Die Buchhalterin von Animemelli ================================================================================ Kapitel 3: Kündigung -------------------- Kurz vor der Mittagspause betrat Lars das Büro von Kiandra und Rita. Er sah ernst aus, ungewohnt ernst und auch ein wenig enttäuscht obwohl seine Augen bei Kiandras Anblick kurz aufleuchteten, kaum wahrnehmbar. Auch Kiandras Herz hüpfte, als er herein trat. Aber im Gegensatz zu Rita bemerkte sie sofort, dass irgendwas nicht stimmte. Die sah nur Lars und das reichte, um all ihre Wahrnehmung abzuschalten. „Hallo Lars, können wir… kann ich etwas für Sie tun?“ fragte Rita und lächelte Lars ziemlich schleimig an. Gleichzeitig zupfte sie wieder an ihrer Bluse. Sie brachte ihre Geschütze in Stellung und wartete nur noch darauf, zu feuern. Kiandra musste grinsen. Aber Lars ignorierte Rita völlig und sah Kiandra so ernst an, dass ihr das Grinsen augenblicklich entglitt. „Rita, könnten Sie uns bitte kurz allein lassen? Ich habe mit Kiandra etwas zu besprechen.“ Seine Stimme klang nach Weltuntergang und außerdem sehr traurig, fast schmerzvoll. Rita verzog enttäuscht das Gesicht und murmelte etwas, das wie „Natürlich“ klang. Dann verließ sie das Büro mit einem letzten verächtlichen Blick auf Kiandra, in dem eine gewisse Zufriedenheit lag und man konnte hören, wie sie den Gang in Richtung Toiletten davon stakste. Erst als ihre Schritte nicht mehr zu hören waren, setzte sich Lars auf Ritas Platz und sah dann Kiandra einen Moment lang schweigend an. Kiandra sah inzwischen genauso ernst aus wie Lars. Sein Gesichtsausdruck machte ihr direkt etwas Angst. Aber seltsamerweise glaubte sie, auch noch etwas anderes in seinen Augen zu erkennen: Sehnsucht. „Kiandra, ich muss sie etwas fragen. Haben Sie am Dienstag als Letzte das Büro verlassen?“ Kiandra musste kurz überlegen. Das war der Tag, als Rita so überstürzt aufgebrochen war, weil sie einen dringenden Termin hatte. Um was es dabei ging, wusste Kiandra nicht aber es war ihr auch egal. Jedenfalls war Rita mindestens eine Stunde vor ihr gegangen. Es war der Tag nach der Betriebsfeier. „Ja, das ist richtig. Rita hatte einen Termin und musste ziemlich eilig weg. Ich habe erst über eine Stunde nach ihr Schluss gemacht. Hab die Bilanz noch mal überarbeitet. Warum? Was ist denn passiert?“ Lars druckste ein wenig herum und begann, mit einem von Ritas Kugelschreibern zu spielen. Es kostete Kiandra große Mühe und Selbstbeherrschung, in dieser Situation nicht auf seine Hände zu sehen. Schließlich aber legte Lars den Schreiber beiseite, faltete die Hände auf dem Tisch und begann zu reden. „Am Dienstagabend hat jemand von diesem Büro aus Daten ins Programm eingespielt, die unsere Konten verfälschen sollten. Wir wissen nicht, an welchem PC das war, weil sie ja wie ein Arbeitsplatz angemeldet sind. Der Server erkennt nur das Büro, sprich, die Arbeitseinheit aber nicht den PC. Sie wissen das ja.“ Kiandra nickte. Falsche Daten, das war es also. Eine schlimme Sache und das bei diesem guten Sicherheitssystem! Ob das vielleicht Rita war? Aber warum? Sie war doch in den Chef verknallt und hatte keinen Grund für so etwas. „Jedenfalls, am Freitag fiel einem unserer Steuerberater bei der Durchsicht der Konten auf, dass die Bestände vom Wochenanfang nicht mit den Beständen des Freitags übereinstimmten und das, obwohl keinerlei Zu- oder Abgänge stattgefunden hatten! Da hat also jemand willkürlich die Bestände verändert. Genauer gesagt fehlten uns bei allen unseren Bankkonten plötzlich jeweils mindestens 500 Euro. Insgesamt sind also ca. 3000 Euro verschwunden und Sie waren die Letzte, die dieses Büro verlassen hat.“ Kiandra begriff schmerzlich, was diese Aussage bedeutete. Sie sollte Geld unterschlagen haben! Er verdächtigte sie! Tränen stiegen ihr in die Augen. Es war wie ein Schock. Ausgerechnet sie, deren Integrität das einzig Unanfechtbare war, das, worauf sie den größten Wert legte, wurde nun des Diebstahls bezichtigt. Sie sankt förmlich in sich zusammen und schluchzte leise auf. „Das glaub ich einfach nicht“, flüsterte sie. Dann sah sie Lars direkt in die Augen und fragte: „Trauen Sie mir das zu? Glauben Sie wirklich, dass ich so etwas tue?“ Lars konnte ihr kaum in die Augen sehen aber sie fixierte ihn so lange, bis er sie ansah. Überrascht stellte sie fest, dass er feuchte Augen hatte. Oder lag das am Licht? Sie war kurz etwas irritiert, beachtete es aber nicht weiter. Sie war so durcheinander, dass sie etwas tat, was sie unter normalen Umständen nie gewagt hätte. Sie ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Empört sprang sie von ihrem Stuhl hoch und schlug die Hände flach auf den Tisch. Lars zuckte erschrocken zusammen. „Halten Sie mich für eine Diebin? Mich?“ schrie sie zornig. Und nach einem kurzen Moment des Schweigens fügte sie kaum hörbar hinzu: „Sie?“ In diesem geflüsterten Wort lag die ganze Macht der Enttäuschung. Ihrer Enttäuschung. Und dieser Mann sollte soviel Wert auf Gerechtigkeit legen? Wo war denn seine Gerechtigkeit jetzt? Wie konnte er nur so etwas Schlechtes denken? „Kiandra, bitte, mir bleibt keine andere Wahl als Sie zu verdächtigen. Das heißt, eigentlich ist es der Vorstand, der Sie verdächtigt und ich muss mich dem beugen. Sie verlangen…sie wollen, dass ich Ihnen… kündige.“ Lars sprach diesen Satz nur widerwillig aus aber Kiandra merkte das nicht. Sie sah nicht den Schmerz in seinen Augen, hörte nicht die Bitterkeit in seiner Stimme, das Flehen um Verzeihen für seine Anschuldigung. Seine hellgrauen Augen füllten sich mit Tränen, die er aber mit aller Kraft unterdrückte. „Dann mache ich es Ihnen am besten leicht und nehme Ihnen diese Aufgabe ab um Ihr Gewissen rein zu halten. Ich kündige selbst“, sagte Kiandra kalt und wischte sich über die Augen, griff nach ihrer Tasche und ging zur Tür. Aber Lars war schneller. Er stellte sich zwischen sie und die Tür, so dass sie den Raum nicht verlassen konnte. Dann fixierte er sie. „Gehen Sie mir aus dem Weg oder wollen Sie mich erst noch ein bißchen demütigen?“ fragte sie wütend. Sie musste jetzt schnell hier raus, denn richtig heulen wollte sie erst im Auto, wo sie niemand sehen konnte aber lange konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Was wollte er noch von ihr? Wissen, wo das Geld war? Sagen, wie enttäuscht er war? Das würde sie nicht ertragen. „Ich bitte Sie, nein, ich flehe Sie an. Bitte kündigen Sie nicht. Ich werfe Sie nicht raus. Es gibt ja schließlich gar keine Beweise, dass Sie es waren. Wir werden das aufklären. Bitte bleiben sie.“ Lars griff nach Kiandras Hand und drückte sie. Dann sah er ihr tief in die Augen, bittend und der Verzweiflung nahe. Kiandra wollte ihm sagen, dass er sich die Beweise, egal was sie nun bewiesen, von ihr aus in seinen Vorstand oder sonst wohin schieben konnte aber sein Blick verunsicherte sie. Einen kurzen Moment überlegte sie, ihre Meinung zu ändern, vor allem, da seine Hand sie gerade berührte, was bei ihr wieder die Erinnerung an ihren Traum wach rief aber sie zwang sich, den Gedanken abzuschütteln und riss sich los. „Ich gehe. Und ich will von Ihnen und Ihrer Firma nichts mehr wissen. Meinetwegen ermitteln Sie und wenn Sie dann feststellen, dass Sie mich zu Unrecht beschuldigt haben, wird es Ihnen Leid tun! Und jetzt lassen Sie mich endlich durch!“ Damit schob Kiandra Lars zur Seite und verließ eilig das Büro. Sie rannte den Gang hinunter und hörte auch nicht mehr, wie Lars wehmütig flüsterte: „Es tut mir jetzt schon leid. Du ahnst ja nicht, wie leid.“ Als sie um die Ecke bog, begegnete sie Rita. „Na, machst du schon Feierabend?“ fragte Rita spöttisch aber Kiandra beachtete sie gar nicht. Ihr fiel auch der zufriedene Ausdruck in Ritas Augen nicht auf. Bei Sigi wollte sie erst anhalten und ihr erzählen, was passiert war aber sie konnte nicht. Sie musste erstmal hier raus und allein sein. Deshalb rannte sie an Sigi vorbei, die ihr völlig perplex nachsah und keine Ahnung hatte, was sie davon halten sollte. Sobald Kiandra im Auto saß, heulte sie los, kaum dass die Tür zugefallen war. Als sie den Motor startete, donnerte ihr die Musik der morgendlichen Fahrt entgegen, doch diesmal tat sie ihr einfach nur weh statt ihre Stimmung zu verbessern. Ausgerechnet der Song, den Lars auch so gern mochte, es war die reine Folter. Sie schaltete das Radio ab und fuhr zum ersten Mal ohne Musik nach Hause. Dafür hörte sie sich selbst schluchzen und immer, wenn sie sich etwas beruhigt hatte, sah sie Lars mit ernstem Gesicht ins Büro kommen und es ging wieder los. Zuhause angekommen ließ sich Kiandra auf ihr Bett fallen und weinte und weinte bis sie vollkommen erschöpft einschlief. Sie träumte etwas sehr Merkwürdiges: Sie stand an einem Abgrund und ein starker Windstoss erfasste sie. Aber sie fiel nicht den Abgrund hinunter sondern der Wind trug sie sanft bis zum Boden. Dort angekommen sah sie zwei hellgraue Augen im Wind und die blickten sie voller Liebe an. Als sie ihre Hand ausstreckte, kam ihr eine Hand entgegen und griff nach ihrer. Und auf einmal fühlte sie sich beschützt und stark. In diesem Moment wachte sie auf. Was hatte das bloß zu bedeuten? Diese Augen… die kannte sie doch! Das waren die Augen von Lars, ganz sicher! Und die Hand, die gehörte ganz ohne Zweifel zu Lars. Sie fühlte nämlich das Kribbeln in ihrem Bauch überdeutlich. Sie wollte ihn hassen und hasste sich selbst, weil sie es nicht konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)