Schall und Rauch von Ryu-Stoepsel (Which path will you choose?) ================================================================================ Kapitel 30: ------------ Anmerkungen: 1. Sapphos = Lesben (Die antike griechische Dichterin Sappho, hatte in ihren Gedichten die Liebe zwischen Frauen besungen...) 2. Das Bild zu diesem Kapitel: http://wickedryu.deviantart.com/art/With-path-will-you-choose-95129164 ________________________________________________________________________________ Kapitel 30 Fiyero starrte die grüne Frau ohne jede Regung an. Ganz stumm und steif stand er dort. ‚Wie angewurzelt…’, dachte Elphaba abwartend. Aber auch sie selber konnte sich erst nicht rühren. Gerade, als sie in den Gürtel des Bademantels einen Knoten machen wollte, hatte sie ein schwaches Geräusch vernommen und sich daraufhin sofort herumgedreht – ohne den Knoten im Bademantel. Nun stand auch Elphaba unbeweglich dort, der Bademantel spaltete sich wieder in der Mitte und entblößte ihre linke Brust. Schnell zog sie an den Seiten des Mantels, sodass sie nun völlig darin eingewickelt war und so langsam wickelte sich auch ihre Fassung wieder auf. Den entgeisterten Blick der Vogelscheuche hatte sie in ihrer reflexartigen Handlung, sich zu verdecken, nicht wahrgenommen. Endlich löste sie sich aus der Starre und ging auf Fiyero zu. Mit nackten Füßen tippelte sie über den Teppich, bis sie vor ihrem ‚Yero’ stand - zwischen der schlafenden Glinda und ihrem Scheuch Yero. Elphaba hatte sich mit Absicht zwischen die beiden gestellt. Nun musste der Scheuch nicht laut mit ihr reden, weil sie direkt vor ihm stand. Glinda, so hoffte die grüne Hexe, würde also noch nicht wach werden. Dunkle Augen suchten die verblassten, aufgemalten Augen. Als Elphaba merkte, dass Fiyero ihr keine Aufmerksamkeit schenkte und sie beide angespannt waren, bekam sie Zweifel, ob es wirklich eine wohlüberlegte Handlung gewesen war, sich auch noch nun symbolisch zwischen die beiden zu stellen. ‚Auf welcher Seite stehe ich eigentlich…?’, reflektierte Elphaba ihre eigene Handlung. Sie kam jedoch zu keinem Ergebnis, aber dafür war die Zeit auch zu knapp bemessen. ‚Zumindest im Moment…’, dachte Elphie und schaute Fiyero wieder an. Die Vogelscheuche hatte die Hexe mit seinen Blicken nicht verfolgt und schaute noch immer geistesabwesend auf jene Stelle vor dem Schrank, auf welcher eben noch die schmale Frau gestanden hatte. Seine Arme hingen schlaff an den Seiten seines Körpers. Die grüne Hexe versuchte, aus seinem Gesicht zu lesen, doch ihr kam es vor, als würde nichts dort stehen. Nur Leere. Sie wollte etwas sagen, doch sie wusste nicht was. ‚Was soll ich tun? … mich direkt entschuldigen? … etwas zum Frühstück sagen? … einen Witz machen? Oz im Himmel; Hilfe…’, dachte sie verzweifelt und hoffte, Fiyero würde sie endlich ansehen. Doch er tat es nicht. Die Sekunden verstrichen langsam, doch Elphaba schien es, als würden Stunden vergehen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und flüsterte hauchend: „Yero… Ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig.“ Bei dem Wort ‚Yero’ hatte der Angesprochene endlich seinen Kopf gedreht und der Hexe genau in die Augen gesehen. Erst ausdruckslos, doch dann schien sich plötzlich ein Schatten über sein Gesicht gelegt zu haben, was andererseits bei Elphaba dazu führte, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Da war er wieder. Der Blick. Der Blick, den sie schon zwei oder drei Mal auf Yeros Gesicht gesehen, aber nicht gedeutet hatte. ‚Fae’ wartete angespannt, was er nun tun würde. Weiterhin starrte er sie an. Nach einigen Sekunden sagte er dann, ganz ruhig und in normaler Tonlage: „Nein, Elphaba. Ich habe schon verstanden.“ „Wie bitte?“, entgegnete Elphaba, erst verwirrt, gefolgt von einem fassungslosen Gesichtsausdruck. Sie starrte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und einem etwas geöffneten Mund an. Ihre Mundwinkel zuckten vor Anspannung leicht. Fiyero schüttelte nur den Kopf als er das sah, wandte den Blick ab und war mit einem Schritt neben seiner ‚Fae’, der nicht entgangen war, dass Fiyero sie mit ihrem richtigen Namen angesprochen hatte, was nur vorkam, wenn irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war… Als sie sich gerade fragte, was es wohl sein könnte und sich dabei verwundert zu Fiyero umdrehte, der nun vor ihr und an Glindas Seite stand, sah sie die sich vorbeugende Vogelscheuche an der blonden Frau rütteln: „Glinda, verdammt. Wach auf! Glin…“ „FIYERO!“, zischte Elphaba und zog die Vogelscheuche – nicht gerade unsanft – vom Bett weg. Diese wehrte sich nicht und als die grüne Hexe von der Scheuche abließ, trafen sich die Blicke der beiden. Die Eiseskälte war beinahe zu spüren. Nein, nicht beinahe, sie spürte die Kälte in seinem Blick… Fiyero nickte, sah Elphaba direkt in die Auge und sagte nur: „Aha.“ Das war zu viel für die grüne Frau. Eine solche Uneindeutigkeit konnte sie nicht länger ertragen. Er hatte nicht gefragt, er hatte nichts gesagt. Nur wie ein psychisch Kranker hatte er sich die letzten fünf Minuten aufgeführt und jetzt ‚Aha-te’ er sie noch einfältig von der Seite an, was sie gar nicht leiden konnte und er wusste das haargenau! Im übertragenen Sinne hieß dieser ‚Aha-Kommentar’ nicht anderes als: ‚Ich habe es doch gewusst!’ und weil Elphaba nicht mal den leisesten Schimmer von Fiyeros Annahmen hatte, wurde sie wirklich böse. Ein Blick auf Glinda rief sie aber wieder in die Realität zurück: Nicht sie sollte böse werden, sondern Fiyero wäre momentan der einzige, bei dem eine solche Gefühlslage verständlich gewesen wäre. ‚Aber wieso sagt er nichts?!’ Elphaba zog ihre Stirn in Falten. Die Blondine drehte sich im Bett mal hier und mal dorthin. Sie gähnte, schien aber noch tief zu schlafen. ‚Wenn wir uns nun hier auch noch streiten’, dachte die Hexe mit einer Mischung aus Fürsorge für Glinda und Ärger über Fiyero, ‚dann wird Glinda der tiefe Schlaf auch nicht mehr viel von Nutzen sein!’ Also griff Elphaba genervt und unruhig nach der Strohhand des unmöglichen Mannes, wie sie im Moment fand und zog ihn in Richtung Badezimmer. Und wieder zeigte er keine Gegenwehr. Wütend blieb Elphaba an der Badezimmertür stehen, hielt sich mit ihrer rechten Hand an der Türe fest und zog Fiyero mit der linken Hand eilig in das Badezimmer. Durch den Schwung musste die Hexe loslassen, um nicht mitgerissen zu werden und sah Fiyero stolpern, aber nicht fallen. Dann marschierte sie selber in das Badezimmer und schloss daraufhin die Tür hinter sich. Etwas lautstärker, als sie es eigentlich gewollt hatte, knallte die Badtür ins Schloss. Mit einem Ruck saß Glinda aufrecht im Bett. Hellwach. Total verwirrt. Total verwirrt, aber hellwach. ‚Wenigstens etwas….’, war Glindas erster Gedanke, welcher von leichtem Kopfweh abgelöst wurde. „Uuuh…“, stöhnte Glinda und hielt sich dann die blonden Locken. Vorsichtig massierte sie ihre Kopfhaut. Ihre Gedanken waren zurzeit sowieso nebelig und das war meistens nach großen Festen so, also hatte sie sich schon gestern Abend darauf eingestellt. ‚Und meistens kommen die Erinnerungen ja nach der Massage wieder…’, dachte sie fröhlich und freute sich über die warmen Sonnenstrahlen, die sie auf ihrem nackten Oberkörper trotz geschlossenen Augen fühlen konnte. ‚Nackte Oberkö…!?’, ruckartig und etwas panisch öffnete Glinda ihre blauen Augen, warf einen ängstlich erwartenden Blick neben sich und war mehr als froh, als kein Ramón dort lag. „Mist!“, hauchte Glinda, als sie versuchte, sich an den Abend zu erinnern. Sie wusste, irgendetwas mit Ramón war vorgefallen, dass sie nun Angst hatte, wenn sie ihn erwartete, … aber was? Und wieso war sie nackt? ‚Oz sei Dank! Nicht ganz nackt!’, seufzte Glinda in Gedanken, als sie vorsichtig unter die Bettdecke lugte. Irgendwie, so fand die blonde Schönheit, fühlte sie sich gar nicht wohl. Ihre Haare klebten wie nach einem schweißtreibenden Alptraum in ihrem Nacken und ihre helle Haut war ganz klamm. Als sie ihren Blick gedankenabwesend durch den Raum schweifen ließ und hoffte, die Erinnerungen würden gleich wiederkommen, hielt die blonde Frau auf einmal wie versteinert inne. Dann schaute sie nach links. ‚Ein Tablett mit Frühstück?’ Dann schaute sie nach rechts: ‚Mein Kleid… Meine Schuhe! Schwarze Kleidung?’ „Wo zum Ballon bin ich?“, noch mehr verwirrt als zuvor schaute sie sich im Zimmer um und suchte nach irgendwelchen Indizien, die ihr Auskunft über ihren Aufenthaltsort gaben. Glinda war zu durcheinander, um darüber nachzudenken, ob sie nun Angst haben oder ob sie doch eher neugierig sein sollte, weil sie keinen blassen Schimmer hatte, wo sie war. Durch das ganze Kopfgedrehe und das Hin und Her werfen, waren ihre Haare ihr ins Gesicht gefallen. Wie sie es dann immer machte, sobald sie von ihren Haaren genervt war, fuhr sie mit den Fingernägeln beider Hände über ihre rosigen Wangen, um die Haare wieder hinter ihre Ohren zu verbannen. Doch in dem Moment, als die Fingernägel über ihre Wangen strichen, fuhr Glinda vor Schmerz zusammen. Vorsichtig tastete sie ihre verwundete Wange ab. Ihre Fingerspitzen erfühlten frischen Schorf, doch darunter waren eindeutig drei tiefe Kratzer zu spüren. Mit ihrer Zungenspitze feuchtete sie den rechten Zeigefinger an und fuhr abermals, jedoch vorsichtiger als zuvor, über die Wunde. Anschließend hielt Glinda sich den Finger in Sichtweite vor ihr Gesicht und… ‚Blut?’, dachte sie geschockt. Durch die Feuchte ihres Speichels hatte sich etwas von dem getrockneten Blut und der verlaufenen Wimperntusche von ihrer Wange abgelöst und ergab nun eine merkwürdige Farbmischung, welche die blauen Augen noch immer entsetzt anstarrte. Dann plötzlich, wie nach einem Blackout, strömten die ersten Stücke ihrer Erinnerungen auf sie ein: ‚Blut. Fingernägel. Akaber? Ramón!’ Und da kamen auch die restlichen Erinnerungen wieder hoch…. Taumelnd fiel sie nach dem Tanz in die starken Arme. „Ramón, ich bin müde. Ramón, mir ist nicht gut. Ramón ich…“, ihre Stimme brach, die Augenlider wurden schwer. Nur noch fühlen konnte sie. Alles war schwarz. Sie hörte Stimmen und Musik aus weiter Ferne. Gelächter. Viele fremde Stimmen, viel fremdes Gelächter. „Londaro, schaff die zwei Sapphos hier weg! Bevor sie noch aufwachen…! Ich kann den Anblick nicht mehr ertragen. Ekelhaft, die Frauenliebenden Frauen!’ nuschelte eine Stimme an ihrem Ohr. Eine bekannte Stimme. Ramóns Stimme. „Wie Sapphos entstehen, würde mich wirklich mal interessieren. Und dabei ist Mer so ein heißes Geschoss. Mir kam es von Anfang an merkwürdig vor, dass sie mich immer abgewiesen hat! Dafür bekommt sie, wenn sie aufwacht, eine schöne Abreibung! Und ihre kleine Freundin bekommt ihr Programm noch im Schlaf! Das wird ihnen noch leid tun!“, sagte wieder eine bekannte Stimme. Danach folgte dreckiges Gelächter: „Du hast freies Spiel. Das war dein Lohn. Nun geh!“ Und beide Männer – Ramón und Londaro – lachten. Sie wollte ihre Beine auf den Boden setzen. Sie spürte sie nicht. Sie wollte sich mit ihren Armen aus denen von Ramón befreien. Nichts rührte sich. Sie wollte schreien. Stille. Dann gab sie den inneren Kampf auf. Schwärze. Irgendwann lichtete sich der Nebel und das erste, was Glinda wahrnahm… DONG DONG… Zwölf Mal. ‚Mitternacht’, dachte sie gequält und sogleich entsann sie sich wieder an die grausame Wende, die der doch so wundervolle Abend genommen hatte. Obwohl sie wusste, dass die Situation keine Fluchtwege offen ließ, schien ihr Körper bei den Erinnerungen an Meredith und Reseda wie von selbst zu kämpfen. Sie spürte ihre Beine noch immer nicht. Aber ihre Arme waren wieder kontrollierbar. Plötzlich Ramóns fester Griff. Schmerz. Panik. Mehr Panik. Noch mehr Schmerz. ‚Ich muss hier weg! Ich muss hier weg! Ich muss hier weg!’, ratterten ihre Gedanken im Stakkato durch ihren Kopf. Kopfschmerzen. Irgendwer schrie in ihr Ohr. Kopfhämmern. Stöhnen. ’Ich muss hier weg.’ Irgendwer hielt sie. Griff nach ihr. Drückte sie nah an sich heran. Männergeruch. Ramón. Übelkeit. Kontrolle! Männerarme griffen nach ihr, um sie zu stützen. ‚Ich muss hier weg!’ Sie wurde geführt. Luft. ‚Ich bin draußen. Lauft Beine, lauft!’ Ramóns Griff wurde fester. „Lass mich los!“, zischte sie. Gerede und Gestreite. Eine Frauenstimme mischte sich ein. Aylin! … Fassungslosigkeit. „Oh Aylin… Oh Aylin… Oh Aylin…“. Ihre eigenen Zitate wurden ihr ins Gehör gemeißelt. ‚Lauft Beine, lauft!’ „Sieh hin, du kleine Schlampe… Miststück!“ Schmerz. Brennen. Zerren. Ihr Handgelenk schmerzte so sehr, dass sie leise wimmerte. Plötzliche Helligkeit. Sie kniff die Augen zusammen. Regen. Sie wurde nass. Nass. Nass. Nass. Dann wieder, Blitze. Sie erhellten den Himmel. „Elphie…“, wimmerte sie und schrie. Sie schrie und schrie und… Schwärze. Rosenduft. Schwitzend und schwer atmend ließ sich Glinda zurück auf das Kopfkissen fallen und sank erschöpft in die Bettdecke. Sie zitterte und ihr war ganz und gar nicht gut. Eine Welle von Übelkeit schüttelte ihren Körper, sie konnte den Würgreiz nicht mehr unterdrücken und reflexartig beugte sie sich über die Bettkante. Doch es passierte nichts. Wieder schüttelte sich die Blondine, diesmal vor Ekel und überlegte angestrengt, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Als sie eine Hand auf ihre Magengegend legte, konnte sie die schmerzliche Leere beinahe fühlen. Automatisch langte sie hinüber zum Tablett, um sich eines der Brötchen zu nehmen. „Oh!“, murmelte sie überrascht, als sie die Wärme des Brotes in ihrer Hand fühlte. Daraufhin nahm sie auch noch den Quark und tunkte die Spitze des Brötchens hinein, dann biss sie ab. „Hmmmm…!“, entfuhr es ihr und Glinda dachte: ‚Wie himmlisch!’ Der blonde Lockenschopf versuchte mit Absicht, seinem Körper erstmal eine Pause von den Erinnerungen zu geben. Das war nun wirklich alles zu viel für sie gewesen. Als ‚Glinda die Gute’ leise vor sich hin das Brötchen knabberte, hielt sie nach kurzer Zeit lauschend inne. Ihr Herz begann zu rasen, noch bevor ihr Verstand begriff, was sich abspielte. Glinda war nicht alleine. Glinda war nicht im Palast. Glinda war… „Elphie….“, Glinda schnappte fassungslos, verwirrt und perplex nach Luft, als sie trotz der geschlossenen Türe das leise Gemurmel – oder Gestreite? – identifiziert hatte. „Yero, kannst du mir mal sag….“, gerade noch rechtzeitig hielt Elphaba inne. Fiyero stand mit dem Rücken zu ihr. ‚Denk daran: Du bist nicht die, die momentan in der Position dazu ist, Anklagen auszusprechen!’, mahnte sie sich in Gedanken selbst. Auch wenn es sie ärgerte, dass Fiyero sich so abweisend verhielt, setzte sie erneut an, diesmal sanfter: „Yero, bitte sprich doch mit mir. Ich weiß, ich sollte gerade nicht die Person von uns beiden sein, die wütend ist, aber ich kann mir nicht helfen. Ich verstehe dich nicht.“ Angespannt machte sie eine Pause. Fiyero musste doch irgendetwas zu dieser ganzen Misere zu sagen haben, doch noch immer stand er mit herabhängenden Armen und dem Rücken zur Türe, an welcher Elphaba auf eine Reaktion wartete. Langsam ging sie einen Schritt nach vorne: „Yero?“, flüsterte sie. Als er nicht reagierte, ging sie noch einen Schritt weiter und war nur noch eine Armlänge von ihm entfernt. Müde und verzweifelt schüttelte sie leicht den Kopf, sodass ihr Dutt ein bisschen wackelte und fuhr sich mit der linken Hand durch das rabenschwarze Haar. „Yero?“, diesmal klang es fast schon wie ein Flehen und die Vogelscheuche konnte zwar nicht fühlen, aber dennoch aus dem Augenwinkel die grüne Hand sehen, die sich langsam seiner Schulter näherte. Ohne jede Vorwarnung fuhr die Vogelscheuche ruckartig herum. Elphaba erschrak so sehr, dass sie mit einem leisen Aufschrei wieder einen Schritt nach hinten wich und schützend die Arme vor ihrem Oberkörper verschränkte. Fiyero hingegen stand nun wutschnaubend vor ihr, in einer ganz eigenartigen Haltung. Sein Körper war nach vorne gebeugt, wobei er seinen Kiefer noch mal extra nach vorne streckte, während seine Arme jedoch in Fäusten an seinen Hüften angelehnt waren und nach hinten zeigten. ‚Er sieht aus, als wäre er in eine Art Raserei verfallen…’, dachte Elphaba etwas angsterfüllt und als er nun einen großen Schritt auf sie zuging, wäre sie am liebsten ausgewichen. Doch sie blieb stehen und zwang sich, im Gegensatz zu ihm, ruhig zu atmen und ihre Arme in eine normale Position zu bringen. Ihre scheinbare Gelassenheit brachte ihn nur noch mehr in Rage und wutentbrannt maulte er sie an: „Was, Elphaba? Was? Was für eine Erklärung? Wie willst du mir erklären, dass meine Ex-Verlobte und deine ‚Freundin’ nackt in unserem Bett liegt und wohlig schläft? WIE, zum Ballon, Elphaba, WIE willst du mir DAS erklären?“ Das Wort ‚Freundin’ hatte er beinahe ausgespuckt, weswegen Elphabas Augenbrauen aufmerksam in die Höhe schnellten. „Was ist das immer für ein Blick?“, fragte Elphaba ganz unvermittelt in sein Geschnaube und Geschimpfe hinein. „WAS?“, war die erwartete Antwort und die grüne Hexe blickte in ein verstörtes Gesicht. Sie wusste, eine Diskussion auf emotional aufgewirbelter Basis würde kein gutes Ende nehmen, also erklärte sie ihm ganz nüchtern: „Ich habe diesen Ausdruck schon das ein oder andere Mal in deinen Augen gesehen, aber nie war es mir möglich, dahinter zusteigen, was du denkst oder was der Anlass für einen solch düsteren Blick ist. Das erste Mal sah ich ihn am Tag meines offiziellen Todes, als du mir und auch dir verboten hast, irgendjemandem von meinem Überleben zu erzählen, insbesondere Glinda. Und einmal habe ich den Blick bemerkt, als du mich mit der Glasschale in den Händen erwischt hast. Ist der Grund dafür vielleicht deine Angst, dass ich uns verraten könnte? Dass man mich finden und doch noch … umbringen würde?“ Fassungslos starrte Fiyero seine Fae an. Er konnte nicht glauben, dass sie, gerade SIE, eine solch’ naive Frage stellen würde. Doch dann besann sich der Scheuch, denn er wusste, dass Elphaba keine naiven Fragen stellen würde, egal, in welcher Situation. Also musste sie doch wirklich von dieser Begebenheit ausgehen, oder? Ausgiebig ließ Fiyero seine Blicke auf dem grünen Gesicht wandern, welches ihn die ganze Zeit über erwartend und ungeduldig ansah. Die dunklen Augen umrahmt von langen, schwarzen Wimpern, die feinen Augenbrauen, die spitze, schmale Nase und der etwas dunkelgrünere und doch so verführerische Mund. Fiyero seufzte. Dann sah der Scheuch der Hexe wieder in die braunen Augen. Er sah auch etwas Schmerz in dem Blick, aber keine Verlogenheit. ‚Ich will ihr so gerne glauben…’, dachte er beinahe verzweifelt und sah Elphaba wieder an, ‚Ich liebe sie doch so sehr, meine schöne Fae.’ Also schob er alle seine Zweifel und seine ganze Wut zur Seite, um klar denken und sich mit seiner Fae aussprechen zu können. ‚Bestimmt’, dachte er, ‚gibt es einen guten Grund für das alles und der Grund wird auch ein Beweis dafür sein, dass meine Annahme in die total falsche Richtung tendierte. Ganz bestimmt…’ Dann seufzte er tief. Elphaba, die nicht wusste, ob das ein gutes oder doch eher schlechtes Vorzeichen war, blieb still und regungslos. Ihre Frage stand noch immer unbeantwortet im Raum. „Fae…“, setzte Fiyero verzweifelt nach den richtigen Worten suchend an, „… es ist vielleicht ein bisschen anders, als du es dir denkst, aber ja, das Ergebnis bleibt wohl das gleiche: Ich hatte einfach Angst dich zu verlieren. Ich habe mich immer gefragt, ob du so glücklich sein kannst. So – das heißt – mit Kiamo Ko, mit der Isolation, mit … mir…“, kurz hielt er inne, doch als er sah, dass Elphaba etwas sagen wollte, fuhr er schnell fort: „Oder eben mit uns. Als zwischenmenschlich kann man das nun nicht gerade bezeichnen. Ich kann dir kaum…“ „Yero…“, unterbrach die grüne Hexe die Vogelscheuche dann doch sanft. Sie verspürte ein dringendes Bedürfnis nach der Frage, was genau Fiyero denn nun gemeint hatte mit: ‚anders als du denkst’, aber Elphaba wollte die Scheuche nicht abermals verärgern. Also stellte sie dieses Bedürfnis in die Warteschlange all ihrer anderen Bedürfnisse und hoffte einfach, er würde es ihr irgendwann sagen, wenn die Zeit dazu gekommen war. „Yero, mein lieber Yero…“, flüsterte die Frau sanft, als sie langsam einen Schritt auf den Scheuch zumachte und ihre Hände auf seine Schultern legte. Dann sah sie ihm beinahe zärtlich in die Augen und überlegte: ‚Ich muss jetzt gut aufpassen, was ich sage. Yero darf auf keinen Fall sauer oder böse werden. Wer weiß, was Glinda tut, wenn sie aufwacht. Aber zwei von dieser Sorte kann ich nicht bändigen…’ „Was lässt dich glauben, dass ich freiwillig von dir gehen könnte? Dieses Leben, da hast du wohl recht, ist – bei Oz - nicht das Leben, was ich mir damals in Shiz ausgemalt habe. Aber damals kannte ich doch auch die ländlichen Intrigen und die ozianischen Verlogenheiten noch nicht. Und nun… Ja, was ist nun? …’, sie lächelte verträumt, ’Für mich gibt es im Land keinen schöneren Ort als Kiamo Ko. Die hohe Lage, die Luft, diese Burg hier, umrandet von wunderschönem Wald und weiten Wiesen und Feldern. Hand in Hand in den Sonnenuntergang spazieren… oder in den Sonnenaufgang hinein… Was gibt es da wundervolleres?“ Die beiden ungewöhnlichen Gestalten verstummten kurz mit einem Blick aus dem Badezimmerfenster, durch welches nun die ersten warmen Sonnenstrahlen fielen. Fiyero erinnerte sich an die erste Zeit auf Kiamo Ko, als er und seine Fae beinahe täglich einen solchen Spaziergang gemacht hatten. ‚Damals…’, schwelgte er lautlos in Erinnerungen, ‚Ja, damals… Kurz bevor du so abweisend geworden bist, Fae und bis heute weiß ich nicht, warum…’ „Und, ja… die soziale Isolation…“, hörte er Elphaba kichern, „Nenne mir doch mal bitte eine Person, für welche ich mich freiwillig in das soziale Leben stürzen würde?“ Beide wussten, dass es eine rhetorische Frage war, denn auch beide kannten die wirkliche Antwort: Es gab eine solche Person. Aber auch beide schwiegen. Elphaba befand es als geeigneter für die Situation, Fiyeros Schweigen als stille Zustimmung aufzufassen und sagte dann grinsend: „Siehst du! Ich war noch nie sehr kontaktfreudig, also mache dir bitte um so etwas keine Gedanken. Und mit dir.. Wieso redest du eigentlich immer davon, dass ich mit dir nicht glücklich bin? Was gibt dir Anlass dazu? Sind das Selbstzweifel oder… oder zweifelst du an mir?“ Bei der letzten Frage war Elphies Mund ohne Vorwarnung ganz trocken geworden und sie hatte erst einmal schlucken müssen, bevor sie auch den letzten Teil hatte fragen können. Aber vor langer Zeit schon hatte sie den Versuch aufgegeben, ihren Körper zu verstehen… „Wie ich darauf komme?“, fragte Fiyero beinahe entsetzt, aber trotzdem in ruhiger Tonlage, „Fae, ich kann dir kaum Wärme oder Zuneigung geben und die Art von Zuneigung, die beispielsweise in einer richtigen Beziehung unausweichlich ist, lässt du erstens nicht zu und zweites bin ich auch nicht in der Lage, dir dort gerecht zu werden. Es ist so… komisch. Weißt du, ich habe Fragen über Fragen immer wieder in mich hinein gefressen, weil viele Sachen einfach keinen Sinn machen. Aber du hast immer gesagt, dir ginge es gut so und es ist alles was du willst. Und dann…“ „Ja, aber es ist doch auch so! Das ist alles, was ich…“, begann Elphaba, doch sogleich wurde sie von Fiyero unsanft wieder unterbrochen: „Lass mich ausreden! … Weißt du, auf der einen Seite sagst du, es wäre alles in Ordnung so, aber auf der anderen Seite handelst du deinem selber Gesagten entgegen!“ Nun sah er sie abwartend an. Die grüne Stirn war in Falten gelegt – ob es Denk- oder Frustrationsfalten waren, konnte Yero nicht ganz klar sagen. „Ich wollte eben sagen“, holte Elphaba erneut aus, „dass das hier doch alles ist, was ich will. Oder nicht? Ich habe mich doch damals für dich entschieden und für das Leben hier. Oder nicht?“ Sie sah ihn fragend an. Ihr Blick hatte etwas herausforderndes, was in Fiyero wieder eine Welle von Zorn auslöste. Erst wollte er ihr die ‚Entscheidung’ von damals vor Augen führen, doch in letzter Sekunde entschloss er sich dazu, dies auf später zu verschieben: ‚Es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt…’, dachte er und fragte dann: „Gut. Wenn du das so sagst. Aber dann sage mir mal noch eines: Warum hast du dich denn für das Leben hier entschieden? Hm? Wieso hast du dich für MICH entschieden? Na?“ Elphaba merkte nun, dass sie sich gegenseitig mit ihren provozierenden Fragen hochschaukelten und deswegen versuchte sie, so ruhig wie es ihr noch möglich war, zu antworten: „Ich habe mich für dich, das Leben hier und was diese Entscheidung mit sich gebracht hat, entschieden, weil du so viel für mich getan hast. Du hast mir als einziger auf der Welt bewiesen, wie es sich anfühlt, wenn jemand wirklich um den anderen kämpft oder für ihn kämpft. Ich weiß nun, was es bedeutet, geliebt zu werden. Ich weiß nun, was ‚in guten und in schlechten Zeiten’ bedeutet und dies hier ist eben gerade … keine gute Zeit. Aber wenn wir das hinter uns haben, Yero, dann… ja dann kommen ganz bestimmt auch wieder gute Zeiten!“ „Liebst du mich?“, fragte Fiyero ganz ruhig aus heiterem Himmel, sehr zur Verwirrung der grünen Hexe. „Was?“, fragte sie verdutzt, als hätte sie sich verhört, doch Fiyero ahnte, dass es reine Zeitschindung war. ‚Jetzt ist der richtige Zeitpunkt!’, stellte die Vogelscheuche fest und erklärte seiner Fae ihre Situation von damals: „Elphaba, du hast dich damals nicht für mich entschieden. Du hattest keine Wahl!“ „Natürlich hatte ich die!“, unterbrach die Angesprochene wild. Langsam wurde Fiyero wütend: „Ach ja? Was denn für eine? Tod oder Fiyero? Da nimmt frau doch lieber das kleinere Übel! Gib es zu, Fae. Du hast dich nur aus Schuldgefühlen dazu HERABGELASSEN, den Rest deines Lebens mit mir zu verbringen. Hättest du damals eine Wahl gehabt, wäre ich leer ausgegangen!“ „Fiyero!“, nun war auch Elphaba wütend, verwirrt und verletzt: „Wie kommst du auf so einen Unfug?“ „Wie ich..? Pah!“, rief Fiyero empört aus, „Du erzählst mir, ich und das Leben hier wären alles was du brauchst und je wolltest. Und dann muss ich mit ansehen, wie du Monat für Monat, Woche für Woche, Glindas Treiben durch dein Glasdingens verfolgst! Ich muss mit anhören, wie du von ihr träumst! Ich muss mir sogar von deinem AFFEN immer wieder ‚Glinda hier, Glinda da’ anhören und das wahrscheinlich nur, weil du mit IHM über unsere ‚Gute’“, er schleuderte ihr das Wort förmlich ins Gesicht, „gesprochen hast, weil du mit MIR über sie nicht sprechen kannst. Aber, ich frage dich Fae, wenn ich doch alles bin, was du willst, wieso sprichst du dann mit dem AFFEN und nicht mit mir über etwas, wenn es doch sowieso keine Bedeutung für dich hat? Wieso, Fae, sitzt du andauernd träumend vor Glindas Abbild in der Glasschale und schaust ihr zu, wie sie Oz regiert? WIESO um alles in Oz bittest du mich, dich eine Nacht alleine zu lassen und am nächsten Morgen liegt nicht das Abbild, sondern die Person selber in UNSEREM Bett? Elphaba, WIESO?“ Elphaba wich eine Schritt zurück. In dem Gefühlschaos, das gerade in ihr tobte, fand sie auf diese vorwurfsvollen Fragen im ersten Moment keine Antwort. Resigniert blickte sie zu Boden… Tränen sammelten sich in ihren Augen, bis ihre Sicht beinahe ganz verschwommen war. Wütend wischte sich Glinda die salzigen Perlen von den Wangen. Das Salz brannte in ihren Wunden und ihre Finger wurden sofort schwarz von der verwischten Wimperntusche. Nun hatte sie aber wirklich genug gehört. Sie war sauer und wütend, traurig und froh, aber am meisten fühlte sie sich hintergangen. ‚Sie hat mich jeden Tag beobachtet und gesehen, was ich mache? Und dann hat sie nicht mal den Anstand gehabt, mich aus meiner elenden Trauerphase zu befreien und mir zu sagen, dass sie noch lebt?’ Ungläubig schüttelte sie ihre blonden Locken. ‚Diese Frau ist einfach nur unmöglich!’, dachte Glinda fassungslos. Sie wusste nicht, ob sie eher froh sein sollte, dass ihre Elphie noch lebte oder ob sie doch besser sauer sein sollte, weil sie sich nun schon zum zweiten Mal Fiyero geschnappt hatte. Dann besann sie sich kurz: ‚Nein, ich bin am meisten enttäuscht und verletzt, dass sie mir nicht mal vertraut und meint, es wäre besser, wenn ich ewig leide. Ich bin so enttäuscht, dass es sogar physisch schmerzt. Das war zuviel!’, beschloss die blonde Frau und stieg leise aus dem Bett. Sie fühlte sich miserabel und hintergangen. Miserabel hintergangen traf es wohl auch. Doch zu dem Zeitpunkt, als sie nun in Elphabas Kleiderschrank lautlos nach Anziehsachen suchte, konnte sie noch gar nicht beschreiben, was sie genau fühlte. Aber eines war sicher: Der Schmerz und die Wut waren größer als die Freude über die überraschenderweise lebendige Freundin. Schnell zog Glinda ein ausdrucksloses, schwarzes Leinenkleid aus dem Schrank und schlüpfte hinein. Um ihren Busen spannte es etwas, aber sie hatte keine Zeit, sich damit zu befassen. Außerdem ging sie eh davon aus, dass sie in diesem Schrank nichts finden würde, was ihr zusagte. Glinda wollte einfach nur raus aus diesem Alptraum. Doch nun stand sie regungslos dort, vor dem Schrank und wartete darauf, dass irgendetwas die entstandene Stille brach. Aus dem Badezimmer drang kein Laut mehr. Sie bildete sich ein, viel zu lange dort im Bett gesessen und gelauscht zu haben. Sie fragte sich, ob sie das alles wirklich hatte mit anhören sollen, geschweige denn wollen. Sie war hin und her gerissen, zwischen den Optionen stehen bleiben oder weglaufen. Doch dann, plötzlich hörte Glinda leise Elphabas wimmernde Stimme, die die Stille sanft, aber dennoch für Glinda scheinbar schmerzend unterbrach. Tränen schossen Widerwillen in die sonst so wunderschön klaren blauen Augen. „Ich kann das nicht… Ich halte das nicht aus…“, raunte Glinda zwischen Tränen und Zittern. Die blonde Frau drehte sich um und lief lautlos zur Türe. Genauso lautlos öffnete sie diese und schlängelte sich durch den Spalt. Ihre nackten Füße tapsten auf den kalten Steinstufen der langen Treppe, als ‚Glinda die Gute’ fluchtartig Kiamo Ko verließ. ‚Glinda die Gute ist böse betrogen worden!’, dachte sie sehr selbstironisch, biss sich auf die Unterlippe, um die erneut aufsteigenden Tränen zu unterdrücken und rannte in den dunklen Wald hinein. Sie lief so lange, bis der Schmerz ihrer Füße größer war, als der, der von ihrem Herzen aus zu kommen schien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)