Wie lange noch...? von abgemeldet (Die Geschichte eines jungen Prostituierten) ================================================================================ Kapitel 43: Aus der Sicht von Luca ---------------------------------- 41.Kapitel Luca „Vorsicht, bitte!" Luca schlängelte sich durch die stehenden und lachenden Menschen. Auf der einen Hand balancierte er ein Tablett mit leeren Champagnergläsern und in der anderen Hand hatte er eine leere Sektflasche. Es war Anfang März und Luca arbeitete nun schon seit knapp vier Wochen hier im „Lapdance" und bis jetzt machte es ihm sogar Spaß den Kellner zu spielen und der späte Abwasch machte ihm keine allzu großen Probleme, denn so wie er es sich seit er mit Jamie zusammen gewesen war gewünscht hatte, hatte er nun den gesamten Vormittag frei. Trotz der langen Zeit hatte er noch keine einzige wirklich glaubwürdige Information über Jamie gefunden, was wahrscheinlich daran lag, dass die Jungen hier ihn mieden und obwohl nicht unfreundlich, dennoch reichlich distanziert behandelten. Doch Luca konnte es ihnen nicht verdenken. Sein Blick glitt über die vielen Männer und hin und wieder sah er auch einen der Jungs mit einem von ihnen verschwinden. Dann verspürte er eine tiefe Erleichterung, und Dankbarkeit, dass so was nicht zu seinen Aufgaben gehörte. Zwar hatten hin und wieder ein paar Männer nach ihm gefragt, doch die Madame hatte sie, zu Lucas grenzenloser Überraschung, jedes Mal abgewimmelt. Seine Augen blieben an der wasserstoffblonden, ausgenommen hübschen Frau in einem paillettenbestickten, hellen Kleid hängen und als hätte sie seinen Blick bemerkt, wandte die Madame sich zu ihm um und winkte ihn zu sich. Luca hob die Schultern und nickte zu seinen vollen Händen hinab. Die Madame nickte gnädig und Luca huschte schnell in die Küche, stellte das Tablett ab, wusch sich die Hände und eilte dann zurück in den Barraum, um der Madame seine Aufwartung zu machen. „Madame?", sprach er seine Chefin an und diese wandte sich lächelnd zu ihm um. „Ah, Luca", begann sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Dieser Herr hier-..." Sie sprach weiter, doch Luca hörte ihr nicht mehr zu. Jetzt war es also doch so weit gekommen. Er sollte auch andere Dienste anbieten. Fragen schossen ihm durch den Kopf, er wusste weder ein noch aus. Worauf hatte er sich dort eingelassen? Er würde weglaufen, noch heute Nacht! „Luca!" Luca schreckte hoch und sah die Madame entschuldigend an. „Entschuldigen Sie,", wandte sie sich ebenfalls entschuldigend dreinschauend an den Kunden, „Luca wird Ihnen sicher gerne zuhören, nicht wahr Luca?" Luca musterte den Mann vor sich. Groß, schlank, vielleicht Mitte Zwanzig. Dunkelbrauens, fast schwarzes Haar. Fremdländisch, aber gutaussehend. Ein Blick in dessen braune Augen verriet Luca nichts. Vielleicht war dieser Typ auf mehr als Reden aus, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall waren es keine brutalen Augen und das erleichterte Luca schon ein wenig. Ehe er sich versah, stand er mit dem Mann alleine da und Unsicherheit ließ ihn leicht zittern. „Hallo, ich bin Juan José Armaro Fernandez", stellte der junge Mann sich vor und Luca hörte einen starken, aber sehr angenehmen Akzent. Er vermutete eine spanische Herkunft, konnte es aber nicht wirklich eindeutig bestimmen, denn außer dem typisch spanisch klingenden Namen, hatte er noch nie einen Spanier Englisch sprechen gehört. „Meinen Namen kennen Sie ja schon", antwortete Luca steif, weil er sich dachte, dass es besser wäre, den Kunden auf Abstand zu halten. Juan lachte melodisch und wider willen musste Luca sich eingestehen, dass ihm der junge Mann sehr sympathisch erschien. „Ein wenig Trotz. Wie erfrischend. So etwas findet man sehr selten in diesen Clubs." Luca wartete ab, was wohl als Nächstes käme und Juan wies gleich darauf auf eine kleine Sitzecke. Luca presste die Lippen zusammen, setzte sich jedoch. „Sonst sind hier alle immer so lasziv und sehr zuvorkommend, das mag ich nicht. Was sagst du dazu?" „Ich denke, dass Sie bei mir nicht mit jedweder Laszivität oder Anschmiegsamkeit rechnen können, das sage ich Ihnen dazu", erwiderte Luca kühl und ganz entgegen seiner Erwartung begann der Mann zu grinsen. „Ich glaube, Sie erliegen hier gerade einem Missverständnis, Luca", lachte er und fuhr sich durch das dichte Haar. Luca begann zu zweifeln. Was war hier los? Was wollte dieser Mann von ihm? Der junge Mann schien seinen fragenden Blick richtig verstanden zu haben und lächelte. „Ich glaube ich sollte mich erklären, nicht wahr? Also, kennen Sie einen gewissen Jamie Stuart-Masen?" Luca stockte der Atem, dann nickte er heftig. Sein Herz raste erst, dann stolperte es ungehalten vor sich hin. „Ja, bitte erzählen Sie mir alles, was Sie wissen!" Juan hob entschuldigend die Schultern und schüttelte den Kopf. „Ich kann Ihnen leider nichts über diesen Jamie sagen, denn ich kenne ihn nicht." Der junge Mann senkte den Blick und seine eine Augenbraue zuckte leicht. „Aber ich habe ihn vor ein paar Wochen getroffen und ich habe mitbekommen, wie er sich mit jemanden über eine Person unterhielt, die er wohl suchte." Lucas Herz schlug ihm bis zum Hals. „Und?" Der Mann lächelte traurig. „Ich habe mich in die Unterhaltung eingemischt und diesem Jamie mitgeteilt, dass ich einen Jungen kenne, der auf seine Beschreibung passt, denn ich habe Sie hier schon öfter gesehen. Und, nun kommt der unangenehme Teil meiner Geschichte. Er hat mich gebeten Ihnen etwas auszurichten, falls Sie wirklich der sind, als den ich Sie dargestellt habe." Jamie sucht mich, dachte Luca überglücklich und gespannt, wie diese Nachricht wohl lauten würde, schwieg er gespannt. „Ich soll Luca ausrichten, dass er nicht mehr nach Jamie suchen soll-..." Luca fiel. „Weiterhin soll ich ihm sagen, dass Jamie ihn immer noch liebe, ihn aber nicht weiter mit seinem Lebenswandel belasten könne und da besagter Jamie nicht aus seinem Gewerbe herauskäme, würde er Sie darum bitten, ihm zu verzeihen, ihn zu vergessen und ein glückliches Leben ohne ihn zu verbringen, denn Sie hätten etwas Besseres als ihn verdient." „Nein!", hauchte Luca. „Nein! Nein! NEIN!" Tränen rannen ihm über das Gesicht, doch er beachtete sie nicht. Er beachtete nichts mehr. Nicht die erschrocken zu ihm hinschauenden Leute, nicht das laute Schluchzen, das wie von alleine aus der Kehle kam und nicht das Krachen, das ertönte, als er aufsprang, den Tisch umwarf und aus dem Nachtclub stürmte. Draußen angekommen bekam er Kopfschmerzen, denn in seinem Kopf dröhnte ein viel zu lautes, schrilles Geräusch. Immer wieder rief er „Nein!", doch das, was Juan ihm dort drinnen gesagt hatte lief immer wieder in seinen Ohren ab, schien sich in sein Herz zu brennen und ihn schier zu zerreißen. Blind vor Tränen stolperte er die kalten Straßen entlang, bis ihm schließlich klar wurde, dass dieses laute, schrille Geräusch seine eigene, schreiende Stimme war. Jamie wollte ihn also nicht mehr? Womit hatte er das verdient?! Womit!? Er wollte ihn nicht mehr verletzen?! Dann sollte er gefälligst zu ihm zurückkommen! Unbändige Wut, die seinem tiefen Schmerz entsprang, durchflutete ihn und Luca wollte nur noch um sich schlagen und alle Menschen blindlings verletzten, so lange, bis ihm sein eigener Schmerz nicht mehr als so alles umfassend erscheinen würde. Luca schrie es heraus und spürte, wie ihm trotz der Wut sein Herz zerbrach. Es war ein Gefühl, als wenn Messer ihm direkt unter den Rippen in den Körper stachen und alles in ihm sich zu einem einzigen, schmerzhaften Knoten zusammengeschlossen hätte. Eine Brücke tauchte in der Dunkelheit auf. Unter ihr floss munter und dreckig ein kleiner Bach. Erneut überwältigte Luca der Schmerz und er krümmte sich zusammen. Seine Beine stolperten und Luca ließ sich fallen. Schluchzend und fest zusammengerollt ließ er sich den Abhang hinunterrollen, doch der Fluss verschmähte ihn und sein Körper stockte, bevor er in das kalte Wasser fallen konnte. Unter der Brücke war ein kleines, sandiges Plätzchen und da Luca keine Kraft mehr hatte, sich aufzurichten, zog er sich unter den Brückenbogen und blieb zusammengerollt und bebend liegen. Seine Gedanken schossen kreuz und quer durch seinen pochenden Kopf. Ja, er wollte Jamie dafür, dass er ihm das hier antat hassen, aber verdammt noch einmal er konnte es einfach nicht. „Jamie, du hirnrissigster aller Idioten, wenn du doch nur zu mir zurückgekommen wärst, ich hätte schon einen Weg gefunden, mit deinem Leben klarzukommen, nur dass du mir so was antust, damit habe ich nie gerechnet. Und du Dreckskerl weißt tief in dir drin ganz genau, dass ich dieses Leben nie gewollt hätte", stammelte er im Flüsterton und von leisen Schluchzern unterbrochen, dann grub er seine Hände in die Haare und raufte sie unter Tränen solange, bis er sich einigermaßen beruhigt hatte. Als der Morgen schließlich graute, war Luca so erschöpft, dass er einfach keine Tränen mehr hatte und nach einer Weile, in der er benommen dalag und die Brückenunterseite anstarrte, begann er leise zu singen. Everything will slip away, Share in Pieces will we lay. When memories fade into emptiness, Only time will tell it´s tell, If this is our end now. Es war eine Liedzeile, woher wusste Luca nicht mehr, doch dass sie ihm gerade jetzt in den Sinn kam… Er hatte noch nie gut gesungen, doch gerade jetzt hatte er das Bedürfnis der Welt zu zeigen, wie es ihm innerlich ging. Und da er schon lange keine Kraft mehr zum Schreien hatte, kamen nun diese wenigen Zeilen immer und immer wieder von seinen Lippen, bis auch der noch übriggebliebene Rest seiner Stimme brach. Kraftlos blieb er liegen, auch als die Sonne immer höher Stieg, den Zenit übertrat und sich langsam wieder senkte, hatte er das Gefühl einfach liegen bleiben zu müssen, da sein Körper sonst in aberhundert Stücke zerbrechen würde. „Wann das wohl wieder aufhört, Jamie?", murmelte er leise und ein trauriges Lächeln huschte über seine gesprungenen Lippen. „Dieser Schmerz ist so heftig, ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertrage... und dann?" Vor Lucas verschwommenem Blick tauchte ein Gesicht auf. Der Mund dieses Gesichtes bewegte sich, doch Luca hörte die Stimme nicht. Das Gesicht verschwand und Luca fragte sich, ob das eben doch nur seiner Fantasie entsprungen war. Müde schloss er seine Augen wieder und wollte sich gerade einer wohltuenden Schwärze anheim fallen lassen, da ergoss sich etwas Eiskaltes über sein Gesicht und unwillkürlich versuchte er zu schreien. Doch seine gemarterte Stimme brachte nur ein heiseres Krächzen heraus. Geräusche strömten wieder auf ihn ein, als hätte das kalte Nass ihm seine Sinne zurückgegeben und Luca öffnete seine Augen. Brennendes Dreckwasser lief ihm in die Augenwinkel und schnell wischte er mit dem Ärmel über die Augen. Verwirrt und noch immer benommen richtete Luca sich auf und wartete, bis sich sein Kreislauf beruhigt hatte. Dann sah er sich um. Eine kräftige Frau stand mit in die Hüften gestemmten Händen da und sah ihn unfreundlich und ungeduldig an. „Das Schlafen unter den Brücken ist nicht erlaubt!", fuhr sie Luca an und bückte sich mürrisch nach dem Eimer zu ihren Füßen. Ihr graubraunes, geflicktes Kleid ließ vermuten, dass sie eine Wirtin war. Luca nickte stumm und rappelte sich auf. Eine merkwürdige Leere füllte ihn aus und Luca wusste nicht, ob er dankbar dafür sein sollte, oder sich lieber den Schmerz zurückwünschen sollte, damit er wenigstens noch spürte, dass er existierte. Jetzt fühlte es sich an, als wäre er ein Geist. Undeutlich war ihm bewusst, wie schrecklich er aussehen musste; verdreckt, verstrubbelt und danke seines Sturzes die Uferböschung hinab, mit aufgeschlagenen Händen und Knien versehen. „Wenn ich dich noch einmal hier erwische, dann setzt's was und dann ruf ich die Bullen, damit sie dich in `ne Zelle stecken, verstanden?" Wieder nickte Luca, doch nun beeilte er sich, von der aufgebrachten Frau wegzukommen. Ziellos durchstreifte Luca die Stadt. Sein ganzes Hab und Gut befand sich noch im „Lapdance", doch er hatte nicht den Mut und die Kraft jetzt dorthin zurückzukehren. Irgendwann würde er vielleicht wieder dorthin gehen können, doch es war ziemlich unwahrscheinlich, dass sie dann noch dort wären. Doch zum Glück hatte sein Misstrauen den anderen Jungen gegenüber ihn in sofern gerettet, dass er all sein Bargeld immer in einem kleinen Lederbeutel an seinem Gürtel trug. Und so hatte er wenigstens die Möglichkeit, sich nun, nachdem er erneut arbeitslos war, noch ein paar Tage, wenn nicht sogar Wochen, von dem Ersparten zu ernähren. Trostlose Gleichgültigkeit lenkte Lucas Schritte und so blieb er erstaunt stehen, als er bemerkte, dass ihn seine Schritte wieder in die Straße geführt hatten, in der das „Vouge" gewesen war. „Werd ich denn nie von diesem vermaledeiten Ort wegkommen?", fragte er sich und seufzte in Erinnerung daran, dass hier alles begonnen und geendet hatte. Doch nicht nur sein Leben mit Jamie hatte hier Anfang gefunden, sondern auch das Leben welches er geführt hatte, bevor er sich in einen Prostituierten verliebt hatte. Vater, Mutter, Brüder. Alle hatten sie hier gelebt und doch war die Erinnerung merkwürdig durchscheinend, im Gegensatz zu denen, die mit dem Haus nebenan zu tun hatten. Was wohl aus seiner Mutter und seinem Vater geworden war? Von merkwürdiger Beklemmung erfüllt, blieb Luca vor dem alten Elternhaus stehen. Die Fenster waren dunkel und auch aus dem Kamin stieg kein Rauch in den schmutzig grauen Himmel empor. Um diese Uhrzeit war Vater nicht zu Hause, also wagte Luca es, an die hohe Holztür anzuklopfen. Nichts rührte sich. Mutter könnte beim Einkaufen sein, dachte Luca und wandte sich zum Gehen, als die Tür sich dann doch öffnete und ein fremder Mann ihn erstaunt musterte. „Was kann ich für dich tun, Junge?" Verwirrt starrte Luca den Mann an. Dann platze es aus ihm heraus. „Wer sind Sie und was tun Sie im Haus meiner Mutter?" Mindestens genauso verwirrt starrte der Mann zurück, dann begann er zu grinsen. „Warst lang nicht zu Hause, Bursche, was?" Überrumpelt von dieser Frage schüttelte Luca den Kopf. Der Mann öffnete die Tür weiter und winkte ihn zu sich. Misstrauisch trat Luca näher, blieb jedoch weit genug auf Abstand, um sich möglichen Handgreiflichkeiten sofort entziehen zu können. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich, Junge. Welche willst du zuerst hören?" Luca antwortete nicht. „Also, dein Vater ist tot und die Frau Mutter unauffindbar. Das ist die schlechte." Der Mann wartete auf eine Reaktion seitens Luca, doch dieser stand nur wie versteinert da und starrte zu Boden. „Na ja, und wenn du schnell bist, kannst du noch ein paar Sachen vor der Zwangsauktion retten. Wir schaffen hier alles raus, was nicht niet- und nagelfest ist", lachte der Mann und machte eine einladende Geste ins Innere des Hauses, doch Luca reagierte erneut nicht. Mit den Gedanken weit fort, ließ er den Auktionshelfer einfach stehen, drehte sich um und ging davon. Dann stockte er und wandte sich noch einmal um. „Sir?" Der Mann, der gerade die Tür wieder schließen wollte, sah ihn fragend an. „Sagen Sie, an was ist mein Vater gestorben?" Achselzuckend sah der Mann ihn an. „Ich denk mal an `nem ordentlichen Herzkasper, so viel wie der gesoffen hat. Nichts für ungut, natürlich", fügte er mit entschuldigendem Blick noch hinzu. „Ach nein, ist schon gut. Dankeschön", murmelte Luca und sah zum Himmel. Dieses Jahr würde kein Schnee mehr fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)