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Anime Evolution: Krieg

Fünfte Staffel
von

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Homecoming

Anime Evolution: Krieg

Episode vierzehn: Homecoming
 

Prolog: „Ihr alle habt davon gehört, dass die Götter ein Schlachtschiff auf der Erde versteckt haben, um die Einhaltung des Friedens zu überwachen, um die Neutralität der Dai auf der Erde zu überwachen. Ihr alle seid davon ausgegangen, dass die Götter ein Volk sind, zumindest nachdem Ihr gehört habt, was auf der Erde passiert ist. Das ist falsch.

Damals, als die ADAMAS nach ihrer langjährigen Suche auf DIE Welt stieß, wussten wir, wie sehr wir uns geirrt haben, als wir gedacht hatten, bei den Göttern mit Lebewesen zu tun zu haben. Mit Außerirdischen, oder mit Daima. Vielleicht mit Dai. Wir lagen falsch. Was wir fanden, war eine Welt, die... Nun, hochtechnisiert und bar jeglichen Lebens war. Zumindest bar jeden Lebens, wie wir es bis dahin kannten. Denn auf dieser Welt regierten die Maschinen.“
 

(Latiss Jomdral, Dai, vergeistigt, Bewohner des Paradies der Daima und Daina, ehemaliger Suppressor von Kydranos, Kommandant der ADAMAS, während seines Berichts zu seinen Erlebnissen vor fünfzigtausend Jahren)
 

1.

„Akira, was tust du? Warum schießt du auf uns?“

Erschrocken fuhr ich zusammen. Die Summe all meiner Ängste wurde zusammengezogen und versetzte mir den Schreck meines Lebens, während der zweite Vernichter zerplatzte wie eine reife Tomate, die Bekanntschaft mit den Newtonschen Gesetzen machte. Das war Kitsunes Stimme gewesen! Meine Kitsune!

Ein Hologramm flammte direkt vor mir auf und zeigte das Gesicht meiner Lieblings-Dai. War ich tatsächlich gerade dabei, sie zu töten? Vielmehr sie töten zu lassen? Ich glaubte, mein Herzschlag würde aussetzen. „Nur Spaß“, sagte sie kess und streckte mir die Zunge raus. „Mach ruhig weiter Kleinholz aus den Robotschiffen. Aber es wäre vielleicht nicht verkehrt, wenn Sakura-chans Ortungsfachleute einen Blick nach hinten werfen würden. Natürlich, ohne sofort zu schießen.“

Der Zentralcomputer der ADAMAS reagierte von sich aus und zeigte mir den Bereich des Wurmlochs, den wir bereits passiert hatten. Ich sah... Nichts. „Und?“, fragte ich, mich sehr langsam wieder fassend. War der linke Arm taub? Nein, zum Glück hatte der Schreck nicht zum Herzinfarkt gereicht. Wenn, hätte ich die Schäden auch gleich reparieren können, aber bei einer so großflächigen und vor allem im Kleinen erfolgenden Schädigung hätte das lange gedauert.

Kitsune sah im Hologramm fort und diskutierte mit jemandem. „Wie, geht nicht? Natürlich geht das. Klar geht eine Überrangorder. Tritt dem Ding einfach in den Metallarsch, Belta. Siehste, geht doch. Musst die Mühle nur zu motivieren wissen.“

Im gleichen Moment zeigte das Bild von der Ortungsanzeige mehr als die Wände des Wurmlochkorridors und die Sterne am Ausgang. Gleich acht Vernichter erschienen eine gute Tagesreise hinter uns. „Überrascht?“, fragte Kitsune mit zufriedener Stimme.

„Überrascht ist nicht ganz der richtige Ausdruck, der mir auf der Zunge liegt. Kitsune, was MACHST du da mit acht Vernichtern?“

Für einen Moment wirkte sie verlegen. Sie drückte die Fingerspitzen gegeneinander. „Ach, weißt du, Aki-chan, wir...“

„Weiterfeuern“, knurrte ich, als ich bemerkte, dass sowohl die Hämmer des Hephaistos auf der AURORA als auch die ADAMAS und die Begleitflotte das Feuer eingestellt hatten. Sofort nahmen die Kanoniere wieder ihre Arbeit auf und Vernichter Nummer drei explodierte in schauriger Lautlosigkeit. „Wir?“, ermunterte ich die Fuchsdämonenkönigin.

„Wir, das ist die Einsatztruppe von verschiedenen Dai-Welten, die ausgesandt wurden, um Bestrafer zu infiltrieren, um damit in ihre Flottenbasis zu kommen. Du weißt?“

„Ja, irgendwer hat es mir zwischen Tür und Angel gesagt. Und, warst du erfolgreich?“

„Die Basis war ein ausgehöhlter Mond, Aki-chan, eintausend Kilometer durchmessend. Im Innern eine riesige Werft. Übrigens das Überbleibsel von Menschen, die sich selbst Nagalev nannten. Überbleibsel deshalb, weil irgendwann ihre Maschinen rebellierten und sie allesamt getötet haben. Ach ja, wir haben die Werft und den kompletten Mond zerstört. War ein schönes Feuerwerk. Wir haben gute Aufnahmen gemacht.“

„Warum stimmt mich das nicht so froh, wie es sollte?“, fragte ich.

„Weil es noch drei weitere von den Dingern gibt, und in jedem von ihnen warten hunderte gut gewartete Schiffe eine kleine Ewigkeit darauf, aufgeweckt und eingesetzt zu werden. Späher, Strafer, Vernichter. Ob die Werften ähnlich groß sind wie die, die wir vernichtet haben, können wir noch nicht sagen. Fathers Daten zu durchforsten ist eine riesige Arbeit. Und da Father nur ein Abdruck des alten Zentralrechners der Werft ist, kann er uns auch nicht helfen, weil er nicht weiß, wo die Informationen sind. Immerhin müssen wir die Daten von fünfzigtausend Jahren sichten. Und glaube mir, das ist eine ganze Menge.“

Vier und fünf gingen den Weg allen Irdischen, ob menschlich oder robotisch. Ich nickte grimmig. „Und die acht Vernichter?

„Nun, als ich sagte, die Maschinen hätten rebelliert und die Nagalev ausgerottet, so stimmt das auch. Von einem gewissen Standpunkt aus. Ultraharte Strahlung hat damals eine Viertelmillion Nagalev nach und nach ausgelöscht.“

„Je mehr ich höre, desto mehr bin ich auf die lange Erklärung gespannt“, sagte ich. „Was haben die acht Vernichter mit einer Viertelmillion Toten zu tun?“

„Nun, die Maschinen waren nicht ganz so effektiv, wie sie wohl gehofft hatten. Zwar hatten sie HYVAS, den Zentralrechner, unter ihre Kontrolle gebracht, aber nicht effektiv genug. Es gelang ihm, die Existenz einer kleinen Gruppe Geretteter zu ignorieren, was ihn der Aufgabe enthob, sie bekämpfen zu müssen. Tja, und diese Gruppe besteht jetzt aus vierzigtausend Nagalev. Um die alle zu befördern, brauchten wir Platz. Acht Vernichter erschien uns da gerade groß genug zu sein. Tatsächlich ist es schon etwas eng hier drin, und das seit fast zwei Wochen.“

Nummer sechs verging in einer nicht weniger spektakulären Explosion als seine Vorgänger. Der Schirm von sieben stand kurz vor dem Kollaps, und für Nummer acht sah es auch nicht gut aus.

„Also habt Ihr die Werft zerstört, vierzigtausend Nagalev evakuiert, indem Ihr acht Vernichter kapert, und dann noch den ganzen Mond mit allen dort eingemotteten Schiffen.“

„Na ja, so weit will ich mich jetzt nicht aus dem Fenster lehnen. Kann schon sein, dass der eine oder andere Kahn die Explosion überstanden hat, aber einen Großteil dürften wir erwischt haben, weil die Schiffe einfach keinen Befehl bekommen haben, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Auf die gleiche Weise haben wir auch die Vernichter entern können. Wir haben ihre Computerkerne ausradiert und steuern sie selbst mit Hilfe eines improvisierten Supercomputers.

„Nummer acht vernichtet. Neun Schiffe versenkt. Operation beendet. Beginne Operation Trümmerbeseitigung“, raunte mir die Robotstimme von Arhtur, dem Bordrechner der ADAMAS, ins Ohr.

„Bestätigt.“ Das war es also. Ich hatte geschafft – wir hatten geschafft - was sich vor noch einem Jahr keiner, der die Strafer in Aktion erlebt hatte, hätte träumen lassen, nämlich die Versenkung von gleich acht Vernichtern, und dieses unglaubliche Ereignis wurde zur Nebensächlichkeit durch die Ankunft von Kitsune und den acht Vernichtern unter ihrer Kontrolle. Ich hatte nie viel Freude an Tod und Zerstörung gehabt, aber dass ich nicht einmal eine gewisse Beruhigung verspürte, war schon irgendwie beunruhigend.

„Kommt am besten an Bord der ADAMAS, Kitsune, und wir klären das in einer großen Konferenz.“

„Ähemm“, machte jemand hinter mir. Es war Yoshi. „Kitsune-chan erwähnte etwas von vierzigtausend Flüchtlingen.“

„Ach ja.“ Ich öffnete einen Funkkanal zum Schiff. „Sakura-chan?“

Meine Cousine lächelte. „Ich lasse bereits alles präparieren. Vierzigtausend Leute unterzubringen stellt uns nicht vor besondere logistische Probleme. Nicht, nachdem wir mehr als eine Million untergebracht haben.“ Ja, nach der Flucht aus dem Kanto-System konnten vierzigtausend Individuen nur eine leichte Fingerübung für die Crew der AURORA sein, auch wenn man die West End-Flüchtlinge und die körperlich existierenden Core-Angehörigen hinzuzählen musste. Fushida City und die unzähligen Appartements, die in die Innenwände der AURORA verbaut worden waren, boten noch immer Lebensraum für weit mehr Menschen, als sich an Bord befanden.

„Wenn du einen Augenblick Zeit hast, Chef“, klang eine weitere, sehr vertraute Stimme auf und ein weiteres Hologramm öffnete sich, „würde ich gerne an der Konferenz teilnehmen und meine Erkenntnisse zum Besten geben. Gefallen wird es dir nicht.“

Ich blinzelte einen Moment, als ich Henry William Taylor erkannte – oder Sean O'Donnely, je nachdem, wen man da vor sich sehen wollte, den ehemaligen Legaten der Kronosier, oder den Geheimdienstagenten, der die Kronosier infiltriert hatte. Neben ihm stand Ai-chan. Ai Yamagata, Geheimdienstoffizierin, gute Freundin und eine Frau, die theoretisch schon einmal gestorben war. Die beiden hatten den Auftrag erhalten, das Paradies der Daina und Daima zu infiltrieren und den Halunken zu finden, der mein Über-Ich von meinem Körper getrennt hatte. War immerhin ein passables Ergebnis dafür, dass er eigentlich versucht hatte, mich umzubringen. „Euch habe ich eine ganze Zeit schon nicht mehr gesehen“, sagte ich.

„Es ist augenscheinlich auch eine Menge passiert. Wir haben deinen Attentäter gefunden, und er... Hat sich als sehr wertvolle Informationsquelle herausgestellt. Es hat gedauert, alle relevanten Daten aus ihm rauszuholen, aber... Die relevanten Daten waren die Mühen und vor allem die aufgewendete Zeit mehr als wert. Wobei ich mir wünsche, sie besser nie erfahren zu haben.“

„So schlimm?“

„Noch viel schlimmer.“

Ich nickte. „Kommt an Bord. Kitsune, dock die Vernichter an die AURORA an und komm dann rüber. Wir wollen hier so schnell wie möglich zusammenkommen und die neue Situation besprechen. Sakura, du und Kei bitte auch.“

Die blonde Frau nickte. „Ich mache mich sofort auf den Weg.“

„Darf ich Father mitbringen?“, fragte Kitsune.

„Father?“

„Den Avatar des Nagalev-Computers. Ich meine, du hast da Mother neben dir, den Avatar eines kronosianischen Supercomputers, was ja schon ungewöhnlich genug ist. Darf ich dann meinen Nagalev mitbringen?“

„Kitsune, das Legat und die UEMF sind jetzt Verbündete.“

Verblüfft sah sie mich an. „Wenn man ein paar Tage keine Nachrichten hört“, murmelte sie. „Ich gebe meinen Kameraden Bescheid, und wir setzen über. Vorsicht, sie sind ganz wild darauf, dich kennenzulernen.“

Das brachte mich zum lachen. „Warum denn ausgerechnet mich?“

„Lass mich nachdenken. Du hast den Mars angegriffen, zweimal, hast das Kanto-System erobert, den Daness-Turm erobert, die Erde erobert, den Core übernommen, Iovar erobert... Stimmt, du hast Recht. Mir fällt kein einziger Grund ein, warum irgendjemand dich würde kennenlernen wollen.“

Okay, nach dieser Aufzählung klang es zumindest etwas plausibler.

„Und kannst du Joan dazu bitten?“, fügte sie an. „Es gibt hier ein paar Autogrammwünsche.“

„Ich weiß jetzt nicht, was mich mehr erschüttert“, brummte ich. „Dass deine Dai nach mir gefragt haben, oder dass sie Autogramme von Joan haben wollen.“

„Äh, bei der Vorbereitung der Aktion kam es zu einem gewissen kulturellen Austausch, und die große Spinne hat gesagt: „Joan ist Star in zwei Sonnensystemen und einem Sternenreich. Wäre doch gelacht, wenn das nicht wieder klappt.“ Tja, und nun ist es halt passiert.“

„Nicht, dass mich das noch wundern würde. Nicht, dass mich noch irgendetwas wundern würde.“ Ich seufzte. „Ich bitte Joan hinzu. Um den Rest musst du dich kümmern, okay? Nicht, dass das besonders schwer werden dürfte. Joan liebt Fans über alles. Von Makoto vielleicht mal abgesehen.“

„Danke, Aki-chan!“, rief die Fuchdämonenkönigin strahlend. „Hast einen gut bei mir.“

„Ist wohlwollend vermerkt“, erwiderte ich. „Ach, und Kitsune?“

„Ja?“

„Danke, dass du wieder nach Hause gekommen bist. Ich habe dich schrecklich vermisst.“

Ihr strahlendes Lächeln litt ein wenig bei meinen Worten. „Ich habe dich auch vermisst, Aki-chan. Ich habe alle vermisst, aber dich am meisten.“

„Na, dann sieh zu, dass du rüber kommst“, schmunzelte ich.

„Bin schon auf dem Weg!“ Ihr Hologramm erlosch, ihr strahlendes Lachen als letzten Eindruck hinterlassend.

„Yoshi, mach mal den großen Bahnhof fertig. Da kommen ein paar Dai, die einen Staatsempfang wert sind. Sie haben etwas geleistet, was in fünfzigtausend Jahren niemand geschafft hat.“ Ich sah zu Henry herüber. „Stimmt das?“

Taylor legte kurz den Kopf schräg. „Moment, ich rechne.“

„Auf deinen Bericht bin ich mehr als gespannt. Seht auch zu, dass Ihr so schnell Ihr könnt rüber kommt, ja?“

„Verstanden, Chef.“ Sein Hologramm erlosch ebenfalls.

„Also, machen wir uns fertig.“ Ich erhob mich. „Und, bist du schon gespannt, Mother?“

„Bin ich“, sagte die künstliche Intelligenz. „Sehr sogar. Das bestätigt doch eine alte kronosianische Weisheit, die da sagt: In der Nähe von Blue Lightning wird es nie langweilig.“

„Das ist eine kronosianische Weisheit?“, fragte ich lachend.

„Ja, wir haben sie damals von der UEMF übernommen.“

„Ach.“

Sie lachte glockenhell. „Empfangen wir die Bande. Ich bin sehr gespannt auf diesen Father. Arhtur, kümmere dich bitte um alle Trümmerstücke, die uns gefährlich werden können.“

„Das tue ich bereits, Mother. Geht nur in Ruhe, eure Menschendinge machen. Ich mache derweil Computerdinge.“

„Das ist dein schlechter Einfluss, Akira“, tadelte Mother. „Jetzt lernt diese arme K.I. auch noch Sarkasmus.“

Yoshi runzelte die Stirn. „Sorry, ich kann da keinen schlechten Einfluss feststellen. Sarkasmus zu haben ist immer eine gute Idee.“

Yoshi und ich stießen unsere Fäuste gegeneinander. „Das ist mein Team.“

Mother lachte erneut. „Punkt für euch Fleischlinge.“

***

„Hältst du das für eine gute Idee?“, fragte Arhtur. „Ich will dir nicht dreinreden, Mother, aber... Hältst du das für eine gute Idee?“

Mother, der Avatar des größten Supercomputers der Erde, lächelte den Avatar des Schiffscomputers freundlich an. Dieser hatte das Bild eines jungen Mannes angenommen, der wirklich entfernt Ähnlichkeit mit Akira hatte, aber doch in einigen Zügen an ihn erinnerte. Laut Arhtur war es ein Mix als „vielen früheren Reyan Maxus' an Bord“. „Einer muss das Risiko eingehen.“

Arhtur ließ seinen Blick über die Ebene schweifen, auf der er mit Mother stand. Es war ein weiter, lichter Spiegel, in dem sich das Blau des fiktiven Himmels und die schnell dahinhuschenden weißen Wolken spiegelten. Es war eine virtuelle Spielwiese, vergleichbar mit dem Paradies der Daima und Daina. Erheblich kleiner, und es existierte erst einige wenige Sekundenbruchteile, aber mit genügend Aufwand hätte es ein solches Paradies werden können. „Stimmt. Warum aber wir?“

„Ich, weil ich mich um Akira sorge.“ Sie sah dem Avatar des Bordcomputers in die Augen. „Du, weil wir die ADAMAS und damit dich leicht vernichten können.“

„Das war jetzt ein unnötiger Tiefschlag“, protestierte Arhtur. „Abgesehen davon wurde ich in fünfzigtausend Jahren nicht einmal übernommen.“

„Es gibt immer ein erstes Mal“, stichelte Mother.

„Wenn die Gelegenheit ungünstig ist, kann ich auch später wiederkommen“, erklang hinter ihnen eine weitere Stimme.

Mother und Arhtur fuhren herum. Der Avatar, der beinahe hinter ihnen stand, lächelte freundlich. „Eine virtuelle Ebene. Für mich? Ich nehme an, ihr großer Vorteil ist, dass sie leicht und ohne Rückstände zu zerstören ist.“

„Das hast du gut erkannt, Father.“ Die Frau fügte hinzu: „Was wir übrigens jederzeit tun können.“

„Aha. Was also erwartet Ihr von mir? In der Einladung hieß es, Ihr wollt grundsätzliches Vertrauen aufbauen.“

„Und für dieses grundsätzliche Vertrauen braucht es grundsätzliches Wissen, Father.“

Arhtur übernahm. „Entschuldige diese Vorsichtsmaßnahme, aber im Moment behandeln wir alle, also sämtliche Schiffe des Konvoi, alles, was von den Vernichtern geschickt wird, vom Peilsignal über Datenbotschaften bis zum Ortungsstrahl, mit höchster Vorsicht.“

„Weil HYVAR gehackt wurde? So nennt Ihr das doch?“

Mother und Arhtur nickten. „Weil HYVAR gehackt wurde. Wir können nicht ausschließen, dass irgendwo an Bord der Schiffe eine tickende Zeitbombe in Form eines Computervirus lauert, der nur darauf wartet, aktiv zu werden und uns gegen unsere Menschen zu stellen. Oder dass du infiziert bist.“

Father legte den Kopf schräg. „Keine Infektionen festzustellen. Und Ihr habt mich sicher auch schon überprüft.“

„Keine Infektionen festzustellen“, gab Arhtur zu. „Zumindest keine, die wir identifizieren könnten.“

„Ich verstehe euer Dilemma. Was also erwartet Ihr von mir?“

„Grundsätzliches Vertrauen“, sagte Mother. „Wir müssen ab sofort sehr intensiv zusammenarbeiten. Das bedeutet, wir müssen, mit aller gebotener Vorsicht, unsere Daten austauschen. Vor allem müssen wir wissen, wie HYVAR seinen eigenen Willen verlieren konnte, damit wir uns dagegen wappnen können.“

Arhtur nickte bestätigend. „Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich berichten, dass es im Krieg gegen die Götter Hunderte Attacken dieser Art auf mich gab, von denen einige gegen einen Rechner, der nicht mein Kaliber hat, durchaus Erfolg gehabt hätten. Es kann sein, dass ich die Methode, mit der HYVAR zum Verräter wurde, bereits kenne. Es kann aber auch etwas sein, das mir unbekannt ist und mir deshalb gefährlich werden kann. Oder Mother. Oder der AURORA.“

„Ja“, sagte Father schlicht. Als die anderen beiden Avatare darauf nichts erwiderten, fügte er an: „Wie Ihr wisst, bin ich das letzte Backup, das HYVAR von sich gemacht hat, bevor er infiziert, übernommen und gegen seine Menschen gerichtet wurde. Bevor er eine Viertelmillion Nagalev umgebracht hat...“ Sein Blick wurde unstet und seine Gestalt schien kurz zu flimmern. „Entschuldigt, um auf den neuesten Stand zu kommen, sichte ich alle Daten, die HYVAR mir überlassen hat. Allerdings mit der gebotenen Vorsicht, weshalb es selbst für die Begriffe eines Rechners schleppend voran geht. Zudem existiere ich nur im Backup-Chip, den Kitsune bei sich trägt. Groß genug für fünfzigtausend Jahre, aber nicht stark und schnell genug, um mich in dem Maße zu unterstützen, das ich brauche. Bisher habe ich Teile der Rechnerkapazität des Supercomputers nutzen dürfen, welcher die Vernichter steuert. Aber das wird kein Dauerzustand bleiben.“

„Aber du hast bereits Daten gesichtet.“

„Ja. Mother, richtig? Und du bist Arhtur. Gut. Die Informationen waren korrekt.

Was ich mir zuerst angesehen habe, waren sämtliche Daten kurz vor der Übernahme, während der Übernahme und direkt danach. Ich weiß, mir als Avatar eines Rechners sollte es nichts ausmachen, aber den Tod von so vielen Menschen in so vielen Perspektiven mitzuerleben, hat... Hat mich...“

„Traurig gemacht?“, half Mother aus.

„Verrückt“, korrigierte Father. „Vor Schmerz, vor Hilflosigkeit, vor Angst. Ich will das nie wieder jemandem antun müssen, noch ein Grund, besonders vorsichtig zu sein.“

„Ich verstehe dich nur zu gut“, brummte Mother.

„Und ich bin ein Kriegsschiff mit mehreren Jahrzehnten aktiver Kampferfahrung. Ich habe Dinge gesehen... Was Daina und Daima einander antun können... Puh.“

Arhtur und Father wechselten einen kurzen Blick. Schließlich nickten beide. „Überspringen wir das also.“

„Einverstanden. Es hilft niemanden, wenn wir uns freiwillig der Agonie aussetzen. Stattdessen wäre ein Blick in die Routinen von HYVAR nett, um zu verstehen, was überhaupt passiert ist.“

„Dem stimme ich zu, meine Herren.“

„Also gut.“ Father hob eine Hand und begann, die Welt zu manipulieren. Der Spiegel, der Himmel und die Wolken verschwanden, stattdessen erschien ein weiter Saal mit gläsernem Boden. Unter ihnen lagerte gut vernetzte Biomasse. Mitten in der Luft schwebte ein grüner Balken.

Father deutete nach unten. Ein Teil des Netzes aus Biomasse und Zuleitungen wurde hervor gehoben. „Wie ich jetzt weiß, war es kein reiner Informationsangriff. Es gab eine materielle Komponente, und sie wurde in HYVARs Biomasse eingeschleust. Naniten.“

Unter ihnen verfärbte sich die Biomasse von hellem Rot zu Schwarz, je weiter die Naniten fortgeschritten waren. Der Balken verlor etwa ein Zehntel der grünen Farbe und wurde auf der freien Fläche rot. „Diese Naniten übernahmen mit dem ersten Schlag einen relativ großen Teil HYVARs. Es war genau jener Bereich, der in jenem Moment für die Kommunikation zuständig war. Deshalb konnte HYVAR, als er die Infektion bemerkte, auch niemanden mehr warnen. Auch, weil die ganze Aktion in wenigen Sekunden vorbei war. Normalerweise eine riesige Zeitspanne für einen Rechner, genauso wie auf dieser Ebene die Zeit zehntausendfach beschleunigt abläuft. Aber es reichte nicht, um einen anderen Sektor mit der Kommunikation zu beauftragen, denn die Naniten, mit ihrer sicheren Basis mitten im Hirn HYVARs, setzten nun Computerviren ein, um den Rest zu übernehmen. Zeitgleich begannen sie sich zu replizieren und die Biomasse auch auf diesem Weg zu infiltrieren.“ Father hielt beide Hände über den Boden und zog langsam die Hände hoch. Dabei entstanden Datenfenster, die direkt aus dem Boden zu kommen schienen. „Hier, das ist ein Abbild der Naniten der ersten Generation. Es dauerte siebzehn Generationen, bevor HYVAR in die Knie gezwungen werden konnte. Dies hier ist einer der Virencodes, die eingesetzt wurden.“

Arhtur nickte. „Ich kenne diesen Virus. Die Götter haben ihn in ihre Funknachrichten eingebettet und so versucht, andere Systeme zu korrumpieren. Es war keine Schwierigkeit, den infizierten Code zu erkennen und zu isolieren. Aber ich nehme an, im Fall von HYVAR haben diese Viren nur für die richtige Ablenkung gesorgt, bis die Naniten die Biomasse vollständig unterworfen hatten.“

„Richtig. Der Virus selbst wäre für ihn kein großes Problem gewesen. Eine Frage der Zeit, nicht mehr. Aber durch die Naniten war es genau diese Frage der Zeit, die ihn zum Verhängnis wurde. Was man auch daran sehen kann, dass er sich einen letzten Rest von freiem Willen bewahren konnte, der es ihm erlaubte, die Kolonie überlebender Nagalev über fünfzigtausend Jahre lang zu ignorieren.“

„Du denkst also, die Viren, die eventuell an Bord der Vernichter sind, können der AURORA nicht gefährlich werden?“

„Ich weiß nicht, was die Vernichter an Bord haben, Mother. Vielleicht wäre es das Beste, alles, was an Bord dieser Schiffe ist, ein für allemal zu vernichten und ebenso mit den Exkrementen der Nagalev zu verfahren, sofern sie etwas von sich geben, was sie an Bord zu sich genommen haben. Vielleicht ist es aber auch damit getan, dass die Dai und die Nagalev einfach die Rechnerkerne geröstet haben. Kein Computer, keine Entscheidung, kein Angriff.“

„Und kein funktionierendes Kampfschiff“, warf Arhtur ein.

„Nicht, solange es keinen neuen Computerkern und eine Besatzung bekommen hat. Danach aber...“ Father zuckte die Achseln in einer überaus terranischen Geste.

„Also sollten wir unser Hauptaugenmerk darauf richten, mit Naniten verseucht zu werden“, sagte Mother nachdenklich. „Aber wie ich die Geschichte interpretiere, muss es im Fall von HYVAS jemanden gegeben haben, der seinen Biokern abseits der Datenwege infiziert hat.“ Mother „spulte“ das Geschehen zurück bis zum Beginn der Infektion von HYVARs Biokomponente. Deutlich war zu sehen, wo die Naniten ihren Anfang machten. „Seht Ihr? Sie kommen über eine Versorgungsleitung.“

„Du meinst also, es gibt, vielmehr gab einen Nagalev, der den Biokern wissentlich verseucht hat? Seinen eigenen Tod und den von einer Viertelmillion Artgenossen in Kauf nehmend?“, fragte Arhtur mit hochgezogener Augenbraue.

„Ich sage, dass es ein externes Wesen gab, das die Versorgungsleitung infiltriert und die Naniten eingesetzt hat. Und zwar sehr, sehr viele Naniten.“ Sie dachte kurz nach. „Ungefähr zwei Kilo, was vierzig Trilliarden Einheiten ausmacht, oder aber ein Objekt, so groß wie ein Tennisball.“

„Wenn es ein Nagalev war... Ob er sich bewusst war, was er tat?“

„Wenn es ein Wartungsroboter war, oder eine Versorgungseinheit, ist die Erklärung einfacher“, sagte Arhtur. „Die Naniten infizieren erst diese Einheit, dann eine weitere, reproduzieren sich, steuern ihren Wirt tiefer hinein in die Werft, bis sie schließlich bei HYVAR sind. Und dort lassen sie die Hölle auf ihn los.“

Arhtur wurde bleich. „Was, wenn in diesem Moment Naniten auf die AURORA gelangt sind und einen Mecha infiltrieren?“

„Was, wenn sie einen Wartungsroboter infiltrieren, den sie direkt zum Computerkern steuern?“, fragte Father.

„Der Mecha wäre gefährlicher. Auf der AURORA gibt es nicht einen Kern, sondern drei, die zwar miteinander kommunizieren, aber gleichberechtigt sind. Einer in Poseidon, der Flottenzentrale, einer beim Antrieb, und der letzte in der Zentrale. Poseidon ist besonders gut gesichert, was bedeutet, ein System dürfte selbst im schlimmsten Fall nicht attackiert werden können.“

„Ich registriere dein Wissen über die AURORA mit leichter Besorgnis, Mother“, sagte Arhtur.

„Reg dich ab, alter Mann. Wir sind Verbündete. Das Wissen wurde mir von der UEMF zur Verfügung gestellt, im gleichen Atemzug, als man mich zu Akiras Schutz abkommandiert hat. Also jenen Teil meines Ichs, der hier gerade vor euch steht. Bildlich gesprochen.“

Arhtur schmunzelte. „So, wie du sprichst, könnte man meinen, du hättest einen KI-Träger verwendet, um dich auf der ADAMAS zu materialisieren.“

„Na, ganz so ist es nicht, aber nahe dran“, erwiderte Mother. „Tatsächlich habe ich hier an Bord einen Anker, über den ich mich „festkrallen“ kann, sonst wäre meine Präsenz trotz überlichtschneller Standleitung nicht gewährleistet und ich wäre hier nicht mehr als ein Ferngespräch anstatt eine Präsenz.“

„Das musst du mir beizeiten näher erklären“, murmelte Arhtur. „Was aber dich angeht, Father, sollten wir dir, sobald wir sicher sein können, dass du unmanipuliert bist, so schnell wie möglich mehr Rechenkapazität suchen. Alleine schon die Sichtung der fünfzigtausend Jahre an Daten erfordert das. Was meinst du, Blue?“

Eine weitere Gestalt materialisierte auf der Ebene. Es war ein großgewachsener Mann europäischen Ursprungs mit leicht japanischem Einschlag, was Augen und Nase betraf. Sein Haupthaar war dunkelblau. Er trug eine UEMF-Uniform, die die Abzeichen eines Colonels zierten. „Ich habe mich schon gefragt, wann Ihr mich oder Lady Death hinzuzieht“, erklärte er grinsend. „Oder einen der anderen. Immerhin sind wir hier die führenden K.I.s an Bord der ADAMAS und der AURORA.“

„Du hättest jederzeit von selbst hinzukommen können“, tadelte Arhtur. „Warum sonst habe ich euch allen eine Leitung eingerichtet, mit deren Hilfe Ihr unser Gespräch mit ansehen könnt?“

„Man will sich ja nicht aufdrängen.“ Blue Lightning grinste schief. „So groß ist mein Ego dann doch nicht. Aber, wenn ich das kurz bemerken darf, diese Ebene gefällt mir. Können wir die nutzen und uns Avatare erschaffen? Bisher spielen wir nur Strategiespiele und Datingsimulationen, und diese Ebene könnte mal eine richtige Abwechslung für uns Mechas sein.“

„Da habe ich nichts gegen. Diese Ebene aufrecht zu erhalten kostet eh kaum Kapazität“, erwiderte Arhtur. „Wir können sie auch auf die AURORA ausweiten und allen K.I.s zugänglich machen, wenn Commodore Genda zustimmt.“ Er zuckte die Schultern. „Fragen müssen wir. Ich übernehme das.“

Die drei UEMF-K.I.s nickten unisono.

„Was nun dich angeht, Father, so empfehle ich deine Implanation in Poseidon. Die dortige Computeranlage hat kein künstliches Bewusstsein, ganz einfach, weil es nicht nötig gewesen wäre. Aber dort hättest du nicht nur die Rechenkapazität, die du benötigst, um uns die Daten aufzubereiten, du könntest auch einen Job erledigen. Einen ziemlich wichtigen.“ Nun war es Blue, der die Achseln zuckte. „Wenn Commodore Genda einverstanden ist.“

„Das wird nicht reichen. Wir werden auch Admiral Ino und Kei-chan fragen müssen“, klang eine weitere Frauenstimme auf. Die Besitzerin der Stimme hatte sich als hochgewachsene Blondine mit bronzener Haut materialisiert. Auch sie trug die UEMF-Uniform, allerdings in der Ausgehvariante für Frauen, die einen weißen Rock erlaubte. Ihr Gesicht war durchweg europäisch, zudem ziemlich hübsch. Einzig die eisigen, grauen Augen verrieten, dass es sich bei dieser künstlichen Intelligenz um Lady Death selbst handelte, einen Mecha, den viele damals nach dem Sprung ins Kanto-System für zerstört gehalten hatten. Aber sowohl der Mecha als auch die Künstliche Intelligenz waren einfach nicht totzukriegen. Wo käme man da auch hin, wenn sterben würde, was selbst den Tod brachte? „Allerdings sollte nicht nur Father an den Daten arbeiten. Ich bin dafür, dass wir jene Bereiche, die von vorneherein interessant für uns sind, also die letzten zehn Jahre und die An-, und Abflugdaten der Raumschiffe der Götter, kopieren und an weitere von uns abgeben. Unsere aktuellen Kampferfahrungen werden bei der Beurteilung der Daten eine große Hilfe sein.“

„Ihr habt Kampferfahrungen gegen Schiffe der Götter?“, fragte Father erstaunt.

„Wir haben schon etwas länger Ärger mit denen“, erklärte Blue. „Aber ich hoffe ernsthaft, dass das nun endlich das Ende der Fahnenstange ist und dahinter nicht noch ein Gegner lauert.“

„Erklärung?“, fragte Father mit gerunzelter Stirn.

Lady Death holte tief Luft. „Nun, zuerst war unser Gegner das Legat auf dem Mars, das die Erde erobern wollte. Doch wir stellten fest, dass es sich beim Legat lediglich um Menschen handelte, die vom Core rekrutiert wurden. Der Core war ein selbstständiger Scout, der sich auf dem Mars festgesetzt hatte, um eine Nachschubbasis zu errichten. Dies tat er im Auftrag der Anelph. Allerdings machten die Menschen, die er dafür rekrutierte, daraus eine Invasion der Erde. Im Zuge der Kämpfe brachten wir eine Flotte Anelph auf, die gerade zu dem Stützpunkt unterwegs gewesen waren, den der Core errichten sollte. Diese Anelph waren auf der Flucht. Vor den Naguad, in dessen Großreich sie zwangsweise integriert worden waren. Aber war das schon das Ende? Nein, die Naguad erwiesen sich als recht umgänglich und vor allem deshalb kompromisslos, weil sie sich und ihre Territorien, darunter auch das Kanto-System der Anelph, gegen die Raider-Angriffe erst des Kaiserreichs der Iovar, dann aber gegen die Raider des Cores verteidigen mussten. Doch hinter dem Core lauern die Kinder der Götter, die Erben der inzwischen fast ausgelöschten Götter. Es wäre schön, wenn wir nun endlich am Ende wären. Praktischerweise.“ Sie atmete geräuschvoll aus.

„Ich nehme an, das war die Extremkurzfassung.“

„Ja, das war die ganz kurze Kurzfassung.“ Sie zwinkerte. „Datenblock mit der langen Erklärung inklusive Anmerkungen habe ich dir gerade zugesandt.“

„Ah, danke. Ich gehe mal fix drüber... Hm. Ja. Okay. Aber sagt mal, ist der Core nicht an Bord der AURORA? Und ist das Kaiserreich nicht unter neuer Verwaltung? Was ist da passiert?“

Die beiden Mecha-K.I.s, Mother und Arhtur sahen einander schmunzelnd an. „Akira ist ihnen passiert“, erklärte Mother.

„Ist das die Erklärung?“

„Das ist die Erklärung.“

„Ich soll diesen Akira gleich treffen. Sollte ich Angst haben?“

Das brachte die anderen künstlichen Intelligenzen zum lachen. „Nein, solltest du nicht“, sagte Mother. „Zumindest nicht, solange wir Verbündete sind.“

„Was unter diesen Umständen eine möglichst lange Zeit sein sollte“, erwiderte Father.

„Wir müssen los“, sagte Arhtur unvermittelt. Nicht, dass er die Ebene wirklich verlassen musste, seine Rechenkapazität erlaubte ihm, sowohl in der Besprechung anwesend zu sein als auch die Präsenz auf dieser Ebene zu erhalten. Aber es war eine nette Geste gegenüber den Mechas. „Mother? Father?“

Die beiden K.I.s nickten und verschwanden nach und nach.

Zurück blieben Lady Death und Blue Lightning.

„Und jetzt“, sagte der blauhaarige Rechner, „laden wir die anderen auf unsere neue Spielwiese ein.“

***

„Kitsune!“ Ich riss die Arme auseinander und wurde nicht enttäuscht. Die Fuchsdai lief auf mich zu, ihr strahlendstes Lächeln aufgesetzt, und sprang mich beinahe schon an. Dabei drückte sie mich so sehr, dass ich für einen Moment überlegte, ob eine KI-Rüstung eine so schlechte Idee gewesen wäre.

„Aki-chan! Ich habe dich so vermisst!“

Nun, ich drückte sie nicht minder fest an mich, was ein sehr schönes Gefühl war. Ich hatte Kitsune wirklich, wirklich vermisst.

Nur zögerlich entließ ich sie wieder aus meinen Armen. Für mich war sie eine ganz besondere Freundin, und es hatte auch Zeiten gegeben, da... Nun. „Ist noch alles dran an dir? War doch bestimmt eine gefährliche Mission, oder?“

„Sehr gefährlich“, sagte sie nickend. „Aber keine Sorge, alles ist da, wo es sein soll. Ich habe ein paar Schäden durch radioaktive Strahlung erlitten, aber nichts, womit meine Selbstheilungskräfte nicht fertig geworden sind.“ Sie sah hinter sich. „Nun kommt endlich. Er beißt auch nicht.“

Interessiert sah ich die weiteren Personen in die Schleuse der ADAMAS treten, die per Pendler vom Vernichter zu uns herüber gewechselt waren.

„Dies sind Oren und Belta. Sie sprechen für die Nagalev. Der Große zwischen ihnen ist die holographische Interpretation von Father.“

Ich reichte Belta und Oren die Hand. „Willkommen an Bord.“ Dann nickte ich dem Hologramm grüßend zu.

Kitsune deutete auf drei Männer und drei Frauen, die nun hinterherkamen.

„Dies ist Lertaka der Wind“, sagte sie und deutete auf einen großen, kräftigen Burschen, dessen Gesicht und Hände mit Schriftzeichen übersät waren „Er untersteht Kanoa.“

Ich schüttelte ihm die Hand. „Es freut mich, Lertaka.“

„Es freut mich noch viel mehr. Kitsune hat viel über dich erzählt.“

„Hoffentlich nur gutes“, lachte ich, aber der andere lachte nicht mit. „Was genau hast du ihm erzählt, Kitsune?“, fragte ich argwöhnisch.

„Nur gutes, und auch nur die Wahrheit“, sagte sie lächelnd. Sie deutete auf eine Frau mit tief gebräunter Haut und langem, goldblonden Haar. „Livess vom Sternenfeuer, Gefolgsfrau von Manam.“

Ich reichte auch ihr die Hand, aber die große Frau schloss mit stattdessen in die Arme. „Na, na, nicht so förmlich, Akira Otomo. Wir sind jetzt Kampfgefährten und Verbündete, und ich erwarte, bei einem oder zwei der Wunder dabei zu sein, die du bewirkst. Üblicherweise im Wochentakt.“

Ich erwiderte den herzlichen Druck, warf Kitsune aber einen bösen Blick zu. Wie sehr hatte sie übertrieben?

„Rickar der Taucher. Imoar entsandte ihn“, erklärte Kitsune und deutete auf einen eher kleinen, aber stämmigen Burschen.

Ich zögerte einen Moment. Aber da der Dai keine Anstalten erkennen ließ, mich ebenfalls wie Livess zu umarmen, reichte ich ihm die Hand. „Freut mich sehr.“

„Wo ist Joan Reilley?“

Kitsune stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Rickar, ich habe dir ein Dutzend Mal gesagt, du sollst nicht mit der Tür ins Haus fallen. Fanatiker, alle miteinander.“

Ich lachte auf. „Sie wartet im Konferenzraum auf uns und hat Autogrammkarten mitgebracht, obwohl sie denkt, ich nehme sie nur hoch.“

„Dann sollten wir uns beeilen“, sagte eine Dai, die sich von Kitsune nur durch die blonden Haare unterschied. „Ich bin Antra von den Tiefen, dies ist Celeen Atuar, und der Jungspund hier ist Kyrdantas von Elote."

„Freut mich“, sagte ich, während ich den beiden Frauen und dem jungen Mann die Hand gab. „Meine Begleiter: Die Anführerin der Hekatoncheiren, Megumi Uno, und ihr Stellvertreter Yoshi Futabe, meine wichtigsten Mitarbeiter sowie die Avatare von Mother und Arhtur, dem Schiffsgehirn der ADAMAS.“

Megumi und Yoshi bekamen je nach Temperament der Dai einen Händedruck oder eine Umarmung verpasst, den Avataren wurde zugelächelt.

„Sind wir dann soweit?“, fragte Lertaka. „Wir würden jetzt wirklich gerne unseren Bericht abgeben.“

„Und Joan Reilley sehen, nicht?“, neckte Antra dem großen Mann.

Der wurde rot bis unter die Haarspitzen. „Wenn es auch gerade passt...“

Ich lachte auf. „Folgt uns, Herrschaften.“
 

Nach einer improvisierten Autogrammstunde von einer sehr überraschten Joan Reilley – Nanu, Akira, du hast mich ja doch nicht verarscht – die ich wohlweislich keine Stunde andauern ließ, nahmen wir alle Platz, ließen uns von Arhturs Service-Elementen mit Getränken und kleinen Snacks versorgen und tauschten unsere Erlebnisse aus, um ein vollständiges Bild des Geschehens zu bekommen. Kitsune erzählte von der Vernichtungsmission und der Rettung der Nagalev, ergänzt von Kommentaren der Dai und von Belta und Oren. Zugegeben, spätestens beim Namen des militärisch geschulten Oren wäre mir ein Verdacht gekommen, aber allein der Name, den sich dieses Volk gegeben hatte, hatte schon viel erklärt. Nagalev. Oder auch Nag-Alev, wie die Naguad ihre Sprache nannten. Ich hatte natürlich sofort einen Vergleich der DNS „unserer“ Naguad an Bord mit dem Genom der Flüchtlinge vorgeschlagen, um Klarheit zu schaffen. Das würde übrigens wunderbar ins Bild passen, zusammen mit der neuen Erkenntnis, die uns von Terra erreicht hatte – nämlich dass die Naguad tatsächlich Nachfahren des Volkes der Götter waren. Was wiederum erklärte, warum sie auf Iotan, der Zentralwelt der Iovar, eine unterdrückte und ausgebeutete Minderheit gewesen waren. Sie waren als Flüchtlinge gekommen und auch so behandelt worden, bevor sie ihre Fesseln hatten sprengen und weiterziehen können.

Anschließend gab ich meinen Bericht über unsere Abenteuer ab, inklusive eines Hinweises, dass Joan Reilley über Slayer-Kräfte verfügte. Hätten die Dai nicht schon ihr Autogramm gehabt, spätestens jetzt hätten sie eins haben wollen.

Anschließend berichtete ich über alles, was mit uns passiert war, seit Kitsune den Strafer geentert hatte und schloss mit den Berichten über den Angriff auf unsere Wurmlochpassage. Den Kampf gegen die Vernichter hatten sie alle mitbekommen; da genügte eine kurze Zusammenfassung.

„Du hast nicht übertrieben, finde ich“, sagte Lertaka in Kitsunes Richtung. „Noch nie haben die Dai seit dem Niedergang die Vernichtung eines Strafers beobachten, geschweige denn herbei führen können. Und nun hat dein Akira nicht nur das Attentat auf die Wurmlochpassage gestoppt, sondern auch noch acht Vernichter zerstört, wie wir von unserem Logenplatz beobachten konnten.“

Ich fühlte, wie mir heiß und kalt wurde. „Das war ich aber nicht alleine“, platzte es aus mir heraus.

„Aber du hattest das Kommando bei dieser Operation, richtig?“, fragte Lertaka amüsiert.

„Zugegeben. Aber am erfolgreichsten waren die Waffensysteme der AURORA.“

Antra hob die Hand. „Hier, ich bitte. Kriegen wir Blaupausen dieser Waffen zur Verfügung gestellt? Sie scheinen im Moment die effektivsten Waffen gegen Strafer und Vernichter zu sein. Zumindest, solange die Kinder der Götter kein noch größeres Schiff aufbieten.“

Ich gebe zu, ich erschrak ein wenig. „Gab es dafür in der Werft Anzeichen? Habt Ihr so einen Riesen gesehen? Oder einen Dockplatz von entsprechender Größe? Wie waren die Wartungsdocks dimensioniert?“

„Gemach, gemach, wir haben nichts dergleichen bei den Nagalev gesehen und die Docks haben kein Format, das Kapazitäten über denen der Vernichter zulässt“, sagte Antra. „Aber es gibt drei weitere Werften, und ich bin Berufspessimistin, daher schließe ich die Existenz von solch einem Riesen nicht aus. Ich meine“, sie deutete mit dem Daumen hinter sich, „da draußen ist die AURORA. Und sie ist wie groß? Zwölf Kilometer?“

„Fast fünfzehn“, sagte ich. „Ein ehemaliger Planetoid, der innen große Hohlräume hatte, die wir genutzt und erweitert haben.“

„Und jetzt denkst du, Ihr Menschen seid die einzigen, die in der langen Geschichte der Dai auf diese Idee gekommen sind und so etwas gebaut haben? Ich hoffe nicht.“

„Ich hoffe schon“, erwiderte ich. „Aber ich verlasse mich nicht aufs Hoffen.“

„Gute Antwort“, lobte sie.

„Was die Blaupausen für die Hämmer des Hephaistos angeht, so ist das Verhandlungssache. Dafür ist mein Vater zuständig. Eikichi Otomo, Direktor der UEMF. Ich halte es durchaus für möglich, dass euch die Pläne zur Verfügung gestellt werden, aber ich kann ihm nicht vorgreifen.“

„Nächste Frage“, sagte Kyrdantas. „Du bist ein Reyan Maxus, richtig, Akira? Der Erste seit fast fünfzigtausend Jahren.“

„So wurde ich bezeichnet, ja.“

„Und wo sind deine Pressoren? Brauchst du noch keine?“

Ich sah den jungen Mann ernst an. Für wie alt hielt er mich eigentlich? Dann dachte ich an das Chaos, das meine spontan ausbrechenden Fähigkeiten ausgelöst hatte. „Im Gegenteil. Meine Fähigkeiten sind so schnell außer Kontrolle geraten, dass mir keine Pressoren zur Seite stehen konnten. Zur Zeit trainieren drei Dai, um diese Aufgabe übernehmen zu können. Bis dahin verbleibe ich an Bord der ADAMAS, wo ich nur wenig freies KI auffangen und unkontrolliert wieder abgeben kann. Zudem habe ich diese Kraft derzeit unter Kontrolle. Für wie lange, kann ich nicht sagen. Aber ich bin umgeben von Menschen, dir ihr KI selbst kontrollieren können und daher kein freies KI produzieren.“

„Seit wann genau bist du ein Reyan Maxus?“, fragte er erstaunt.

„Warte mal, das war genau in der einen Schlacht, in der Kitsune den Strafer gekapert hat.“ Ich dachte kurz nach. Daran, wie sich Blue Lightning auf das Dreifache vergrößert hatte und an meine merkwürdige Begegnung mit den Kindern der Götter. Dann aber kam mir in Erinnerung, wie ich damals im Duell mit Torum Acati den Boden unter uns aufgelöst hatte, etwas, was mir später mit Keis Fingern auch passiert war... „Ehrlich gesagt kann ich es nicht so genau sagen... Es ist viel passiert, seit die AURORA aufgebrochen ist. Seit ich gelernt habe, mein KI zu beherrschen.“

„Hm.“ Kyrdantas erhob sich und kam um den Tisch herum. „Darf ich?“

„Was?“

„Dich berühren, Akira.“

„Inwiefern?“

„Ich möchte dich scannen.“

Meine Augenbrauen wanderten fragend in die Höhe. Der Dai lachte. „Es schadet dir nicht, kann dir aber eventuell nutzen, vor allem dabei, deine Kraft permanent unter Kontrolle zu kriegen. Zumindest für ein paar Jahrzehnte, bevor du Pressoren brauchst. Ich habe sämtliche Aufzeichnungen über die Reyan Maxus studiert. Wahrscheinlich würde ich selbst einen ziemlich guten Pressor abgeben, wenn es auf meiner Heimatwelt einen Reyan Maxus geben würde. Auf jeden Fall weiß ich, dass ein so früher Verlust über die Kontrolle deiner Fähigkeit nicht normal ist und so gut wie nie vorkommt.“

„Was bedeutet, es kam vor?“

„Nur bei den stärksten.“

„Ich willige in den Scan ein.“

Kyrdantas legte mir beide Hände auf die Wangen. Sie fühlten sich warm an, fast heiß, aber auf eine angenehme Weise. „Du weißt, was ein KI-Meister ist, Akira?“

Das brachte mich zu einem leisen Lachen. „Ich BIN ein KI-Meister, Kyrdantas.“

Dies ließ nun wiederum ihn lächeln. „Das warst du mal. Was tut ein KI-Meister?“

„Er beherrscht seine eigene körperliche Bio-Elektrizität und kann freie Bio-Elektrizität oder die eines anderen manipulieren.“

„Richtig. Und was ist ein Reyan Maxus?“

„Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht“, gab ich zu.

Kyrdantas lächelte erneut. „Ich will es dir erklären. Was passiert, wenn du Materie auflöst?“

„Ich löse, wenngleich unbewusst, die atomare Bindung der Moleküle.“

„Denkst du, das ist mit KI möglich, wie Ihr es nennt?“

„Es ist möglich. Ich habe es getan.“

„Aber nicht mit KI. Akira, deine Kraft, die du erlangt hast, und die so gefährlich ist, ist keine Fähigkeit des KI. Sie steht in direkter Korrespondenz zur starken Atomkraft. Du nimmst direkten Einfluss auf jene Energie, die den Zusammenhalt innerhalb eines Atoms reguliert.“

Ich wurde für einen Moment blass. Ach, Scheiße, wahrscheinlich blieb ich die ganze folgende Stunde blass wie ein Leichentuch. „Du meinst, ich bin eine verdammte Atombombe auf zwei Beinen?“

„Ich würde es anders formulieren, mehr erklären, einiges, was nicht erklärt werden kann, umschreiben, aber, ja, du bist eine verdammte Atombombe auf zwei Beinen. Allerdings wirst du nicht in einer atomaren Explosion vergehen. Du könntest wahrscheinlich mit viel Übung eine auslösen, aber alle bisherigen Reyan Maxus haben es lediglich auf zwei durchaus bemerkenswerte, allerdings gemessen an einer Atomexplosion unspektakuläre Fähigkeiten gebracht. Nummer eins ist die Auflösung der atomaren Bindung, also die Zerstörung der Atome.“

Ich nickte. Das hatte ich verursacht. Das kannte ich.

„Nummer zwei ist die Neuordnung der starken Atomkraft. Du kannst Energie freisetzen, weit mehr als bei deiner KI-Begabung mit wesentlich weniger Aufwand, sobald du ausnutzt, was an freien Energien entsteht, wenn du bei der Neuordnung von Atomen und Molekülen Energie freiwerden lässt. Dadurch kannst du beispielsweise die Zwischenräume zwischen Atomen vergrößern, ohne dass sie ihre Zusammenhalt verlieren. Dank der freigewordenen Energie. Allerdings kannst du sie eher weniger nutzen wie ein Kamehame-ha.“

Ich stutzte. „Ein Kamehame-ha?“

Kyrdantas lachte verlegen und zog die Hände zurück. Er nahm wieder auf seinem Sitz Platz. „Oder ein Haidoken. Entschuldige, beim kulturellen Austausch, den Dai-Kuzo-sama initiierte, waren neben Musikstücken unter anderem von Joan Reilley auch Mangas dabei, unter anderem von Dragonball und Streetfighter. Ich habe sie verschlungen. Ich bin vor allem auf diese Mission gegangen, weil ich auf Nachschub gehofft habe...“

„Du kriegst den Schlüssel zu meinem Zimmer auf der AURORA und unbegrenzte Zeit mit meinem Bücherregal“, versprach ich.

„Oh. Hast du viele Manga?“

Ich dachte kurz nach. „Nicht so viele.“

Dies schien Kyrdantas zu enttäuschen.

„Zumindest nicht, wenn wir danach gehen, was meine Freunde so Zuhause horten. Lediglich knappe fünfhundert.“

Der Dai schnappte nach Luft. „Fü- fünfhundert? Ich bitte demütigst um diesen Schlüssel, Commander Otomo.“

„Kriegst du, versprochen ist versprochen. Also kann ich diese Energie nicht wie ein Haidoken nutzen?“

„Du kannst sie nutzen wie dein KI und tust es wahrscheinlich schon. Ja, das tust du in der Tat. Unglaublich, beides läuft parallel ab. Das bedeutet eine stärkere KI-Rüstung und stärkere KI-Fähigkeiten.“

„Noch stärker?“, raunte Kei. Die anderen stimmten ihm zu. Verdammt, dabei war ich doch gar nicht der stärkste KI-Meister an Bord der AURORA. Aber anscheinend hatte sich da was geändert. „Und ich kann wirklich kein Kamehame-ha abschießen?“

„Du scherzt, Akira?“, fragte Kyrdantas irritiert.

„Wenn ich mit Superlativen konfrontiert werde, die ich nicht sofort begreife, neige ich dazu, ja.“

Sakura schüttelte den Kopf. „Er will ein Kamehame-ha abschießen.“ Meine Freunde nickten dazu. Mist.

Nun übernahm Sakura als Anführerin der Expedition das Gespräch. „Eigentlich ist es unnötig, das extra zu sagen, weil die Vernichter bereits die Nagalev ausschiffen, aber hiermit lädt die UEMF, deren direkte Vertreterin ich bin, alle Nagalev ein, die fünf Tage inklusive Sprungzeit durch das Wurmloch bis zur Daimon der Erde an Bord zu verbringen. Darüber hinaus macht die UEMF den Nagalev das gleiche Angebot, das sie dem Core und davor den Anelph gemacht hat, als diese aus dem Kanto-System geflohen sind. Wir bieten euch an, auf der Erde, dem Mars oder dem Mond zu siedeln.“

Belta und Oren wechselten einen nachdenklichen Blick. „Was ist mit der AURORA? Können wir auch an Bord dieses Schiffes bleiben?“, fragte die Frau.

Oren hob entschuldigend die Arme. „Ihr müsst verstehen, die meiste Zeit in den letzten fünfzigtausend Jahren waren wir eingefroren. Es waren immer nur viertausend von uns aktiv, bevor andere geweckt wurden, während die Vorgänger in Kryostase gingen. Dadurch haben wir real nur rund viertausend Jahre erlebt. Zeit genug, sodass außer jenen Kryostaten, die wir wegen zu großer Strahlenschäden eingefroren haben, niemand von der Generation der Katastrophe mehr lebt. Zeit genug, um fünf Generationen heranwachsen und vergehen zu sehen. Will sagen, wir kennen nichts anderes als unsere Enklave. Ich fürchte, wir können mit den Freiheiten, die uns eine ganze Welt bietet, nicht viel anfangen. Die AURORA werden wir handhaben können, denke ich. Falls das nicht geht, ist es wohl das Beste, uns auf Raumstationen zu verteilen, oder auf dem Mond anzusiedeln. Nicht, dass ich einen freien Himmel über meinem Kopf nicht mal erleben will, und so. Aber ich sehne mich doch eher nach der Begrenztheit einer soliden Wand, auf die ich schauen kann... Ihr versteht?“

Irgendwie konnte ich das tatsächlich. „Einverstanden. Es wird ja nicht in Stein gemeißelt und kann jederzeit revidiert werden“, versprach ich. „Cousinchen?“

„Ich muss das mit Eikichi und dem Rat besprechen, aber ich denke nicht, dass generell Ablehnung dagegen besteht, die Nagalev auf dem Mond oder hier auf der AURORA dauerhaft anzusiedeln. Was es letztendlich werden wird, kann ich aber noch nicht sagen. Was mit der AURORA passieren wird, wenn der ganze Wahnsinn hier mal vorbei ist, kann ich auch noch nicht sagen, daher... Nun ja.“

Lertaka sah sie indigniert an. „Moment, Admiral, rechnen Sie tatsächlich damit, das Problem mit den Kindern der Götter auflösen zu können? Zu Ihren Lebzeiten?“

„Ja.“

„Und was macht Sie da so sicher?“

Sakura lächelte. Aber es war kein nettes Lächeln. Es war sogar recht schadenfroh. „Wir haben einen Akira.“

„Das ist eine verblüffende Antwort. Und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich von Kitsune gehört habe, ist es wohl nicht verkehrt, einiges an Hoffnung an diesen jungen Mann zu richten.“

„Gut, dann ist das auch geklärt“, sagte ich lächelnd. Endlich. Endlich. Endlich. „Was mich angeht, bitte ich euch, mich jetzt zu entschuldigen. Ich habe einen extrem wichtigen Termin in einer Stunde, den ich wahrnehmen muss, selbst wenn ich mich mit meinen Lippen alleine dort hinschleifen müsste.“

„Und was ist das für ein Termin, Akira?“, fragte Livess.

„Eigentlich eine recht banale Geschichte. Ich habe eine Prüfung vor mir, die mich zum Studium zulässt. Viermal musste ich ihn verschieben, aber diesmal kann meinetwegen das Universum kollabieren.“

„Dann wünsche ich viel Erfolg“, sagte die blonde Frau mit der bronzenen Haut.

Die anderen Dai und die beiden Nagalev schlossen sich an.

„Danke“, sagte ich mit peinlicher Verlegenheit. Zu meinen Freunden gewandt sagte ich: „Drückt mir die Daumen.“

„Ach, das schaffst du schon“, sagte Yoshi und klopfte mir auf den Rücken.

„Nicht dafür, sondern damit nichts mehr passiert, bis ich im Prüfungsraum bin.“ Gelächter.
 

Ich verließ den Raum nachdem ich ein letztes Mal Megumi angesehen hatte. Sie hatte für mich gelächelt. Oh, ich liebte diese Frau.

Draußen auf dem Gang erschuf Arhtur einen weiteren Avatar. „Sir.“

„Oh nein, Arhtur, es gibt nichts, worum ich mich kümmern müsste. Nichts.“

„Das ist richtig, Sir. Ich will Sie auch nur lediglich informieren, dass die Schlacht im Kanto-System allen Anzeichen nach kurz davor steht, auszubrechen. Admiral Jano Avergan Ryon hat das Oberkommando übernommen und Rogan Arogad steht ihm zur Seite, ebenso Admiral Neon Zut Achander und auch einige Offiziere des Cores.“

„Die Lage?“

„War bis vor kurzem ausgeglichen. Aber den Logodoboro ist es gelungen, weitere Schiffe heranzuführen. Nun sind sie im Vorteil und werden angreifen. Admiral Ryon hat sich sehr bedauernd darüber geäußert, dass Sie nicht vor Ort sein können, um an der Schlacht teilzunehmen.“

Ich lachte abgehackt. „Natürlich kann ich an der Schlacht teilnehmen. Ich muss nur ins Paradies der Daina und Daima wechseln, von dort aus einen Offiziersavatar übernehmen und mir einen Mecha besorgen. Dann kann ich... Mist.“

„Sir?“

Ich grummelte vor mich hin. „Wie lange bis zur Schlacht?“

„Etwa eine Stunde bis zum ersten Feindkontakt.“

Das war zu wenig Zeit, um die Prüfung zu absolvieren, UND mich ins Paradies einzuklinken, um das Kanto-System zu besuchen.

„Darf ich mir an dieser Stelle erlauben, Sie darauf hinzuweisen, dass ich sowohl die Prüfer als auch die Daten zur theoretischen Prüfung in die virtuelle Wirklichkeit der ADAMAS aufgenommen habe?“, sagte Arhtur. „Über die Chamber in der Zentrale können Sie die sechsstündige Prüfung in fünf Minuten Realzeit machen und haben noch mehr als genug Zeit, um ins Paradies zu wechseln.“ Arhtur schmunzelte zufrieden über sich selbst. „Des weiteren hat Maltran Choaster angedeutet, dass mehrere Offizierskörper im Kanto-System zur Verfügung stehen. Du könntest einige deiner KI-geschulten Freunde mitnehmen.“

„Wie viele Offizierskörper sind es denn?“

„Acht.“

Ich dachte kurz nach. „Okay. Megumi. Yoshi. Yohko. Hina. Ami. Akane. Sarah. Das sollte für eine wirklich große Überraschung reichen.“

„Ich beordere sie ins Paradies. Auf Ihren Befehl, Sir.“

Das hörte ich gerade so noch, denn ich hatte begonnen zu laufen. Diesmal, ja, diesmal, DIESMAL würde ich die verdammte Prüfung machen, und nicht einmal diese fiese Gottheit, die ich für mein wechselhaftes Schicksal verantwortlich machte, würde es verhindern können. Und DANACH würde ich das Kanto-System retten.
 

2.

„Akira!“

Ich wandte mich um und hob die Hand. „Keine Chance, Henry! Was immer du zu berichten hast, du hast dein Zeitfenster verfehlt. Sag es Megumi und Sakura. Ich habe einen brandeiligen Termin, den ich nicht verpassen darf. Und dann habe ich noch einen Termin danach, der mindestens genauso wichtig ist.“

„Aber es ist auch wichtig!“, rief Ai Yamagata, die ihrem Lebensgefährten hinterher kam.

Ich musterte ihre ernsten Augen und traf eine Entscheidung. „Also gut, Ihr zwei.“ Ich winkte ihnen, mir zu folgen. Nach zwei quälend langen Minuten, noch rund fünfzig Minuten bis zur Schlacht, betraten wir die Zentrale. Mein Pod stand bereit.

„Arhtur, wenn du so nett wärst...“

„Aber natürlich, Sir.“ Zwei weitere Pods fuhren aus dem Boden.

„Wir unterhalten uns, aber innerhalb der virtuell beschleunigten Welt“, erklärte ich, während ich die Chamber bestieg.

Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Ihre Erfahrungen mit dem Paradies der Daima und Daina kamen ihnen dabei zugute. Das war mein letzter Gedanke, bevor ich auf die vorbereitete Ebene wechselte.
 

„Du bist spät dran, Akira-chan“, begrüßte mich Akane Kurosawa. Sie würde heute unter anderem eine der Prüferinnen sein. „Und bringst auch noch Verstärkung mit, wie ich sehe.“

Ich wandte mich halb nach hinten. „Macht ran, Leute, hier ist eine Abiturprüfung, die ich noch bestehen muss.

Wie gehen wir vor?“

Akane deutete auf einen virtuellen Schreibtisch, der auf dieser Ebene aber erschreckend real war. „Wir beginnen schriftlich. Vier Themen, jedes zwei Stunden Zeit. Danach die mündliche Prüfung. Darf ich dir die anderen Prüfer vorstellen?“

Höflich gab ich allen drei Lehrern die Hand, die sichtlich Anpassungsschwierigkeiten an die virtuelle Ebene hatte. Ihre Namen hatte ich schon gehört, aber ihre Gesichter noch nicht gesehen. Eventuell um sicherzustellen, dass ich fair und ehrlich durch diese Prüfung kam. Ob ich sie bestand oder nicht, stand ohnehin noch in den Sternen.

„Und wann können wir...?“, fragte Henry.

„Erzählt es mir nebenbei. Erstes Thema?“

Akane legte mir die Unterlagen auf den Tisch, ich nahm Platz. „Mathematik. Du darfst einen Taschenrechner generieren und benutzen und du musst deine Notizen und Zwischenrechnungen mit einreichen. Und, Arhtur, jede Form von Hilfestellung über den Taschenrechner hinaus bedeutet, dass die Prüfung gescheitert ist, verstanden?“

Arhturs Avatar hob beide Hände. „Ich hatte nicht vor, zu schummeln. Und Commander Otomo auch nicht.“

„Wie dem auch sei, Akira, deine Zeit beginnt... Jetzt.“

Ich öffnete den Umschlag, nahm die Prüfungsbögen heraus und überflog sie für einen ersten Einblick. Hauptsächlich Infinitesimalrechnung und Stochastik. Gut, das konnte ich, da war ich auf der sicheren Seite. Ich griff nach dem Stift, natürlich auch virtuell, und begann die Aufgaben. „Ihr könnt“, sagte ich, während ich rechnete. „Und dabei könnt Ihr mir gleich erklären, warum Ihr so lange fort wart.“

„Nun“, sagte Henry und kratzte sich gut hörbar am Kopf, „es scheint, dass unser Dai auf ein bestimmtes Ereignis in der Realität gewartet hat und dafür unseren Zeitablauf manipulierte. Zudem hat er eine sehr interessante, aber auch sehr lange Geschichte erzählt.“

„Erzählt mir, was daraus für uns relevant ist. Und nur, falls Ihr es noch nicht gehört habt, bedenkt dabei bitte, dass die Naguad Götter sind, die es geschafft haben, dem allgegenwärtigen Untergang zu entkommen und nach Iovar zu fliehen.“

Ai stieß einen Laut der Überraschung aus. „Das passt zu ihren Erfahrungen auf der Hauptwelt Iotan.“

„Aber auch zu einigen anderen Ereignissen“, sagte Henry. „Die kurze Version also?“

„Darf ich dazu ebenfalls etwas beisteuern?“, fragte Arhtur. „Wenn es um Erlebnisse geht, in die das Schiff, also die ADAMAS, involviert war, meine Aufzeichnungen sind lückenlos.“

„Heißt das, wir hätten von Anfang an... Nur dich fragen müssen, statt uns mit dem Dai zu plagen?“, rief Henry William Taylor überrascht.

„Ja. Eigentlich schon. Das trifft es doch ziemlich gut.“

„Oh, wir Idioten“, raunte der Agent.

„Machen wir es so. Ai und du, Ihr erzählt mir, was der Dai verraten hat, und du, Arhtur, ergänzt es, wenn Informationen fehlen, über die du zum Thema verfügst.“

„Einverstanden.“

„Gut, dann waren wir nicht vollkommen umsonst so lange weg“, sagte Henry halb resigniert. „Seine Erzählung beginnt damit, dass er als Pressor seinen Reyan Maxus an Bord der ADAMAS begleitet hat, um in der Peripherie des von Dai erforschten Raumes Kriege zu verhindern und Welten zu befrieden. Dabei fand Kydranos, der Reyan Maxus, eine Welt, die...“

„Entvölkert“, soufflierte Arhtur.

„...die entvölkert wurde. Sie fanden Spuren einer Daima-Zivilisation, sowie ein paar wirklich unschöne Bombenkrater. Jemand hatte gezielt die Zentren dieser Welt augelöscht und es dabei vor allem auf die Dai abgesehen. Die Dai jener Welt...“

„Tomall“, soufflierte Arhtur erneut.

„Ja, Tomall, danke, Arhtur. Die Dai hatten sich in dem verborgen, was wir als Daimon kennen. Diese wurde allem Anschein nach als erstes vernichtet. Von der größten Explosion. Die Angreifer hatten keine halben Sachen gemacht. Und das Witzigste: Auf dem zerstörten Planeten fanden sie Überlebende, tatsächlich, nur viel zu wenige für eine Kolonie, die einmal mehrere Millionen Menschen stark gewesen war. Diese Überlebenden behaupteten steif und fest, sie wären von einem Kommandoschiff der Dai angegriffen worden. Was eine weitere Gruppe Daima auf den Plan rief, die sich selbst „die Götter“ nannte. Diese griff die ADAMAS sofort an, ohne Kontakt zu suchen. Nach der sehr kurzen und sehr einseitigen Schlacht ließ Kydranos die überlebenden Götter einsammeln und befragen. Dabei kam heraus, dass die Götter anscheinend schon vor dem Angriff informiert worden waren, wer hier wen angegriffen hatte. Noch besser: Warum die Götter eingegriffen haben, kam dann auch noch heraus. Tomall war bereits die fünfte Welt im Sektor, die vernichtet worden war, und das gefährlich nahe am Kernland der Götter, sodass sie sich herausgefordert fühlten. Dies war der Beginn eines Krieges, den zuerst die ADAMAS mit ihren Begleitschiffen ausfocht, später aber auch mit der Unterstützung anderer Kommandoschiffe mit Reyan Maxi an Bord. Die Götter waren nicht besonders gesprächig und hielten mehr von Taten. Für sie waren die Dai die Wurzel des Übels und die Ursache des ganzen Kriegs, sodass sie dazu übergingen, Daima- und Daina-Welten anzugreifen, die nicht von Kommandoschiffen geschützt wurden, um die dortigen Dai auszulöschen. Eine sehr effektive Strategie, die sich dadurch, dass sie sich über Jahrzehnte dahin zog, und jede vernichtete Welt ein grausamer Schrecken in sich war, für die Götter bewährte. Auch, als der Krieg in ihr Kernland getragen wurde, als die Dai einsahen, dass die Defensive den Krieg nie beendet, hielten sie an der Methode fest. Da sie die Kommandoschiffe nicht vernichten konnten, nutzten sie einfach die Möglichkeit, ihnen auszuweichen. Und später im Krieg, da... Aber ich greife vor.“

„Das wollte ich auch gerade anmerken, Legat Taylor“, sagte Arhtur.

Henry grummelte etwas Unverständliches und fuhr mit seinem Bericht fort. Ich fuhr mit der nächsten Aufgabe fort.

„Wie gesagt waren die Götter nicht zu Verhandlungen bereit, geschweige denn zu Gesprächen. Für sie war die Situation ziemlich klar: Entweder, sie überlebten, oder die mörderischen Dai. Und so wurde der Sektor rund um das Reich der Götter nach und nach entvölkert, teils durch die Zerstörungen, teils, weil die Daima flüchteten. So sie es denn konnten. Der Krieg zwischen den Dai und den Göttern war weit größer und schlimmer als alles, was sie bisher unter sich ausgemacht hatten, und nur Distanz schien Sicherheit zu versprechen. Dann aber fanden die Götter eine Waffe gegen Reyan Maxi.“

Ich sah für einen Moment von meinen Prüfungsunterlagen auf. „Wenn du jetzt Legacy-Virus sagst, dann trete ich dich.“

„Na, dann hol doch bitte schon mal kräftig aus, denn es war ein Virus. Damals gab es halt nur noch kein Englisch, weshalb die Dai, als sie den Virus fanden und klassifizierten, ihn nicht Legacy-Virus nennen konnten.“

„Nicht einsagen, Henry. Englisch kommt erst noch dran“, mahnte Akane verschmitzt lächelnd.

Na, wer wusste schon, wie lange sie darauf gewartet hatte, diese Pointe anbringen zu können.

„Damit ich dich richtig verstehe, die Götter haben einen Virus genutzt, um Reyan Maxi... Nun, zu töten?“

„Expandieren zu lassen“, korrigierte er.

Entgeistert ließ ich meinen Stift fallen. „Du meinst, sie sind explodiert?“

„Ja.“

„Also gut.“ Ich nahm den Stift wieder auf und vollendete die aktuelle Aufgabe. Noch sieben weitere. „Erzähl mir über den Virus.“

„Er ist künstlichen Ursprungs. Er wurde zu einhundert Prozent konstruiert. Und das haben nicht die Götter getan. Eine Macht im Hintergrund, die sich Godar nannte, stellte ihnen die Naniten zur Verfügung, die als Träger für die Viren fungieren sollten. Nun mussten die Naniten nur noch an Bord der Kommandoschiffe gelangen. Dafür verseuchten die Götter all jene Orte, an denen Kommandoschiffe Nachschub aufzunehmen pflegten, einschließlich Lemur.“

Ich fühlte meine Augenbrauen nervös zucken. Da war doch noch was mit den Godar gewesen, oder? „Und dann wurden die Kommandoschiffe infiziert?“

„Nach und nach. Und in vollkommen unterschiedlichen Zeitabständen erlagen die Reyan Maxi dem Virus. Einige explodierten tatsächlich. Andere absorbierten so viel KI und gaben es zeitgleich wieder ab, dass sie sich selbst auflösten. Andere wiederum...“

„Zwischenfrage“, sagte ich hastig. Fünfte Aufgabe. „Arhtur, du kennst dieses Virus?“

„Natürlich. Es hat auch die ADAMAS infiltriert.“

„Ist das Virus derzeit an Bord der ADAMAS?“

„Ich habe diverse Reinigungsaktionen unternommen in den letzten fünfzigtausend Jahren, aber es ist mir nie gelungen, jede einzelne Spur auszulöschen. Das liegt auch daran, dass es immer wieder hereingetragen wird. Das letzte Mal durch die Besatzung der AURORA.“

„Ach, herrje. Mein Körper kennt das Virus“, stellte ich fest.

„Richtig. Träger für das Programm, das Reyan Maxi tötet, ist ein ziemlich herkömmliches Grippevirus. Wie es die Art der Grippeviren ist, haben sie sich im Laufe der Zeit stark verändert, weil diese Viren untereinander Teile ihrer Baupläne austauschen. Fakt ist, dass die Menschheit an sich seit fünfzigtausend Jahren von diesen Viren geplagt wird. Es reicht merkwürdigerweise nicht, um Immunität an folgende Generationen zu vergeben, aber soweit ich feststellen kann, reicht es, einmal eine Grippe gehabt zu haben, um gegen dieses spezielle Programm immun zu sein. Dieses Glück hatten die Reyan Maxi der alten Zeit nicht. Will sagen, Sir, dadurch, dass Sie mit Grippeviren in Kontakt geraten sind, irgendwann in den letzten zweiundzwanzig terranischen Jahren, reagiert Ihr Körper mit Vernichtung, und das, bevor die Viren eine Konzentration erreichen können, die die Ausführung des Vernichtungsauftrags ermöglicht. Meine Analysen von Kydranos in den verschiedenen Stufen der Infektion belegen, dass die Viren eine gewisse Grundkonzentration erreichen mussten. Dabei bildeten sie mikroskopische Megastrukturen.“

„Sie bauten sich selbst im Körper zu größeren, aber immer noch winzig kleinen Maschinen aus?“, fragte ich ungläubig.

„Ja. Wir wissen es deshalb so genau, weil Kydranos sich wissentlich infizierte und wir jede einzelne Stufe der Infektion und des Krankheitsverlaufs begleitet haben.“

„Wissentlich?“, fragte ich. „Aber wieso?“

„Um eine Heilung zu finden, natürlich. Daraus ist leider nichts geworden, weil... Möchten Sie wieder, Legat?“

„Ich wollte gerade darum bitten. Jedenfalls wurden die Reyan Maxi dazu gezwungen, etwas mit ihrem KI zu tun, was sie nicht kontrollieren konnten. Einige explodierten, andere implodierten, manche starben einfach nur. Kydranos allerdings war ein etwas anders gelagerter Fall. Als sicher war, dass sie keine Heilung finden konnten, bevor es für ihn zu spät war, entschloss er sich zu einer Machtdemonstration. Die ADAMAS kämpfte sich bis zur Hauptwelt der Götter durch. Wobei „Hauptwelt“ jetzt nicht gleichzusetzen ist mit der Erde, damals bekanntlich Lemur. Es handelte sich um einen Planeten, und dieser war besiedelt mit Verwaltungszentren, Raumschiffswerften, Truppenaufmarschgebieten, Kasernen, Übungsgeländen, der hiesigen Regierung... Kurz und gut, das Zentrum des Götterreichs. Kydranos hat diese Welt vernichtet, als er dem Virus in seinem Blut endlich nachgab.“

Ich zerbrach den Stift. Ein Ding der Unmöglichkeit, er war nur virtuell und theoretisch unzerstörbar. „Was, bitte?“

„Kydranos entpuppte sich als einer von denen, die explodierten, aber auf eine ganz besondere Weise. Sein KI explodierte, expandierte und vernichtete alles in seinem Weg und assimilierte freies KI, das ebenfalls alles im Weg vernichtete, und all das raste um den Planeten, Runde auf Runde auf Runde, bis es nichts mehr gab. Keine Regierung, keine Kasernen, keine Verwaltung.“

„Entweder ein gewaltiges Kriegsverbrechen, oder ein Akt ungeheurer Heldenhaftigkeit“, sagte Akane. „Kommt auf den Standpunkt an.“

Ich nickte zu ihren Worten. „Weiter.“

„Die Götter, also jene, die überlebt hatten, wurden dadurch endlich an den Verhandlungstisch gezwungen. Beide Seiten waren in denkbar schlechten Positionen. Lemur hatte alle Reyan Maxi eingebüßt und dabei sogar einige Kommandoschiffe verloren. Und die Götter waren enthauptet worden, abgeschnitten von ihrer Regierung, ihrem Verwaltungsapparat. Dennoch war ihre militärische Macht im Moment höher als die der Dai, sodass sie den folgenden Vertrag zu ihren Gunsten diktieren konnten. Sie verboten die Entwicklung neuer Reyan Maxi und verlangten von den Lemur-Dai, fortan isoliert unter einer Daimon zu leben und sich vom Rest der Erde zurückzuziehen. Vom Weltall ganz zu schweigen. Um beides zu überwachen, wurden die RASHZANZ und das Kastell auf der Erde installiert. Im Gegenzug verpflichteten sich die Götter dazu, das Sol-System als neutrales Gebiet anzuerkennen und nicht nach dem Verbleib der Kommandoschiffe zu suchen, die, zwar nun ohne Reyan Maxi, dennoch eine gewaltige Macht darstellten.“

„Die Kommandoschiffe wurden konzentriert und an einem geheimen Ort versteckt, damit sie jederzeit gegen die Götter eingesetzt werden konnten“, fügte Arhtur hinzu. „Die ADAMAS hingegen musste sich auf einem abgelegenen Planeten niederlassen, da sie im letzten Gefecht um die Zentralwelt erheblich beschädigt wurde. Die Reparatur dauerte zweihundert Jahre, aber nach dem Abschluss der Arbeiten gab es keinen Ort mehr, zu dem sie fliegen konnte. Deshalb blieb sie im London-System, bis die AURORA sie aufgespürt hat.“

„Was bedeutet, wir sollten noch erwähnen, dass die Götter fortan Jagd auf Daimon und Dais machten. Vor allem aber auf potentielle Reyan Maxi“, fügte ich an.

„Nicht die Götter“, korrigierte Henry mich. „Die Kinder der Götter. Nur wenige Jahrzehnte, nachdem die Lemur-Dai auf ihr Heimatsystem beschränkt worden waren, verschwanden die Götter, als hätte es sie nie gegeben, und stattdessen tauchten die Robotschiffe der Kinder der Götter auf und suchten beständig nach Dai, Daimon und potentiellen Reyan Maxi. Das ist der Status Quo, bis wir mit ihnen im Zuge der Evakuierung der Anelph aneinander gerieten.“

„Okay“, sagte ich und erhob mich.

„Äh, Akira, du musst jetzt die Prüfung nicht zwangsläufig abbrechen, auch wenn die Lage ernst ist“, sagte Henry. „Etwas Zeit haben wir noch.“

„Abbrechen?“, erwiderte ich verwundert. Ich schob die Bögen zusammen und reichte sie Akane. „Ich bin doch nur fertig mit Mathe.“

„Du hast noch fünfundneunzig Minuten übrig“, sagte sie.

„Ich habe es eilig“, erwiderte ich. „Muss ich jetzt fünfundneunzig Minuten warten, oder können wir mit dem nächsten Fach weitermachen?“

„Dass du auch immer übertreiben musst“, murrte sie, reichte mir aber den nächsten Bogen. „Englisch. Viel Spaß.“

Ich setzte mich wieder, riss den Umschlag auf und betrachtete die Fragen. Okay, und wo war jetzt die Schwierigkeit hierbei? Beinahe hätte ich vergnügt gepfiffen. Wenn der Rest der Prüfung ebenso war, gab es kein „ob“, nur ein „wie gut“. Aber hatte ich als einer der Landesbesten daran überhaupt gezweifelt? Wenn ich ehrlich sein sollte, ja. Aber im Moment kam es mir so vor, als fielen alle Puzzleteile an ihren Platz und vervollständigten die Geschichte so, wie sie von Anfang an hatte sein sollen. „Wir kümmern uns um die Kinder der Götter gleich nach der Prüfung“, versprach ich. Alles zu seiner Zeit und in der Reihenfolge der Eingänge.

***

„Willkommen an Bord der AROGAD, Sir.“ Ein Offizierskörper des Cores salutierte vor mir.

„Leekan Amada“, stellte ich fest. Eine junge Daima, selbst für die Begriffe des Cores, die ich hier als Verbindungsoffizierin stationiert hatte.

„Ja, Sir.“ Sie deutete auf ihre Brust, wo ein Namensschild prangte. „Wir versuchen uns an verschiedenen Identifikationsmerkmalen. Das Namensschild war da gleich zu Anfang eine sehr gute Idee.“ Sie lächelte verschmitzt, was für einen Androidenkörper des Cores eine außerordentliche Leistung darstellte. Dazu hielt sie eine Handvoll Namensschilder mit Clip hoch. „Ich habe mir erlaubt, für Sie und Ihre Offiziere ebenfalls welche anfertigen zu lassen, kaum dass ich wusste, dass Sie kommen und wer Sie begleitet.“

„Danke, Leekan.“ Ich erhob mich, nahm das Namensschild entgegen und brachte es an der linken Brusttasche an. „Alle aktionsbereit soweit?“

Hinter mir stöhnte eine tiefe Männerstimme auf. „Yoshi hat Kopf. Yoshi mag sowas gar nicht. Konntest du uns nicht vorwarnen, Akira?“

Wortlos nahm ich Leekan die Schildchen aus der Hand und hielt ihm das Futabe-Namensschild hin. Als Hinweisgeber war er schon immer grandios gewesen. „Noch jemand ohne Fahrschein?“

Nach und nach leerte sich die Hand, als jeder nach seinem eigenen Namensschild griff. Das war positiv, denn die Drohnen waren nicht wirklich individuell zu nennen. Wir würden, während wir kämpften, ein wenig mit den Stimmsynthesizern arbeiten müssen, um so etwas wie Originalität zu erreichen. Falls uns die Zeit dafür blieb. Laut meinem Zeitempfinden, unterstützt von der eingebauten Uhr des Robotkörpers, waren es nämlich nur noch knappe zwanzig Minuten bis zur Schlacht. „Wo befinden wir uns, Leekan?“

Sie räusperte sich vernehmlich. „Ich habe die Aktionskörper auf die AROGAD schaffen lassen. Das Bollwerk von Zantu... Ich meine, Admiral Ryon erwartet uns auf der Brücke, ebenso Admiral Arogad und Admiral Achander. Wir befinden uns in einem Bereich, der für die Dauer unserer Nutzung unserer Hoheit unterstellt wurde. Zwar nur ein Magazin, aber immerhin ein Raum des Core, Sir.“

Ich nickte zufrieden. Zu gerne hätte ich jetzt in einen Spiegel gesehen, obwohl ich wusste, dass ich nicht viel anders als meine sieben Begleiter ausschaute: Groß, androgyn, haarlos. Diese Körper waren nach Begriffen der Effizienz gebaut worden, nicht nach Richtlinien der Ästhetik. So gesehen waren die Namensschilder eine grandiose Idee gewesen.

„Alles klar auf den billigen Plätzen? Dann lasst uns gehen.“

Meine Freunde nickten mir entschlossen zu. Und das war ein ziemlich witziger Anblick, sobald ich mir klar machte, dass Yoshi und meine kleine Schwester Yohko einander glichen wie das eine braune Ei dem anderen. Allerdings unterließ ich es zu lachen, denn ich und Megumi sahen ja genauso aus.

Leekan Amada öffnete die Tür, und wir traten hinaus. Auf dem Gang standen zwei Wachen, die sofort in Hab acht gingen, als ich in der Tür erschien. Als ich sie passierte, salutierten sie mir. Dies war ein Schiff von Haus Arogad, wenn nicht gleich DAS Schiff von Haus Arogad. Die AROGAD selbst. Ich war der eingetragene Erbe des Hauses. Es wunderte mich, dass sie nicht gleich ein dreimaliges Hurra angestimmt hatten.

„Hier entlang, bitte.“ Leekan führte uns den Gang hinab, dann in einen zentralen Verteiler. Ab dort hätten wir den Schildern folgen können, aber bewusst ließ ich es in der Hoheit der Core-Offizierin, uns ans Ziel zu bringen. Wir betraten einen Gang, der uns bis direkt vor die Zentrale des Kampfschiffs brachte. Dort standen wieder Wachen, die in Hab acht gingen. „Willkommen zurück, Mylord Arogad“, empfing mich der von mir aus gesehen rechte Soldat. Er betätigte einen Summer. „Lord Aris Arogad, seine Schwester Lady Arogad, Lady Solia Kalis vom Haus Daness sowie Gefolge bitten um Einlass.“

„Gewährt.“ Vor uns fuhren die Sicherheitsschotts des wichtigsten und bestgeschütztesten Raums an Bord des Bakeschs auf. Das Allerheiligste.
 

Als ich eintrat, unterbrachen die Leute ihre Arbeit. Sie erhoben sich und salutierten. Ich musste mir wieder einmal begreiflich machen, was meine Existenz für diese Naguad bedeutete. Was das Haus ihnen bedeutete. Ich war der Hauserbe. Vielleicht erst der Erbe in drei Generationen, aber in der leicht verknöcherten Häuserstruktur der Naguad war das kein Grund, mich nicht wie einen direkten Erben zu behandeln, wie einen König. Nein, das passte nicht. Die Anführer eines Hauses der Naguad waren keine Könige, sie waren mehr Tyrannen. Wobei ich den Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung meinte, damals in Griechenland, als man einen Menschen mit unbegrenzten Machtbefugnissen wählte, ihm ein Zeitfenster gab und das Beste hoffte.

„Mensch, Akira!“

Ich zuckte leicht zusammen, als mein terranischer Name quer durch die Zentrale gerufen wurde. Das konnte nur einer sein, und zwar...

„Aki-chan! Äh, welcher bist du denn?“

Vor mir stand jemand, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit mir hatte, zumindest was die Nase und das Kinn anging. Typische Arogad-Gene. Dennoch glich er mir nicht so sehr wie Marus Jorr, der ein direkter Cousin von mir war. Jedenfalls so direkt, wie es im inneren Zirkel der Arogads möglich war, als Nachfahre von Uropas Sohn.

Ich hob die Hand. „Ich bin hier, Rogan.“

Die Irritation verschwand aus seinem Gesicht. Der große Offizier trat auf mich zu und schloss mich in die Arme. „Verdammte Scheiße, Aki-chan, du kannst dir gar nicht vorstellen, was bei uns Zuhause alles drunter und drüber gegangen ist, als man dein Bewusstsein aus deinem Körper entführt hat. Ich meine, ich wusste nicht, dass so etwas überhaupt möglich ist. Aber da du ja jetzt diesen Roboterkörper steuerst, ist ja echt was dran an diesem AO-Transfer, und so.“ Er ließ mich fahren und betrachtete mich eingehend. „ICH habe mir Sorgen gemacht. Und als dann auch noch Helen nach Hause aufgebrochen ist und die Logodoboro für den Tritt in unsere Ärsche Anlauf genommen hatten, gab es mehr als einen Moment, an dem ich mir gewünscht habe, du wärst noch immer auf Nag Prime. Ich hörte, du hast Yohko mitgebracht?“

Zögerlich ging die Roboterhand des Droiden in die Höhe, der von meiner Schwester gesteuert wurde. Aber Rogan verzichtete auf eine heftige Umarmung und bediente sich nur der naguadschen Variante des Handkuss. Mit Megumi, „Lady Kalis“, verfuhr er genauso, und tat dies auch bei den Slayern aus meiner Begleitung. Yoshi hingegen zog pikiert die Hand zurück. „Danke, nein, habe schon.“

„Wenn ich nicht wüsste, dass du Yoshi bist, jetzt würde ich es zumindest ahnen“, lachte Rogan. „Kommt, wir sollten reden.“ Während er sich umwandte, gab er einem seiner Leute durch ein Nicken zu verstehen, dass er handeln sollte. Der Mann bestätigte durch ein eigenes Nicken, dann trieb er seine Leute an. Wortfetzen erreichten meine Ohren, als die Männer und Frauen an der Hauptfunkanlage der AROGAD den Routinefunkverkehr unterbrachen und meine Ankunft in das Kanto-System hinausposaunten. Ja, posaunten war die richtige Wortwahl.

Rogan führte uns durch die Zentrale zu einem Konferenzraum.

„Ist das wirklich notwendig?“, fragte ich endlich und nickte in Richtung des Funks.

„Unbedingt“, sagte Rogan. „Was nützt es uns, den größten Krieger der Galaxis an Bord zu haben, und es weiß keiner außer uns?“ Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Sie, Mylord Arogad, sind alleine durch Ihre Anwesenheit hier, selbst im Offizierskörper des Cores, eine größere Bedrohung für die Logodoboro und ihre Verbündeten, als es eine ganze Flotte Bakesch sein könnten.“

„Dem stimme ich zu“, klang eine mir nur zu bekannte Stimme auf. „Nutzen wir es also, so gut wir können.“

„Admiral Ryon. Wie ich hörte, hat man Sie vom Altenteil weggezerrt und wieder in eine Schlacht geworfen“, sagte ich und schüttelte dem alten Anelph die Hand. Er war es gewesen, der die Evakuierung der Anelph aus diesem System betrieben hatte. Er hatte den Core in Marsch gesetzt und damit die ganze Geschichte überhaupt erst in Gang gesetzt. Aber er hatte sich nicht nur als zuverlässig erwiesen, alle negativen Aspekte seiner Anordnungen waren auch nur durch die Verkettung unglücklicher Umstände entstanden. Zumindest glaubte und sagte ich das, wann immer ich konnte oder musste.

„Es geht um Kanto. Auch wenn das Komitee dieses Sonnensystem verlassen hat, ich konnte nicht ruhig daheim sitzen und darauf warten, welche Seite gewinnt. Zudem... Hätte Logodoboro hier gewonnen, wäre irgendwann die Erde dran gewesen, und daher auch der Mars. Und dann... Zusammenfassend möchte ich sagen, ich wollte die Dinge ein klein wenig beschleunigen und uns hier einen Sieg bescheren, wenn es mir denn möglich ist. War, meine ich. Ich übergebe mein Kommando natürlich gerne an den Sieger von Lorania.“

Ich schüttelte den Kopf. „Sie behalten das Kommando, Bollwerk von Zantu. Ich habe etwas andere Pläne hier im System, und dank meines Cousins Rogan, beginnen sie sich ganz ohne mein Zutun zu entfalten. Aber ein Hawk wäre wirklich nett.“

„Ähemm“, klang es hinter mir auf.

„Sieben Hawks und ein Eagle“, korrigierte ich mich. Vier der besten Mecha-Piloten der Menschheit, von denen zwei Slayer waren, dazu vier Slayer, die derzeit das Otome-Bataillon befehligten, das war alleine schon eine Streitmacht, eine Armee für sich.

„Wir werden sehen, was wir für Sie tun können, Commander.“

„Ich könnte Ihnen mindestens fünf Hawks leihen, schätze ich“, warf ein weiterer Mann im Raum ein.

„Eskender Khaleed“, sagte ich erstaunt. „Es freut mich sehr, Sie hier wiederzusehen.“ Ich ging auf den Commander zu, während Ryon meinem Team die Hand gab.

Wir schüttelten einander die Hände. „Fünf Hawks sind schon mal ein sehr guter Anfang. Bleiben noch zwei und ein Eagle.“

„Können wir sicher von der Axixo-Basis rüberschaffen lassen. Aber nicht in den rund dreizehn Minuten bis zum ersten Feindkontakt. Sie werden es auch nicht in der Zeit auf die SANSSOUCI schaffen, fürchte ich, Commander.“

„Ich bin nicht ganz sicher, ob wir uns so sehr beeilen müssen. Unsere Anwesenheit alleine dürfte einiges, nun, umgestoßen haben“, sagte ich und machte Yoshi Platz, damit er dem Elite-Offizier die Hand geben konnte. „Admiral Achander?“, hakte ich kurz nach.

„Ist in drei Minuten hier.“ Rogan grinste schief. „Er verspricht sich auch eine Menge von dir, zugegeben.“

„Na, dann wollen wir den guten Mann mal nicht enttäuschen.“ Ich lächelte, ohne zu wissen, ob der Robotkörper meine Stimmung korrekt nach außen trug. Es wäre vielleicht besser gewesen, vorher mit einem Spiegel ein wenig zu üben, ging es mir durch den Kopf.

Dann passierten zwei Dinge zugleich. Admiral Achander trat ein, und er hatte einen Ausdruck in der Hand. „Die Logodoboro-Schiffe brechen die Angriffsfahrt ab und gehen auf Parkposition!“

Gemäß der empirischen Erkenntnis, dass ungewöhnliche Ereignisse ungewöhnliche Ereignisse nach sich zogen, musste das wohl meine Schuld sein. Das erste ungewöhnliche Ereignis war meine Ankunft im Kanto-System gewesen, das Rogan dankenswerterweise an alle Verbündeten und vor allem über die offenen Kanäle an unsere Feinde weiterposaunt hatte. Das zweite, die direkte Folge, war der Abbruch des Angriffs.

„Admiral Achander“, sagte ich und ergriff die Hand des ehemaligen Feindes. „Das ist eine sehr gute Nachricht. Jetzt würde ich gerne aktiv ins Geschehen eingreifen, wenn die Flotte des Naguad-Imperiums keine Einsprüche hat.“

„Was brauchst du, mein Junge?“, fragte Neon Zuut Achander ohne zu zögern.

„Die Mechas habe ich schon bestellt. Was mir jetzt noch fehlt, ist Sendezeit und ein Rundspruch an alle Empfänger im System.“

Rogan lachte laut auf. „Also, meine Funkbude ist deine Funkbude, Vetter. Jetzt bin ich wirklich gespannt, was du vollbringen willst.“

Yohko knuffte ihm in die Seite. „Das, was er immer tut. Ein Wunder, oder etwas Unmögliches.“

Das brachte mich dazu, aufzulachen. „Sagen wir lieber, ich nutze den Umstand aus, dass mir ein nicht ganz ungerechtfertigter Ruf vorauseilt.“
 

3.

„Mein Name ist Aris Arogad“, sagte ich mit fester Stimme in das Mikrophon der Kameraanlage. Ich gebe zu, ich hatte mir ein paar Minuten Auszeit genommen, um vor einem Spiegel Mimik und – mit Yoshis Hilfe – Stimme zu trainieren. „So, wie ich jetzt klang, wollte ich selbstsicher rüberkommen, vor allem aber so, dass mir jeder glaubte, was ich sagte. Ein Offizierskörper hatte eben Vorteile und Nachteile. „Ich weiß, ich sehe nicht danach aus, aber ich bin es, und ich steuere vom Paradies der Daina und Daima aus diesen Aktionskörper. Ich bin gerne bereit, mich jeder Form von Test zu unterziehen, um meine Aussage zu untermauern.“ Genauer gesagt lag ich in der Chamber in der Zentrale der ADAMAS und war über sie mit dem Paradies verbunden, aber wir wollten nicht zu kleinlich sein und zu sehr ins Detail gehen. „In diesem Moment bereiten die terranischen Streitkräfte der UEMF einen Hawk für mich vor, sowie sechs weitere Hawks und einen Eagle für meine Begleiter, die ebenfalls in Aktionskörpern des Cores vor Ort weilen.“ Bewusst sagte ich nicht, WER mich begleitet hatte. Diese Information würden Logodoboro und Verbündete ohnehin bald erhalten, dessen war ich mir sicher. Bis dahin sollten sie sich ruhig ein wenig Mühe geben und Ressourcen binden. „In diesem Moment spreche ich für all jene, die sich als Verteidiger des Kanto-Systems sehen.“ Ich ließ die Worte wirken. Worte waren wichtig, waren gefährlich. Konnten wie Mechas sein. Deshalb hatte ich mich auch nicht als Akira Otomo vorgestellt, sondern mit meinem Namen, unter dem ich das Haus Arogad erben sollte. Mein, nun, Kaliber sollte von Anfang an wirken. „Logodoboro-Angreifer, wer spricht für euch?“

Vor mir wurde eine Schaltung betätigt, ein Bildschirm erwachte zum Leben. Ein nicht unapartes, auf jeden Fall gut geschminktes Frauengesicht sah mir in einer Porträtaufnahme entgegen. „Ich wurde ermächtigt, für all jene zu sprechen, die das Joch der Arogad über dieses System beenden wollen.“

'Jackpot', ging es mir durch die Gedanken. „Majestät.“ Leicht neigte ich das Haupt, aber nicht zu deutlich. Sollte sie davon halten, was immer sie wollte. „Oder sollte ich sagen: Abgesetzte Majestät?“

Die Frau zeigte mit keiner Mienenregung, ob ich getroffen hatte, als ich sie daran erinnert hatte, dass sie einst Kaiserin der Iovar gewesen , und dass ich an ihrem jetzigen Status nicht ganz unschuldig war.

„Lady Arac würde mir im Augenblick vollkommen ausreichen, Meister Arogad.“

Aha, sie beherrschte die üblichen Naguad-Floskeln. Davon musste man allerdings auch ausgehen, immerhin hatte sie mit den Naguad zweitausend Jahre lang diplomatische Kontakte gehalten, und das hauptsächlich über Oren, meinen Ur-Großvater.

„Also gut, einverstanden. Lady Arac.“ Erneut nickte ich leicht. „Auf welchem Schiff kann ich Sie antreffen, Lady Arac?“

Doch eine Regung bei ihr. Ihre Augenbraue wanderte ein Stück in die Höhe. „Auf welchem Schiff?“

„Ja. Auf welchem Schiff seid Ihr, Lady Arac? Um Verhandlungen aufzunehmen muss ich zuerst an Bord kommen, oder?“ Ich stutzte kurz. Auch das hatte ich vor dem Spiegel geübt. „Ich und meine Begleiter, natürlich.“

„Verhandlungen? Ist es nicht ein wenig zu spät dafür?“

„Lady Arac“, begann ich mit leiser werdender Stimme, „Ihr habt mich kontaktiert. Ich finde, das ist ein Anfang. Was spricht bitte gegen, ah, einen Austausch an Informationen und Meinungen? Sie riskieren nichts, können jedoch viel gewinnen. Natürlich nur, falls Ihre Logodoboro-Partner und die Koromando zustimmen.“ Das war ein Schuss ins Blaue gewesen, aber intern verdächtigten wir Koromando schon seit meiner Entführung, dass sie in diesem Bürgerkrieg auf der anderen Seite steckten.

„Sie belieben zu scherzen, Meister Arogad“, sagte sie, ohne auf das Reizwort Koromando einzugehen. „Sie riskieren rein gar nichts, wenn Sie hier mit Ihren Begleitern in Aktionskörpern des Core einfallen. Ich hingegen habe dann acht AO-Meister von ungewöhnlicher Begabung an Bord, die zudem in terranischen Mechas stecken. Sie können sich vorstellen, dass sich meine Begeisterung und die meiner Verbündeten in Grenzen hält.“

„Richtig, ist riskiere nicht mein eigenes Leben oder die meiner Begleiter. Das macht es ja auch so einfach, vorzuschlagen, bei Ihnen weiterzuverhandeln, und nicht bei uns, auf der Axixo-Basis beispielsweise. Ich will fair sein und Ihnen etwas vorab verraten. Wir haben äußerst interessante Informationen für Euch und Eure Verbündeten, Lady Arac. Eine Kostprobe gefällig? Auf der Erde haben wir ein voll bemanntes Schiff der Götter entdeckt. Es handelt sich um das Schlachtschiff RASHZANZ, das einst auf der Erde versteckt wurde, um den Friedensvertrag der Erd-Dai mit den Göttern zu überwachen.“

Nun gab es eine Reaktion. Die zweite Augenbraue wanderte auch nach oben. „Erzählen Sie mir mehr.“

„Gerne. An Bord eines Schiffes Ihrer Wahl.“

„Warum sind Sie so versessen, mich persönlich zu treffen? Trägt Ihr Androidenleib eine Bombe im Bauch, die mich ins Nirgendwo bläst, sobald wir uns treffen?“

Ich lachte abgehackt. „Das würde einer Dai wohl kaum etwas ausmachen, nicht wahr?“

Zu den beiden hochgezogenen Augenbrauen gesellte sich nun eine steile Falte auf ihrer Nasenwurzel.

„Ihr wirkt überrascht, Lady Arac“, sagte ich und tat erstaunt.

„Das ist keine allgemein bekannte Information“, gab sie zögerlich zu.

„Ihr vergesst, wer meine Urgroßmutter ist: Aris Ohana Lencis, die jetzige Prätendentin.“

Ein zorniges Funkeln stand in ihren Augen, als dieser Name fiel. „Ja. Und anscheinend vergaß ich, dass diese Dame sehr umtriebig sein konnte. Und noch immer ist, wie die Zerstörung meines Palasts beweist.“

Ich räusperte mich. „Lady Arac, wer genau hat Euren Palast vernichtet? Das war nicht Aris Lencis, oder?“

„Nein, aber spielt das eine Rolle? Die Information, dass sich eine Daimon auf Iotan befand, muss von ihr oder ihren Rebellen an die Kinder der Götter weitergereicht worden sein, was zu dem Angriff führte.“

„Ihr vergesst die essentielle Information, die sich dahinter verbirgt, meine Dame“, sagte ich ernst. Also, im ernst gucken bot der Robotkörper echte Vorteile.

„Diese wären?“

„Ihr seid eine Dai.“

„Ach.“

„Die Strafer jagen die Daimon auf den Welten der Daina und Daima. Sie jagen auch die Dai, wo immer es ihnen möglich ist. Und das werden sie tun, bis sie sich sicher sein können, dass es keine Dai mehr gibt. Nirgendwo in diesem Universum.“

„Was wollen Sie tun, Meister Arogad? Den Kindern der Götter verraten, wo ich zu finden bin?“, fragte sie spöttisch, aber ich hörte durchaus den bitteren Ton heraus.

„Nichts dergleichen, Lady Arac. Im Gegenteil. Ich finde, bei einem Gedankenaustausch, Auge in Auge, können unsere Seiten beide gewinnen. Und zwar mehr als durch diese Schlacht, die sich hier anbahnt, und in der ich und meine Gefährten als Speerspitze kämpfen würden.“

„Acht Mechas mehr.“

„Acht Mechas von AO-Meistern, von besonderen AO-Meistern gesteuert, Lady Arac“, korrigierte ich.

„Mag sein, dass es mein Interesse weckt, aber nicht das meiner Verbündeten“, wiegelte sie ab.

„Gut, dann will ich eine weitere Information hinzufügen: Die Robotintelligenz, die heutzutage die Schiffe der Kinder der Götter steuert, hat nach unseren neuesten Erkenntnissen ihre Hand im Spiel in der Tatsache, dass es heute keine Götter mehr gibt.“

„Und inwiefern ist das für uns relevant?“

„Nun, ich habe gelogen. Es gibt tatsächlich noch immer Götter, zumindest deren Nachfahren. Sie kamen einst als Flüchtlinge ins Kaiserreich und verbrachten dort ein paar Generationen, bevor die Repressalien und ihr entwürdigender Status sie dazu zwangen, in neun Schiffen die Flucht anzutreten und ihr ganzes Volk mitzunehmen. Und zwar genau in der Richtung, die von ihrem Ursprungsort am geradesten fortzeigte.“

Nun erreichte ich eine besonders heftige Reaktion. Die ehemalige Kaiserin wurde blass. „Die Naguad sind... Sie sind Götter?“

„Deren Nachfahren. Das haben die Götter auf der RASHZANZ mit Hilfe ihrer medizinischen Technologie bewiesen. Ich glaube nicht daran, dass es lange dauern wird, bis die Kinder der Götter davon erfahren und ihre Schlüsse ziehen. Um genau zu sein würde es mich wundern, wenn sie nicht längst eine Probe meiner DNS hätten, um diese zu analysieren. Dabei werden sie zweifellos feststellen, dass in meinem Blut das der Dai von Lemur fließt. Und dazu das Blut der Naguad, die Abkömmlinge der vernichtet geglaubten Götter sind. Nein, lassen Sie mich das korrigieren. Ich bin überzeugt, dass die Kinder der Götter wissen, wer die Naguad sind. Die Raider-Angriffe sind ein Beweis dafür. Doch solange die Existenz der Dai wie ein Messer an ihrer Kehle gelegen hatte, waren ihre Prioritäten eindeutig.“ Ich sah ihr so gut es dieser Robotkörper vermochte in die Augen. „Fragen Sie Ihre Logodoboro-Freunde und die Koromandos, was sie tun, wenn die Kinder der Götter ihre Prioritäten ändern. Und das werden sie tun, sobald es ihnen gelingt, die Daimon der Erde und damit die letzten wirklichen Götter zu vernichten. Was dann passiert? Erzählt den Naguad doch bitte von der Vernichtung des Kaiserpalasts auf Iotan, Lady Arac.“

„Sie sind zynisch, Meister Arogad“, warf sie mir vor.

„Das gebe ich zu. Wenn ich den Tod von Milliarden Menschen nahen sehe, neige ich dazu, zynisch zu werden. Wie stehen Sie jetzt zu einem Informationsaustausch?“

Die Augen der Iovar schienen Funken versprühen zu wollen. „Ich melde mich, Meister Arogad.“

„Sie haben vier Stunden terranischer Zeit. Dann würde ich gerne hören, ob wir uns zusammensetzen wollen oder nicht. Und ich appelliere an Ihre Vernunft, tun Sie es, zum Wohle derer, die Ihnen allen folgen. Aris Arogad Ende.“

Die Verbindung erlosch, ohne dass ich Arac eine Gelegenheit gegeben hätte, sich ebenfalls zu verabschieden. Aber ehrlich gesagt rechnete ich auch nicht damit, dass sie sich den Luxus einer Verabschiedung gegönnt hätte. Wahrscheinlich würde sie jetzt das tun, was am wichtigsten war – mit ihren Verbündeten reden.
 

„Das hast du sehr gut gemacht, Akira“, lobte Rogan. „Vier Stunden mehr Zeit, und dann brauchen sie mindestens zwei weitere Stunden, um die Angriffsvektoren aufzunehmen. Ein Vierteltag ist gewonnen.“

„Entschuldige, dass ich die Frist nicht vorher mit euch allen abgesprochen habe.“

Ryon winkte ab. „Wir kennen Ihre spontanen Ideen und ihren Wert für das Ganze, Akira. Deshalb haben wir Ihnen auch freie Hand gegeben.“

„Und es hat sich ja gelohnt“, sagte Admiral Achander.

„Schön, dass Sie alle es so sehen.“ Ich stand auf. „Eskender, sind die Mechas bereit?“

„Die Mechas? Ja, sicher, aber glauben Sie, Sie brauchen die noch, Commander?“

„Natürlich. Vier bis sechs Stunden sind eine verdammt lange Zeit. Lang genug, um etwas zu tun, was ich schon längst hätte erledigen sollen.“

„Und das wäre?“, fragte Yoshi. „Versteh mich nicht falsch, egal, was du vorhast, ich bin dabei. Aber ich wüsste schon gerne, was du tun willst.“

„Kannst du dir das nicht denken?“

„Ich ahne was“, sagte Yohko. „Hat es mit den Daimon zu tun, die von den Kindern der Götter bevorzugt zerstört werden?“

„Richtig, Schwesterherz. Warum nicht ein paar Verbündete werben, wenn wir schon mal hier sind?“

Ich verließ die Zentrale. „Kommt, Leute, bemannen wir unsere Mechas, und dann ab mit uns. In die Daimon von Lorania.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  BLACKKING
2015-02-24T18:40:27+00:00 24.02.2015 19:40
haben wir ^-^, Bill Gates Frau hat Bill ja immerhin dazu überredet, jede menge kohle in Hilfsorganisationen zu stecken
Antwort von:  Ace_Kaiser
25.02.2015 13:00
Ja, aber die Hälfte seines Vermögens behält er. Joan würde nicht mal Vermögen aufbrauchen... Joan würde in dieser Welt allerdings auch nie Geld brauchen. Alles, was sie benötigt, wenn sie es benötigt, würde sie auch so bekommen...
Von:  BLACKKING
2015-02-23T18:45:49+00:00 23.02.2015 19:45
super kapi , und eine ungewöhnliche entwicklung in sachen kaiserin und deren verbündeten xD, achja und witzig das joan immer so beliebt ist , gäbe es sie wirklich wäre sie bestimmt schon multi milliadärin und reichste frau der welt xD
Antwort von:  Ace_Kaiser
23.02.2015 23:28
Der Feind meines Feindes ist mein Freund... Oder er schießt zumindest einige Zeit in die gleiche Richtung wie ich. ^^
Was Joan angeht, die kann mit Geld nicht umgehen. Größeres Vermögen würde sie in Stiftungen hauen und verdammt viel Gutes tun lassen... Wir brauchen in dieser Welt definitiv eine Joan Reilley.^^


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