Des Feuervogels Glut II von Lilienkind (Fortsetzung des ersten Teils) ================================================================================ Kapitel 3: Kaltes Wasser ------------------------ Abseits der Stadt Tokio (Japan), Anfang Dezember Der ihn in diesem Moment überkommende Impuls purer Lust ließ ihn den Schmerz in seinem Arm völlig vergessen. Klatschend schlug seine Handfläche gegen die gekachelte Wand, die seinen Rücken stützte, und suchte dort nach Halt. Ein erlösender Schrei schallte durch das Labyrinth von Gängen. Sein Echo verklang. Stille folgte. Hart prasselten die massiven Wassertropfen auf Haupt und Schultern. Allmählich wich die glühende Hitze aus seinem Leib. Er konnte die Kälte wieder spüren. Keuchend rang der Siebzehnjährige nach Luft. Nur langsam begann er die Situation zu begreifen. Seine Fingerkuppen lösten sich von der glitschigen Wand und legten sich eher instinktiv als gewollt auf den unteren Rücken der Frau, die auf seinem Schoß kauerte. Der weite Pullover, der als einziges Kleidungsstück ihre Blöße bedeckte, hatte sich hoffnungslos mit Wasser voll gesogen und klebte auf ihrer Haut. Die Achtzehnjährige neigte ihr Kinn nach unten. Nasse, fast schwarze Haarstränen verbargen ihr Gesicht. Kai lehnte den Kopf zurück und streckte den unverletzten Arm nach oben, um das fortlaufende kalte Wasser endlich abzustellen. Er schloss die Augen. Nass und frierend kauerten sie auf dem Boden des steril wirkenden, schmucklosen Duschraums. Die trockene, kalte Winterluft, die auch in die staubigen, toten Gänge des Castels Einzug gehalten hatte, zerrte jegliche Wärme aus ihren fast nackten Körpern. Mina hob ihr Haupt und strich sich mit einem sanftmütigen Lächeln das nasse, bodenlange Haar aus dem Gesicht. „Alles in Ordnung?“, hauchte sie und blickte prüfend in seine Augen. „Wieso fragst du mich das?“ Sie schüttelte den Kopf. „Mir war nur irgendwie danach“, antwortete sie, senkte kurz den Blick und lächelte noch sanfter. Beide schwiegen einander an. Die altbekannte Distanz schob sich langsam zwischen sie, ehe sie überhaupt begreifen konnte, wie nahe sie sich in diesem Augenblick waren. Es war ein merkwürdiges Gefühl, ihren Atem auf seiner Haut spüren zu können, wo er sie, seit sie sich das erste Mal begegnet waren, so sehr verabscheut hatte. Nie war er wirklich nahe an sie herangetreten. Nie hatte sie ihn wirklich berührt. Doch nun kribbelte seine Haut, sobald sie ihn nur kurz anfasste. Er konnte nun nicht länger leugnen, dass er sie schön fand. Zeitlos schön. Sie faszinierte ihn. Zu seiner Überraschung ertappte er sich sogar bei dem Gedanken, wie er sie dazu bringen können würde, den viel zu weiten Pullover endlich auszuziehen. Doch sobald er sich vorstellte, wie sie wohl darunter aussah, begann sein Herz zu rasen. Gelähmt vor ungekannter Schüchternheit, verblieben seine Hände und sein Mund starr und unbeweglich. „Was siehst du mich so an?“ Die Worte der jungen Frau rissen ihn unsanft aus seinen Gedanken. Die klirrendkalte Nässe und die Nacktheit der Wände töteten seine durchaus angeheiterte Stimmung. „Kai…“, sagte sie bedrückt, „ich werde mich nicht mit dir einlassen. Weder auf eine Beziehung noch auf eine Affäre. Bitte – „ „Wie viel?“, fiel er ihr abrupt ins Wort und unterbrach den Blickkontakt. Zwischen ihnen triumphierte wieder die nüchterne Entferntheit. „Was meinst du?“ „Du bekommst eine Abpfändung für deine Gefälligkeit.“, erklärte er kühl. Etwas ratlos suchte sie einen Moment lang nach den richtigen Worten. Sie kicherte ein wenig belustigt. „…nicht mal du könntest einen Betrag aufbringen, der mich käuflich werden ließe. Ich bin keine Hure. Wir haben eine Dummheit begangen. Mehr nicht.“ Stille. Irgendwie schmerzten ihre Worte, obgleich er doch nie eine engere Bindung zu der schönen Rumänin aufgebaut hatte. Ob er gerade dabei war, damit anzufangen? Vielleicht das nächste Unglück, in das er sich hineinstürzte? Aber wenigstens zweifelte er diesmal nicht an der Existenz seines Gegenübers. „Es tut mir leid. Aber ich habe meine Prioritäten.“, fügte sie in altbekannter Kühle hinzu und erhob sich von seinem Schoß. Beschämt zog er seine Boxershorts zu recht. Fühlte sich plötzlich nackt und ohne jeden Schutz. Die Stellen, an denen ihn ihre bloße Haut berührt hatte, kribbelte noch etwas. Sie war ihm so nah und gleichzeitig so fern wie nie. „Ich habe drüben in meinem Spind mal ein paar Kleider vergessen. Wir haben vielleicht etwas Trockenes zum anziehen.“, sagte sie kühl und tonlos, während sie beiläufig ihr Haar auswrang und routiniert hochsteckte. Der nasse Pullover klatschte ihr beim Laufen gegen die bleichen Oberschenkel, die zwar erheblich dünner waren als in seiner Erinnerung, jedoch nicht an Anmut und Kraft verloren zu haben schienen. Barfuss tapste sie über die weißen Kacheln. Ihre Füße hatten beinahe dieselbe Farbe wie der leblose, nasse Untergrund. Sie waren etwas groß geraten und dennoch sehr feingliedrig. Ihre Nägel hatte sie schwarz lackiert. Bisher hatte er einem weiblichen Körper, gleich welcher Schönheit, nie solche Aufmerksamkeit gewidmet, doch bei diesem Anblick verfluchte er sich selbst. Wie konnte er so ignorant sein? Sie blieb kurz stehen, drehte sich ein letztes Mal zu dem Halbrussen um, der noch etwas mitgenommen auf dem Boden saß und sie aus den Augenwinkeln beobachtete. “Du…bist sehr hübsch.“, flüsterte sie und zwinkerte ihm provokant zu. Ein kurzes Lächeln blitze für den Bruchteil einer Sekunde über ihr sonst so strenges Gesicht. Dann ließ sie den Siebzehnjährigen alleine. Erst, ihm ein Handtuch und trockene Kleidung in einen trockenen Winkel des Duschraums gelegt und schließlich gegangen war, kehrte wieder die herrschende Stille in die Katakomben des Castels ein. Obwohl er fror, hatte er keine Gänsehaut. Er drehte sogar das kalte Wasser wieder auf, ohne genau zu wissen warum. Während die eiserne Flut auf ihn einprasselte, lauschte er der gespenstigen Ruhe. Selbst das Rauschen des Wassers verschwamm zu einem monotonen Säuseln, bald versank es in der Tiefe der geräuschlosen Dunkelheit, einem schwarzen Loch gleichend, das alles Akustische in sich hineinzog und bis in alle Ewigkeit verschlossen hielt. Er fiel. Hinein in die unendliche Schwärze. Und bewegte sich in Wirklichkeit doch keinen Millimeter aus dem von fahlem, hartem Licht durchfluteten Raum. Unweigerlich schlugen die erbarmungslosen Wassermassen auf ihn ein. Seine Haut war gerötet und schmerzte, doch die Kälte betäubte das Gefühl. Betäubte alles. Und doch hörte er nicht auf zu fallen. Immer weiter in die Tiefe. Ziellos. Nichts würde sein Fallen aufhalten können. Allein… … … Ihm schien, als habe er sie dadurch, dass er ihr so nahe gewesen war, nun endgültig verloren. Eine undurchdringliche Barriere prangte zwischen ihm und der schützenden Wärme, die er inmitten ihrer unnahbaren Kälte zu finden geglaubt hatte. War auch dies nichts als eine weitere Spielerei seines Verstandes gewesen? Die unvermeidbare Folge der unzähligen Misshandlungen, die er, solange er sich erinnern konnte, über sich ergehen lassen hatte? Wortlos, Wehrlos, ohne den Grund für die lebenslängliche Strafe zu verstehen oder zu hinterfragen. Das geschundene Unterbewusstsein erstickte jedes kleinste „Warum“ schon im Keim, bevor es ihn überhaupt mit dem ganzen Ausmaß der Zerstörung konfrontieren konnte. Längst hatte er die Augen vor sich selbst verschlossen. Zu grausam war sein eigener Anblick. Er fiel unweigerlich hinein in die geisterhafte Dunkelheit. Gefühle, Emotionen, Hoffnungen und Ängste, alles verlor sich wie ein Echo und versank mit ihm in der eisigen Kälte. Die Wirkung des reichlich überdosierten Medikaments setzte ein. Schwächte degenerative Prozess ab und heizte ihn zugleich erst richtig an. Er vermochte nicht länger zu unterscheiden, was wahr und was Einbildung war. Er…ertrank in den tiefen seines Bewusstseins. Das Nichts umfing ihn, zog ihn immer weiter weg von dem, was er nun nicht länger bloß in Frage stellte sondern an das er ganz und gar jeglichen Glauben verloren hatte. Die Welt dort draußen, die als Grauschleier am oberen Ende der Tiefe schummerte, es hatte sie womöglich nie gegeben. Woher er einst gekommen war, wohin er ging, es war ihm egal. Das dunkle Grau versank im unendlich scheinenden, dumpfen Schwarz und mit ihm verschwand auch jeglicher Bezug zu der in weiter Ferne liegenden leeren Hülle, die langsam auskühlte. Das Pulsieren in ihren Adern kam zum Stillstand. Der Atem stockte. Hinab in die Endgültigkeit gleitend ließ er die Hand los. Er fiel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)