Wolfsamurai Kibaakira von abgemeldet (Die Geschichte von Kibaakira) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Wolfsamurai Kibaakira Kapitel 1. „Das Schwert eines Samurai dient nie dem Samurai. Es steht stets und ewig im Dienst seines Herren. Das macht den Bushido so ehrenwert und erhaben. Die Ronin sind Beleidigung. Ihre Schwerter sind unkontrolliert und kennen nur den Durst nach Blut und Zerstörung.“ - Tokugawa Ieyasumaku, der zweite Shogun des Reiches Nippongahara Vorwort: „Ich habe ihn getroffen und mich entschieden, über ihn zu schreiben. Wenn man mich kennt, dann weiß man, dass ich nichts Langeweile tue. Ich bin kein Geschichtsschreiber oder Ähnliches. Doch er und ich waren etwas wie Freunde, also finde ich es nur gerecht. Und vielleicht wird jemand aus dieser Geschichte ein Theaterstück machen wollen. Das wäre eine Ehre für mich. Und die Chance, ein Vermögen zu machen.“ - Der Autor Yaitobakka der Lügende Feigling Prolog. Der Junge war kaum zwölf Jahre alt und eigentlich auf die Führsorge angewiesen, die Eltern zu bieten gehabt hätten. Er hätte ein sicheres Heim gebraucht. Ein Vater, der ihn das Arbeiten lehrte und eine Mutter, die ihn tröstete, wenn er sich wehgetan hatte. Ein kleiner Mensch konnte doch unmöglich ohne andere Menschen in so einer Welt überleben. Doch bisher hatte er es geschafft, wenn auch leidend und sich einsam durch die Pfade seines Daseins quälend. Er rannte wie so oft und wusste nicht in welche Richtung er sollte. Wie immer. So schnell ihn seine schmerzenden Beine noch tragen konnten, raste er vorbei an Bäumen und Sträuchern, während hinter ihm wildes Gebell und Geheul ertönte. Dornen und Zweige hatten längst tiefe Kratzer auf seinen Armen, Beinen und in seinem Gesicht hinterlassen, aus denen das Blut des unschuldigen und doch verhassten Kindes floss. Doch der Junge weinte nicht. Die wildesten Bestien, die es in diesen Wäldern zu finden gab, waren hinter ihm her, dennoch waren die Quellen der Tränen scheinbar endgültig versiegt. Konnten sie denn etwas ändern? Machten sie ungeschehen, dass er aus seinem Heimatdorf in die Wildnis gejagt worden war von seinem eigenen Vater nach dem Tod seiner Mutter? Sein Weinen hatte den Mann auch nicht umgestimmt, der immer wieder nur das Wort „Bastard“ benutzt hatte. Nicht „Sohn“ und auch nicht „Mein Junge“. Dabei wusste das Kind nicht einmal, was ein Bastard war! Natürlich war er nicht dumm gewesen und hatte gefragt. Ein Faustschlag mitten in sein Gesicht war die Antwort gewesen. Seitdem war er allein und musste fliehen. Vor der unverständlichen Wut seines Vaters und dem Hunger der Bestien hinter sich. Schon mehrere Tage waren ins Land Nippongahara gegangen. Er hatte auf hohen Bäumen gekauert und Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge gesehen. Es war wohl genug Zeit vergangen, um keine Tränen mehr übrig zu haben. Er aß wenig, er schlief wenig. Er würde wohl sterben. Wann? Bald. Plötzlich riss es den Jungen von den Beinen. Er wusste, was passiert war. Er musste über eine unglücklich in seinen Weg gewachsene Wurzel gestolpert sein. Mit dem Gesicht voran schlug er auf und spürte den metallenen Geschmack in seinem Mund, den er so hasste. Er musste sich auf die Zunge gebissen haben. Es tat höllisch weh. Über sich hörte er Vogelschreie, die auslachend klangen. So gerne hätte er einen Stein genommen und nach dem dummen Vieh geworfen. Dann kam ihm jedoch ein Gedanke. Das Federvieh, in welchem Baum es auch immer saß, hatte Angst. Zu spät. Er hörte das Knurren schon ganz nahe. Langsam wandte sich der Junge mit dem krausen Haaren um, während alle Hoffnung in ihm erstarb. Er zitterte am ganzen Körper. Dort stand er. Ein schwarzfelliger Teufelsaugenwolf. Ein Monster auf vier Beinen, aus dessen Maul der Geifer floss, während es die messerscharfen Reißzähne fletschte. Der erste des Rudels hatte ihn erreicht, senkte angriffsbereit das Haupt und wartete auf den richtigen Moment. Der Junge kannte jede der schrecklichen Geschichten über diese Raubtiere. Sie waren blutrünstiger und auch intelligenter als andere Wölfe. Und sie hatten Geduld. Schließlich verfolgte das Rudel das Kind schon mehrere Tage durch den Wald. Der Junge wusste, er würde sterben und schloss die Augen. Er wollte es nicht sehen. Er wollte, dass es nicht da war. In seinen Gedanken rettete er sich nach Hause, wo ihn seine Mutter lächelnd erwartete. Sie sang ihm mit ihrer zarten Stimme ein wunderschönes Lied, während sie auf ihrem viersaitigen Shamisen aus dunkelbraunem Holz begleitende Töne spielte. Die Sonne eines Sommers, der diesen Namen verdiente, schien auf die Welt herab, während ein einzelner Mann, der eine schlanke aber doch muskulöse Statur an den Tag legte, seiner Wege ging. Die Blicke aus seinen Augen waren nicht frei von Verstand, zeigten jedoch kein sichtliches Gefühl. Die Ume-bäume an den Rändern des Weges und die restliche Flora wurden gänzlich von ihm ignoriert. Schöne Blumen und auch das Rascheln der Blätter, wenn es keine Feinde verriet, waren da, wurden bemerkt, aber nicht beobachtet. Er war wie ein streunendes Tier. Welcher Wildhund würde sich Zeit nehmen, sich Blüten anzusehen, nur weil es Geister gab, die in ihnen eine gewisse Schönheit zu erkennen glaubten? Das sahen die Instinkte eines wilden Hundes nicht vor? Und ebenfalls nicht die reine Kampfeslust, die diesen Ronin antrieb und am Leben hielt. Das Knurren des Wolfes wurde immer lauter und es wurde schwieriger für den kleinen Jungen, sich in seinen Gedanken zu vergraben. Er versuchte, eine Festung des Vergessens aufzubauen. Er würde zerrissen werden, doch wenn er es mitbekam, würde es vielleicht nicht einmal wehtun. Doch auch Erinnerungen konnten schmerzhaft sein, machte der Junge die Erfahrung, als er vor seinem inneren Auge seine Mutter sah. Ihre langen schwarzen Haare schweißnass und ihr Gesicht blass wie weißer Schnee lag sie krank und schwer atmend in ihrem Bett, an welchem er gehockt und ihre Hand gehalten hatte. Ihre Lippen waren aufgesprungen gewesen und doch wusste sie, wie sie ihrem Sohn hatte eine Freude machen können. Sie hatte gesungen. Ihre Stimme war schwach gewesen, brüchig und oft zu einem unverständlichen Murmeln geworden, das von gelegentlichem Husten unterbrochen worden war, dennoch hatte ihre Stimme nie so schön geklungen. Irgendwann hatte sie aufgehört und ihn angesehen. „Was geht dir durch den Kopf? Sag es mir, Sohn.“ „Wirst du sterben?“, fragte der Junge und würde nie das Lächeln vergessen, das sie ihm geschenkt hatte. Es war so unglaublich traurig gewesen. Ohne wirkliche Freude aber mit viel Liebe. Er machte einen Schritt nach dem anderen und das seit Stunden ohne Unterbrechung, während seine Wanderung als Ganzes schon Jahre umfasste, die ihn geformt und stärker gemacht hatten. Das Katana an seinem Gürtel zeigte, was er war. Ein Krieger, der sich ein Ziel gesetzt hatte. Das Ziel, stärker als alle Menschen zu werden, die es auf dieser Welt gab. So lautete der Zweck, wieso sein Herz schlug und seine Knochen mit Haut umfasst waren. Er war mehr als ein Ronin. Er war kein umherziehender Schwertkämpfer ohne Herren. Er bekam seine Befehle von der höchsten Instanz, weit über jeden Thron, auf dem ein Mensch saß. Er war Diener seiner eigenen Instinkte und seines Zieles. Welcher Ronin und welcher Samurai konnte das von sich behaupten? Der Wolf kam näher und näher. Seinen stinkenden Atem konnte der Junge schon spüren, während er sich innerlich am Bett seiner Mutter befand. „Ich will das nicht!“, hatte er zu ihr gesagt. Laut hatte er geschluchzt. Es war ein komisches Gefühl, sich selbst so zu hören. „Du sollst bei mir bleiben, Mama! Bitte!“ Sie hatte ihm die Hand auf die Wange gelegt und den Kopf geschüttelt. „Es tut mir leid...“ „Dann nimm mich mit!“, hatte der Junge gefleht, der auf der Welt doch nichts anderes hatte als sie. „Ich sterbe mit dir! Ich will nicht allein sein!“ „Du wirst ein starker Mann werden. Und du wirst glücklich sein. Ich will die Welt in guten Händen wissen bevor ich gehe.“ Sie hatte gelächelt und dann fortgesetzt. „Wenn ein Junge, der so herzensgut ist wie du, ein Mann wird, dann kann die Zukunft mit Hoffnung gesehen werden. Du darfst nicht sterben…Kibaakira…“ Ein Jaulen riss ihn aus seinen Erinnerungen und der Junge riss die Augen auf. Der Wolf, der ihn eben hatte angreifen wollen, war von einem anderen seiner Art gepackt worden. Diese neue und viel größere Bestie hatte ihre Fänge tief in den Hals ihres Artgenossen geschlagen und warf sich mit ihm ins Gebüsch. Er konnte den weiteren Kampf nicht sehen, doch hörte es sich an, als würden zwei schreckliche Dämonen aus Gruselgeschichten übereinander herfallen. Der Junge hörte das Heulen der anderen Wölfe, die ihn noch nicht erreicht hatten und so rannte er los. Weiter in die Richtung, die nur von den Raubtieren wegführen musste, um gut zu sein. Die Jagd verlief noch lange auf diese Weise, bis er eine Lichtung im Wald erreichte und dort neben einem Baumstumpf zusammenbrach. Er konnte nicht mehr und es war schwierig für ihn sich selbst wieder auf die Beine zu stemmen, während die schwarzen Teufelsaugenwölfe einer nach dem anderen aus dem Wald trat. Sie kamen auf ihm zu und zogen einen weiten Kreis, um ihn zu umzingeln. Es waren fünf, vielleicht sechs. Bei einem Seitenblick erkannte er es. Etwas steckte in dem Baumstumpf. Eine Waffe. Seine Hand legte sich auf den schwarz umwickelten Griff seines Katana, das ihm wie vom Schicksal gegeben worden war. Das von ihm selbst als Ichi-Yamokami bezeichnete Schwert war, so weit er es bewerten konnte, eine Waffe von größter Qualität, mit der er zerstören und töten konnte und es auch tat. Dass die Klinge ihre Perfektion schon lange eingebüßt hatte, war an den Kerben, auch wenn sie klein waren, deutlich. Dennoch hielt es den vielen Gegnern stand, er tötete und würde auch noch denen standhalten, die er noch umbringen würde. Und diese würde ohne Zweifel zahlreich sein. Doch jeder besiegte Gegner war nur ein Schritt auf einem langen Weg zur größtmöglichen Stärke. Die Natur des Ronin, der wie ein Wildhund war. Es war ein Katana! Ein Schwert mit schwarzer Griffwicklung und einem fast rundlichen Stichblatt. Der Junge verstand es nicht. Wollten die Götter dieses Waldes über ihn lachen? Oder wollten sie, dass er um sein Leben kämpfe? Kämpfen, wie es die Samurai in den Geschichten taten? „Ich soll leben.“, war ihm durch den Kopf gegangen. „Ich soll stark werden.“ Das hatte seine Mutter gewollt, bevor sie gestorben war. Doch dafür musste er überleben. Von Wölfen zerfleischt konnte er nicht die Wünsche seiner Mutter erfüllen. Sie war der einzige Mensch dieser Welt gewesen, der etwas bedeutet hatte. Er zog die mit kleinen Kerben überzogene Klinge aus dem Baumüberrest. Die Waffe fühlte sich merkwürdig in seinen Händen an. Nicht fremd. Der erste Wolf war losgestürmt und der Junge hatte schreiend reagiert und mit dem Katana zugeschlagen. Die Klinge war durch die Luft gesaust und der Wolf hatte einen Satz zur Seite gemacht und dann auf Abstand gegangen. Auch die anderen Bestien hatte der Junge, der sich in diesem Moment allmählich in einen Krieger verwandelte, durch Hiebe auf Distanz halten können. Doch dann kam er. Der riesige Teufelsaugenwolf, der seinen Artgenossen umgebracht hatte, trat aus dem Wald und die anderen des Rudels senkten die Köpfe duckend und kniffen ihre Ruten zwischen die Beine. Der Junge musste nicht überlegen. Er wusste, wer der Anführer dieses Rudels war. Die größte Gefahr. Er wollte nicht sterben. Der riesige Wolf fletschte die gewaltigen Zähne, während seine Schnauze noch mit dem Blut beschmiert war, das im Kampf mit seinem Artgenossen vergossen worden war. „Ich werde nicht sterben.“, sagte der Junge zu sich selbst und hielt das Katana zitternd mit beiden Händen. „Ich werde stark werden!!“, schrie er dem Wolf entgegen und stürmte dann auf ihn zu. Der riesige Wolf kläffte und rannte ihm dann entgegen. Das Ungetüm sprang. Der Junge schrie voller Kampfeswillen. Ein schreckliches Maul öffnete sich. Ein Schwert durchschnitt die Luft. Vögel schraken auf und flogen in Schwärmen davon. Blut spritzte. Der Anblick des Ronin war Furcht einflößend, aber nicht edel. Das Hochmütige eines Schwertkämpfers fehlte völlig, während die ausgestrahlte Gefährlichkeit stark war. Jeder, der ihm begegnete, wusste einfach, dass er bedrohlich war. Traf er auf einfache Bauern, dann machten diese schnell den Weg frei. Saß er in einem Gasthaus, beeilte man sich, ihn zu bedienen. Dabei würde er sich niemals an den Schwächlingen vergreifen. Er suchte Kämpfte, die ihn stärker machten und nicht seine Hände sinnlos beschmutzten. Hatte er aber einen starken Gegner gefunden, kannte er keine Gnade und auch keine Schonung. Es ging stets um alles oder nichts. Leben oder Tod. Wie an der Tatsache, dass er noch lebte, ersichtlich, war er bisher ungeschlagen. Sein Leben hatte jedoch schon große Spuren auf seinem Fleisch hinterlassen. Gewaltige Narben an seinem Hals, seinen Unterarmen und Beinen, die einmal klaffende Bisswunden gewesen waren. Dazu kamen die ehemaligen Verwundungen, die von Klingen stammten. Eine zog sich senkrecht über seinen Bauch, während auf seinem Rücken ein chaotisches Netz von kleineren Narben gleicher Herkunftsweise betrachtet werden konnte. Der etwa achtzehn Jahre alte Ronin schämte sich ihrer wegen aber nicht. Er empfand sie nicht als hässlich oder entstellend. Er war sie und sie waren er. Egal wie erschrocken die Blicke der Menschen waren. Wahrscheinlich verstanden sie ihn nicht, aber das war der Wildhundseele völlig egal. Seine langen und ungezähmten schwarzen Haare trug er offen, wie es sich nicht für einen edelvollen Schwertkämpfer gebührte. Auch Kleidung trug er nicht viel. Nur eine bis zu den Knien reichende bräunliche Stoffhose, getragen von einem weißen Stoffgürtel, den man als Obi bezeichnete. An diesem hingen ein Sack mit Geld, der so gut wie leer war und sein Katana, das in seiner schwarzen und schmucklosen Scheide steckte, die er extra für das Schwert hatte anfertigen lassen vor einigen Jahren. Das Ichi-Yamokami, ein treuer Begleiter seit seiner Kindheit. An den Füßen hatte er nichts. Bei jedem Schritt des Wanderns, war es seine Haut, die den Boden berührte. Er brauchte nicht mehr, denn mehr hatte in seinem Dasein keine Bedeutung. Das, was er am Körper trug und die Gegner, auf die er gelegentlich traf. Geräusche ließen den Ronin, den man Kibaakira nannte, aufsehen. Am Wegesrand auf der anderen Seite waren drei gerüstete Soldaten mit jemand beschäftigt, der wohl einige Jahre jünger war als die Windhundseele selbst. Zwei hielten ihn fest, während der Dritte Soldat ihm Schläge und Tritte verpasste. „Feiglinge.“, ging es Kibaakira durch den Kopf, doch zu mehr war sein Interesse an dieser Situation nicht stark genug. Vor drei Jahren hätte er sich mit den Soldaten angelegt, die das Zeichen der roten Blüte, das Zeichen des Shogunats, auf ihren Brustpanzern trugen, doch längst konnte er die gemeinen Krieger des Reiches mit verbundenen Augen töten. Diese Drei würden ihn niemals stärker machen. Ungerührt setzte Kibaakira seinen Weg fort. Yaidobakka bekam eine Ohrfeige mit dem flachen Handrücken und spürte Blut in seinem Mund und dass ein Backenzahn zerbrochen war. Eigentlich war es kein starker Schlag gewesen, doch der Umstand, dass die Soldaten Eisenhandschuhe trugen, verstärkte natürlich jeden Effekt. „Fahnenflüchtiger!“, zischte der Hauptmann, der ihn geschlagen hatte, während der sechzehn Jahre alte Knabe von zwei weiteren Soldaten fest und auf den Beinen gehalten wurde. „Du bist eine Schande! Nicht nur für dich, sondern für meinen gesamten Trupp! Du hast das Andenken der Festung durch deine Feigheit besudelt!“ Yaidobakka spuckte zur Seite einen roten Klumpen aus, in dem auch der Splitter seines Eckzahnes steckte. Wie die Frisur der Soldaten war auch seine eigene geformt und zu einem Zopf gebunden. Dazu trug er eine bläuliche Stoffweste mit abgerissenen Ärmeln, sodass seine eher dünnen Arme sichtbar waren und eine schwarze bis zu den Knien reichende Stoffhose. Sein Körperbau war eher klein und schwächlich. An den Füßen hatte er „Hauptmann Tahaukeshi, ich flehe Eure Güte an, ich bin nicht geflohen. Niemals würde ich der roten Blüte des Shogunats den Rücken kehren!!“ Yaidobakka versuchte überzeugend zu klingen. Nicht zu verzweifelt. Tahaukeshi rümpfte die Nase und kniff die Augen zusammen. Er war in den Anfängen der Vierziger und hatte einen sauber in Form geschnittenen Bart um seinen Mund. Am Körper trug er über schwarzen Rüstungsteilen, die seine Brust bedeckten roten Stoff. Dazu kamen eine graue Hose und Rüstungsstiefel. Alles in allem war er eine beachtenswerte Erscheinung, wenn man ihn mit militärischen Augen sah. Und vor allem dann, wenn man aus der Betrachtung ließ, dass er in seinem Alter eigentlich schon einen viel höheren Rang hätte haben können. „Willst du mich belügen, bevor du stirbst, Abschaum?“, fragte Tahaukeshi und hob die Hand zu einer weiteren Ohrfeige, doch Yaidobakka reagierte schnell. Dass der Offizier an seine eigentlich geringe Stellung erinnert wurde, wenn er einen Fahnenflüchtigen hinterher jagen musste, wusste der geübte Lügner. Deswegen antwortete er schnell, bevor sein bis heute perfektes Gebiss noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden würde. „Es ist ein geheimer Auftrag hoher Priorität!“ Tahaukeshi hielt in seiner Bewegung inne. Yaidobakka hatte es geschafft. Das Interesse war geweckt. Nun würde er nur noch ein bisschen Schauspielern müssen. Er senkte den Kopf. „Oh mein Herr…“ Er machte eine Kunstpause. „Meine Bürde wiegt schwer. Ich bin glücklich, dass ich sie nun endlich teilen kann. Es hätte mich fast umgebracht, mein Gewissen.“ „Werde konkreter, bevor ich deinem Gewissen diese Arbeit abnehme!“, befahl der Hauptmann und legte seine Hand auf den Griff seines Katanas, welches in einer roten Scheide steckte. Yaidobakka versuchte, sich zu kontrollieren. „Ich habe eine Botschaft zu überbringen. Sie ist an den Shogun selbst gerichtet. Ein Magistrat hat sie an mich weitergegeben.“ „An einen Rekruten? Klingt das glaubhaft?“, fragte Tahaukeshi den Mund verziehend. „Er meinte, dass kein Feind das in Betracht ziehen würde!“, versicherte Yaidobakka. Zu unglaublich, um gelogen zu sein, dachte sich der Betrüger und Fahnenflüchtige. „Und was beinhaltet die Botschaft?“ „Ich darf es nicht sagen.“, erklärte Yaidobakka, dem nicht sofort eine passende Version einfiel. Schließlich war die Nachricht wichtig, hatte er seinen Zuhörern suggeriert. Doch was könnte das sein? Angriffe von Banditen? Etwas über eine Vermählung im Schwertadel? Intrigen am Hof? „Du hast schon versagt, indem du zugabst, eine Botschaft mit dir herumzutragen.“, meinte Tahaukeshi. „Sofern du die Wahrheit sagst.“ „Ich habe aber den Inhalt nicht verraten!“, beharrte Yaidobakka auf seiner Geschichte. „Dann zeig es mir!“, befahl der Hauptmann. Yaidobakka verstand nicht und zögerte. „Zeig mir das Geheimsiegel des Magistrariats! Jeder Bote hat ein solches!!“ Die Stimme des Offiziers ließ keinen Zweifel zu, dass nun über Leben und Sterben entschieden werden würde. Doch zum Glück hatte sich der Hauptmann verraten und Yaidobakka musste sich nur anpassen. Ein Siegel für Geheimboten? Da hatten sich Magistraten und Shogun ja etwas ganz Bescheuertes ausgedacht. „Ein Siegel!!“, tat der Lügner, als würde es ihm wie Schuppen von den Augen fallen. „Das war es! Jetzt verstehe ich! Er hat mir da was gegeben, aber ich habe es…“ „Du kannst nun still sein.“, sagte der Hauptmann. „Du bist ertappt. Entehre dich nicht noch mehr, indem du versuchst dein Leben durch Lug und Trug zu retten. Das macht es nur wertlos und unverdient.“ Tahaukeshi seufzte. „Ein Geheimsiegel für verdeckte Boten? Die Lüge durch Lüge enttarnt.“ „Ich bin ein Bo…“ Der Faustschlag traf Yaidobakka in den Magen. Er keuchte und wäre zusammengesackt, doch die beiden anderen Soldaten hielten ihn fest. Der Hauptmann brachte sein Gesicht nahe an das des Fahnenflüchtigen. „Und deswegen streckst du eine Festungswache mit einer komischen Eisenmurmel nieder? Deswegen legst du Feuer in den Ställen als Ablenkung?“ Yaidobakka schaute auf. „Ich lasse mich nicht umbringen.“ Der Lügner atmete schwer. „Was geht mich der Shogun an? Ich will kein Soldat werden. Ich habe keinen Grund für irgendein Wappen in die Schlacht zu ziehen.“ „Du bist der gerechte Beitrag deiner Familie an das Heil des Reiches!“, schrie ihn der Hauptmann an, packte ihn am Kinn und schob seinen Kopf hoch, sodass sie sich in die Augen blickten. „Je ein Sohn einer Familie gehört dem Shogun!“ Yaidobakka lächelte. Nun war es doch egal, was er sagte. Es war vorbei. „Denkst du, dass das meine Familie war, die mich gefesselt und geknebelt bei der Festung abgeliefert hat?“ Der Lügner musste lachen. „War sie nicht?“, fragte der Hauptmann. „Nein.“, antwortete der Betrüger. „Das waren Bauern, die mich in eine Falle gelockt haben, damit sie ihren Sohn bei sich behalten konnten. Haben mich sogar mit ihrer hübschen Tochter gelockt und mich dann mit Sake abgefüllt und dann zu den Truppen gebracht.“ Tahaukeshi sah auf den Deserteur herab. „Ich glaube dir. Doch es ändert nichts. Du warst Teil des Heeres. Du hast Pflichten gehabt und auf diese gespuckt. Der Dienst im Namen des Shogun ist die höchste Ehre!“ Yaidobakka schüttelte den Kopf. „Nicht für die einfachen Leute.“ Er atmete tief durch. Wenn er schon sterben musste, dann mit einer Frechheit auf den Lippen. „Oder ist es befriedigend, Jahrzehnte den gleichen und geringen Posten zu bekleiden, während alle höheren Generäle aus oberen Familien kommen und sogar Samurais sind? Ungeachtet jeder Leistung für immer ein kleines wertloses Licht am Firmament sein, Hauptmann Tahaukeshi. Macht Euch das glücklich?“ Das reichte endgültig. Tahaukeshi zog sein Katana aus der roten Scheide, umschloss den Griff mit beiden Händen und erhob es. Er würde es auf diesen Wehrdienstverweigerer niederfahren lassen und halbieren! Das hatte dieser Käfer mehr als verdient! Plötzlich bemerkte er etwas aus den Augenwinkeln. Ein Mann Schritt den Weg entlang. Ziemlich jung mit langen schwarzen Haaren und einem mit Narben gezeichneten Oberkörper. Er trug eine einfache Hose und hatte ein Schwert am Gürtel. „Ein Ronin!“, schoss es dem Hauptmann voller Abscheu durch den Kopf. Er hasste diese Vagabunden vom ganzen Herzen. Ihre Schwerter dienten nur ihren persönlichen Dingen. Das war schändlich. Tahaukeshi ging an seinen zwei Männern und dem Fahnenflüchtigen vorbei, der die Augen zugekniffen hatte. „Hey du!!“, rief der Offizier dem unbekannten hinterher. Dieser ging einfach weiter. Auf einem Pfad zwischen herrlichen Ume-bäumen an einem warmen Tag wurde ein tapferer Hauptmann von so einem Geschöpf ignoriert. Tahaukeshi biss die Zähne aufeinander. „Bleib stehen!!!“ Der Mann gehorchte, wenn auch nicht sonderlich eingeschüchtert. „Was willst du?“, fragte er einfach heraus. Tahaukeshi klopfte auf seinen Harnisch, auf welchem die Blüte des Shogunats abgebildet war. „Wir sind Soldaten im Dienste des Reiches!“ „Na und?“ Mit so einer frechen Ignoranz war der Hauptmann noch nie behandelt worden. Nur mit Arroganz, die aber vollkommen gerechtfertigt war, wenn sie von Generälen gekommen war. Die Adligen hatten das Recht dazu. Doch so ein Strolch nicht! „Es ist Bürgerpflicht, dass man den Truppen durch ein Kopfnicken Respekt zollt und ihnen und dem Shogun Bestes wünscht! Tust du es nicht, verstößt du gegen ein Gesetz! Dafür würdest du geköpft werden!“ Der junge Mann verzog den Mund. „Ich respektiere dich und deine zwei Begleiter aber nicht. Und der Shogun ist mir auch egal. Lass mich in Ruhe.“ Tahaukeshi knirschte mit den Zähnen. Die Gleichgültigkeit in den Augen des Fremden war gepaart mit etwas Wildem. „Ohne die Armee wären die Menschen schutzlos!“ „Ich passe selber auf mich auf. Ich brauche keine Soldaten, von denen zwei einen Gegner festhalten müssen, bevor der Dritte zum Kämpfen bereit ist.“, tat der Ronin ab und deutete mit einem Kopfnicken auf die Männer des Hauptmannes und den gefangenen Lügner, der still dem Geschehen folgte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging der Vagabund wieder seiner Wege. „Bleib stehen! Landstreicher, bleib stehen!!!“, rief Tahaukeshi. Der Ronin interessierte sich nicht für das Gebrüll des Soldaten. Sie hatten keine Bedeutung, denn sie waren viel zu schwach, um einen passablen Kampf zu liefern. Mann wurde nicht der Stärkste, wenn man sich mit Weichlingen maß. „Du mieser Hurensohn!“ Der Ronin blieb stehen, als er das hörte. Eine Beleidigung, die sich nicht gegen ihn allein richtete. Dieser Idiot hatte gerade den einzigen Menschen beschimpft, der je einen Wert auf dieser Welt gehabt hatte. Wie ein wilder Hund knurrte der herumziehende Schwertkämpfer vor sich hin. Sollte er einfache Soldaten töten? Er würde dadurch nicht stärker werden. Doch durfte er sie ungestraft lassen? Die Entscheidung wurde dem Ronin abgenommen, als er eilige Schritte hörte und das Klappern einer Rüstung, das sich näherte. Schnell griff er sein Schwert. Mit hohem Tempo zog er das Ichi-Yamokami aus der Scheide, drehte sich um neunzig Grad und schlug zu, während der Anführer der Soldaten den Ronin erreicht hatte und sein eigenes Katana zu einem Angriff benutzte. Eine unbeschädigte Waffe und eine Waffe mit Kerben rasten aufeinander. Es klirrte laut und metallisch. Yaidobakka staunte nicht schlecht und auch die beiden Soldaten, die ihn hielten hatten die Münder weit genug offen, damit Rinder hätten reinhüpfen können. Man hatte immer gesagt, dass der Hauptmann ein sehr guter Schwertkämpfer war, doch nun wurden seine Fähigkeiten doch noch auf die Probe gestellte. Der Lügner witterte eine Chance. „Hey, wenn du mich vor diesen Soldaten rettest, gebe ich dir alles Geld, das ich bei mir trage!“ Sofort bekam er einen Schlag und verstummte hustend. Der Ronin achtete nicht auf das Gerede des Knilchs, der noch bei den anderen Soldaten stand. Seine Blicke und seine Konzentration lagen gänzlich auf seinem Gegner, dessen Schwerthieb er gerade pariert hatte und das, obwohl er das Ichi-Yamokami mit nur einer Hand führte und der Angriff mit beiden Armen ausgeführt worden war. Nun drückten die beiden Klingen aufeinander und keiner der beiden war während dieses Kräftemessens auch nur einen Schritt gewichen. Der Ronin musste zugeben, dass dieser Mann etwas schneller und stärker als ein einfacher Soldat war. Doch da er auch schon genug Feinde getötet hatte, die ein wenig stärker gewesen waren als einfache Soldaten, hatte sich noch keine wirkliche Herausforderung ergeben. „Ich bin Hauptmann Tahaukeshi.“, erklärte der Soldat leise und mit nüchternem Blick. „Es ist nur höflich, wenn sich Gegner vorstellen, bevor einer von ihnen beiden seinen Ahnen begegnet.“ Der Ronin mit den vielen Narben auf dem Körper bewegte keinen Gesichtsmuskel, dann antwortete er doch. „Kibaakira.“, stellte er sich vor. Es war ein kurzer Moment des echten Respekts, der nichts damit zu tun hatte, durch ein Gesetzt das Haupt vor jemanden senken zu müssen. Nur eine stille Sekunde war vergangen, dann ging der Kampf weiter. Fortsetzung folgt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)