Methadon von Tattoo (Kyo x Kaoru x Ryo) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- ~4~ Am ersten Tag nach ihrer Begegnung lag Kaoru mal wieder nur faul in der Wohnung herum und ließ sein Handy nicht aus den Augen. Am zweiten Tag vertrödelte er sich die Wartezeit damit, im Internet Näheres über die Band baroque herauszufinden. Am dritten Tag war seine Laune bedrohlich nahe davor, wieder in den Keller oder sogar noch tiefer zu sinken. Am vierten Tag klingelte endlich sein Handy. Und der Anrufer war... Dir en grey's Manager. Keine 24 Stunden später waren die fünf Musiker wieder miteinander vereint, die Freude darüber hielt sich jedoch bei allen ziemlich in Grenzen. Die lag halb auf dem großen Tisch im Konferenzraum, hatte den Kopf auf seine verschränkten Arme gebettet und sah aus, als würde er schlafen. Man hatte dem Gitarristen schon beim Eintreten ansehen können, wie sehr ihn die Golden Week geschlaucht hatte, seine kleinen müden Augen und die kraftlosen Bewegungen waren mehr als eindeutig gewesen. Ihm gegenüber lag Toshiya in exakt der selben Position und Verfassung, offenbar hatte Die den Bassisten zu seinem Saufkumpanen auserkoren, nachdem er bei Kaoru abgeblitzt war. Während die beiden ihren Restrausch ausdösten, saß Shinya ungerührt auf seinem Stuhl neben Toshiya und war mit dem Schreiben einer SMS beschäftigt, und Kaoru hockte am Kopfende des Konferenztisches und hypnotisierte zum wiederholten Male sein Handy. Es fehlten nur noch ihr Manager und Kyo. Letzterer hatte es sich offenbar in den Kopf gesetzt, seinen Autritt heute mal etwas spektakulärer als sonst zu gestalten, denn auf einmal flog die Tür so weit auf, dass sie mit einem lauten Knall gegen die Wand dahinter donnerte und Die und Toshiya aus ihrem Halbkoma aufschrecken ließ. Vier verwunderte Augenpaare hefteten sich auf den Sänger, der seinen Blick prüfend durch den Raum schweifen ließ und dann plötzlich grinste. "Sehr schön, ich dachte schon, ich wäre der letzte." Zufrieden damit, dass ihr Manager noch nicht anwesend war, ließ Kyo sich auf den freien Stuhl neben Die fallen und fing an, in seiner Tasche zu wühlen. Dabei bemerkte er nicht die Aura des Bösen, die um den geweckten Gitarristen schwebte. "Nicht DER letzte, aber DAS letzte." Als ihm diese unfreundlichen Worte aus dem Mund seines sonst so gutgelaunten Kollegen zugezischt wurden, hielt Kyo in seiner Suche inne, hob den Kopf und blinzelte Die mit großen Augen an. "Wie bitte?" Der Größere gab als Antwort aber nur ein leises Grummeln von sich und ließ seinen Oberkörper dann wieder auf die Tischplatte sinken, so wie es Toshiya gleich nach Kyo's Erscheinen schon getan hatte. Der fragende Blick des Sängers wanderte daraufhin zu Kaoru, den Die's Reaktion absolut nicht überrascht hatte. Er deutete auf den anderen Gitarristen, dann auf Toshiya, und meinte nur "Golden Week." "Ach so, na dann psssst." Kyo legte dabei einen Finger an die Lippen und zwinkerte Kaoru zu - eine Geste, die natürlich rein freundschaftlich gemeint war, dem Älteren aber einen unerwartet starken, schmerzhaften Stich im Herzen versetzte. Er musste sich in diesem Moment wohl oder übel eingestehen, dass er seinen Ex-Freund vermisste, und diese nun aufkommende Sehnsucht wurde immer stärker, je länger er Kyo beobachtete. Der Sänger hatte mittlerweile gefunden, wonach er gesucht hatte, und nahm einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche, ehe er Kaoru wieder ansah und eine Augenbraue hob. "Seit wann arbeitet man im Urlaub eigentlich?" Damit sprach er genau das aus, was allen anderen auch schon die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte, und wie auf Knopfdruck erhoben sich sowohl Die als auch Toshiya von ihrem harten Lager und nickten zustimmend. "Genau, ich dachte es hieß, wir hätten bis zur nächsten Tour frei. Darunter verstehe ich nicht, um 9 Uhr hier auf der Matte stehen zu müssen." murrte der um seinen Schönheitsschlaf gebrachte Bassist, und plötzlich befand Kaoru sich im Visier seiner genervten Bandkollegen. Leader zu sein hatte eben nicht nur Vorteile. "Seht mich bloß nicht so an, das Treffen heute war schließlich nicht meine Idee. Ich hab euch schon gestern am Telefon gesagt, dass wir Details zur Veröffentlichung der neuen Single klären müssen, weil sich etwas in der Planung geändert hat, also zieht gefälligst nicht solche Gesichter und wartet-" In diesem Moment klingelte Kaoru's Handy, die Nummer auf dem Display war ihm allerdings unbekannt. Der Gitarrist hob eine Hand als stumme Entschuldigung an seine Freunde, und nahm den Anruf entgegen. "Hallo?" "Ich hab sie nicht verloren." Kaoru musste bei diesen Worten nicht erst überlegen, wer dran war, und er hätte Ryo für sein ausgezeichnetes Timing knutschen können. Immerhin sollte Kyo unter gar keinen Umständen merken, dass der Gitarrist ihn vermisste, und was wäre in diesem Fall geeigneter als ein geheimnisvolles Gespräch mit einem Unbekannten?! Aber er durfte nicht allzu offensichtlich am Telefon flirten, also entschied Kaoru sich schnell für eine andere Taktik und sein Gesicht nahm den gleichen selbstsicheren Ausdruck an wie vor ein paar Tagen im Café. "Freut mich zu hören. Und, hat Mariko sich von dem Schock wieder erholt?" Innerlich lobte er sich dafür, den Namen der jungen Frau, die bei seinem Anblick fast das ganze Café zusammengequiekt hatte, nicht vergessen zu haben, und dass er vor den vier anwesenden Musikern mit einer unbekannten Person über eine andere unbekannte Person sprach, machte die ganze Sache noch besser. Sie sollten ruhig wissen, dass er auch ohne sie und besonders ohne Kyo nicht allein dastand und für andere interessant war. Denn durch das Mitleid, welches ihm seit der Trennung entgegengebracht wurde, hatten sein Selbstwertgefühl und sein Stolz doch ziemlich gelitten. Aber damit war jetzt Schluss! Und so erhob Kaoru sich, während Ryo von Mariko erzählte, und verließ langsamen Schrittes den Raum, wobei er sich der neugierigen Blicke in seinem Rücken wohl bewusst war und sie aufs Äußerste genoss. Auf dem Gang angelangt und die Tür hinter sich geschlossen, widmete er dann seine ganze Aufmerksamkeit dem Anrufer, der ihn so viele Tage hatte warten lassen. "-aber sie hat mir versprochen, vor ihren Kommilitonen nicht damit zu prahlen, dass sie dich getroffen hat. Sie erzählt ja auch keinem, dass sie mich kennt, auch wenn ich nicht so eine Berühmtheit bin wie du." "Na na, miss deine Berühmtheit mal nicht daran, dass ich dich nicht kannte, ich krieg von den jüngeren Bands kaum noch etwas mit. Aber ich hab mich mal ein bisschen über euch schlau gemacht, und ihr scheint ziemlich erfolgreich zu sein." "Da kam wohl wieder deine Berufskrankheit durch, hm?! Naja, stimmt schon, wir können nicht klagen. Aber deswegen ruf ich nicht an. Hast du später Zeit?" "Wie, du meinst heute?" "Genau, ich wollte fragen ob wir uns treffen können. Oder bist du beschäftigt?" "Also ich sitze zwar gleich in einer Besprechung, aber die dürfte höchstens eine Stunde dauern. Danach hab ich den ganzen Tag Zeit." "Gut, dann nehme ich hiermit deine Gesellschaft für den Rest des Tages in Anspruch. Irgendwelche Einwände?" "Ganz und gar nicht. Wo und wann treffen wir uns?" "Yoyogi Park, 12 Uhr. Und bring Hunger mit!" "Okay, und wo genau?" "Such mich." "Wie bitte?" "Such mich." "...Dir ist schon klar, wie groß der Park ist, ne?!" "Jupp." "Krieg ich nicht mal einen kleinen Tipp?" "Hmm... nördlich vom Teich mit dem Springbrunnen, auf der größten Wiese des Parks." "Und du denkst wirklich, dass ich dich so finden werde?" "Sieh es doch mal so: Es ist Donnerstag Mittag, und die Golden Week ist seit heute vorbei. Also gehen alle wieder wie gewohnt auf Arbeit oder in die Schule und es dürfte im Park um die Zeit relativ leer sein. Oder traust du es dir nicht zu, mich aufzuspüren?" Kaoru musste zugeben, dass Ryo's indirekte Herausforderung einen gewissen Reiz hatte, und er antwortete "So gesehen dürfte es eigentlich doch kein großes Problem sein, dich zu finden." bevor er sich umdrehte und die Tür zum Konferenzraum wieder öffnete, in dem die übrigen Mitglieder Dir en grey's gelangweilt auf das Erscheinen ihres Managers warteten. Der Gitarrist freute sich, die Stille im Raum kam ihm sehr gelegen als Ryo sich wieder zu Wort meldete. "Schön, also sehen wir uns dann." In der Hoffnung, dass er den Sänger wirklich nicht lange würde suchen müssen, erwiderte Kaoru für alle gut hörbar "Ja, bis später." und vernahm nach einer kurzen Pause, während der er sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt hatte, noch einmal Ryo's Stimme. "Ich freu mich." Er klang plötzlich gar nicht mehr so frech sondern vollkommen ehrlich, und Kaoru lächelte sanft. "Ich mich auch." Es folgte ein leises Klicken in der Leitung und der Gitarrist legte ebenfalls auf und verstaute sein Handy wieder in der Hosentasche. Dann hob er den Kopf und strahlte voller Enthusiasmus in die müden, griesgrämigen Gesichter seiner Kollegen. "Okay, wo waren wir?" **** Ihr Manager war etwa fünf Minuten später endlich aufgetaucht um zu verkünden, dass die neue Single Saku doch schon eher als geplant, nämlich Mitte Juli veröffentlicht werden sollte, was den Unmut seiner Schützlinge noch gesteigert hatte. Nur Kaoru war so guter Laune gewesen, dass ihn die Aussichten auf einen verkürzten Urlaub und baldige Studioaufnahmen nicht weiter gestört hatten. Es war doch nur eine Single mit insgesamt drei Songs, die würden sie ganz schnell eingespielt haben. Nach der Besprechung, in der man sich auch auf eine weitere Tour von Ende Oktober bis Mitte November geeinigt hatte, war Kaoru direkt zum Yoyogi Park gefahren und stand nun vor dem Eingang in Harajuku. Es war kurz vor 11 Uhr, also hatte er noch mehr als eine Stunde Zeit, um den Sänger ausfindig zu machen, das sollte zu schaffen sein. Und so stiefelte Kaoru, nachdem er sich vorsichtshalber den aushängenden Lageplan angesehen hatte, los in Richtung Springbrunnen, der im Zentrum des Parks lag. Auf seinem Weg dorthin stellte der Gitarrist erleichtert fest, dass tatsächlich nur wenig Leute unterwegs waren, hauptsächlich Senioren oder Frauen mit Kinderwagen, und dies hob seine Laune noch weiter an. Gleichzeitig verspürte er aber auch ein längst vergessenes Kribbeln in der Magengrube, von dem er nicht sagen konnte, ob es reine Vorfreude oder nicht doch auch zum Teil Nervosität war, immerhin hatte er heute seine erste Verabredung seit acht Jahren. Aber er versuchte, diesen störenden Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen und sich stattdessen auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das war im Moment, Ryo erst einmal zu finden. Am Springbrunnen angelangt musste Kaoru sich kurz orientieren, bevor er weiter in Richtung Norden ging. Der Leader war ein pünktlicher Mensch und hatte keine Lust, ausgerechnet heute zu spät zu kommen, doch ein Blick auf seine Uhr, die nun 11:15 anzeigte, beruhigte ihn. Er wusste auch, dank des Lageplans, dass der Teich mit dem Springbrunnen auf der größten Wiese des Parks lag und er sich somit bereits auf ihr befand, also sollte Ryo eigentlich bald in Sicht kommen. Kaoru lief weiter, vorbei an einer Gruppe leicht übergewichtiger Frauen, die zusammen Gymnastik machten, und an Parkbänken, auf denen größtenteils ältere Männer saßen und Zeitung lasen oder sich einfach die warme Mittagssonne ins Gesicht scheinen ließen. Plötzlich verlangsamte er seinen Schritt etwas und kniff die Augen zusammen. Etwa 50 Meter von ihm entfernt hob sich eine riesengroße, knallrote Decke deutlich vom Gras ab, auf der anscheinend nur eine einzige Person lag, und je näher er kam, desto sicherer wurde Kaoru, dass er Ryo gefunden hatte. Da er ja noch viel Zeit hatte, schlenderte er nun ganz gemächlich weiter, und auf den letzten paar Metern verzog sich sein Mund zu einem kleinen Grinsen. Der Anblick, der sich ihm da bot, war aber auch zu niedlich. Ryo lag auf dem Rücken und hatte seine Arme als Kissenersatz unter dem Kopf verschränkt, sein linkes Bein war angewinkelt und diente dem anderen Bein als Stütze. Das an sich war noch völlig normal, es war etwas anderes, das Kaoru amüsierte. Der Sänger hörte nämlich über Kopfhörer Musik und bewegte dazu die Lippen, und seine Mimik gab genau das wieder, was er bei den einzelnen Stellen des gerade gespielten Liedes empfand. Es war offenbar ein sehr abwechslungsreiches Stück, denn in einem Moment hatte Ryo noch nachdenklich die Augenbrauen zusammengezogen, und im nächsten Moment lächelte er schon wieder wie ein kleiner Sonnenschein, was besonders süß aussah, da er dabei ja noch lautlos mitsang. Und sein nackter, gen Himmel zeigender Fuß wippte eifrig im Takt mit. Kaoru dachte nicht im Traum daran, sich jetzt schon bemerkbar zu machen, er schaute dem kleinen Vollblutsänger lieber noch ein Weilchen zu und achtete darauf, dass sein Schatten dabei nicht auf Ryo's Gesicht fiel und seine Ankunft verriet. Nach einigen Minuten entschied er sich aber spontan – obwohl er dem Jüngeren noch viel länger hätte zusehen können – für einen weiteren Vergleich mit seinem Ex-Freund und kitzelte Ryo am Fuß. Dessen Reaktion war zu Kaoru's Freude auch sehr Kyo-typisch, denn der kleine Kerl gab ein lautes Quietschen von sich, riss den belästigten Fuß in die Höhe, seine Augen weit auf und die Kopfhörer von den Ohren. Kaoru's Grinsen wurde noch breiter, da Ryo ganz offensichtlich genauso kitzlig war wie Kyo (und wie Millionen anderer Menschen auch, aber dieser Gedanke hatte im Kopf des Gitarristen keinen Platz), und er beugte sich zu dem keuchenden Sänger hinunter und zwinkerte ihn an. "Schönen guten Tag wünsch ich." Sein armes Opfer legte eine Hand auf die Brust und japste nach Luft. "Großer Gott, ich hätte fast 'nen Herzkasper gekriegt!" "Keine Sorge, in dem Fall hätte ich dich ganz heldenhaft und fachmännisch wiederbelebt." erwiderte Kaoru noch immer grinsend, setzte sich dann neben Ryo und zog ebenfalls die Schuhe aus. Der Jüngere musste bei diesen Worten schon wieder schmunzeln. "Wie beruhigend." Er nahm Kaoru seine Kitzelattacke anscheinend nicht wirklich übel. Dass Kyo im Gegensatz dazu erst einmal eine Runde geschmollt hätte, ignorierte der Gitarrist und legte sich bäuchlings auf die Decke, auf der mindestens drei weitere Personen Platz gehabt hätten. Seinen Kopf stützte er dabei mit einer Hand, um Ryo ansehen zu können, der inzwischen seinen MP3-Player weggepackt hatte und es sich jetzt auch wieder neben Kaoru gemütlich machte. "Tut mir übrigens sehr leid, dass ich mich erst so spät bei dir gemeldet hab, aber wegen der Golden Week war ich schon total verplant. Und zu meinen Freunden wollte ich dich nicht mitschleppen, da hätten wir keine einzige ruhige Minute zum quatschen gehabt." entschuldigte der Sänger sich und sah Kaoru dabei mit so treuherzigen Hundeaugen an, dass dieser nicht anders konnte als zu lächeln. "Kein Problem, ich..." er stockte kurz, da Ryo unbewusst damit angefangen hatte, an einem seiner Lippenpiercings zu knabbern, fing sich aber gleich wieder, "...ich freue mich, dass du überhaupt angerufen hast." Da ließ Ryo von seine Piercing ab und lächelte ebenfalls, behielt aber für sich, dass er Kaoru's Nummer an jenem Tag sofort nach dem Abschied von Mariko und Tsutomu in sein Handy gespeichert hatte. "Und ich freue mich, dass du bereit warst, mich hier zu suchen. Hätte bestimmt nicht jeder gemacht." "Ich bin ja auch nicht jeder, und nach meiner kleinen Verfolgungsaktion am Samstag war das hier das reinste Kinderspiel." bemerkte Kaoru schmunzelnd. "Kommst du eigentlich oft hierher?" Ryo nickte. "Ja, so oft ich Zeit hab und das Wetter mitmacht. Ich bin lieber mit Freunden oder mit meinem Hund draußen als den ganzen Tag zuhause zu hocken. Und du?" Einen Moment lang schwieg der Ältere und sah an Ryo vorbei ins Leere, dachte an die Tage nach Kyo's Auszug. Sein Schmunzeln verschwand. "Naja, mal so, mal so. Hängt ganz von meiner Laune ab." Dann riss er sich aber wieder zusammen und sah grinsend in das fragende Gesicht des Sängers. "Aber was diesen Park hier angeht... Ich musste den Lageplan am Eingang studieren, um herzufinden, ich denke das sagt alles." Bei diesen Worten lachte Ryo und nickte erneut, dann fiel ihm etwas ein und er richtete sich auf. "Ach ja, hast du Hunger?" Dabei zeigte er hinter sich auf seinen Rucksack und Kaoru hob neugierig eine Augenbraue. "Kommt ganz darauf an, was du mitgebracht hast." Nun war es an dem Jüngeren, zu grinsen, und er griff nach dem Rucksack. "Ich denke, so lange du nichts gegen Reis und Hühnchen hast, dürfte es dir schmecken." Und während Kaoru sich ebenfalls aufsetzte, holte sein Gegenüber zwei Lunchboxen heraus und öffnete eine davon. Sofort wehte dem Gitarristen ein herrlicher Duft um die Nase und er beugte sich ein wenig vor, um den Inhalt näher begutachten zu können. Die Yakitori sahen wirklich mehr als lecker aus. "Also wenn es so schmeckt wie es aussieht und riecht, dann hab ich einen Bärenhunger." "Na dann find es doch heraus." Damit hielt Ryo ihm den Behälter hin und Kaoru griff nach einem der gegrillten Hühnchenspieße, nahm das obere Ende in den Mund und zog das erste Fleischstück langsam ab. Ryo's Augen folgten gespannt seinen Bewegungen, und auf einmal kam dem Gitarristen in den Sinn, wie zweideutig das ganze gerade aussehen musste. Er konnte nur mit großer Mühe ein laszives Grinsen unterdrücken, konzentrierte sich stattdessen auf das Hühnchenstück in seinem Mund und ein aufrichtiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Wow, das schmeckt echt besser als an den Ständen, wo ich mir ab und zu welche hole. Wo hast du die denn gekauft?" Ryo schien erleichtert und zwinkerte ihm schelmisch zu. "Von wegen gekauft, die hab ich selbst gemacht." Wie vom Blitz getroffen hielt Kaoru, der das nächste Fleischstück mit der Hand abgezogen hatte und es sich gerade in den Mund stecken wollte, bei diesen Worten inne und starrte den Jüngeren überrascht an. "Du kochst?!" Der Angesprochene nahm sich nun ebenfalls ein Yakitori und antwortete, während seine Finger an dem obersten Stück zogen, dass er zwar kein Meister war, aber durchaus das eine oder andere Gericht kochen konnte, womit er Kaoru unbewusst eine wahnsinnig große Freude machte. Denn wie es der Zufall so wollte, hatte auch Kyo ein nicht zu verachtendes Talent, was das Kochen anging. Dass diese Fähigkeit keine übernatürliche Gabe und nicht nur wenigen Auserwählten vorbehalten war, übersah der Gitarrist hier ebenso wie zuvor die Tatsache, dass es weit mehr Menschen außer Kyo und Ryo gab, die an den Füßen kitzlig waren. Er sah nur das, was er sehen wollte, und das waren immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Sängern. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile und aßen dabei die Yakitori und Maki-Sushi, die Ryo in der zweiten Lunchbox mitgebracht und natürlich auch selbst gemacht hatte. Er zauberte sogar noch zwei große Wasserflaschen aus seinem Rucksack hervor, wodurch er bei Kaoru erneut Pluspunkte sammelte. Nachdem alles verputzt war und der Ältere sich für das leckere Essen bedankt hatte, legte er sich auf den Rücken und starrte gedankenverloren in den wolkenlosen Himmel. Bis jetzt kam er blendend mit Ryo aus und fühlte sich in dessen Gesellschaft unglaublich wohl, der Jüngere schaffte es auch immer wieder mühelos, ihn mit kleinen frechen Bemerkungen zum Lachen zu bringen. Es kam ihm in den Sinn, dass Ryo - genau wie Kyo - zweigleisig zu fahren schien, was sein Verhalten betraf: Mal war er vorwitzig und um keinen Spruch verlegen, und dann, ganz plötzlich und ohne jede Vorwarnung, fiel diese schützende Maske von ihm ab und der wahre, aufrichtige und verletzliche Ryo kam zum Vorschein. Kaoru mochte beide Seiten, sowohl bei Ryo als auch bei Kyo. "Woran denkst du?" fragte der jüngere Sänger im nächsten Moment und Kaoru sah lächelnd in dessen neugierige Augen. "Daran, dass ich pappsatt und vollkommen zufrieden bin." Das entsprach zwar nicht zu 100 Prozent der Wahrheit, war aber auch nicht gelogen, da Ryo's Verhalten ihn wirklich glücklich und zufrieden machte. "Soso, pappsatt ist der Herr. Na aber du weißt doch sicher, wie wichtig Bewegung nach dem Essen ist, ne?!" Der zurückgekehrte freche Ton in Ryo's Stimme und das breite Grinsen auf seinem Gesicht ließen Kaoru verwirrt eine Augenbraue heben. "Ähm, darf man fragen, worauf du damit anspielst?" Doch Ryo konnte sich die Antwort sparen, das übernahm das laute Geschrei, welches plötzlich in Kaoru's Ohren dröhnte. Und als dieser sich zu der Quelle des Lärms umdrehte, weiteten sich seine Augen auf Tomatengröße. Da kam doch wirklich und wahrhaftig eine riesige Schar Kinder – alles Jungen, deren Alter er auf etwa neun bis zehn Jahre schätzte – zielsicher und in einem mörderischen Tempo auf sie zugestürmt, dass es dem Gitarristen ganz angst und bange wurde. Was sollte das denn jetzt werden? Kaoru hatte aber keine Zeit mehr, diese Frage an Ryo zu richten, denn das Unheil in Form von etwa 20 Kindern hatte sie mittlerweile erreicht und umzingelt. "HALLO RYO!!" plärrten die Jungen im Chor und entblößten dabei ihre vielen kleinen Zahnlücken. Der Sänger grinste in die Runde. "Hey Jungs, na wie war die Schule?" "ÄTZEND!!" war die einstimmige Antwort der Kinder, dann riss einer der Knaben einen Fußball in die Höhe und schwenkte ihn ganz aufgeregt durch die Luft. "Du, wir haben ein Problem! Takumi ist krank, jetzt fehlt uns einer!" Ryo schien das jedoch nicht ganz so tragisch zu sehen. "Oh, na hoffentlich geht's ihm bald wieder besser. Aber keine Sorge, ich hab da eine Idee." Bei diesen Worten fiel sein Blick auf Kaoru, der sofort energisch den Kopf schüttelte, Ryo damit aber nicht sonderlich beeindrucken konnte. "Mein Freund hier wird mitspielen, dann hat jede Mannschaft wieder genau elf Leute." Sofort brachen die Kinder in lautes Jubeln aus und rannten schon mal vor zur Mitte der Wiese, ihr neuer Mitspieler war allerdings nicht annähernd so begeistert. Er setzte sich im Schneidersitz hin und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Das kannst du vergessen, ich spiele nicht mit einem Haufen Gartenzwerge Fußball." Ryo, der sich gerade seine Schuhe anzog, sah amüsiert zu ihm hinüber. "Na komm schon, sei kein Spielverderber! Oder machen das deine alten Knochen nicht mehr mit?" DAS hatte gesessen, und Kaoru's Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, mit denen er Ryo fixierte während er nach seinen eigenen Schuhen tastete. Er wußte, dass der andere erst 21 und damit ganze neun Jahre jünger war, aber sich deshalb als altersschwach und gebrechlich abstempeln zu lassen kam für den Gitarristen nicht in Frage. Sein Gegenüber erkannte an Kaoru's Reaktion, dass er genau das richtige Argument gefunden hatte, und wartete grinsend, bis die Schuhe des Älteren zugeschnürt waren. Dann stand er auf und Kaoru erhob sich ebenfalls. Wortlos starrten sich die beiden herausfordernd an, Ryo streckte sich dabei noch etwas, um ihren Größenunterschied wenigstens ein bisschen auszugleichen, und als hätte jemand ein lautloses Signal gegeben, sprinteten sie plötzlich gleichzeitig los. Kaoru hatte Ryo schon nach wenigen Sekunden hinter sich gelassen, da der Jüngere vor Lachen nicht so schnell rennen konnte, und auch er hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Sie spielten und spielten und spielten, bis Kaoru's Mannschaft als eindeutiger Sieger aus dem Match hervorging und seinen Kapitän dementsprechend laut feierte. Ryo hatte es als erster von ihnen beiden wieder zurück auf die Decke geschafft und beobachtete nun kichernd, wie der Gitarrist das gleiche Ziel ansteuerte. Er hatte es aber um ein Vielfaches schwerer, da er noch eine Handvoll Kinder mitschleppen musste, die sich an seine Arme, um seine Hüfte und sogar an seine Beine gehängt hatten und darauf bestanden, noch eine Runde zu spielen. "Mir scheint, du hast eine neue Fangemeinde!" rief Ryo ihm über das Geschrei der Jungen entgegen, als Kaoru nur noch wenige Meter von der rettenden Decke trennten, und der Gitarrist verdrehte die Augen. "Ja, ganz toll!" Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören und Ryo zwinkerte ihm lachend zu, was Kaoru schon fast wieder für die Strapazen entschädigte. Endlich hatte er es bis zu dem Sänger geschafft und sah ihn hilfesuchend an, sodass dieser sich schließlich erbarmte und die Aufmerksamkeit der Knaben auf sich zog. "Sagt mal, habt ihr schon auf die Uhr gesehen? Es ist schon nach drei, ihr kriegt bestimmt gewaltigen Ärger von euren Eltern, wenn ihr nicht langsam heimgeht!" Da machten die Jungen große Augen und ließen sofort von Kaoru ab. "Echt, schon so spät?!" Ryo nickte. "Jawohl, also beeilt euch lieber mal ein bisschen. Wir sehen uns dann nächste Woche wieder, ja?" Seine kleinen Freunde grinsten daraufhin und einer von ihnen trat einen Schritt vor. "Ja, und vergiss nicht, Kaoru wieder mitzubringen!" Die anderen Kinder bekräftigten dies mit so lautem Schreien, dass der Gitarrist noch vor Ryo die Hände hob und zusagte, dass er beim nächsten Mal auch wieder dabei sein würde, nur damit endlich Ruhe war. Und so hatte er außerdem gleich einen Grund, um sich wieder mit Ryo treffen zu können. Seine neue Fangemeinde verabschiedete sich daraufhin und lief glücklich zu dem Rest der Kinder zurück, es war ein erneutes Johlen zu hören, als die große Neuigkeit weitererzählt wurde, und dann machten sich alle schnatternd und lachend auf den Heimweg. In der Zwischenzeit hatte Kaoru sich auf der Decke niedergelassen, blickte wieder in den Himmel und spürte zu seiner eigenen Überraschung neben der Erschöpfung noch etwas anderes. "Wow, das hat richtig... Spaß gemacht!" Der Sänger neben ihm lächelte. "Das hat man dir auch angesehen. War das eigentlich ernst gemeint, dass du wieder mitspielen wirst, oder wolltest du sie damit nur loswerden?" Als der Gitarrist nicht sofort antwortete, fügte Ryo noch etwas leiser hinzu "Ich hoffe, dass es dein Ernst war." Darauf hatte Kaoru gewartet und drehte sich auf die Seite, sodass sie sich gegenüberlagen. "Das war es auch. Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es." Dabei sah er Ryo tief in die Augen, und für eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Kaoru versuchte abzuschätzen, was Ryo bis jetzt für ihn empfand, ob er sich wirklich für eine Beziehung interessierte, die über Freundschaft hinausging. Anzunehmen war es ja, immerhin hatte der Sänger ihn angerufen und sich mit ihm treffen wollen, obwohl sie sich bis dahin erst ein einziges Mal über den Weg gelaufen waren, und das unter nicht gerade normalen Umständen. Aber Ryo hatte sich von Kaoru's Verfolgungsaktion nicht abschrecken lassen und war dem anderen gegenüber ganz offen und freundlich, obwohl die Absichten des Gitarristen ziemlich deutlich waren. Auch jetzt erwiderte er seinen eindringlichen Blick völlig unbefangen, und Kaoru beschloss, das Risiko einzugehen. Ohne seine Augen von ihm zu lassen, streckte der Gitarrist seinen Arm langsam nach Ryo aus und nahm dessen Hand sanft in seine eigene. "Ich möchte dich aber unbedingt schon vorher wiedersehen." Diese leisen Worte zauberten dem Sänger ein Lächeln auf die Lippen. "Da wird sich sicher etwas machen lassen. Ich für meinen Teil hab die nächsten Wochen Urlaub, weil wir ja erst vor kurzem unsere Tour beendet haben. Also wenn du irgendwann mal Zeit hast-" "Wie wäre es mit morgen? Ich hab nämlich auch Urlaub seit unserer letzten Tour!" fiel Kaoru ihm sogleich freudig und erleichtert ins Wort und brachte Ryo zum schmunzeln. "Sehr gern. Schon eine Idee, was wir machen könnten?" Der Blick, den er daraufhin von Kaoru bekam, ließ ihn aber sofort rot werden und wegschauen, weshalb der Gitarrist lachte und Ryo's Hand kurz aufmunternd drückte. "Keine Angst, ich werde nicht gleich über dich herfallen. Jetzt bin ich dran, mir etwas auszudenken, also lass dich einfach überraschen." Sie einigten sich darauf, dass Kaoru den Jüngeren am nächsten Morgen anrufen würde, dann redeten die beiden noch stundenlang über alles mögliche, bekamen gar nicht wirklich mit, dass der Park inzwischen voller Leute war. Erst als der Himmel allmählich dunkler wurde, packte Ryo seine Sachen wieder zurück in den Rucksack und verließ zusammen mit Kaoru die Wiese. Am Parktor in Harajuku blieben sie kurz stehen um sich voneinander zu verabschieden, da Ryo nach links und Kaoru nach rechts musste. Man sah beiden an, wie wenig begeistert sie darüber waren, sich hier trennen zu müssen. Kaoru war der erste von ihnen, der sich schließlich einen Ruck gab. "Also dann, bis morgen." meinte er lächelnd und Ryo nickte. "Ja, und ich bin schon gespannt, was du dir einfallen lassen wirst." Der Gitarrist zwinkerte ihm bei diesen Worten verheißungsvoll zu, hob noch einmal kurz zum Abschied die Hand und machte sich dann auf den Weg, Ryo dagegen blieb noch eine Weile stehen und sah ihm verträumt hinterher. Doch plötzlich veränderte sich sein Blick und ein anzügliches Grinsen schlich sich auf die Lippen des Sängers. "Und falls dir doch nichts einfällt, nehme ich auch gern dein anderes Angebot an..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)