Des Feuervogels Glut II von Lilienkind (Fortsetzung des ersten Teils) ================================================================================ Kapitel 8: Pechstäne -------------------- Sibirien, Todesberg, Mitte Dezember Gedämpft drang das Klappern von Metallgegenständen zu ihm durch. Er hörte das Geräusch von Reißverschlüssen und ein paar Laute, die er nicht direkt zuordnen konnte. Dazwischen Stimmen. Zögernd hob er eines seiner Augenlider. Über ihm lag die Plane des Zeltes. Unversehrt und orange. Er ließ den Kopf auf die Seite rollen und sah auf die Trennwand. Keine Einschnitte, kein Blut. Stumm und leblos hing sie da, als wäre nichts gewesen. Es war kalt an diesem Morgen. Schritte näherten sich, dann trat jemand erbost gegen die Außenwand des Zeltes. "Wird's bald? Alte Schlafmütze! Steh' endlich auf, sonst lassen wir dich hier bis aus dir ein Tiefkühlfischstäbchen geworden ist!" Kai zuckte zusammen. War das nicht Brians Stimme? Das Bild seines blutig triefenden, abgetrennten Kopfes flammte vor seinem inneren Auge auf; er hatte grüße Mühen, seinen Brechreiz zu unterdrücken und verkroch sich in seinem Schlafsack. Der Schrecken saß tief, auch wenn es sich nur um einen Traum gehandelt haben sollte. Dass das alles nicht real gewesen sein sollte...schien so unbegreiflich. Dazu war es einfach viel zu realistisch. "Kai! Jetz’ mach endlich! Wir wollen los!" Diesmal war es Alex' Stimme, die nach ihm rief. Er musste etwas weiter vom Zelt weg sein. Und auch Brians Schritte entfernten sich wieder. Stattdessen näherte sich jemand anderes rasch. Kurz darauf hörte Kai, wie der Zelteingang geöffnet wurde und jemand ins Innere kroch. Dann wurde der Eingang wieder geschlossen. Vorsichtig wurde die Trennwand geöffnet und Mina streckte den Kopf zu ihm herein. Kai erstarrte. Ohne jede Vorwarnung schwebte ihr beinahe farbloses Gesicht direkt über seinem. Es war dieser Blick, der ihm den Atem raubte und sein Blut wie wild durch seine Adern rauschen ließ. Der Anblick ihrer blassen Lippen...der unendlich tiefen dunklen Augen mit sonderbar rötlichen Schimmer...es war haargenau der Gesichtsausdruck von damals, im Duschraum des Phoenix Castels. Und genau wie damals schaffte sie es, seine Herzfrequenz von einer Sekunde auf die andere zu verdoppeln. Seine Wangen erröteten. Regungslos sah er sie an, sog den ihm so vertrauten und doch das Gefühl der absoluten Unnahbarkeit mit sich bringenden Duft ein. Lag einfach nur da, vollkommen erstarrt. In diesem Augenblick wäre er im Stande gewesen, die komplette Welt zu vergessen und nur mit dieser Frau ins unendliche Nichts zu stürzen. Ihr Blickkontakt riss ab, als sie sich weit über ihn beugte. Er konnte sehen, dass sie ihren Overall nicht ganz geschlossen hatte. Der Reißverschluss des darunter liegenden hautengen Iso-Anzugs war leicht geöffnet, sodass er die milchig blasse Haut ihres Halses sehen konnte. Seine Augen folgten dem Spalt bis weit hinunter, wo sich der Ansatz ihrer wohlgeformten Brust erahnen ließ. Er konnte die unendliche Weichheit ihres warmen Fleisches auf sich spüren. Erinnerte sich wieder an den Geschmack ihrer Lippen. Ein Zucken ging durch ihren anmutigen Körper und zog ihn ganz und gar in ihren Bann. Doch was tat sie? Ebenso schnell, wie sie erschienen war, zog sie sich jetzt zurück. Sah ihn nicht einmal an. Als hätte sie nichts bemerkt. Nichts gespürt....Dieses Kribbeln, wie es durch seinen Körper strömte, war nie zuvor so stark gewesen wie jetzt. Wie konnte sie davon nichts mitbekommen haben? "Wie lange willst du noch da rum liegen?", riss ihn ihre Stimme mit gewohnter Kälte und Teilnahmslosigkeit in die raue Gegenwart zurück. "Hier ist dein Overall. Und drück dich nicht um die Morgentoilette. Du stinkst ja schlimmer als Brian." Damit brachte sie Kai endgültig aus dem Konzept. In seiner Verwunderung realisierte er erst jetzt, dass sie sich nur so weit über ihn gebeugt hatte, um seine Besitztümer an sich zu nehmen. Und, ohne dass er es bemerkt hätte, seinen Schlafsack zu öffnen. Der Verzweifelte Blick, mit dem er sie entsetzt ansah, half jetzt auch nichts mehr. Ein beherzter Ruck ihrerseits, und Kai landete unsanft auf dem überraschend harten Zeltboden. Kurz darauf war sie schon wieder nach draußen verschwunden. Wenigstens war sie so rücksichtsvoll, den Zelteingang hinter sich zu schließen. Wenn nicht, würde jetzt vermutlich ein Strom eisiger Luft zu ihm ins Innere strömen. ______________ Nach ein paar Stunden des wortkargen Wanderns und Kletterns erreichte die kleine Gruppe schließlich den Pass. Von hier an war der Weg zwar weiter tief verschneit, dafür aber nicht so unwegsam und steil wie der Fuß des Berges. Von hier an war es wenigstens nicht mehr so leicht, sich zu verlaufen. Man musste lediglich zu deuten verstehen, wo der Pass aufhörte und der Hang anfing, was mal mehr, mal weniger gut zu erkennen war. "Gar nicht mal so schlecht, was?" "Die Aussicht? Stimmt. Die ist echt der Wahnsinn." "Bitte? Nur weil mir die Kälte nicht bekommt, fällt mir noch lange nicht der Schwanz ab! Ich meinte den Weg, den wir schon zurückgelegt haben." Brians und Alex' form der gepflegten Konversation. Nach einigem Zögern sah der Philippine dann aber doch kurz über den Rand des schmalen Gebirgspfades; hinweg in die Ferne. Kai hingegen lief etwas abseits und studierte die Karte. Die Gesprächsthemen der beiden Jungs hatten ihn noch nie interessiert. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem Erreichen des Berggipfels, und das möglichst zielstrebig. Da passte die Tatsache, dass er heute Morgen der letzte war, gar nicht recht ins Bild. Zu allem Überfluss kam noch die Müdigkeit hinzu. Er fühlte sich, als hätte er gar nicht geschlafen. Und überhaupt, wie konnte ein ihm so kurz vorkommender Traum eine ganze Nacht dauern? Ob das wohl alles mit diesem merkwürdigen Ort zusammen hing? Seit seiner Ankunft hatte er einen Tiefschlag nach dem nächsten einstecken müssen, angefangen bei der Begegnung mit seinen ehemaligen Teamkollegen über seine Alptraum bis hin zum diesmorgentlichen Fehlstart; Minas Finte mit einbegriffen. Er machte sich zwar keine größeren Gedanken darum, aber seine Laune war mal wieder im Keller. Die Tatsache, dass die anderen ihre erste Nacht im Freien so gut überstanden hatten, machte es auch nicht besser; im Gegenteil. Aber egal. Je schneller das alles vorbei war, desto besser. ...ob es wohl ein Fehler gewesen war, mitzukommen?" "Kai! Pass auf! Hinter dir!" "Was - ?!" Zu spät. Irgendetwas Schweres traf ihn mit gewaltiger Wucht an der Rückseite seiner Schulter. Der Einschlag ließ eine regelrechte Schockwelle durch seinen Körper jagen. Einen Augenblick lang verlor er jeglichen Bezug zur Realität, bevor er sich schließlich auf dem Boden liegend wieder fand. Dann erst setzte der Schmerz ein. Es fühlte sich an, als wäre sein rechter Arm restlos abgetrennt worden, und die meisten seiner Knochen zertrümmert. Er konnte nicht mal den Kopf drehen, um zu sehen, was um ihn herum passierte. Regungslos und taub war er an den Boden gekettet, selbst zum Schreien war der Schmerz einfach zu stark. Die Schwelle zur Ohnmacht rückte in beinahe greifbare Nähe. Er überschritt sie nicht. Dass er trotz der unbeschreiblichen Pein noch bei Bewusstsein war, schockierte ihn. War sein Alptraum nur ein Ohmen, das ihn auf das hier vorbereitet hatte? Starb er jetzt wirklich? Hauptsache, der dieser entsetzliche Schmerz hörte endlich auf! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)