Wie lange noch...? von abgemeldet (Die Geschichte eines jungen Prostituierten) ================================================================================ Kapitel 23: Aus der Sicht von Jamie ----------------------------------- Ich verspreche es, ich verspreche es, ich verspreche es... hallte in Jamies Kopf nach und es war ihm, als schrie jede Faser seines Körpers jeder Schlag seines Herzens genau dieses Versprechen. Er wollte es versprechen, er versprach es und er wollte es halten. „Luca?“, Jamie knabberte an Lucas Ohr und seine Hände suchten unendliche Wege durch das goldblonde Haar seines Freundes. „Mhm?“, kam es zurück und der warme Mund, der sich bis dahin begehrlich auf seinen Hals gepresst hatte, löste sich von seiner Haut. Sosehr und gerne Jamie ihr Spiel weitergeführt und intensiviert hätte, er hatte nicht den blassesten Schimmer, wie es jetzt mit ihm und Luca weitergehen sollte. „Was machen wir jetzt? Kannst du... zurück, oder wo...“, Jamie brach ab, denn er wusste nicht, wie er seine Frage formulieren sollte, schließlich war er ganz allein für den Schlamassel verantwortlich. Auch Luca wusste, dass sie die Fragen nicht weiter aufschieben konnten. Seine Arme lösten sich von Jamies Körper und seufzend ging er die paar Schritte auf das große Bett zu und ließ sich darauf sinken. „Meine Eltern wollen mich nicht mehr sehen, das heißt, ich kann jetzt nicht einfach wieder rübergehen.“ „Aber hier bleiben kannst du auch nicht, sonst...“, Jamie musste seinen Satz nicht beenden, Luca wusste, was er meinte und die Art, wie Luca errötete zeigte das nur zu deutlich. Schweigen breitete sich über sie aus und Jamies Gedanken schweiften ab. Ein Klopfen an der Zimmertür ließ beiden zusammenschrecken und Jamie wandte sich zur Tür und öffnete. Vor ihm stand ein gutgelaunter, grinsender Ethan, dessen Miene sich aber schlagartig veränderte, als er die wahrscheinlich gut sichtbaren Tränenspuren und Jamies wohl eher verzweifelten Gesichtsausdruck sah. „Was ist denn mit dir-...? Du? Hab ihr euch gestritten?”, mutmaßte Ethan und schob sich an seinem Freund vorbei ins Zimmer. Zu Jamies Erstaunen stand Luca auf, wischte sich ebenfalls über die Wangen und antwortete Ethan. „Ich hab den großen Fehler gemacht und versucht, Jamie meinen Eltern vorzustellen...“, erklärte der Blonde und Jamie musste Lächeln, weil Luca bei seinen Worten wirklich reumütig aussah. Ethan grinste mitfühlend. „Nach euren Gesichtern zu urteilen, ist alles schief gelaufen, was hätte schief laufen können.“ Jamie nickte. „Und jetzt?“, fragte Ethan und setzte sich dort aufs Bett, wo eben noch Luca gesessen hatte. Ein Blick in Lucas Augen und dessen wortloses Schulterzucken machten eine Antwort überflüssig. Schweigen legte sich über die drei und erst als Ethan seufzend aufsprang und verkündete, dass er nun zu Steve gehen würde – Steve war der schwarzhaarige Marinematrose –, kam wieder Bewegung in Jamie. „Oh, ach so. Na klar“, stotterte er etwas verwirrt, denn seine Gedanken hatten sich gerade um etwas völlig anderes gedreht. Um genau zu sein, um jemanden anders. Ethan kam auf ihn zu und strich ihm leicht über die Wange. „Meinst du, nur du darfst hier deinen Spaß haben?“ Ein Grinsen huschte über Jamies Züge und er schlug spielerisch nach Ethan. „Du denkst echt immer nur an das Eine. Aber trotzdem viel Spaß!“, rief er Ethan hinterher und wandte sich wieder um. Direkt vor ihm stand Luca und schob nun zärtlich seine Hände in Jamies. „Und wie geht’s jetzt mit uns beiden weiter?“ Die Frage kam schüchtern und doch ernsthaft. Ein leises Seufzen konnte Jamie nicht unterdrücken, denn wie sollte er Luca antworten, wenn er es doch selbst nicht wusste. Jamies Blick fiel auf einen kleinen Wecker und der zeigte an, dass es kurz nach drei war. „Lass uns spazieren gehen“, schlug er seinem Freund vor und Luca nickte. So zogen sie sich ihre Wintermäntel, Schals und Handschuhe an, Jamie nahm Lucas Hand fest in seine und zusammen gingen sie die Treppe hinunter und durch den Barraum hinaus. Die Bürgersteige waren mit einer frischen Schneedecke verziert und von der Dachrinne des gegenüberliegenden Hauses hingen lange Eiszapfen wie Girlanden herunter. Jamies Atem quoll weiß aus seinem Mund und auch vor Lucas Lippen hatte sich eine Wolke gebildet. Ob diesem wirklich lustig aussehenden Bild musste Jamie seit Tagen das erste Mal wieder richtig lachen und als Luca den Grund dafür ebenfalls bemerkte, stimmte er in sein Lachen mit ein. „Wie zwei Dampfloks sehen wir aus!“, kicherte Luca und pustete eine große weiße Wolke in die Luft. Jamie lachte und machte es ihm nach. Die Straße zweigte ab und in der Ferne konnte Jamie die Tore zum Stadtpark erkennen. Aus den Augenwinkeln betrachtete er Luca, der jetzt still vor sich hinlächelnd, neben ihm ging. Der wollweiße Schal und der braune Filzmantel mit gestricktem Kragen und Ärmelaufschlägen, die derben Winterstiefel und die Wollmütze, die aus einer der Manteltaschen herausschaute. Lucas Nase war aufgrund der Kälte ein bisschen rot und ein paar verirrte Schneeflocken hatten sich in dem blonden Haar festgesetzt und schmolzen nicht. Ihre Schritte hatten sich einander angepasst und ihre Hände waren wärmend ineinander verschränkt. „Was findest du schöner“, fragte Luca ihn auf einmal und sah Jamie aus seinen braunen Augen an, „Sommer oder Winter?“ Jamie überlegte und antwortete dann: „Ich weiß nicht so genau. Ich finde, der Sommer bringt die Sonne und Wärme mit sich, man kann Baden gehen und die Natur springt vor Lebensfreude, aber der Winter hat auch seine schönen Seiten. Zugefrorene Teiche und Flüsse, Schneeflocken und Eisblumen an den Fenstern. Die Stille in der Nacht, wenn es frisch geschneit hat und der Schnee alle Geräusche zu schlucken scheint. Wenn es so kalt ist, dass man Tausende von Sternen am Himmel sehen kann... Außerdem gibt es ja auch noch den Frühling und den Herbst.“ Luca boxte ihn mit der freien Hand in die Seite. „Sehr diplomatisch geantwortet, Kompliment. Also findest du, dass alles seine Vor- und Nachteile hat?“ Jamie nickte und sah Luca an. „Was wäre denn deine Antwort gewesen?“ Nun war es an Luca, zu überlegen. „Ich denke, wenn es wirklich nur diese zwei Auswahlmöglichkeiten von Sommer und Winter gäbe, dann würde ich den Winter nehmen.“ „Warum denn das?“ Luca löste seine Hand aus Jamies und legte ihm den Arm um die Hüften. Ihn enger an sich ziehend, legte Jamie seinen Arm um Lucas Schulter und sah nun, da er ein Stück größer war als Luca, auf ihn hinab. „Weil der Winter eine stille Schönheit hat. Eine Schönheit, die man sogar im kleinsten Teil sehen kann, wie in der Form von Schneeflocken. Jede ist einzigartig und doch wunderschön. Der Winter zeigt mir immer wieder, dass man nur genau hinsehen muss, um in allem etwas Schönes zu finden.“ Luca schmiegte sich enger an Jamie und legte seinen Kopf an dessen Schulter. „Aber der Winter kann trotz seiner Schönheit auch grausam sein. So grausam...“, Lucas Stimme wurde immer leiser und als er schließlich verstummte ahnte Jamie, warum Luca ihm das alles erzählte. Als der Blonde nach ein paar Augenblicken wieder begann zu sprechen, war seine Stimme immer noch leise und zaghaft. „Im ersten Moment zaubert der Winter einen Hauch aus glitzerndem Eis aufs Land und im nächsten fegt ein verheerender Schneesturm über dich hinweg, fährt in deinen Mantel und zersticht dir die Haut mit unendlich vielen, kleinen Nadeln aus Eis, die sich in dich hineinbohren. Vielleicht ziehst du dir deinen Mantel enger um den Leib, damit er dich schützt, doch dann schneit der Sturm dich ein und langsam wird die Kälte dir in den Körper kriechen und dir Hände und Füße abfrieren. Du denkst, wenn ich hier lebend rauskomme, dann opfere ich dafür gerne meine Füße und Hände. Doch der Sturm lässt nicht nach und du beginnst dich zu fragen, ob du überhaupt mit dem Leben davonkommst... .“ Jamie wusste, was Luca ihm sagen wollte und ein paar Tränen, die ihm in die Augen geschlichen waren, gefroren an seinen Augenwinkeln. Luca verglich ihn mit dem Winter, doch Jamie wollte nicht so absehbar sein. Er würde nicht zulassen, dass Luca eingeschneit und langsam erfrieren würde. Auf einmal blieb er stehen, legte seine behandschuhten Hände an Lucas Wangen und ließ ihn zu sich aufblicken. „Doch sogar der härteste und kälteste Winter muss der Sonne weichen. Und dann kommt der Sommer und befreit alles und jeden von der Zeit der Kälte. Das ist der Lauf der Dinge. Nach dem Winter kommt der Sommer und nach der Nacht kommt der Tag. Sommer und Winter sind wie Hoffnung und Verzweiflung. Das eine kann nicht ohne das andere sein.“ Luca schaute Jamie aus aufgerissenen Augen an, die Arme schlapp und bewegungslos am Körper. „Wenn ich dein Winter bin, dann bist du mein Sommer. Es wird immer hoffen und verzweifeln geben.“ Lucas Beine knickten ein und er fiel Jamie in die Arme. Jamie hielt ihn und fühlte eine unglaubliche Erleichterung seinen Körper durchfluten. Das, was er eben gerade gesagt hatte, war die Antwort auf Lucas ungestellte Frage gewesen. Doch nicht nur auf Lucas Frage hatte er gerade geantwortet. Auch ihm selbst war gerade klar geworden, dass das was er gesagt hatte wahr war. Dass er sich selbst eine Antwort gegeben hatte. „Ich kann nicht ohne dich leben“, flüsterte Luca und schlang seine Arme um Jamies Hals. „Und ich nicht ohne dich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)