Unexpected Visits von Siberianchan ================================================================================ Kapitel 3: Mountains -------------------- Titel: Unexpected Visits – Mountains Fandom: Fullmetal Alchemist Pairing: Roy/Winry Kommentar: Der dritte und letzte Teil meiner kleinen One-Shot-Reihe zu diesem Pairing – und der Punkt, wo das Pairing zu seiner Berechtigung kommen darf. „Mountains“ spielt zwischen TV-Serie und Movie, vielleicht ein weiteres halbes Jahr nach „Graveyards“. Disclaimer: Fullmetal Alchemist gehört Hiromu Arakawa-sensei und Studio BONES, ich verdiene nix, will auch nix verdienen(obwohl…) – aber wer spenden will, gerne. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ b][Unexpected Visits – Mountains In den Briggs-Bergen sah jeder Meter aus wie der andere – weiß. Weiß. Weiß. Weiß. Schneeweiß. Eine endlose Schneelandschaft erstreckte sich vor den Augen des Betrachters – wenn man denn einmal die Chance dazu hatte, etwas zu sehen durch den scheinbar immerwährenden Schneesturm hindurch. Roy genoss es. Still war es hier, so nah an der Grenze, so still und menschenleer. Leer und Still, er war allein und konnte dem Schnee die Namen derer beichten, die er auf dem Gewissen hatte. Ishbarier, viele, viele namenlose Ishbarier. Sara Rockbell. William Rockbell. Viele Ishbarier, die gestorben waren, weil es keine Sara und keinen William mehr gab. Edward Elric. Alphonse Elric. Winry Rockbell. Winry… Es war gut, dass er hier war. Weit weg, weit weg von allen Menschen und vor allem weit weg von diesem Mädchen. Sie hatte ihm die Beichte verweigert, die er nun dem Schnee anvertrauen musste. Wenn sie ihm die Beichte nicht abnahm, war es besser, sie nicht zu sehen. Nein, im Grunde war es ganz allgemein besser, sie nicht zu sehen. Ja, ganz definitiv sogar. Und noch besser war, dass er hier überhaupt niemanden sah, kein Al, keine Winry, niemand, der ihm seine Verfehlungen vor Augen geführt hätte nur durch den Fakt, dass er da war. Im Teekessel kochte Wasser, er warf ein Sieb mit Kräutern hinein. In Letzter Zeit trank er viel Tee, ohne Alkohol natürlich. Obwohl die Flasche immer griffbereit war und immer – so schien es Roy jedenfalls – halbvoll, obwohl er sich nur allzu oft einen Schluck aus ihr genehmigte. Gegen die innere Kälte, wie ein Soldatenspruch sagte, so wie der Tee gegen die äußere war. Er lauschte dem Singen des Kessels, den Blick geistesabwesend aus dem Fenster gerichtet. Schnee. Weißes Treiben, eine schemenhafte Figur, von der er erst viel zu spät Notiz nahm. Eigentlich wurde ihm erst bewusst, dass er sie gesehen hatte, als es an der Tür seiner kleinen Hütte klopfte und selbige Tür geöffnet wurde, ohne, dass er Antwort gegeben hätte. Die Gestalt war vermummt, in dicke, helle Winterkleidung gehüllt, ein cremefarbener Wildledermantel mit Kapuze und felligem Innenfutter, darunter eine Mütze und viele Schichten Schal, die das Gesicht beinahe vollständig verdeckten. Sein Gast hatte sich ganz offensichtlich nach dem Zwiebelprinzip angezogen und war dabei so eifrig gewesen, dass Roy jetzt Probleme hatte, die Körpersilhouette auch nur zu erahnen. „Miss Rockbell“, meinte er und betete, dass seine Stimme nicht allzu sehr zitterte. Sie schüttelte den Schnee ab, den sie mit hereingebracht hatte, ein wenig unbeholfen versuchte sie, zu ihrem Gesicht zu reichen und scheiterte an den vielen Kleidungsschichten. Roy trat zu ihr, zog ihr Kapuze und Mütze vom Kopf, die Haare waren zu einem wirren Dutt, einem Nest hochgesteckt, sie sah ihn an und hob die Arme. Hätte Roy nicht gewusst, wie schlank und hübsch sie eigentlich war, hätte sich ihm der Vergleich mit einem übergroßen Marshmallow aufgedrängt. Einem blonden Marshmallow. Vorsichtig entfernte er jetzt die Schichten Schal und vermied es dabei, ihr Gesicht zu berühren. Seine zitternden Finger erschwerten ihm diese Aufgabe erheblich. Winry atmete tief durch, als er es endlich geschafft hatte. „Ich heiße Winry, wie oft denn noch?“, knurrte sie. Er konnte nicht antworten. „Ähm…“ Sie sah nervös zu ihm hoch, unter ihrem blonden Nest von Haaren. „Ich bräuchte mal Hilfe mit der Jacke…“ Seine Hand zitterte, als er sie ausstreckte und den Reißverschluss aufzog. Darunter kam eine Weste zum Vorschein. Winry streifte den Mantel ab, unter der Weste war ein bunt geringelter Pulli, beides streifte sie ab, darunter noch eine Weste, eine Ski-Latzhose – auch das streifte sie ab, darunter kam eine dicke, eng anliegende Leinenhose zum Vorschein und ein grauer Wollpullover, der weit und kurz bis knapp über ihre Taille flauschte. Dazu der Dutt, den sie eben auflöste. Lange, blonde Haare kringelten nun wirr um ihren Kopf herum. Roy beobachtete sie stumm und schämte sich, einen Moment lang gedacht zu haben, sie würde sich noch weiter ausziehen. Sie betrachtete den Kleiderhaufen zu ihren Füßen, Roy nickte in eine Ecke. „Da.“ Sie nickte, hob die Kleidung auf und schaffte sie dorthin. „Tee?“ „Ja, bitte.“ Sie griff an ihren Hinterkopf und löste den Dutt nun vollständig auf, fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haarsträhnen. Roy indes suchte zwei Tassen heraus, eine war nicht ganz sauber. Die nahm er am besten für sich, beschloss er, als er den Tee eingoss. Sein Blick glitt zu Winry, die sich unsicher umsah, wo sie sich wohl setzen konnte. „Mit ihnen hätte ich nicht gerechnet“, sagte er schließlich ehrlich. „Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mal herkomme“, murmelte sie. „Sie hätten anrufen sollen… jemand hätte sie hergebracht… oder ich hätte sie vom Bahnhof abgeholt…“ Ihre Augen hatten eine beunruhigende Ähnlichkeit mit Edwards in ihrer Art, ihn zu durchbohren. „Lügner.“ Sie fuhr sich durch die langen, blonden Haare. „Sie sollten die Haare öfter offen tragen“, bemerkte er. „Es steht ihnen.“ Sie gab keine Antwort. Roy verfluchte sich. Er war den Umgang mit Frauen nicht mehr gewöhnt, er war vollkommen aus der Übung, was das betraf – und dann musste die erste Frau, die ihm nach Monaten wieder unter die Nase kam, Winry sein. Er schob den alten, schon etwas ausgetretenen Teppich vor das Kaminfeuer. „Ähm… das ist das Bequemste, das ich anbieten kann…“ Von meinem Bett abgesehen, doch auch diesen Gedanken verbannte er verschämt in den hintersten Winkel seines Kopfes. Anscheinend jedoch hatte Winry seine Gedanken gelesen oder bildete er sich ein, dass ihr Blick einen Moment lang zu seinem Bett flackerte? Er bildete sich das sicher nur ein, denn sie ließ sich kommentarlos, dafür aber mit einer eleganten Bewegung auf seinem Teppich nieder(Roy überlegte, dass Frauen wohl ein paar Gelenke mehr haben musste, um sich so verbiegen zu können), nahm ihre Tasse entgegen, trank ein einen zögerlichen Schluck und sie sah dabei furchtbar klein und zerbrechlich aus und so jung, dass Roy über seine eigenen Gedanken vorher erschrak. „Warum bist du hier?“, frage er und ließ sich neben ihr nieder, hielt jedoch Abstand. Sie war ohnehin schon näher bei ihm, als ihm gut tat. „Du hast gesagt, ich solle vorbeikommen“, sagte Winry. „Auf dem Friedhof.“ Jetzt duzte sie ihn wieder. Dieses Mädchen war wirklich verwirrend. Aber in Roy breitete sich dennoch Erleichterung aus. Er durfte also beichten. Er durfte endlich… Doch er schwieg. Winry sah ihn verdutzt an. Er konnte ein unsicheres Lachen nicht unterdrücken. „Ich brauch Anweisungen… eine Frage, was du wissen willst...“ „Soldat.“ Weder Roy noch Winry wussten, ob das nun verächtlich hatte klingen sollen oder nicht. Schließlich fragte sie dann: „Meine Eltern… hast du sie gekannt?“ Ausgerechnet mit der schwersten Frage musste sie anfangen. Seine Finger krampften sich um die Tasse. „Ich habe in Ishbal viel gesehen… und viel getan. Schon davor. Seit ich sechzehn war…“ Er brach ab, um nicht von der Erinnerung zu würgen. Winry starrte ins Feuer und ihre Lippen formten das Wort Sechzehn, ohne ein Geräusch zu machen. Sechzehn. Viel zu jung für den Krieg. Ed war mit zwölf in die Armee gegangen. Er war nie im Krieg gewesen. Sechzehn war zu jung für den Krieg. Gab es überhaupt das richtige Alter für den Krieg? Roy räusperte sich. „Ich hab zu denen gehört, die darüber durchgedreht sind. Das war oft… manchmal hat einer seine Waffe weggeworfen und ist nach vorn gerannt, in den Kugelhagel oder in eine Explosion.“ Er erlaubte den Gesichtern nicht, vor seinen Augen aufzutauchen. Winry fragte schließlich leise: „Und du?“ „Bin zu nah ans Feuer… da war ich neunzehn. Einer der Staatsalchemisten… war auf Bomben spezialisiert. Neben mir ging was hoch, vor mir war eine Flammenwand… und als ich aufwachte, lag ich in einem Krankenzimmer. Vollkommen in Verbänden, kam mir vor wie eine Mumie.“ Jetzt konnte er die Gesichter nicht mehr zurückdrängen. William hatte gemeint: „Erst neunzehn…“ Und sein Gesicht hatte deutlich gezeigt, was er davon hielt. Und Sara hatte später gesagt, als er die Ishbarier gesehen hatte, die sie behandelte: „Du tust deine Pflicht als Soldat, Junge. Wir tun unsere Pflicht als Ärzte. Der Unterschied ist, dass wir nie gezwungen sind, gegen unser Gewissen handeln zu müssen.“ Er hatte nichts erwidern können. Jetzt blickte er Winry matt an. „Deine Eltern haben mir das Leben gerettet… und einen guten Teil meiner geistigen Gesundheit. Nach drei Wochen waren meine Wunden so weit verheilt, dass ich entlassen werden konnte… danach ging es mir zwei Wochen lang gut.“ Winry musste nicht fragen, was am Ende dieser zwei Wochen passiert war. „Der Befehl kam am Vormittag… sie wussten, dass ich wusste, wo sie ihr Hospital hatten und sie wussten dass ich die Ärzte kannte… sie wussten auch, dass ich ihnen mein Leben verdanke.“ „Das ist doch sinnlos“, sagte Winry leise. „Das ist so sinnlos… warum schicken sie jemanden, von dem sie genau wissen, dass er…“ „Disziplinarische Maßnahmen im Feld“, sagte Roy. „Für die, die versuchen, ein eigenes Gewissen zu haben. Bei Nichtbefolgung folgt unverzüglich die Exekution.“ Winry wurde ein wenig übel, sowohl von den Worten, als auch von der Gefühlsleere, mit der Roy sie aussprach. Er stellte die leere Tasse ab, stand auf und ging zu einem Schrank, holte die halbleere Flasche Napoleón heraus. „Auch ein Glas?“ Verdammt, er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt schon achtzehn war oder noch siebzehn… so oder so war sie definitiv zu jung, viel zu jung… Er hörte ein „Hm…“ Ein Blick in das Geschirrfach ernüchterte ihn zu ganz praktischen Gedanken. Nur noch ein Glas… Und er fühlte Winrys Blick in seinem Rücken, sie wusste ganz genau, dass er versuchte, Zeit zu gewinnen. Also goss er ein und brachte das Glas zum Kamin und hielt es ihr entgegen. „Stört es dich, dir ein Glas mit mir zu teilen?“ Sie nahm das Getränk wortlos entgegen, kostete und Roy sah ganz deutlich, wie sie versuchte, ihre Mimik unter Kontrolle zu halten. „Beim zweiten Schluck wird es besser“, sagte Roy, nahm ihr das Glas ab und nahm nun seinerseits einen Zug. Sie fragte diesmal nicht. Er musste den Anfang von selbst finden. Mit einem leisen KLONK stellte er das Glas zwischen ihnen ab. „Ich bin also zum Hospital… mit einer Pistole, fünf Schuss. Ich hab die Ärzte…“ Er korrigierte sich, er musste ehrlich zu ihnen beiden sein, „ich habe deine Eltern gefunden… sie wussten, was kommen würde.“ Winrys Finger zitterten, als sie nach dem Glas griff und es an die Lippen führte. Wahrscheinlich merkte sie nicht, was sie trank, das hätte erklärt, warum sie es so einfach hinterkippte. Das Glas war leer, als sie es abstellte. „Sie wussten, was auf sie zukam… und sie haben mit keinem Wort um Gnade gefleht.“ Jetzt konnte er ein Würgen nicht zurückhalten. „Aber… sie haben mich gefragt, ob ich nach meinem Gewissen handle oder als Soldat… ich hab geantwortet, als Soldat. Und dann hab ich deinen Vater erschossen… deine Mutter hat nur gemeint, dass es traurig ist, dass es da Unterschiede gibt… aber dann wären wohl auch keine Kriege. Danach…“ Er stockte kurz. „Jeweils ein Schuss“, sagte Winry. „Beide Male sehr kurze Entfernung, direkt zwischen die Augen.“ Sie klang wie ein Kind, das ein auswendig gelerntes Gedicht herbetete. Roy starrte sie an. „Man hat uns den Obduktionsbericht geschickt. Oma hat damals nur gesagt Ein Glück, dass es wenigstens so schnell ging.“ Sie zog die Knie an den Körper, starrte ins Feuer und Roy sah ihre Schultern beben. Langsam hob er die Hand, legte sie auf ihren Rücken, ein Zittern durchlief den schmalen Körper, er fühlte weiche Haarsträhnen unter seinen Fingern. Sie hob den Blick und sah ihn an; ihre Augen waren zu seiner grenzenlosen Überraschung trocken. Roy war fest davon überzeugt gewesen, dass sie weinte. Er wandte den Blick ab. „Danach wollte ich mir selbst eine Kugel in den Kopf jagen… und selbst dazu musste ich mir Mut antrinken.“ „Ah.“ Mehr nicht. Statt weiterer Worte hörte er ein Rascheln, eine Bewegung und fühlte, wie Winry näher zu ihm herankam. Ein Arm legte sich um seine Schultern, ein anderer um seinen Kopf und er wurde gegen einen warmen, weichen und doch seltsam harten Körper gezogen, hellblonde Haare streiften seine Wange, er Roch Wolle, Schweiß und noch etwas anderes, das er nicht so ganz zuordnen konnte. Etwas Weibliches. Eine Hand strich ihm über die Haare, er fühlte Schwielen, als die Handfläche seine Wange erreichte. Ohne den Blick zu heben, sagte er: „Du solltest mich loslassen... ich tu sonst noch etwas Dummes.“ Wahrscheinlich – sicher – verstand sie ihn, sie war nicht dumm, ganz und gar nicht. Sie ließ ihn trotzdem nicht los und er hob die Arme, legte sie um ihre Taille, zog sie an sich und lehnte den Kopf an ihre Brust. Warm, weich, umfangend, tröstend… vergebend. Er sank ein Stück nach unten, auf ihren Schoß, seine Finger tasteten nach oben, legten sich um ihre Schultern, sie sahen sich an. Ihre Wangen waren rot und glänzten nass. Also hatte sie doch geweint. Und wahrscheinlich hatte sie gedacht, er sah es so nicht. Einen Moment lang verharrten sie, Winry fühlte Roys Atem auf ihrem Gesicht, er roch nach Alkohol und ein wenig nach der Hütte, dem Feuer. Eine Hand legte sich in ihren Nacken, zog ihren Kopf hinunter, sie küssten sich und Roy stellte fest, dass sie genauso schmeckte, wie er. Alkohol. Der Geschmack passte so gar nicht zu ihr. Er löste den Kuss, sie starrten sich wieder an, einen Moment lang spielten beide mit dem Gedanken, nach draußen zu flüchten, in den Schnee, notfalls ins Erfrieren, solang man von dem weg kam, was hier in der Luft hing. Weder schob Roy Winry weg, noch zog sie sich zurück, als seine Hände unter ihren Pullover und das Unterhemd fuhren, dann über ihre Haut nach oben, zu den Schultern. Winrys Finger strichen über sein Hemd, lösten Knöpfe, Roy fühlte ihre Hände zittern. Er hielt die Finger fest und wieder überlegte er eine Sekunde lang, ob er sie nicht doch besser aufhalten sollte – oder besser gesagt sich selbst. Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Sie war eine Frau, sie war hübsch und sie war da – und vor allem zeigte sie keinen Unwillen, als er sie umfasste und auf den Rücken legte, sie ließ ihn sie ausziehen, gab sich in seine Leitung, als er ihre Hände griff und über seinen Körper führte. Er selbst nahm sich Zeit, seine Lippen tasteten über weiche, blasse Haut, dann beugte er sich über ihr Gesicht und küsste sie erneut. Die Anspannung von vorher war fort. Er hatte sie unter sich, sie legte die Arme um seinen Rücken. Gut so… das hieß, dass er durfte. Hätte sie nur ein Zeichen von Unwillen gezeigt, hätte er sie sofort gehen lassen. Aber so konnte er sich Zeit lassen. Winry zuckte jedoch zurück, als seine Hand zwischen ihre Beine glitt, sie starrte ihn mit seltsam weit aufgerissenen Augen an. Anscheinend hatte sie doch nicht damit gerechnet, dass er eine solche Gelegenheit nutzte. Roy strich ihr über das Gesicht, fuhr mit dem Finger den Bogen ihrer Lippen nach, küsste sie am Ohrläppchen, dann fühlte sie eine Bewegung in sich hinein – und zuckte kurz zurück. Das Gefühl war ungewohnt. Es war gut, dass sie etwas zum Festhalten hatte. Sie lagen merkwürdig stumm nebeneinander, sagten kein Wort; schließlich setzte Winry sich auf, die Arme vor der Brust verschränkt und sah nachdenklich ins Feuer. Ihre Finger fuhren über eine Stelle auf ihrer linken Brust, die sich vorher unter Roys Lippen rötlich-blau verfärbt hatte. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein verwunderter Ausdruck aus. Er hatte etwas sagen wollen, ganz sicher hatte er das – aber nun wusste er nicht mehr, was. Das passierte ihm auch zum ersten Mal. Wie schon früher hob Winry sie Hand und strich ihm wieder über die Augenklappe. „Nimmst du die nie ab?“ „Eigentlich… nein“, antwortete er wahrheitsgemäß. Tatsächlich konnte er sich an keine Gelegenheit erinnern, zu der er sie abgenommen hätte. Vom Waschen einmal abgesehen. Er betrachtete sie einen Moment lang, bewunderte, wie der Feuerschein, ihre Körperkonturen nachzeichnete und wie Licht und Schatten auf den sachten Rundungen spielten. Dann griff er nach ihrer anderen Hand, drehte die Innenfläche nach oben und besah sich die Verhornungen und Schwielen. Ein Mädchen, das anpackte, das arbeitete, das auf seine Art kämpfte. Eine Frau, die stark war, selbstständig und die keinen Mann brauchte. „Was denkst du… hab ich deine Fragen beantwortet?“ „Hm…“ Am liebsten hätte er gefragt, was nun war. Ob sie glaubte, ihm eines Tages verzeihen zu können, wenigstens ein bisschen. Sie wandte den Blick von ihm ab, sah wieder ins Feuer, dann fragte sie, ohne ihre Rechte von seiner Augenklappe zu nehmen: „Was siehst du?“ „Die Gesichter“, murmelte er. „Alle, die meine Dummheit umgebracht hat… oder deren Leben kaputt ist wegen mir…" „Und hört es irgendwann auf?“ Sie beugte sich über ihn, lange, helle Haare strichen kitzelnd über seine Brust. „Nein… nie.“ Winry seufzte leise und kam seinem Gesicht näher, er fühlte, wie sie ihm die Augenklappe fort strich; ihre Finger tasteten behutsam über das vernarbte, hängende, leere Augenlid. Die Braue darüber war eisengrau gebleicht. Roy hielt ihre Hand fest, führte sie kurz an seine Lippen und murmelte ein leises: „Danke…“ „Wofür?“ „Ich hatte das schon so lang sagen wollen… und es war dein Recht, es zu wissen… aber so lang du es nicht wissen wolltest, konnte ich nichts sagen.“ Er seufzte leise. „Du wirst mir wohl nicht verzeihen, dazu hab ich dir zu viel angetan… aber es hat mir eine Last abgenommen, dass ich dir das sagen konnte. Sie zog ihn hoch und wieder wurde er von ihrem Körper umfangen, festgehalten, eingehüllt. „Dummkopf“, murmelte sie. „Ihr Männer seid Dummköpfe, alle miteinander.“ Er zog sie wieder in seine Arme, genoss ihre Nähe, ließ sich davon trösten, einlullen. Schließlich murmelte er: „Du solltest die Haare wirklich öfters offen tragen… es steht dir.“ Sie gab keine Antwort. Es war am Tag danach, dass sie ging, sich wieder in ihre Kleiderschichten quälte und danach Roy unbeholfen die Hand hinstreckte. Er griff zu, Papier raschelte. „Meine Telefonnummer. Falls du sie vergessen hast…“, erklärte sie. „Al ist manchmal in Resembool, du kannst ihn dann bei uns erreichen.“ „Danke.“ Winry kämpfte mit dem Mantel, er half ihr hinein. „Du solltest zusehen, dass du aus der Kälte herauskommst“, bemerkte sie. „Du bist der letzte Mensch auf der Welt, der hierher passt.“ Roy musste lächeln. „Zum Büßen gehen die meisten Leute ins Exil.“ Winry seufzte leise. „Du hast zwei Menschen das Leben gerettet, die ich sehr liebe… ich weiß nicht, was aus ihnen geworden wäre ohne dich.“ „Ed wäre nicht in die Armee gegangen?“, schlug er vor. „Stimmt, stattdessen wär er in Selbstmitleid versunken“, stellte Winry fest. „Und irgendwann eingegangen. Und Al… das male ich mir gar nicht erst aus. Du hast ihnen einen Weg gezeigt, auf dem sie weiter gehen konnten. Danach hatten sie ihr Leben wieder in der Hand.“ „Das klingt fast wie eine Absolution.“ Sie hob die Hand an seine Augenklappe. „Die nützt aber nichts, wenn du dir nicht selbst verzeihen kannst.“ Dazu wusste Roy nichts zu sagen. „Man sieht sich hoffentlich mal, oder?“ In Winrys Stimme schwang etwas mit; Hoffnung? Blieb die Frage, worauf. „Bestimmt“, meinte er. Und dann öffnete sie die Tür und ging, verschwand ebenso im Schneetreiben, wie sie daraus aufgetaucht war. Am Bahnhof holte sie ihren Rucksack aus einem Schließfach, stieg in den Zug und dort begann sie, ihre Kleidungsschichten abzulegen(was ihr zu Anfang viel Mühe bereitete), packte sie weg, dann suchte sie eine Bürste und eine Haarspange heraus, kämmte sich und zwirbelte sich dann die Haare hoch. Auf ihre Züge stahl sich ein selbstzufriedenes Lächeln, nachdem sie dies abgeschlossen hatte; Roy brauchte bloß nicht glauben, dass sie nach seiner Pfeife tanzte, nur weil sie ihm ein Mal in diese Scheißkälte gefolgt war. Nicht, dass er das jetzt mit bekam, weder den Akt an sich, noch ihr Lächeln und schon gar nicht den Hintergedanken. Aber Winry fühlte sich besser dabei und im Moment kam es nur darauf an. Zufrieden lehnte sie den Kopf an die Scheibe des Zugfensters. Zu Hause würde sie sich hinsetzen und an dem Automail arbeiten, den sie neulich erst angefangen hatte. Ein rechter Arm, ein linkes Bein, das dazu passte, hatte sie schon fertig. Hoffentlich kamen sie auch eines Tages an den Menschen, für den sie gedacht waren. Ihre Mundwinkel zuckten ein Stück nach oben. Besser, Ed erfährt das mit Roy nie – nicht, wenn Roy noch ne Weile am Leben bleiben soll. Im Grunde war es doch nicht so schlecht… Vielleicht fuhr sie eines Tages wieder in den Norden. Leise seufzend hob Roy ein paar blonde Haare vom Fußboden, ein anderes pickte er vom Bett auf. Weg ist sie... Aber wenigstens konnte er ihr jetzt in die Augen schauen, sollte sie eines Tages wieder auftauchen. Und das würde sie, da war er sich ganz sicher. In dieser Beziehung war sie genau wie Edward. Ihm schauderte plötzlich. Besser, Fullmetal erfährt davon nichts… nie… nicht, wenn ich in seiner Reichweite bin. Er musste selbst darüber schmunzeln, wie sehr er doch mit Edwards Rückkehr rechnete. Winry war ansteckend. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Abgeschlossen. *seufz* Damit endet diese Dreier-Reihe... ich hoffe, sie hat euch ein bisschen gefallen und ich hoffe, diverse Szenen waren nicht ganz so schlecht. Ich schätze dieses Pairing... mal schauen,vielleicht schreib ich mal wieder was zu den beiden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)