Die Buchhalterin von Animemelli ================================================================================ Kapitel 1: Ein ganz normaler Montag! ------------------------------------ „Es ist sieben Uhr“, tönte es aus dem Radiowecker, gefolgt von der typischen Klimpermelodie des regional ansässigen Radiosenders. Kiandra riss es förmlich aus ihren Träumen. Verschlafen wälzte sie sich aus der Bauchlage auf die Seite und blinzelte müde in Richtung Fenster. Trotz der sonnenscheinfarbenen Jalousie verhieß das schwache Licht von draußen nichts Gutes. Kiandra quälte sich widerwillig aus dem Bett und linste durch die Lamellen. Der Himmel war aschgrau und es nieselte. „Was für ein perfektes Wetter für eine gute Stimmung“, dachte sie und verdrehte genervt die Augen. Der bevorstehende Arbeitstag – ausgerechnet ein Montag - und die immer gleiche Routine drückten auf Kiandras Laune, das Wetter besorgte den Rest. Am liebsten hätte sie sich wieder ins Bett gelegt und weiter geträumt. Ein merkwürdiger Traum war das. Eigentlich ein Albtraum. Sie musste aus einem Badezimmerfenster klettern, verfolgt von irgendeinem Typen und sie kam beim Rennen kaum von der Stelle. Kurz bevor er sie zu fassen bekam, hatte ihr Wecker sie aus diesem Albtraum errettet. Nun hatte sie einen guten Einfall für den weiteren Verlauf des Traumes. Leider kam sie nicht mehr dazu, diese Idee im Traum umzusetzen. Nach einem kurzen Frühstück und einer Katzenwäsche war Kiandra endlich wach genug, um den Tag anzugehen. Ihre Laune hatte sich auch etwas verbessert. Aber nur etwas. Mürrisch vor sich hin murmelnd griff sie nach ihrer Tasche und ihrem Autoschlüssel und verlies ihre Dachgeschosswohnung. Als sie aus der Haustür trat, umwehte sie eine kühle Brise. Der Nieselregen fiel träge und monoton auf ihren Kopf und fröstelnd und fluchend rannte sie zu ihrem vor Staub und Schmutz starrenden 94er Fiesta. Sie schloss die Tür auf, warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Dann fuhr sie mit den Händen über ihre Haare, die sich feucht anfühlten. Es dauerte keine Minute, bis die Scheiben beschlagen waren. Kiandra steckte den Schlüssel ins Zündschloss, schnallte sich an und machte das Licht an. Aus den Boxen tönte laute Rockmusik und Kiandras Miene hellte sich etwas auf. Was würde sie bloß ohne ihre Musik machen? Wie so oft sorgten E-Gitarre und Schlagzeug auch heute wieder für Energie und Kraft in ihrem Herzen und ihrer Seele. Ein Lächeln, beinahe ein Grinsen umspielte ihre Wangen und optimistisch fuhr sie den Wagen vom Parkplatz. Je länger der Weg zur Arbeit dauerte, umso vergnügter wurde Kiandra. Lauthals grölte sie die Songs mit und tanzte sogar im Sitzen. Doch auch die längste Fahrt hat irgendwann ein Ende und diese Fahrt leider noch viel schneller. Auf dem Firmenparkplatz stellte Kiandra den Ford ab und wanderte den Weg zur Eingangstür in flotten Schritten entlang wobei sie immer noch das letzte Lied weiter sang, das sie im Auto gehört hatte. Es nieselte immer noch aber jetzt machte ihr das nichts mehr aus. Am Empfang begrüßte sie ihre Kollegin Sigi, die schon seit vielen Jahren den Posten der Empfangsdame innehatte. Sie war es auch gewesen, die Kiandra die Firma und alles Wichtige gezeigt hatte. Sigi war eine nette Blondine Mitte fünfzig, die eigentlich Sieglinde hieß aber das war allen zu lang und zu altmodisch gewesen, vor allem, da Sigi für ihr Alter noch recht jung wirkte, sowohl im Aussehen als auch im Verhalten. Und genau das mochten auch alle so an ihr. Deshalb war sie Sigi. Kiandra gab Sigi die Hand und fragte sie nach ihrem Wochenende. Aber Sigi winkte ab. „Och, da war nicht viel los. Wir hätten eigentlich gerne gegrillt aber du siehst ja selbst, warum das nicht geklappt hat. Also haben wir ein Kaffeetrinken angesetzt und die Familie kam zum großen Palaver zusammen. Es wurde geklatscht und getratscht und gemeckert, na ja, wie immer halt.“ Kiandra nickte verstehend. Bei ihrer Familie lief es meistens genauso. An diesem Wochenende hatte ihr Vater seinen 51. Geburtstag gefeiert und - wie Sigi schon so treffend erkannt hatte - es lief wie immer. Klatsch und Gerede in den schönsten Farben. „Und ist unsere Zicke vom Dienst auch schon da?“ fragte Kiandra mit hochgezogenem Mundwinkel. Sigi nickte. „Die ist schon kurz nach mir gekommen und wie üblich ohne zu grüßen mit arrogantem Blick an mir vorbei ins Büro gegangen. Die bildet sich immer was ein, frag mich nicht, worauf.“ Kiandra rollte mit den Augen über ihre Kollegin Rita, die sich für was Besseres hielt. Es war nicht förderlich für ihre Arbeit, dass ausgerechnet sie sich mit Rita ein Büro teilte. Irgendwie hatte es Rita auf sie abgesehen, besonders seit letzter Woche. Das artete schon fast in Mobbing aus! Aber der Grund dafür war Kiandra völlig schleierhaft. Rita war schon seit fünf Jahren bei der Firma und Kiandra war noch nicht mal ein Jahr dabei. Außerdem war Rita schon achtunddreißig, Kiandra erst neunundzwanzig. Aber sie beruhigte sich bei dem Gedanken, dass sie nicht die Einzige war, die von Rita herablassend behandelt wurde. Eigentlich wurden alle so von ihr behandelt. Kiandra hatte einfach nur das Pech, sich das Büro mit ihr zu teilen und sie deshalb mehr als alle Anderen zu sehen. Nur Einer wurde anders behandelt: der Chef. Tja, der Chef! Ein recht junger Mann, gerade erst vierunddreißig und attraktiv mit seinen hellgrauen Augen und den kräftigen Schultern. Er war sehr höflich, freundlich und besaß einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Alle jüngeren Frauen in der Firma schwärmten ihn heimlich an, auch Kiandra spürte seit der Betriebsfeier letzte Woche immer ein Kribbeln im Bauch, wenn er ihr begegnete. Abgesehen von seinem Charme hatte er wunderschöne Hände, die Kiandra gleich als erstes aufgefallen waren, schon damals im Vorstellungsgespräch. Nach ihrer ersten Arbeitswoche war sie samstags doch glatt mit einem Orgasmus aufgewacht, weil sie von seinen Händen geträumt hatte, die sie zärtlich berührt und gestreichelt hatten! Sie hatte kein Gesicht gesehen, keinen Körper, nur diese Hände, es war sehr merkwürdig und trotzdem überaus erotisch gewesen. Rita war zwar schon etwas älter als er aber auch sie hatte ihr Herz an ihn verloren. Doch während sich Kiandras Sehnsüchte ihn betreffend eher auf das Bett beschränkten, zumindest glaubte sie das, schien Rita tatsächlich richtig verknallt zu sein. Und wahrscheinlich war sie deshalb auch so biestig zu den anderen Kolleginnen. Sie waren alle Konkurrentinnen um Lars´ Gunst. Lars, so hieß er. Braune kurze Haare, etwa 1,85 groß und seit anderthalb Jahren der Chef der Firma. Sein Vater hatte einen Schlaganfall erlitten und war seitdem stark eingeschränkt in allem, was er tat. Sein linker Arm war kraftlos und sein Sprachvermögen angeschlagen. Er nuschelte nur noch, man konnte kaum verstehen, was er sagte. Sein Gehirn war zwar völlig intakt aber natürlich konnte er so seine Firma nicht mehr effizient leiten und deshalb übertrug er die Verantwortung und Leitung seinem einzigen Sohn Lars, der sich in den vergangenen Jahren gut darauf vorbereitet hatte, obwohl der Moment der Wahrheit doch sehr überraschend und in seinen Augen viel zu früh kam. Alle Angestellten hatten Lars freundlich willkommen geheißen und waren natürlich besonders froh darüber, ihren Job behalten zu können. Der Senior war auch sehr beliebt gewesen und Lars wurde oft gefragt, wie es dem alten Haudegen denn gehe. Lars freute sich immer sehr über das Interesse und meinte stets, es würde ihm gut gehen, er würde seine Freizeit jetzt mit Dingen füllen, für die er vorher nie Zeit hatte, wie zum Beispiel Rosen züchten, Wandern und einfach nur Faulenzen. Alle diese Dinge wusste Kiandra von Sigi, die ja schon unter dem Senior den Empfang gemanagt hatte und Lars schon kannte, als er noch zur Schule ging. Sie fühlte sich nicht von ihm angezogen, sie betrachtete ihn eher als einen kleinen Bruder. Aber sie verstand die anderen Frauen nur zu gut. Sigi liebte Lars auf ihre eigene Art und Weise. Sie versuchte, ihm eine Freundin und Ratgeberin zu sein, was er anfangs auch oft brauchte. Inzwischen hatte er sich zwar in alles eingearbeitet aber dennoch traf er keine schwerwiegende Entscheidung, ohne sich vorher Sigis Rat dazu zu holen. Sie kannte die Firma einfach schon viel länger als er und wusste gut Bescheid. Kiandra fragte sich, ob Lars wohl ein Auge auf eine seiner Angestellten geworfen hatte, denn laut Sigi war er seit der Betriebsfeier irgendwie leicht abgehoben und lächelte ständig. Aber auf der Feier war niemand, den Lars nicht auch schon vorher gekannt hätte, warum sollte er sich also gerade jetzt verliebt haben und nicht schon viel eher? Wahrscheinlich gehörte seine Flamme gar nicht zur Belegschaft, das erschien viel einleuchtender. Trotzdem hoffte Kiandra insgeheim, dass er vielleicht in sie verknallt war. Warum wusste sie selbst nicht. Kiandra schulterte ihre Tasche und verabschiedete sich von Sigi, um endlich mit der Arbeit anzufangen. „Und wenn sie wieder zickt, zick zurück!“ rief ihr Sigi noch nach. Kiandra hob den Daumen und grinste. Aber zicken war eigentlich nicht ihre Art. Wenn Rita wirklich verknallt war, würde sie die Neuigkeit von dem verliebten Lars sicher zur Oberzicke mutieren lassen. Da konnte man sich ja auf einiges gefasst machen! Ob sie es schon wusste? 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