sie griff nach Andrés Hand hielt sie einfach nur fest. Auch Graf de Girodelle war es nicht entgangen, was sich zwischen den beiden ereignete. „Nun Lady Oscar, was gedenkt Ihr zu tun? Wie sehen Eure nächsten Pläne aus?“, er blickte auf die zwei verschlungenen Hände, danach lächelte er Oscar direkt ins Gesicht. Ihr stieg die Röte ins Gesicht. Offen zu ihrer Liebe zu stehen und darauf angesprochen zu werden, noch dazu von einem ehemaligen Offizier, das waren zwei verschiedene Dinge. „Nun, vielleicht sollten wir unsere Pläne nicht mehr länger für uns behalten, was meint Ihr Mademoiselle Jarjayes?“ André sprach sie absichtlich so an, er wollte sie ein wenig necken. Sie boxte ihn in die Seite und meinte „wie Ihr meint Monsieur Grandier oder doch Jarjayes?“, sie lächelte ihn an. Die anderen in der Runde blickten sich verdutzt an. „In ein paar Tagen, wenn André und ich uns wieder stark genug fühlen, werden wir uns auf den Weg nach Arras machen. Wir haben vor, dort in aller Stille und abseits der Kämpfe zu heiraten. Nachdem wir dann alles vorbereitet haben, reisen wir nach Spanien um dort Ärzte aufzusuchen, die André...“ sie stockte, sollte sie die ganze Wahrheit preisgeben? Hatten ihre Freunde nicht ihre vollste Offenheit verdient. Sie atmete tief durch und sprach weiter „...die André und mich von unseren Leiden befreien sollen.“ Nun war es heraus. Auf den Gesichtern ihrer Freunde zeichneten sich große Fragezeichen ab. Alain fand seine Stimme als erster wieder. „Leiden, natürlich wissen wir um Andrés Auge, aber Kommandant was fehlt Euch?“ „Ich, ich war oder bin an Tuberkulose erkrankt. Mein Arzt riet mir mich zu schonen und mich vom Armeedienst fern zu halten.“ Sie lächelte „Was mir jetzt mehr als leicht fällt!“ Rosalie sprang vor Freude in die Höhe. „Oh, wie schön, eine Hochzeit, eine Hochzeit im Sommer. Ach wie wunderbar, wir dürfen doch der Trauung beiwohnen.“ Oscar schaute André erstaunt an, dran hatten sie bis jetzt noch nicht gedacht. Aber natürlich, wie könnten sie den Menschen, die in den schweren Stunden beigestanden hatten, so einen Wunsch verwehren? „Ach ja André, lass uns im kleinen Kreis feiern, mit unseren engsten Vertrauten.“ Auf einmal dachte Oscar an ihre Familie und ihr Kindermädchen, Andrés Großmutter. „Viktor, ist euch vielleicht bekannt wie es meiner Familie in den letzten Tagen ergangen ist?“ „Nun, was ich erfahren habe, zog es Eure Mutter vor Paris zu verlassen und eine Eurer Schwestern zu besuchen. Der General steht immer noch dem König zur Seite, mehr ist mir nicht bekannt.“ „Wir müssen irgendwie zum Anwesen gelangen, wer weiß wie es Sophie ergangen ist. Hoffentlich finden wir sie und wenn ja nehmen wir sie mit in das Haus in Arras.“ André war froh, dass sich Oscar immer noch Sorgen um seine Großmutter machte, somit war er mit seiner Sorge um sie nicht allein. „Am besten wir legen uns jetzt alle schlafen und morgen reiten wir zum Anwesen der Jarjayes.“ Es war beschlossene Sache. Die anderen verließen das Zimmer von Oscar und André und begaben sich zur Nachtruhe. „Aber Oscar, wie sollen wir nach Spanien kommen, geschweige denn eine kleine Hochzeitsfeier ausrichten, wir haben kein Geld, ich meine, ich hab einen Teil meines Verdienstes monatlich gespart, aber wer weiß, ob sie nicht auch schon die Bank geplündert haben?“ André machte einen traurigen Eindruck, er wollte so gerne Oscar ein Brautkleid schenken, ob dies nun möglich war, stand in den Sternen. Oscar sah ihn liebevoll an und streichelte beruhigend über sein Gesicht. „Ach André mach dir nicht so viele Gedanken, ich haben meinen Sold jahrelang auf eine Bank in Arras überweisen lassen. Frag mich nur nicht, warum ich das tat, mein Herz zog es immer wieder dorthin.“ Er küsste sie dankbar, dankbar dafür, dass sie seine Liebe endlich erwiderte und für ihn da war. „Warst du nicht auch überrascht als auf einmal Graf de Girodelle vor uns stand?“ André nickte und zog Oscar zu sich aufs Bett. Sie kuschelten sich aneinander und blieben so liegen. Aufgeregt was der nächste Tag wohl bringen würde, schliefen die beiden endlich nebeneinander ein. Graf Girodelle war einer der ersten die vom Vogelgezwitscher geweckt wurden. Er hatte tief und fest geschlafen, die Anstrengungen und die Aufregung der letzten Tage war anscheinend doch zu viel für ihn gewesen. Ein Schatten legte sich über sein Gemüt, als er an die gestrige Begegnung mit Kommandant Jarjayes dachte. Sie hatte sich also doch für einen Mann entschieden. Seinen Heiratsantrag lehnte sie noch vor wenigen Wochen ab. Es war eine Schmach für ihn, jedoch respektierte er ihre Entscheidung. Er war ein Mann, der daran glaubte, dass vieles von einer höheren Macht bestimmt wird. Gott, Schicksal, er wusste nicht wie genau er es betiteln sollte, jedoch war er sich dessen sicher, genauso sicher war er sich die beiden nach Spanien zu begleiten. Ihn hielt nichts mehr in Frankreich. Vom Königspaar war er enttäuscht worden, alles nur wegen ihrer Starrsinnigkeit. Und für den Adel gab es keine Zukunft mehr, das wusste er mit Bestimmtheit. Sein Vater war vor ein paar Jahren gestorben und seine Mutter hielt sich bei seiner Schwester in Nizza auf. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung für ihn, nein, es war unwahrscheinlich dass der Kommandant seine Meinung ändern würde und André wegen ihm verlassen würde. Aber ein Abenteuer kam ihm gerade recht. Sie würden sowieso jemanden zur Verstärkung brauchen, André war nun doch geschwächt durch sein Auge. „Sogar heiraten wollen die beiden.“ Er sprach etwas wehmütig, konnte es sich dann aber doch nicht ein Lächeln verkneifen als er daran dachte, dass Oscar und André beide in Hosen vor dem Altar standen. Besser gelaunt als ein paar Sekunden zuvor schöpfte er frisches Wasser mit seinen Händen und wusch sich sein Gesicht. Er blickte in den kleinen Spiegel der über der Waschschüssel hing. Auch er hatte im Laufe der Jahre einige Kratzer an seinem Oberkörper sammeln können. Obwohl er zu den besser gestellten gehörte, scheute er niemals einen Kampf. Er war nicht einer von den Adeligen die nur im Hintergrund die Befehle erteilten, er kämpfte stets vorne mit dabei. Und obwohl er doch um drei bis vier Jahre älter war als die anderen war er doch ein ansehnlicher attraktiver Mann. Die Frauen hatten ihn jahrelang in Versailles bewundert nur waren ihm diese Frauen zu langweilig, zu gewöhnlich. Wer weiß, vielleicht würde er in Spanien eine passende Frau finden? Kommt Zeit, kommt Rat. Er musste sich bei diesen Gedanken selbst belächeln. Er legte seine Uniformjacke zusammen und verschnürte diese, damit sie keinen Schaden nahm. Viktor befand es für besser und sicherer, wenn er alle offensichtlichen Anzeichen eines Adeligen verschwinden ließ. Doch was unternahm er mit seinen Haaren? Sie offen zu tragen wie er es jahrelang tat, würde zu sehr auffallen. Abschneiden, nein, er wollte nicht so aussehen wie André noch dazu hing er viel zu sehr an seinen Haaren. „Hm, was könnte ich mit ihnen anstellen.“ Er entschied sich dafür sie zu flechten. „Na dann, auf zum Frühstück, wenn ich welches bekomme!“ Draußen vor dem Lazarett traf er auf Alain. Viktor wusste nicht, wie er sich richtig verhalten sollte. Konnte er diesen Mann aus dem Volk als seinen Freund betrachten oder nicht? „Ah, guten Morgen Graf de Girodelle, gut geschlafen?“ Alain war sich auch nicht sicher wie er diesem Mann begegnen sollte. „Vielen Dank Alain, sehr gut, aber bitte nennt mich Viktor, ich möchte meinen Kopf noch ein paar Jahre behalten.“ Er lachte und reichte Alain die Hand. ‚Der Händedruck wird sicher genauso weibisch sein wie sein Haar,’ dachte sich Alain. Doch er wurde getäuscht. Nie hätte er sich träumen lassen, dass dieser sehnige Mann vor ihm über solch eine Kraft verfügte. Nachdem sich alle aus ihren Betten erhoben, sich zurecht gemacht und gefrühstückt hatten, sattelten sie ihre Pferde. André hatte sich am Vorabend noch um Diablo, den Rappen von Graf de Girodelle gekümmert. Hier ging seine Leidenschaft für Pferde wieder mit ihm durch. Er hatte noch nie so ein temperamentvolles und starkes Pferd gesehen wie eben dieses vom Grafen. Beim Satteln bemerkte Viktor Andrés Liebe zu den Pferden, liebevoll blickte er sein Pferd von der Seite an und meinte „auch wenn du so wild wie der Teufel bist, du hast mich noch nie im Stich gelassen.“ „Ihr habt ein prächtiges Tier Viktor, da kann ich mit meiner Selle Francais-Stute nicht mithalten.“ „Wer weiß wofür es gut ist, André, wichtig ist die Beziehung zum Tier und nicht seine Abstammung.“ Man könnte glauben die zwei Männer unterhielten sich über Politisches. Oscar war froh über die gute Stimmung und freute sich wieder ihren Schimmel reiten zu können. Sie liebte ihren Andalusier-Hengst, den sie seit ihrer Jugend ritt. „Nun beeilt euch doch etwas, je früher wir Paris verlassen desto besser, es muss ja nicht jeder mitbekommen, dass ich mit zwei Adeligen unterwegs bin!“ Alain lachte laut auf und galoppierte davon. Die anderen drei nickten sich lächelnd zu und folgten Alain. ‚So müsste es immer sein’, dachte Oscar. Lange hatte sie sich nicht mehr so frei gefühlt wie an diesem Tag, als sie Paris und den Kämpfen die darin tobten, den Rücken kehrte. Sie erreichten ohne große Vorkommnisse Oscars ehemaliges Zuhause. Es war ein ruhiger Tag und man konnte die Bienen summen hören, die sich auf den Weg zur nächsten Blüte machten. Es war fast zu ruhig, man hörte keine Hausmädchen aufgeregt umherschnattern, keine klappernden Geräusche aus der Küche und keine Befehle des Generals. Die vier Reiter blickten sich überrascht an, was würde sie wohl im Inneren der Villa erwarten? Zaghaft stiegen sie vom Pferd. „Oscar, André, ich denke das Beste wird wohl sein, wenn Alain und ich das Gelände begutachten. Wer weiß, vielleicht treffen wir noch auf jemanden!“, Graf de Girodelle blickte Alain aufmunternd zu. „Ja Viktor, eine gute Idee, André und ich werden uns das Hauptgebäude vornehmen. Kommst du André?“ Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend betraten Oscar und André Hand in Hand das Gebäude. Wieder nichts, kein einziges Geräusch. „Großmutter, Großmutter, seid Ihr hier? Sagt doch etwas!“ André ließ Oscars Hand los und stürmte in die Küche. Die Küche, es war ihr Refugium und er hoffte sie dort wie üblich anzutreffen, doch er betrat einen menschenleeren Raum. Er traute seinen Augen nicht, alle Töpfe und Pfannen befanden sich auf dem Boden, Gläser lagen in Scherben auf dem Küchentisch und die Vorratskammer war leer, komplett leer. Er wohnte jetzt schon mehr als zwanzig Jahre auf dem Anwesen, aber solch einen Zustand hatte er hier noch nie gesehen. Die Panik packte ihn, er rannte schnurstracks zu seinem ehemaligen Zimmer, auch dies befand sich in keinem besseren Zustand. Die wenigen Bücher die er sein eigen nennen konnte, lagen zerrissen am Boden, sein Bett komplett zerstört. ‚Vielleicht war sie in ihrem Zimmer?’ André ging zwei Türen weiter und fand wieder einen leeren Raum vor. ‚War ihr etwas geschehen, haben die Diebe sie mitgenommen?’, seine Gedanken drehten sich um seine geliebte Großmutter. „Oscar, hast du sie gefunden?“ „Nein, André leider, außer diesem Chaos hier hab ich nichts gefunden.“ Betreten vom Zustand in dem sie ihr ehemaliges Zuhause vorgefunden hatte, ging sie in das Arbeitszimmer von ihrem Vater. Das Gemälde, welches sie für ihren Vater vor den Tumulten anfertigen ließ, hing immer noch an der Wand mit dem kleinen Unterschied, dass es in Streifen geschnitten war. Doch hinter dem prachtvollen Bilderrahmen entdeckte sie etwas Weißes hervorblitzen. ‚Hatte ihr Vater eine Nachricht hinterlassen.’ Neugierig ging sie auf das Bild zu und wie von ihr angenommen befand sich dahinter ein Kuvert. Nervös riss sie es auf und begann zu lesen, ihre Augen weiteten sich bei dem Geschriebenen. Währenddessen erkundeten Viktor und Alain die Stallungen. Gerade als sie den friedlich daliegenden Stall den Rücken kehrten wollten, hörten sie ein Rascheln, das aus einer der Pferdeboxen zu kommen schien. Beide Männer drehten sich blitzschnell um und warfen sich verständigende Blicke zu. Graf de Girodelle riss die Tür auf und Alain gab ihm Deckung. In der Box, auf Stroh kniend und mit Tränen in den Augen fanden sie Andrés Großmutter vor. „Bitte, bitte tut mir nichts, ich habe nichts was ich Euch geben könnte...“ Sie hatte ihre Brille nicht mehr und durch die Tränen in ihren Augen nahm sie nur Umrisse von Männern wahr. „Madame Grandier, ich bin es Graf de Girodelle, keine Angst wir tun Euch nichts, beruhigt Euch. Doch was macht Ihr hier im Stall?“ Die alte Frau atmete erleichtert auf. „Graf de Girodelle, ach was fällt mir ein Stein vom Herzen, verzeiht, dass ich Euch nicht erkannt habe, aber meine Brille ging zu Bruch als ich mich vor dem Mob in Sicherheit brachte. Sie haben alles durchwühlt und geschrieen, dass sie alle Adeligen umbringen würden. Sie kamen in der Nacht und schlugen alles kurz und klein.“ Jetzt mischte sich auch Alain ein, „und wie konntet Ihr fliehen, wenn man fragen darf?“ „Oh seid Ihr es Alain, wie schön Eure Stimme zu hören. Ach, es gibt einen geheimen Fluchtweg der unterirdisch vom Haupthaus zu den Stallungen führt. Die meisten haben ihn schon vergessen, doch Lady Oscar und André flüchteten so immer vor meinen Bestrafungen.“ Sie musste kurz über die Vergangenheit lächeln und fragte dann ängstlich, „Lady Oscar, wie geht es ihr und was ist mit meinen Enkel, könnt Ihr mir Auskunft geben?“ „Madame, beruhigt Euch, die zwei befinden sich im Haupthaus, wir sollten uns nun auf den Weg zu Ihnen begeben!“ Obwohl André öfters nach Oscar rief, erhielt er keine Antwort. War ihr etwas zugestoßen? Nein, sie stand nur wie angewurzelt im Arbeitszimmer ihres Vater. „Oscar? Oscar geht es dir nicht gut?“ Wieder kam keine Antwort. „Ähm, ah André, ich bin nur etwas verwirrt, dieser Brief, ich habe einen Brief von meinem Vater gefunden der sich an mich richtet.“ André ging auf sie zu und sah ihr über die Schulter. „Noch nie in meinem Leben war ich meinem Vater so nahe wie jetzt.“ „Was schreibt er dir denn, möchtest du es mir erzählen?“ „Ich kann nicht, André, es ist so unfassbar, lies bitte selbst.“ Das ließ sich André nicht zweimal sagen und nahm den Brief in seine Hände. ‚An Oscar, mein geliebtes Kind und Tochter! Viel zu schnell überschlugen sich die Ereignisse der letzten Tage um uns eine klärende Aussprache zu ermöglichen. Während ich diese Zeilen an dich verfasse, bin ich mir im vollen Bewusstsein wie sich die politische Situation in Frankreich und vor allem in Paris zuspitzen wird. Deswegen möchte ich dich von meiner dir auferlegten Pflicht entlassen, ich selbst kann das Handeln des Königs nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und trotzdem werde ich bis zu meinem Tod zu ihm stehen, da mir König Louis XV damals an seinem Sterbebett dieses Versprechen abnahm. Dir, Oscar, möchte ich die freie Wahl überlassen. Ich habe dich seit deiner Geburt so erzogen wie ich es wollte und wie ich es für richtig hielt, doch jetzt, in den Wirren der Revolution, würde es mir das Herz zerreißen, wenn du dein Leben lassen müsstest. Wenn du die Chance hast, nutze sie und fange ein neues Leben an, fernab von Paris und vielleicht fernab von Frankreich. Auch einer Heirat mit André würde ich zustimmen, wenn es dein Wunsch wäre. Er ist zwar kein Adeliger, aber er hat oft Mut bewiesen und war immer an deiner Seite gestanden. Ich weiß um seine Gefühle für dich seit langem und habe mich mit dieser Tatsache abgefunden. Mein liebes Kind, verzeih’ mir alle meine Fehler, ich weiß, dass ich bei der Revolution ums Leben kommen werde und ich möchte für so manch falsche Entscheidung um Vergebung bitten. Pass’ auf dich auf und höre immer auf dein Herz, dann kann dir, meine liebe Oscar, nichts geschehen. In Liebe dein Vater. André war genauso fassungslos wie Oscar. ‚Der General wusste von seinen Gefühlen, aber wie war das möglich, war es für alle andern denn so offensichtlich?’ Trotzdem fiel ihm ein Stein vom Herzen, dass sie sogar vom konservativen Familienoberhaupt den Segen für diese Verbindung erhielten. Stumm standen Oscar und André sich gegenüber. „Nun müssen wir nur noch deine Großmutter finden!“ „Diese Aufgabe könnt Ihr zu den Akten legen Kommandant!“, lachend brachten Graf de Girodelle und Alain Oscars langjährige Kinderfrau zur Tür herein. „Sophie, was bin ich glücklich dich gesund zu sehen!“ „Lady Oscar, ich würde vorschlagen, dass wir die heutige Nacht hier auf dem Anwesen verbringen werden. Jetzt noch eine andere Unterkunft zu finden wird sich mit Sicherheit als schwieriges Unterfangen herausstellen. Und die Vandalen werden sicher nicht noch ein zweites Mal hier auftauchen.“ „Ihr habt recht Viktor, lasst uns einen Raum suchen, der nicht zu stark verwüstet wurde, und dann Sophie, werden wir dir von unseren Erlebten erzählen und was wir uns für die Zukunft dachten!“ „Zukunft Lady Oscar? Ich verstehe nicht ganz?“ „Ach Großmutter, beruhigt Euch erst mal, Ihr werdet schon sehen, es wird alles gut werden!“ Als er dies sagte, legte er beschützend seine Arme um die Frau die ihn über die Jahre großgezogen und für ihn gesorgt hatte. Madame Grandier war gespannt darauf, was denn noch alles auf sie zukommen würde. Sie folgte der Gruppe in die Küche und ließ sich alle Begebenheiten bis ins kleinste Detail erzählen. Sie konnte nur schwer ihre Tränen zurückhalten, als sie von Andrés und Oscars Verletzungen hörte. Dafür war sie umso verzückter, als sie die Nachricht von einer baldigen Vermählung vernahm. Von der Absicht nach Spanien zu reisen erzählten sie der alten Dame noch nicht. Sie wollen sie zuerst in Sicherheit im Haus in Arras wissen. Sie würde es früh genug erfahren. Und so legten sich die Freunde schlafen. Sie wussten, dass morgen ein anstrengender Tag anbrechen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)