Erwarte nichts, rechne mit allem von Vandra ================================================================================ Kapitel 13: Irgend-Nirgendwo ---------------------------- Irgend-Nirgendwo Es kitzelte, irgendetwas berührte ihn irgendwo an seinem Körper, vertrieb die allumfassende Schwärze zugunsten von Grau. Zu betäubt, noch halb gefangen in seiner Ohnmacht, blinzelte er, während sein Mund dabei halb offen hing, sich kaum bewegen ließ und sicher nicht leer war. Irgendetwas war dort, so angenehm und kühl wie ein Lufthauch, strich über seine Zunge und brachte so viel mit sich. Mark schauderte, bewegte sich unwillkürlich, konnte dem Drang nicht widerstehen sich etwas näher hin zu bewegen, zu hoffen, dass er mehr bekommen würde. Wärme floss wie eine Belohnung in seine Haut, kroch so angenehm weiter und verdeckte die Schmerzen, die mit jedem weiteren Gedanken immer stärker in sein Bewusstsein rücken wollten, nur unterdrückt von diesem Gefühl. Sein Hals erbebte, als er eine Hand dort wahr nahm, die weiter wanderte und sich ihren Weg bahnte. Überall dort wo er berührt wurde, wo er etwas spürte, ihn fühlte, blieb nur Leichtigkeit und dieses schwebende Kitzeln, das ihn anzog und lockte, unwiderstehlich. Ohne eine Möglichkeit sich dagegen zu wehren, stöhnte er ganz leise, die Töne verschluckt von diesem Prickeln. Vorsichtig öffnete er die Augen, kämpfte gegen die Müdigkeit an, gegen die Schwere, die überall dort aufflammte, wo die Wärme nicht war, nur um im nächsten Moment in goldene Augen zu starren, die bar jeder Emotion nur mit einem kleinen Funken Sorge auf ihn gerichtet waren. Finger strichen über seine Haare, drückten seinen Kopf nach vorne, tiefer und tiefer hinein in die Versuchung, in den Kuss, der ihm inzwischen mehr als bewusst geworden war. Sein ganzer Körper zitterte, antwortete schon leise auf seine unnachahmliche Art unten, wurden nur noch bestimmter, immer präsenter mit jedem Moment in dem er sich nicht regte, in dem er versuchte zu widerstehen. Da war das Versprechen, das er kannte, auf das er reagierte und über das er sich in dem Moment mehr als freute. Denn es drückte, zog dort unten und verdeckte so den stechenden Schmerz der immer stärker durch seine Arme flutete. Er konnte nicht anders als dieses angenehme Prickeln, das von seinem Mund ausging, auszukosten, sein Verstand noch immer von Nebel umgeben und seine Augen unfähig etwas anderes als Grau zu sehen. Mühsam hob er seine Finger, suchte zitternd nach etwas, bis er zugriff, das erste packte, was seine Sinne reizte – und daran zog. Haare, goldene Haare schimmerten jetzt dort, direkt vor seiner Nase, und er nutzte den kurzen Moment, bewegte seine Zunge und jubelte fast, als er sich ein Stück vorgekämpft hatte, seine Rebellion in Wärme und Hitze niedergeschlagen wurde, zurückgedrückt wurde in die Heimat und sein ganzer Körper erschauderte. Die Berührungen trieben ihn fast zum Wahnsinn, dazu alles zu vergessen und nichts mehr zu sehen, das Pulsieren in seinen Wangen zu lieben und dem Takt des Rauschens zuzuhören, das immer wieder unterbrochen wurde, wenn die Zunge die seine umspielte, die warmen Lippen sich bewegten und wanderten. „Interessante Technik.“ Erschreckt riss Mark die Augen auf, nur um herauszufinden, dass sie schon offen waren. Sein Kopf raste nach hinten, stoppte dank der Umarmung mit einem leichten Ruck, bis er zur Seite starren konnte, wo die Stimme hergekommen war. Finger wanderten noch immer über seine Haare, Jin scheinbar ungerührt. Alles was er selbst sehen konnte war Grau in Grau, ein unendliches Meer, das kein Oben und kein Unten kannte, bis sein Blick auf einem Monster hängen blieb – oder so etwas ähnlichem. Immense Hufe waren das erste, was ihm auffiel, die pelzige Gestalt ein Riese in Form eines misslungenen Minotauros, eine Mischung aus Stier und Mensch, der rot loderte. Im Gesicht prangten schwarze Augen wie Kohlen, aus dem Mund standen zwei Hauer hervor und die Nase war ein großer Klecks mitten im Gesicht, der am deutlichsten an eine Kuh erinnerte. Hörner die mehr an Flammen erinnerten, standen oben hoch, gedreht, in sich verwunden und wurden von den langen glatten Haaren eingerahmt. Sein Blick wanderte weiter, doch als er unten bei der Hüfte ankam, raste sein Kopf wieder hoch, um den Anblick so schnell wie möglich zu vergessen, den Anblick von weit zu wenig pelzigem grünem Gewand, gerade einem Lendenschurz, unter dem etwas hervorragte, das zu lang war. „Perverser…“, murmelte er und zog dabei ein wenig an den Haaren, die er noch stärker umfasste, begann langsam aufzustehen, versuchte es zumindest. Mit einem kräftigen Schubs wurde er wieder hinunter gestoßen, sah Jin aufstehen und auf den viel zu leicht bekleideten Stier zumarschieren. „Jin…“, begann sein Dschinn, streckte seine Hand aus, von deren Finger jetzt Krallen ausgingen, die mehr als gefährlich aussahen. Doch das war nicht alles. Das Gewand war eine Schlacht aus blau und durchsichtig, aus allen Schattierungen und Mischungen der beiden Nuancen, ein schimmernder Umhang das erste, was ihm auffiel. Dieser schwang sanft hin und her, durch das sich am Rücken einmal kreuzende Stoffband, das vom Hals ausging, fest an den Körper gedrückt und wirkte dadurch eher wie eine Schleppe. Ergänzt wurde das Ensemble durch die merkwürdigen Stoffflügelchen, die unter den Armen hingen wie dicke Bögen, ihr Anfang bei den Schultern, das Ende an den Handgelenken, um die sie sich schlangen und sich wieder über die Arme zurückwanden bis zum Ausgangspunkt. „Ja, Jin, und du bist…nein, du kannst es nicht sein…“, kam die ernste Antwort des anderen, der jetzt mit einem Schwanz, der noch mehr an einen Stier erinnerte, auf seinen Dschinn zeigte. Eigenartig war dieses hin und her zischende schwarze Ding, zitterte und raste immer wieder mit wahnsinniger Beschleunigung wie eine Lanze nach vorne, die Spitze wie ein Dolch geformt. Sein Jin wartete nicht lange, drehte sich um, offenbart damit, dass die sich kreuzenden Bänder am Bauchnabel noch einmal aufeinandertrafen, von einem Stein gehalten, nur um sich dann aufzuteilen und um je ein Bein zu wickeln. Die Brust war so gut sichtbar durch den durchsichtigen Hauch von Gaze-Nichts, die Hose so luftig, dass er jetzt schlucken musste, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Zumindest versuchte er es, bis plötzlich sein Dschinn grinste, sich umdrehte und nach vorne stürmte. Einer der Flügel löste sich, flatterte Sekunden in der Luft, bevor er noch schneller als der Schwanz des anderen vor raste, auswich und mit voller Wucht auf den Hals prallte, um den er sich schlang. Die Hand, die es hielt, versteifte sich, bevor Jin mit irrwitzigem Tempo zur Seite lief, beschleunigte, hoch sprang und abhob, dem peitschenden Schwanz auswich, der sonst seine Beine abrasiert hätte und scheinbar in der Luft schwebend segelte. Mark sprang auf, erstarrte, als der Halb-Stier das Band ergriff und mit einem Ruck daran zog. Doch sein Dschinn grinste dabei, scheinbar unbeeindruckt von der Beschleunigung, streckte nur seine Finger aus und bohrte sie in den Arm, der den Stoff festhielt. Der Halb-Stier schrie auf, peitschte seinen Schwanz in Richtung seines Gegners und zerrte nur noch stärker an den Bändern. Genau in dem Moment löste sich flatternd der zweite Flügel auf, peitschte auf die Lanze zu und wickelte sich wie ein Verband in Windeseile darum. Mit einem eigenartigen Manöver lenkte dieses Manöver den Schwanz von seiner Bahn ab, genug und doch zu wenig. Mark zuckte zusammen, als die Spitze Jins Seite streife, dieser leise aufschrie, nur um gleich darauf wieder zu lächeln. Die Bänder schimmerten plötzlich blau auf, zitterten, während sein Dschinn die Arme anspannte. Und damit drehte sich sein Dschinn elegant mitten in der Luft in einem scheinbar nicht ende wollenden Salto auf den Gegner zu, bis er mit seinen Beinen voran auf den anderen krachte, mit einem lauten Aufprall auf dem Kopf aufkam und mit voller Wucht an dem Seil zog, bis es knackte. Ein Moment verging, ein kleiner Moment, in dem der Gegner aufheulte, bellte, bevor der Kopf zur Seite wegknickte, verdreht liegen blieb und das Monstrum langsam nach hinten kippte. Scheinbar unberührt löste Jin die Bänder, die sich sofort wieder zu den kleinen Flügeln formten, segelte hinunter und grinste, während Mark versuchte etwas hinunterzuschlucken, unten zu behalten. Sein Magen rebellierte immer deutlicher bei dem Anblick des lodernden Stierverschnitts, der gerade nach hinten kippte, tot, während sein Dschinn fröhlich schaute und nur eine Wunde davon getragen hatte. Bei dem Gedanken wanderte sein Blick wie von allein auf die Seite, fand nur eine Öffnung in der Kleidung, die sich schon wieder schloss, darunter nur makellose Haut und blinzelte panisch, als sich etwas in seinem ewig grauen Sichtfeld rührte. „Das dauerte ja lange…“, untermalte sein Jin die verrückte Szenerie so absolut unpassend wie immer und schaute dabei nur ihn an. Der einstige Gegner kratzte sich am Hals, legte seine beiden Hände an den verdrehten Kopf, nur um ihn sanft in eine Richtung zu drehen und dann mit voller Wucht zur anderen Seite zu beschleunigen. Mit einem lauten Knacken krachte der Kopf wieder auf seinen Platz, von Flammen umgeben, die sofort wieder erstarben. Scheinbar unbeeindruckt kam jetzt der Stier Schritt für Schritt näher, klopfte sich auf die Schenkel und wirkte immer fröhlicher, ein leicht bekanntes Grinsen auf den Lippen. „Ich dachte schon du wärst zahm. Du kommst zurück und bringst einen Menschen mit…“ Kurz herrschte Stille, die Stimmung viel zu ausgelassen für das was gerade vorher passiert war. Mark starrte von Wesen zu Wesen, die Augen groß, schüttelte seinen Kopf ohne zu begreifen, der Mund halb geöffnet. „Gescheitert?“, kam die Frage von dem flackernden Wesen, während Jin inzwischen fast bei Mark angekommen war und lächelte. „Keine Sorge, er ist ein Freund, ein anderer Dschinn…wie alle hier“, versuchte er ihn wohl zu beruhigen und brachte ihn damit nur endgültig dazu die Fassung zu verlieren. „Freund? Brichst du allen Freunden den Hals? Ihr seid verrückt, zum Henker! Was ist das hier…was…was…“ Seine Stimme versagte langsam, die Hand seines Dschinns zu nah, hinter ihm, die andere vorne, zog an seiner Kleidung, die nach unten rutschte und ihn dazu zwang hinunter zu schauen. Er blinzelte dabei sicher wie ein Idiot. „Mein. Mein Gefäß, mein Geliebter – merk dir das. Und du siehst, dass ich nicht hier bleiben werde“, erwiderte Jin ohne ihn zu beachten, zeigte auf das Tattoo. Dort wo sonst immer mehr Schnörkel gewesen waren, war nur noch eine glatte blaue Linie, die sich oben verzweigte und das merkwürdige Auge nicht mehr untermalte sondern mit den gewanderten Strichen einkerkerte. Gefangen wie in einem Käfig hing es fest, fest umschlossen. Kurz hatte er den Ausblick darauf, bevor der blaue Stoffteil, der fast seine ganze Brust bedeckte und hinten mit etwas zusammengebunden war, wieder hochraste, damit das Tattoo beinahe wie eine Schärpe wieder verdeckte und über dem halben Hemd darunter zu liegen kam. Noch immer ließ die Konstruktion einen Ärmel links vermissen, der auf der anderen Seite doch vorhanden war. Mark wunderte sich fast gar nicht mehr über die schwarze Hose mit dem blauen Flammenmuster und dem gefühlt tausend Mal um seine Hüfte gewickelten Gürtel. Aber einem Gefühl folgend, tastete er mit einer Hand über seinen Rücken, erstarrte. Wut glühte auf, hallte in seinem Kopf wieder. „Was hast du mit mir gemacht? Eine SCHLEIFE? Was zum Henker…“, schrie er, bevor er wirsch von dem Stier mit: „Ruhe, du kleiner Schreihals“, unterbrochen wurde. Verdattert, ein rotes Pochen laut in seinen Wangen, öffnete er schon seinen Mund, nur um wieder zu spät zu kommen. „Er ist MEIN Geliebter. Ich bin der einzige, der ihn verletzten darf, der einzige der ihn auf die eine Art berühren darf. Und der Spaß ihn zu reizen gebührt mir. Also schau zu und lerne, oder stirb tausend Tode.“ „Sehr beruhigend.“ Den Kommentar konnte Mark sich nicht verkneifen, schlich ein paar Schritte auf dem eigenartigen Boden zurück, ohne seinen Dschinn aus den Augen zu lassen. „Siehst du. Unterhaltsam ist mein Markus und ich kann dir versichern, dass er bei den richtigen Aktivitäten weit von einem Schreihals entfernt ist“, hörte er von seinem besitzergreifenden Gegenüber, das mit einer Hand nach ihm griff, ein Gürtelende zu fassen bekam und so seinen Rückzug stoppte. „Und eine Verführung sondergleichen…“ Mark zog verzweifelt an dem Gürtel, schnaufte als die Aktionen nicht von Erfolg gekrönt waren und fauchte: „Lass los! Zum Henker, ich wünsche es mir!“ Doch nichts passierte, nur ein zufriedenes Lachen war zu hören. „Was ist daran lustig, verdammt? Ein Wunsch und ich will auch wissen was hier zum Henker los ist! Scheiße, starr mich nicht so an!“ Wieder beachtete ihn niemand, dafür lehnte der Stier seinen Kopf etwas zur Seite und meinte amüsiert: „Wirklich interessant dein Kleiner. Feuer, die richtige Aura und hübsch verpackt.“ Sein Jin fing schon an ihn näher an sich zu ziehen, die Krallen auszufahren und in Richtung des anderen zu strecken, bis dieser schnell mit seiner Hand winkte. „Aber wirklich nur perfekt für dich. Dieses Mundwerk würde ich stopfen. Möglichkeit dazu hätte ich ja…aber ich kenne dich ja…“ „WAS?“ Mark hielt kurz in seinem Zerren inne und starrte nur noch stupide auf die beiden Perversen um sich, der Gürtel weiter in seinen Händen. Schon im nächsten Moment spürte er einen Ruck, segelte auf Jin zu, der ihn auffing, sich mit ihm drehte und mit seiner Umarmung gefangen nahm. Er zitterte, wusste nicht wieso genau, als der Atem immer wieder über seinen Kopf strich und die Wärme in seinem Rücken seine ganze Haut in eine einzige prickelnde Landschaft verwandelte. „Du kennst die Lehren ja doch noch. Genieße und das Paradies wird dein sein…“, führte sein Jin aus, erntete damit ein heftiges Nicken des Stiers, bevor er leiser zu ihm gewandt flüsterte: „Hier gelten andere Regeln, mein Markus. Keine Wünsche, keine Magie – das gibt es hier nicht. Eigentlich wäre das hier“, dabei strich er über seine Brust, über die Stelle an der sein Tattoo schlummerte, „auch verschwunden, wenn wir nicht einen Bund eingegangen wären…“ „BUND?“, brach es aus ihm heraus, „Das…wir haben keinen Bund. Ich bin nicht mit dir verheiratet! Und was ist…“ Er schüttelte den Kopf wieder und wieder, nur den Stier im Blickfeld, der scheinbar selbstvergessen mit seinem Schwanz spielte, der immer wieder durch die Luft peitschte, in seine Richtung raste, nur um immer kurz vor dem Ziel wieder abzustoppen. Und wieder raste das Ding in seine Richtung, doch etwas lenkte ihn ab, bevor er die Lanze knapp vor sich sah. Eine Hand fuhr langsam seine Brust hoch, hielt in seinem Nacken an, bescherte ihm Bilder, die ihn zurückzucken ließen. „Naja, wenn du es so sehen willst, könnte ich das natürlich auch als eine Art Hochzeit betrachten…“ Er konnte jetzt schon das Grinsen auf dem Gesicht seines Dschinns erahnen, das sicher dem des merkwürdigen Stiers entsprach, der sich gerade sichtlich amüsierte. Wieso musste ihn gerade jemand beachten? Mark stammelte nur hilflos: „NEI…Nei…“, bevor er seinen Mund mit einem Gewaltakt schloss und sich kräftig auf die Zunge biss. Jin wollte ihn nur reizen. „Kein Sex mehr…“ Er wähnte sich schon in Sicherheit, bis eine Hand plötzlich auf seiner Hose landete, vorne, darüber strich und den kleinen Verräter dort unten dazu brachte etwas zu tun, was er nicht sollte. Ein kleiner Reiz, ein kleiner Blitz trieb seinen Verstand kurz zur Verzweiflung und ihn dazu, sich noch kräftiger auf die Unterlippe zu beißen. Irgendwie bewahrte er Haltung. „Verdammt…“, zischte er durch den Mund hindurch, versteifte sich und griff mit beiden Händen nach dem Arm, packte zu und versuchte ihn wegzuziehen, solange er noch den Verstand bewahren konnte. „Ich liebe mein Leben – und meine Wahl, die auf dich gefallen ist. Endlich hat sich alles so gefügt, wie es sollte. Wenn du wüsstest, wie grausam es hier, wie grandios jede Unterhaltung in Wahrheit ist. Ihr Menschen habt keine Ahnung und nutzt in Wahrheit nichts – dafür wissen wir es genau, mein Markus“, hauchte ihm sein Jin ins Ohr, während es ihn immer mehr an Kontrolle kostete, „oh, und übrigens: Willkommen in der Hölle: Der Welt der Dschinns!“ Und damit stoppte plötzlich alle Bewegung. Der warme Reiz war verschwunden, ließ ihm nichts anderes übrig, als mit seinen Augen die Umgebung abzusuchen, in der Hoffnung etwas zu finden, etwas womit er sich ablenken konnte und die kalte Dusche ersparte, ihm die Gedanken daran ersparte, warum er es mochte. Aber egal wie sehr er auch schaute, er fand nichts, nichts außer diesem ewigen Grau, das es ihm unmöglich machte irgendetwas zu erkennen. Kein Wasser, kein Ton, nicht einmal ein kleiner Windhauch war zu entdecken. Es war wie eine einzige graue Wüste, die selbst dieser Bezeichnung noch spottete und in der der Horizont eine imaginäre Linie war, die nicht existierte. Wieder blinzelte er, rieb sich mit der Hand über die Augen, ohne dass sich etwas änderte. Nichts, er fand hier nur ein ewiges Meer aus Nichts, in dem das seltene Flackern von Farbe wie eine Fata Morgana wirkte. Schließlich blinzelte er noch einmal, hasste die Stille. „Wie spät ist es? Tag, Nacht? Und wo ist hier etwas anderes als dieses…Grau?“, nur um einen Blick von dem Stier zu ernten, als ob er verrückt geworden wäre. „Schau mich nich…“, wollte er sagen, doch kam nicht zu mehr. Unbeeindruckt schmetterte der Stier mitten in seinen Satz: „Er weiß wirklich gar nichts. Ist er dein Lustknabe. Oder wie war der richtige Ausdruck dafür?“, hinein und rieb sich dabei grinsend das Kinn. „LUSTKNABE?“ Mark brüllte den Ausdruck regelrecht. Seine Stimme hallte merkwürdig leise in seinen Ohren wider, so dass er es gleich noch einmal lauter wiederholte, bis sein Hals brannte und er nach vorne stürmte. Zumindest wollte er das. Mitten in der Bewegung gefangen rannte er gegen die Umarmung, die sich fester zuzog und ihn in den starken Bauch drückte. „Lass mich…“, regte er sich auf, hasste wie schwach er wirkte und biss sich wieder auf die Lippe. „Nicht ganz, sondern weit besser. Markus ist mein Geliebter und wir sind mehr oder weniger verheiratet“, scherzte Jin – zumindest hoffte Mark das, holte trotzdem mit seinem Ellbogen aus und stieß ihn kräftig nach hinten. Unbeeindruckt fuhr sein Dschinn fort: „Alle Emotionen sind ein einziges Abenteuer, das es wert ist ausgekostet zu werden. Ein Paradies ganz für sich allein in dem einem nie langweilig wird, wenn man sich darauf einlässt. Aber da du noch immer keinen Mut hast, wirst du weder den Rausch der Lust noch die eigenartige Zuneigung je verspüren.“ Dabei spürte er ein sanftes Pochen, das sich gut anfühlte, worauf Mark seine Zähne so fest aufeinander presste, dass sein Kiefer schmerzte, der Mund nach unten gezogen und murmelte so: „Zum Henker, immer ich. Ich will nur wissen, wie spät es ist…verrückter du…“, bevor er zur Seite gerissen wurde. Etwas segelte an seiner linken Seite vorbei, traf mit einem leisen Klirren auf die Lanze, die gerade Zentimeter von seinem Gesicht vorbei rauschte. Stoff wickelte sich darum, scheinbar harmlos, stoppte das Ding mitten in der Bewegung, nur um sich zu lösen und einen Teil des Schwanzes mitzunehmen und in eine Richtung davon zu schleudern. „Du hast geübt“, kam es trocken, fast beleidigt von dem Stier der fast vor ihnen stand und das abgetrennte Teil hochhob. „Aber es macht Spaß. War langweilig, als du verschwunden bist…“ Und damit bewegte sich der letzte Rest Schwanz hoch, eine einzige Flamme, züngelte hinauf bis sie die Hand berührte und wieder als vollständiger Körperteil hervorging. „Als ob ich Übung je nötig gehabt hätte. Im Gegensatz zu dir, fehlt mir nur der Mut nicht...und ich wurde dafür belohnt, wie du siehst.“ Wie um die Worte zu unterstreichen, kratzte sein Dschinn mit den so ungewohnten goldenen Krallen sanft über seinen Bauch, bevor die Hand wieder zum Liegen kam. „Aber damit mein Markus nicht glaubt, dass ich ihn vergessen hätte“, dabei schüttelte Mark nur vehement den Kopf in der Hoffnung nicht zum Fokus zu werden und wurde gleich bitter enttäuscht. Eine Bewegung später drehte sich die immer gleiche Welt um ihn herum, bis er nur an einem Arm gehalten, seinem Jin in die Augen starrte und schluckte, als er die Emotionen darin erkannte. „Also, mein Markus, obwohl es keine Wünsche hier gibt, will ich dir deinen erfüllen und mir dafür einen erfüllen lassen“, hörte er wenig unschuldig, worauf ihm ein: „Du Perverser...“ heraus rutschte. Die freie Hand strich über seine Wange. „Genau das. Du hast es erfasst“, bestätigte sein Jin auch gleich seine Befürchtungen, die seinen Körper in eine eigenartige Laune versetzte, eine viel zu fröhliche. Bemüht redete er sich ein, dass er das hier nicht gut finden sollte, dass das hier die falsche Umgebung wäre, eigentlich jede Umgebung die falsche wäre, bis seine Gedanken wieder unterbrochen wurden. „Es ist wichtig, dass du begreifst, wo wir hier sind. Denn obwohl du hier nicht sterblich bist, weil nichts Sterbliches hier existieren kann, sind Schmerzen für Menschen wenig unterhaltsam - auch wenn es sehr viel Unterhaltung ist, ihnen manchmal dabei zuzusehen, wie sie sich winden und betteln...“, kam es wieder viel zu ernst und brachte ihn dazu sich zu schütteln. Seine Augen wanderten zu der krallenbewährten Hand auf seinem Arm, starrte Momente in Angst darauf, bevor dieses so unpassende Gefühl von Sicherheit wieder aufkam und eine Aussage in den Vordergrund rutschte. „Was? Nichts Sterbliches…?“ „Hier gibt es nichts Lebendiges außer den Dschinns – und denen, die stark genug von ihnen berührt wurden. Alles andere kann nicht existieren...aber das wirst du noch herausfinden.“ Jin beantwortete damit zu seiner Überraschung eine seiner Fragen, verschlug ihm so die Sprache. „Bleib einfach bei mir, denn nicht alle sind mir hier wohl gesonnen und stimmen mit mir überein – so wie Jin, der kleine Kieselstein…“, setzte sein Dschinn so logisch fort und entlockte ihm einen zustimmenden Laut. Kein Wunder, dass nicht alle Jin wohl gesonnen waren… „Und stell keine Fragen nach der Zeit. Es gibt hier nur Ereignisse, die wenigen Sachen, die in Erinnerung bleiben und die erwähnt werden. Was sollte man auch anderes nehmen hier in der Hölle, in der es keinen Wechsel gibt, nichts außer den Wäldern, die unberührbar sind“, fuhr sein Partner ungerührt fort. „Du erklärst so viel“, mischte sich jetzt der andere ein, „Viel einfacher gesagt: Hier ist es Scheiße. Grau über Grau. Keine Abwechslung. Keine Änderung. Nichts. Wälder als Paradies. Sobald man sie berührt passiert irgendetwas…“ „…eine Eigenheit, die niemand vorhersehen kann und die unsteuerbar ihre Richtung einschlägt – ob zum Tode oder zur vermeintlichen Erlösung, das kann ein jeder hoffen und doch nicht wissen“, setzte eine andere Stimme direkt hinter ihm fort. Mark drehte sich automatisch um, nur um dann entsetzt zu erstarren. Sein Unterkiefer fiel mit der Schwerkraft einige Zentimeter weit nach unten, ließ seinen Mund offen stehen, als er die Gestalt sah, die auf einer tropfenden Wolke saß, die wie ein Teppich wirkte, von dem riesige Fäden wegstanden. Die Kleidung hätte jedem Orientbuch Ehre gemacht mit dem Turban aus weißen Haaren und dem Jäckchen mit Puffärmeln, das den Bauch freiließ. Bei jeder Bewegung des weißen Schwalls, wippte der weit überhängende blaue Stoff der den merkwürdigen Teil der Pluderhose bildete, hin und her. Immer wieder bemühte er sich den Kopf zu vermeiden, dessen erster Anblick ihm noch tief in den Knochen saß, bis er nicht mehr konnte, als sich der Mund dieses Wesens wieder anfing zu bewegen. Die eine Hälfte des Gesichts war ein ebenmäßiges Bild, während die andere einem verwischten Gemälde glich, bei dem die Haut nach unten floss und Tropfen immer wieder über die Kleidung rannen, sie damit nach unten zog, nur um von der Wolke aufgefangen zu werden. Rund um die zerstörte Seite herrschte Dunst, der scheinbar unverrückbar mit der Gestalt verbunden war. „Wer von uns, der schon einmal die Welten bereist hat, der in den Genuss der Gesellschaft dieser sterblichen Hüllen, der Menschen, kam, kennt nicht die Fragen nach der ‚Zeit‘, diesem ewig flüchtigen, nicht fassbaren Ding? Aber hier sind wir an einem Ort, an dem die Gesetze, die sonst überall zu herrschen scheinen – oder die die Menschen sich eher schaffen um ihre beschränkte Sicht zu belegen – nicht mehr gelten. Irgendwo im Nirgendwo gefangen in einem Meer aus Grau, das sich nie ändert, außer um uns einen Blick auf das vermeintliche Paradies zu gewähren, dass wir doch nie zu fassen bekommen. Also wie immens wichtig ist unter den Bedingungen, wohl die Frage nach ‚Zeit‘, wenn man am Ende doch nur die Flucht ins Irgendwo haben will?“ Das eigenartige Wesen auf der Wolke schien mehr in einem Monolog gefangen zu sein, während dem sich der Mund nur auf einer Seite wirklich bewegte und auf der anderen eine verwischte Linie blieb, damit noch immer weit mehr war als das fehlende Auge und die Nase, die nur zur Hälfte auf der intakten Hälfte saß. Mark schluckte und murmelte leise: „Oh Gott…“, versuchte den Knoten runter zu drücken und nicht zu starren, während er noch immer versuchte die Bedeutung der Worte zu entschlüsseln, die er gerade gehört hatte. „Den, wehrter Lustknabe, wirst du hier nicht finden. Ich denke wir sind hier an dem Ort, an dem ein Wesen voller Macht und Güte so weit entfernt ist, wie es nur möglich ist. Alles was uns bleibt ist der ewige Tod, der in der Unwandelbarkeit liegt“, erklärte das tropfende Wesen weiter kryptisch und wandte sich seinem Jin zu, der ihn wieder an sich zog und eine Hand um seine Hüfte legte. „Keine Sorge, Wolke ist für alle sehr schwer verständlich…“ Es klang fast so, als ob ihn sein Dschinn beruhigen wollte, der Eindruck nur noch verstärkt von der Hand, die in Richtung des Stiers zeigte. Dieser kratzte sich gerade am Kopf, während die Augen zu kleinen Schlitzen geworden waren, bis er schnaufte und mit einem Huf aufstampfte. „Red deutlicher, du Wolke“, brachte das halbe Rind schließlich unter feurigem Schnaufen hervor und verschränkte die Arme, bevor er den Schwanz nach vorne rasen ließ. Mit einem Zischen zerteilte die Lanze einen Teil des weißen Nebels, der sich sofort wieder schloss, während der Besitzer nur mit den Augen rollte. „Primitivling. Du weißt genau, dass ich nicht den Spaß verspüre beim Kampfe wie du, der du im Geiste ein halber Stier bist – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin nicht Typhon, der hier mit seinem Menschen steht und Unterhaltung in Qual so deutlich sieht und mehr als exzessiv exerziert hat…“ Wieder erntete der Wolken-Dschinn nur einen verwirrten Blick, fuhr mit seinen Armen theatralisch in der Luft hin und her, bis er sie schließlich durch den Turban lenkte. Wie eine Welle rasten die weißen Haare auseinander, strömten Momente herum, bevor sie wie von Wind bewegt hin und her wogten. „Nur für dich, mein tumber Freund, Kollege, was auch immer: Lass deinen Schwanz stecken – den hinteren, denn der vordere hängt dir sowieso viel zu weit hinaus und unterstreicht deine Vulgarität – und hör auf mich in deine Kampfbegrüßung zu verwickeln. Ich will es noch immer nicht, auch wenn ich auf derselben Seite wie du stehe. Jetzt verstanden?“ Dabei beugte sich der Dschinn etwas nach vorne, bewegte seine Beine aus dem Schneidersitz, bis er die Wolke wie einen Sessel benutzte und anfing grausam zu lächeln. „Und belassen wir es einfach. Wir gehen. Ich führe. Du weißt nicht wo unser Haus ist. Wollen andere böse Dschinns vermeiden. Gegenseite mag uns nicht…“ Der Halb-Stier verzog seinen Mund, knurrte und marschierte schließlich mit einem „Folgt mir. Wolke ist ein eingebildetes tropfendes Ding. Wolke will sich nur wichtig machen. Ich weiß den Weg!“ davon. Mark blieb nichts, als durch die sanft bis kratzenden Schubser getrieben zu folgen, während sein Verstand anfing zu arbeiten. „Lass das“, stemmte er sich vergeblich gegen die kleinen Schritte, die er vorwärts getrieben wurde, „und was war…“ „Das, mein Markus, sind zwei unserer Verbündeten. So wie bei den Menschen gibt es eben auch bei den Dschinns verschiedene Charaktere und manche haben mehr Wunden davongetragen als andere. Der mit der Wolke war schon einmal in eurer Welt und hat seine Chancen nicht genutzt, hofft jetzt wider jeder Vernunft auf eine zweite Möglichkeit…“, flüsterte ihm sein Dschinn wieder ins Ohr, so warm, dass es ihn fast vergessen machte, wie grau hier alles war. Aber nur fast. Der Anblick drückte auf seine Stimmung, auf seinen Atem und er konnte nicht mehr anders, stoppte, drehte sich um und ergriff den weichen Stoff von Jins Hemd, starrte fast flehentlich hoch. „Das kann nicht wahr sein. Sag mir, dass ich das hier nur träume – es kann nur ein Traum sein, wenn hier alles so aussieht, keine Sterne, kein gar nichts da ist, oder? Ich will aufwachen, jetzt aufwachen!“, bat er fast, bevor er mit einer Hand los ließ und sie hochhob. Finger fanden seine Wange, in die er voller Inbrunst zwickte und hoffte. Doch nichts änderte sich, alles blieb wie es war, nur noch untermalt von dem heißen Gefühl der brennenden Haut. „Scheiße…“ Er war entweder verrückt – wie schon seit dem Tag an dem er Jin das erste Mal gesehen hatte - oder wirklich in der Hölle gelandet für irgendeine Religion, der er nicht angehörte… „Nicht ganz.“ Fragend schaute er bei den Worten auf, entdeckte wie immer dieses Lächeln, das von den Fingern in seinen Haaren unterstrichen wurde. „Denn in Tagen sind wir hier wieder weg. Das wird ein Ereignis, dass alle in Erinnerung behalten werden…“ Wie gefangen in diesem Moment, schwebte im nächsten ein weißer Fetzen Nebel vorbei. „Und jetzt würde ich euch bitten, eure Turteleien ein wenig dezenter zu gestalten, da nicht alle hier anwesenden Dschinns das große Vergnügen haben einen Lustknaben – oder Geliebten, wie auch immer ihr das nun nennen möget – ihr eigen zu nennen. Ich bin keiner, der ein Ereignis von solch immenser Tragweite gerne stört und damit für das Gedächtnis unbrauchbar macht, doch es schmerzt mich dem hier beiwohnen zu müssen ohne je die Möglichkeit zu bekommen etwas ähnliches hier zu erfahren. Also bitte bewegt euch in Richtung des Hauses…und erspart mir diesen Anblick zärtlich ausgetauschter Lieblichkeiten der Liebkosungen“, erklärte der Wolkendschinn sehr ausladend und deutete dabei in Richtung des Halbstiers, der unbeeindruckt weiter marschierte, der hin und her rasende Schwanz das einzige Zeichen irgendeiner Änderung. Mark konnte das „Was?“ nicht unterdrücken, während er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor und im nächsten Augenblick den Druck auf seinem Bauch spürte, über einer Schulter zu liegen kam, die ihm den Blick auf alles in der anderen Richtung verwehrte. Er stemmte sich gegen den Rücken, versuchte sich gleichzeitig mit einem „Lass das“, aus dieser misslichen Lage zu befreien, nur um von einem Zwicken in seinen Allerwertesten unsanft gestoppt zu werden. „AU…du Perverser!“, murrte er, hämmerte mit seinen Fäusten gegen seinen Träger und zog experimentell an den Haaren, ohne das sich etwas änderte. Stattdessen schwankte nur alles hin und her. Schließlich gab er auf, stützte seinen Arm an dem Rücken ab und lehnte seinen Kopf daran, versuchte irgendwas in dem Grau zu finden. Doch nichts änderte sich, selbst wenn alles schwankte, blieb es so einförmig, dass er sich schon nach Minuten – oder waren es vielleicht Stunden? – wünschte, dass irgendeiner der Dschinns erschien und immer stärker mit den Haaren und dem luftigen Gewand seines Jins spielte. Am Ende, als es ihm wie eine Ewigkeit Hin und Hers und Schweigens, als selbst die wenige Ablenkung nicht mehr ausreichend war, brach es aus ihm heraus: „Gibt es hier nichts anderes, zum Henker?“ Wie eine Erlösung erschien die Wolke des tropfenden Dschinns vor seinem Blickfeld, der ihn mit zur Seite geneigtem Kopf betrachtete. „Wie viel darf ich diesem jungen, unwissenden Lustknaben erzählen, ohne dass meine Wenigkeit demnächst mit deutlich geschundenem Körper in der Ecke lieget, ohne je die Segnungen dieses unendlichen Schwarz zu genießen, nur um bei der ersten Regung wieder voller Agonie die Stimme in alle Richtungen erschallen zu lassen?“, drückte sich der Schwebende wieder geschwollen aus, was Mark im Moment nicht störte. Plötzlich stoppte kurz jede Bewegung, kurz, bevor er wieder hin und her schwankte. „Lass alles über mich aus und du ersparst dir die Qualen – und versuche es weniger getragen zu gestalten. Mein Markus ist ein Mensch und nicht an dich gewöhnt…“ Jin schien etwas verbergen zu wollen, was nichts Neues war und nur noch leise an seinen Verstand appellierte nachzudenken, bis der letzte Satz kam. „Was soll das heißen?“, grummelte Mark und seufzte nach einiger Zeit, als keine Antwort kam. Der Hauch eines Lächelns tauchte in dem halb zerstörten Gesicht auf, bevor sich Wolke etwas vorbeugte und die Arme vor der Brust verschränkte. „Also wehrter Mensch“, räusperte sich der vor ihm schwebende Dschinn und klang dabei wie die Mischung von Blätterrascheln und Regentropfen, „da ich die Welt der Menschen kenne, fasse ich es in die kleinen Begriffe, die es gibt und überlasse den Rest ‚Auge‘. Ich denke wir kommen gleich an.“ Gerade als Mark seinen Mund öffnen wollte, um etwas zu fragen, fuhr der tropfende Dschinn unbeirrt fort: „Das hier ist im wahrsten Sinne die Hölle – und doch wieder nicht. Ewig gleich, ewig grau, gibt es hier keine Zeit, denn wie sollte man ohne eine Änderung etwas messen, was Änderung voraussetzt? Denn die Zeit ist in Wahrheit nichts anderes als ein Mittel um Änderungen zu bestimmen und man kann sie nur so messen“, und wurde damit fast philosophisch. „Wir hier setzen nur Ereignisse zueinander in Relation und schaffen damit einen Anhaltspunkt, auch wenn sie für andere Dschinns manchmal nicht in der gleichen Reihenfolge passiert sind. Entfernungen bergen dieselben Probleme, ändern sich wieder und wieder.“ Dabei schüttelte Wolke den Kopf. „Am Ende treibt diese Monotonie uns alle irgendwann in den Wahnsinn und zu der einzigen Flucht, die uns bleibt: Den Wäldern.“ „Aber das…ich dachte, es gibt hier nur Monotonie?“, wandte Mark ein, die Augenbrauen zusammengezogen. „Guter Einwand. Ich glaube dein Lustknabe ist doch ganz brauchbar, Typhon…“, regte sich die Wolke, streckte sich dabei etwas höher und entlocke ihm ein fragendes: „Typhon?“, nur um gleich einen Finger zu sehen, der sich hob. Geistig verband er die Linie mit sich selbst, bis es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel. „Jin ist Typhon?“ „Ja. Du bist wirklich ganz brauchbar. Was sonst hier in unserer Welt an Menschen strandet ist weit weniger amüsant und sehr schnell ein wenig verrückt“, brachte der Tropfende hervor und verschränkte wieder die Arme, stoppte sofort jede Nachfrage mit der Antwort. „Wir heißen alle ‚Jin‘. Es ist wie die nächste ‚Strafe‘ für uns, die uns Individualität nehmen will und nur eine Bedeutung hinter Worten zur Unterscheidung da lässt. Deswegen reden wir oft andere Dschinns mit Spitznamen an, die ihre prägendsten Eigenschaften hervor streichen und manchmal von fast allen verwendet werden. Immer wie es uns gerade passt…“ Kurz herrschte wieder Pause, in der der Marsch noch immer unverändert weiter ging und sein Jin nur zustimmend nickte, bevor Wolke wieder anfing und das inzwischen Offensichtliche erklärte: „Ich bin ‚Wolke‘, weil ich genau den Eindruck hinterlasse, nachdem ich zu einem Teil zu einem Wasserdschinn wurde und sich das nicht ganz verträgt“, dabei zeigte er auf sein Gesicht, das hinunter tropfte. „Unser tumber Freund“, hörte er begleitet von unzufriedenen Schnaufen hinter sich, „ist für mich nicht ohne Grund ‚Tauros‘ genau wie das Sternbild des Stiers. Und dein Geliebter eben ‚Typhon‘, was dich wohl an einen Taifun erinnern könnte. Die Griechen waren wirklich leicht beeinflussbar und so amüsant…“ Schweigen war das einzige, was ihm im Moment einfiel. Es klang alles logisch, ein wenig verdreht und fast hatte er vergessen wo er war, bis ihm das Grau hinter Wolke wieder einfiel. „Oh, und da du mich nach den Wäldern gefragt hast – und der Weg zum Haus scheinbar wieder länger statt kürzer geworden ist: Es gibt eben in dieser Welt etwas, das das Bild stört und das sind die Wälder. Paradiese direkt vor unseren Augen, die wir nie betreten können. Fast wie in den griechischen Sagen über die Unterwelt… Jeder der es versucht wird von dem Feld rundherum nicht durchgelassen, sondern erfährt etwas. Etwas, das nicht berechenbar ist, ein reines Glücksspiel ist – eines ohne Wahrscheinlichkeiten. Entweder es passiert nichts nach der Angst, die man durchsteht wenn man sich dem Paradiese nähert und damit alles umsonst durchgestanden hat oder man wird verändert zum Guten oder Schlechten mit Narben wie ich sie habe oder Krallen und Kräften wie dein Typhon sie bekam. Doch das waren die zwei, die einen hier verweilen lassen. Die dritte Möglichkeit ist die Flucht voraus, in eure Welt, während die vierte die Auslöschung ist, das Vergehen. Manchmal sehen einige das Paradies vor Augen, eure Welt oder vielleicht eine andere, bevor sie sich auflösen und gen Himmel empor steigen und…“ Ein fast trauriger Blick unterbrach die Ausführungen und Schweigen kehrte ein. „Glauben einige an Erlösung dadurch“, begann Tauros, ohne dass seine Stimme näher klang, „Risiko groß. Vielleicht einfach nur auflösen und damit alles zu Ende. Viele haben Angst…“ Inzwischen klang das ganze so verständlich, wie etwas, das er nachvollziehen konnte. „Und…“, wollte er nachfragen, nur um im nächsten Moment den Halt auf der Schulter zu verlieren und mit einem unsanften Aufprall auf seinen Fußballen zu landen. „Was…?“ Trocken und doch mit einem Lächeln zeigte sein Jin auf ein Stück Grau, das genauso Grau aussah wie alles andere. „Wir sind da. Willkommen im Schutzhaus.“ Ein „Wo?“, rutschte ihm heraus, während er sich drehte und erstarrte. Da, in der anderen Richtung war ein riesiger grüner Streifen, der fast den ganzen Horizont ausfüllte und damit die Eintönigkeit vertrieb. So nah war es, dass er einzelne Gestalten erkennen konnte, die wie bunte Kleckse davor hin und her schwirrten oder still standen. Tränen kämpften sich ihren Weg in seine Augen, wollten fallen, vor Freude über diesen Anblick. „Das ist wunderbar…“, brachte er heraus, seine Lippen zu einem entrückten Lächeln verzogen, halb geöffnet. Er musste das näher sehen. Langsam schwankte er, nahm einen Schritt und noch einen, um näher zu kommen, bis etwas ihn aufhielt, ihn stoppte. Verwirrt schaute er sich um, fühlte wie irgendetwas abfiel und der Drang näher zu kommen verging, als er die Hände auf seiner Brust fühlte. „Nicht…schau genau hin…“ In dem Moment hörte er einen Schrei, der über die ganze Ebene hallte, ein verzücktest: „Das Paradies!“, das sich im nächsten Moment in ein schmerzverzerrtes Kreischen verwandelte, das ein braunes Wesen von sich gab, wie eine Mischung aus einem immensen Wurm und dem Oberkörper eines Riesen wirkte. „Neiiiiiiihhheeeein!“, brachte die jetzt immer undeutlichere Figur hervor, zitterte, verschwamm und zerfiel an den Rändern langsam. Kleine Brocken schwirrten hin und her, bewegten sich schließlich wie von etwas gezogen nach oben gegen die Schwerkraft – wenn es die hier gab - immer weiter hinauf, während das Wesen sich wand. Immer schneller verlor dieser Wurmriese an Masse, bis er nur noch ein kleiner Strich war, der sich wie eine Fontäne aus Erde nach oben zog und schließlich mit einem letzten geflüsterten „Nein“, nach oben schoss und in einem letzten roten Blitz verging. Damit war alles vorbei ohne dass sich etwas an dem Wimmeln dort geändert hätte, ohne dass es jemand beachtet hätte. Mark schluckte. „Was…?“, begann er und hörte schon den nächsten Schrei, sah die nächste Fontäne, die diesmal rot hochstieg in den ewig grauen Himmel. Eine Flammensäule, die sich um sich selbst schlang und zerfraß, nur um schließlich mit einem letzten Lichtblitz zu enden. Das Heulen im letzten Moment, dieses Geräusch als ob eine Flamme erstarb, dieser Tod zum zweiten Mal, hallte in seinem Kopf wieder, setzte sich in seinem Hals fest wie ein Knoten, den er hinunter schlucken wollte. Die Arme um seine Brust drückten fester zu, ihn an einen lebendigen Rücken, der ihn von ganz allein beruhigte und warme Erinnerungen wach rief. „Das, mein Markus, ist der Tod, das Ende einer Existenz. Eine der Möglichkeiten die passiert, wenn man den Wald berührt“, erklärte ihm Dschinn und drehte ihn um, als er in seinen Augenwinkeln eine weitere Fontäne sah, die damit aus seinem Blickfeld verschwand… „Naja, doch nicht immer die schlimmste Möglichkeit. Manche von uns, die Verfluchten, sehen sich mit einer Realität konfrontiert, in der die Flucht in das ewige Nichts oder in Hoffnung sich nie erfüllen wird. Jede Berührung führt zu nichts oder zu Entstellung, doch nicht zu dem erhofften Wege…“, murmelte Wolke hinter ihm, während er vor sich einen etwas dunkleren Fleck erblickte, der immer wieder für Bruchteile auftauchte und wieder verging – fast wie eine feste Barriere, die eine Fata Morgana war. „Hier rein, mein Markus…hier drinnen.“ Damit stupste sein Dschinn ihn schon in Richtung dieses eigenartigen Flackerns, versperrte mit seiner Umarmung seinen Fluchtweg, als er dieses eigenartige Phänomen immer näher sah. Und dann passierte es. Im nächsten Moment wurde er losgelassen, stolperte gestoßen unaufhaltsam darauf zu, schloss die Augen fest. Gleich würde er aufprallen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)