The Elusive Ryders von MayTanner (It is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune, must be in want of a wife. (Jane Austen)) ================================================================================ Kapitel 5: Family Secrets & Unforseen Propositions -------------------------------------------------- (Januar 1820) ~ ~ ~ Amy war am nächsten Morgen sehr früh auf, nachdem sie eine sehr unruhige Nacht verbracht hatte. Sie konnte die Begegnung mit Spirit nicht vergessen, ging sie in Gedanken immer wieder durch, wobei ihr das eigene Verhalten von Mal zu Mal deplazierter vorkam. Warum wusste sie nur um das schreckliche Geheimnis der Ryders? Sie stand auf und kleidete sich an, nachdem sie aus ihrem Gepäck, das ungeöffnet vor einem großen Kleiderschrank stand, nach passenden Kleidungstücken durchsucht hatte. Da ihr Reisekleid von einem Mädchen am Vortag zum Säubern mitgenommen worden war, entschied sie sich, ein dunkelrotes Wollkleid anzuziehen, das warm genug war, um später eine Kutschfahrt zu machen. Ein Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims verriet ihr, daß es erst kurz vor sieben war. Sie wollte niemand von der Dienerschaft unnötige Arbeit machen, deshalb beschloß sie mit dem Frühstück zu warten, das wohl erst in einer Stunde bereitgehalten werden würde. Sie weilte schließlich in einem hochherrschaftlichen Haushalt, indem es üblich war, sich eher nach den Londoner Gepflogenheiten zu richten, auch wenn der Hausherr selbst den Ruf hatte, jemand zu sein, der seine Pflichten sehr ernst nahm und seinen Besitz verwaltete, indem er selbst mit anpackte. Sie würde wohl selbst mit ihrer Frisur kämpfen müssen, denn sonst half ihr Becky dabei, die aber bestimmt noch erschöpft von ihrer Verletzung schlief. Es würde ihr nicht im Traum einfallen, nicht auf sie Rücksicht zu nehmen, wie es in der Gesellschaft üblich war. Dienstboten waren nur Menschen zweiter Klasse, die keinen Anspruch auf Schwächen hatten. Ihre taillenlangen, gewellten Haare waren nicht leicht zu bändigen, deshalb steckte sie sie einfach mit zwei Kämmen aus Perlmutt über ihren Ohren zurück, nachdem sie sie durchgekämmt hatte. Als sie sich im Spiegel betrachtete, fiel ihr der Kratzer auf ihrer Stirn auf und sie mußte wieder an Spirit denken, der sie gestern so verletzt angesehen hatte, nachdem sie ihn ihre völlig unangebrachte Wut hatte spüren lassen. Eine junge Dame sollte niemals dermaßen die Contenance verlieren, so jedenfalls hatte man versucht, ihr das im Mädchenpensionat einzubläuen. Ihr schlechtes Gewissen regte sich, immerhin hatte Spirit ihr zweimal beigestanden und sie hatte sich nicht gegen seinen Kuß gewehrt, wie es sich eigentlich für eine wohlerzogene junge Dame gehörte. Sie holte seinen Morgenrock aus ihrem Koffer, der in Seidenpapier gewickelt war. Er war das letzte Mal sehr früh abgereist, so daß ihr Mädchen das Kleidungsstück nicht hatte zurückgeben können, seitdem hatte sie sich oft zum Schlafen in den Mantel gehüllt, der immer noch nach Spirit duftete, oder zumindest bildete sie sich das ein... Aber nun bot er ein guter Vorwand, um mit Spirit zu sprechen und sich bei ihm zu entschuldigen. Kurz entschlossen verließ sie ihr Zimmer und traf auf dem Korridor ein junges Dienstmädchen, das gerade einen Stapel gefalteter Wäsche vor sich her trug. Sie fragte nach Spirits Zimmer, das Mädchen erklärte ihr bereitwillig, daß es sich auf dem anderen Flügel befand, und schien sich nichts dabei zu denken. Wie auch? Sie war allerhöchstens vierzehn und dazu erzogen worden, das Gebaren der feinen Herrschaften niemals zu hinterfragen. Die Haushälterin, Mrs. Hull, hätte die Situation wohl anders gehandhabt. Auf ihrem Weg zu Spirit traf sie niemanden mehr, was ihr die Sache sehr erleichterte. Seine Suite befand sich am Ende des schummrigen Korridors, da es draußen wohl noch regnerisch und grau war und das Fenster am Ende des Ganges durch die bunten Glasscheiben nicht viel Licht hereinließ. Amy holte tief Luft und klopfte dann an. Nach ein paar Augenblicken hörte sie, wie sich der Tür Schritte näherten, dann stand sie einem verschlafenen Spirit gegenüber. Er trug nur Pantalons und nach den unverschlossenen Knöpfen zu urteilen, hatte er sie gerade erst übergestreift, seine sonst perfekt frisierten Haare fielen ihm ungebändigt in die Stirn und sein markantes Kinn war unrasiert. Amy starrte ihn fasziniert an, sie hatte nicht damit gerechnet, daß sein Anblick sie so aus der Fassung bringen würde. „Miss Graham! Was machen Sie hier?“, flüsterte Spirit, nicht ohne einen irritierten Unterton verbergen zu können, weil er bestimmt nicht mit ihr gerechnet hatte, nachdem sie ihn gestern praktisch aus ihrem Zimmer geworfen hatte. Er packte sie geschwind am Handgelenk und zog sie in sein Schlafzimmer, das nur von einem schwachen Kaminfeuer erleuchtet wurde, bevor sie noch jemand dabei beobachtete, wie er sich in einem völligen unpassenden Aufzug mit ihr unterhielt. Amy wurde rot und streckte die Arme mit dem Bündel aus. „Ich wollte Ihnen das hier zurückgeben, bevor ich wegfahre! Das letzte Mal waren Sie schon weg, bevor ich Ihnen den Mantel wiedergeben konnte!“, erklärte sie ihm ein wenig atemlos, wohl darauf bedacht, ihm dabei stur in die Augen zu blicken. Spirit strich sich die vom Schlaf zerzausten Haare mit einer verzweifelten Geste zurück. Miss Graham war ihm ein absolutes Rätsel oder viel mehr eine Person, die ihm mit Leichtigkeit an den Rand des Wahnsinns treiben könnte. Das war ihm mit einer Frau noch nie passiert, daß sie ihm dermaßen unter die Haut ging, ohne sich Mühe dabei zu geben, was seine eigene Reaktion auf sie nur schwerer zu ertragen machte. Er nahm den eingewickelten Morgenmantel entgegen und warf ihn achtlos auf einen nahe stehenden Sessel, weil er dessen Existenz schon längst vergessen hatte. Er hatte Dutzende davon. „Befinden wir uns erneut in einer delikaten Situation, nur weil Sie mir den Morgenmantel wiederbringen wollten?“, fragte er ein wenig abweisend. Das Rot ihrer Wangen vertiefte sich. „Ich habe nicht nachgedacht, es tut mir leid! Ich wollte meine Worte von gestern zurücknehmen! Ich war nur so durcheinander und manchmal sage ich im Zorn Dinge, die ich später bereue!“, versuchte sie sich an einer Erklärung, die in ihren eigenen Ohren ziemlich armselig klang. Sie ging langsam in Richtung Tür, Spirit jedoch hielt sie am Arm zurück. „Nicht so schnell, meine Liebe! Wenn wir schon Gelegenheit haben, miteinander zu sprechen, dann sollten wir sie nutzen! …Warum hast Du Angst vor mir?“, fragte er nun schon mit einem Hauch Samt in seiner Stimme, wobei er plötzlich alle Konvention fallen ließ und sie nicht länger siezte. Sie hatte sich schließlich selbst in diese kompromittierende Situation gebracht und ihn somit praktisch dazu aufgefordert, sich Freiheiten heraus zu nehmen. Er zog sie näher an sich heran, so daß seine nackte Brust fast ihr gesamtes Gesichtsfeld einnahm, weil sie seinem Blick ausgewichen war. Allerdings trug dieser Anblick nichts dazu bei, sich zu beruhigen. Ihr Herz pochte wild, als sie die dunklen krausen Haare darauf registrierte und wie sie dann immer dünner zulaufend in seiner Hose verschwanden. Schnell blickte sie wieder zu ihm auf, doch sein durchdringender Blick war auch nicht sehr ermutigend. „Ich, ich habe keine Angst!“ Amy versuchte ihre Stimme normal klingen zu lassen, doch er konnte ihre Lider flattern sehen. Spirit lächelte wölfisch: „So? Dann kann dies hier Dich ja auch nicht schrecken!“ Er beugte sich zu ihr herunter und küßte sie leidenschaftlich, wobei er sie fest in die Arme nahm und an seine Brust drückte, ohne Rücksicht auf ihre Unerfahrenheit zu nehmen. Er wollte ihr eine Lektion erteilen, die sie in Zukunft hoffentlich vorsichtiger werden lassen würde. Sie hatte ihn provoziert. Vielleicht sogar in voller Absicht? Amy umschlang unwillkürlich seine Taille mit beiden Armen und strich über seine nackte Haut, seine fordernden Lippen nahmen ihr den Atem und benebelten ihren Verstand. Sie erwiderte seine Küsse jedoch mit all der Leidenschaft, die er in ihr zu erwecken schien. Sie war einfach nicht darauf vorbereitet gewesen, daß sie so auf solche Aufdringlichkeiten reagieren könnte. So etwas tat eine Dame der Gesellschaft nicht, das geziemte sich nicht, ganz und gar nicht. Und doch wehrte sie sich nicht gegen seine Küsse. Spirit selbst mußte sich mit aller Macht zusammenreißen, Amy nicht auf das bereits zerwühlte Bett zu werfen und ihr alles über die körperliche Liebe beizubringen, was er in seiner Laufbahn als berüchtigter Roué gelernt hatte… Ihren tastenden Händen auf seinem nackten Rücken und ihrer rückhaltlose Antwort auf seinen Kuß konnte er kaum widerstehen. Er zwang sich jedoch, ihr Gesicht sanft zu umfassen und den Kuß zu beenden. Amy sah atemlos zu ihm auf, ließ ihn jedoch nicht los, langsam beruhigten sich auch Spirits Atemzüge und er konnte wieder klarer denken. Er durfte sich nicht so hinreißen lassen, immerhin war er der Erfahrenere von ihnen beiden. Wenn er das in Gedanken oft genug wiederholte, dann würde er sich vielleicht selbst glauben… „Also hast Du keine Angst vor mir! Wovor dann?“, wollte er wissen und maß sie mit forderndem Blick. Amy riß die Augen auf und versuchte sich aus seinem Griff zu winden, doch er ließ nicht locker. Sie löste ihre Umarmung auf, um sich mit den Handflächen gegen ihn zu stemmen, doch ihre Hände zuckten zurück, als hätte sie sich verbrannt, als sie erneut seine nackte Haut berührten. „Das ist absolut unwichtig! Wir werden uns doch nicht wieder sehen! Wir verkehren nicht in denselben Kreisen!“ Sie blickte trotzig zu ihm auf, wobei ihre dunklen Augen aufblitzten und sie ihre roten Lippen fest zusammenpresste, als wollte sie so verhindern, sich zu verraten. Spirit unterdrückte einen Fluch und kam Amys Gesicht so nahe, daß sich ihre Münder beinahe berührten. „Für mich ist es aber wichtig! Sag es mir! Sofort!“ Seine grauen Augen schienen sie bezwingen zu wollen, ebenso wie seine fordernden Lippen, die den ihren so nahe waren, daß sie in Erwartung eines erneuten Kusses prickelten, obwohl sie sich für diese Schwäche schämte. Diesmal riß sie sich von ihm los und ergriff die Flucht. Sie hatte die Tür aufgerissen, bevor sie Spirit erreichen konnte und war hinausgestürmt, ohne auf den Weg zu achten. Sie prallte unerwartet gegen ein hartes Hindernis und ihr blieb die Luft weg, als sie zwei starke Arme umfassten, bevor sie nach hinten taumeln konnte. „Hoppla, nicht so hastig, Miss Graham!“ Kein geringerer als Hellraiser, der Duke of St. Ives, hatte sie aufgefangen, mußte Amy zu ihrem Schrecken feststellen. „Ich war gerade auf der Suche nach Ihnen, wie übrigens der gesamte Haushalt! Ich wollte Spirit gerade bitten, mir bei der Suche zu helfen!“ Hellraiser schenkte Spirits Aufmachung einen Blick mit leicht erhobener Augenbraue. Das hier könnte man durchaus als eine mißlige Lage für seinen Cousin interpretieren. Spirit fluchte nun laut und deutlich und bat Hellraiser hereinzukommen, der Amy noch nicht losgelassen hatte. Sie wurde mit sanfter Gewalt in Spirits Zimmer zurückgeführt und Hellraiser versperrte ihr den Fluchtweg, indem er sich mit seinem breiten Kreuz an die geschlossene Tür lehnte. Spirit hatte sich inzwischen einen Morgenmantel übergeworfen und sah ziemlich wütend aus. Genauso wie Amy, die mitten im Zimmer stand und beide Männer abwechselnd mit misstrauischen Blicken bedachte. „Darf ich mir die Frage erlauben, was hier los ist?“ Hellraiser klang nicht vorwurfsvoll eher neugierig, was Spirit beruhigte, da er die Situation aufreibend genug fand. Auch wenn Hellraiser ihr Anführer gewesen war und immer den ersten Schritt getan hatte, dem die anderen gefolgt waren, so hatte der Duke eindeutig Prinzipien und feste Moralvorstellungen, wenn es um unschuldige, junge Damen ging. Die Ryders mochten berüchtigte Lebemänner sein, aber sie hielten sich an willige Damen, deren Leben sie nicht mit einer Affäre zerstören würden. Sie verkehrten mit Damen der Halbwelt, Tänzerinnen oder Theaterschauspielerinnen oder auch verheirateten Damen, die ein Abenteuer suchten, aber niemals mit Debütantinnen. Das waren eben die gesellschaftlichen Regeln, mit denen sie leben mußten. „Miss Graham wollte mir gerade mitteilen, warum sie bei der bloßen Erwähnung des Namens Ryder erstarrt!“, erklärte Spirit und lächelte nonchalant in Amys Richtung. Diese schnappte empört nach Luft und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wahr! Ich wollte Ihnen nur Ihren Morgenmantel zurückgeben!“ Nachdem sie die Worte geäußert hatte, wurde ihr klar, wie sich das wohl anhören mußte. Sie sah, daß Hellraiser eine Augenbraue hob und Spirit spöttisch anlächelte. Spirit verstand seinen Cousin wie immer sofort, auch ohne Worte. „Ja, Miss Graham hat Recht! Ich habe sie wiederholt kompromittiert, und das unter Deinem unbescholtenem Dach!“ Er ging auf Amy zu und nahm ihre Hand in seine, ohne sich die geringste Regung ihres Gesichtes entgehen zu lassen. „Bitte erlauben Sie mir Miss Graham, Ihre Ehre wiederherzustellen und Sie zu meiner Frau zu machen!“ Er küßte zärtlich ihre Handinnenfläche und behielt ihr Gesicht weiterhin im Auge, dessen erschrockenen Ausdruck sie kaum zu verbergen mochte. Amy wurde leichenblaß, sie konnte nur den Kopf schütteln. Sie konnte nicht fassen, was sie eben gehört hatte. Es mußte sich um einen Scherz handeln. „Spricht etwas dagegen, daß wir heiraten?“ Er flüsterte die Worte mit täuschend sanfter Stimme, doch sein Blick war stahlhart. Ihre Hand zitterte in seiner, doch er ließ nicht locker, diesmal konnte sie nicht fliehen. Amy fühlte sich an die Szene erinnert, die sie vor etwa einem Jahr beobachtet hatte. Die beiden Männer kamen ihr auf einmal bedrohlich vor. Sie würden sie nicht eher ziehen lassen, bis sie eine zufriedenstellende Erklärung von ihr bekommen hatten. Hatte sie noch eine andere Wahl? „Ich werde niemals die Frau eines Mörders!“ Sie sprach die Worte leise aus und sah Spirit Ryder dabei sehr eindringlich in die Augen, um seine Reaktion auf ihren Vorwurf genau studieren zu können. Spirit schüttelte ungläubig den Kopf: „Wie kommen Sie darauf, ich sei ein Mörder?“ Natürlich wirkte seine Verblüffung echt, denn er wußte ja nicht, daß er beobachtet worden war. Sie wähnten sich in Sicherheit und sie war wahnsinnig, sich ihnen einfach so auszuliefern. Was würden sie mit ihr tun, wenn sie schon vor Mord nicht zurückschreckten? „Ich verbrachte den letzten Winter bei meiner Tante und so oft das Wetter es zuließ spazierte ich durch den Wald, der an ihr Grundstück grenzt, dort stand auch eine kleine Hütte, in die ich mich manchmal zurückzog! Letzten Februar wollte ich es genauso machen, mußte jedoch mit ansehen, wie Sie und Ihr Cousin sich über einen Mann beugten, der gerade angeschossen worden war! Ich wagte nicht, mich zu rühren, deshalb sah ich auch, wie die Hütte mit dem Toten darin in Flammen aufging! So, jetzt wissen Sie alles! Ich werde niemandem ein Wort verraten, das können Sie mir glauben, aber ich möchte jetzt zu meiner Tante fahren!“, verlangte Amy tapfer, obwohl ihre Angst vor den Konsequenzen ihres Geständnisses immer größer wurde. Sie sah von Spirit zu Hellraiser, die beide sehr betroffene Gesichter machten. Der Duke fand als erster seine Sprache wieder: „Miss Graham! Glaubten Sie wirklich die ganze Zeit über, daß ich und meine Cousins kaltblütige Mörder sind?“ Er verschränkte die Arme vor seiner enormen Brust und sah sie abwartend an. Spirit ließ ihre Hand los und wartete auf ihre Antwort. „Ich war nicht sicher, der Tote muß Chester Ryder gewesen sein, ihr Cousin, der unter mysteriösen Umständen verschwunden ist! Was hätten Sie beide an meiner Stelle gedacht? Nachdem ich Sie kennen gelernt habe, kann ich es kaum glauben, aber ich kenne die Hintergründe nicht...“ Sie brach hilflos ab, weil sie insgeheim hoffte, es gäbe irgendeine Erklärung oder Entschuldigung für dieses Verhalten. Spirit war der erste Mensch, mit dem sie beinahe offen hatte reden können, der sich für ihre Probleme zu interessieren schien, das wollte sie nicht verlieren. „Hellraiser, wenn Du erlaubst würde ich gerne unter vier Augen mit Miss Graham sprechen!“, bat Spirit nach einigen Augenblicken betroffenen Schweigens. Hellraiser nickte und zog sich zurück, diesen Kampf mußte sein Cousin alleine ausfechten. Spirit bat Amy, sich in einen Sessel zu setzen und zog die Vorhänge auf, damit das Sonnenlicht den Raum erhellen konnte. Er selbst setzte sich ihr gegenüber auf einen anderen Sessel beim Kamin und schlug lässig die Beine übereinander. In kurzen Worten schilderte er ihr, was damals geschehen war, als Chester versuchte hatte Hellraiser und seine Nachkommen auszulöschen, um selbst an den herzoglichen Titel zu gelangen. Es gab in jeder Familie ein schwarzes Schaf, allerdings hätten die Ryders niemals mit einem solchen Verrat gerechnet, selbst wenn die Cousins den pompösen Chester niemals in ihren erlauchten Kreis aufgenommen hatten, was dieser dünkelhafte Mann auch gar nicht gewollt hatte. Chester war ein Außenseiter gewesen, das älteste Kind seines Onkels Archibald aus erster Ehe. Einer Ehe, die unter Zwang geschlossen worden war, weil es dieser Dame als erster und einziger Frau gelungen war, einen Ryder in die Ehefalle zu locken. Sie war im Kindbett verstorben, bevor die Ehe vollkommen zugrunde ging und sein Onkel hatte ein paar Jahre später noch einmal aus Liebe geheiratet. Chester hatte sich immer übergangen gefühlt, obwohl sich sein Vater mit ihm die größte Mühe gab. Sie vermuteten, daß er wohl schließlich dem Wahnsinn anheim gefallen wäre, unter dem viele männliche Nachkommen seiner Linie gelitten hatten. Eine Tatsache, die seine Mutter natürlich geflissentlich verschwiegen hatte. Spirit bereute seine Tat nicht, er würde Chester auch heute noch ohne jegliche Gewissensbisse erschießen, wenn er erneut die Lichtung erreichte, bevor der Verrückte Germaine und ihr ungeborenes Kind tötete. Allerdings teilte er sich diesen Verdienst mit Hellraiser. Sie würden wohl nie wissen, welche der beiden Kugeln schließlich den Tod verursacht hatte, und es war auch vollkommen gleichgültig. Es gehörte der Vergangenheit an und wäre dort geblieben, wenn sie nicht einen unliebsamen Zeugen dabei gehabt hätten. Sie hätten damals wohl der Umgebung mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. „…Chester brachte sogar seinen eigenen Bruder um, weil der ihm auf die Schliche gekommen war, wir hatten keine Wahl als ihn zu töten, sonst hätte er Germaine und ihrem ungeborenen Kind etwas angetan! Es war Notwehr, aber dafür gibt es keine Beweise außer dem Wort meiner Cousins und das Germaines!“, schloß Spirit seine knappe Beschreibung der damaligen Ereignisse, die er nur ungern gegeben hatte. Das war eigentlich nichts für die Ohren einer jungen Dame. Es war schon schlimm genug gewesen, daß sie Germaine nicht aus der Sache hatten heraus halten können. Amy schluckte, als er seinen Bericht beendet hatte. Was sollte sie dazu sagen, es war eine furchtbare Geschichte und sie hatte das Ganze bei Spirit und seinem Cousin wieder heraufbeschworen. Es stand ihr ganz und gar nicht zu, die Familie Ryder anzuzweifeln. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß eine Lady wie Germaine ein solches Lügenmärchen erfinden würde. Amy mochte sich nicht vorstellen, wie sich die Dame in diesen Momenten gefühlt haben mußte, als man das Leben des Kindes unter ihrem Herzen bedrohte. Der eigene Cousin? Aus Machtgier? Amy fuhr es kalt den Rücken herunter. „Danke für Ihr Vertrauen, ich werde niemals ein Wort darüber verlieren! Es tut mir leid, ich hätte gar nicht dort sein dürfen!“ Amy erhob sich von dem Sessel, weil sie unbedingt gehen mußte, bevor sie dem Drang nachgab, ihn zu trösten. Sie glaubte jedes Wort seines Berichtes und mochte sich kaum vorstellen, wie viel es die Männer gekostet haben mußte, dieses Geheimnis vor den anderen Familienmitgliedern (und der Gesellschaft) zu bewahren. Sie wollte schon abdrehen, Spirits Frage hielt sie jedoch zurück. „Warum warst Du eigentlich im tiefsten Winter so oft in diesem Wald?“ Spirit sah sie prüfend an, denn er hegte einen bestimmten Verdacht, der ihn ziemlich wütend machte. Amy wurde rot, was seinen Verdacht zu bestätigen schien. „Meine Tante und ich verstehen uns nicht besonders gut, deshalb ging ich, so oft ich konnte, spazieren! Die Hütte bot mir Schutz vor Kälte und ich konnte dort Feuer machen und in Ruhe lesen! Ich werde meine kleine Zuflucht vermissen!“ Sie lächelte bedauernd, obwohl ihr Verlust wohl als nichtig zu bezeichnen war. „Wenn Du Deine Tante nicht magst, warum bist Du dann wieder hier?“, wollte Spirit wissen, dem es nicht gefiel, wie willkürlich ihre Familie über sie verfügte. Niemand schien sich um sie zu kümmern, das wäre in seiner Familie undenkbar. Er selbst hatte zwar nur einen Bruder, aber seine Cousinen führten ein behütetes und vor allen Dingen erfülltes Leben. Amy senkte den Blick, weil sie sich seine Gedankengänge vorstellen konnte, aber sie wollte sein Mitleid nicht. Ihr Leben war gar nicht so schrecklich, wenn sie bedachte, was andere Mädchen und Frauen erdulden mußten. „Meine Stiefmutter will mich aus dem Haus haben, deshalb! Es ist besser, als zu einer Heirat gezwungen zu werden! Es wird nicht so schlimm werden!“ Spirit stand plötzlich vor ihr und hob ihr Gesicht zu sich an. „Du hast mir noch keine Antwort auf meinen Antrag gegeben!“ Amy riß die Augen auf und starrte ihn erstaunt zu ihm auf, weil sie davon überzeugt war, daß er seinen Antrag nur ausgesprochen hatte, um sie endlich zum Reden zu bringen. Aber wenn er es aus ihrem eigenen Mund hören mußte, dann bitte: „Sie haben mich doch nicht kompromittiert! Sie müssen mich nicht heiraten!“ Sie lächelte ihn an: „Ich werde niemals heiraten! Ich nehme nur an der Saison teil, weil Papa darauf besteht! Mit Vollendung meines 25. Lebensjahres wird er mir eine Apanage aussetzen und dann gründe ich eine Schule in dem Dorf, in dem ich geboren wurde!“ Sie sah wie Spirits Stirn sich umwölkte und ihr Lächeln erlosch genau wie die Flammen im Kamin, die keine Nahrung mehr fanden. Warum reagierte er auf ihre Pläne, als würden sie ihm nicht gefallen? Er müsste doch froh sein, daß er immer noch ein freier Mann war. „Natürlich wirst Du heiraten! Ich meine meinen Antrag sehr ernst! Ich sprach schon mit Hellraiser darüber, daß ich schon viel früher Deinen Vater um Deine Hand hätte bitten sollen!“ Amy sah ihn verwundert an, daß er ihren Vater ins Spiel brachte, der sie nach seinen eigenen Erfahrungen wohl niemals in eine Ehe zwingen würde, und sprach dann einfach aus, was ihr gerade durch den Kopf ging:. „Spirit, ich bin kein armes Mädchen, das durch eine noble Geste wie einen Heiratsantrag gerettet werden muß! Es ist sehr freundlich von Dir, daß Du mir diesen Ausweg bietest, aber Du mußt Dich nicht für mich opfern! Ich sagte Dir doch schon einmal, daß eine erzwungene Heirat nicht glücklich machen kann! Es ist wirklich sehr nobel und freundlich von…“ Spirit umfaßte ihre Schultern und zog sie heftig an sich, um sie stürmisch zu küssen und vor allen Dingen zum Schweigen zu bringen. Ihre Worte hatten ihn wütend gemacht. War sie von Sinnen, ihn abzuweisen? Nach allem, was zwischen ihnen passiert war? Man hatte ihn noch niemals auf diese Weise abgefertigt, daß er ungewohnte Unsicherheit in sich aufsteigen spürte, die er sonst an sich nicht kannte. Überrumpelt von seinem Ansturm erwiderte sie seinen Kuß und umschlang seinen Hals, um sich ihm besser entgegen recken zu können. Seine Hände wühlten sich in ihr loses Haar und sie konnte seine Bartstoppeln auf ihren Wangen fühlen. Heftig nach Atem ringend sahen sie sich nach dem Kuß tief in die Augen. Bezwingend auf seiner Seite, abwehrend auf ihrer. „Heirate mich!“ Flüsterte er ihr ins Ohr und küßte sie zärtlich auf den Hals, um dann einen tiefen Atemzug zu nehmen, da ihre Haut sich erwärmt hatte und eine beinah betörenden Duft verströmte. Amy erstarrte in seinen Armen und versuchte ihr heftig schlagendes Herz zu beruhigen. „Bitte nicht, Spirit! Wir passen nicht zusammen! Du wirst eine anmutigere Frau finden, die Du dann heiraten kannst! Ich bin nicht die Richtige für… niemanden!“ Ihr traten plötzlich Tränen in die Augen, weil die Vorstellung, daß Spirit eine andere heiraten würde, sie sehr schmerzte. Aber sie mußte vernünftig bleiben und auch an die Zukunft denken. Spirit würde es bald bereuen, an eine unscheinbare, alte Jungfer gebunden zu sein. Sie hatte die Worte ihrer Stiefmutter nicht vergessen, und auch wenn sie in Boshaftigkeit geäußert worden waren, war Amy davon überzeugt, daß ein Körnchen Wahrheit darin steckte. Sie war bestimmt nicht die Art Frau, die ein Gentleman von Stand zu heiraten gedachte. Spirit Ryder fühlte sich nur durch Konventionen dazu verpflichtet, es lag an ihr, die Nerven zu bewahren und das Beste für sie beide im Auge zu behalten. „Ich will aber Dich! Und ich gebe nicht so schnell auf, Amy!“ Sein brennender Blick bohrte sich in ihre dunklen Augen, die seinen nicht standhalten konnten. Sie wollte ihm so gerne glauben, aber die Selbstzweifel waren stärker. Spirit Ryder konnte es einfach nicht ernst meinen. Er wollte wahrscheinlich nur ein nein nicht gelten lassen, aber sie konnte sich ein ja nicht leisten. „Ich gehe jetzt besser auf mein Zimmer zurück! Ich reise gleich nach dem Frühstück zu meiner Tante weiter, deshalb sage ich Dir jetzt Lebewohl! Wir sehen uns bestimmt nicht mehr wieder! Die nächste Saison werde ich nicht mehr in London verbringen!“ Sie entzog sich seinen Armen und verließ fluchtartig sein Zimmer, ohne von ihm aufgehalten zu werden, weil er einen Augenblick zu lange in absoluter Fassungslosigkeit auf die Tür gestarrt hatte, die hinter ihr ins Schloß gefallen war. Spirit blieb aufgebracht zurück, er hatte gedacht, daß mit der Aufklärung von Chesters Tod alles in Ordnung wäre, aber Amys Ablehnung hatte ihn vollkommen verwirrt. Er brauchte jetzt Germaines kundigen Rat, weil er sonst die Pelham Residenz stürmen würde, um Amy nach alter Tradition einfach zu entführen. Der Gedanke an Gretna Green war im Moment geradezu verführerisch. Allerdings würde das dem Duke wohl kaum passen, der gerne in Frieden mit seinen nächsten Nachbarn lebte. Aber was sollte er sonst tun, um diese störrische Person endlich davon zu überzeugen, daß er ernste Absichten hatte? Niemals hätte er mit einem Korb gerechnet, wenn er seinen ersten (und einzigen, wenn es nach ihm ging) Heiratsantrag ausgesprochen hatte. Mit einem missmutigen Laut ließ sich Spirit in den Sessel fallen und starrte düster vor sich auf den kostbaren Teppich zu seinen Füßen. Wir werden ja sehen, ob es ein endgültiges Lebewohl war!, dachte Spirit grimmig und in seinen Augen glomm ein besitzergreifender Funke auf. Fortsetzung folgt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)