Speechless von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Dunkle Gestalten wanderten die Straßen entlang. Vor dem Jardin des Tuileries zusammengefunden, hatten sie ihren Weg über die Rue Saint Florentin fortgesetzt, schleichend, um sich blickend, stets darauf bedacht so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen. Die Straßen Paris’ waren leer und stumm. Die Geräusche des Tages waren der Ruhe der Nacht gewichen und verwandelten die Stadt in einen düsteren, menschenleeren Ort. Zu groß waren die Ängste vor Plünderungen und Überfällen, als dass die Menschen in Dunkelheit weiter durch die Straßen schritten. Stattdessen suchten sie Frieden und Geborgenheit hinter dichten Fensterläden, gemeinsam mit ihren Familien. Und solche, die Vorsicht dem Vorrang vor Vergnügen gaben, sollten Recht behalten, waren die dunklen Gestalten doch dazu aufgebrochen, um Blutgeld einzutreiben. Schnell überquerten sie die Rue Saint-Honoré, nach Südosten blickend, um das prachtvolle Lichterwerk über der Stadt, ausgehend vom Louvre und Palais Royale zu erkennen. An der Ecke Rue Duphot angekommen, blickte sich einer von ihnen misstrauisch um. Er glaubte Stimmen unmittelbar in der Nähe wahrgenommen zu haben. Er drängte seine Gefährten zur Vorsicht, doch wurde dem keine weitere Beachtung geschenkt. Hinter einer Häuserfassade verbargen sich ihre Verfolger. Ein brünetter Jüngling, angespannt von der Konzentration die seine Aufgabe erforderte, die dunklen Gestalten nicht aus den Augen zu verlieren, ein Koloss, der sich verwundert in alle Richtungen wandte und nach Atem rang, da ihm das derzeitige Versteck des viel zu engen Häuserdurchgangs klaustrophobisch werden ließ, ein blonder langer, der am liebsten ebenfalls die Verfolgten im Auge behalten hätte, was aber aufgrund der Enge der Gasse nicht möglich war, um sich an dem Koloss vorbei zu schieben, und ein älterer, autoritär wirkender Kämpfer, dem jedoch die Sorgenfalten in der Stirn standen, als er zurückblickte und befürchtete, dass die Verfolgung ein jähes Ende finden würde, wenn sie entdeckt werden würden. “Das geht so nicht, Athos!”, sagte Aramis und drehte sich ihm zu, was sich aufgrund der Enge des Durchganges bereits als Problem darstellte “Wir müssen uns aufteilen, sonst werden wir irgendwann entdeckt. Außerdem ist unsere Schlagkraft größer, wenn wir sie von zwei Seiten einkreisen und dann angreifen…” Athos bedachte sie nur mit einem besorgten Blick, den ganzen Abend über, seit sie sich auf die Spur der Banditen begeben hatten, plagte ihn bereits ein ungutes Gefühl “Wir kennen aber ihr Ziel noch nicht. Was ist, wenn sie einen Treffpunkt aufsuchen, bei dem noch viel mehr von ihnen sein werden? Es könnte sich um eine organisierte Untergrundbewegung handeln. Du weißt, dass sie in den letzten Wochen Angst in Paris verbreitet haben…” “Gerade deshalb sollten wir dem ganzen jetzt ein Ende bereiten und diese Bande in das Chatêlet Gefängnis werfen lassen!” “Aramis hat Recht”, meldete sich nun D’Artagnan zu Wort, der noch immer in gebeugter Haltung an der Häuserecke ausharrte “soweit ich sehen kann, haben wir gerade mal fünf Männer vor uns, mit denen wir es aufnehmen müssten. Außerdem führen nur drei von ihnen Degen bei sich…” “Was nicht heißen soll, dass sie nicht über andere Waffen verfügen”, stellte Athos bedenklich fest. Ihm war überhaupt nicht wohl zumute. “Ich glaube, du wurdest überstimmt, Athos”, meinte Porthos “lasst uns diese Bande zur Strecke bringen, damit wir heute Nacht noch unsere Betten aufsuchen können…”, es entsprach nicht der üblichen Eifrigkeit Porthos’, wo er doch stets eher dem Essen den Vorrang gab, als einer Schlafgelegenheit, aber Aramis musste zugeben, dass es sie auch nach einem warmen Bett verlangte. Zu viele Nachschichten hatten sie die letzten Wochen auszusitzen, woran diese neuerliche Bande nicht gerade unschuldig war. Athos gab sich widerwillig geschlagen “Also gut, wir werden uns aufteilen, aber sobald ihr glaubt, dass der Feind euch überlegen ist, flüchtet ihr, habt ihr verstanden?” Diesmal waren es seine drei Gefährten, die widerwillig auf die Aufforderung hin nickten. Athos konnte nur innerlich darauf hoffen, dass sie Wort halten würden. Ohne weitere Beratungen wussten alle drei, was sie zu tun hatten. Sie teilten sich auf, wobei es bereits außer Frage stand, wer sich wem anschließen würde. Bereits seit Wochen war dies unausgesprochen zwischen den Freunden derartig gehandhabt worden. Athos und Aramis schlichen die schmale Gasse zurück und folgten der äußeren Häuserzeile, in der Hoffnung die Verdächtigen nicht zu verlieren, wenn sie nun außer Sichtweite waren. Porthos und D’Artagnan hingegen gingen den Gestalten unmittelbar auf der Straße nach, darauf achtend sich im Schatten zu halten und gebührenden Abstand zu ihnen zu haben. Aus dem Augenwinkel hatte Aramis sehen können, wie einige Ratten in Schlupfwinkel flüchteten, als sie mit Athos vorüber ging. Die Hinterhöfe waren herunter gekommen und erzeugten einen ekelhaften Geruch, den man nur aufgrund jahrelanger Nichtbeachtung ertragen konnte. Es schmerzte stets zu sehen, dass in solchen Gegenden Familien mit Kindern wohnten. Doch auf diese Gedanken durfte sich Aramis nun nicht einlassen. Sie musste ihre Konzentration auf das Ziel vor sich richten, darauf vorbereitet jederzeit angegriffen zu werden. Etwas streifte sie. Es war seine Hand gewesen. Ihre Haut schien diese Berührung regelrecht aufzusaugen. Es verunsicherte sie. Wie hatte sie sich in den letzten Wochen nur derart von ihren Emotionen vereinnahmen lassen können? Sie kam sich unglaublich naiv und verletzbar vor, als ob sie all ihre kämpferische Härte verloren hätte. Er erkannte ihre innere Auseinandersetzung mit sich selbst nicht und deutete nur mit der Hand hinter sich, in eine weitere dunkel verwinkelte Straße hinein. Aramis folgte ihm und sah schon bald ein wenig Licht aufkommen, vom Schein der Straßenlaternen und der beleuchteten Familienhäuser. Gemeinsam wandten sie ihren Blick um die Häuserwand. Was sie sahen, ließ ihre Kinnladen nach unten fallen. “Na, das ging ja diesmal schnell”, bemerkte Aramis tonlos über das sich vor ihnen eröffnende Szenario. Eingekreist von den dunklen Gestalten, hatten D’Artagnan und Porthos ihre Degen gezogen und waren bereits mitten im Kampfgetümmel gelandet. “Sind die beiden verrückt geworden?!”, rief Athos erzürnt und machte sich auf, um die beiden zu unterstützen, die scheinbar die Situation nicht beherrschen konnten. Aramis folgte ihm umgehend und stürzte sich auf eine der dunklen Gestalten, die gerade den jüngsten Musketier von hinten einen Dolch in den Rücken rammen wollte. Soviel zu anderen möglichen Waffen… Rechtzeitig stieß sie den Angreifer zur Seite, sodass er kurzzeitig ins Taumeln verfiel. D’Artagnan sah Aramis hinter sich stehen und nickte ihr zu, um zu zeigen, dass er sich für ihre schnelle Hilfe bedankte. Aramis versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Sie befanden sich inmitten eines überschaubaren Platzes, der von Häusern umringt wurde, sodass es ein leichtes gewesen wäre, von höher gelegenen Fenstern hinunter zu schießen. Sie konnte nur hoffen, dass sich keine Verbündeten der Bande hinter den Fensterläden befanden. Porthos befand sich auf der anderen Seite des Platzes, ihr gegenüber und war damit beschäftigt einen Schmächtigen der Kerle unterm Arm eingeklemmt zu haben und sich zugleich mit einem anderen zu duellieren. Auch Athos hatte sich einen Gegner herausgesucht und trieb ihn mit gekonnter Degenführung zur Häuserwand. Ihr eigener Angreifer hatte sich nun wieder aufgerappelt und zog etwas aus dem Innern seines Mantels hervor. Für einen Moment war Aramis abgelenkt, da sie mit D’Artagnan zusammen stieß, der rücklings blind seinem Gegner ausgewichen war. Als sie aufblickte, hörte sie nur noch das schallende Geräusch, was ihr allzu gut durch einige unliebsame Bekanntschaften in Erinnerung geblieben war. Instinktiv hob sie den Arm und konnte den Peitschenschlag abwehren. Zu ihrem Glück bekam sie das Ende des Lederriemens zu fassen und zog unerwartet so fest daran, dass der Angreifer ihr entgegen stolperte und sie ihm die Peitsche entreißen konnte. Sie trat ihm den Dolch aus dem Handgelenk und danach in den Bauch, doch es schien, als ob dies das Gegenteilige in ihm bewirkte. Voller Zorn stieß er Aramis von sich und bekam seinen Dolch wieder zu fassen. Unüberlegt warf er sich auf Aramis, die ihre jahrelange Fechterfahrung dazu trieb, den Dolchstich zu parieren. Merkwürdigerweise war der Unbekannte sehr behände mit seiner Waffe, obwohl ihre Klinge das Doppelte an Länge maß. Sie konnte nicht sehen, dass die Pflastersteine hinter ihr uneben waren und sie sich dadurch mit ihren Stiefeln darin verkeilte. Sofort hatte der Angreifer ihr Taumeln bemerkt und ließ das reine Silber auf sie niederfahren. Dem ausweichend drehte sie sich gekonnt zur Seite und dennoch hörte sie, wie es ihre Uniformjacke zerriss. Ihre schmerzende Seite ignorierend, holte sie mit der Faust aus und traf den Fremden mitten im Gesicht. Sich nach dem Schlag nicht mehr auf den Beinen haltend, fiel er der Länge nach zu Boden, wobei sich Aramis der Blick über den Platz wieder eröffnete, welcher plötzlich von weiteren dunklen Gestalten aufgesucht worden war. Schnell hatten sie sich über dem gesamten Platz verteilt und versuchten ihre Gegner einzukreisen. Sie hörte einen Schuss und wurde im gleichen Moment umgerissen und zurück in die Häusergasse gestoßen. Hart prallte sie mit dem Rücken gegen die steinerne Wand und vergewisserte sich, dass sie ihren Degen noch in Händen hielt. “Bist du in Ordnung?”, fragte Athos atemlos nach, der sie soeben vor einem tödlichen Schuss gerettet hatte. Unfähig zu realisieren, ob sie tatsächlich schwer verletzt war, nickte sie nur, und wusste, sie würde es erfahren, wenn ihre Beine sie nicht mehr würden tragen können. Athos war sich nicht sicher, ob D’Artagnan und Porthos die weiteren Ankömmlinge bemerkt hatten. Ihre Überzahl machte sie nun noch gefährlicher als die Übrigen ohnehin aufgrund ihrer guten Fechtkenntnisse bereits gewesen waren. Athos pfiff laut und sah, dass D’Artagnan und Porthos sich ihren Angreifern bereits entledigt hatten. Beide flüchteten ebenfalls in eine parallel gelegene Häusergasse. Athos griff nach Aramis’ Arm und zog sie mit sich. “Musketiere fliehen nicht!”, protestierte sie. “Musketiere sterben auch nicht sinnlos!”, sein Griff um ihren Arm verstärkte sich. Am Ende der Häuserzeile angekommen, tauchten D’Artagnan und Porthos ebenfalls gehetzt auf, Blut klebte an ihren Uniformen und einige Kratzer waren im fahlen Mondlicht in ihren Gesichtern zu erkennen. “Wir teilen uns auf und verschwinden!”, rief Athos während sie die Straße hinunter jagten. Porthos und Aramis schien dieser Befehl nicht zu gefallen, was ihre zornigen Mimiken allzu sehr verdeutlichten. “Sucht euch für heute Nacht ein Versteck, um sicher zu gehen, dass sie unsere Wohnorte nicht aufspüren, wenn sie uns heute Nacht verfolgen sollten…”, Athos konnte nicht ahnen, wie richtig er mit seiner Vermutung lag, da hinter ihnen plötzlich eine Handvoll Männer wieder auftauchte “Wir treffen uns morgen früh an der Mühle wieder!”, kaum waren die Worte ausgesprochen, trennten sich ihre Wege und Athos zerrte Aramis eine Seitenstraße entlang. Bei jedem Schritt schmerzte ihre Seite und sie presste ihre Hand darauf, um den Blutfluss zu stoppen. Die Gegend um sie herum wurde dunkler und noch dazu legte sich ein Schleier über ihre Augen, den sie mit aller Macht zu vertreiben versuchte. Sie konnte nicht einordnen, ob sie noch immer verfolgt wurden, da sie nur ihre eigenen widerhallenden Schritte vernahm. Unerwartet kam Athos vor einem großen unscheinbar wirkenden Haus zum Stehen und stemmte sich gegen das morsche Holztor, das den umgrenzenden hohen Lattenzaun um das Haus verband. Irritiert und geschwächt ließ sie sich willenlos von ihm in den Vorgarten des Hauses ziehen, als er selbst müde gegen die Rückwand des Zaunes fiel und sie dabei an seiner Seite zum Ruhen kam. Während er den umliegenden Geräuschen lauschte, in der Hoffnung die Verfolger würden das Haus nicht beachten, war sie in eine Traumwelt getrieben worden, die sich mit jungen Erinnerungen auseinandersetzte. ~Die Feuchte des langen dunklen Ganges war auf ihrer Haut zu spüren, als sie dem Gefängniswächter folgte. Fäkalien, Schimmel und der Geruch nach Tod ließen sie nach Atem ringen. Nahe der Treppe, die zu den unteren Zellen führte, konnte sie angsterfüllte Schreie aus weiter Ferne vernehmen. Schon zu oft war sie Besucher dieses Gefängnisses gewesen. Manche Schreie verfolgten sie bis in ihre Alpträume. Wie hatte sie es nur soweit kommen lassen können, ihn inhaftieren zu lassen? Es wäre ihm ein leichtes gewesen, vor ihr und den übrigen Musketieren zu fliehen, stattdessen hatte er ihre Kapitänsstellung nicht kompromittieren wollen, da er ahnte, dass sie mit ihrem Handeln eine bestimmte Absicht verfolgt hatte. Sein Vertrauen war auch nach ihrem Verrat ungebrochen gewesen. Wie konnte sie ihm nach ihrer Tat, sich als Marionette der Feinde benutzen zu lassen, noch in die Augen sehen? Sie selbst müsste in dieser Zelle sitzen, zusammen mit Ratten, alten Knochen und der Angst der sich unter ihr öffnenden Hölle. Sie hatten seine Zelle erreicht. Der Wächter schloss auf und wollte eintreten. Aramis hielt ihn zurück “Ihr wollt sicher nicht an unlauteren Vernehmungsmethoden teilhaben…”, sagte sie ihm tonlos, doch ihr Gesichtsausdruck gab zu verstehen, dass es sich um einen Befehl handelte. Wortlos öffnete der Fremde ihr die Tür. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Aramis, dass der Wächter ihr nicht ins Innere gefolgt war und lauschte, ob er sich einige Schritte wieder entfernte, was er auch tat. Sie richtete ihren Blick ins Dunkel, da die Zelle nur spärlich vom Tageslicht beleuchtet wurde, obwohl sie sich in einer der oberen Etagen befand. Es gab nur eine Holzpritsche mit einer mottenzerfressenen Decke darauf. Ansonsten befand sich nichts im kargen Steingemäuer. Sie spürte seine Anwesenheit, obwohl er sich unbeweglich am anderen Ende der Zelle befand und nur schwer zu erkennen war. “Ich sehe kein Essen in deiner Hand, was also, willst du hier?”, kam es kühl von ihm, von was sie sich aber nicht abschrecken, sondern sie nur besorgt fragen ließ “Wie geht es dir, Athos?” Er trat aus dem Schatten auf sie zu “Bis auf die Tatsache dass ich übel rieche, das Essen hier unzumutbar ist und ich zuweilen das Gefühl habe, hier drin den Verstand zu verlieren, kann ich mich nicht beklagen…” Sie starrte ihn an. Etwas brach in ihr, Vorwürfe ihrer inneren Stimme drangen hervor und die Erkenntnisse der letzten Wochen holten sie schlagartig wieder ein. Was hatte sie alles verloren und gleichzeitig erreicht? Die letzte Distanz überwindend, ging sie nach vorn und umarmte ihn fest “Es tut mir so leid, was ich getan habe! Sofort würde ich-” “Keine Entschuldigungen”, unterbrach er sie, seine Arme erwidernd um sie legend und die Stimme nun sanfter als zuvor “Du sagtest mir, dass du etwas herausfinden musstest. Ist es dir gelungen?” Für einen Moment drückte sie sich noch fester an ihn, als ob er das Licht wäre, was sie der Dunkelheit entkommen ließ. Hatte sie soviel Verständnis von einem Menschen überhaupt verdient? “Manson ist es gewesen…”, ihre Stimme brach, als sie sich auf ihre Füße zurücksinken ließ, um ihn ansehen zu können. “Francois?”, fragte Athos prüfend nach, um die Zusammenhänge auch tatsächlich zu erkennen. Als einzelne Tränen sich aus ihren Augen lösten, nickte sie bestätigend. Trost spendend strich Athos über ihr Haar. Wie viele Opfer hatte Aramis erbringen müssen, um zu diesem Punkt zu gelangen, fragte er sich. Einige davon hatte er selbst erlebt, bei anderen hatte er ihr nicht zur Seite stehen können. Wie viel Kraft musste es sie gekostet haben, ihr Schauspiel vor D’Artagnan, Porthos und den Feinden aufrecht zu erhalten, den Märtyrer zu spielen und geächtet bei allen übrigen Musketieren zu sein, die ihrem Befehl nur Folge leisteten um nicht selbst auf der Liste der Abtrünnigen zu landen. Ihre Vergangenheit hatte sie eingeholt und nun gab es die Möglichkeit sie so zu beenden, wie sie es sich einst geschworen hatte. “Du hast das richtige getan, Aramis”, bestärkte er sie, schließlich hatte sie nun endlich den wahren Mörder ihres Verlobten gefunden. “Habe ich das?”, hinterfragte sie und ließ betrübt ihren Kopf gegen seine Schulter sinken “Porthos und D’Artagnan vertrauen mir nicht mehr und wegen mir ist Porthos alsbald der meist gesuchteste Verbrecher in ganz Paris…” “Als ob das Porthos stören würde”, murmelte Athos und ein Lächeln umspielte Aramis’ Mundwinkel. “Die beiden werden es verstehen, überlass das mir”, beruhigte er sie, worauf ein Schniefen von ihr zu vernehmen war. “Danke”, hauchte sie und dies galt nicht nur seiner Aufopferung ihr gegenüber, sondern auch dafür, dass er ihr noch immer vertraute und ihr noch immer den Rücken stärkte. Als sie nach Paris gekommen war, hatte sie niemals geglaubt solch tiefe Freundschaft erfahren zu dürfen. Athos war zu ihrem besten Freund und Vertrauten geworden, schon deshalb durfte sie ihn hier nicht zurücklassen “Ich kann dich hier herausbringen. Den Wachmann können wir leicht überwältigen”, meinte sie plötzlich, von ihrem Kämpferwillen aufgefordert. Athos legte seine Hände auf ihre Schultern, um ihr in die Augen sehen zu können “Lass gut sein. Wenn du einem Gefangenen beim Ausbruch verhilfst, wirst du ebenfalls von den übrigen Soldaten gesucht werden. Momentan ist deine Position als Kapitän der Musketiere hilfreicher, da du Manson und Milady dadurch im Auge behalten kannst. So kannst du Porthos und D’Artagnan Nachrichten zukommen lassen…” “Aber was ist mit dir?” “Ich werde meinen Aufenthalt hier noch ein wenig genießen”, schmunzelte er. Aramis war nicht zum Lachen zumute. Sie konnte sich keinesfalls mit dem Gedanken anfreunden Athos hier zurückzulassen. Mit letzter Überzeugungskraft sagte sie “Du weißt, dass ich Manson töten werde, wenn ich die Gelegenheit dazu habe?” Er nickte “Ja- und ich würde dich nicht aufhalten…” Er würde ihr Handeln verstehen, schließlich war dies der Grund gewesen, weshalb sie so viel Leid auf sich genommen hatte die letzten Jahre. Nur war er beunruhigt, dass ihr dabei etwas zustoßen könnte. Überraschend griff sie nach ihrem Dolch und reichte ihn ihm “Warum-?”, weiter kam er nicht, da sie seine Hand, die den Griff des Dolches umfasste, mit ihren Fingern verschloss “Du wirst ihn dringender benötigen als ich, wenn Mylady dir anderweitigen Besuch zukommen lassen sollte…”, sie seufzte und flüsterte dazu „Du kannst ihn mir zurück geben, wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen…“ “Das werde ich”, versprach er. Ihr würde nichts passieren. Er betete dafür. Aramis wandte sich ab und ging zur Zellentür. Sie hatte vieles gut zu machen, gegenüber D’Artagnan, Porthos und ganz besonders gegenüber Athos.~ Zurück in der Gegenwart bemerkte sie, wie Athos ihren Arm um seinen Hals legte, um sie zu stützen. Zusammen gingen sie zum Hintereingang des Hauses. Allmählich erwachten ihre Geister wieder zum Leben. Argwöhnisch musterte sie die gepflegte Balustrade am Balkon über ihnen und den aus weißem Alabaster gefertigten Rundbogen über der Eingangstür. “Was ist das hier?” “Ein Zufluchtsort…” “Für wen?” “Protestanten, Heimatlose, Freidenker-”, er wandte sich ihr zu “Frauen, die sich als Mann verkleiden…” “Sehr witzig…” Athos klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen die Tür. “Und du glaubst, dass wir hier sicher sind?” “Ganz sicher”, kam es überzeugend von ihm, was Aramis innerlich etwas beruhigte. Ein spaltbreit wurde das schwere Ebenholz zur Seite geschoben und ein milchigweißes Gesicht mit dunklen Augen kam zum Vorschein. Aufmerksam wurden Athos und Aramis gemustert, bevor sich die Bewohnerin ganz zu erkennen gab und die beiden eintreten ließ “Athos, welch Überraschung”, sagte die junge Frau und verschloss die Tür wieder “Was führt dich zu solch später Stunde in unser Haus? Noch dazu in Begleitung?”, sie begutachtete Aramis eingehend und stellte alsbald die äußerliche Verletzung fest, die sie jedoch nicht zu schockieren schien. Athos rang mit einem Lächeln “Entschuldige, dass wir in euer Haus einfallen, aber uns blieb keine andere Möglichkeit, um unseren Verfolgern zu entkommen-” “So ganz scheint ihr ihnen dann doch nicht entkommen zu sein”, mit einer Handbewegung deutete sie auf Aramis’ Verletzung. “Ja, du hast recht”, nickte Athos bekümmert und fragte ohne Umschweife offen heraus “können wir für heute Nacht um Schutz in eurem Haus bitten? Ich wäre dir unendlich dankbar dafür, Claudine…” Kurz betrachtete Claudine die beiden Musketiere noch einmal eingehend und schien abzuwägen, ob sie den beiden helfen sollte oder nicht. Dann schob sie sich an den beiden unerwarteten Besuchern vorbei und öffnete eine Tür hinter ihnen, die ganz offensichtlich zur Küche führte “Wenn das deine einzige Bitte ist, sollte es kein Problem sein”, sie blickte über ihre Schulter auf die beiden zurück und im fahlen Licht konnte Aramis erkennen, dass sie ihnen kurz zuzwinkerte. Scheinbar war man in diesem Haus auf solch nächtliche Niederkünfte bereits eingerichtet, mutmaßte Aramis und bedankte sich im Stillen bei der ihr unbekannten Claudine. Claudine schritt auf die andere Seite der Küche vor ein hohes und breites Regal, in welchem Gewürze und allerlei Kochutensilien gelagert wurden und zog es mit einigem Kraftaufwand zu sich heran , sodass es etwa einen halben Meter schräg in den Raum hineinragte. Danach tastete sie die Wand in einer geraden Linie ab und bevor sich Aramis über ihr Verhalten wundern konnte, eröffnete sich ihr ein versteckter Hinterraum, der in vollkommenem Schwarz getaucht war. Für einen Moment verschwand Claudine darin, bis schließlich schwaches Kerzenlicht die Umrisse des Raumes wiedergab. Scheinbar hatte Aramis ihren überraschten Gesichtsausdruck nur schlecht verbergen können, da Athos meinte “Es grenzt an Zauberei, nicht wahr?” “Wohl kaum”, antwortete Aramis “eher ein gut behütetes Versteck, welches wir sicher nicht als erste aufsuchen…” “Das ist richtig”, bestätigte Athos, doch Aramis fragte nicht näher nach, dazu würde sie später noch genug Zeit haben. Jetzt hoffte sie nur, dass D’Artagnan und Porthos das gleiche Glück an einem anderen Ort von Paris zukommen würde. Alsbald erschien Claudine wieder in der Küche und deutete den beiden, dass sie das Zimmer betreten konnten. Athos schob Aramis um das Regal und ließ sie auf einen kleinen Tisch neben der Wandöffnung sinken. Er selbst ging zu Claudine zurück und nahm Verbandszeug, eine dunkle Flasche und Medizin von ihr entgegen, welches sie derweil vorsorglich herausgesucht hatte. Aramis beobachtete sie. Sie bemerkte die Vertrautheit der beiden und versuchte das unaufhaltsam aufkommende Gefühl zu unterdrücken, dass Athos und Claudine eine besondere Beziehung miteinander verband. Der sich gegenseitig gehauchte flüchtige Wangenkuss zum Abschied, als Claudine die Küche verließ, bestätigte das unwohlige Gefühl von Aramis, über welches sie hartnäckig weiterhin hinwegsah. Und in diesem Moment wurde ihr etwas bewusst. Wie genau kannte sie Athos tatsächlich? Sicherlich war er ihr Freund und Vertrauter, aber setzte dies nicht voraus, dass sie ebenso seine Gedanken an die Vergangenheit und seine Gefühle kannte? Er hatte erfahren wollen, was Schlimmes in ihrem Leben geschehen war, dass sie bereit war alles hinter sich zu lassen, ihre Familie zu verlassen und einsam nach Paris zu kommen. Stets hatte er stumm zugehört, sobald sie Trost suchte und ihr Leid mitteilen wollte. Doch hatte sie ihm jemals die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lassen? Natürlich war Athos von jeher niemals redselig gewesen, aber zuzuhören und nachzufragen sind zwei wesensunterschiedliche Dinge und sie glaubte, keines dieser Dinge jemals bei ihm getan zu haben. Sie hatte ja noch nicht einmal gewusst, dass Athos andere Vertraute wie Claudine neben ihr und Porthos hatte - wenn nicht gar auch Geliebte? Sie war töricht gewesen zu glauben, dass Athos auf ewig bei ihr verweilen würde. Schon vor Monaten waren die Anzeichen da gewesen, dass er tiefere Gefühle für sie hegte, nur war sie egoistisch genug gewesen, diese zu übersehen. Ihre Chance war da gewesen - nur hatte sie sie nicht ergriffen. Die Einsicht traf sie hart und unvorbereitet. War es denn schon bei ihrer ersten Begegnung mit Athos so gewesen? An dem sich ihr Lebensweg geändert hätte, wenn sie es zugelassen hätte? Sie war verunsichert über ihre verstreuten Gedanken, welche sich an ihre Gefühle banden, weshalb sie zuerst nicht bemerkte, wie Athos wieder im Zimmer erschienen war und ihr die Medizin reichen wollte. Doch stattdessen ergriff Aramis die Flasche in seiner anderen Hand, die sich als hochprozentiger Alkohol herausstellte und nahm einen tiefen Zug daraus. Danach schnürte sie ihre Uniform auf und warf sie über den Stuhl neben sich. Wortlos beobachtete Athos ihre Bewegungen. Als ihr blutdurchtränktes weißes Leinenhemd zum Vorschein kam, wandelten sich Athos Gesichtszüge in besorgte Blicke um. “Ich glaube, es sieht schlimmer aus, als es tatsächlich ist…”, versuchte Aramis sich selbst zu beruhigen, als sie ihr Hemd von der Wunde hob “Es blutet schon gar nicht mehr…” Seitens Athos war darauf nur ein Nicken zu erkennen. Er machte sich daran einige frische Tücher mit dem Alkohol zu tränken und damit ihre Wunde abzutupfen. Einige Male waren schmerzerfüllte Geräusche Aramis entwichen, als der Alkohol die frische Wunde berührte, doch als diese Tortur überstanden war und Athos die von Claudine ausgehändigte Salbe auf der Haut Aramis’ einrieb, entspannte sie sich allmählich. Obwohl seine Hände vom jahrelangen Fechten rau und grob waren, bemühte er sich ihre Haut so seicht wie möglich zu berühren. So ganz konnte sie nicht sagen, ob er ihr einfach nur nicht weh tun wollte oder ob die körperliche Nähe zu ihr ihn nervös machte. Es faszinierte Aramis wie sehr sie Athos zuweilen durcheinander bringen konnte. Doch verwirrte es sie zugleich, wie angenehm sie seine Berührungen empfand. Gerade als sie sich in dem Gefühl seiner Nähe verlieren wollte, entdeckte sie auch bei ihm Blut. Zunächst verunsichert, ob es von ihr stammen konnte, entschloss sie sich mit Athos die Plätze zu wechseln, damit sie die Wunde besser in Augenschein nehmen konnte. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, entledigte sie ihn seiner Uniform und legte seinen Degen zur Seite. Athos schien selbst nicht bemerkt zu haben, dass er sich während des Duells mit einem der Angreifer verletzt hatte, um so erstaunter blickte er auf seinen rechten Oberarm, als er sein Leinenhemd über die Schulter zog, wo noch einiges Blut auf seiner Haut klebte und eine Risswunde zu erkennen war. Sofort behandelte Aramis ihn ebenso fürsorglich wie er es zuvor für sie getan hatte. Sie spürte wie seine Blicke dabei auf ihr lagen und er mehr ihre Gesichtszüge studierte, als ihre Handlungen beobachtete. Um sich selbst die Aufregung über die Wärme und Nähe seines Körpers zu nehmen und ihrer damit einhergehenden inneren Unruhe, fragte Aramis leise “Woher kennst du diesen Ort hier? Du hast mir noch nie davon erzählt…” “Ich durfte niemandem davon erzählen. Die Bewohner des Hauses sind sehr darauf bedacht Vorsicht in jedweder Lebensmöglichkeit walten zu lassen. Es hatte mich gewundert, dass sie uns eingelassen hatten, obwohl sie dich nicht kennen. Aber umso dankbarer bin ich ihnen für unsere Aufnahme…” “Du sprichst in Rätseln, Athos”, lächelte Aramis “Und wieder hast du eine meiner Fragen derartig beantwortet, dass es keine wirkliche Antwort ist…” Athos überlegte kurz “Ja, du hast recht”, wunderte er sich über sich selbst und musste schmunzeln “Als ich vor vielen Jahren nach Paris gekommen war, bin ich mittellos gewesen, ohne Sinn im Leben, ohne Hoffnung. Da begegnete ich inmitten der Straßen Claudine und ich erkannte sie als die Tochter eines Nachbarn meiner Eltern wieder, obwohl ich sie seit Kindheitstagen nicht mehr angetroffen hatte. Sie brachte mich hierher und gewährte mir Unterkunft. Bald wurde mir klar, dass dieses Haus für geheime Treffen von Protestanten und Rebellen des Königshauses genutzt wurde. Doch für die Gastfreundschaft Claudines, versprach ich ihr niemandem von dem Haus zu berichten …-” “-… worin du bis heute Wort gehalten hast”, vollendete Aramis seinen Satz und trat noch etwas näher an ihn heran “Daher also die verbotenen Schriften bei dir zu Haus”, schlussfolgerte sie und Athos musste lachen “Gut, dass du mich daran erinnerst, ich sollte diese Bücher nicht so frei in meinem Hause liegen lassen…” Für einen Augenblick sah sie von seinem Oberarm auf und verlor sich in dem dunklen Grau seiner Augen “Danke für deine Hilfe vorhin. Wenn du nicht gewesen wärst, würde ich vermutlich jetzt nicht hier vor dir stehen…” “Ich habe damals geschworen auf dich Acht zu geben”, erwiderte Athos sanft, was Aramis leidvoll aufseufzen ließ. Es wäre alles so einfach gewesen und gleichzeitig war es dennoch so kompliziert. Wie konnte er nur solch liebevolle Worte an sie richten, wohl wissend, dass sie ihn und seine offenen Arme abgewiesen hatte? “Du machst es nicht einfach für mich…”, flüsterte sie, während sie stur weiterhin auf seine Wunde starrte. Sie konnte die fragenden Blicke von ihm förmlich auf ihrer Haut spüren. Sie dachte, dass sie ihn zu gut und zu lang kannte, um seine nächsten Handlungen vorhersehen zu können, doch zu ihrer Überraschung meinte er “Es ist auch für mich nicht einfach. Aber ich habe mich für einen Platz in meinem Leben entschieden und werde alles daran setzen ihn so lange wie möglich beizubehalten…” “Das darfst du nicht, Athos”, meinte Aramis daraufhin energisch “Auf dich wartet ein erfülltes und glückliches Leben. Du kannst den anderen Weg noch wählen, bevor es zu spät ist…” “Das möchte ich aber nicht…” “Aber was willst du dann noch von diesem Leben?”, rief Aramis verzweifelt. Es war unfassbar gewesen, wie schnell sie sich in solch eine emotionale Situation hatte manövrieren können und das Tor zum Schicksal geöffnet hatte- “Ich will dich, Aramis!” Er hatte nach ihren Händen gegriffen und sie fest umschlossen. Sie konnte sich nicht mehr dagegen wehren ihm in die Augen zu schauen und es würden sie Blicke voller Sanftmut, Entschlossenheit und tiefer Liebe erwarten “Und ich will Lunette. Ein und dieselbe Person und dennoch so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. Ich will dein Lächeln, dein Leid, deinen Mut, deine Sturheit, deine Freundschaft, deinen Zorn, deinen Lebenswillen… Dafür lohnt es sich zu kämpfen und dafür habe ich mich entschieden.” So unmerklich wie sich die Tränen in ihre Augen geschlichen hatten, so unmerklich war ihr geteiltes Herz zusammen gesetzt worden und wurde zu einer Erkenntnis geführt, die schon lange vor ihr gelegen hatte. Und sie musste sich an die Abende mit ihm erinnern, bei welchen sie diskutierten und philosophierten und sich des Öfteren den Wein geteilt hatten, an die Tage wo er mit seinen Worten die schwärzesten Wolken vertrieben hatte und mit seinem Lachen ihr ein Lächeln gezaubert hatte und an die Stunden in denen er vor ihr gestolpert war und sie den Rest des Tages damit verbracht hatte, sich immer wieder darüber lustig zu machen, an die unzähligen Duelle die sie einander geliefert hatten, nur um später völlig erschöpft zu Boden zu sinken und noch immer dem anderen nicht nachgeben zu wollen, an die kalten Winterabende in denen er durchgefroren vor ihrer Türe verweilt hatte, nur um ihr seine neuesten Thesen zu einem besseren Frankreich erzählen zu können …- -… und die Tränen drangen hervor und suchten den Weg zum Licht und wurden von seiner Hand aufgefangen, so wie sie selbst unzählige Male in den letzten Jahren von ihm aufgefangen worden war. Und sie überwand ihre innere Zerstreutheit, ihre Unsicherheit, den letzten Weg den sie zu beschreiten hatte und lehnte sich zu ihm. Und es war, als würde all das Leid, die Qual, die Traurigkeit der letzten Jahre einen Sinn ergeben, der sie zu eben diesem Moment führen sollte. Zu dem Moment als sie seine Lippen berührte und mit ihm in einen tiefen Kuss verfiel und sie erkannte, dass aus ihrem besten Freund und Vertrauten Athos der Mann geworden war, den sie begehrte, dem sie schon seit ihrem ersten Treffen vor vielen Jahren verfallen gewesen war. *** Der nächste Morgen brach kalt und ehrfürchtig herein und war für Aramis dennoch von einer Leichtigkeit getragen, die scheinbar nur sie selbst empfinden konnte. Die Nacht hatte ihr nur wenig Schlaf gebracht, doch sie fühlte sich lebendiger als je zuvor. Athos sah wie immer besorgt und unglaublich nachdenklich aus, doch Aramis Blick für ihn hatte sich erweitert und sie erkannte vollkommene innere Zufriedenheit hinter seinen strengen Augen. Auf Grund ihrer überschäumenden Gedanken zu den Geständnissen der letzten Nacht, war der Weg zur Mühle außerhalb von Paris in Windeseile zurück gelegt. Als die Sonne vollständig den Horizont überwunden hatte, hatten sie die Mühle erreicht, an dem damals all ihre Abenteuer mit D’Artagnan begonnen hatten. Sie stiegen die Treppe im Innern empor und trafen auf ihre Freunde, die wesentlich unausgeschlafener drein blickten, als sie. Zudem wurde nun bei Tageslicht das komplette Ausmaß des gestrigen Überfalls offensichtlich. D’Artagnan hatte ein faustgroßes blaues Auge davon getragen und sein Hut lag zerrissen vor ihm auf dem Boden. Porthos hatte zumindest keine größeren Blessuren im Gesicht, hingegen schien einer der Angreifer sein Bein verletzt zu haben, da er seine Hose nahe der Wunde zerschnitten und behelfsmäßig mit Teilen seiner zerfetzten Uniform verbunden hatte. “Ist alles in Ordnung mit euch?”, fragte Aramis beinahe zurückhaltend, nicht sicher, ob noch immer Zorn in beiden wegen des gestrigen Überfalls brodelte. “Wonach sieht das für dich bitte aus?”, kam Porthos’ patzige Antwort, was die Vermutung von ihr sogleich bestätigte “Darf man fragen, wo ihr gewesen seid?! Es scheint nämlich, dass ihr nicht in der nächtlichen Kälte im Freien habt übernachten müssen, so wie wir beide!” Aramis war dabei weiter nach vorn zu gehen, um Porthos eine ebenso wütende Antwort zurück zu schleudern, als Athos seinen Arm hob und sie damit um Einhalt bat “Zu allererst beruhigen wir uns alle und danach möchte ich zunächst von euch beiden erfahren, wie es dazu kommen konnte, dass ihr gestern ohne unser Zutun euch auf die Räuber gestürzt hattet. Hatte ich nicht ausdrücklich gesagt, ihr solltet nicht voreilig handeln?” “Sie hatten uns bemerkt, Athos!”, meldete sich der Jüngste nun zu Wort “Vermutlich hatten sie schon längst geahnt, dass sie von uns verfolgt wurden. Als wir uns trennten und ihr beide außer Sichtweite gewesen seid, waren wir auch schon angegriffen worden…” Diese Erkenntnis ließ alle zunächst verstummen. Scheinbar hatten sie es mit einem äußerst gerissenen und übervorsichtigen Gegner zu tun. D’Artagnan seufzte tief “Es wäre ein Wunder, wenn die nicht bemerkt hätten, dass wir Musketiere sind. Sie werden uns verfolgen und sie werden herausfinden, dass ich bei Constance wohne und dann -” “Moment, D’Artagnan, ganz ruhig”, unterbrach ihn Aramis sanft, um schlimmere Gedanken von ihm fern zu halten “Wir wissen überhaupt nicht, ob die sich noch weiter für uns interessieren nach gestern Nacht. Vielleicht glauben die, wenn sie uns einmal erfolgreich in die Flucht geschlagen haben, werden wir jedwede Unternehmungen unterlassen…” “Außerdem können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die erkannt haben, dass wir schon längere Zeit nach ihnen gesucht haben…”, ermutigte Athos ebenfalls die Runde, was jedoch mit einem Schnauben seitens Porthos zunichte gemacht wurde “Das glaubst du doch selbst nicht, Athos! Die wussten ganz genau wie sie uns angreifen mussten. Wir hatten in der Falle gesessen und waren nur um Haaresbreite entkommen. Und gerade weil wir flüchten konnten, werden sie uns von nun an suchen und uns ein weiteres Mal in die Enge treiben…” Die Erkenntnis der Bedrohung lag schwer in der Luft und rief bei allen Verbitterung hervor. Selten hatten sie sich in einer solch hilflosen Lage gesehen, ohne viele Möglichkeiten der Gegenwehr. Für einen Moment schloss Athos seine Augen, um ihre derzeitige Situation überschauen zu können, doch drangen ungewollt einige Bilder der letzten Nacht dabei in seine Gedanken, die er nicht zurückhalten konnte. “Wir werden in die Stadt zurückkehren und uns mit Tréville beratschlagen. Wenn es sein muss, werden sich alle Musketiere in ganz Paris auf die Suche der Übeltäter begeben. Wenn die eine solche Übermacht gegen sich wissen, werden sie nicht mehr viele Rückzugspunkte in der Stadt haben…”, und damit war für Athos alles gesagt. Alles Weitere würden die nächsten Tage ergeben, er wandte sich ab und ging die Treppe hinab, um nach draußen zu gelangen. Als er auf der Wiese vor der Mühle zum Stehen kam, war er sogleich von Aramis eingeholt worden “Selbst wenn alle verfügbaren Musketiere durch Paris ziehen werden um diese Bande ausfindig zu machen, so wissen wir immer noch nicht wo wir mit der Suche beginnen sollen…”, äußerte sie ihre Bedenken und blickte dabei etwas besorgt drein. Sie hätte gelogen, wenn sie nicht von nun an befürchtete von einem der Angreifer aufgelauert zu werden, sobald sie sich außer Reichweite ihrer Freunde befand. Athos nickte “Ja, du hast recht, aber ich werde Claudine darum bitten, sich umzuhören. Wenn jemand Kontakte zu einer Untergrundbewegung hält, dann einer ihrer rebellischen Besucher. Sicher wird es jemanden geben, der von dieser Bande bereits gehört hat…” “Warum hast du das den beiden nicht gesagt?” “Weil so wenige wie möglich von Claudine und der heimlichen Treffen in ihrem Haus erfahren sollen…” “Glaubst du nicht, dass Claudine ein Mitglied der Bande sein könnte?”, fragte Aramis mit gerunzelter Stirn, da die Ausmaße der Machenschaften Claudines allmählich überhandnahmen. Athos schüttelte den Kopf “Dann hätte sie uns heute Nacht an sie verraten und uns ausgeliefert…” “Ich weiß nicht so recht, es könnte eine Falle sein…”, ihr Unmut darüber Claudine nicht weiter zu kennen und dass Athos sich womöglich von ihr umgarnen ließ, stieg weiter an “Sieh es mal so, wenn du Kontakt zu Claudine hältst, könnte sie uns immer einen Schritt voraus sein…” “Nun, dann werde ich wohl nur das nötigste sagen können”, meinte Athos kühl, wandte sich von ihr ab und fügte hinzu “Und das solltest du gegenüber D’Artagnan und Porthos auch tun, du hast mir letzte Nacht dein Wort darauf gegeben…” Verärgert über seine abweisende Haltung, die nur bei ihm aufgetreten war, weil sie ihre Zweifel gegenüber Claudine geäußert hatte, drehte sie sich ebenfalls um und ging wieder in die Mühle hinein, um ihre beiden Freunde zu holen. Wollte Athos nicht sehen, dass alle Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung mittlerweile potentielle Verräter sein konnten? Sie selbst wusste, wie gut man ein fremdes Leben anderen vorspiegeln konnte, nur um damit seine eigenen Ziele durchzusetzen. Ihr missfiel es, dass Athos derart großes Vertrauen in Claudine setzte. Sie hatte ein ungutes Gefühl dabei… Das ungute Gefühl sollte sich aber zunächst darin äußern, dass D’Artagnan unerwartet vor ihr aufgetaucht war “Was sollen Porthos und ich nicht erfahren eurer Meinung nach?”, fragte er gerade heraus, sodass offensichtlich wurde, dass er zumindest dem Ende des Gesprächs gelauscht hatte. Sein Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass er über die Heimlichkeiten seitens Athos und Aramis ganz und gar nicht erfreut war. Aramis blickte betrübt zu Boden “Tut mir leid, D’Artagnan, ich kann es dir nicht sagen, ich habe Athos mein Wort gegeben…” Er trat einen Schritt auf sie zu und meinte “Was ist zwischen dir und Athos vorgefallen, dass ihr beiden uns ausgrenzt?” Über diese unerwartete Frage erschrocken, fehlte Aramis plötzlich der Atem, um sich zu verteidigen. Sie und Athos waren der Überzeugung, dass es besser war, die beiden noch nicht über ihre neue tiefgründigere Beziehung in Kenntnis zu setzen. Zunächst einmal mussten sie beide selbst lernen mit dieser neuen Situation umzugehen, die sich einerseits vollkommen richtig anfühlte und ihnen andererseits noch nicht vertraut und ungewöhnlich erschien. Als ob der jüngste geahnt hatte, was Aramis und Athos nun miteinander verband, hatte er diese Frage geradeheraus gestellt. War es für ihn denn so offensichtlich gewesen, was in naher Zukunft zwischen ihnen geschehen würde? “Wir grenzen euch nicht aus”, bestritt Aramis “aber in diesem Fall habe ich Athos mein Wort gegeben bestimmte Dinge für mich zu behalten, die aber nicht das geringste mit euch zu tun haben, glaub mir das!”, rechtfertigte sie sich eifrig in der Hoffnung dadurch das Vertrauen von D’Artagnan zurück zu gewinnen. “Ich kann vorerst damit leben…”, erwiderte er, fügte jedoch stirnrunzelnd hinzu “Ich denke aber, dass Porthos weniger erfreut sein wird, wenn er dahinter kommt, dass ihr ihm etwas verschweigt und ihm seid ihr um einiges mehr schuldig als mir, da ihr euch schon wesentlich länger kennt…”, und mit diesen Worten beschritt er den Weg, den Athos noch vor wenigen Sekunden gegangen war und machte sich bereit in die Stadt zurückzukehren, eine innerlich zerrüttete und völlig betrübte Aramis hinter sich lassend. *** To be continued… *** Anmerkung: Meine ursprüngliche Absicht zu diesem Kapitel war gewesen, eine in sich geschlossene Story zu erzählen, wie es bei den vorherigen Kapiteln zu dieser Fanfiction der Fall gewesen ist. Da die Story aber entgegen meiner damaligen Absicht immer mehr an Handlungsstränge hinzu gewinnt, habe ich mich dazu entschieden, dieses Kapitel *unvollendet* hochzuladen und die Fortsetzung in einem weiteren Kapitel zu schreiben. Ich hoffe, dass euch das aktuelle Kapitel gefällt und natürlich würde ich mich sehr über Kritik und sonstige Kommentare freuen! Gerne könnt ihr mir auch Denkanstöße zukommen lassen, wie ich meine FF verbessern könnte. Die Erinnerung Aramis' in diesem Kapitel ist zwischen der Festnahme von Athos durch Aramis (wobei Porthos fliehen konnte), aber noch vor ihrer Entdeckung, dass König Louis XIII einen Zwillingsbruder hat, anzusiedeln (in Anlehnung an die Anime-Serie). -Milagro- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)