Supernova von maykei ================================================================================ 15. Kapitel - (The sound of nothing) ------------------------------------ Die Schnitte an seinen Armen und Händen pulsierten mit jedem seiner Herzschläge. Kurogane konnte nicht sagen, wann er die Schwärze nur ansah, oder wann er das Bewusstsein verlor und in ihr war. Es blieb stetig gleich. Der flache, ruhiger gewordenen Atemrhythmus neben ihm war das einzig hörbare nebst seinem eigenen Atem. Der Rhythmus unter seiner Hand, mit der er das Handgelenk des Blonden fest umschlossen hatte, pulsierte durch ihrer beider Körper, als hätten sie sich einander angepasst. Der eine, kräftigere und festere, Puls löste den anderen aus. Wie Wind, der über die graue Oberfläche des Meeres fuhr und die glatt daliegende, Harmlosigkeit vortäuschende Meerweite in ein Sturmgewässer verwandelte. Durch den Sturm wurden sie eins; der Wind trieb die Wellen unermüdlich an und an; rastlos. Auch wenn die Wellen in einander stürzten, den Boden an flacheren Stellen gewalttätig aufbrachen – bis an den Grund... bis an den Grund... - der Wind trieb sie an. Hetzte den Puls, hielt ihm am Leben, unregelmäßig, doch konstant und kraftvoll. Ihr Puls schlug fast synchron. Auf einen Herzschlag Kuroganes folgte einer des Magiers, als würde sie das selbe Blut in dem selben Körper verbinden statt die ungenügende Berührung von Haut auf Haut. Puls an Puls. Er hoffte ihn antreiben zu können, diesen Puls. Der irrationale, aber völlig dominante Gedanke, dass er einfach nur loslassen musste und der verfluchte Puls des Magiers erstarb, beherrschte seinen nebeligen, fiebrigen Schädel. Verflucht, deswegen hatte er keine Verantwortung übernehmen wollen, wenn er nicht absolut sicher war es zu schaffen. Angst lähmte. Hilflosigkeit lähmte. Er träumte. Träumte von einem Meer, einem Fluss. Sonnenstrahlen brachen sich im Stromwasser. Er sah von unten einen Speer in das blaue Nass schießen, er stach in einen Fisch. Er schmeckte bereits den salzigen Geschmack des zarten Fleisches auf seiner Zunge. Kinderzeit. Er träumte davon, das wusste er. Es war nicht das erste Mal. In dieser Zeit umgab alles eine Illusion untrüglicher Ruhe. Stillstand der Zeit, Sicherheit. Alles war klar zu diesem Zeitpunkt, sogar die Konturen der Blätter und die langgezogenen Wolken am Himmel. Seine Zukunft: Er würde seinem Vater nachfolgen, ein angesehener, willensstarker Krieger, fähig alle zu beschützen. Seine Mutter, den grau gewordenen Herrn, die Gefolgschaft und das ganze Dorf. Er würde groß und stark werden, er musste, und er konnte. Wenn er nur hart, härter als hart, trainierte und sich anstrengte so viel wie möglich zu lernen, dann konnte er all das bewahren, so wie es jetzt war. Ihr Anwesen – große Gebäude mit tiefen, roten Dächern, der große Garten, knarzende Hölzer unter seinen nackten Füßen, der Geruch von Pfirsichblüten im Frühling – lag mitten im Herzen des Suwagebietes, das sein Vater verwaltete und beschützte, nahe eines Fischerdorfes. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Es hätte ewig so bleiben können. Natürlich hatte er die Welt sehen wollen, aber die Welt endete hinter den Grenzen des Suwagebietes. Das war alles, was er beschützen wollte. Das hatte er tatsächlich geglaubt. Nie hätte er geglaubt einmal Dimensionen entfernt von diesem Ort zu träumen, an dem er seit dem Tod seiner Eltern nicht mehr gewesen war. Nach dieser Zeit, nach seinem ersten Mord und nach seiner ersten Raserei (die bei weitem nicht letzte sein sollte, nur nie wieder so stark) folgte nur noch Bitterkeit, Wut und Blut. Etwas betäubte seine Sinne, wie ein unbewusstes, jahrelang anhaltendes Delirium. Er hatte seine Ziele, sie gingen niemanden etwas an, weil sie in Wirklichkeit wohl erbärmlich waren. Nur stärker, höher, intensiver, seine Stärke und der Blutrausch. Das war alles, was er wollte und das war alles, was in seiner Macht lag. Er liebte diese Herausforderung, die Kampfeswut... Ein richtiger Gegner, der alles von ihm forderte. „Fühlst du dich dadurch lebendig ?“ die Stimme klang wie durch dicke Papierwände gesprochen in seinem Bewusstsein wieder und er war davon überzeugt, dass die Stimme aus seinen Traum kam. Eine Stimme, die seinem dahinfließenden Gedankenstrom antwortete. Doch der Sturm war heftiger geworden, die Wellen besaßen ein Eigenleben... Das Rauschen war so laut, dass sein Trommelfell zu platzen drohte. Er bekam keine Luft, er sog die stickige, feuchte Luft ein, doch sie erreichte nicht seine Lungen. „Du bist so versessen darauf zu verstehen, Kurogane. Ich glaube nicht, dass das gut ist. Denn wenn du nicht verstehen kannst, dann willst du verurteilen, nicht wahr ?“ „Was redest du da für einen Scheiß? Ruh dich lieber aus“, grummelte er zurück und endlich bekam er wieder Luft in seine Lungen. Wahrscheinlich fantasierte der Blonde. Bei so einer Verwundung war es kein Wunder, dass er Fieber bekam. Schon wieder... es war noch gar nicht lange her, dass er den fiebernassen Mann im Arm gehalten hatte und nun war die Hand in seiner schon wieder kalt und feucht. Die Brust an seiner hob und senkte sich, der warme Atem strich aber und abermals über sein Gesicht. „Ich sehe deine Träume, Kurogane“, Fye ließ sich nicht beirren. Die lang ersehnte korrekte Aussprache seines Namens fiel ihm erst jetzt auf. „Nicht weil ich sie sehen will, sondern einfach weil du so laut träumst... sie mir aufzwingst, so wie du mir alles aufzwingst.“ Langsam drehte der Ninja seinen Kopf zu dem fiebernden Mann. „Halt die Klappe, hab ich gesagt. Du musst dich ausruhen.“ Er wollte gar nichts hören. Er wollte zwar stets die Wahrheit aus dem Anderen heraus zwingen und er war durchaus schon bereit gewesen dazu nicht ganz faire Methoden zu benutzen, aber der aggressive, schwere Ton, der gleichzeitig von so viel Trauer durchsetzt war, ließ ihn stocken und er provozierte nicht weiter. „Du willst, dass es auch andere wissen. Sie kennen... deine Lebensphilosophie. Sie sollen sehen wie grausam und hart die Welt ist, sie sollen es wissen und aufhören sich anzulügen. Sich immer wieder in Lügen verstricken und sich Hoffnungen machen, die von der Zukunft zerstört werden. Durch ihren stinkenden Haufen Lügen leiden sie und ... tun es nicht einmal ehrenwert, sondern erbärmlich und schwach. Und Schwäche ist es, was du hasst. Ist es das? Was du denkst, fühlst, glaubst?“ Irgendetwas stimmte hier nicht. Doch der Magier ließ sich durch sein Schweigen nicht irritierten. „Und weil sie es nicht kapieren, forderst du sie heraus, du forderst alles heraus. Vor allem mich. Weswegen? Willst du jemanden finden, der stärker ist, deine Lebenssicht zerstören kann? Du willst gar nicht an so etwas glauben, nicht wahr?“ „Was zur Hölle willst du verdammt? Du-“ „Was zur Hölle willst du ?“, so sanft und ruhig war Fyes Stimmlange, dass ihm beinahe schauderte, und so wissend. Er hatte keinen Schimmer woher der andere es wusste, er wusste es selbst nicht einmal so klar, aber jedes Wort traf. Hatte der Magier ihn genau so durchschaut, wie er es immer bei ihm versuchte? Oder mehr? Hatte sich das Spiel schon wieder umgekehrt? Fühlte der Magier auch so, wenn er in ihm rumstocherte? Dachte etwas gefunden zu haben und hörte einfach nicht auf, so wie Fye nicht aufhörte zu reden? Oder war es nur wieder verbergendes Schweigen unter einem Haufen Worte ? „Ich will, dass du still bist und deine Kräfte sparst. Ich schwöre dir, ich bring dich um, wenn du wagst hier zu krepieren!“ Fast augenblicklich wurde Kurogane die Schwachsinnigkeit dieser Aussage bewusst und er ärgerte sich. Fyes Körper war noch kälter geworden. Das Handgelenk in seinem Griff bebte leicht und durch das Rascheln der Styroporstücke wusste er, dass Fyes Finger immer wieder unruhig in den Kunststoff griffen. „Ich will...“, Ein erschrockenes Aufatmen, der Körper neben ihm wurde noch unruhiger und ein leises Wimmern klang an seine Ohren, doch der einzige Durchbruch der kurzen Stille verklang wieder in ihr, „Ich will dass du gehst.“, nur um kurz darauf sicher und hart wieder aus dem Schwarz aufzutauchen. „Es ist sinnlos mit mir, siehst du das nicht ? Wenn du in mich verliebt bist, schlag dich mir aus dem Kopf. Gibt es nicht irgendein Mädchen oder einen Mann den du magst? In Japan vielleicht ? Tomoyo-chan ? Ein Blinder sieht, dass du in sie verschossen bist, egal in welcher Dimension wir ihr begegnen.“ „To-tomoyo?!", der Gedanke kam ihm absurd vor. Sie war seine Prinzessin, sein Sinn, er liebte sie natürlich, doch nicht wie der verdammte Magier ihm unterstelte. Versuchend sich nicht provozieren zu lassen, antworterte er versucht ruhig. "Du bist derjenige, der immer an mir klebt und solch idiotische Sachen sagt. Du hast die ganze Zeit gesagt ich soll dir Zeit geben und dir vertrauen, du hast mich als erster geküsst und ich kann mich nicht erinnern mich dir aufgezwungen zu haben... auf dem Dach. Ich habe eher den Eindruck, dass du dich hier gegen etwas nicht wehren kannst, was du heimlich willst und dich deswegen so verhältst.“ „Du bist so ein Idiot, Kurogane. Kannst du nichts Spiel von Ernst unterscheiden?“ Ein krampfartiger Ruck ging durch den anderen Körper und besorgt, wenn auch noch verärgert, überlegte der Krieger, ob er ihn mit einem gezielten Schlag gegen seinen Hals die benötigte Ruhe aufzwingen sollte. „Ich bin ein Lügner... und ein Mörder. Du magst mich jetzt lieben, aber nicht mehr, wenn du alles weißt.“ Stille. Atem. Und Rauschen. Das Rauschen war wieder da. Es rauschte in seinen Ohren, es rauschte in seinem Kopf. Das Blut unter seinen Fingern rauschte und die Wellen in seinen Fiebertraum rauschten. Doch er fühlte sich mehr wie der Ertrinkende im Meer, als der Wind. Das konnte doch nicht wahr sein, die ganze Zeit dachte er, er hätte die Kontrolle und nichts könnte ihn berühren. Doch er hatte sich selbst angelogen, so als hätten die Lügen von dem Blonden abgefärbt. Er wurde rasend wütend, war ständig besorgt, er hatte echte Angst um jemanden empfunden, die ihn sogar schwächte und er verlor stets jegliche Kontrolle über die Situation. Er wusste, dass er diese fiebrigen Worte nicht erst nehmen konnte, sie bohrten sich dennoch in seine Brust, wie ein unerbittlich geführtes Schwert. „Willst du noch einmal so hilflos sein wie in deiner Kinderzeit? Es noch einmal mit Monstern aufnehmen?“ Fye kannte seine Vergangenheit? Kannte ihn? Und nun spielte er es gnadenlos aus. „Deine Mutter... sie war wirklich schön... du hast sie sehr geliebt, nicht wahr? Wer sie wohl umgebracht hat? Hast du es je herausgefunden? Was würdest du mit demjenigen tun?“ „Ich würde ihm umbringen“, erwiderte er leise, unfähig sich nicht mehr auf dieses Spielchen einzulassen. „Und wenn ich es gewesen wäre?“ „Du warst es nicht" „Und wenn doch?“ „Du warst es nicht.“ „Was macht dich da so sicher?“ „Deine Hände, sie sind zu schmal und heller als seine. Warum tust du das gerade? Warum provozierst du mich so?“ „Ich will dass du mich hasst.“ „Warum?“ „Weil das die einzige Möglichkeit ist, dich los zu werden... Kurogane... ich sterbe, wenn du nicht gehst.“ „Was redest du da für eine absolute Scheiße?!“ Die Augen aufreißend, begriff er. Dass er eingeschlafen war, dass er geträumt haben musste, Fye wach sein musste, denn der Puls unter seinem Griff ging stärker, sein Atem war nicht mehr der eines Schlafenden. Das ewig präsente Rauschen der Wellen in seinem Traum war ihr Atem gewesen. Denn in dieser Kiste hörte man nichts. Totenstille umgab sie. Sie schienen das einzig Lebendige im Umkreis von Meilen. Er wusste jedoch, dass dies nicht sein konnte. Die Stadt war ganz nah, vielleicht ein paar Kilometer Industriegelände entfernt. Aber wie auch in dem Gang schaffte dieses Gebäude seine trainierten Sinne abermals fast zu täuschen und nur sein Verstand sagte ihm, dass es sich um einen Trick – vermutlich Magie – handeln musste. Dieses Gefühl musste Magie sein, dieses Gefühl als würden Fye und er das einzige Lebendige in einer völlig dunklen Dimension sein. „Kuro-pon ?“ Fyes Stimme war leise, leicht belegt, „bist du schwer verletzt...?“ „Nein, nur ein paar Kratzer. Was ist mit dir?“ „Ich habe mir es immer schmerzvoller vorgestellt ein Auge zu verlieren.“ „Immer...?“ Kurogane lachte etwas ironisch auf. Das Styropor knirschte wie Unterholz, als er den Kopf zu Seite drehte. „Hört sich ja fast so an, als hättest du öfter drüber nachgedacht.“ Die Frage war nicht ernst gemeint, aber dennoch antwortete der Magier ihm ernst. „Kann ich nicht sagen... fühlt sich nur so an, als hätte ich es mir schon ein paar mal vorgestellt....“ „Hast du eigentlich mit mir geredet, bevor du mich gefragt hast, wie es mir geht ?“ „Ja. Mit dem Kind in dir.“ Augenblicklich wurde Kurogane vor Verlegenheit rot. Dieser verfluchte Magier hatte nichts anderes zu tun, als in seinem Kopf rum zu wühlen und mit Teilen von ihm zu sprechen, die er am liebsten verdrängen würde?! „Was soll das ?“, fragte er schroff, die Stimme eisig vor unterdrückter Wut. Doch entweder ließ sich der Magier davon nicht beeindrucken, oder er stand vor Erschöpfung schon wieder an der Grenze der Ohnmacht. „Ich habe es nicht absichtlich gemacht... nur mitgeträumt. Es war so laut... ich konnte nicht anders...“ „Für so n Scheiß hast du Magie?“ Der Magier antwortete nicht. „Willst du sie immer noch nicht anwenden, um dich zu heilen? Du stirbst wahrscheinlich, wenn du es nicht tust. Ich habe schon viele solcher Wunden gesehen.“ Immer noch keine Antwort. Doch der Puls unter seiner Hand war immer noch unregelmäßig, das hieß der Blonde war immer noch bei Bewusstsein. Zögerlich versuchte Fye seine Hand aus Kuroganes Griff zu befreien, doch der Krieger verstärkte seinen Griff nur noch. Zu wütend über diesen Starrsinn und zu erschrocken, misstrauisch, ob sein Traum nicht doch wahr werden würde. Dass der Blonde starb, sich schon wieder aus dem Staub machte, wenn er auch nur noch einmal loslassen würde. Das schmale Gelenk knackte und er spürte den fremden Puls plötzlich rasen. „Kommt dir dieser schlafende König hinterher, wenn du es tust?“, bohrte er weiter. „Willst du so dringend sterben? Hast du einmal an uns gedacht? Dass du uns wichtig sein könntest? Hast du auch mal an dich selbst gedacht, wie erbärmlich es ist, sich auf diese Art und Weise davonzumachen? Du rennst doch bloß davon. Kannst niemanden vertrauen, aber klammerst dennoch an ihnen, umgarnst sie, bringst jeden dazu dich zu mögen, nur um nicht allein zu sein. Dennoch stößt du jeden von dir weg, der etwas sehen könnte, dass du an dir nicht magst. Heile dich endlich! Fye! Ich lasse es nicht zu, dass du mich dazu bringst mir Sorgen zu machen, nur um dich dann davon zu machen!“ Trotz Schmerzen richtete er sich auf und beugte sich über den verwundeten Körper im der absoluten Dunkelheit. „Ich lass nicht zu, dass du dich umbringst! Mit diesem König nehm' ich's auf, und wenn ich's nicht schaffe kannst du immer noch sterben!“ Die Wut brannte so heiß, dass er all seine Beherrschung zu verlieren begann. Er spürte den anderen Körper unter sich beben, das schmale Handgelenk in seinem harten Griff manisch pulsieren, konnte den Angstschweiß riechen und auch das Salz der Tränen. „Tu es verdammt noch mal!“, verlangte Kurogane. Doch immer noch nichts. „Heile dich, oder ich schlag dich windelweich bevor du stirbst!“ „Und was ist jetzt hiermit...?“, Fyes Stimme klang unglaublich leer, „macht dich das nicht auch lebendig? Wut... Raserei... Selbsttäuschung und Angst.... das ist doch alles, was dich ausmacht. Du bist nicht viel anders als ich... und du bist genau so verlogen... Du hast gesagt du wartest... wartest bis ich dir alles erklären kann... ich hab dir versprochen, dass ich's tu.... du hast gesagt, du glaubst mir... du... du bist hier der Feigling...“ Jedes einzelne Wort war wahr. Kurogane wollte es nicht hören und dennoch wusste er, dass es stimmte. Doch es war ihm im Moment egal. Er holte aus und schlug zu, bevor er den Drang aufhalten konnte, doch er traf den Magier nicht, seine Faust donnerte in das künstliche Material und wühlte es auf, verteilte ein paar Stücke auf ihnen. Fye hatte nicht einmal gezuckt, geschweige denn versucht auszuweichen und trotz jeglicher Abwesenheit von Licht spüre er ein vereinzeltes, blaues, blindes Auge zu ihm herauf starren. Hart biss er sich auf die Lippen, beruhigt von dem metallenen Geschmack auf seinen Lippen. Dieser Mann ließ ihn aber auch ständig die Beherrschung verlieren! „Es bringt überhaupt nichts zu warten, wenn du stirbst...“, war die einzige, lahme Antwort, die er noch herausbringen konnte, die gerade in seinem Kopf existierte. Ihm war kalt, er schwitzte... Fieber... das musste es sein. Fieber und dieser verdammt verfluchte, ihn rasend und wahnsinnig machende Magier. Fye atmete unter ihm tief durch, er spürte den Körper unter ihm warm und lebendig. Seltsam vertraut. "Ich will ja... will dass der Schmerz aufhört.. doch ich weiß nicht ...wie. Ich weiß... überhaupt nichts... überhaupt... nichts..." Die weiche Stimme war immer leiser geworden, bis sie nur noch eine Ahnung über der Grenze des Hörbaren lag und dann völlig verklang. Panik kroch in dem Ninja für einen Augenblick hoch, nicht mehr als ein Herzschlag. Doch dann spürte er den festen Puls, konstant. Der Idiot war einfach nur bewusstlos geworden. Was sollte das heißen, er wusste nicht wie....? Unendlich erschöpft legte er sich wieder neben den Bewusstlosen, die Gewissheit, dass er nicht mit einer Leiche hier drin lag, pulsierte immer noch überdeutlich in seinem Griff. Warmer Atem strich immer wieder über seine Wange. So wie es gewesen war als die nackt beieinander unter den Monden geschlafen hatten, dicht aneinander gedrängt, geschützt, warm, erschöpft. Vorsichtig schob er seine Hand höher, Fyes seltsam kalten Oberarm hinauf. Konzentrierte sich nur auf die schwache Körperwärme und akzeptierte den seltsam klaren Gedanken, der schon länger in seinem Kopf herum schwirrte, den er aber mit aller Gewalt nie hatte wahrnehmen wollen: Er verlor seine Kontrolle. Er hatte plötzlich wieder Angst um jemanden, hielt sich nicht aus den Angelegenheiten anderer Leute heraus und nahm auf einmal wieder die Bedrohung des Todes mit etwas anderem als Verachtung, mehr als das Schicksal der Schwachen, auf... dieser Idiot war ihm wichtig geworden. Viel zu wichtig. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Stille. Kurogane konnte nicht sagen, ob der Magier bewusstlos war, oder nur still. Er fühlte den Puls unter seinem Griff. Das genügte. Die Schwärze ummantelte sie wie ein nasses Stück Stoff und ihre Atemwellen klangen wie Donnergrollen in der von jedem anderen Geräusch baren Transportkiste. Ihr Atem flach – seiner aus einem stets kontrollierenden, Kräfte einteilenden Ninjareflex heraus, der des Magiers unregelmäßiger – und nur geringfügig synchronisiert. Diese Unregelmäßigkeit ließ ihn trotz seiner Erschöpfung nicht in die Bewusstlosigkeit abdriften. Blut – synchron gezwungen. Atem – nicht zu formen. Etwas hatte er in der Hand, das andere entwich. Stets. In irgendeinem Fiebertraum beugte er über dem Blonden und zwang ihm seinen Atem auf. Tief atmete er die Dunkelheit ein, presste seinen Mund auf die kalten, weichen Lippen und zwang dann das warme, feuchte Gas aus seinen Lungen tief in den anderen Körper. Er heilt die Luft an und nur eins- zwei -Herzschlag – Momente, bis feucht, warm, ihr gemeinsamer Atem aus dem Mund des Mannes unter ihm gegen sein Gesicht strich und er sich beruhigt fühlte. Als er erwachte, spürte er nur noch seinen eigenen Herzschlag unter seiner Brust. Der zweite war ihm im Traum unbemerkt abhanden gekommen und in der plötzlichen Stille eine leichte Panik ärgerlich bei Seite schiebend, tastete er nach dem Körper neben sich, dessen Atem er immerhin noch deutlich spürte. Diese kurze Panik, der Schreck der ihm immer noch in den Knochen saß, die Verletzungen und die Alpträume von früher, gaben ihm ein Gefühl von unkontrollierbarer Unausgeglichenheit, die alles in allem erniedrigend war. Er war kein Kind mehr, er war stark, der stärkste Mann Japans, er brauchte niemanden und handelte nach seinen eigenen Prinzipien. Mit 11, vier Jahre vor seinem 15ten Geburtstag hatte er seinen Kindernamen abgelegt und sich von nun an Kurogane genannt. (1) "Schwarzer Stahl". Verbranntes Eisen. Genau so unerbittlich hart hatte er sein wollen, um nie wieder jemanden unter seiner Hand sterben lassen zu müssen. Und der Magier machte ihn schwach. Gerade jetzt, wo der Blonde ihm körperlich um so mehr unterlegen war, hier in der Dunkelheit, wo er kein einziges falsches Lächeln zu seiner Verteidigung anbringen konnte, betäubt und unkontrolliert vor Schmerz, schien er ihm immer noch zu entgleiten. Er konnte ihn nicht beschützen, er entglitt. Er dachte er könnte zumindest dafür sorgen, dass der Kerl überlebte. Doch auch das schien nun unsicher. Die Erde bebte und er war wieder das 11jährige Kind, über den Leichnam seiner geliebten Mutter gebeugt, rote Ziegel fielen vom Dach in den Garten und der dunkle, blutverschmierte Dämon starrte ihn feuerheiß und tierisch wild an, den gigantischen Mund scheinbar zu einem unendlich weiten monströsen Grinsen verzogen... Er träumte längst nicht das erste Mal von früher, längst nicht das erste mal verlor er die Kontrolle... und dennoch, gerade deswegen, weil er so stark war und früher nicht, weil - Seine immer schneller rotierenden Gedanken wurden von einer kühlen Handfläche auf seinem Gesicht wie ein Faden zerrissen und beinahe dankbar atmete er zittrig aus. „Kuro-nyan?“ Kein 'Kurogane' mehr. Ob der Blonde jetzt wieder 'normal' war oder war das nur ein Auftakt zu weiteren Psychospielchen? Hatte er das alles nur geträumt? Der Blonde versuchte seit sie hier waren nicht einmal zu verbergen, dass er sauer wegen Kuroganes abweisender Worte war und das durch die Verwundung verursachte Delirium verstärkte das sicher noch. War das der Fye, den er kannte ? Manipulativ, gnadenlos, unnachgiebig grabend und sich wie ein Raubtier, das Blut geleckt hatte, festbeißend? Nein, begriff er, als sich neben ihm die Wärme schwerfällig bewegte, über ihm hing und heiße, trockene Lippen vorsichtig seine Stirn berührten. Hier war etwas verdreht. Das war Kuroganes unerbittliches, nicht Fyes, Wesen. Die Kiste ruckelte weiter und er wünschte sich abermals ein Schwert an seine Seite. Sie wurden wohl gerade umgeladen. Es dauerte noch... sobald sie still standen würde er sich bereit zum Angriff machen. Seine Fäuste waren das einzige mit denen er sich noch verteidigen konnte, aber wenn es normale Menschen waren, waren sie keine Gegner für Kurogane. Er musste nur schnell sein, sie niederschlagen und dann mit dem Blonden verschwinden. Er musste nur schnell sein... Ein Teil von ihm frohlockte, jener der immer wieder nach Blut dürstete, den er stets unter der Maske der Gleichgültigkeit verbarg und der bei jedem kleinsten Funken in ein loderndes, brutales Feuer aus Wut ausbrechen konnte. Und nichts gut konnte dieses Feuer so gut entfachen wie die scheinheilige Idiotie des ceresianischen Magiers, diese ewige Falschheit, nichts, gar nichts, außer Feigheit, Verletzlichkeit, Lügen, Schwäche, Selbsttäuschung, Zurückgezogenheit, Schmerz, Verschlossenheit, Bitterkeit - Zärtlichkeit. Dieses Wort kam ihm ohne Zutun in den Sinn, er konnte es einfach nicht nicht denken, seit diese kühlen, langen Finger vorsichtig, aber ohne Zaghaftigkeit über sein Gesicht strichen, als wäre dieses Geste jahrelanger Vertrautheit entsprungen. „Deine Stirn ist ganz warm...“ In der Dunkelheit und Stille waren die wenigen Töne um so klarer, regelrecht kristallisiert und losgelöst von jedem übertönenden Hintergrund. Klar und rein, wie die Farbe einer Wandmalerei, an die man bis auf wenige Fingerbreiten herantrat. „Du hast Fieber....“ Fyes Stimme war nachdenklich und schweife zum Ende seiner Sätze ein wenig ab, als würde er Selbstgespräche führen. Kurogane fröstelte, trotz der stickigen Wärme in der Kiste und bestätigte damit nur die Feststellung des Magiers. „Ah.“ „Soll ich dir Märchen erzählen. Das macht man in diesem Land, wenn Kinder krank sind.“ „Das macht man auch in Japan.“ „Wirklich ? Wenn du gesund bist, musst du mir unbedingt welche erzählen.“ „....“ So typisch... „Du musst es versprechen!“, forderte die andere Stimme von dem Ninja ein wenig rau, aber definitiv quengelig und etwas Nasses tropfte auf sein Gesicht. „Versprochen?“ „Ahh.“, die Wut und Anspannung von zuvor wich und ließ ein angenehm leeres Gefühl zurück, „ich erzähl sie dir noch.“ Blind legte er seine Hand auf Fyes unverletzt Gesichtshälfte. Auf die Wunden bedacht strich er erst die blutverkrusteten Haarsträhnen aus seinem Gesicht, dann die Tränen weg. So ein Idiot, er war doch derjenige, der lebensgefährlich verletzt war. ~~~~~~~ Kapitel 15 ende~~~ (1) Im alten Japan war es üblich, dass die Jungen mit 15 ihren Kindernamen ablegen und sich einen neuen zu wählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)