Supernova von maykei ================================================================================ 16. Kapitel - (Geister) ----------------------- Kommentar: Wieder ein unlineare Erzählweise. Falls es nicht ersichtlich wird, gibt es im übernächsten Kapitel eine kleine Timeline. ____________________ Im Nachhinein war es zu einfach gewesen. Und es kam ihm dazu noch unglaublich irreal vor. Doch irgendwie waren sie von der hochüberwachten Ausladestation zurück in den 'Bambushain' gekommen. Seine Erinnerungen waren bruchstückhaft, fiebrig, fern, scheinbar Jahrzehnte alt. Doch er spürte seine Wunden noch. Mit jedem Herzschlag pochten sie dumpf mit, machten im bewusst, dass die rote Lebensflüssigkeit immer noch unnachgiebig durch seinen Körper floss. Er roch das fremde und sein eigens Blut auf seinem Körper und an seinen Kleidern. Seine Augen öffneten sich bleischwer und er sah in das grelle, weiße Licht, das durch die Fenster in den abgedunkelten Raum strömte. Es war eiskalt. Trotz der Decke und der Körperwärme direkt neben ihm. Rauschen. Draußen wütete der Schneesturm weiter, als wäre die Zeit vergessen worden. In dieser Zeitlosigkeit, scheinbar schon endlos andauernden Nacht, versuchte Kurogane die letzten 72 Stunden Revue geschehen zu lassen. Er war an einem Punkt angelangt, an dem es ihm selbst eine durchgemachte Nacht wert war, ein wenig Klarheit in seine Gedanken und Emotionen zu bekommen. Ein im Schlaf ausgestoßenes Seufzen neben ihn ließ ihm den Kopf zu dem bescheuerten Ex-Magier drehen. Tomoyos Bild tauchte auf einmal in seinem Kopf auf und ein Hauch von Heimweh zog an etwas in seiner Brust. Draußen wütete weiß und unerbittlich ein Schneesturm, schleuderte immer wieder harte Eisstücke gegen die zerkratzen Scheibe, dennoch schien niemand in dem kleinen Raum zu wachen, bis auf ihn. Sie waren den ganzen Tag durch Eis und Schnee gewandert und er fror trotz der warmen Decken und des Feuers immer noch. Die Stadt Styrax und der Bambushain wirkten so fern, als befänden sie sich in einer anderen Dimension, dabei konnte man ihre riesige, graue Schiluette sicher noch in der Ferne sehen, sobald sich der Sturm legte. Allmählich fragte er sich ob in diesem Land alles nur aus zerfallenen Gebäuden, leblosen Maschinen und Schnee bestand. Und Menschen die alle irgendwie ein Loch in der Brust hatten. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Auch vor 72 Stunden öffneten sich Kuroganes Augen nur langsam und bleischwer, als plötzlich ein dünner, greller Lichtstreifen seine Welt aus Herzschlagdunkel und Meeresrauschenstille durchbrach und rasch zu einem glühend hellen Viereck anwuchs. Das Licht einer Lampe strahlte ihm direkt ins Gesicht und geblendet davon sammelte er mit einem schnellen, tiefen Atemzug seine letzten Kraftreserven, sprang aus der Kiste und schlug zu, schlug zu, schlug blind zu, immer weiter, bis sich nichts Lebendiges mehr um ihn herum regte. Erst dann nahm er schemenhaft seine Umgebung wahr und am liebsten hätte er frustriert aufgestöhnt. Fye und er befanden sich in einer Halle, ganz ähnlich der, in der sie in diese Kiste geklettert waren, um sich so aus den Lagerhallen zu schmuggeln. Die Wände waren allesamt schwarz und in Dunkelheit gelegen. Die einzigen Lichtquelle war die Lampe von eben, die verlassen auf dem Boden neben den bewusstlosen Kerlen lag, die scheinbar hatten nachschauen wollten, was an dieser Fracht so seltsam gewesen war. Ketten aus grünem Licht, ähnlich derer, die sie in einer anderen Welt als 'Weihnachtsbeleuchtung' kennen gelernt hatte, verliefen sich an den Wänden, sich bis nach hoch oben erstreckten und sich dort irgendwo in der Dunkelheit verloren. Eiseskälte umgab ihn. Von oben her wehte ein unangenehmer, trockener Hauch zu ihm herab, fuhr über sein schweißnasse, fiebrige Haut, die unter dem zerrissenen Schutzanzug, zwischen braun-rotem Geschmier, einer Gänsehaut ausgesetzt war und ließ seinen Atem in einer weiß-rauchigen Wolke vor seinem Gesicht sichtbar werden. Riesige Monster aus Metall – Maschinen – bewegten sich lautlos um ihn herum, über ihm und auch unter ihm. Kurogane spürte es unter seinen Füßen vibrieren. Sie arbeiteten unbeeindruckt von ihrer außerplanmäßigen Anwesenheit, doch totenstill. Riesige Eisenarme öffneten Kisten und entluden ihren Inhalt. Sie wirkten wie ein Traum. Totengeister, nur halb in dieser Welt, halb im Jenseits. Da, für die Zeitspanne eines Fiebertraums, aber im nächsten Augenblick für die Sterblichen schon wieder unsichtbar. Es gab in seinem Land hunderte von Schutzamuletten und Beschwichtigungsrituale für solche Geister, doch es gab für übernatürliche Wesen kein absolut wirkendes Schutzmittel. Der Krieger verachtete sonst all so etwas, dennoch konnte er nicht umher, als daran zu glauben und eine heimliche tiefe Ehrfurcht davor zu empfinden. Schließlich war seine Mutter eine mächtige Miko gewesen und er hatte nur zu schmerzhaft erfahren, dass solche übernatürliche Wesen und Dämonen dem Menschen durchaus Schaden zufügen konnten. Nicht nur an dem Tag, an dem das ganze Gebiet, das seine Eltern beschützt hatten, von Dämonen vom Erdboden ausgelöscht wurde, auch in seiner Dienstzeit bei Prinzessin Tomoyo hatte es immer wieder Zwischenfälle mit übernatürlichen Wesen gegeben. Gerade kamen ihn diese Maschinen genau so übermächtig vor wie Götter den Sterblichen. Ein plötzliches Gefühl von Ausgelaugtheit, nur einen Schritt von Resignation entfernt, überkam ihm, als er sie beobachtete. Ihre unzähligen Arme, ihre stille, grobe Ignoranz, ihr Rauschen, ihre Kälte. Sie waren anders als die Dämonen, Dämonen waren getrieben von Gier und Hunger und Lust, diese Maschinen hier waren tot. Alles an dieser Welt schien ihn gerade tot. Außer der Magier, der gerade in seiner Kiste mit dem Leben rang. Er wusste nicht woher diese Gefühle kamen, aber sie zwangen sich so unaufhaltsam in seine Brust, wie das Wasser in die Lungen eines Ertrinkenden. Er konnte keinen Schritt weiter gehen. Und der Grund war nicht sein ausgelaugter Körper. Er hasste diese Maschinen, diese Welt, mit einer Inbrunst, obwohl sie ihm eigentlich egal waren. Die Anspannung, die Gewissheit dass hier irgendetwas Wichtiges vor sich ging, krampfte seine Eingeweide zusammen und zwangen ihn doch immer weiter zu gehen. Auf einmal kam ihm all das unglaublich bekannt vor. Auf einmal kam ihn dieser Ort in dem Sinn, an dem sich der Magier und er in dieser Welt wieder begegnet waren. Dieses verfallene Gebäude, das wohl früher eine Art Versammlungsstelle war, die zerbrochenen, bunten Fenster, diese skurrile, unkenntliche weiße Statue, die aussah wie eine Wachsfigur, deren Gesicht man unkenntlich gemacht hatte. Er wusste, dass das ihm mehr sagen sollte, als es ihm damals tat. Er wusste, dass mehr dahinter steckte, und er wusste, dass diese Welt auch nicht nur irgendeine auf ihrer Reise war. Das Gefühl war regelrecht übermächtig. Irgendetwas stimmte hier nicht und er er würde herausfinden, was es war. Plötzlich erwachte seine innere Kraft wieder in ihm und er atmete tief durch. Atmen. Der Zen-Garten, Stein für Stein, alles hatte seinen Platz, ein unwillkürliches System. Er schloss die Augen und analysierte, was er gerade fühlte. Ein Krieger musste stets seinen Ruhepunkt finden, auch wenn er innerlich aufgewühlt war. Diese Unruhe würde ihn nur vom Handeln abbringen, wenn gehandelt werden musste. Brachte seine Entschlossenheit ins Wanken. Er war aufgewühlt, das war es. Er konnte nicht mehr seinen Entscheidungen folgen, weil das bohrende Gefühl hatte, dass da irgendetwas war, ein Hinterhalt, eine ungesicherte Stelle, ein Kribbeln im Nacken, das ihm das Genick brechen würde. Etwas von oben segelte auf seine Schulter. Reflexartig fing er es auf und betrachtete es in seiner Hand. Ein kleines, viereckiges Styroporstück. Hinaufsehend sah er einen riesigen Container über ihnen schweben, der die wie Pulverschnee vom Himmel fallende Plastikstücke auffing. Das Rascheln der kleinen weißen Teilchen war das einzig Vernehmbare neben Kuroganes rasselnden Atem und dem ewigen, ewigen, ewigen Rauschen. Sie waren immer noch in diesem verrückten Gebäude, nur in einem anderen Teil davon, der Krieger konnte es spüren, auch wenn ihn alle anderen seiner Sinne gerade im Stich ließen. Um ihn herum lagen drei Männer, ihre Nasen blutig und die jungen Gesichter zu einer hässlichen Grimasse des Schmerzes verzogen. Kurogane ballte die Faust und entspannte sie wieder; getrocknetes Blut rieselte auf den Boden. Das helle frische Blut auf seiner Haut setzte sich deutlich von dem geronnen ab und er fühlte, dass es sich gut dort anfühlte. Kurogane drehte sich um und sah auf den bewusstlosen Magier, der wie ein weggeworfener Gegenstand in all den weißen Kunststoffstücken lag. Ihm war plötzlich sehr schwindelig. Kurz verschwamm seine Sicht und das nächste was er wahrnahm, war, dass er den Blonden auf den Armen Richtung Ausgang trug. Er hatte die schwere, schwarze Tür nicht gesehen, er wusste nicht einmal, was er da tat, doch irgendetwas zog ihn in diese Richtung und er war zu erschöpft, zu fiebrig, als dass er darüber nachdenken konnte, ja, sich fragte, wie er je über so etwas hatte nachdenken können. Draußen erwartete ihn das stumme Licht der dreckig orangen Dämmerung, es war eingerahmt von schwarzen Gebäuden, wie zu dem Moment als er in dieser Welt das erste Mal die Augen öffnete. Und ein schwarzer Transporter stand dort. Hände griffen nach ihm und es wurde wieder dunkel. Kurz danach das Vibrieren eines Motors. Noch einmal vergewisserte er sich dem regelmäßigen, sachten Pochen in seinem Griff, dann konnte er sich endlich der alles bedeckenden Schwärze übergeben. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kurogane kam erst im Bambushain für eine kurze Zeit wieder zu sich. Noch bevor er die Augen öffnete, spürte er, dass er von zwei Männern gestützt wurde. Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, denn das Blut auf seinem Körper war immer noch leicht feucht. Storms Männer - ein paar Gesichter, die er bisher noch nicht gesehen hatte - und der Älteste standen auf dem Vorplatz des Lagers. Wenige Schritte vor ihm konnte er den plumpen Brunnen erkennen, über ihm wölbte sich die mächtige, halb eingefallene und von unzähligen Holzkonstruktionen gehaltene Decke. Vor ihm stand ein hochgewachsener Mann, den er, obwohl er ihn nur von hinten sah, am verwaschenen braunen Haar mit dem Patchwork-Band und der Ausstrahlung sofort als Storm erkannte. Der Anführer der Lagerverteidigung redete gerade energisch und scheinbar wütend auf den grünäugigen Ältesten ein, doch dieser schüttelte nur ständig bedauernd den Kopf. Es rauschte immer noch so laut in seinen Ohren, er konnte nicht hören wovon sie sprachen. Langsam hob Kurogane seine Hand und legte sie an sein rechtes Ohr. Der junge Mann, der ihn hielt, bemerkte es und rief Storm etwas zu. Das Narbengesicht drehte sich um. Kurogane hörte das erwartete dumpfe Geräusch seiner Hand nicht, als er sacht gegen seine Ohrmuschel schlug. Angestrengt atmend, drehte er den Kopf, um den Magier zu suchen. Er hatte ein ungutes Gefühl durch die angespannte Stimmung, die über dem ganzen Lager lag. "Lebt er noch?“, fragte er in die rauschende Stille hinein, ohne es selbst zu hören. Er wartete Storms Nicken nicht ab, sondern ging sofort mit wankenden Schritten auf den jungen Mann zu, der den bewusstlosen Blonden in den Armen hielt. Er hatte hinter ihm gestanden, so dass er ihn erst jetzt entdeckt hatte. Der Ninja atmete tief aus, als er in das ruhige Gesicht sah. Er benahm sich irrational und wie ein Idiot. Sie waren im Hain angekommen, sein Verhalten würde nichts mehr an dem Gesundheitszustand des Magiers ändern. Aber warum war dieser verfluchte Arzt noch nicht hier? Warum standen alle so belämmert in der Gegend herum? Etwas Schwarzes war auf dem unebenen Boden, Tropfen, Blut, über die Hand des Kerls, der den Idioten hielt, lief Blut, über das Gesicht des Magiers... Die Welt verschwamm, als würde er durch Feuer sehen. und plötzlich fand er eine Erklärung für seinen Zustand. Die Spinnen. Sie waren damals auch hier im Hain gewesen. Sie hatten leise sein müssen, damit sie nicht angriffen, wegen... Dem Gift. Gift... Kuroganes Gedanken kamen nur noch in kurzen Schüben und sein Körper wollte nachgeben. Wage spürte er, wie seine Arme wieder um die zwei Schultern gelegt wurden, die ihn stützten. Gift, deswegen fieberte er so, die Spinnen injizierten ein Gift, wenn sie angriffen... Warum standen sie dann immer noch hier rum?, dachte Kurogane wütend, doch er wusste, dass sie sich in diesem Fall nicht selber helfen konnten. Er sah Storm heftig mit dem Alten diskutieren, mit den Händen gestikulieren, als könnte er damit seinen Worten mehr Gewicht verleihen, doch der Älteste des Lagers schüttelte nur bedauernd den Kopf. Kurogane hörte immer noch kein Wort. Fast alle Bewohner auf dem Vorplatz standen angespannt und schweigend in einiger Nähe, sahen ihn und den Magier bedauernd, schuldvoll, aber auch ein wenig ängstlich an. Es kam ihm vor wie ein Nô-Spiel, überall die selben Gesichter, und irgendetwas in seinen Hinterkopf brannte, ein vor Kälte brennendes Deja-vu Gefühl. Storm ballte die Faust als wollte er den Ältesten gewaltsam packen und schütteln, die Wache hatten ihre Gewehre fest umklammert und sahen unsicher zu ihrem Anführer. Nein, nicht Storm packte den Ältesten, er... Kurogane riss sich von seinen Stützen los und ging mit langsamen, aber festen Schritten nach vorn, auch wenn sein ganzes Sichtfeld dadurch nur noch weiter verschwamm, aber hier würde er sich nicht die Blöße geben. „Was ist hier los?“, forderte er zu wissen. Der Alte sagte etwas, Kurogane versuchte seine Lippen zu lesen. Doch er verstand auch so, als der hagere, geduckte Mann vor ihm den Kopf schüttelte und mit einem mageren Finger zum Ausgang deutete. Im nächsten Moment kam nur noch ein heiseres Röcheln aus vertrockneten Lippen hervor. Kurogane konnte es nicht hören, doch er erkannte diesen panischen Gesichtsausdruck, wenn jemand keinen Luft bekam, sah das Auf- und Abspringen des Adamsapfel unter der faltigen, verwelkten Haut. Der Krieger schüttelte den Greis heftig, den er am Kragen gefasst hatte. Sofort waren alle Waffen auf ihn gerichtet. Das Licht wurde so hell, er spürte den Druck in seinem Kopf immer stärker werden. Dennoch, ohne sich zu hören, zischte er dem Alten entgegen. „Ihr seid erbärmlich... ihr seid überhaupt nicht anders... ihr seid alle... genau so kalt... und feige... wie die dort oben. “ Es tat ihm fast physisch weh, falls er das überhaupt noch von seinem eh schon schmerzenden Körper beurteilen lassen konnte. Er war ein Stück heißes Eisen, angreifbar, formbar, noch gelähmt von seiner Sorge um diesen Idioten und den unzähligen Träumen. Diese Leute waren ihm egal. Ihre Ideale, Träume, Überzeugungen, ihr ganzes scheiß Leben war ihm egal, diese Welt war ihm egal. Und wenn sie einfach „puff“ machte, sobald sie hier weg waren, er würde ihr nicht eine Träne nachweinen. Es war ihm egal, egal, so egal. Aber dem Magier nicht. Und weil er das wusste, wollte er dem Mann vor sich am liebsten ins Gesicht spucken, ihn anklagen für diesen Verrat. Verrat an etwas, an das er nicht geglaubt hatte und nie glauben würde. Dass man in Fremden eine Familie finden konnte, irgendwo zur Ruhe kam, auch wenn man mit sich selbst nicht im reinen war. Einen Ort, an dem man gerettet wurde oder an dem man zumindest schlafen konnte, aufgenommen mit all seiner Schwäche, ein Ort des Friedens. Er verstand den Magier auf einmal so gut, obwohl es ihm so unverständlich schien, wie man an so etwas glauben konnte, wie man sich einfach weigern konnte zu kämpfen. Aber er verstand. Er sah den Verrat und spürte die Enttäuschung. Und deswegen war er wütend. So unglaublich wütend. Die trüben, giftgrünen Augen des Greises sahen ihn einfach nur bedauernd an und Kurogane begriff, dass er alt war. Alt und ausgewaschen, nicht ehrwürdig und weise, einfach nur völlig leer von jeglichen Leben, von geglichen Glauben an eine Sache. Nicht mehr als eine lebendige Maschine, die nur noch ihre Pflicht erfüllte. „Zwei Tage“, flüsterte er harsch und bittend. Und hasste sich dafür. Kurogane ließ ihn zu Boden fallen, die Welt stürzte auf ihn ein und alles was er tun konnte, war die Augen zu schließen und den harten Aufprall zu erwarten. Es war ein bitterkalter Tag. Der Himmel war weiß wie Papier. Seine Füße wurden fast taub auf dem gefrorenen Holz der Terrasse. Der kleine See in ihrem Garten war zugefroren und auf den zahlreichen, sorgfältig gepflegten und zugeschnittenen Sträuchern hatte sich eine weiße Eisschicht gebildet. Roter Mohn zitterte in dem leichten Wind und knickte ab, das Gras war braun und ging fast im Schneeschlamm unter. Der Junge sah zum Himmel. Alles war still. Niemand war aufgewacht. Er konnte seine eigenen Schritte nicht hören, als er durch die leeren Zimmer ging, Schiebetür für Schiebetür öffnete er behutsam, aber obwohl die Futons fein säuberlich eingerollt und in den Schrank gelegt worden waren, hinten im Haus das Frühstück bereits hergerichtet, konnte er keine Menschenseele finden. Er traute sich nicht zu schreien, zu andächtig schien die Stille. Er kam auch an den Ahnentafeln vorbei, Räucherstäbchen glimmten als einzige warme Farbe in dieser kalten Umgebung. Sein Elternhaus war völlig verlassen, die Welt schien eingeschlafen, zugedeckt von Eiseskälte. Es dämmerte bereits. Das Kind lief immer noch durch alle Flure, öffnete alle Türen, ging barfuß durch den Garten, saß am Teich und beobachtete seine Atemwolken. Plötzlich, ganz leise und unbemerkt berührte ihn etwas am Gesicht. Als er hochsah begannen die Götter weißes, kaltes Pulver vom Himmel regnen zu lassen. Als Ninja schlief er selten und wenn, dann war sein Schlaf leicht und oberflächlich. Man lernte es irgendwann dennoch ausgeruht und fit zu sein. Irgendwann hatte er sich die Wache nicht nur mit dem Magier, sondern auch mit dem Bengel geteilt. Und irgendwann war es ihm möglich gewesen sich auszuruhen, egal wer grade Wache hatte. Der Magier würde zumindest die Kinder beschützen und der Bengel wurde von Tag zu Tag stärker. Auch wenn Kurogane nicht tief schlief, konnte er dennoch seinen – durch seine Reisekameraden eh sehr strapazierten – Nerven Ruhe gönnen. Dennoch passierte es manchmal, dass er weiterschlief, obwohl alle um ihn herum schon wach waren. Auf jeden Fall würde er eine mögliche Gefahr spüren und aufwachen, wenn sich ihre Stimmen auf einmal anders anhörten, plötzlich laut oder ängstlich wurden, oder ganz verschwanden. Doch es war dem Krieger mehr als ein einziges Mal passiert, dass er die Augen öffnete und der Junge direkt neben ihm ihre Ausrüstung zusammenpackte. Oder das Mädchen mit scheuem Lächeln über ihm stand und gerade die Hand ausgestreckt hatte, um ihn vorsichtig zu wecken. Das verdammte Manju schlich sich ja eh ständig unbemerkt unter seine Klamotten. Diesen Morgen war das erste, was er sah die Prinzessin. Mit einem besorgten Lächeln stellte sie gerade große, gelbe Blumen in eine schmale weiße Vase auf einen unglaublich hässlichen grünen Klapptisch. Erleichtert atmete der Krieger aus. So tief wie sein Schlaf diesmal gewesen war, hätte sonst etwas passieren können. Auch wenn er es vor sich nicht zugegeben wollte, er hatte sich an seine Reisekameraden gewöhnt und obwohl sein größter Wunsch immer noch nach Japan zurück zu kehren war, hatte er auch beschlossen diese Kinder zu beschützen, auch wenn er sich nicht dazu verpflichtete ihr Leben um jeden Preis zu schützen. Nur so weit es eben gerade ging - auch das weiße Tier und den Idioten. Wo war dieser eigentlich? Er drehte den Kopf, sah eine wirr und asymmetrisch gekachelte Zimmerdecke, an der trüben leuchtenden Glasröhren hängen. Es roch stechend, blutig und gleichzeitig ekelig sauber. Er drehte den Kopf weiter und sah hinter Sakura den Magier in einem Bett schlafend. Da er den Kopf weggedreht hatte, konnte man nur den blonden Schopf und die Verbände ausmachen. Das Mädchen arrangierte die Blumen sorgfältig und hielt inne. Irgendwas schien sie schon wieder zu beschäftigen und jetzt wo sie dachte sie beide würden schlafen, verlieh sie ihrer Trauer Ausdruck. Er musste aufpassen, nicht, dass sie auch noch so eine Schauspielerin wie der Magier wurde. „Oi.“, machte er auf sich aufmerksam, stellte jedoch gleichzeitig verärgert fest, dass das Rauschen in seinen Ohren immer noch zu laut war, um seine eigenen Worte zu verstehen. Das braunhaarige Mädchen zuckte heftig zusammen und sah ihn erst erstaunt, dann aufgeregt an. Eilig begann sie irgendetwas zu plappern und war dann aus seinem Sichtfeld verschwunden. Kurogane richtet sich auf. Sein ganzer Körper schmerzte und sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit einer flüssigen Manjuumatsche gefüllt. Wo war das Ding überhaupt? Und der Bengel? Irgendwo in der Nähe des Mädchens oder mal wieder auf der Suche nach der Feder? In was für einer Welt waren sie eigentlich diesmal? Plötzlich wurde er unsanft gepackt und auf die Liege zurück gedrückt, gleich darauf mit einer hellen Lampe ins Auge geleuchtet und mit harten Druck sein Puls gemessen. Dieser grobe Umgang und das Gesicht eines hämisch grinsenden Arztes im Kittel mit Nickelbrille brachte seinen Gehirn auf den neusten Stand der Dinge und er erinnerte sich: Sie waren auf der Krankenstation, im 'Bambushain', in dieser schrecklichen Welt, deren Namen er schon wieder vergessen hatte. Als Dr.Kyle endlich fertig mit der schmerzhaften Untersuchung war, tätschelte er ihm auf die Schulter und verließ ihn, ohne dass Kurogane verstanden hatte, was er ihm gesagt hatte. Das Mädchen wollte sich noch zu ihm beugen und trug einen besorgten, fragenden Gesichtsausdruck, doch Dr. Kyle kam zurück, packte seine Gehilfin am Arm und zog sie von dem Krieger fort. Endlich allein stand dieser auf und ging, noch etwas unsicher auf den Beinen, zum Bett des Magiers. Wieso waren sie hier? Er konnte sich nur noch wage an den Streit mit dem Alten erinnern. Sie waren weggeschickt worden, nun waren sie im Lazarett des Hains. Er erkannte die Schrift und das seltsame dicke Männchen mit dem Nudelteller wieder, also war es keine andere Welt und die Kinder auch nicht bei ihnen. Er ärgerte sich, dass er sich durch seine Bitte so erniedrigt hatte. Zwei Tage. Zumindest hatte es etwas gebracht. Er sollte seinen Stolz nicht über die Personen stellen, die er beschlossen hatte zu beschützen, das wäre doch der Wille seines Vaters gewesen. Aber er wollte niemand anderes als Tomoyo beschützen... er wollte... genervt schob er diesen Gedanken bei Seite, er würde sich später darüber Gedanken machen. Der Magier sah verflucht blass aus und ein dicker Verband verbarg die Hälfte seines Gesichts. Er trug einen dieser ekelhaft rauen, übergroßen Flickenpullover, die gängige Tracht hier unten, und hatte den Kopf von sein Bett weg zur Wand gedreht. Neben ihnen befanden sich noch fünf weitere Patienten auf der Station, aber Kurogane würdigte sie nur eines kurzen Blickes. Die meisten schliefen oder sahen nicht in ihre Richtung. Er streckte seine Hand aus, um den Puls zu fühlen, doch in diesem Moment öffnete der Magier sein verbleibendes Auge und sah ihn direkt an. Er hatte gar nicht geschlafen. Sein Gesicht glänzte feucht und zitternd griff er nach Kuroganes ausgestreckter Hand. Ihre Hände waren beide vollständig bandagiert und ein wenig blutig, die sonst so feine Motorik der schlanken Hände wirkte irgendwie ungeschickt, als der Magier dennoch sanft über Kuroganes strich. Kurogane zog kritisch die Augenbrauen zusammen. Der Magier lächelte schwach. Die blassen, schmalen Lippen bewegten sich und das einzelne blaue Auge füllte sich mit noch mehr Tränen, die scheinbar endlos unter der feuchten Wimper hervor über die Wangen und seinen Hals hinunter flossen. Kurogane reagierte nicht. Immer und immer wieder sagte der Magier irgendetwas, doch Kurogane konnte es nicht hören. Es war wie in seinem Traum. Irgendetwas war da, irgendetwas wichtiges. Doch er ging nur durch leere Gänge und fand niemanden. Er konnte einfach nur fest diesen Blick erwidern, der ihm wie nichts anderes von diesem Mann, unter die Haut ging. Sein Herz raste in seiner Brust, flüssiges Adrenalin durch seine Adern. Selbst als sie miteinander geschlafen hatten war nicht so viel Gefühl, so viel Offenheit, ja, fast Kindlichkeit in dem wasserblauen Blick des Mannes gewesen, mit dem er reiste und der scheinbar so viele Geheimnisse hatte. Ein wenig zu heftig für das Wohlergehen seiner Schnittwunden schüttelte er den Kopf und deutete mit seiner freien Hand auf seine Ohren. Endlich schien der andere Mann verstanden zu haben und sein verzweifelter Blick wandelte sich hin zur sanften Besorgnis. Der Ninja spürte ein Zupfen am Ärmel und beugte sich runter, in nächsten Moment lagen warme, bandagierte Hände auf seinen Ohren und dann stürzte der Lärm der Welt auf ihn ein. Der Krach im Hain war nach all der Stille wirklich unerträglich. Die Geräte auf der Station piepten, von draußen kam der gesamte Schwall aus Stimmengewirr, Echo, Knarzen der Stege, Getrampel auf den Gängen, Gespräche, Feuerknistern, Musik und von fern der Klang von Wasser zu ihnen heran, in seinen Gehörgang und kollidierte schmerzhaft mit seinem Gehirn. Er zischte und hielt sich erst einmal die Ohren zu, die Hände des Magiers dazwischen. Neben ihnen schnarchte ein Patient und irgendwo schimpfte die markante, grobe Stimme des Doktors. Er brauchte ein wenig, um sich auf den Lärm einzustellen und sah wieder zum Magier. Dieser setzte gerade an etwas zu sagen und Kurogane erwartete schon, wenigstens etwas angenehmes zu hören, doch was immer es war, heute sollte es der Krieger nicht zu hören bekommen. Denn der blonde Mann schloss den Mund einfach wieder und lächelte, ohne etwas gesagt zu haben. Kurogane drängte ihn nicht weiter, sondern setzte sich von plötzlicher Erschöpfung übermannt auf die Liege und schloss für einige Momente die Augen. Nur ein wenig Ruhe, dann würde er zu diesem Alten gehen und herausfinden was geschehen war. „Kuro-pon...? Geht's dir gut?“ „Klasse...“, erwidert er ironisch und seufze schwer. „Wir können zwei Tage bleiben... dann müssen wir wohl von hier verschwinden...“ „Ah.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die zwei Tage vergingen rasch, doch der Magier schien über immense Selbstheilungskräfte zu verfügen und auch Kurogane sprach gut auf Dr.Kyles etwas brutale Behandlung an. Bereits am Abend ihrer Ankunft war ihr Fieber gesunken und der Blutmangel durch eine 'Bluttransfusion' ausgeglichen worden. Bei dem Gedanken, das Blut eines Fremden in sich zu tragen, war Kurogane immer noch etwas komisch zumute, aber besser als sterben allemal. Souma hatte den Krieger bei sich aufgenommen, der es nach einer Zeit einfach nicht mehr in der überfüllten und lauten Krankenstation ausgehalten hatte. Nun saß Kurogane auf einem Sitzkissen vor einem niedrigen Tisch und trank aus einer Tasse, die aussah als wäre sie selbstgetöpfert, etwas was sich Kaffee nannte. In Outo hatte er bereits so etwas getrunken, aber das hatte viel süßer geschmeckt. Sicherlich hatte dieser verdammte Magier wieder mal löffelweise Zucker reingeschüttet. Souma legte gerade Wäsche zusammen und kümmerte sich nebenbei um das knatschige Kind. Er hatte sie bereits eine ganze Weile angestarrt, als sie seinen Blick erwiderte und geradeheraus fragte, was er gerade dachte. „Nichts.“ „Das ist schon ne Leistung.“ „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass du so ein Leben führst“, antworte er offen heraus und sah gerade noch ihren bitteren Blick, bevor sie wieder das Kind ansah. „Man kann wenig selbst bestimmen, hm? Das einzige was sich ändert, ist die Einstellung mit der man an die Dinge heran geht. Ob man an ihnen wächst oder zerbricht, ob man sie aushält oder zu einem Teil von sich macht... das ist die einzige Entscheidung, die man manchmal fällen kann. Doch ich glaube... “, gedankenverloren legte sie seinen Umhang zusammen, „das sind die Entscheidungen, die das Leben ausmachen. Die Entscheidungen machen mich zu dem was ich bin, nicht die Ereignisse.“ „Das brauchst du nicht zusammenfalten, wir sind doch in ein paar Stunden schon weg“, murmelte er und trank noch einen Schluck von diesem gar nicht so scheußlichen Gesöff. Irgendwie war ihm diese Vertrautheit gerade unangenehm. Auch wenn er mit der Souma aus seiner Welt gut befreundet war... Sie lächelte nur melancholisch, „Natürlich. Der Älteste bittet dich übrigens noch einmal zu ihm zu kommen, bevor ihr geht.“ Kurogane schnaubte verächtlich. „Bitte..“, Souma sah ihn direkt an und obwohl der Ton bittend klang, war ihr Blick fest und sicher. „Ich kann mir vorstellen, dass du sehr wütend auf ihn bist, aber er tut nur das, was er tun muss. Er trägt die Verantwortung für viele Leben." "Jaja..." "Warte, ich zeige dir etwas.“ Sie kniete sich zu ihm an den niedrigen Tisch und krempelte ihren Ärmel hoch. Schwach konnte er unter ihren braunen, weichen Haut die Konturen des Gerätes sehen, das auch er nur zu deutlich unter seinen Bandagen spürte. Sie drückte daran herum und auf einmal projizierte sich ein weißes Viereck vor ihnen auf den Tisch. Genau wie das weiße Manjuu es immer tat. Kurogane hatte schon Angst zu allem Überfluss auch noch das Gesicht dieser schrecklichen Hexe zu sehen, doch statt dessen sah er kurz darauf den Eingang des Hains und ... sich selbst mit dem Magier, den Alten und die vielen Wachen. Er zog die Augenbrauen zusammen, was war das denn? Es war wie er es in Erinnerung hatte. Er wurde von zwei Männern gestützt, der Magier bewusstlos, Blut auf den Boden und Storm, dieser Affe, redete auf den Ältesten ein. „Was ist das?“ „Ein Videorecord.“ „Eine Wideoh-was?“ „Alles im Lager wird gefilmt. Stell es dir vor wie ein mechanisches Auge und das ist seine Erinnerung.“ „Warum macht ihr das, das ist doch genau das, was euch oben stört.“ „Alles in dieser Stadt wird überwacht. Würden wie die Kameras abschalten, bemerkten die Überwachungssysteme das.“ „Ah.“ „Aber keine Sorge, sie sehen nicht, was hier vor sich geht. Wir spielen immer Bilder ein, die diese Ruinen leer aussehen lassen.“ Die junge Frau sparte sich weitere Erklärungen, denn der Krieger hörte ihr schon längst nicht mehr zu. Angestrengt sah er auf die flimmernden Bilder, das war wohl so was wie die Übertragungen in Piffle, und versuchte zu sehen und zu hören was da vor sich ging. Gerade sah er sich selbst, wie er sich von den Wachen losriss und auf den Alten zuging. „Was ist hier los?“, hörte er sich nun endlich auch das erste Mal sagen. Der Alte schüttelte nur resigniert den Kopf. „Es tut mir Leid, ihr müsst wieder gehen. Wir können euch hier nicht helfen.“ So weit hatte er sich das auch denken können. Wenn Souma ihn beruhigen wollte, war das definitiv in die Hose gegangen. Von erneuter Wut gepackt, ballte er die Hände zu Fäusten. Sein kleines Selbst auf der Projektion drehet sich um und ging zum bewusstlosen Magier. Und dann geschah etwa seltsames, woran er sich gar nicht erinnerte. Der Magier war wach und griff nach seinem Unterarm, woraufhin er sich runterbeugte. Dieses „mechanische Auge“ war zu weit weg, als dass er ihre Gesichter gut erkennen konnte, doch er sah definitiv, dass Fye ihn etwas nach unten zog und er der Bitte nach kam. Erst ganz unbemerkt von ihm strich der Blonde ihm übers Gesicht und er zuckte doch tatsächlich zusammen! Nun, das konnte am Fieber und am Gift gelegen haben, sonst wäre ihm so etwas nie passiert. Ein wenig zitternd legten sich die blutigen Hände auf seine Schläfen und wenige Sekunden später drehte er sich um und funkelte wieder zu dem Alten, auf den mittlerweile Storm wieder einredete. . „Ich habe es doch schon so oft gesagt... ich sehe keinen Zweck mich dauernd zu wiederholen, Storm. Es geht nicht“, sagte der Alte gerade müde. Storm ballte die Faust, als wollte er ihn schlagen. „Aber sie sind verletzt! Kyle soll sie sich ansehen.“ Der Alte schwieg. „Du...“, Storm biss sich wütend auf die Lippe, sein Körper zitterte und verzweifelt sah er zu dem Blonden, der bei Bewusstsein war, doch nun gegen die Decke starrte. Er selbst schien immer noch ein wenig weggetreten zu sein. Ja, warum tat er denn nichts?! „Du kennst die Regeln genau so gut wie ich. Wir haben sie nur hier aufgenommen, weil du deine Hand für Fye in Feuer gelegt hast. Doch so kurz vor der Kontrolle, können wir sie nicht hier einquartieren. Das Leben Vieler wiegt schwerer als das von Zwein, auch wenn sie zu uns gehören.“ Endlich ging der Projektions-Kurogane mit festen Schritten nach vorne und packte den Greis am Kragen. „Wir können nicht hier bleiben? Was soll dieser ganze Scheiß von wegen 'Familie', solidarisches Miteinander der Aussteiger? Ihr verachtet die Oben, weil sie sich regieren lassen? Weil sie sich kontrollieren lassen und leer sind? Ich habe eure Gespräche gehört und wisst ihr was, ihr seid genau so leer und falsch wie die, die ihr verachtet. Wenn ihr uns jetzt hier stehen lasst, wenn er ihn“, Kurogane deutete auf den Magier, „einfach im Stich lasst, nachdem wir uns den Arsch für euch aufgerissen haben, nachdem er sogar bei euch bleiben wollte, so sehr hat er auf euch vertraut, ein Fremder! Und ihr? Ihr zieht den Schwanz vor diesen Industriellen ein, ihr lasst euch noch mehr kontrollieren als sie und verratet euch gegenseitig. Das ist ein Armutszeugnis. Wenn du nicht sofort diesen verrückten Arzt rufen lässt, dann schwöre ich dir, wirst du dein faltiges Gesicht im Spiegel nicht mehr wiedererkennen!“ Er befürchtete fast, dass der Alte vor Schreck gestorben wäre, doch dann öffnete er seine alten Augen und sah ihm direkt ins Gesicht. Gebannt starrte der „echte“ Kurogane auf das Gesicht des Alten, doch es flimmerte zu stark, er konnte es nicht genau erkennen. Der schwarzhaarige, teilweise kahle Kopf sah von dem Krieger zu Storm und sagte dann. „Zwei Tage.“ Kurogane ließ ihn zu Boden fallen. Sofort halfen ihm die zwei Mädchen hoch, tupften seine schweißnasse Stirn mit einem bunten Tuch ab und trugen ihn davon, während eilig nach Dr. Kyle gerufen wurde. Dann endete die Aufnahme. Verwirrt sah Kurogane zu Souma. „Was soll das, warum zeigst du mir das?“ „Ich weiß nicht wie viel du mitbekommen hast, aber die Entscheidung fiel uns wirklich schwer. Du weißt nicht, was für Konsequenzen es für uns haben kann, wenn ihr hier entdeckt werdet.“ Ein wenig sauer stand der Ninja auf. „Auch wenn ich nicht ganz bei Sinnen war, ich weiß noch genau was passiert ist. Garantiert nicht das da. Der Magier hat mich erst später geheilt.“ Er stockte. Er hatte nicht hören können und der Magier hatte ihn nur durch Handauflegen geheilt... hatte er Magie benutzt? Aber er hatte doch gesagt er wüsste nicht wie... ? Er peilte gerade mal wieder gar nichts, aber wenn er nun schon wieder darüber nachdachte, würde er Kopfschmerzen bekommen. „Ich bin beim Alten“, brummte er ihr nur noch zu und ging. Die unzähligen Stege und Leitern, die er bis nach unten klettern musste, waren ihm schon bekannt. Auch die meisten Gesichter, an denen er vorbei kam. Scheinbar war in diesem Durcheinander an Menschen, schreienden Kindern und Feuern doch so etwas wie Ordnung. Bevor er in das Zelt eintrat, betrachtete er noch einmal seinen Unterarm, von dem er die Bandagen herunter gerissen hatte. Das Ding unter seiner Haut zeichnete sich nur ein wenig rot ab, weil die Haut um es herum verwundet war, tiefe Schnitte und Schürfwunden, aber sonst hätte man es wohl nicht gesehen. Doch Kurogane spürte den Fremdkörper, so bald sie die Kinder gefunden und diese Welt verlassen hatten, würde er sich dieses Ding selbst rausschneiden müssen, denn keine Sekunde länger als nötig wollte er etwas von dieser vermaledeiten Technik in seinem Körper haben. Das Zeltinnere hatte sich seit seinem letzten Besuch nicht sehr verändert. Immer noch lagen Bücher scheinbar unbenutzt herum, immer noch zahlreiche Flickendecken und der Alte saß in exakt der selben Position vor der selben Schüssel mit einer vermutlich nicht ganz der selben grünlichen, dampfenden Flüssigkeit. Nur die beiden Mädchen sahen ihn nun nicht mehr freundlich, sondern fast etwas ängstlich an. Kurogane gab ein verächtliches Schnaufen von sich und setzte sich hin. „Ich bin hier um diese scheiß Informationen gegen den Aufenthaltsort der Kinder zu einzutauschen.“ „Informationen?“, antworte ihm der ältere Mann freundlich und benebelt. Wut kochte in dem Krieger hoch, in dieser Welt hatten doch alle einen gewaltigen Schatten. Es würde ihn nicht wundern, wenn Fyes Heimatland genau so belämmert wäre, schließlich schien er sich hier ja wohlgefühlt zu haben. „Das hier.“ Er hielt ihm seinen nackten, verkratzten Arm hin und der Greis beugte sich mit einem leisen Knirschen, das wohl von seinem Rücken oder seiner Hüfte kam, vor und betrachtete ihn, als wäre er ein seltenes Stück Tuschemalerei. „Hm.. hm... ja.. ich sehe. Das ist ein starker, schöner Arm.“ Langsam verlor er die Geduld. „Verdammt noch mal, sie sind in diesem Scheißteil unter meiner Haut!“ „Ah so, ah so.“ Er winkte und eines der Mädchen verließ das Zelt. Wenige Minuten später kam sie mit einer kleinen Box wieder und stellte sie vor Kurogane hin. In ihr befanden sich zwei seltsame Plastikkarten. „Was soll das denn?“ „Das sind ID-Chips.“, erläuterte das Mädchen. „Sie geben euch eine Identität, mit der ihr in das Viertel der Industriellen eindringen könnt. Es ist für normale Bürger strengstens gesperrt, aber da eure Strahlung nicht registriert ist, müsstet ihr in der Lage sein nicht von den Sicherheitssystemen erkannt zu werden. Dies sind die Identitäten von entfernten Verwandten der Hauptfamilie „EX“. Wir werden euch einen Führer zur Verfügung stellen, der euch bis an die Tore der nächsten Stadt bringt. Ab da seid ihr auf euch allein gestellt, aber die Personen, die ihr sucht sind ganz sicher dort.“ „Ah.“, sagte Kurogane nur und nahm die Plastikkarten entgegen. „Du musst sie über deinen Arm halten.“ „Was ist mit diesem verdammten Magier? Er hat so ein Ding nicht.“ „Seit gestern hat er so etwas. Seht es als Entschuldigung an, dass wir euch nicht länger beherbergen können.“ Der Magier schlief tief und Kurogane nutzte die letzten Stunden, um ein wenig im Hain herum zu streunen. Sie würden nie wieder an diesen Ort kommen und er würde sein Möglichstes tun, um ihn zu vergessen. Doch er wusste, dass das allein schon wegen dem, was er mit dem Magier hier erlebt hatte, nicht gehen würde. Doch auch in der kleinen Zimmer von Souma, das mal ein Geschäft gewesen war, und von dem ständigen Gequengel des Blags, war er bereits eine Stunde nach seiner Rückkehr vom Ältesten völlig entnervt gewesen. Ohne es zu merken kam er wieder zu diesem Wandteppich, und obwohl es verboten, war schlüpfte er einfach hindurch und ging den stinkenden Gang entlang. Doch blieb er überrascht stehen, als er dort ausgerechnet Hime sah, die am Rand der Masse saß und kleine Setzlinge in die gummiartige Erde setzte. „Oi.“ Das Mädchen sah auf und lächelte scheu. „Hallo.. wie... geht es deinen Wunden?“ „Gut“, antwortete der Ninja knapp, „was tust du da?“ „Ich pflanze Blumen. Fye hat mir Samen gegeben, die selbst in dieser Erde wachsen! Die Blumen auf der Krankenstation sind auch von hier. Der Boden ist ein sehr guter Nährboden für die richtigen Planzen. Shaolan und ich versuchen gerade etwas anzubauen.“ Hinter einem Hügel tauchte in dem Moment auch scheu lächelnd der Junge auf. „Guten Tag“, grüßte er höflich. Er hatte einen Schutzanzug an und Gummistiefel bis zu den Knien. Souma hatte ihm einmal demonstriert wie gefräßig diese Masse war, man konnte sicher verdammt schnell von diesem Leichenberg verschluckt werden, wenn man nicht aufpasste. Warum ließen sie das die Kinder machen? „Sind hier keine Erwachsenen?“ Ertappt senkte Hime den Blick und wurde rot. Also waren sie heimlich hier. „Was machst du denn hier?“, fragte das Mädchen scheu, um vom Thema abzulenken. „Geht dich nichts an“, maulte er ungemütlich und sah wie sie zusammen zuckte. „Ah... ich hab ein Ort zum Nachdenken gesucht“, gab er dann doch etwas sanfter zu. Auch wenn sie nicht Sakura war, irgendwie mochte er das Mädchen doch. „Ah so... wir können gehen, wenn es dich stört...“ „Nein.“ „Und... könntest du vielleicht auch niemanden sagen, dass wir hier sind?“ „Kannst du mir sagen, was mit diesem Idioten nicht stimmt?“ „Eh?“ „Fye?“ „Ah.“ „Woher sollen wir-“ „Er ist länger hier als ich, wie kam er hierher? Er hat doch nicht einfach an die Türe geklopft und gesagt 'Hallöchen, hier bin ich'.“ „Na ja, eigentlich schon... Storm hat ihn mitgebracht...“, gab das Mädchen etwas eingeschüchtert von sich. „Er hatte Ärger mit einem der Kontrolleure, weil er keine Strahlung ha-“ „Hime!“, unterbrach sie Shaolan, der mittlerweile hinter sie getreten war und seiner Adoptivschwester eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. „Aber Shaolan... ich fühle, dass er nichts böses will...“ „Dennoch...“ Fest sah er dem Jungen in die Augen, der seinen Blick entschlossen erwiderte. „Ich habe nichts Böses vor, ich mache mir nur Gedanken... Vor allem weil hier so ein Geheimnis draus gemacht wird.“ „Wenn jemand überhaupt keine Strahlung hat, kommt er wahrscheinlich aus den Laboren“, sprach Hime, ihren Bruder mit einem entschuldigenden Lächeln übergehend, weiter. Scheinbar hatte die Sakura dieser Welt ihren eigenen Kopf. Oder es war einfach etwas, was man hier automatisch mitbekam. „Diese Leute sind sehr wertvoll für EX. Sie müssen ihre Identität geheim halten, sonst können sie leicht verraten werden. Da du uns fremd warst, hat niemand vor dir darüber geredet. Schließlich bist du damals auch verschwunden... wir dachten... dass du ihn vielleicht zurück holen wolltest...“ „Ich war auch schon einmal hier?“ Wohl eher sein Ebenbild. „Vor zwei Jahren.“ Nachdenklich starrte der Ninja auf diese komische Masse. Jetzt wusste er, warum die Hainbewohner sich so seltsam benahmen, aber bezüglich des Magiers erklärte das gar nichts. Das waren ihre Ebenbilder gewesen, mehr nicht. Schwer seufze er. Er würde doch auf die Erklärungen des Magiers hoffen müssen. „Alles in Ordnung?“, fragte das Mädchen in ihrer typisch besorgten Art. Hinter ihr gluckerte die Masse und es hörte sich fast etwas protestierend an. Wurde er jetzt endgültig verrückt? „Ja, eigentlich schon. Ich verliere nur den Verstand“, sagte Kurogane und verschwand wieder hinter dem Vorhang. Hime sah ihren Bruder fragend an, der etwas finster dem Fremden hinterher schaute. Doch als er sich ihres Blickes bewusst wurde, zwang er sich zu einem Lächeln und setzte fort die Masse urbar für die Blumensamen zu machen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kurogane lief noch bis abends rastlos im Hain umher. Scheinbar hunderte von Augen beobachteten ihn auf seinem Weg. Neuigkeiten sprachen sich hier wirklich schnell herum und alle wussten, dass sie aus dem Lager verstoßen werden würden, dass sie eine Gefahr darstellen. Kurogane hatte nicht viel zusammen zu packen, er wurde von Japan weggeschickt, lediglich mit einem Schwert. Und auch diesen Ort würde er nur mit einem Schwert und dem Magier im Schlepptau verlassen. Als er an den Vorhang trat, der das ehemalige Geschäft, in der Souma und ihr Kind ihre Bleibe hatten, von dem restlichen Betrieb auf dem Stockwerk abgrenzte, stieg ihm sofort der Geruch von gebratenem Reis in die Nase. Einen Moment erschien tatsächlich so etwas wie blanke Überraschung auf den Gesichtszügen des Ninjas, doch im nächsten Moment hatte er sich wieder unter Kontrolle und sah sie grimmig an. Souma, ganz wie die Ninja in seiner Welt, lächelte einfach nur wissend und füllte ihm eine Schüssel mit dampfenden Reis mit Gemüse. „Willst du im Stehen essen?“ Ohne zu antworten ging Kurogane auf den niedrigen Tisch in der Mitte des Zimmers zu und setzte sich davor. Schweigend begann er zu essen. Der Reis war grobkörnig und doch etwas matschig, das Gemüse nicht durch irgendwelche Soßen oder überflüssige Gewürze verdorben. Es schmeckte wie das Essen in seiner Heimatwelt. Jeder Geschmack für sich, klar und unverfälscht. Keine Mischformen. Die Frau, die in Japan seine Mitstreiterin war, hier lediglich eine Fremde mit dem selben Gesicht, hatte sich vor ihm auf den Boden gesetzt und sich leicht auf den Tisch gelehnt. Das andere Mal als sie in dieser Weise hier zusammen saßen, hatte sie einen undenkbar kurzen Rock und eine rote Bluse getragen, die ihre Brüste betonte. Diesmal trug sie einen langen, braunen Wickelrock und darunter feste Stiefel. Der Pullover aus weitem, braunen Stoff und bunten Flicken ließ ihren vollweiblichen Körper beinahe verschwinden und das Tuch um den Hals hüllte sie fast vollkommen ein. Sie sah ihn mit selbstbewussten, rehbraunen Augen an, als würde sie irgendetwas erwarten. Der Krieger dachte an die Worte, die sie ihm gesagt hatte, bevor er zu dem Greis ging, der über die Leute hier bestimmte. Sie war vielleicht nicht die Souma aus seiner Welt und wahrscheinlich auch keine besonders geschickte Kriegerin, aber ohne Zweifel, diese Frau war stark. „Danke“, brachte er heraus und aß weiter. „Hat euch der Alte erklärt, warum ihr weggeschickt werdet?“ „Nicht wirklich...“ „Ihr seid gefährlich für das Lager, weil ihr aus den Laboren kommen könntet“, erklärte sie ihm. „Wir kommen aus keinem verdammten Labor, wir kommen aus einer ganz anderen Welt!“ Nun wirkte seine Gesprächspartnerin etwas verwirrt, doch sie zweifelte seine Worte anscheinend nicht an. „Bisher seid ihr relativ ungefährlich gewesen. Du und Fye hattet keinerlei Strahlung. Das heißt, ihr seid von den Überwachungssystemen lediglich als Maschinen erkannt worden und die unterstehen alle dem Befehl vom „EX“. Das Überwachungssystem ist zwar flächendeckend fast perfekt, aber es gibt im Detail sehr viele Lücken. Es wurde System über System installiert und alles überlappt sich, so dass es niemand mehr kontrollieren kann. Doch seit ihr in den Lagerhallen verletzt worden seid, ist ihnen eure Existenz bekannt. Maschinen verlieren selten Blut. Ein Wesen ohne Strahlung ist normalerweise jemand, der im Labor geboren wurde oder sich länger dort aufgehalten hat. Es steht unter Todesstrafe so jemanden vor den Industriellen zu verbergen. Wir leben im Untergrund und die Sicherheitskräfte decken uns gegen Bestechung, aber euer Hiersein wird uns in große Schwierigkeiten bringen.“ „Warum erklärst du mir das alles überhaupt? Kann dir doch egal sein.“ „Ich will, dass du überlebst.“ „Warum?“ „Ich mag dich.“ Er sah sie ein wenig irritiert und vielleicht was verlegen an. Er konnte nicht von sie auf die Souma seiner Welt schließen, aber dennoch konnte da eine Verbindung sein, oder? „Was ist diese verdammte Strahlung überhaupt?“, wechselte er das Thema. Denn auch wenn es ihn aufregte, er musste sich wohl oder übel mit der Technik dieser Welt auseinandersetzen, seine Feinde musste man kennen, wenn man gegen sie bestehen wollte. So eine Niederlage wie vor zwei Tagen wollte er nicht noch einmal wegstecken müssen. „In diesem Land werden alle mit einem bestimmtem Maß an Lebensenergie geboren, die... verdreckte Erde und Luft saugt sie uns aus, bis wir sterben. Diese Unregelmäßigkeit in der Lebenslinie können gemessen werden und wird hier 'Strahlung' genannt.“ „Das heißt, wenn ihr woanders leben würdet, wäret ihr unsterblich?“, ein wenig ungläubig zog Kurogane die Stirn kraus. Das war doch nicht ihr Ernst? Dann wären sie Götter und selbst die Menschen in Hanshin, die mit Göttern Seite an Seite lebten, waren nicht unsterblich gewesen. „Nein, nur würden wir sehr viel älter.“ „Und weil wir beinahe gestorben wären, wissen die nun, wer wir sind?“ „Nicht wer ihr seid, sie erkennen euch nur wieder. Also sei bitte vorsichtig, Kurogane.“ „Sei bitte vorsichtig, Kurogane“, äffte eine Stimme vom Eingang her die braunhaarige Frau nach. Kurz strömte Licht in den schattigen Raum, dann erkannte der Ninja diesen nervigen Doktor. „Dein blonder Schönling ist aufgewacht und zusammengeflickt. Außerdem kam gerade die Order von dem Ältesten, dass ihr die Hufe schwingen sollt und abhauen. Wir haben Informationen bekommen, dass heute Abend die Wacheinheit vorbei kommen soll. Souma, bleib hier oben, Kleines.“ Mit Schwung setzte sich der Arzt an den Tisch, nahm sich den Rest von dem Reis und begann schmatzend zu essen. Souma biss sich etwas auf die Lippen, sah ihren Mann jedoch nicht an. Kurogane konnte fast so etwas wie Dankbarkeit und auch etwas Schuld in ihren Augen erkennen. Der Krieger stand auf und griff nach Souhi. „Wir gehen.“ „Ciao~“, summte der Doktor und putzte kauend seine Nickelbrille. Am liebsten hätte Kurogane ihm dieses überhebliche Grinsen aus dem Gesicht gewischt, doch statt dessen verließ er ohne ein weiteres Wort das Geschäft. Bevor der Vorhang vollständig zu fiel und das Innere verbarg, sah er noch, dass Kyle aufgestanden war und der auf dem Boden hockenden Souma sanft im vorbei gehen über das Haar strich. Fye wartetet schon an der Krankenstation auf ihn. Sein Auge, Hals und Hände waren mit verwaschenem, aber strapazierfähigen Stoffverband verbunden und sein Haar hatte immer noch einen leicht orangen Stich, obwohl es frisch gewaschen war. Er lächelte müde, doch Kurogane zog ihn einfach zum Abstieg hin und ging dann vor, um den Verletzten notfalls aufzufangen, sollten ihm die Kräfte verlassen. „Komm schon.“ „Auch dir einen wunderschönen guten Morgen, Kuro-wanwan“, gab der andere Mann in einem nervigen Sing-sang von sich. „Es ist fast Abend, du Idiot.“ „Wirklich, dann habe ich wohl sehr lange geschlafen.“ „Und sehr schlecht, du hast Augenringe.“ Kritisch betrachtete Kurogane Fyes Gesicht. Bis heute Morgen hatte er ihn nur schlafend gesehen und da war es ihm nicht aufgefallen, aber der eh schon blasse Mann hatte fast krankhaft dunkle Schatten unter den Augen. „Das macht das Gift der Phagen“ Fye hob die Hände und tastetet unter seinen verbundenen Auge herum, konnte jedoch durch die Verbände nichts spüren und ließ die Hand wieder sinken. Anschließend seufze er und machte eine wegwerfende Handbewegung, „Ich strotze halt nicht vor Gesundheit wie ein gewisser dunkelhaariger Schwertträger.“ „Immerhin kannst du nach so was noch laufen. Deine Selbstheilungskräfte müssen enorm sein.“ „Oder die Medizin hier.“ „Oder die Medizin.“ Sie kamen ohne Schwierigkeiten unten an, wo sie auch schon ein Trupp Schwerbewaffnete empfing, unter denen sich auch Storm befand. Schweigend wurden sie zum Hainausgang geleitet. Sie wechselten kein Wort, während sie den Vorplatz überquerten. In den oberen Stockwerken des ehemaligen Einkaufszentrums wirkten alle zu beschäftigt, um sie zu beachten, doch hier waren alle Augen auf sie gerichtet. Sie waren längst keine Bewohner des Hains mehr, auch keine Gäste, nur noch Fremde, die nicht hier her gehörten. Kurogane war nie einer von ihnen gewesen und nun war auch Fye offiziell nicht mehr Teil seiner 'Familie'. Familie, dass er nicht lachte. Der Blonde hatte für seinen Geschmack eine zu ausgeprägte Tendenz alles mögliche zu seiner Familie machen zu wollen. Fye strauchelte etwas und der Ninja stützte ihn, indem er ihn am Arm im festen Griff hielt. Das dankbare Lächeln sah er nicht, sein Blick war steif auf den Ausgang gerichtet. Genau so wie vor zwei Wochen öffnete sich die schwere Eisentür knarrend und gab den Blick auf den von Eisenträgern durchbohrten U-Bahnschacht frei. Von oben drang etwas Licht, neongefärbt von Leuchtreklamen. Ansonsten lag alles in Dunkelheit. „Fye.“ Dieser Affe von Storm beugte sich zu dem Magier und griff nach seiner Hand, doch der Magier lächelte nur. Ein Lächeln, das Kurogane unmissverständlich als absolut falsch erkannte. „Was denn?“ „Nach der Durchsuchung kannst du wieder kommen... der Alte sagte, dass er bei dir eine Ausnahme machen könnte, weil du an so vielen Missionen teilgenommen hast...“ Kurogane verdrehte die Augen. Noch eine Lüge. War Lügen hier ein notorischer Zwang? „Nein Danke“, erwiderte der Magier im warmen Ton. „Ich bin dir wirklich dankbar für das, was du all das für mich getan hast, aber ich will nicht wieder kommen.“ Nun wirkte Storm etwas vor dem Kopf gestoßen. „Aber... du hast doch gesagt, du wolltest das hier gerne als deine Familie sehen.“ Wie konnte ein erwachsener Man nur so sentimental und peinlich sein. Kurogane kam fast die Galle hoch. „Man bekommt nicht immer, was man will.“ Mit diesem Worten drehte er sich einfach um und ging unsicher ein paar Schritte in die Dunkelheit. Seufzend blieb er stehen und sah zu dem Ninja. „Kuro-wanwan, mir tut alles weh, kannst du mich nicht stützen?“ Froh, dass dieser peinliche Dialog beendet war, nahm Kurogane den Arm blonden Idioten hoch und warf ihn sich über die Schulter. Doch er enthielt sich jeglichen Kommentars. Die Eisentür schloss sich knarrend und Kurogane fragte sich, wohin sie nun gehen sollten. Hatte dieser alte Narr nicht gesagt, sie bekämen einen Führer? Dieser hüpfte just in diesem Moment aus der Dunkelheit hervor und versuchte sich vor Kurogane größtmöglich aufzubauen. Was dann ungefähr bis zur Bust war. „Hey, Schwarzer!“, rief das Mädchen und grinste breit. „ChuNyan~ hallo~“, freute sich der Idiot an seiner Schulter. Das sollte ihre Führerin sein? Das war ein junges Mädchen! Trotzig erwiderte sie seinen kritischen Blick und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Was guckst denn so komisch, Großer?“ „Sind hier eigentlich alle verrückt?“ ~~ Supernova 16 Ende~~~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)