Sterne funkeln immerfort von sherd (Georges Leben nach Freds Tod...) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Seufzend lehnte sich George zurück, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und schloss für einige Sekunden die Augen. Im Grunde mochte er die Weihnachtszeit, aber irgendwie war alles, seit den jüngsten Ereignissen, so anders. Kompliziert. Alles in allem war das Leben nur noch halb so schön. „George, Schatz, hast du irgendetwas?“, riss die Stimme seiner Mutter ihn aus seinen Gedanken. Widerwillig öffnete er die Augen wieder und blickte in das besorgte Gesicht von Mrs. Weasley. „Nein, alles in Ordnung, Mum. Ich hab nur das Gefühl mich irgendwie überfressen zu haben.“ Seine Mutter lächelte. „Nun, dann kann ich ja wenigstens davon ausgehen, dass es dir geschmeckt hat.“, meinte sie fröhlich. „Klar.“ „Dann kannst du mir doch sicherlich auch schnell dabei helfen, den Tisch abzuräumen, oder? Die anderen waren klüger als du und haben sich schon aus dem Staub gemacht.“ „Kein Problem.“, antwortete George und griff nach seinem Zauberstab. Nachdem er einige gelangweilte Bewegungen damit gemacht hatte, begannen sich die leeren Teller, Gläser, Töpfe, Pfannen und Schüsseln wie von Zauberhand selbst abzuräumen. Um sich nicht noch mehr Arbeit aufzuhalsen stand er ohne ein weiteres Wort auf und verlies die Küche. Ohne es selbst wirklich zu realisieren, führten ihn seine Füße nach draußen in den Garten. Lautlos zog er die Tür hinter sich ins Schloss, ging ein paar Schritte und wandte den Blick dann gedankenverloren zum Sternenhimmel hinauf. Ob es Fred da, wo er jetzt war, gut ging? Hätte er das, was seinem Bruder passiert war, vielleicht verhindern können, wenn er nur bei ihm geblieben wäre? Diese Frage quälten George immer wieder aufs Neue, schon seit Monaten. Wenn er doch nur noch ein letztes Mal mit ihm hätte reden können… er fehlte ihm so. George spürte, wie ihm eine Träne die Wange hinab lief, atmete tief ein und wischte sich dann mit dem rechten Ärmel seines Pullovers über die Augen. Das, was er am wenigsten wollte, war, dass ihn irgendjemand weinen sah. Er lauschte kurz und vernahm knirschende Schritte, die sich durch den Schnee hindurch auf ihn zubewegten. George stand da, mit den Händen in den Taschen und wartete. Nach kurzer Zeit tauchte Ron neben ihm auf. „Nicht ein wenig kalt ohne Jacke?“, wollte sein Bruder wissen. George blickte an sich herab und realisierte tatsächlich jetzt erst, dass er sich vorhin nichts übergezogen hatte. Er trug einen alten, von seiner Mutter gestrickten Pullover mit einem großen „F“ auf der Brust. Hier und da prangte ein Loch und der rechte Ärmel war angesengt. Eigentlich gehörte er Fred, den dieser an jenem Tag getragen hatte, als er gestorben war. „Nein, ist eigentlich ganz angenehm.“, log George und wandte den Blick wieder nach oben zum Himmel. Ron schaute seinen Bruder einige Zeit stirnrunzelnd von der Seite an und hob dann ebenfalls den Kopf. „Mit dir und Hermine alles in Ordnung?“, ergriff George schließlich das Wort. Ihm war das Schweigen wahrscheinlich genauso unangenehm wie seinem Bruder Ron. „Jaah, mit uns ist alles okay… Hör mal, wir machen uns alle richtig Sorgen um dich, wegen,… du weißt schon. Du bist seitdem so anders… Nicht mehr… naja, so witzig und fröhlich.“ Ohje. Ron wollte anscheinend wirklich versuchen, ihn aufzuheitern. George lächelte gequält. „Kann schon sein.“, antwortete er. „Was… was ich eigentlich sagen wollte“, fuhr Ron fort, „wenn du mit irgendwem sprechen willst, dann… also, ich bin da.“ Das eben noch so gequälte Lächeln von George verschwand. Stattdessen warf Ron einen dankbaren Blick zu. „Das weiß ich, Ron, das weiß ich… Danke.“, antwortete er und legte den Arm um die Schulter seines jüngeren Bruders. Für einige Zeit beobachteten beide den Sternenhimmel. „Also, eigentlich hat mich Mum nach draußen geschickt, um dir zu sagen, dass es noch Kuchen gibt… und ob du welchen haben möchtest.“ George lächelte erneut. Zumindest versuchte er es, aber es fühlte sich irgendwie falsch und unecht an. „Gegen Kuchen hab ich nichts einzuwenden… Lass uns nach drinnen gehen.“ Als George und Ron die warme Küche betraten, saß der Rest der Familie schon am Tisch und unterhielt sich. „Wir haben auf euch gewartet.“, meinte Mrs. Weasley, die aufblickte. George nickte und setzte sich auf seinen gewohnten Platz, der Stuhl neben ihm, auf dem stets Fred gesessen hatte, war leer. Anstatt einem Teller hatten die Weasleys eine brennende Kerze aufgestellt. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in Georges Magengrube aus, wie jedes Mal, wenn er auf so schmerzhafte Weise an das Fehlen seines Bruders erinnert wurde. Manchmal kam es ihm vor wie ein böser Traum, als wäre das alles gar nicht passiert, als würde er jede Sekunde, einen blöden Witz reißend, durch die Tür kommen. Das traurige war nur, dass es nicht geschah, so sehr er es sich auch wünschte. Er seufzte innerlich und nahm sich dann ein Stück Kuchen, weil er den besorgten Blick seiner Mutter spürte. George hasste es, in letzter Zeit immer so von ihr angesehen zu werden, konnte es ihr allerdings auch nicht verübeln. Unauffällig lies er seinen Blick am Tisch umherschweifen. Harry und seine Schwester Ginny sahen, wie auch Ron und Hermine, glücklich aus. Endlich konnten sie alle beieinander und mit den Personen, die sie liebten, zusammen sein, ohne sich Sorgen machen zu müssen, diese mit ihrer bloßen Anwesenheit in Gefahr zu bringen. George konnte es ihnen nicht verübeln, nach all dem, was sie durchgemacht hatten. Auch Bill und Fleur, die bereits im vierten Monat schwanger, schenkten einander immer wieder verliebte Blicke. Percy war in ein Gespräch mit seinen Eltern verwickelt. Es war unschwer zu erkennen, wie glücklich Arthur und Molly waren, ihren Sohn, zu dem sie so lange Zeit keinen Kontakt gehabt hatten, wieder um sich zu haben. Charlie war bisher noch nicht eingetroffen, da er noch beruflich in Rumänien zu tun hatte. Allerdings hatte er in dem Brief an seine Familie versprochen, pünktlich an Weihnachten da sein zu wollen. George seufzte erneut innerlich. Allen an diesem Tisch hatte Voldemorts Tod nur Gutes gebracht. Allen, bis auf ihn, so redete er es sich zumindest immer und immer wieder ein. Er hatte seinen besten Freund, seinen einzigen Freund, seine bessere Hälfte und auch einen Teil seiner Seele verloren. Seinen Bruder Fred. Abwesend griff er nach der Flasche Feuerwhiskey, die vor ihm auf dem Tisch stand und goss sich etwas davon in sein Glas. Schweigend nahm er einen Schluck und schenkte seiner Mutter, die ihm einen Blick zuwarf, ein Lächeln. Für sie musste es recht überzeugend wirken, doch George selbst kam es einfach nur falsch und lächerlich vor. Kapitel 2: ----------- Am nächsten Morgen wurde George unsanft durch lautes Klopfen an seiner Tür aus dem Schlaf gerissen. „Aufwachen, Schlafmütze! Es gibt gleich Frühstück.“, rief seine Schwester Ginny fröhlich. „Frohe Weihnachten übrigens.“, fügte sie, etwas leiser, hinzu. George gähnte herzhaft und rieb sich mit der rechten Hand die Augen. Er hatte, wie so oft in letzter Zeit, sehr schlecht geschlafen. Müde setzte er sich auf. Sein Blick fiel auf das Ende seines Bettes, an dem ein Haufen Geschenke lag. Lächelnd griff er nach dem ersten, welches von seiner Mutter stammte. Sicherlich hatte sie ihm wieder einen Pullover gestrickt, wie sie es jedes Jahr tat. George behielt Recht. Ein selbstgestrickter Pullover, allerdings nicht, wie sonst üblich, mit einem großen „G“ darauf, sondern einem „F“. Für einen Moment überlegte er, was er davon halten sollte. Ob das ein Fehler von seiner Mutter war? Sie hatte ihre Zwillingssöhne zwar oft verwechselt, aber sicherlich hatte sie nicht vergessen, welcher von beiden denn noch am Leben war. Schließlich fiel ihm ein, dass es wahrscheinlich pure Absicht gewesen sein musste. Natürlich war seiner Mutter nicht entgangen, dass George um seinen Bruder trauerte, wahrscheinlich mehr als sonst irgendjemand in seiner Familie, und in der letzten Zeit, zum Gedenken an ihn, nur noch seine alten Pullover getragen hatte. Lächelnd zog er ihn über seinen Schlafanzug und begann dann, die anderen Geschenke ebenfalls zu öffnen. Von Hermine und Ron bekam er „Wanderbys zauberhafte Scherzzauber für jeden Tag des Jahres“. George konnte nur matt darüber lächeln. Zweifellos kannte er jeden Zauberspruch in diesem Buch. Percys Geschenk war ein Satz Koboldsteine. Auch hierrüber musste er lächeln. Sein Bruder glaubte anscheinend noch immer, dass er ihn in diesem Spiel irgendwann schlagen würde. Für einen Moment fragte er sich auch, wohin eigentlich sein alter Satz Koboldsteine verschwunden war… Fleur und Bill hatten ihm einen magischen Rasierapparat geschenkt, Harry und Ginny eine Auswahl verschiedener Süßigkeiten, unter anderem einige Schokofrösche und Bertie Botts Bohnen jeder Geschmackrichtung. Desweiteren fand er noch ein Geschenk, welches jedoch weder eingepackt noch beschriftet war. Eine Holzschatulle, nicht sehr groß, die mit einem Schloss versehen war. George drehte die Schatulle in den Händen. Vielleicht war sie von Charlie? „George, komm nach unten! Frühstücken! Außerdem ist dein Bruder gerade angekommen!“, hörte er seine Mutter vom Fuße der Treppe zu ihm nach oben schreien. „Ich bin schon auf dem Weg!“, rief George zurück und stand auf. Das Kästchen legte er vorerst zurück zu den anderen ausgepackten Geschenken. Dann machte sich auf den Weg nach unten. Als er in die Küche trat, saßen Harry, Ginny, Hermine, Ron, sein Vater und Charlie schon am Tisch. Mrs. Weasley stand noch vor der Anrichte und bereitete das Frühstück vor. „Du hast auch schon mal besser ausgesehen.“, richtete George das Wort an seinen älteren Bruder. Charlie, der sich gerade mit Hermine und Ginny unterhalten hatte, drehte den Kopf und grinste. „Das sagt der Richtige. Du hattest beim letzten Mal, als ich dich gesehen hab, zumindest ein Ohr mehr.“, erwiderte dieser, stand auf und trat auf seinen Bruder zu. Dann umarmten sich beide. George wusste in diesem Moment nicht, wann er sich zum letzten Mal so gefreut hatte, seinen Bruder zu sehen und er war Charlie dankbar. Zumindest bedachte er ihn nicht mit diesem nachdenklichen Blick, wie alle anderen es immer taten, als befürchteten sie, er könnte jeden Moment durchdrehen. Charlie tat einfach so, als wäre alles wie immer… das bedeutete allerdings nicht, dass er herzlos oder dergleichen war, Fred fehlte ihm wahrscheinlich genauso sehr wie allen anderen. Das war dann wohl seine Art und Weise, damit umzugehen. „Dein Geschenk bekommst du dann, sobald ich etwas gegessen habe. Ich sterbe sonst noch vor Hunger.“, meinte er dann, als sie sich aus der Umarmung gelöst hatten. Dann war das Kästchen also doch nicht von Charlie… „Klar. Kein Problem. Angeblich soll es ja auch schon lange Frühstück geben, allerdings ist der Tisch dafür ganz schön leer. Warum hab ich mich denn jetzt so beeilt, Mum?“, meinte er und schaute seine Mutter erwartungsvoll an. Diese hatte die neueste Ausgabe des Tagespropheten in die Hand genommen, rollte ihn zusammen und gab ihrem Sohn einen leichten Klaps damit auf den Hinterkopf. „Sei nicht so frech und hilf deiner alten Mutter lieber.“, gab sie daraufhin zurück. George wusste nicht, woher seine gute Laune heute kam. Das erste Mal seit Monaten fühlte er sich zumindest ein wenig besser. Als wäre er aus einem langen Alptraum erwacht. Und dann tat er etwas, was er noch nie in seinem ganzen Leben getan hatte: er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. „Danke, für den Pullover, Mum. Das war das schönste Geschenk von allen, wirklich.“, flüsterte er dann in ihr Ohr. Seine Mutter schaute ihn entgeistert an und lächelte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, das sah man ihr mehr als deutlich an. George nahm einen der Obstteller von der Anrichte und stellte ihn auf den Tisch. Den anderen war das kleine Küsschen, welches er seiner Mutter eben gegeben hatte, natürlich nicht entgangen und auch sie schauten alle ein wenig dumm aus der Wäsche. George grinste innerlich. Ihm gefiel es, dass er mit einer so kleinen Geste alle aus der Fassung gebracht hatte. „Was schaut ihr denn so? Hab ich irgendetwas nicht mitbekommen? Ihr müsst schon ein wenig lauter sprechen, mit nur einem Ohr hört man so schlecht.“, meinte er schließlich. Alle schauten sich ein wenig verwirrt an und wussten nicht so recht, was sie sagen sollten. „Guten Morgen.“, riss Percy sie plötzlich aus ihrer Starre, der eben die Küche betreten hatte. Fröhlich lief er zur Anrichte und half seiner Mutter, die sich auch wieder gefangen hatte, den Rest des Tisches zu decken. George hatte sich inzwischen neben Charlie gesetzt und lauschte gespannt seinen Geschichten von der Arbeit mit den Drachen. Nach und nach fanden sich auch die restlichen Familienmitglieder ein und es wurde mit dem Frühstück begonnen. George spürte, wie seine Mutter ihm während des Essens immer wieder freudige Blicke zuwarf. Er ignorierte sie gekonnt und verspeiste genüsslich sein Frühstück. Für heute hatte George noch einiges geplant und er wusste nicht, ob er all das bis zum Mittagessen erledigt haben würde. Zuerst wollte er das Grab seines Bruders besuchen. Er fand, dass er ihm das schuldig war, heute, zu Weihnachten. Danach hatte er vor, in den Laden zu gehen, den er vor Freds Tod zusammen mit ihm betrieben hatte. Seitdem er gestorben war hatte er ihn nicht wieder betreten, allerdings sollte das anders werden. George wollte wieder dort arbeiten und heute zumindest einmal nach dem rechten schauen. Kapitel 3: ----------- Nach dem Frühstück ging George geradewegs in sein Zimmer. Dort suchte er in dem Chaos nach seinem Umhang, den er, nach einiger Zeit tatsächlich fand. Er zog ihn über und entschied sich dann, ein wenig Ordnung zu machen. Die ganze schmutzige Kleidung warf er auf einen Haufen gleich am Eingang des Zimmers, seine Weihnachtsgeschenke legte er auf den Nachttisch neben seinem Bett. Was die restliche Unordnung verursachte, waren in erster Linie nur noch einige Artikel aus Weasleys Zauberhafte Zauberscherze. George stellte jene, die noch in Kartons verpackt waren, in die kleine Ecke, die gleich neben seinem Bett war. Dann begann er, alles, was lose herumlag, in leere Pappkartons zu werfen und stellte auch diese mit in die Ecke. Nun blieben nur noch die Verpackungen seiner Weihnachtsgeschenke und einige beschriftete sowie unbeschriftete Pergamentstücke übrig. Das Geschenkpapier warf George in seinen Mülleimer, die Pergamente sortierte er aus. Was er hiervon nicht mehr brauchte, warf er ebenfalls weg. Zuletzt brachte er noch sein Bett und das seines verstorbenen Zwillingsbruders in Ordnung, dann schaute er sich zufrieden um. Er wusste ehrlich gesagt nicht, ob es hier schon jemals so ordentlich gewesen war. George warf sich seinen Umhang über, nahm den Zauberstab und auch einen der Kartons, in dem sich einige neue Artikel befanden, die er nachher noch in den Laden bringen wollte. Auf dem Weg nach unten begegnete er Ron. Dieser schaute ihn fragend an. „Ich muss mal eben in den Laden, es wird nicht lange dauern… Also, falls Mum fragen sollte, weißt du ja Bescheid.“ George ging weiter, doch dann meinte Ron plötzlich: „Ich würde gern mitkommen, wenn das in Ordnung ist.“ Er überlegte. Eigentlich hatte George vorgehabt, das Grab seines Zwillingsbruders besuchen zu gehen, allein. Aber, wenn er es sich recht überlegte, war es wahrscheinlich doch ganz angenehm, noch jemanden dabei zu haben. George drehte sich um und lächelte. „Ja, klar. Hol deinen Umhang, ich sag Mum Bescheid.“ Ron grinste und rannte die Treppe nach oben, während George die restlichen Stufen nach unten ging. Seine Mutter und seinen Vater fand er, wie er es erwartet hatte, gemeinsam in der Küche sitzend. Beide schauten ihn neugierig an, als er ins Zimmer trat. „Ich geh nochmal eben mit Ron in den Laden… es dauert nicht lang. Wir bemühen uns, bis zum Mittagessen zurück zu sein.“ Sein Vater runzelte die Stirn. „Hattest du nicht gesagt, du wolltest-“, begann er, wurde allerdings von seinem Sohn unterbrochen: „Nie wieder dort arbeiten. Ja, ich weiß, dass ich das gesagt habe. Allerdings haben ich und Fred an dem Laden so gut verdient, da kann ich ihn nicht einfach zumachen, wisst ihr.“ Er erschrak ein wenig, dass er den Namen seines Zwillingsbruders ausgesprochen hatte. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er das, in all den Monaten, nicht ein einziges Mal getan. Sein Vater nickte. „Eine gute Entscheidung, mein Sohn.“, meinte er, seine Mutter schenkte ihm nur ein Lächeln. In eben jenem Moment betrat Ron die Küche und sah seinen Bruder an. „Ich bin dann so weit.“, meinte er an George gewandt. Dieser nickte und machte sich auf den Weg nach draußen, Ron folgte ihm. An der Tür blieb er noch einmal kurz stehen und rief: „Ach übrigens, Mum, in meinem Zimmer ist noch ein wenig dreckige Wäsche!“, dann verlies er das Haus und zog die Eingangstür hinter sich zu. Draußen wandte er sich an seinen Bruder. „Also, dann apparieren wir jetzt wohl zur Winkelgasse, oder?“, meinte dieser. George schwieg kurz und meinte dann: „Nicht direkt. Wir machen einen kleinen Umweg. Ich hab noch was zu erledigen. Halt dich an meinem Arm fest, ich mach das schon.“ Ron widersprach nicht und legte seine Hand auf den Arm seines Bruders. Sofort verschwanden beide mit einem leisen „Plopp“. Kapitel 4: ----------- Als die beiden wieder festen Boden unter den Füßen hatten, lag ein schneebedeckter Trampelpfad vor ihnen. Ron wandte den Kopf und sah George mit großen Augen an. Er wusste, wo sie hier waren, sagte aber nichts. George setzte sich in Bewegung und sein jüngerer Bruder folgte ihm. Nach einer Weile erreichten sie ein altes, schmiedeeisernes Tor, durch welches sie hindurchgingen. Ron schloss es wieder und eilte dann seinem Bruder nach, der schon einige Schritte vorangegangen war. Der Weg führte sie an etlichen Gräbern vorbei, bis sie irgendwann eines erreichten, auf dessen Grabstein „Fred Weasley - geliebter Sohn, Bruder und Freund“ stand. George entfernte mit einem Schlenker seines Zauberstabs den Schnee und das Eis auf der Bank hinter sich und trocknete sie danach. Dann nahm er seufzend platz. Ron tat es ihm gleich. Beide schwiegen eine Weile. „Ich hab‘ gar nicht an Blumen gedacht.“, sagte George plötzlich. Ron nickte. „Er nimmt es dir sicherlich nicht übel.“, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu. „Nein, wahrscheinlich nicht.“ George fühlte sich unwohl. Seit der Beerdigung seines Bruders war er nicht mehr hier gewesen und nun fehlten ihm die Worte. Sollte er denn überhaupt irgendetwas sagen? Er wusste nicht, was. Fred fehlte ihm. Als er gegangen war, war sozusagen Georges bester Freund und Seelenverwandter gestorben. Er konnte sich an nichts, aber auch wirklich nichts erinnern, was er nicht mit seinem Zwillingsbruder zusammen gemacht hatte. Jeden Blödsinn hatten sie gemeinsam ausgeheckt und ausgeführt, sie konnten über alles sprechen. Er war einfach aufgeschmissen ohne ihn. Würde es ihm gelingen, weitere Produkte für den Laden zu entwickeln? Sie beide hatten sich bei der Entwicklung immer so furchtbar gut ergänzt. Und was sollte er mit Freds alten Sachen aus der Wohnung über dem Laden tun? Der Gedanke verursachte einen dicken Kloß in seinem Hals. Seit ihrer Flucht zu Tante Muriel war er nicht mehr dort gewesen. Alles musste noch genauso vorzufinden sein, wie an dem Tag, als sie sich Hals über Kopf aufgemacht hatten. Als wären sie beide nur kurz weggegangen, um etwas einzukaufen. Er spürte, wie ihm die Tränen wieder in die Augen stiegen und wischte sich hastig mit einem Zipfel seines Umhangs darüber. Er hoffte, dass Ron nichts bemerkte hatte, sah aber aus den Augenwinkeln, dass dieser ihn beobachtete. „Alles okay?“, fragte Ron schließlich. George lächelte gequält, starrte aber noch immer auf den Grabstein. „Nicht wirklich, Bruderherz, aber danke, dass du fragst.“ Ron atmete tief ein und aus. George wusste, dass sein Bruder in Gefühlsangelegenheiten vielleicht nicht gerade der beste Ansprechpartner war… Immerhin hatte er beinahe sieben Jahre gebraucht, mit dem Mädchen zusammenzukommen, in das er (so erzählte er es in letzter Zeit zumindest immer) schon vom ersten Augenblick an verliebt war. „Er fehlt mir auch. Ich meine, wahrscheinlich kann man das mit deinem Schmerz nicht einmal ansatzweise vergleichen, aber… naja, weißt du, er war auch mein Bruder.“ Jetzt war es also so weit. Naja, immerhin würde George sich nicht ewig vor einem solchen Gespräch drücken können, das hatte er von Anfang an gewusst und es deswegen so lange wie möglich hinausgezögert. „Ich weiß, Ron. Aber er war nicht nur mein Bruder. Er war meine bessere Hälfte. Ich bin nichts ohne ihn.“ „Das stimmt nicht“, erwiderte Ron daraufhin mit rauer Stimme. „Doch. Ich glaube, ich kann ohne ihn den Laden gar nicht weiterführen oder neue Produkte entwickeln.“ Jetzt war es heraus. Die ganzen Selbstzweifel, die ihn geplagt hatten. „Woher willst du das wissen, bevor du es überhaupt versucht hast?“, wollte Ron wissen. George zuckte leicht mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Es ist nur so ein Gefühl. Wie gesagt, ohne ihn ist es, als wäre ich nichts.“ Ron legte seinem Bruder mitfühlend die Hand auf die Schulter. „Das stimmt nicht. Du bist wichtig. Auch ohne Fred. Mum und Dad würden es nicht verkraften, noch einen ihrer Söhne zu verlieren.“ Da war etwas dran. Er dachte ungern an die erste Zeit nach dem Tod seines Bruders. Seine Mutter hatte ohne Unterbrechung geweint und sein Vater kein Wort gesprochen. Wochenlang. Erst dann war für seine Eltern das Leben weitergegangen. Doch auch heute noch konnte George ab und an den Schmerz in ihren Augen erkennen, wenn sie Zeit zum Nachdenken hatten. „Ich weiß, Ron. Keine Angst, ich wird nicht abhauen oder so, falls du das denkst. Es geht mir besser, mittlerweile. Wirklich.“ „Jaah, das merkt man. Am Anfang wollten Mum und Dad dich ins St.Mungo schicken. Im Gegensatz dazu bist du jetzt wieder richtig gut drauf.“ „Wirklich?“, fragte Fred und schaute seinen Bruder besorgt an. Das schlechte Gewissen plagte ihn plötzlich. Wie lange er seinen Eltern wohl Kummer bereitet hatte? Ron wandte ihm den Blick zu und grinste gequält. „Jaah, du darfst es ihnen nicht übel nehmen, wirklich. Du warst so, naja… als würdest du in einer anderen Welt leben. Du hast nicht gesprochen, nicht gegessen, nicht getrunken. Wir haben uns alle schreckliche Sorgen gemacht… Dir ging es erst besser, nachdem Mum und Dad dir ein paar von Freds alten Sachen ins Zimmer gebracht haben.“ George schaute seinen Bruder unverwandt an. „Wie lange war das?“, fragte er. „Ich kann mich absolut nicht daran erinnern.“ „Drei Wochen. Mum und Dad mussten dich zwangsernähren. Wirklich, du warst wie eine Statue. Keine Gefühlsregung, gar nichts. Aber du warst stark genug, von selbst wieder zurück zu finden. Denkst du nicht, dass du dann auch ohne ihn weiterleben kannst?“, erwiderte Ron mit einem aufmunterndem Blick. „Aber es ist so schwer.“, erwiderte George und wandte den Blick ab. Wieder breitete sich der Schmerz unbarmherzig in seinen Gliedern aus. Ron rückte etwas näher und legte ihm einen Arm um die Schulter. „Das glaub ich dir. Aber du musst versuchen, weiter zu machen. Ihm zuliebe. Er wäre sicherlich nicht begeistert, wenn er dich jetzt so sehen würde.“ „Ihm würde es genauso gehen, wenn er an meiner Stelle wäre. Ich wünschte auch, es wäre so.“ „Das solltest du nicht einmal denken. Hör mal, ich… ich bin jederzeit für dich da. Ich kann dir auch im Laden helfen, wenn du willst.“ George zwang sich zu einem Lächeln. „Danke, Ron. Aber du wiederholst gerade dein 7. Jahr in Hogwarts, schon vergessen? Ich denke, ich schaff das. Ganz sicher.“ Ron grinste schief und zog seinen Arm wieder zurück. Dann stand er auf. „Wollen wir?“, fragte er. Sein Bruder nickte und stand auf. Dann hielt er Ron den Arm entgegen und wartete, bis dieser seine Hand darauf gelegt hatte. George schaute sich noch einmal aufmerksam um, ob ihnen auch niemand zuschaute, während sie apparierten. Kapitel 5: ----------- Sie erschienen direkt vor dem Laden in der Winkelgasse. George schaute sich aufmerksam um. Er hatte die Straße schon lange nicht mehr so belebt gesehen. Sogar die damals ausgeraubten und zerstörten Geschäfte waren wiederaufgebaut worden. Er reckte den Hals, um ein bisschen weiter sehen zu können und stellte fest, dass selbst Olivander seine Zauberstäbe wieder verkaufte. Es hatte sich so vieles geändert. Wie lange hatte er nicht am Leben teilgenommen…? Dann wandte er sich um und kramte in der Hosentasche nach seinem Schlüssel. Natürlich hätte ein Schlenker mit dem Zauberstab ausgereicht, aber so kam es ihm richtig vor. Quietschend öffnete sich die Tür und die Brüder traten langsam in den dunklen Raum ein. Selbst im dämmrigen Licht, welches von draußen herein fiel, konnte George die zentimeterhohe Staubschicht auf den Regalen erkennen. Unschlüssig trat George noch etwas weiter in den Laden hinein, bevor er mit einem Schlenker seines Zauberstabs zuerst die Tür ins Schloss fallen lies und dann die Lichter entzündete. Abwesend bewegte er sich durch den Verkaufsraum, lies hier und da seine Finger über ein paar der Sachen streifen und blieb schließlich vor der Treppe stehen, die nach oben in die Wohnung führte. Ron war ihm die ganze Zeit über gefolgt und blieb nun seinerseits dicht neben ihm stehen. „Ich kann da nicht hoch. Noch nicht jetzt.“, brachte George nach einiger Zeit mühsam hervor. „Kann ich verstehen.“, murmelte Ron daraufhin. Auch ihm schien der Gedanke nicht gerade zu behagen. George atmete tief ein und aus, bevor er weitersprach. „Es muss ja nicht heute sein.“, meinte er dann und wandte sich wieder um. „Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich hier will. Lass uns wieder gehen.“, fügte er schließlich noch hinzu. Seine Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt. Er konnte hier nicht sein. Noch nicht. „Okay.“ Ron hatte nichts dagegen einzuwenden. George war ihm dankbar, dass er keine Fragen stellte und sie nicht noch ein Gespräch wie vorhin auf dem Friedhof führen musste, dass er ihn zu nichts drängte. „Lass uns gehen.“ George löschte die Lichter und sie verließen den Laden. Sorgfältig verschloss er die Tür und apparierte gemeinsam mit seinem Bruder. Als sie den Fuchsbau betraten, war Mrs. Weasley gerade dabei, den Mittagstisch zu decken. Sie lächelte leicht, als ihre Söhne zur Hintertür eintraten. „Oh, da seid ihr ja wieder. Schön, dass ihr es doch noch zum Mittag geschafft habt. Ron, sag doch bitte den anderen Bescheid, dass das Essen fertig ist, ja?“ „Klar.“, Ron verlies den Raum und stapfte lautstark die Stufen nach oben. George schwang seinen Zauberstab, um seiner Mutter beim Decken des Tisches zu helfen, dann setzte er sich auf seinen gewohnten Platz und entzündete die Kerze für Fred. Seine Laune war noch immer nicht gerade in Bestform. „Alles in Ordnung, George?“, fragte seine Mutter plötzlich und bedachte ihn mit einem besorgten Blick. George zwang sich zu einem Lächeln und hoffte, dass es überzeugend wirkte. „Ja, klar. Alles bestens.“ „So siehst du nicht aus, Liebling.“ „Ich weiß. Wir… wir waren heute an Freds Grab. Irgendwie hat mich das mehr mitgenommen, als ich dachte.“, gab er schließlich zu. Eher würde seine Mutter wahrscheinlich sowieso keine Ruhe geben. Mrs. Weasley stiegen die Tränen in die Augen, was sie dazu veranlasste, ein paar Mal hintereinander zu blinzeln. Sie sagte allerdings nichts, sondern tätschelte George nur die Schulter. In jenem Moment polterten mehrere Personen die Treppen herab. Sie wandte den Blick von der Tür ab und tat so, als wäre sie mit dem Mittagessen beschäftigt, dass noch in den Töpfen vor sich hin kochte. Nach und nach füllte sich der Raum. Schließlich saßen alle am Tisch und begannen zu essen. George beteiligte sich an keinem der Gespräche und hörte den anderen nur teilweise zu. Niemand sprach ihn an und dafür war er sehr dankbar. Seine relativ gute Laune vom Morgen war mittlerweile wie weggeblasen… Als er fertig war, stand er wortlos noch vor dem Nachtisch auf und stapfte die Treppen nach ob in sein Zimmer. Vorsichtig schloss er die Tür und legte sich dann auf sein Bett. George versuchte verzweifelt nachzudenken, konnte aber keinen der Gedanken genau erfassen. Er war müde. Was hatte all das schon für einen Sinn? Niedergeschlagen schloss er die Augen und lauschte. Aus dem Erdgeschoss vernahm er die gedämpften Stimmen seiner Familie und der Wind pfiff leicht um das Haus. Ansonsten war es still. Er lag lange so da, bis er schließlich einschlief… Als er die Augen aufschlug, war es stockdunkel im Zimmer. Verwirrt setzte George sich auf und schaute umher. Wie lange hatte er geschlafen? Mit einem Schlenker seines Zauberstabs entzündete er die Lampe auf seinem Nachttisch. Angestrengt versuchte er, wach zu werden, was ihm nach wenigen Minuten sogar gelang. Sein Magen knurrte, also hatte er wahrscheinlich nicht nur ein kurzes Nickerchen gehalten… Mühsam stand er auf und streckte seine steifen Glieder. George fühlte sich wie erschlagen. Als er sich gerade zur Tür bewegen wollte, fiel sein Blick auf die Geschenke, die noch immer auf seinem Nachttisch lagen. Unter anderem war da dieses Holzkästchen, von dem er noch immer nicht wusste, wer es ihm geschenkt hatte. Kurz entschlossen nahm er es und verlies erst dann sein Zimmer. Leise schlich er die Treppen hinab. Im Wohnzimmer brannte zwar noch Feuer im Kamin, aber es war niemand zu sehen. Schulterzuckend ging er in die Küche und entzündete die Lichter. Auf der Arbeitsfläche stand ein Teller mit Abendessen, an dem ein Zettel mit seinem Namen lehnte. Er lächelte leicht, nahm die vorbereitete Mahlzeit sowie Besteck und begab sich dann ins Wohnzimmer. George lies sich auf das Sofa vor dem Kamin fallen, legte die Füße auf einen kleinen Hocker und stellte das Holzkästchen neben sich ab. Dann machte er sich über sein Essen her, während er auf die Flammen starrte. Als er fertig war, stellte er den Teller auf dem Tisch ab und griff nach dem Kästchen. Er drehte es in den Händen und inspizierte es von allen Seiten. Vorsichtig versuchte George es zu öffnen, doch das kleine Schloss, was daran hing, machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Zuerst versuchte er, es per Hand zu öffnen, nahm aber schließlich doch den Zauberstab zu Hilfe, als das nichts brachte. Er probierte alle Zauber daran aus, die dazu dienten, ein Schloss zu öffnen, doch auch das half nichts. Verwirrt drehte George es wieder in den Händen. Wieso sollte ihm jemand ein Kästchen schenken, was sich nicht öffnen lies? Er nahm sich vor, Hermine am Morgen zu fragen, ob sie ihm damit helfen konnte. „Hey, stör ich dich?“, riss ihn Percys Stimme plötzlich aus seinen Gedanken. George schaute zur Tür, wo sein Bruder im Pyjama unschlüssig stehen geblieben war und schüttelte dann den Kopf. „Nein, gar nicht. Komm ruhig rein.“, antwortete George und lies das kleine Kästchen schnell hinter seinem Rücken verschwinden. „Wieso bist du noch wach?“, wollte Percy wissen und nahm auf dem Sessel gegenüber Platz. „Der Hunger hat mich nach unten getrieben, glaube ich.“, antwortete er und zwang sich zu einem Lächeln. „Und wieso schläfst du nicht?“ „Ich… ich schlafe schon lange nicht mehr besonders gut.“ Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, bis er schließlich weitersprach. „Ich bin froh, dass ich dich hier getroffen habe. Ich muss wirklich mit dir reden. Wir hatten bis jetzt noch nicht die Gelegenheit dazu.“ George schluckte schwer. Er wusste, was jetzt kommen würde und schwieg vorerst. „Ich habe Fred als letztes gesehen. Mit mir hat er zuletzt gesprochen. Es tut mir Leid, dass ich ihn nicht retten konnte.“ Percy senkte den Blick. Ihm war es sichtlich schwer gefallen, das auszusprechen. „Ich… Percy. Es ist nicht… nicht deine Schuld, wenn du das denkst.“, brachte George mühsam hervor. Schon wieder füllten sich seine Augen mit Tränen. Innerlich verfluchte er sich selbst für seine furchtbare Schwäche. „Doch, das ist es. Ich hätte besser aufpassen sollen. Dann würde es dir jetzt nicht so gehen. Uns allen nicht. Alles könnte sein wie früher. Wenn es mir schon schwer fällt, ohne ihn zu sein, wie muss das dann erst für dich sein?“ Percys Stimme brach und er begann lautlos zu schluchzen. George war auf einen solchen Gefühlsausbruch nicht vorbereitet und fühlte sich etwas vor den Kopf gestoßen. „Ich… Mensch, Percy, beruhig‘ dich erst mal. Ich gebe niemandem die Schuld, wirklich. Natürlich ist es nicht einfach ohne Fred, aber… ich krieg das schon hin.“ Percy trocknete seine Augen mit dem Ärmel seines Schlafanzugs, bevor er aufsah und antwortete. „Es tut mir so Leid. Ich hätte für ihn da sein müssen, als großer Bruder. Wenn ich damals nicht so dumm gewesen wäre und-“ George fiel ihm ins Wort.“Percy, wirklich. Du hast alles getan, was du konntest.“ „Ich wünschte, ich könnte mit ihm tauschen. Es hätte mich treffen sollen.“, flüsterte Percy gerade laut genug, dass es auch für seinen Gegenüber hörbar war. Geschockt starrte George seinen älteren Bruder an. „Das meint du nicht ernst, oder?“ Als er keine Antwort erhielt, sprang er auf und nahm auf der Lehne des Sessels Platz. Percy schenkte ihm einen schmerzerfüllten Blick. „So etwas darfst du nicht sagen, Percy. Es ist wie es ist. Ich mache dir, wie gesagt, keinen Vorwurf. Solche Gedanken sollten für dich nicht in Frage kommen. Ich würde keinen meiner Brüder an Freds Stelle wünschen.“ Percy nickte abwesend und starrte auf die gegenüberliegende Wand. „Danke. Das hat mich wirklich fertig gemacht. Ich danke dir, dass du mir keine Schuld gibst.“ George klopfte Percy betont lässig auf die Schulter und erhob sich dann. „Geh wieder ins Bett.“, forderte er seinen Bruder schließlich auf, ging zurück zum Sofa und schnappte sich das kleine Holzkästchen. „Das werd ich jetzt nämlich machen.“ „Schlaf gut, George.“ „Du auch, Percy.“ Kapitel 6: ----------- George schloss leise seine Zimmertür, entzündete seine Nachttischlampe und setzte sich auf sein Bett. Wie konnte Percy denn nur so etwas denken? Er hatte nicht damit gerechnet, dass seinen Bruder wirklich solche Gedanken plagten, aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es. Deswegen ging er ihm seit Wochen aus dem Weg und sprach nicht mit ihm, gab sich in Gegenwart der restlichen Familienmitglieder immer betont freundlich. Auch Percy musste ähnlich leiden wie er. George hatte bisher noch gar nicht weiter darüber nachgedacht. Natürlich war ihm diese eine Nacht in Hogwarts oft durch den Kopf gegangen, immer wieder hatte er die Sekunden durchlebt, in denen er die Leiche seines Bruders gesehen hatte, realisiert hatte, dass er nicht sofort aufspringen und einen Witz reißen würde. Aber nie war ihm in den Sinn gekommen, dass irgendjemand aus seiner Familie tatsächlich die letzten Augenblicke mit Fred verbracht haben könnte. Wieso hatte er nie gefragt? George seufzte leise und legte sich schließlich doch auf das Bett. Ihm brummte der Schädel und er war trotz dessen, dass er von Mittags an bis in die Nacht durchgeschlafen hatte, wie erschlagen. Er hob das kleine Kästchen vor die Augen und betrachtete es erneut eingehend. George wurde klar, dass er noch immer nicht wusste, von wem es stammte und wieso es sich nicht öffnen lies. Müde lies er den Arm wieder sinken und schloss die schweren Augenlider. Er nahm sich vor, morgen im Zimmer nach einem Schlüssel zu suchen. Sollte er keinen finden, würde er, wie bereits geplant, Hermine danach fragen, wie er es öffnen konnte. Und er würde seine restlichen Familienmitglieder fragen, wer ihm sie Schatulle geschenkt hatte… Bald darauf sank er in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als George die Augen erneut aufschlug, begann es gerade zu dämmern, er hatte also nicht sonderlich lange geschlafen. Er streckte sich ausgiebig und stellte fest, dass er sich erstaunlich ausgeruht fühlte. Schwungvoll stand er auf und nahm sich saubere Kleidung aus dem Schrank, bevor er ins Badezimmer ging, um sich fertig zu machen. Als er im Anschluss, mit dem Kästchen in der Hand, nach unten ging, stand sein Vater bereits an der Anrichte und begrüßte seinen Sohn freudig, als dieser die Küche betrat. „Guten Morgen, George.“ „Morgen, Dad. Wieso machst du das Frühstück?“, wollte er wissen und lies sich auf einen der freien Stühle fallen. „Ich wollte deine Mutter überraschen.“, antwortete sein Vater schlicht. George lachte kurz auf – zumindest sollte es etwas in der Richtung werden, aber es klang eher ein wenig verunglückt, wie ein Grunzen. Manchmal fragte er sich, ob man das Lachen verlernen konnte. „Du hast bestimmt wieder etwas total Abgedrehtes von den Muggeln ergattert und musst es Mum jetzt schonend beibringen, oder?“, fragte er dann. Das wäre zumindest typisch. Sein Vater drehte sich daraufhin um und zwinkerte ihm zu. „Du kennst mich einfach zu gut. Wärst du vielleicht auch so nett, mir ein wenig zu helfen?“ „Klar.“ George schwang seinen Zauberstab, woraufhin aus den Küchenschränken Tassen, Teller, Besteck, Gläser und Schüsseln auf ihre gewohnten Plätze schwebten. Dann stand er auf und ging zur Tür. „Ich geh dann mal die anderen wecken.“, sagte er zu seinem Vater, bevor er die Stufen nach oben stieg. Nach und nach klopfte er an die Türen seiner übrigen Familienmitglieder, die alle mit einem mehr oder weniger begeisterten und verschlafenem Brummen antworteten. Kurz darauf saßen alle an dem großen Frühstückstisch und aßen mit großem Appetit. Mrs. Weasley war begeistert von der Mahlzeit, die ihr Mann zubereitet hatte, jedoch konnte man ihr deutlich ansehen, dass sie wusste, dass er wieder irgendetwas im Schilde führte. Ansonsten war die Stimmung ausgelassen und fröhlich wie immer, selbst Percy lachte und scherzte, sehr zu Georges Verwunderung nach dem spontanen Gefühlsausbruch von letzter Nacht. Er schüttelte leicht den Kopf. Wieso fiel es eigentlich nur ihm so schwer, sich anzupassen, so ausgelassen wie alle anderen zu sein? Wieso war er, in dieser Hinsicht, so schwach? Schnell verscheuchte er die Gedanken wieder und versuchte, den Gesprächen am Tisch zu folgen. Fleur und Bill hatten vor, gleich nach dem Frühstück wieder abzureisen, weil Fleurs Eltern sie in Shell Cottage besuchen wollten. Percy hatte seine Abreise ebenfalls für heute angekündigt, allerdings erst gegen Nachmittag. Kingsley Shackleboldt, der neue Zaubereiminister, hatte ihm in den frühen Morgenstunden eine Eule zukommen lassen, in der er beteuerte, er könne nicht noch länger auf ihn verzichten. Als er am Tisch davon erzählte, schwang ein wenig Stolz in seiner Stimme mit doch man konnte ihm auch deutlich ansehen, dass es ihm Leid tat, früher als geplant wieder zurückfahren zu müssen. Deswegen versicherte er auch, so bald wie möglich übers Wochenende zu Besuch zu kommen. Charlie würde noch bis Neujahr bleiben und erst dann wieder zurück nach Rumänien reisen. Ginny, Harry, Hermine und Ron reisten erst am Ende der Ferien zurück nach Hogwarts. Innerlich seufzte George auf. Was sollte er nach den Feiertagen machen? Wenn keiner seiner Geschwister mehr im Fuchsbau war? Er hatte seinen Eltern nun wirklich lange genug auf der Tasche gelegen… Ein anderer Beruf kam eigentlich nicht in Frage, da er keinen richtigen Schulabschluss hatte. Er grinste unwillkürlich, als er damals an seinen vorzeitigen Ausbruch aus Hogwarts dachte und an die Anfänge des Ladens von ihm und Fred. Er wusste, dass es nicht leicht sein würde, aber es war einfach nicht richtig, Weasleys zauberhafte Zauberscherze verkommen zu lassen. Fred würde das nicht wollen. Nach dem Frühstück half er, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten, den Tisch abzuräumen. George musste sich eingestehen, dass er nur bei den Hausarbeiten mit anpackt, weil es dann ein bisschen leichter war, sich abzulenken. Kurz darauf verabschiedete er gemeinsam mit den anderen Bill und Fleur und musste den beiden versprechen, so bald wie möglich zu Besuch zu kommen. Als die beiden apparierten, lief George nach oben in sein Zimmer. Die Holzschatulle lag auf dem Nachttisch, aber sein Interesse galt jetzt erst einmal dem nicht vorhandenen Schlüssel. Systematisch suchte er jeden Millimeter seines Zimmers ab, selbst den Papierkorb räumte er noch einmal aus, weil er dachte, dass er den Schlüssel ja aus Versehen hätte wegwerfen können… Aber er fand nichts, rein gar nichts. Stirnrunzelnd setzte er sich im Schneidersitz auf den Boden des Zimmers und griff nach seinem Zauberstab. „Accio Schlüssel.“, sagte er leise, aber das einzige, was in seine geöffnete Hand fiel, waren die Schlüssel für den Laden und die Wohnung darüber. Er wartete noch ein bisschen, aber es passierte nichts. Beherzt stand George auf und nahm die Schatulle an sich, bevor er nach unten ging. Seine Mutter war, wie erwartet, in der Küche. „Mum?“, fragte er, woraufhin sich Mrs. Weasley umdrehte. „Ja? Alles in Ordnung?“, erwiderte sie und schenkte ihm wieder diesen sorgenvollen Blick, mit dem sie ihn in letzter Zeit so oft maß. George zog es vor, auf diese Frage gar nicht einzugehen, sondern gleich zum Thema zu kommen. „Hör mal, da war so eine Schatulle bei meinen Weihnachtsgeschenken dabei. Weißt du, von wem die ist?“, fragte er und hielt das kleine Kästchen ein wenig in die Höhe. Seine Mutter kam näher, nahm das Holzkästchen an sich und musterte es gründlich von allen Seiten. „Nein, tut mir Leid. Von mir und Dad ist es nicht. War denn keine Karte dabei?“ „Es war nicht einmal eingepackt… hast du es vor Weihnachten schon einmal in meinem Zimmer gesehen? Vielleicht ist es ja von… ich meine, du weißt schon.“, stammelte George vor sich hin. Mrs. Weasley schüttelte den Kopf und gab ihrem Sohn das Kästchen zurück. „Nein, ich hab es auch vorher nie gesehen. Es war bei deinen Weihnachtsgeschenken, sagst du?“ „Ja, genau.“ „Und was ist darin?“, fragte sie weiter. „Keine Ahnung, es lässt sich nicht öffnen und ein Schlüssel war auch nicht dabei.“, antwortete George. „Mh.“ Seine Mutter machte ein nachdenkliches Gesicht. „Vielleicht ist es ja ein Geschenk von jemand anderen.“, gab sie schließlich zu bedenken. George nickte. „Ja, vielleicht.“, antwortete er und verlies den Raum. Als er das Wohnzimmer betrat, sah er Hermine und Ginny, die auf dem Sofa saßen und gemeinsam den Tagespropheten lasen. Vorsichtig klopfte er an den Türrahmen, woraufhin die beiden Mädchen aufblickten. „Kann ich kurz stören?“, fragte er vorsichtig. Ginny lächelte. „Klar doch. Setz dich.“ George betrat den Raum nun vollends und setzte sich auf den Sessel, der gegenüber des Sofas stand. Er reichte das Kästchen wortlos an Hermine, die ein verwirrtes Gesicht machte. „Was ist das?“, wollte sie wissen und nahm es in die Hand. „Ich weiß nicht. Es war bei meinen Weihnachtsgeschenken dabei. Ist es vielleicht von euch?“, erwiderte er daraufhin. Hermine und Ginny schüttelten nahezu gleichzeitig die Köpfe. „Nein.“, murmelte Hermine schließlich und wollte George das Kästchen schon zurück geben, dieser jedoch machte keine Anstalten, es an sich zu nehmen. „Ich dachte, du kannst mir vielleicht damit helfen, Hermine. Es lässt sich nicht öffnen. Nicht durch Zauber, meine ich. Und ein Schlüssel war nicht dabei.“, sagte er dann. „Seltsam…“ Hermine zog den Zauberstab und begann, eine Reihe von Zaubern zu wirken, wovon keiner allerdings dazu in der Lage war, das Kästchen zu öffnen. Ihr Gesicht nahm einen verwirrten Ausdruck an. Wortlos reichte sie es zurück an George. „Nun, ich kann es auch nicht öffnen.“, sagte sie schließlich. „Das ist ärgerlich.“, erwiderte George und war ein wenig enttäuscht. Wenn Hermine es schon nicht öffnen konnte, wer sollte sonst dazu in der Lage sein? „Vielleicht solltest du es sprengen.“, schlug Ginny vor. „Eine gute Idee. Aber das wird wahrscheinlich auch nicht funktionieren.“, warf Hermine ein. „Wieso nicht?“, fragte George neugierig. Hermine lächelte leicht. „Naja, Zauber können ihm anscheinend nichts anhaben. Ich nehme an, es ist mit irgendeinem speziellen Zauber magisch versiegelt, ich hab davon schon mal gelesen. Soweit ich weiß benötigst du den richtigen Schlüssel, um es zu öffnen.“ Er nickte. Das klang logisch. „Und wo soll ich den Schlüssel finden?“, fragte George dann. Ginny und Hermine warfen sich einen nachdenklichen Blick zu. „Wenn du es nicht weißt, dann tun wir das erst recht nicht.“, erwiderte seine Schwester schließlich und lächelte leicht. Kapitel 7: ----------- George schloss geräuschvoll seine Zimmertür und warf das Kästchen aufs Bett. Es nervte ihn, dass er es nicht aufbekam, nicht nachsehen konnte, was darin war. Ein paar Mal ging er im Zimmer auf und ab und überlegte, was er jetzt tun sollte. Im Moment hatte er keine besonders große Lust, seine Zeit weiterhin damit zu vergeuden, nach dem Ursprung des Kästchens zu fahnden. Er wollte etwas Sinnvolles tun. Kurz entschlossen griff er nach seinem Umhang und dem Schlüsselbund, packte sich noch einen der Kartons mit den Artikeln für den Laden, die er neben seinem Bett gestapelt hatte und machte sich auf den Weg nach unten. Ohne ein weiteres Wort zu seiner Mutter, die noch immer in der Küche stand und an der er hastig vorbeilief, verlies er das Haus durch die Hintertür. Er machte ein paar weit ausgreifende Schritte durch den Garten und apparierte dann, als er am Gartenzaun angelangt war. Kurz darauf spürte er die gepflasterte Straße der Winkelgasse unter seinen Füßen und schaute sich aufmerksam um. Hier herrschte ebenso geschäftiges Treiben wie am Vortag. Etliche Hexen und Zauberer eilten von Geschäft zu Geschäft, Familien waren mit ihren Kindern beim Einkaufen, alles in allem ein hektisches, aber harmonisches Bild, welches sich vor seinen Augen abspielte. Zielstrebig ging er auf das Geschäft, welches seinem verstorbenen Bruder und ihm gehörte, zu und öffnete die Ladentür mit dem Schlüssel. Dann entzündete er die Lichter im Raum und warf die Tür hinter sich ins Schloss. George sah sich um und atmete zwei Mal tief ein und aus, bevor er ein paar weitere Schritte in das Zimmer hinein machte und sich umschaute. Es sah hier tatsächlich noch so aus wie an dem Tag, als er und Fred überstürzt nach zu Tante Muriel aufgebrochen waren, weil sie untertauchen mussten… Sein Bruder war gerade dabei gewesen, die Regale neu zu bestücken. Sämtliche Kartons, aus denen er die Artikel geholt hatte, standen noch auf dem kleinen Beistelltisch. Er selbst hatte an jenem Tag gerade versucht, etwas Neues zu entwickeln: im ganzen Kassenbereich waren noch seine ganzen Utensilien dafür verteilt. Alles im Laden war jetzt von einer dünnen, aber sichtbaren Staubschicht bedeckt, die sich hier in den letzten Monaten angesammelt hatte. George seufzte und ging in einen der Hinterräume, um die Putzsachen zu holen. Wenn er den Laden wirklich wieder aufmachen wollte, musste er hier erst einmal Ordnung schaffen. Er schnappte sich zwei Eimer und große Putzlappen, sowie Staubwedel. Dann stellte er alles im Verkaufsraum ab und schwenkte seinen Zauberstab, was die Dinge dazu bewegte, in Windeseile mit dem Saubermachen zu beginnen. Dann führte er die Arbeit seines Bruders zu Ende, die so lange geduldig darauf gewartet hatte… Abwesend sortierte er die Artikel im Regal ein und dachte dabei an alles Mögliche, nur nicht daran, dass Fred nicht jeden Moment auftauchen würde, um ihm zu helfen. Dass er nie wiederkommen würde. Als nächstes räumte er seine Sachen im Kassenbereich zur Seite und schaffte den mitgebrachten Karton in einen der Vorratsräume. Dann ging er wieder zurück und blieb am Fuße der Treppe, die nach oben in die Wohnung führte, stehen. Er wusste, dass er es nicht ewig hinauszögern konnte, da hinauf zu gehen. Nachdem er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, lief er die Stufen nach oben und blieb erneut wie angewurzelt stehen. Langsam streckte er die Hand nach dem Türknauf aus und öffnete beherzt die Tür. Im Flur standen etliche Schuhpaare, von jedem immer zwei Mal das Gleiche. Einige Umhänge und Mäntel, ebenfalls in doppelter Ausführung, hingen an den Kleiderhaken auf der linken Seite. George ging den Flur entlang und warf im Vorbeigehen immer wieder einen Blick in die anderen Räume. Küche und Bad waren weitestgehend ordentlich, sein Raum hingegen nicht. Vor der geschlossenen Tür von Freds ehemaligem Zimmer blieb er schließlich stehen. Wieder dauerte es einige Augenblicke, bis er den Mut aufbrachte, sie zu öffnen. Auch hier war es ähnlich unaufgeräumt. Kleidung lag überall auf dem Boden verteilt, während sich auf dem Schreibtisch die Pergamente und etliche andere Dinge nur so stapelten. Das Bett war ebenfalls nicht gemacht. Alles war genauso, wie er es noch in Erinnerung hatte. An den Wänden hingen ein paar Quidditchposter, aber eine davon war für Fotos reserviert worden. George trat an die Bilder heran und betrachtete sie eingehend. Ein ungeheurer Schmerz breitete sich in seiner Magengrube aus, als er feststellte, dass die meisten davon die Zwillinge zeigten. Er nahm eines davon in die Hand. Sein Lieblingsfoto. Er hatte es selbst, in einem Bilderrahmen und auf dem Nachttisch, in seinem Zimmer nebenan stehen. Es war noch gar nicht so alt, sondern zeigte die Brüder an ihrem letzten gemeinsamen Weihnachten. Er konnte sich noch daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. George hockte auf dem Fußboden und blätterte gelangweilt in Tagespropheten, als plötzlich Fred herein stürmte und sich neben ihn auf den Fußboden setzte. „Schau mal, ich hab’s hinbekommen.“, sagte er begeistert und zog einen Zauberstab hervor, den er George feierlich überreichte. Sein Bruder wusste natürlich sofort, wovon die Rede war. „Wahnsinn. Und er kehrt wirklich jeden Zauber genau in das Gegenteil um?“, fragte George und drehte den Zauberstab begeistert in den Händen. „Naja, nicht jeden. Aber die gängigsten. Das wird sicherlich ein Kassenschlager!“, antwortete Fred noch immer ganz aus dem Häuschen. In jenem Moment betrat seine Mutter den Raum. „Was heckt ihr hier schon wieder aus?“, fragte sie bedrohlich. „Nichts, Mum, wirklich.“, versicherte George ihr schnell und legte den Zauberstab beiseite. Die Mutter der Zwillinge schaute skeptisch, setzte dann aber ein warmes Lächeln auf. „Rutscht ein bisschen zusammen, ich will ein Foto von euch beiden machen.“, forderte sie dann und hob die Kamera an die Augen. „Du hast doch schon tausende von Bildern von uns.“, beschwerte sich Fred. „Ja, und die zwei Typen darauf sehen immer alle gleich aus.“, fügte George hinzu. „Jetzt stellt euch nicht so an! Und keine Grimassen dieses Mal!“ Fred legte daraufhin den Arm um die Schulter seines Zwillingsbruders und zog ihn ein bisschen näher zu sich. George fand es besser, der Aufforderung seiner Mutter nachzukommen, allein schon, weil er wusste, dass sein Bruder es auch tat und zog es somit vor, zu Lächeln. Dann drückte seine Mutter den Auslöser. Das Foto steckte George in die Tasche seiner Hose, dann verlies er den Raum wieder und schloss die Tür hinter sich. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, war es gar nicht so schlimm gewesen, hierher zu kommen. Nicht so qualvoll, wie er es immer erwartet hatte. Allerdings glaubte er auch nicht, dass der Schmerz noch lange auf sich warten lassen würde. Seufzend ging er nach unten in den Verkaufsraum und stellte zufrieden fest, dass alles sauber und staubfrei war. Die Reinigungsgeräte hatten sich schon von selbst weggeräumt. Es war jetzt sicherlich schon weit nach Mittag, aber zurück in den Fuchsbau wollte er noch nicht. George überlegte eine Weile hin und her, bis er sich schließlich dazu durchringen konnte, das Geschlossen-Schild an der Tür mit dem auszutauschen, auf dem Geöffnet stand. Bis zum Abend konnte er ruhig ein paar Dinge verkaufen. Kurz, nachdem er den Laden wieder aufgemacht hatte, strömten die Kunden nur so herein. Er war überrascht, verspürte aber auch ein wenig Freude. Seinen Sinn für das Geschäft hatte er nicht verloren, denn es fiel ihm noch immer unglaublich leicht, die Artikel mit ein paar flotten Sprüchen an den Mann zu bringen. Allerdings wurde ihm auch hierbei wieder einmal schmerzlich bewusst, wie sehr Fred ihm eigentlich fehlte. Am Abend gegen sechs Uhr verabschiedete George die letzten Kunden an der Ladentür. Er schaute sich noch einmal zufrieden um und beschloss, die Regale morgen aufzufüllen. Allerdings brachte er die Besen und Staubwedel mit einem Wink seines Zauberstabs noch dazu, hier sauber zu machen, bevor er die Tür abschloss und zum Fuchsbau apparierte. Kapitel 8: ----------- Als er das Haus durch die Hintertür betrat, saß seine Familie schon beim Abendessen. „Tut mir Leid, dass ich zu spät bin.“, sagte er schnell und legte seinen Umhang beiseite, bevor er sich an den Tisch setzte. Die Augenpaare aller anderen Anwesenden am Tisch waren noch immer auf ihn gerichtet. „Wo warst du denn den ganzen Tag? Percy konnte sich gar nicht von dir verabschieden.“, fragte sein Vater schließlich. „Oh, ich hatte total vergessen, dass er heute abreisen wollte. Ich war im Laden.“ Er sah, wie sich alle am Tisch verwunderte Blicke zuwarfen. Er war öfter als nur einmal von jedem von ihnen gefragt worden, ob er wieder dort arbeiten würde. George hatte sich immer vehement dagegen gewehrt und sicherlich hatte Ron auch von dem kurzen Besuch und der schnellen Flucht danach im Laden von gestern berichtet. Sein Vater bemühte sich, das Gespräch aufrecht zu erhalten, während alle anderen schnell so taten, als wäre nichts gewesen und sich wieder dem Essen widmeten. „Ist denn jetzt wieder geöffnet?“, hakte Mr. Weasley weiter nach. George nickte, aber ein Lächeln wollte seinen Gesichtsmuskeln nicht so richtig gelingen. „Kann ich mir den Laden morgen mal ansehen? Ich hab so viel davon gehört, aber ich war zu meiner eigenen Schande ja noch nie dort.“, fragte Charlie plötzlich. George überlegte kurz. „Klar, wieso nicht?“, antwortete er dann. Charlie grinste. „Klasse.“ Er schien sich wirklich darüber zu freuen. Hoffentlich stand ihm nicht noch so ein ‚Jetzt-sind-wir-endlich-allein-und-können-über-deine-Gefühle-reden‘-Gespräch bevor. Obwohl sein ältester Bruder eigentlich nicht der Typ dafür war, wenn er genau darüber nachdachte. Danach führten auch alle anderen ihre Unterhaltungen am Tisch weiter und George war dankbar, dass ihn niemand mehr behelligte. Nach dem Abendessen spielte er noch einige Runden Zauberschach mit Charlie, der, nachdem George einige Male haushoch von ihm geschlagen wurde, noch einige seiner Geschichten über die Arbeit mit den Drachen preisgab. Auch Mr. Weasley gesellte sich zu seinen beiden Söhnen, lauschte zuerst geduldig den Erzählungen und gab dann ebenfalls ein paar Anekdoten von seiner Arbeit im Ministerium zum Besten. Als sich George das nächste Mal umschaute, hatten sich auch seine Mutter, sowie Ginny und Harry, als auch Hermine und Ron eingefunden. Nun floss auch der Feuerwhiskey in Strömen und die Stimmung wurde nach und nach ausgelassener. Es wurde viel gescherzt und gelacht, selbst George musste ein paar Mal grinsen, aber ein Lachen wollte nicht so recht über seine Lippen kommen. Ob man so etwas verlernen konnte? War das möglich? Nun ja, wahrscheinlich eher nicht. Aber ob er je wieder so glücklich sein würde, dass er frei und ehrlich laut auflachen konnte? So wie früher, mit Fred? Ebenso schnell, wie sich das Wohnzimmer gefüllt hatte, war es auch wieder leer geworden, bis nur noch George mit seinem Vater auf der gemütlichen Couch saß. Sie starrten beide in die Flammen des Kamins und nippten an ihrem Whiskey, als Mr. Weasley plötzlich laut seufzte. „Bist du auch so müde?“, brachte er, ein wenig lallend, hervor. George musste, wieder einmal an diesem Abend, grinsen. Seine Wangen schmerzten schon, so ungewohnt war es, eben diese Gesichtsmuskeln anzustrengen. „Etwas.“, murmelte George. Seine Glieder fühlten sich angenehm schwer vom Genuss des Feuerwhiskeys an. „Ich bin froh, dass es dir besser geht, mein Sohn.“, sagte Mr. Weasley dann und warf seinem Sohn einen warmen Blick zu. „Danke, Dad. Ich auch, wirklich.“ „Wir haben uns am Anfang, in den ersten paar Wochen danach, ganz schön Sorgen um dich gemacht, weißt du.“ George nickte. „Ja, Dad. Tut mir Leid deswegen.“ „Ist schon in Ordnung. Du bist unser Sohn und irgendwie wussten wir, also deine Mutter und ich, dass du schon wieder alleine da raus kommen würdest.“, antwortete sein Vater und richtete den Blick wieder auf die Flammen im Kamin. George antwortete nicht. Nach Rons Erzählung wusste er nun, wie er in den ersten Wochen nach Freds Tod drauf gewesen sein musste, aber er wollte jetzt eigentlich weder das Thema darauf lenken noch darüber sprechen. „Ich glaube, der Alkohol macht mich ein bisschen… naja, sentimental oder so, du weißt schon. Aber, George, du musst wissen, dass wir froh sind, dass wir dich noch haben. Es… natürlich ist es nicht genauso wie früher, als dein Bruder noch da war, aber bedenke, dass du einzigartig bist. Dass ich und deine Mutter euch immer als einzelne Persönlichkeiten und nie als nur eine betrachtet haben. Du schaffst es auch ohne ihn. Natürlich ist es schwer und er fehlt uns genauso sehr wie dir, aber das Leben muss weitergehen. Ich möchte nicht, dass du das falsch verstehst. Wir wollen dich nicht dazu bringen, ihn zu vergessen, wir wollen nur, dass du es dir selbst nicht so schwer machst, okay?“ Ein dicker Kloß hatte sich in seinem Hals breit gemacht und George war nicht in der Lage, zu antworten. Also nickte er nur. Sie saßen noch eine Weile schweigend nebeneinander, als Mr. Weasley schließlich aufstand. „So, für mich ist es nun Zeit, ins Bett zu gehen.“, verkündete er und wankte auf die Tür zu. Im Rahmen blieb er noch einmal stehen und wandte sich zu George um. Tränen glitzerten in seinen Augen. „Gute Nacht, mein Junge.“ „Gute Nacht, Dad.“ Als George schließlich in seinem Bett lag, fiel es ihm schwer, Schlaf zu finden. Unaufhörlich dachte er an die Worte seines Vaters, er solle es sich selbst nicht so schwer machen. War dem wirklich so? Er trauerte nun einmal um Fred… Im Halbschlaf tastete er nach seiner Hose und zog aus der Tasche das Bild von sich und seinem Bruder. Mit einem Wink des Zauberstabs entzündete er die Nachttischlampe und stellte das Foto auf den kleinen Tisch neben seinem Bett. George starrte es lange an, ohne einen richtigen Gedanken fassen zu können und schlief schließlich ein. Zu seiner eigenen Überraschung erwachte er am nächsten Morgen sehr früh und fühlte sich, trotz des Whiskeys, sehr ausgeruht. Er schwang die Beine aus dem Bett und zog sich saubere Kleidung an, bevor er nach unten in die Küche ging. Charlie saß bereits vor seinem Frühstücksteller. „Guten Morgen.“, begrüßte dieser ihn freundlich. „Du bist schon wach?“, fragte George ungläubig. „Klar. Ich wollte doch heute mit in den Laden kommen, schon vergessen?“, erwiderte Charlie grinsend. „Nein, natürlich nicht. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du noch vor mir wach bist.“ George begann nun, sich selber etwas zum Frühstück zu Recht zu machen. Die Brüder saßen schweigend nebeneinander und aßen. Als sie schließlich zur Winkelgasse apparierten, war noch kein weiterer der Weasleys aufgestanden. George machte eine einladende Handbewegung und lies Charlie vor ihm in den Laden treten. Dieser konnte ein leises „Wow“, nicht zurückhalten und schaute sich begeistert um. „Das ist ja Klasse!“, rief er aus, als er von Regal zu Regal lief. Sein Bruder zog die Eingangstür vorsichtig ins Schloss und entzündete die Lichter mit seinem Zauberstab. „Schön, dass es dir gefällt.“, sagte er dann und schlenderte hinüber zum Kassenbereich. Als Charlie seine Besichtigungstour beendet hatte, gesellte er sich zu George. „So, was machen wir jetzt?“, fragte er. „Naja…“ George überlegte einen Moment. „Die Regale einräumen. Ich hatte eigentlich auch vorgehabt, ein wenig umzuräumen.“ Vor Freds Tod hatten die beiden Brüder oft über eine Neudekoration des Ladens gesprochen, die George nun in die Tat umsetzen wollte. Also besprach er mit Charlie, was von nun an wo stehen sollte und sie begannen mit der Neudekoration des Ladens. Danach nahmen sie noch eine andere Verteilung der Artikel in den Regalen vor. Die Arbeit dauerte eine ganze Weile, aber zum Schluss betrachteten sie zufrieden ihr Werk. „Sieht super aus.“, merkte Charlie an und schaute sich noch einmal in dem großen Verkaufsraum um. „Ja.“, gab George zu. „Wir… wir, naja, haben das lange geplant. Besser spät als nie.“ Mit einer Bewegung seines Zauberstabs lies Charlie das Geöffnet-Schild an seinen Platz schweben. „So, dann lass uns mal ein paar Sachen verkaufen.“, sagte er voller Enthusiasmus. Sie verließen dann Laden noch ein wenig später als George am Tag zuvor. Charlie trug einen Karton mit einigen der Scherzartikel aus dem Laden auf dem Arm. Er war so begeistert und hatte darauf bestanden, ein paar der Dinge unbedingt seinen Arbeitskollegen in Rumänien zeigen zu müssen. Als die Brüder den Fuchsbau erreichten, war Mrs. Weasley zwar gerade dabei, den Tisch abzuräumen, deckte aber nochmals Geschirr und Essen für die beiden Brüder auf. „Danke, Mum, ich wäre sonst verhungert!“, beteuerte Charlie. „Und ich erst.“, fügte George hinzu und begann begierig seine Mahlzeit herunter zu schlingen. Das letzte Mal, als sie etwas zu sich genommen hatten, war heute Morgen gewesen. Seine Mutter verlies kopfschüttelnd, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, den Raum. Nachdem sie gesättigt waren, schoben sie die Teller von sich. „Danke, für den tollen Tag. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß.“, sagte Charlie plötzlich. George runzelte die Stirn. „Naja, ich bin ja nicht gerade ein Stimmungsmacher in letzter Zeit.“, erwiderte er skeptisch. Sein großer Bruder zwinkerte ihm zu. „Das vielleicht nicht. Aber ich hatte mehr zu lachen, als bei der Arbeit mit den Drachen. Du bist um deinen Job wirklich zu beneiden.“ So etwas Ähnliches wie ein Lächeln, was aber eher wie eine Grimasse wirkte, zog sich über Georges Gesicht. „Ja, eigentlich ist er richtig toll. Du hast schon Recht.“ „Eigentlich? Du machst wohl Witze. Ich finde es echt beeindruckend, was ihr euch da aufgebaut habt.“ „Danke, Charlie.“ „Kein Ding.“ Sein großer Bruder stand auf und streckte sich ausgiebig. „Ich brauche jetzt erst einmal eine heiße Dusche.“, verkündete er dann und verlies den Raum. George saß noch ein Weilchen auf seinem Platz, bis er schließlich doch den Tisch abräumte und ins Wohnzimmer schlich. Wie auch am Abend zuvor war es mit allen Familienmitgliedern gefüllt - bis auf Charlie natürlich, der oben unter der Duschen lautstark ein Liedchen trällerte. Die anderen begrüßten George, als er den Raum betrat und sich einen freien Sitzplatz in der Nähe des Kamins suchte. Sie ließen den Abend ebenso angenehm ausklingen wie am Tag zuvor, nur heute fühlte sich George nicht ganz so fehl am Platz. Hier und da beteiligte er sich an den Gesprächen und war nicht nur stummer Zuhörer. Zum Witze reißen war ihm allerdings noch immer nicht wirklich zu Mute… Die nächsten Tage, bis zum einunddreißigsten Dezember, verbrachte George alle gleich. Er aß Morgens etwas, arbeitete dann bis spät Abends im Laden, machten sich auf den Weg zurück zum Fuchsbau, schlang da eine weitere Mahlzeit herunter und fiel dann jedes Mal todmüde ins Bett. Die Arbeit lenkte ihn ab und er merkte, dass ihm das gut tat. Am Morgen des letzten Tages im Jahr wurde er von einem Klopfen an der Tür geweckt. „Aufstehen, George. Frühstück ist fertig!“, rief Mr. Weasley durch die Tür hindurch. „Mhh…“, brummte George und stand widerwillig auf. Er zog sich lediglich einen Pullover über seinen Schlafanzug und trabte schlaftrunken die Stufen nach unten. Für heute hatte er sich freigenommen und wollte eigentlich ausschlafen, aber da hatte er die Rechnung ohne seine Mutter gemacht, die auf ein gemeinsames Frühstück mit der ganzen Familie bestand. Nachdem sie fertig gegessen hatten, wartete George darauf, bis er mit Mrs. Weasley allein in der Küche war. Dann ergriff er das Wort: „Mum?“ „Ja?“ Mrs. Weasley schenkte ihm einen fragenden Blick. George atmete tief durch. Er hatte sich das reichlich überlegt. „Ich werd wieder in die Wohnung über dem Laden ziehen. Ich habe euch hier lange genug auf der Tasche gelegen, wirklich.“ Es dauerte einen Moment, bis Mrs. Weasley ihren entgeisterten Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle hatte. „George, Schatz, ich hoffe, du hattest nicht das Gefühl, dass wir dich loswerden wollen…“ „Nein, nein, auf keinen Fall. Im Gegenteil, ihr habt mir immer vermittelt, dass ich hier willkommen bin. Aber… ich denke, dass es das richtige ist.“, versicherte er schnell. Mrs. Weasley nickte, kam auf ihren Sohn zu und schloss ihn fest in die Arme. „Du kannst jederzeit wieder zurück nach Hause kommen, das darfst du nie vergessen.“ George war die meiste Zeit des Tages damit beschäftigt gewesen, die Sachen in seinem Zimmer zusammenzupacken, denn er hatte vor, schon am Neujahrstag wieder in der Wohnung einzuziehen. Die Neujahrsfeier verlief recht ereignislos und außer Luna und ihrem Vater Xenophilius waren auch keine weiteren Gäste gekommen. Alles in allem war es ein schöner, harmonischer Abend. Allerdings hatte George, wie eigentlich immer, wenn er im Kreise der Familie saß, das Gefühl, dass ihm etwas Entscheidendes fehlte… Irgendwann, kurz nach Mitternacht, verabschiedete er sich schließlich und schlich nach oben in sein Zimmer. Er war tatsächlich müde, also war es nicht nur eine Ausrede, um allein sein zu können, versicherte er sich selbst. George lies sich auf sein Bett fallen und lag im Schein der Nachttischlampe noch ein Weilchen da, mit dem Kästchen in den Händen. Während der letzten Arbeitstage hatte er gar nicht mehr daran gedacht… allerdings beschlich ihn irgendwie das Gefühl, dass er den Schlüssel dazu vielleicht im Laden oder der Wohnung darüber finden konnte. Er konnte nicht genau sagen, wieso ihm dieser Gedanke kam, er wusste nur, dass ihn diese Gewissheit nicht losließ, egal, wie oft er sich auch sagte, dass es abwegig war. Wie hätte der Schlüssel denn dorthin gelangen sollen? Ihm war schon mehr als einmal die Idee gekommen, dass es ja von Fred stammen könnte. Insgeheim war es sogar eine Hoffnung gewesen. Allerdings war das ja eigentlich nicht möglich… richtig? Kapitel 9: ----------- Nachdem sich Charlie nach dem Mittagessen wieder auf die Rückreise nach Rumänien gemacht hatte, war George zurück in sein Zimmer im Fuchsbau gegangen, um auch die restlichen seiner Sachen zusammenzupacken. Dann verabschiedete er sich zuerst von Hermine, Ginny, Ron und Harry, die am nächsten Tag auch wieder die Rückreise nach Hogwarts antreten würden. Sein Vater und seine Mutter schlossen ihn fest in die Arme, als er gehen wollte. „Du musst uns oft besuchen, Schatz.“, schniefte Mrs. Weasley. „Mum, ich will nicht auswandern… keine Panik, ihr seht mich sicherlich noch öfter, als euch vielleicht lieb ist.“, versicherte er ihr schnell. „Das hoffe ich.“, sagte sein Vater daraufhin. Wie erwartet war am Neujahrstag nicht viel los in der Winkelgasse, da ohnehin beinahe alle Geschäfte geschlossen waren. George verstaute zuerst die restlichen Artikel, die noch im Fuchsbau gewesen waren, im Lager des Ladens und stapfte dann nach oben in die Wohnung. Er begann damit, die Putzutensilien so zu verzaubern, dass sie Küche und Bad reinigten, während er sein Zimmer in Ordnung bringen wollte. Die Schmutzwäsche warf er achtlos hinaus auf den Flur, bezog dann sein Bett neu und widmete sich anschließend dem Schreibtisch. Ideen und Entwürfe für neue Artikel legte er in eine Schublade, vorhandene Prototypen in eine andere. Nicht mehr benötigte Pergamente und Zauberzutaten warf er in seinen Mülleimer. Dann begann er damit, seine mitgebrachten Sachen an ihren vorgesehenen Platz zu räumen; das Kästchen stellte er auf dem Nachttisch ab. Anschließend schickte er den Besen und den Staubwedel, die ihre Arbeit in der Küche beendet hatten, in sein Zimmer. Nun stand er vor Freds Tür und war sich nicht sicher, was er tun sollte. Alles so lassen, wie es war? Andererseits wollte er einen Neuanfang machen und er fand, das Aufräumen des Zimmers seines Zwillingsbruder gehörte irgendwie dazu. Entschlossen trat er in den Raum ein. Auch hier warf er zunächst die schmutzige Kleidung in den Flur. Nachdem er kurz hin und her überlegt hatte, entschied er sich gegen ein Neubeziehen des Bettes und schüttelte so nur Decke und Kissen auf. Anschließend widmete er sich dem Schreibtisch seines Bruders und begann auch hier damit, die Pergamente zu sortieren, bis er etwas fand, was ihn innehalten lies. Einen Brief an ihn. Er hatte Mühe, die schnell dahin gekrakelten Worte zu entziffern; es hatte den Anschein, als hätte Fred diese Zeilen in großer Eile geschrieben. George, wenn du das liest, hatte ich mit meinem seltsamen Bauchgefühl wohl doch recht. Was auch in nächster Zeit geschieht – es hat dafür gesorgt, dass ich jetzt nicht mehr bei dir bin und du somit dieses Stück Pergament gefunden hast. Egal, was auch immer passiert ist – du trägst keine Schuld. Mach es dir selbst nicht so schwer und halte den Laden weiterhin so gut in Schuss. -Fred P.S.: Ich hoffe, du wirst dieses gefühlsdusselige Stück Papier nie finden… Verwirrt setzte George sich auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. Er atmete einige Male tief ein und aus, las die Zeilen immer wieder. Ob das stimmte? Ob Fred wirklich gewusst hatte, dass ihm etwas zustoßen würde, dass er im Kampf gegen Voldemort sein Leben lassen würde? Und wenn ja, wieso hatte er nichts gesagt? In eben diesem Moment verstand er die Welt nicht mehr, alles fühlte sich so weit weg an, als würde er die alles durch einen Schleier betrachten. Langsam ließ er das Pergament sinken und schluckte schwer, um die Tränen zu unterdrücken, die seine Augen gefüllt hatten. Mühsam versuchte er, sie wegzublinzeln und erhob sich dann vom Stuhl. Den Brief legte er auf Freds Bett, dann fuhr er damit fort, den Schreibtisch in Ordnung zu bringen, obwohl ihm seine Bewegungen falsch und fremd vorkamen. Eigentlich räumte er nur weiter auf, um sich abzulenken, nicht denken zu müssen… Als das Zimmer ordentlich war, nahm er geistesabwesend den Brief seines Bruders vom Bett und ging nach unten in den Verkaufsraum, in dem es mittlerweile stockdunkel war. Das Aufräumen hatte länger gedauert, als ihm bis jetzt bewusst gewesen war. Er fühlte sich wie ferngesteuert, konnte seine Schritte und Bewegungen nicht wirklich kontrollieren, als wäre er nicht mehr Herr über seinen Körper. Müde lies George sich auf den Stuhl hinter dem Verkaufstresen fallen und bewegte den Zauberstab, woraufhin überall im Raum brennende Kerzen erschienen. Er seufzte und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Warum hatte Fred nicht mit ihm darüber gesprochen, dass er Angst hatte, etwas könnte passieren? Sie hatten doch sonst immer, ausnahmslos, über alles gesprochen. Hatte er ihm noch mehr verheimlicht? Erschrocken sprang George auf, als plötzlich die Glocke an der Tür läutete, die signalisierte, dass jemand den Laden betreten hatte. Es musste doch abgeschlossen sein, oder? „Wer ist da?“, fragte er laut und bewegte sich gleichzeitig auf die Ladentür zu, in deren Rahmen eine Gestalt stand, kleiner als er, die Kapuze des Umhangs auf dem Kopf. „Entschuldigung, ich wollte nicht stören.“, antwortete die Person. Eine weibliche Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam. „Wer bist du?“, wollte George nun ungeduldig wissen. „Oh, tut mir Leid.“, antwortete die Person, ein Lächeln schwang in ihren Worten mit. Schnell streifte sie die Kapuze vom Kopf und es dauerte ein paar Sekunden, bis er im dämmrigen Licht der Kerzen erkannt hatte, wer ihm da gegenüber stand. Sein Herz machte einen kleinen, freudigen Hüpfer. Konnte das wirklich wahr sein? Kapitel 10: ------------ „Angelina!“, rief er freudig auf und schloss sie in die Arme. Das Mädchen erwiderte seine Umarmung und eine ganze Weile standen sie so da, ohne etwas zu sagen. Draußen war es noch immer furchtbar kalt, sodass George sich irgendwann fröstelnd von ihr löste. „Meine Güte, was treibt dich denn hierher?“, fragte er schließlich. Angelina lächelte. „Ich arbeite bei Gringotts und war gerade auf dem Nachhauseweg, als ich gesehen habe, dass hier Licht brennt. Also dachte ich, ich schau mal vorbei.“ „Eine super Idee. Willst du reinkommen?“ George konnte sich nicht genau erklären, woher seine Freude über diesen unerwarteten Gast kam. Sie waren zwar während ihrer Hogwarts Zeit gut befreundet gewesen, aber mehr auch nicht. Im Gegenteil, Angelina war Freds Ex-Freundin… „Klar, gern.“, antwortete sie mit ihrer angenehmen tiefen Stimme und riss ihn damit aus seinen Gedanken. George trat beiseite, damit sie eintreten konnte und schloss die Tür hinter ihr, um die unangenehme Kälte des Winters draußen auszusperren. Dann trat er an ihr vorbei zum großzügigen Tresen des Kassenbereichs und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Ein wenig schüchtern nahm sie auf einem der beiden Stühle Platz, die dort standen, George auf dem anderen. „Ich hoffe, ich störe nicht.“, brachte sie schließlich hervor und lächelte. „Nein, ganz und gar nicht.“, versicherte er ihr schnell, versuchte ebenfalls zu lächeln, was ihm allerdings nicht wirklich gelang. „Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“, sagte sie dann. Wahrscheinlich nur, um irgendetwas zu sagen. „Richtig.“, stimmte er zu und kramte in seinem Gehirn nach der letzten Begegnung. Sie war in Hogwarts dabei gewesen, aber auch auf der Beerdigung? Er konnte sich nicht mehr genau erinnern. Genau genommen waren die ersten Wochen nach Freds Tod von einem grauen Schleier verdeckt, den er, so sehr er sich auch bemühte, nicht lichten konnte. Als George in Angelinas Augen blickte, fiel ihm plötzlich etwas ein. Einen Artikel, den er damals, noch zu ihrer Zeit in Hogwarts, eigentlich für sie entwickelt hatte… Er schwenkte den Zauberstab, woraufhin ein paar Artikel aus einem der Regale in die Luft schwebten und sich entzündeten. Kleine, leuchtend glitzernde Kugeln in allen Farben des Regenbogens verteilten sich im Raum. „Wow.“ Angelina lächelte erneut und versuchte, eine der Kugeln zu fangen, die sich daraufhin in zwei weitere aufspaltete. „Die sind ja hübsch.“, fügte sie begeistert hinzu, als zwei weitere sich auf ihren Haaren niederließen und sich wieder in mehrere kleine Leuchtsterne zerteilten. „Ja, stimmt. Die kommen bei den Mädchen richtig gut an.“, antwortete George und zwinkerte Angelina zu. Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie war tatsächlich noch schöner als zu ihrer Zeit in Hogwarts – obwohl er das eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Damals, als Fred sie zum Weihnachtsball ausgeführt hatte, war er ziemlich eifersüchtig darauf, dass sein Bruder das Mädchen abbekommen hatte, in das er heimlich schon seit dem zweiten Jahr in Hogwarts verknallt gewesen war. Er hatte zwar nie mit seinem Bruder darüber gesprochen, aber irgendwie hatte er immer das Gefühl gehabt, dass Fred es sicherlich gewusst hatte. Vielleicht wollte Fred ja mit dieser Aktion bezwecken, dass George endlich mal den Mund aufbekam und Angelina seine Gefühle gestehen würde? Wie sonst wäre zu erklären gewesen, dass zwischen ihr und Fred (nach unabhängigen Aussagen von ihm und Angelinas Freunden, die er zufällig aufgeschnappt hatte und seinen eigenen Beobachtungen natürlich) nie etwas zwischen den beiden gelaufen war (kein Kuss, nicht einmal Händchenhalten), obwohl sie offiziell, bis die Zwillinge die Schule verlassen hatten, miteinander gegangen waren? Angelina stand plötzlich auf und begann, sich im Laden umzusehen, George folgte ihr in einigem Abstand. „Der Laden sieht wirklich toll aus. Aber er war eine ganze Weile geschlossen, oder?“, fragte sie schließlich, während sie so tat, als wäre sie ganz besonders an den Nasch-und-Schwänz-Leckereien interessiert. „Ja.“, antwortete George leise. „Ich war für ein paar Monate bei meinen Eltern.“ „Wohnst du denn jetzt wieder hier?“ Irrte er sich oder schwang wirklich ein hoffnungsvoller Unterton in ihrer Stimme mit? „Ja.“, antwortete er und spürte, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen, was sich dieses Mal gar nicht falsch anfühlte, im Gegenteil… Angelina wandte sich ihm zu, die Leuchtkugeln spielten mit ihrem schwarzen Haar und warfen alle Farben des Regenbogens auf ihre exotisch schöne, dunkle Haut. Auch sie lächelte, bevor sie antwortete: „Das freut mich. Vielleicht sehen wir uns dann ja öfter. Ich muss nämlich, glaube ich, erst einmal nach Hause. Es war ein langer Tag bei Gringotts, nach Weihnachten ist da immer die Hölle los, wenn neue Sachen in den Verliesen eingelagert werden. Morgen sieht es dann sicherlich auch nicht anders aus und weil wir gerade einige Dinge umlagern, muss ich früher da sein.“ „Soll ich dich nach Hause bringen?“ „Gern.“, antwortete Angelina und ging voran zur Eingangstür. Gemeinsam traten sie auf den dunklen Weg hinaus, es schneite leicht. Die Kugeln waren mit ihnen hinaus geschlüpft und tanzten noch immer um die beiden herum. Angelina machte ein verwirrtes Gesicht und wieder musste George lächeln. „Ein kleiner Zauber, sie folgen dir jetzt auf Schritt und Tritt. Aber keine Angst, in ein paar Stunden lösen sie sich in Luft auf. Ich dachte nur, ein bisschen Licht kann nicht schaden.“ „Gute Idee. Ich finde sie wirklich wunderschön… meinetwegen müssen sie auch gar nicht mehr verschwinden.“ George verriegelte die Tür des Ladens und an Angelinas Seite lief er den schneebedeckten Weg entlang. Ihre Schritte gaben knirschende Geräusche von sich, während die bunten Lichter gemeinsam mit den stumm fallenden Flocken tanzten. „Wie geht es deiner Familie?“, fragte Angelina plötzlich, ihr Blick war auf den Boden gerichtet. „Ganz gut. Charlie war gerade zu Besuch, er hat mir auch einen Tag im Laden geholfen.“ „Ja, ich weiß.“, murmelte sie daraufhin. George warf ihr einen überraschten Blick zu. Angelina zwinkerte ihm zu. „Ich hab dich nicht verfolgt oder so, keine Panik. Bin nur zufällig vorbeigekommen, als ich mittags etwas essen war. Naja, durch das Schaufenster hab ich euch dann gesehen. Seitdem war ich jeden Tag hier, aber heute hab ich mich zum ersten Mal getraut, dich zu begrüßen.“ „Bist du jetzt plötzlich schüchtern geworden?“ Angelina lachte und es klang wie Musik in seinen Ohren. „Nein, das nicht. Es war nur… naja, wir haben uns so lange nicht gesehen und,… ist ja euch egal.“ Sie war stehen geblieben. „Wir sind da.“, verkündete sie dann. George hielt ebenfalls an. Sie waren höchstens zwei Minuten unterwegs gewesen. Er lächelte Angelina zu, die gerade dabei war, das Gartentor zu öffnen. „Ein hübsches Haus. Wohnst du da ganz allein?“, fragte er. Angelina nickte. „Ja.“, antwortete sie leise und ihr Gesicht verriet, dass sie nicht weiter darüber sprechen wollte. „Also, dann wünsche ich dir eine Gute Nacht.“, sagte George. Angelina nickte wieder, während ihre Haare in allen Farben des Regenbogens glänzten. Sie sah umwerfend aus, selbst mit dem dicken Schal und der großen Mütze. „Ich dir auch, George.“ Dann wandte sie sich um und schritt den kurzen Weg zum Haus entlang, während die kleinen Kugeln ihr tanzend folgten. George blieb am Gartentor stehen und blickte ihr nach, die Hände in den Hosentaschen vergraben. ‚Ich sollte etwas sagen…‘, dachte er verzweifelt, während er ihr nachblickte. „Angelina?“, rief er schließlich, während sie gerade dabei war, die Tür zu öffnen. Sie hielt in der Bewegung inne und wandte sich mit fragendem Blick um. „Ja?“ George war zu ihr gelaufen und vor ihr stehen geblieben. „Hättest… ich meine… willst du morgen vielleicht… mit mir essen gehen, oder so?“, brachte er stammelnd hervor. Wieder schenkte sie ihm dieses atemberaubende Lächeln. „Gern. Sehr gern, George.“ „Gut, dann… hole ich dich bei Gringotts ab, wenn du Schluss hast, okay?“ „Ja, mach das. Gegen sieben sollte ich fertig sein.“ Er hob die rechte Hand und legte sie an ihre Wange. Dann beugte George sich langsam zu Angelina herab und gab ihr einen kurzen, kleinen Kuss auf die andere. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und lief die wenigen Schritte zurück zu seinem Haus. Mehr als einmal musste er der Versuchung wiederstehen, sich nach ihr umzublicken und versuchte stattdessen, sein rasendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Im Laden angekommen trat er glücklich in den Verkaufsraum ein und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Seit langem, einer quälend langen Ewigkeit, hatte er sich nicht mehr so gut gefühlt. Der Schmerz um seinen Bruder war endlich ein wenig in den Hintergrund gerückt, während das Glück nun bei weitem überwog. Guter Laune machte er noch ein wenig Ordnung im Laden und lief dann leichtfüßig die Treppen nach oben in sein Schlafzimmer. Er zog sich seinen Schlafanzug über und warf sich auf das Bett. Aus einer der Schubladen seines Nachttisches zog er einige Fotos heraus. Angelina, Angelina, Angelina. Auf jedem war sie abgebildet. Während seiner Zeit war dieses Mädchen immer eine Schwärmerei gewesen, seine heimliche große Liebe. Andere hatten ihn nicht interessiert – nie. Natürlich hatte George auch Dates gehabt, aber nur, weil eben alle welche hatten. So lange hatte er nicht mehr an sie gedacht und ihr plötzliches Auftauchen heute hatte ihn ein wenig aus der Bahn geworfen. Er war sich nicht ganz sicher, was ihn geritten hatte, als er Angelina nach einem Date gefragt hatte – egal, es zählte nur, dass sie gern mit ihm ausgehen wollte. Zufrieden schlief er nach einer Weile ein… Kapitel 11: ------------ Der nächste Tag verging wie im Fluge. Gut gelaunt verkaufte George einen Artikel nach dem anderen und schloss den Laden pünktlich um sechs Uhr. Nachdem er geduscht und umgezogen war, trat er, in einen warmen Wintermantel gehüllt, hinaus auf die Straße. Jeden Gedanken daran, wie Fred sein Treffen mit Angelina wohl finden würde, hatte er den ganzen Tag über erfolgreich verdrängt und er tat es auch jetzt wieder. Wie lange ihm das wohl noch gelingen würde? Kurz vor sieben stand er vor der Zaubererbank Gringotts und wartete geduldig auf Angelina, die ein paar Minuten später hinter der massigen Eingangstür hervor trat. „Tut mir Leid.“, sagte sie atemlos. „Normalerweise bin ich immer pünktlich.“ George lächelte. Genauso wie gestern fühlte es sich nicht falsch oder gezwungen, sondern echt an. „Nicht so wild.“, versicherte er ihr schnell. „Das Warten hat sich ja gelohnt.“ Sie sah im ersten Moment ein bisschen verlegen aus, fing sich aber gleich darauf wieder. „Na, wo hin möchtest du mich ausführen?“, wollte sie dann wissen. George hielt ihr den Arm hin und wartete, bis Angelina sich untergehakt hatte. „Wirst schon sehen.“, sagte er dann und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. „Wie war dein Tag?“, wollte er schließlich wissen, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. „Wahnsinnig anstrengend, das kannst du mir glauben. Heute war eine Kundin da, die schon ein wenig senil gewesen sein muss. Als sie in ihrem Verlies gewesen ist, hat sie wohl festgestellt, dass ihr irgendwelche Sachen fehlen. Dummerweise ist sie mir zugeteilt. Also hab ich Stunden damit zugebracht, die Dinge von der Liste mit den vorhandenen zu vergleichen, bis ihr gerade eben eingefallen ist, dass es ja eigentlich bei ihr zu Hause sein müsste.“ Sie seufzte und George lauschte gespannt ihren Geschichten, stellte ab und an ein paar Fragen und berichtete dann selbst von seinem Tag. Nach einigen Minuten hatten sie den ‚Zauberkelch‘ erreicht. George wusste, dass es dieses Lokal noch nicht lange in der Winkelgasse gab, hatte aber von Bill nur Gutes gehört, der hier schon einige Male mit Fleur essen gewesen war. Sie traten ein und wurden vom Wirt an einen kleinen Tisch geführt, den George bereits am Vormittag reserviert hatte. Sie reichten dem Hauselfen, der schnellen Schrittes angelaufen kam, ihre Mäntel und nahmen dann Platz. Während des Essens drehten sich ihre Gespräche in erster Linie um ihre frühere, gemeinsame Zeit in Hogwarts; die gemeinsamen Quidditchspiele, Streiche die sie Lehrern und Mitschülern gespielt hatten. George lachte seit langem einmal wieder – und zu seiner eigenen Überraschung klang es dieses Mal nicht nach einem Grunzen, im Gegenteil. Außerdem schien es, als gäbe es eine stumme Übereinkunft, Fred nicht zu erwähnen, an die sich beide hielten. Nach dem Dessert, als sie gerade das vierte Glas Apfelwein tranken, sagte Angelina plötzlich: „Ich hab dich ganz schön vermisst, weißt du.“ George war für einen Moment sprachlos, fing sich aber schnell wieder. „Ich dich auch.“, antwortete er dann und lächelte. Angelina ergriff seine Hand, die flach auf dem Tisch lag, während ihre Wangen einen leichten rosigen Hauch annahmen. „Ich… ich dachte…“ Sie atmete zwei Mal tief ein und aus, bevor sie weitersprach. „Vielleicht können wir ja öfter etwas… naja… unternehmen… wenn du Lust hast.“ „Gern.“ „Möchten die Herrschaften noch etwas trinken?“, unterbrach der Wirt sie schließlich, der an ihren Tisch getreten war. Erschrocken zog Angelina ihre Hand zurück, und George schüttelte schnell den Kopf. „Nein, danke. Wir hätten gern die Rechnung.“, antwortete er und bezahlte den genannten Betrag. Als sie hinaus in die kalte Nacht traten und sich auf den Weg nach Hause machten, bestand er darauf, Angelina noch nach Hause zu bringen. „Das ist doch ein Umweg für dich.“, protestierte sie. „Das stört mich nicht.“ „Aber ich wohne nur ein paar Minuten entfernt von dir!“ „Dann ist es ja kein großer Umweg.“, sagte er gutgelaunt und legte den Arm um ihre Schulter. „Denkst du, ich finde den Weg nicht?“ „Naja, es ist dunkel, da verläuft man sich schnell.“ „Ist mir nur komischerweise bisher noch nie passiert.“ „Es gibt immer ein erstes Mal.“ „Sei dir dabei mal nicht zu sicher.“ „Bin ich aber.“ Angelina seufzte, man sah ihr jedoch deutlich an, dass sie diese kleine Neckerei genoss. „Ich bin schon groß, ich kann auch auf mich selber aufpassen.“ „Das bestreite ich auch gar nicht.“ „Dann kannst du mich die paar Schritte auch allein nach Hause gehen lassen.“ „Nein. Ich gehe lieber auf Nummer sicher, dass du dich wirklich nicht verläufst und vielleicht nie mehr nach Hause zurück findest. Das wäre fatal.“ „Warum?“ „Naja, man würde mich verdächtigen… und dann vielleicht, bei der Hausdurchsuchung, die ganzen anderen Frauen in meinem Keller finden. Das geht doch nicht.“ Angelina lachte und boxte ihn leicht in die Seite, dann schlang sie den Arm um seine Mitte, während George sie ein wenig näher zu sich zog. „Lande ich vielleicht auch in deinem Keller? Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“ „Nein, keine Angst. Das wäre ja Verschwendung.“ „Verschwendung?“ „Ja, richtig. So ein hübsches Mädchen wie dich kann man doch nicht einfach einsperren.“ „Das sagst du jetzt. Und morgen bin ich angekettet in der Dunkelheit.“ George lachte. Im ersten Moment traute er seinen Ohren nicht richtig, aber es klang wirklich echt. „Vielleicht solltest du heute Nacht nicht zu fest schlafen.“ Vor Angelinas Haustür blieben sie stehen und sie löste sich aus seiner Umarmung. „Also, dann… gute Nacht.“, sagte sie und schaute ihn mit ihren großen, braunen Augen an. Für einen Moment stockte ihm der Atem, dann beugte er sich wieder herab und küsste sie leicht auf die Wange. „Ich hoffe, wir sehen uns morgen?“, fragte er erwartungsvoll und Angelina nickte glücklich. „Ich komme nach der Arbeit bei dir im Laden vorbei, ja?“, bot sie an. „Das wäre toll… schlaf gut.“ „Du auch, George.“ Leichtfüßig schritt er davon. Es war ihm ein bisschen peinlich, aber er musste sich eingestehen, dass die Schmetterlinge in seinem Bauch sich geradezu vor Glück überschlugen. Die nächsten Abende verbrachte er ausnahmslos mit Angelina und es tat ihm wahnsinnig gut, wie er glücklich feststellte. Sie räumten abends oft gemeinsam den Laden auf, gingen spazieren, essen und einmal besuchten sie sogar ein Muggelkino. Es war Angelinas Idee gewesen und George gefiel der Film (sie hatte zumindest gesagt, dass man sich in einem Kino ‚Filme‘ ansah), auch, wenn er den Humor nicht immer verstand. Als Errol nach zwei Wochen schließlich einen vorwurfsvoll klingenden Brief seiner Mutter überbrachte, plagte ihn ein wenig das schlechte Gewissen. Hallo mein Lieber, ich hoffe, es geht dir gut? Dein Vater und ich machen uns Sorgen, weil du dich schon so lange nicht mehr gemeldet hast. Bei uns ist alles beim Alten. Dein Vater arbeitet zurzeit viel und deswegen dachte ich, er würde sich freuen, wenn du am Samstag zum Abendessen kommen könntest. Ich fände das selbstverständlich auch sehr schön. -Mum P.S.: Deine Freundin kannst du gerne mitbringen. Bill hat mir schon alles erzählt. P.P.S. Solltest du deine Freundin nicht mitbringen wollen, werde ich sie fragen, ob sie nicht kommen möchte. Also tu es lieber selbst, wenn du dir diese kleine Peinlichkeit ersparen möchtest. George lies den Brief sinken und schüttelte lächelnd den Kopf. Bill. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass ein Bruder ja ebenfalls bei Gringotts arbeitete… Schnell kritzelte er seine Zusage auf ein Stück Pergament und steckte es der altersschwachen Eule in den Schnabel, die sich benommen wieder auf den Weg nach Hause machte. Als Angelina am Abend in den Laden kam, nahm ihr George den Mantel ab und gemeinsam begannen sie, die Regale wieder aufzufüllen. „Meine Mum hat uns Morgen zum Essen eingeladen. Eine Absage wird übrigens nicht geduldet. Und nimm am besten gleich deine Schlafsachen mit. Ich schwöre dir, dass sie uns am Abend nicht wieder nach Hause gehen lässt.“, sagte George nach einer Weile und Angelina schaute ihn verdutzt an. Dann lachte sie. „Was ist denn so komisch?“ „Naja, nun ist mir vollkommen klar, wieso dein Bruder darauf bestanden hat, dass ich mir am Wochenende frei nehmen soll.“ George grinste und wandte den Blick wieder dem Regal zu, bevor er weitersprach. „Sag mal, hast du ihm denn erzählt, dass wir… naja, ausgehen?“ „Das nicht. Ich habe es einer Arbeitskollegin gesagt, anscheinend hat sie wohl getratscht.“ Wieder war es still im Raum, während sie die Regale weiter bestückten. „Ich muss dich was fragen.“, sagte Angelina plötzlich. „Schieß los.“ Sie atmete tief durch, bevor sie weitersprach. „Also… wir beide… sind wir ein Paar? Oder… ich meine, naja, angenommen, ich werde von jemand anderem gefragt, ob ich mit ihm ausgehen möchte, dann… dann sollte ich das schon wissen.“ George schenkte ihr einen warmen Blick. „Würde deine Antwort denn davon beeinflusst werden, wenn wir zusammen sind?“ Angelina lächelte. „Das nicht. Sie würde immer gleich ausfallen. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.“ „Hat dich denn jemand gefragt?“, wollte George dann wissen. „Naja…“ Sie schien verlegen zu sein. „Ich werde eigentlich ganz schön oft gefragt, weißt du.“, sagte sie dann. „Ich nehme dich ja ganz schön in Beschlag… wenn du mit anderen ausgehen möchtest, kannst du das gerne tun.“ Angelina schaute ihn skeptisch an. „Meinst du das ernst?“ Georges Blick war noch immer stur auf das Regal gerichtet. „Naja. Ich sage nur, dass du dich mit anderen treffen kannst, wenn du das möchtest. Nicht, dass ich es will. Im Gegenteil.“ Angelina war neben ihn getreten und hatte seine freie Hand genommen. „Ich… fände es sehr schön, wenn wir… wenn wir ein Paar wären.“ Er wandte sich ihr zu, schlang die Arme um ihren schlanken Körper und drückte sie an sich. „Ich auch.“, flüsterte er und küsste sie aufs Haar. Angelina schaute zu ihm auf, sie lächelte und George schmolz wieder einmal dahin. Langsam beugte er sich ein Stück herab, um sie zu küssen, als plötzlich die Ladentür aufgerissen wurde. Erschrocken fuhren die beiden herum. Bill sprang über die Türschwelle und grinste bis über beide Ohren. „Erwischt!“, rief er und sie lösten sich hektisch voneinander. George trat schnell ein paar Schritte vor und umarmte seinen Bruder zur Begrüßung. „Was führt dich denn hierher?“, fragte er und war ein wenig sauer, gerade jetzt gestört worden zu sein. „Oh, Mum hat mir eine Eule geschickt und gemeint, ich solle nach der Arbeit doch mal vorbeischauen und sichergehen, dass du morgen auch wirklich zum Essen erscheinst.“ Als er Angelina erspähte, winkte er ihr freudig zu. „Oh, hallo, Mrs. Johnson. Was für eine freudige Überraschung, sie hier zu sehen.“ Angelina winkte schüchtern zurück, was Bill noch mehr zu erheitern schien. „Ich werd schon da sein.“, versicherte er schnell. „Super, Fleur und ich sind auch eingeladen. Du wolltest uns übrigens besuchen kommen. Ich hoffe, das hast du nicht vergessen?“ George bugsierte seinen Bruder mit sanfter Gewalt zurück zur Tür. „Nein, habe ich nicht.“ Bill grinste unentwegt und schien die Situation, in die er da gerade hineingeplatzt war, richtig verstanden zu haben. „Dann sehen wir uns also morgen. Ich wünsche euch beiden noch einen schönen Abend.“ Er zwinkerte seinem Bruder noch einmal zu und verlies dann den Laden wieder. „Das war ja jetzt ein bisschen peinlich.“, sagte Angeline lachend und war gerade dabei, ihren Mantel überzuziehen, als George sich zu ihr umwandte. „Ist doch nur Bill.“ „Für dich vielleicht. Er ist allerdings mein Chef, schon vergessen?“ „Stimmt… willst du etwa schon gehen?“, fragte er dann und klang ein wenig enttäuscht. „Ja… ich bin echt erledigt. Wie lange hast du den Laden denn morgen geöffnet?“ „Bis mittags.“, antwortete er und trat hinter Angelina auf die Straße hinaus. „Wieso fragst du?“ Sie hakte sich bei ihm unter, wie jeden Tag, wenn sie die wenigen Schritte bis zu ihrem Haus gemeinsam gingen. „Naja. Ich habe ja morgen frei. Dann kann ich dir ja ein bisschen im Laden helfen, bevor wir zu deinen Eltern gehen.“ „Du opferst deinen freien Tag für mich? Das ist ja herzallerliebst.“, sagte George und lachte. „Da siehst du mal, was ich alles für dich tue.“ „Vielleicht sollte ich mir auch mal einen Tag frei nehmen und Gringotts ein bisschen aufmischen.“, schlug er vor. „Ohje, lieber nicht.“ Wieder standen sie vor Angelinas Haustür und, wie jeden Abend, gab George ihr einen leichten Kuss auf die Wange, bevor er sich wieder auf den Rückweg machte. Als er in seinem Bett lag, schlief er nicht, wie es die letzten zwei Wochen der Fall gewesen war, sofort ein. Sein Blick war unweigerlich auf das Foto von sich und seinem Bruder gefallen, welches gerahmt auf seinem Nachttisch stand. Was er wohl davon halten und dazu sagen würde? Einerseits war Angelina natürlich Freds Ex-Freundin, andererseits hatte sein Bruder ihm früher immer wieder versichert, dass er Angelina nicht liebte… An eines der Gespräche erinnerte er sich noch, als wäre es gerade gestern gewesen. Es war bereits spät am Abend. George saß auf einem der Sessel, die vor dem Kamin im Gemeinschaftsraum der Gryffindors standen. Lee Jordan hockte neben ihm und schrieb an seinem Aufsatz, während er selbst das Konzept einer neuen Erfindung überprüfte und an einigen Stellen änderte. Ansonsten war der Raum zu dieser späten Stunde leer. Plötzlich kam Angelina durch das Porträtloch geklettert und winkte George lächelnd zu, bevor sie nach oben in den Schlafsaal ging. Er schaute ihr verträumt nach, als Freds Stimme ihn plötzlich aus seinen Gedanken riss. „Ihr seid noch wach?“ George wandte sich ihm zu und grinste. „Naja, wir müssen ja kontrollieren, dass du nachts auch das richtige Bett findest.“ Fred lies sich auf die Lehne des Sessels fallen, in dem sein Zwillingsbruder saß und seufzte. „Da gibt es nichts zu kontrollieren.“, seufzte er. Lee sah zu Fred auf und grinste ihn an. „Ach komm schon, ihr seid doch jetzt schon seit vier Monaten zusammen.“ „Ja… naja, wir sind eher Freunde, glaube ich.“ „Aber ihr geht miteinander.“, warf George ein. „Ja, komisch, oder? Allerdings ist da nicht wirklich etwas. Schnapp du sie dir doch, Bruderherz.“, neckte Fred ihn. George senkte den Blick wieder nach unten auf sein Pergament und betete inständig, dass er nicht rot werden würde. „Nein lass mal. Bevor ich mich in die ewige Knechtschaft treiben lasse, geht wahrscheinlich die Welt unter.“, antwortete er und damit war das Thema beendet gewesen. Schließlich kam George zu dem Schluss, dass Fred sich wahrscheinlich für ihn freuen würde, dass es ihm nun besser ging, nachdem er so lange nach seinem Verlust gelitten hatte. Niemand würde das ersetzen können, was er mit seinem Bruder gehabt hatte, auch Angelina nicht. Aber mit ihr war es anders. Sie lachten beide viel zusammen, wenn auch über andere Dinge als George früher mit Fred. Sie gab ihm das wieder das Gefühl, ein richtiger Mensch zu sein, der am realen Leben teilnahm und nicht nur unbeteiligter Zuschauer war. Wie das wohl bei Angelina war? Er wusste nicht, wie sie auf die Trennung von Fred reagiert und wie sie diese Beziehung zu seinem Zwillingsbruder empfunden hatte. Sie hatten bisher auch nicht darüber gesprochen. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit, dass Angelina in George vielleicht eine Art Ersatz für Fred suchte. Dass sie nicht wirklich ihn sah, wie er war… Dass sie vielleicht einfach nur versuchte, mit dem Tod ihres Ex-Freundes fertig zu werden, indem sie sich den Zwillingsbruder schnappte, der sein Ebenbild war. Um den Verlust auszugleichen. Makaber, aber möglich. Nach einer ganzen Weile schlief George, noch immer mit diesen nagenden Gedanken im Hinterkopf, ein. Kapitel 12: ------------ Als Angelina am nächsten Morgen den Laden eine halbe Stunde vor der Öffnungszeit und mit einem kleinen Frühstück für sie beide im Gepäck betrat, waren Georges Zweifel vom Vortag wie weggeblasen. Er war einfach hin und weg von ihr und schmolz bei dem strahlenden Lächeln, was sie ihm immer wieder schenkte, jedes Mal aufs Neue dahin. Der Tag verging wahnsinnig schnell und als die beiden am frühen Abend beim Fuchsbau ankamen, erwartete Mrs. Weasley sie schon an der geöffneten Tür. Als sie George in die Arme schloss, hatte er für einen Moment das Gefühl, sie würde ihm sämtliche Rippen brechen und Angelinas Gesicht nach zu urteilen ging es ihr nicht anders. Nachdem die beiden wieder frei waren, überreichte Angelina Mrs. Weasley den mitgebrachten Strauß Blumen und diese überschlug sich beinahe vor Freude. „Die sind wunderschön, Liebes.“, versicherte sie und sauste in Windeseile davon, um sie in eine Vase zu stellen. George und Angelina zogen derweil ihre Schuhe im Flur aus. Dann führte er sie in die Küche, wo Mr. Weasley, Fleur, Bill, Percy und dessen neue Freundin Audrey schon am Esstisch saßen und die beiden Neuankömmlinge freundlich begrüßten. Anfangs waren Audrey und Angelina noch ein wenig zurückhaltend und befangen, doch das legte sich schon bald. Es war wie immer bei den Weasleys, stellte George zufrieden fest. Egal, wer sich auch gerade im Haus befand, er wurde einfach mit in die Familie einbezogen, als hätte er schon immer dazugehört. Als das Geschirr abgeräumt war, verteilte Mrs. Weasley Feuerwhiskey an die Herren und Apfelwein an die Damen – Fleur allerdings lehnte ab und trank stattdessen Apfelsaft. Alles in allem war es ein sehr angenehmer und lustiger Abend und auch George lachte aus vollem Herzen. Er fühlte sich frei, war glücklich wie schon lange nicht mehr. Ein wenig war es schon wieder wie früher – er sorgte, unter anderem, für die meisten Lacher am Tisch. Audrey war geschlagene zehn Minuten nicht in der Lage, sich von ihrem Lachanfall zu erholen, als George von einer beleibten Kundin berichtete, die einer Leckerei nicht wiederstehen konnte, die einer Praline geähnelt hatte. Dummerweise hatte diese dafür gesorgt, dass sie fünfzehn Minuten lang an der Zimmerdecke des Ladens schweben musste, weil sie damals die Idee gehabt hatte, dafür zu sorgen, dass dieser Zauber nicht vor dem geplanten Ende abgebrochen werden konnte. (Die Zwillinge hatten diesen Einfall bei einer von Harrys Erzählungen gehabt, der einmal aus Versehen seine Tante aufgeblasen hatte…) Audrey arbeitete ebenfalls im Ministerium, sodass sie gemeinsam mit Percy und Mr. Weasley einige Anekdoten zum Besten geben konnte. Auch Angelina und Bill erzählten einige Geschichten aus ihrem Gringotts-Alltag. Es war also sehr laut in der kleinen gemütlichen Küche und irgendwie sprach jeder gleichzeitig mit jedem. Der glücklichste Moment an jenem Abend für George war allerdings, als Angelina unter dem Tisch nach seiner Hand griff und diese nicht wieder losließ, bis Mrs. Weasley alle vom Tisch auf- und nach oben in ihre Zimmer scheuchte. George hatte bereits erwartet, dass seine Mutter ihn und Angelina gemeinsam in einem Zimmer einquartieren würde, war allerdings etwas überrascht, als Mrs. Weasley die beiden in Rons Schlafzimmer führte. Als Angelina sich ins Badezimmer verzogen hatte, wandte er sich seiner Mutter mit einem fragenden Blick zu. „Wieso schlafen wir nicht in meinem alten Zimmer?“, fragte er verwirrt. Mrs. Weasley lächelte und tätschelte ihrem Sohn die Wange. „George, mein Lieber, ich dachte, ihr wollt vielleicht in einem Bett schlafen und ich wollte nichts in eurem alten Zimmer verändern, ohne dich vorher zu fragen. Also hab ich einfach das Bett hier ein wenig größer gezaubert. Ron ist ja sowieso nicht hier.“ George lächelte und schloss seine Mutter kurz in die Arme. „Danke, Mum. Aber ich denke, ich bin jetzt so weit, dass ich ihn gehen lassen kann. Du kannst mit dem alten Zimmer machen, was immer du willst.“, sagte er und war selbst erstaunt über diese Antwort. Er spürte, dass er es ernst meinte, wusste aber nicht, seit wann er schon so fühlte. „Schlaf gut, Mum.“, fügte er dann noch schnell hinzu. Mrs. Weasley, die mit den Tränen zu kämpfen schien, murmelte nur ein „Du auch, mein Lieber.“ und verschwand dann in ihrem eigenen Schlafzimmer. Zögernd trat George ein und setzte sich auf das magisch vergrößerte Bett. Als er sich im Zimmer umschaute, stellte er fest, dass seine Mutter hier auch ein wenig aufgeräumt hatte. Ron würde sicherlich begeistert sein, wenn er in den nächsten und seinen gleichzeitig letzten Ferien nach Hause kam und nichts mehr da war, wo es sein sollte. Nach ein paar weiteren, quälenden Minuten des Wartens betrat Angelina schließlich den Raum. Sie trug einen dunkelroten Schlafanzug aus Seide und das lange Haar fiel ihr in seidig weichen Wellen um die Schultern. George unterdrückte ein „Wow“, schnappte sich stattdessen seinen Pyjama und die Waschtasche und zwinkerte Angelina zu, bevor er den Raum verlies. Im Badezimmer putzte er sich akribisch die Zähne und zog sich dann erst seinen Schlafanzug an. Als er das Oberteil gerade anziehen wollte, stutze er für einen Moment – er fand, dass sein freier Oberkörper eigentlich ganz ansehnlich war, wozu ihn also verstecken? Schnell stopfte er das nicht benötigte Kleidungsstück zwischen seine anderen, die er gerade ausgezogen hatte und warf dann einen prüfenden Blick in den Spiegel. Sofort fiel ihm das freudige Glitzern in seinen Augen auf, als er für einen Moment an Angelina dachte, die im Nebenzimmer auf ihn wartete. Schnell kämmte er noch sein halblanges Haar über das schwarze Loch, wo eigentlich sein rechtes Ohr hätte sein müssen und verlies dann den Raum. In Rons Schlafzimmer brannte nur noch eine Kerze auf dem Nachttisch, als er eintrat. Schnell schloss George die Tür hinter sich und kramte in seinem Rucksack. „Was machst du da?“, fragte Angelina, die zwar bereits im Bett lag, sich aber jetzt aufsetzte und neugierig zu ihm herübersah. „Eine kleine Überraschung. Kannst du die Kerze ausmachen?“, bat er dann. Angelina fragte nicht weiter nach sondern löschte die kleine Lichtquelle auf ihrem Nachttisch. Für ein paar Augenblicke war es stockdunkel im Raum, bis ganz plötzlich die kleinen Lichtkugeln – wie schon etwa zwei Wochen zuvor – wieder umher tanzten. George begab sich nun zum Bett und schlüpfte neben Angelina unter die Decke, die ihm einen verträumten Blick schenkte. „Tausendmal besser als Kerzenlicht.“, flüsterte sie und lächelte zaghaft. „Richtig.“ Er lag auf dem Rücken und hatte den Kopf zur Seite gedreht, Angelina ebenso. Lange schauten sie einander schweigend an, während die Kugeln alle Farben des Regenbogens auf ihre Gesichter zauberten. Plötzlich schossen ihm die Gedanken von letzter Nacht wieder in den Kopf, aber George vertrieb sie schnell wieder. An so etwas wollte er jetzt nicht denken, sondern diesen Moment genießen. „Du darfst gern ein bisschen näher rücken. Ich beiße nicht, weißt du.“, sagte George schließlich mit rauer Stimme. Angelina lächelte schüchtern, rutschte aber tatsächlich so nah wie möglich an ihn heran. Den Kopf legte sie auf die linke Seite seiner nackten Brust, während sie begann, mit der linken Hand kleine Muster auf seinen rechten Oberarm zum malen. George schloss sie in die Arme und atmete den süßen Duft ihrer Haare gierig ein. Seine rechte Hand lag ruhig auf ihrer Hüfte, während er mit der linken Hand unentwegt zärtlich über ihren Rücken strich. Er wünschte sich, dieser Augenblick würde nie enden. Sicherlich war dies das Paradies, ganz bestimmt… „Was denkst du gerade?“, fragte Angelina plötzlich. George musste Grinsen und sagte dann: „Typisch Mädchen.“ Er konnte ihr fragendes Gesicht förmlich spüren und zählte im Kopf die kleinen Grübchen, die sie dann immer auf ihrer Stirn bekam, wenn sie über etwas nachdachte. Eins, zwei, drei, vier, fünf. „Wie meinst du das?“, wollte sie schließlich wissen. „Naja, ich genieße gerade den Augenblick und meinen leeren Kopf, als du mich fragst, was ich denke. Machen das Mädchen nicht immer so? Hab ich mir zumindest von Harry und Ron sagen lassen. Von Dad, Charlie, Bill und Percy übrigens auch.“ Angelina kicherte leise und schmiegte sich noch ein wenig fester an ihn, wenn das überhaupt möglich war. „Dein Kopf ist leer? Ich wusste es doch immer.“, neckte sie ihn dann. „Ach naja, man muss nicht unbedingt klug sein, um durchs Leben zu kommen, richtig?“, antwortete er und küsste sie leicht auf ihr Haar, bevor er weitersprach: „Was denkst du denn gerade?“ „Dass ich noch nie so glücklich war. Und das meine ich ehrlich.“, sagte sie dann. Ihre Fingerspitzen fuhren nun ganz leicht über die rechte Seite seiner nackten Brust, was kleine Schauer durch seinen Körper jagte. „Mir geht es ebenso.“, flüsterte er und umarmte sie ein wenig fester. Sie lagen noch eine ganze Weile so da, schweigend, träumend, genießend. Irgendwann vernahm George Angelinas gleichmäßige Atemzüge und schaute nach unten. Sie lag, noch immer fest an ihn gekuschelt, mit dem Kopf auf seiner Brust. Ihre großen dunklen Augen waren geschlossen und ein paar Strähnen ihrer langen braunen Mähne hingen ihr ins Gesicht, was sie jedoch nicht zu stören schien. Sie machte einen friedlichen und zugleich wahnsinnig glücklichen Eindruck. Nach einiger Zeit schlief auch George ein und er war so zufrieden, wie schon lange nicht mehr. Kapitel 13: ------------ Zurück in der Winkelgasse verbrachten sie weiterhin, wie auch schon vorher, jeden Abend gemeinsam. Immer, wenn George sie nach Hause brachte, musste er mit sich selbst kämpfen, um sie nicht zu küssen. Er wollte nicht, dass es beim ersten Mal so banal war. Angelina sollte später ihren Enkelkindern noch von diesem ersten, unvergesslichen Kuss berichten… Selbstverständlich hatte er auch schon einen passenden Tag dafür gefunden: den Valentinstag. Am vierzehnten Februar holte er sie, mit einem großen Straus roter Rosen, nach der Arbeit von Gringotts ab. Angelina fiel ihm daraufhin um den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Dann ergriff er ihre freie Hand und sie machten sich auf den Weg. „Wo gehen wir hin?“, wollte Angelina schließlich wissen, als George von selbst kein Wort darüber verlor. „Nach Hause.“, antwortete er und drückte zärtlich ihre Hand. Vor Georges Laden angekommen bestand er darauf, ihr die Augen zu verbinden und sie die Treppen nach oben in seine Wohnung tragen zu dürfen. „Ich bin viel zu schwer.“, protestierte Angelina daraufhin. „Ach was. Du Fliegengewicht doch nicht.“ „Doch. Ich bin wohl eher ein Pottwal.“ George lachte. „Ich trage dich trotzdem. Du solltest besser zustimmen, sonst werfe ich dich einfach über die Schulter.“ „Ich bin aber zu schwer! Du fällst bestimmt hin und brichst dir irgendetwas.“, beharrte sie weiterhin stur. Schon wieder musste er lachen: wie sie dastand, mit verschränkten Armen und ihrem halb beleidigtem, halb belustigtem Gesicht war sie einfach wunderschön. Aber eigentlich war sie das ja immer… „Naja, falls ich falle, lande ich wenigstens weich, nicht wahr? Bei so einem Pottwal hat man genug Auflagefläche.“ Schmollend schob sie die Unterlippe nach vorn. „Na das ist ja kein Kompliment.“, beschwerte sie sich. Theatralisch verdrehte George die Augen. „Was man auch sagt, es ist verkehrt.“, murmelte er mit einem leidenden Blick gen Himmel und zwinkerte Angelina dann zu. Unglaublich schnell schob er den einen Arm unter ihre Knie und den anderen unter ihre Arme, woraufhin sie einen erschrockenen Laut von sich gab, als sie plötzlich den Boden unter den Füßen verlor. „Ich hab doch gesagt, ich trage dich auf jeden Fall. Wärst du jetzt so nett, dir die Mütze über die Augen zu ziehen? Sonst muss ich das auch machen.“ Diesmal gehorchte Angelina. George trat nun mit ihr über die Türschwelle und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Den Zauberstab hatte er in der linken Hand und da Angelina tatsächlich ein Fliegengewicht war, konnte er diese auch problemlos hinter sich verriegeln. Langsam stieg er die Treppen hinauf in die Wohnung, seine Traumfrau noch immer auf den Armen. Er fühlte Angelinas Anspannung, auch sein eigenes Herz schien in seiner Brust zerspringen zu wollen. Die Wohnungstür öffnete sich mit einem Schlenker seines Zauberstabs und er trat ein. Behutsam setzte er Angelina ab. „Die Mütze muss noch einen Moment so bleiben.“, sagte er, als er begann, ihren Mantel aufzuknöpfen und gleich darauf auszuziehen. Sie hatte eine hübsche, schwarze Bluse und ebenfalls dunkle Jeans angezogen. Ihre Haare waren zu einem wahnsinnig kompliziert aussehenden Zopf verflochten und sie trug Ohrringe. George musste unweigerlich grinsen, als er sich auch seines Umhangs entledigte. Sicherlich hatte Angelina schon geahnt, dass er irgendetwas Besonderes für heute geplant hatte, sonst wäre sie sicherlich nicht so herausgeputzt. Dann ergriff er ihre Hand und führte sie in die Küche. George stellte sich hinter ihr auf, legte seine Hände auf ihre Schultern und meinte schließlich: „Du kannst die Mütze jetzt absetzen.“ Angelina zog sich das störende Stück Stoff vom Kopf und blickte sich in der Küche um. In der Mitte des Zimmers stand ein kleiner Tisch mit zwei brennenden Kerzen und einem wunderbar duftendem Abendessen darauf. George nahm die Hand der sprachlosen Angelina, zog ihren Stuhl ein wenig zurück und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Dann nahm er selbst ihr gegenüber Platz. Beim Essen sprachen sie, wie sonst auch, über die Ereignisse des Tages. Außerdem lobte Angelina ihn für seine ordentliche Küche und das leckere Abendessen. Als sie nach dem Dessert jeder noch ein Glas Apfelwein getrunken hatten, stand George plötzlich auf und ging um den Tisch herum. Er reichte Angelina eine Hand, die sich ebenfalls erhob und ihn fragend anschaute. George trat erneut hinter sie und legte ihr die Hände auf die Augen. „Ich habe noch eine Überraschung.“, hauchte er sanft in ihr Ohr. Zärtlich aber bestimmt steuerte er Angelina geradewegs in sein Zimmer. Etwa in der Mitte des Raumes blieben sie stehen. „Lass die Augen noch zu.“, bat er, kurz bevor er die Hände wegnahm. Angelina fügte sich seinem Wunsch und lauschte angestrengt. Sie konnte die Geräusche nicht richtig deuten, die er da verursachte und war deswegen umso gespannter. Nach ein paar endlos langen Sekunden sagte er schließlich: „Jetzt kannst du die Augen aufmachen.“ Ihr stockte im ersten Moment schier der Atem. Sie dachte erst, es wären die kleinen Leuchtkugeln, die da so munter im Raum umher flatterten, erkannte aber bei genauerem Hinsehen, dass es lauter kleine Schmetterlinge waren, die bei jedem Flügelschlag die Farbe wechselten und im Flug einen dünnen glitzernden Schweif hinter sich herzogen. George trat neben Angelina und beobachtete mit ihr die kunterbunten Exemplare, die im Raum umher schwirrten. „Ich habe die leuchtenden Kugeln ein bisschen weiterentwickelt. Ich dachte, so gefallen sie dir besser.“, erklärte er ihr leise. Sie streckte die Hand aus und einer der Schmetterlinge landete auf ihrem Zeigefinger, wo er kurz sitzen blieb, bevor er weiterflatterte. „Die… sind wunderschön.“, stammelte Angelina und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Das hatte er nur für sie getan… nur, um ihr eine Freude zu bereiten, sie zu überraschen. Langsam drehte sie sich zu George herum und lächelte ihn glücklich an. „Sie sind allerdings nicht so wunderschön wie du.“, flüsterte er und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Ach, du spinnst ja.“, murmelte Angelina, spürte aber, wie ihr die Tränen plötzlich die Wangen hinab rannen. George schlang die Arme um sie und zog das hübsche Mädchen so nah wie möglich an sich. „Für mich ist das aber die Wahrheit.“, sagte George leise und beugte sich hinab, um mit seinen ihre Lippen zu berühren. ‚So sollte ein erster Kuss aussehen…‘, dachte er und strich mit seinen Fingerspitzen langsam ihren Rücken hinab. Angelina legte ihm die Hände flach auf die Brust und erwiderte seinen zärtlichen Kuss. Sie hatte so lange darauf gewartet und wusste nun, dass es keinen perfekteren Moment als diesen hätte geben können. George führte sie vorsichtig hinüber zum Bett und drückte sie leicht darauf, sodass sie zum Liegen kam. Er legte sich daneben, stützte sich jedoch leicht auf seinen linken Ellenbogen und beugte sich nun über sie. Ihr süßer Atem, die weichen Lippen – George konnte einfach nicht genug von ihren umwerfenden Küssen bekommen. Angelina schlang die Arme um seinen Hals, fuhr ihm mit den Fingern immer wieder durchs Haar und kraulte seinen Nacken. Er hingegen legte die Hand an ihre Wange und fuhr mit den Fingerspitzen hinab zu ihrem Hals, als er etwas Kühles an ihrer heißen Haut tastete. Eine Kette? Bisher hatte er noch nie eine an ihr gesehen… andererseits hatte Angelina bislang auch immer Rollkragenpullover, wegen der Kälte draußen, getragen. Und er war ihr noch nie so nahe gewesen… Vorsichtig fuhr er mit den Fingern an der filigranen Kette entlang, bis er schließlich einen Anhänger gefunden hatte. Er erwiderte noch immer Angelinas drängende Küsse, versuchte aber nebenbei, aus welchem Grund auch immer, herauszufinden, was an dieser Kette hing. War das tatsächlich ein Schlüssel? Mühsam löste er sich von Angelina, die ihm einen glühenden Blick zuwarf. „Alles okay?“, fragte sie leise. „Hast du… ist das da ein Schlüssel, der an deiner Kette hängt?“, fragte George atemlos und setzte sich auf. Angelina tat es ihm gleich. „Ja,… wieso?“ Sie schien ein wenig verlegen zu sein. „Wozu gehört er?“, hakte George weiter nach und schaute Angelina ernst an. „Ich… ich weiß nicht.“, gestand sie, sichtlich verwirrt über diese plötzliche Wendung. „Ist er von Fred?“ Angelina erstarrte und nickte nach kurzem Zögern. Schnell griff George nach dem kleinen Kästchen auf seinem Nachttisch. Er hatte ganz vergessen, dass es dort stand und er eigentlich die Wohnung und den Laden nach einem passenden Schlüssel hatte absuchen wollen… „Macht es dir etwas aus, nachzusehen, ob er hier passt?“, fragte er hoffnungsvoll. „Nein, natürlich nicht, aber… ich verstehe nicht…“ George griff mit beiden Händen an ihren Nacken und löste den Verschluss mit zittrigen Fingern. Er steckte den filigranen goldenen Schlüssel in das Schloss des Kästchens, drehte ihn herum und klappte den Deckel auf. Angelina schaute ihn zunächst verwirrt an und blickte dann interessiert in das Kästchen hinein. Ganz obenauf lag ein Briefumschlag, auf dem ihr Name stand, was sie erstarren lies. George griff danach und überreichte ihn ihr wortlos. Sie verstand nicht, was das sollte. Angelina ergriff zwar den Umschlag, schaute ihren Gegenüber aber fragend an. „Was ist das für ein Brief?“, fragte sie verständnislos. Sie begriff nicht, wieso George sie mit einem so misstrauischen Blick bedachte. „Ich dachte, das kannst du mir vielleicht sagen.“, antwortete er und eine ungewohnte Härte lag in seiner Stimme. „Ich weiß es ja selbst nicht…“, murmelte Angelina, öffnete das Siegel des Umschlags und zog ein einzelnes Pergament heraus. Ang, jetzt musst du ihm alles erzählen. -Fred Nachdem sie die kurzen Zeilen gelesen hatte, spürte sie, wie erneut Tränen ihre Wangen hinab rannen. „Was ist los?“, wollte George wissen und schloss sie sofort in die Arme. Gerade eben war er noch wahnsinnig sauer gewesen, weil er sich in seinem Kopf schon die wildesten Fantasien ausgemalt hatte. Als er jedoch sah, wie sie weinte, schien sich sein Ärger in Luft aufgelöst zu haben. Diese wunderbare Frau konnte ihm einfach nichts Schlechtes wollen… richtig? Angelina schluchzte an seiner Schulter, bis er sie schließlich von sich wegschob, um ihr in die Augen sehen zu können. „Was steht in dem Brief?“, fragte er schließlich. Sie reichte ihm wortlos das Pergament. George las es mehrmals durch und schaute dann die noch immer weinende Angelina prüfend an. „Möchtest du mir etwas beichten?“, fragte er in vorwurfsvollem Ton. Es dauerte ein Weilchen, bis sie sich so weit unter Kontrolle hatte, dass sie sprechen konnte. „Du darfst mich nicht hassen, ja? Hör zu, damals in Hogwarts, als er mich zu diesem blöden Weihnachtsball eingeladen hat… das war alles meine Idee. Ich war schon so lange verknallt in dich und du hast immer nur mit irgendwelchen lustigen Sprüchen gekontert, wenn ich versucht habe, es zu beichten. Das hat mich in den Wahnsinn getrieben, wirklich. Ganz zu schweigen von meinen Andeutungen, dass ich gerne mit dir zum Ball gehen würde… Also hab ich irgendwann Fred um Rat gefragt, der sich eigentlich sicher war, dass du… naja, dass du mich auch gerne hast. Zusammen haben wir dann einen total hirnrissigen Plan ausgeheckt… Zuerst hat er mich also vor deinen Augen zum Ball eingeladen. Ich hab im ersten Moment wirklich gedacht, dass du jetzt endlich mal den Mund aufmachen würdest und ihm sagst, dass es dir nicht passt, weil du ehrlich richtig sauer ausgesehen hast. Aber nein, im nächsten Moment du hast deinem Bruder nur zugezwinkert und dann Katie gefragt. Ich war so sauer, ich hab wochenlang nicht mit ihr gesprochen… Naja, als das keine Wirkung gezeigt hat, musste ich mir ja etwas anderes überlegen… also sind wir einfach ewig lange beim Ball geblieben und haben getanzt, um ein paar Gerüchte zu schüren, was ja auch ganz gut funktioniert hast. Am nächsten Morgen beim Frühstück haben immerhin alle darüber gesprochen und ich hab dir angesehen, dass dich das rasend macht. Aber du hast deinen Bruder lediglich damit aufgezogen, wie alle anderen… ich hab die Welt nicht mehr verstanden… also war Fred so nett zu tun, als wären wir ein Paar. Immer, wenn wir uns getroffen haben, musste er sich mein Rumgejammer anhören und wir haben jede deiner Aussagen mir gegenüber genauestens analysiert. Er war wirklich süß… und irgendwann wart ihr dann einfach weg, von dem einen auf den anderen Tag. Ich hab die Welt nicht mehr verstanden, weil ich immer gedacht habe, dass du mich auch magst. Aber... aber dann war da keine Eule, gar nichts. Ich hab wochenlang nur geheult. Fred musste mir schwören, dass er den Mund hält und dir nichts sagt und ich bin froh, dass er das auch getan hat. Ich wollte nicht, dass du irgendwie das Gefühl hast, dass du beeinflusst wirst, weißt du. Tja, eines Tages war ich dann bei euch im Laden und… naja, es hat mich wieder umgehauen. DU hast mich wieder umgehauen, obwohl ich echt dachte, ich wär drüber hinweg. Fred meinte die ganze Zeit, ich solle mitkommen, du würdest dich wahnsinnig freuen mich zu sehen… aber ich konnte nicht. Ich hab gesagt, ich würde später wiederkommen, wenn keine Kunden mehr da sind. Das hab ich auch gemacht, aber… naja, das war wohl der Tag, an dem ihr zu eurer Tante geflüchtet seid. Ich bin dann in den folgenden Monaten jeden Tag nach der Arbeit am Laden vorbei gelaufen, aber die Fenster waren immer dunkel… und irgendwann waren da diese blöden Münzen von den DA Treffen, also bin ich sofort nach Hogwarts gereist und… naja, Fred hat mich beiseite genommen und gesagt, dass ich dir sagen soll, was Sache ist, dass ich in dich verknallt bin, solange ich noch die Gelegenheit dazu habe. Und ich wollte nicht, hab mich geweigert, weil ich dachte, du würdest… so eine wie mich eh nicht wollen. Dann hat er mir die Kette mit dem Schlüssel gegeben und mich gebeten, nein, angefleht, dass ich sie tragen soll, immer, nicht einmal zum Schlafen sollte ich sie abnehmen. Er meinte, eines Tages würde ich dir schon alles erzählen müssen, ob ich nun will oder nicht und er würde schon dafür sorgen. Ich hab das damals nicht verstanden. Jetzt aber schon.“ Wieder brach sie in Tränen aus. George war für ein paar Sekunden wie betäubt, er musste diese Flut an Informationen erst einmal verarbeiten, während sie unaufhörlich schluchzte. Als er sich wieder gefangen hatte, rutschte er neben Angelina, zog sie auf seinen Schoß und umarmte sie fest. „Hör auf zu weinen.“, bat er und strich zärtlich über ihr langes Haar. „Dann lass mich nicht wieder allein.“, murmelte sie und klammerte sich fest an ihn. „Wie könnte ich das?“, flüsterte er und gab ihr einen kurzen Kuss. „Heißt das, du hasst mich nicht?“, fragte sie, nachdem George sich wieder von ihr gelöst hatte. „Ganz bestimmt nicht. Wieso sollte ich?“, wollt er wissen und trocknete ihre Wangen mit dem Stoff seines Hemdärmels. „Weil… naja. Weil wir dich damals in Hogwarts so an der Nase herumgeführt haben, weil ich dir selbst jetzt noch alles so lange verschwiegen habe.“, sagte sie leise und schniefte. George lächelte und drückte Angelina dann so fest wie möglich an sich. „Was damals war, ist egal. Zählt nicht das, was wir jetzt haben?“, flüsterte er in ihr Ohr. Er war glücklich, so glücklich, dass er wirklich immer nur der Eine für sie gewesen war, dass er es selbst jetzt noch war. Angelina Johnson war verknallt in ihn und die frühere Scheinbeziehung mit seinem Zwillingsbruder war egal, weil er wusste, dass Fred das für ihn getan hatte; dass er ihm hatte helfen wollen, glücklich zu werden. Auf seine eigene, abgedrehte Art und Weise. Vorsichtig ließ er Angelina los und tastete nach der Schatulle, um zu sehen, was noch darin war. Als nächstes kramte er einen Stapel alter Fotos heraus, die ausschließlich Angelina und George zeigten, meist beim Lernen, dem Quidditchtraining oder während der Mahlzeiten in der großen Halle. „Wow, wo hat er die denn alle her…“, murmelte Fred und sah begeistert zusammen mit Angelina die Fotos durch. Auf jedem Bild war es das Gleiche: die beiden sahen einander nie direkt an, sondern warfen sich nur verstohlene Blicke zu. Als sie das feststellten, mussten sie lachen. Es war all die Jahre so offensichtlich gewesen – wahrscheinlich für jeden. Nur sie selbst hatten nie zueinander gefunden. Das letzte Bild zeigte die beiden während ihres einzigen Tanzes zum Weihnachtsball. George lachte leise. „Daran kann ich mich gar nicht erinnern.“, sagte er schließlich. „Kein Wunder, du warst auch wahnsinnig betrunken.“ Er nickte bedächtig. „Stimmt. Es mich echt krank gemacht hat, dass du mit Fred auf dem Ball warst.“ Angelina lächelte und selbst mit ihren geröteten Augen war sie noch immer unbeschreiblich, unwiderstehlich schön. „Wir dachten zuerst, unser Plan geht auf, als du mich um einen Tanz gebeten hast. Aber danach warst du ganz plötzlich verschwunden.“ „Ich weiß nur, dass ich am Morgen im Badezimmer auf dem Fußboden aufgewacht bin… anscheinend ging es mir wohl nicht mehr so gut.“ Sie schwiegen eine Weile und schauten dem Pärchen – sich selbst – auf dem Bild dabei zu, wie sie über die Tanzfläche wirbelten. „Das Bild ist wunderschön.“, bemerkte Angelina und legte den Kopf auf die Schulter von George. Dieser nickte. „Ja, und dafür, dass ich so betrunken war, tanze ich doch erstaunlich gut, oder was?“ Er legte die Fotos beiseite und holte als Nächstes ein paar Pergamente aus dem kleinen Kästchen hervor. „Okay, nun wird’s peinlich.“, sagte Angelina und schlug die Hände vors Gesicht, während George die Zettel las. Fred und sie hatten sich damals während der Unterrichtsstunden öfter kleine Nachrichten geschrieben. George hatte angenommen, dass es dabei um irgendwelche Liebesbotschaften gehandelt haben musste und war deswegen jetzt überrascht, als er feststellte, dass er der Mittelpunkt war. ‚Er hat mich vorhin angelächelt, als ich dir mit dem Tagespropheten eins auf den Deckel gegeben habe – ob das etwas zu bedeuten hat? ‘ ‚Er hat Süße zu mir gesagt – das hat er vorher noch nie gemacht! ‘ ‚Er hat die Verabredung mit Katie abgesagt – warum? ‘ Unter all ihre Fragen hatte Fred in seiner kleinen, unordentlichen Schrift seine persönliche Meinung und Beurteilung dazu verfasst. Immerhin kannte er seinen Bruder am besten und wusste somit sicherlich besser als alle anderen, was er mit diesem und jenem Verhalten sagen wollte. „Das ist echt süß.“, bemerkte George, nachdem er den letzten Zettel zu Ende gelesen und beiseite gelegt hatte. Angelina nahm ihre Hände wieder herunter, hinter denen sie ihr Gesicht verborgen hatte. „Ich finde es eher peinlich.“, gestand sie. „Würde ich an deiner Stelle auch.“, neckte George sie und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn. Dann griff er wieder nach der Schatulle. Jetzt war nur noch ein kleines, schwarzes Döschen darin. „Jetzt wird es dann peinlich für mich, fürchte ich.“, gestand er und machte keine Anstalten es heraus zu nehmen. Also griff Angelina stattdessen danach und ließ es mit einer kleinen Bewegung aufschnappen. Zum Vorschein kam ein hübscher, etwa Kleinfingergroßer Stein, der in allen Farben des Regenbogens schimmerte. Wie die Schmetterlinge, die noch immer um sie herum flatterten. Angelina zog an dem Stein und stellte fest, dass er an einer Kette befestigt war. Prüfend hielt sie ihn in den bunten Lichtern, die mit jedem Flügelschlag wechselten, nach oben und besah ihn sich von allen Seiten. „Der ist echt hübsch. Wieso ist der da mit dabei?“ George atmete tief ein und aus, bevor er antwortete. „Eigentlich war er für dich gedacht, so als Weihnachtsgeschenk, weißt du. So solltest du erfahren, was ich für dich empfinde… Aber dann… naja, hattest du ja ein Date mit meinem Bruder und da hielt ich es nicht mehr für sonderlich angebracht ihn zu verschenken. Eigentlich hatte ich die Kette weggeworfen, aber Fred scheint sie wohl wiedergefunden zu haben.“ „Die ist… wirklich für mich gewesen?“, fragte Angelina atemlos und betrachtete den Stein von allen Seiten. Etwas so wunderschönes, nur für sie? „Eigentlich ist sie noch immer für dich, weißt du?“, sagte George plötzlich und nahm ihr die Kette aus der Hand. Mit ein paar geschickten Handgriffen hatte er sie ihr auch schon umgelegt. Angelina betrachtete den Stein und war noch immer völlig sprachlos, während George damit begann, die gefundenen Dinge wieder in das Kästchen zurück zu räumen und es anschließend auf den Nachttisch zu stellen. Dann nahm er vorsichtig Angelinas Kopf zwischen seine Hände, sodass sie den Blick heben und ihn anschauen musste. „Es hätte alles so einfach sein können, zwischen uns, schon von Anfang an, weißt du.“, sagte er dann. Angelina nickte leicht und lächelte. „Was lange währt wird letztlich gut, oder wie war das doch gleich?“, sagte sie daraufhin. Schließlich streckte George sich lang auf dem Bett aus und zog Angelina zu sich, sodass diese halb auf ihm lag. Wieder küssten sie einander; zärtlich, vorsichtig. Irgendwann löste sie sich von ihm, wenn auch ein wenig widerwillig, um den Kopf auf seiner linken Brust abzulegen. George strich mit der einen Hand über ihr langes Haar den Rücken hinab, die andere ruhte flach auf seinem Bauch. „Dein Herz schlägt so schnell.“, stellte Angelina irgendwann fest. George lächelte. „Liegt wahrscheinlich daran, dass ich mich so wahnsinnig freue.“ Zufrieden beobachtete er die leuchtenden Schmetterlinge, die immer wieder kurz auf ihnen landeten, um gleich darauf ihren Weg fortzusetzen. Irgendwann, als er schon beinahe eingeschlafen war, spürte er plötzlich, wie Angelina aufstand. Er ließ die Augen geschlossen und lauschte nur, wie sie im Flur ihren Mantel anzog und leise die Wohnungstür hinter sich schloss. Im ersten Moment wunderte er sich ein wenig darüber, dass sie schon ging, vor allem, ohne sich zu verabschieden. Allerdings war er jetzt gerade einfach zu müde, um weiter darüber nachzudenken… Als er am nächsten Morgen erwachte, brauchte George eine ganze Weile, um sich zu orientieren. Die Schmetterlinge hatten sich bereits in Luft aufgelöst und Angelina war nicht mehr da, wie er enttäuscht feststellte. Wann war sie denn gegangen? Schnell schwang er die Beine aus dem Bett und ging unter die Dusche. Als er frische Kleidung angezogen hatte, schlang er schnell etwas zum Frühstück herunter und warf sich dann seinen Mantel über. Er rannte die Stufen nach unten und verriegelte dann die Ladentür hinter sich. Gierig sog er die kalte Morgenluft ein und es kümmerte ihn keineswegs, dass es wahnsinnig schneite und er innerhalb weniger Sekunden mit einer dünnen weißen Schicht aus Eiskristallen bedeckt war. Gutgelaunt rannte er den kurzen Weg zu Angelinas Haus beinahe und klopfte dann an ihrer Haustür. Es dauerte ein Weilchen, bis sie ihm schließlich, nur in einen Bademantel gehüllt, öffnete. Seltsamerweise schien sie eher erschrocken als erfreut zu sein, ihn hier zu sehen. „George?“ „So lange nicht gesehen und du erkennst mich noch. So ein Glück!“ Er warf einen Blick auf ihre nackten Beine und grinste. „Anscheinend komme ich genau im richtigen Moment.“ Sein Lächeln erstarb, als er die tiefen Ringe unter ihren Augen bemerkte. Bildete er sich das nur ein oder sah sie wirklich so aus, als hätte sie bisher noch nicht geschlafen? „Ist alles okay?“, fragte er dann, als sie schwieg. Angelina lächelte gezwungen. „Ja, klar… ähm… kannst du vielleicht später wiederkommen?“ „Hey Angelina, wo bist du?“, ertönte plötzlich eine eindeutig männliche Stimme aus dem Haus hinter ihr. Sämtliche Farbe schien aus ihrem dunklen Gesicht zu weichen. George fühlte sich, als hätte ihm jemand ein Messer in die Brust gerammt. „Ich dachte, du lebst alleine.“ „Tu ich auch, aber… naja…“ „Hast du Besuch?“ „Ähm, nicht wirklich…“ „Willst du mir vielleicht irgendetwas sagen?“ „George, wirklich, ich kann dir alles erklären, aber nicht jetzt, weil-“ Er unterbrach sie mit einer ungeduldigen Handbewegung. „Schon klar, hab verstanden. Glaub ja nicht, dass du mich so schnell wiedersiehst.“, knurrte er und wandte sich um. Angelina schloss die Tür schnell hinter ihm, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren. Kapitel 14: ------------ George lief einfach los, wie von Sinnen und achtete gar nicht auf seine Schritte. Ihm war es eigentlich auch vollkommen egal – er wusste nur, dass diese kleine Begebenheit gerade eben einfach nicht wahr sein konnte. Nicht wahr sein durfte! Vielleicht gab es ja für alles eine ganz simple und einfache Erklärung, allerdings fiel im nur gerade keine ein. Erst jetzt realisierte er, dass er nie in Angelinas Haus gewesen war; vielleicht hatte das ja einen triftigen Grund? Und wieso zur Hölle war um diese Uhrzeit irgendein Typ bei ihr, während sie selbst nur mit einem Bademantel bekleidet durch die Gegend lief? Als sein Zorn sich gelegt hatte und nun allmählich Enttäuschung und Trauer Platz machte, blieb er stehen. Noch immer war er in der Winkelgasse… Was sollte er jetzt tun? Er konnte nicht zurück in den Laden; nicht jetzt. Heute war Sonntag, also konnte er sich nicht einmal damit ablenken, ein paar Dinge zu verkaufen… Kurz entschlossen apparierte er schließlich. Das erste, was er hörte, war das Tosen der Wellen, die gegen den Strand schlugen. Ein paar Mal atmete er tief ein und schmeckte die angenehme, frische Meeresluft. Schnell lief er den kleinen Weg entlang, der zu dem Häuschen auf der Klippe führte. Ohne groß darüber nachzudenken, wie spät es war und ob er irgendjemanden stören könnte, hämmerte er an die weiß gestrichene Haustür. Einige Augenblicke später öffnete ihm ein verschlafen aussehender Bill, der verwirrt zu sein schien. „George? Was tust du-“ „Bill, tut mir Leid, dass ich euch jetzt schon aus dem Bett werfe. Kann… kann ich hierbleiben? Nur bis heute Abend? Ich kann jetzt glaube ich gerade nicht zu Hause bleiben, sonst drehe ich glaub ich durch, wirklich.“ George wusste nicht, wie sein Gesicht gerade aussah, aber irgendetwas darin musste Bill dazu bewogen haben, ihm nicht zu widersprechen. Verwirrt öffnete er die Tür vollends und trat beiseite. „Klar, komm rein. Geh am besten erst mal ins Wohnzimmer.“ George trat an seinem Bruder vorbei, der noch immer ganz durcheinander war und nahm auf der gemütlichen Couch Platz. Er versuchte, an nichts zu denken – ganz besonders vermied er jeglichen Gedanken an Fred und Angelina – und starrte stattdessen nur aus dem Fenster hinaus aufs Meer. Wenige Minuten später kam Bill zurück, der seinen Morgenmantel gegen richtige Kleidung getauscht hatte und eine verschlafen wirkende Fleur im Arm hielt. „‘Allo George.“, sagte diese und umarmte ihren Schwager kurz, bevor die beiden ihm gegenüber Platz nahmen. „Was ist los?“, fragte Bill besorgt. George schüttelte den Kopf. „Ich… ich kann jetzt gerade nicht darüber reden, wirklich. Aber ich schulde euch doch noch einen Besuch… kann ich den jetzt einlösen?“ Fleur lächelte. „Aber natürlisch.“ Dann erhob sie sich. „Isch werde uns ein kleines Frühstück subereiten. ‘ast du ‘unger?“ Er war ihr so unendlich dankbar, dass sie seinen Wunsch berücksichtige und stand ebenfalls auf. „Ein wenig. Ich helfe dir.“, meinte George dann, folgte seiner Schwägerin in die Küche und lies einen verwirrt dreinblickenden Bill zurück. Bill hatte eigentlich für den Sonntag geplant, das Zimmer für seine Tochter vorzubereiten, die in zwei Monaten zur Welt kommen würde und George hatte begeistert seine Hilfe angeboten. Somit waren sie den gesamten Tag über mit Arbeiten beschäftigt, zudem bestand Bill darauf, alles in Handarbeit zu machen und keine Zauberstäbe zu benutzen, obwohl das natürlich um ein Vielfaches schneller gegangen wäre. Also strichen sie die Wände, bauten das kleine Kinderbettchen, den Wickeltisch und die Schränke auf und betrachteten am Abend zufrieden ihr Werk. Fleur hatte die beiden den gesamten Tag über mit kleinen Snacks versorgt und lobte sie am Abend in den höchsten Tönen. Als George mit den beiden beim Abendessen saß, fühlte er sich vollkommen erschöpft; seine Arme sowie der Rücken schmerzten und seine Kleidung war über und über mit Farbklecksen bedeckt. Den ganzen Tag über hatte er weder an Angelina, noch an Fred gedacht und auch jetzt konnte er jegliche Gedanken erfolgreich verscheuchen; zu Hause würde das allerdings wieder anders aussehen, das ließ sich nicht vermeiden. Nach dem Essen schlug er Fleurs Vorschlag ab, er könne doch hierbleiben und verabschiedete sich von den beiden mit einer Umarmung. Sie standen noch eine Weile da, nachdem George am Ende des Weges appariert war. Die Kälte des Abends schien das glückliche Paar nicht zu stören; gebannt beobachteten sie die tanzenden Schneeflocken. „Was meinst du, ist mit ihm?“, fragte Bill schließlich und legte zärtlich den Arm um seine Frau. Fleur, deren Hände auf ihrem runden Bauch ruhten, lachte leise. „Liebeskummer, vermute isch.“ „Sicher? Angelina hat gestern eigentlich einen sehr glücklichen Eindruck gemacht… ich kann mir das nicht so ganz vorstellen.“ „Aber er ‘at ‘eute gar nischt von ihr gesprochen, ist dir das nischt aufgefallen? Und er ‘at sie auch nischt mitgebracht. Für misch ist das sehr eindeutig.“ Bill nickte. „Ich hoffe, sein plötzlicher Besucht hat dich nicht gestört? Er war heute Morgen ganz schön von der Rolle, ich wollte ihn nicht wegschicken.“ Wieder lachte Fleur und warf ihrem Mann einen liebevollen Blick zu. „Als isch disch ge’eiratet ‘abe, ‘abe isch auch deine Familie ge’eiratet. Das war mir von Anfang an klar. Egal, su welcher Tages- oder Nachtseit jemand auf unserer Türschwelle steht, er wird ‘ier immer eine Suflucht und Trost finden.“ Als George schließlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, stand er vor Angelinas Haus, was ihm sofort wieder einen stechenden Schmerz in der Magengrube bescherte. In Shell Cottage war er noch entschlossen gewesen, zu ihr zu gehen und mit ihr zu sprechen, allerdings konnte er jetzt einfach nicht den Mut aufbringen, das kleine Gartentor zu durchschreiten und bei ihr zu klopfen. Außerdem konnte er hinter den Fenstern kein Licht erkennen; vielleicht schlief sie ja schon. Eine ganze Weile stand er da, während der Schnee unaufhörlich vom Himmel herab fiel und rang mit sich selbst, als er schließlich eine Stimme hinter sich vernahm. „George?“ Langsam wandte er sich um und sah Angelina vor sich. Der schwarze Mantel war von unzähligen weißen Flocken bedeckt, ihre Mütze ebenso. Die dunkelbraunen, langen Haare, die darunter hervor hingen, waren zu dicken Strähnen verklebt, die der Schnee wahrscheinlich erst durchnässt und dann gefroren hatten. Die Wangen und ihre Nase hatten einen unverkennbaren roten Schimmer, während die Lippen eine bläuliche Farbe angenommen hatten. Die Kälte ließ ihre Stimme zittern, als sie weitersprach. „I-ich habe v-vor d-deiner Tür gew-wartet.“, erklärte Angelina, ihr Körper bebte noch immer. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr und schloss sie in die Arme. Er hatte nicht vergessen, was heute Morgen passiert war, allerdings konnte er sie nicht einfach tatenlos frieren lassen. „Und wie lange?“, fragte er tonlos und rieb mit den Händen über ihre Arme. Er spürte, wie durchnässt der Mantel war. „E-eine g-ganze W-weile.“, stammelte sie. George trat einen Schritt zurück und schaute sie, voller Sorge, an. „Können wir reden? Am besten im Warmen, bevor du erfrierst?“ Angelina löste sich von ihm und nickte, mit zitternden Händen suchte sie in der Jackentasche nach dem Zauberstab, der ihr allerdings aus der Hand glitt, als sie ihn herauszog. „Verdammt.“, flüsterte sie und wollte sich schon danach bücken, George kam ihr jedoch zuvor. Schnell hob er ihn auf und lies ihn wieder in Angelinas Tasche verschwinden. „Lass mich das besser machen.“, sagte er und bugsierte sie sanft vor sich her. Er zog seinen eigenen Zauberstab und öffnete damit zuerst Gartentor und dann Haustür. Angelina trat zuerst in den großzügigen Flur ein. George folgte ihr, schloss die Tür hinter sich und entzündete dann, mit einem erneuten Wink des Zauberstabs, die Lichter im Raum. Sie hatte sich zu ihm umgewandt, zitterte jedoch noch immer unablässig. „G-g-george, i-i-ich-“, mit einer Handbewegung schnitt er ihr das Wort ab. “Tu mir den Gefallen und zieh dir erst einmal etwas Trockenes an. Wenn du mir sagst, wo ich das Wohnzimmer finde, warte ich da.“ „A-aber g-geh b-bitte nicht w-weg.“, bat sie und Tränen glitzerten in ihren Augen. George musste sich beherrschen, um sie nicht erneut in die Arme zu schließen und ihr zu sagen, dass er nirgendwo hingehen und bei ihr bleiben würde, egal, was gewesen war. Allerdings konnte er ein solches Versprechen nicht über die Lippen bringen, bevor sie ihm nicht erklärt hatte, was das alles heute Morgen zu bedeuten gehabt hatte. „Ich werde nicht weggehen.“, sagte er schließlich. Sie schien zufrieden mit diesem Versprechen zu sein und zeigte dann auf eine Tür am anderen Ende des Raumes, bevor sie die Treppen nach oben ging. „B-bin g-gleich zurück.“, sagte sie und lief schnell die Stufen nach oben. Er hingegen hängte seinen Umhang an einen der Kleiderhaken an der Wand, drehte sich auf dem Absatz herum und schritt durch die Tür, die sie ihm gerade gewiesen hatte. Wieder entzündete er die Lichter im Raum mit seinem Zauberstab, um die Wohnküche besser in Augenschein nehmen zu können. Er trat zögernd in den Raum ein und schaute sich um. Linkerhand und vor ihm befand sich eine durchlaufende Küchenzeile, direkt darüber zwei große Fenster, die den Blick in den Garten freigaben. Auf der rechten Seite des Zimmers standen einige Kommoden an den Wänden und es gab einen großzügigen Kamin. Zwei gemütlich aussehende Sofas und ein farblich dazu passender Sessel standen um diesen herum. George trat näher, legte einige Holzscheite aus einem Eimer in der Zimmerecke in die Asche des erloschenen Feuers und entfachte gleich darauf ein Neues. Die Flammen züngelten in die Höhe und erfüllten ihn beinahe sofort mit einer angenehmen Wärme. Dann ging er zurück in die Küche und füllte den leeren Kessel, der auf dem Herd stand mit Wasser. Mit einem weiteren Wink seines Zauberstabs begann er damit, den Kessel zu erhitzen. Nach und nach öffnete er die Küchenschränke, bis er endlich Tassen und Teebeutel gefunden hatte – er wusste, dass es sich nicht gehört, in Schränken anderer zu wühlen, aber ein heiße Tee würde Angelina sicherlich helfen, sich aufzuwärmen. Er wartete, bis das Wasser heiß genug war, goss den Tee auf und trug die Tassen zu dem niedrigen Couchtisch. Dann nahm er auf dem Sofa Platz und wartete. Nach weiteren fünf Minuten hörte er, wie jemand den Raum betrat. Gleich darauf setzte sich Angelina neben ihn. Er hingegen hatte seinen Blick stur auf die Flammen gerichtet und wandte sich nicht zu ihr um. „Danke für den Tee.“, meinte sie schließlich. Ihre Stimme zitterte. Sicherlich weinte sie wieder… warum mussten Mädchen eigentlich immer weinen? Noch immer wandte er den Blick nicht ab weil George wusste, dass ihre Tränen ihn wieder zum Schmelzen bringen würden. Das konnte er sich jetzt nicht leisten… „Kein Problem. Ich dachte, er würde dir vielleicht helfen.“ Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie sie nach der Tasse griff, die Flammen im Kamin züngelten immer höher und das Holz knackte. „George, hör zu, das heute Morgen war nicht so, wie du denkst.“ Er lachte bitter. „Ach, nein?“ „Nein.“ Ihre Stimme zitterte. ‚Nicht hinsehen, George. Blos nicht hinsehen. ‘, dachte er und bemühte sich, keine Mine zu verziehen. „Dann erklär es mir.“, sagte er tonlos. Angelina schniefte, bevor sie weitersprach. „Es war wirklich jemand bei mir. Aber das war mein Bruder, George.“ Damit hatte er nicht gerechnet. Allerdings blieb er weiterhin eisern und blickte stur geradeaus. „Ich wusste nicht, dass du einen Bruder hast.“ „Ich auch nicht. Er… er hat mir vor einigen Tagen geschrieben… Sie haben ihm im St.Mungo gesagt, dass… wo ich wohne und dass er… eine Schwester hat. Wir wussten beide nichts davon und…“ Sie brach ab und schluchzte jetzt unaufhörlich. Nur zu hören, wie sie weinte, brach ihm beinahe das Herz. Nachdem er sich dazu gezwungen hatte, drei weitere Sekunden die Flammen im Kamin anzustarren, hielt er es schließlich nicht mehr aus und wandte sich zu ihr. Angelina hielt die Tasse noch immer in den Händen und ihr Inhalt schwankte bedrohlich, den Blick hatte sie nach unten geneigt und ohne Unterlass tropften dicke Tränen von ihrer Nasenspitze herab. George griff nach der Tasse, stellte diese auf dem Tisch ab und zog Angelina dann auf seinen Schoß. Diese schlang die Arme um seinen Hals und vergrub das Gesicht schluchzend an seiner Schulter. Er umarmte sie und lockerte seinen Griff nicht, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. Anscheinend war sie duschen gewesen, denn ihr langes Haar roch nach ihrem süßen Shampoo. Er spürte, wie sein Widerstand brach – er würde ihr alles verzeihen, egal was und in jenem Moment, als er sich das eingestehen musste, hasste er sich dafür. Weil ihn dieser Umstand schwach und angreifbar machte, was er aber nicht sein wollte. Wegen irgendeines Mädchens wollte er nicht leiden, keinesfalls. Aber sie war eben nicht nur irgendein Mädchen… „Geht es wieder? Du musst ja langsam ausgetrocknet sein.“, sagte George sanft, als Angelina nur noch schniefte. Sie gab ein ersticktes Lachen von sich und atmete einmal tief durch. „Ja, es geht wieder.“, sagte sie dann mit heiserer Stimme. „Dann erzähl mir jetzt alles nacheinander. Und bitte fang nicht wieder an zu weinen.“ Angelina hob den Kopf ein wenig, sodass sie ihn anschauen konnte. „Damals… als… als die ganzen Todesser die Winkelgasse besetzte hatten, gab es eine Ausgangssperre, die dafür sorgen sollte, dass nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr nach draußen geht, aber ich glaube, das weißt du auch. Eines Abends… ich weiß nicht, warum, ist Mum nach draußen gegangen. Dieser fürchterliche Alarm ging los und dann waren da überall Schreie und… ich bin nach unten gegangen. Irgendeiner von diesen Todessern hat den Fluch schneller geschleudert, als er nachgedacht hat und meine Mum erwischt.“ Wieder rannen die Tränen ihre Wangen hinab. „Dad war schon bei ihr… und diese ganzen schrecklichen Leute sind in unser Haus gestürmt weil sie wohl dachten, dass wir irgendwen verstecken… und Mum… war tot. Sie haben sie einfach umgebracht, ohne sich zu vergewissern, wer sie überhaupt war… alles war so sinnlos. Dad saß einfach nur daneben und… er war nicht ansprechbar. Ich war da ganz allein und ich wusste nicht, was ich tun soll… es kam auch niemand, um zu helfen, weil die Nachbarn alle selbst schreckliche Angst hatten und…“ Jetzt begann Angelina wieder fürchterlich zu schluchzen und es dauerte eine ganze Weile, bis George sie beruhigt hatte. „Du musst nicht weiter sprechen, wenn du nicht willst.“, sagte er dann und versuchte vergebens, die Tränen von ihren Wangen zu trocknen. „Doch.“ Angelinas Stimme war schrecklich heiser, als sie weitersprach. „Ich hab die Wachen, welche sie bei uns abgestellt hatten, angefleht, dass ich Mum und Dad wegbringen kann, ins St.Mungo, dass sie doch sehen müssen, dass sie verletzt sind und… einer von ihnen meinte, wir können uns verziehen, wenn die anderen mit dem Haus fertig sind und dass man meiner Mum eh nicht mehr helfen kann. Es war schrecklich... Ich musste mit anhören, wie sie die komplette Einrichtung zerlegt haben und ich hatte solche Angst, dass sie irgendetwas finden, was sie veranlassen könnte, auch meinem Dad wehzutun oder uns einzusperren und meine Mum lag da und…“ Sie atmete zwei Mal tief durch, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. „Als sie fertig waren, durften wir gehen. Ich hab meine Eltern ins St.Mungo gebracht und… für Mum konnten sie wirklich nichts mehr tun und sie sagten, Dad hätte nur einen Schock aber… seit dieser Nacht ist er dort. Der Anblick meiner toten Mum… er ist wohl irgendwie verrückt geworden. Er spricht nicht mehr und isst von selbst nicht und… es ist, als wäre er auch nicht mehr am Leben. Als würde er warten, dass alles bald vorbei ist… er ist nur noch eine Hülle, ohne Seele. Selbst mich erkennt er nicht mehr.“ Angelina schwieg für einen Moment und ihre Stimme war jetzt etwas ruhiger, als sie weitersprach. „Am Montag bekam ich eine Eule, von Derek, meinem Bruder. Dad war vor meiner Mum schon einmal verheiratet gewesen, aber sie hatte sich von ihm getrennt und den Sohn mitgenommen. Er hat ihn nie wieder gesehen und deswegen haben sie mir wohl auch nicht gesagt, dass ich einen Halbbruder habe. Er schrieb, dass er im St.Mungo arbeiten würde und aufgrund irgendwelcher Aufzeichnungen herausbekommen hat, dass sein richtiger Vater – mein Dad – seit einigen Monaten da einquartiert ist. Er wollte mich gerne sehen und ich hab ihm geantwortet, er kann kommen, wann immer er will… anscheinend schieben sie im St.Mungo richtig harte Doppelschichten seit… seit die Todesser überall gewütete haben und er meinte, er könne Samstagnacht vorbeikommen. Wir haben uns ein wenig unterhalten, uns über unser bisheriges Leben ausgetauscht, bis… bis er mir erzählt hast, dass Dad gestorben ist, vor ein paar Tagen. Eigentlich verschickt das St.Mungo dann immer Eulen aber er meinte, er wäre es mir schuldig gewesen, mir alles persönlich zu sagen.“ „Wieso hast du mir nichts von all dem gesagt?“, fragte er und strich ein paar der nassen Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. „Ich… ich weiß nicht. Ich meine, ich wollte dich nach deinem… Verlust nicht auch damit belasten.“ „Also hast du mir lieber etwas vorgespielt?“, fragte er bitter und strich über die samtene Haut ihrer rechten Wange. Verwirrt zog sie die Augenbrauen in die Höhe. „Ich verstehe nicht, was du meinst.“ „Angelina, sieh dich doch an. Du bist total fertig… und mir gegenüber hast du dich immer so gegeben, als wärst du glücklich, als ginge es dir gut. Ich kann das nicht so richtig glauben. Woher weiß ich, dass nicht alles nur gespielt war?“ In diesem Moment hegte er wirklich Zweifel an ihren Gefühlen, obwohl er es nicht richtig wahrhaben wollte. Er glaubte nicht, dass er es ertragen würde, sie zu verlieren. „Glaubst du das wirklich? Dass ich dir nur etwas vorgemacht habe?“ Wieder quollen Tränen aus ihren großen dunklen Augen. Wieso mussten Mädchen eigentlich immer weinen? Das waren mehr als einfach nur unfaire Mittel! „Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Angelina. Ich weiß nur, dass du mir anscheinend nicht richtig vertraust.“ Sie senkte den Blick und schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe dir nichts vorgespielt, George. Bevor ich dich wiedergesehen habe… war ich ein Wrack, wirklich. Jeden Tag habe ich mich aus dem Bett gequält und zur Arbeit geschleppt, weil es ja irgendwie weitergehen musste. So sagt man das doch immer, richtig? Ich wollte mich nicht so furchtbar unnütz fühlen, so wenig wie möglich allein in diesem schrecklichen Haus sein. Aber als ich dich dann an dem einen Abend im Laden gesehen habe… du hast so unendlich traurig ausgesehen. So, wie ich mich gefühlt habe. Und die letzten Wochen waren unbeschreiblich schön. Ich habe mich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt… Ich glaube, ich habe nur nichts gesagt, weil ich Angst hatte, auch nur daran zu denken. Weil ich wusste, dass es dann wieder so fürchterlich weh tun würde, wie am Anfang. Ich wollte alles einfach nur vergessen.“ Georges Wut war nun vollends verraucht. Angelina hatte ihm nicht weh tun wollen, das wusste er nun und er glaubte ihr jedes Wort. Sie hatte einfach nur, genau wie er, schreckliche Angst gehabt, weiter leiden zu müssen und wollte lediglich die glückliche Zeit mit ihm genießen und dabei nicht an morgen denken. „Und wann erklärst du mir, warum du eine halbe Ewigkeit draußen in der Kälte gestanden hast?“, fragte er schließlich und erwiderte ihr zaghaftes Lächeln. „Nachdem Derek gegangen war, wollte ich zu dir um mit dir zu reden. Du warst nicht da, aber… ich konnte nicht einfach wieder gehen und… naja, als ich dann irgendwann beschlossen hatte, doch nach Hause zu gehen, hast du da plötzlich gestanden…“ Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und schaute ihm tief in die Augen, bevor sie weitersprach. „Ich hatte so eine wahnsinnige Angst, dass ich dich verlieren würde, dass du einfach wieder verschwunden bist, wie damals. Dass du mich hier alleine zurück lässt. Ich würde so etwas nicht ertragen, George.“ „Wie kannst du so etwas nur denken… Ich werd dich nie mehr alleine lassen, Angelina.“, flüsterte er und küsste sie. Nicht so zärtlich und zurückhaltend wie gestern, sondern drängender und leidenschaftlicher. Als wollte er seine Worte damit untermalen. Schwer atmend lösten sie sich nach einer Weile voneinander. George blickte in Angelinas große, braune Augen und ihm war klar, dass sie die Einzige für ihn war und es immer sein würde. „Ich liebe dich, Angelina Johnson…“, sagte er schließlich und las in ihren Augen, dass sie ebenso für ihn empfand… Kapitel 15: ------------ Es war Angelinas Atem, der an seinem Hals kitzelte und ihn so am nächsten Morgen weckte. George lies die Augen geschlossen und genoss es stattdessen, wie ihr warmer Körper an seinem lag. Ihre Atemzüge waren ruhig und gleichmäßig, wahrscheinlich schlief sie noch. Langsam begann er, über ihren Rücken zu streichen. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter und so spürte er, wie sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen. „Guten Morgen.“, flüsterte George schließlich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er zu ihr herab schaute. Angelina schenkte ihm wieder dieses umwerfende Lächeln, welches seinen Herzschlag jedes Mal ein bisschen beschleunigte. „Guten Morgen.“, flüsterte sie zurück. Langsam strich George über ihre Wange und sie schauten einander sehr lange tief in die Augen. „Ich glaube, ich sollte mich für heute krank melden.“, sagte sie plötzlich. Er grinste daraufhin. „Eine weise Entscheidung.“ Sie lachte und schlang sich die zweite Decke um den Körper, bevor sie aus dem Raum ging. George sah ihr nach und verschränkte dann die Arme hinter dem Kopf. Er war glücklich, so glücklich… Wahrscheinlich war dies das Paradies. Epilog: -------- Der Frühling hatte nun endlich Schnee und Kälte verjagt. Es war ein angenehm warmer Tag mitten im Mai, als die gesamte Familie Weasley am Tisch auf der kleinen Terrasse von Fleur und Bill saß. Das Ganze diente als kleine Baby-Party; Mr. und Mrs. Weasley überschlugen sich geradezu vor Stolz über ihr erstes Enkelkind. Die kleine Victoire war gerade einmal zwei Wochen alt und zog schon jetzt die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf sich. George saß auf seinem Stuhl am anderen Ende der Tafel und überblickte die gesamte Szenerie glücklich. Die Damen in der Runde; allen voran natürlich Fleur und Mrs. Weasley, aber auch Ginny, Hermine, Angelina und Audrey umringten das kleine Bündel in den Armen der stolzen Mutter. Die Herren hingegen – Bill, Mr. Weasley, Ron, Harry, Percy und Charlie – saßen ein wenig abseits. Seit Weihnachten war die Familie nicht mehr komplett zusammen gewesen und dieses Mal fühlte George sich nicht fehl am Platz. Jetzt gab es kein Loch mehr in seinem Herzen, wie noch vor etwa einem halben Jahr – Angelina hatte ihm geholfen, sich wieder als Ganzes zu fühlen. Natürlich vermisste er Fred nach wie vor, aber es war alles ein wenig erträglicher. Er hatte nicht mehr das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen, aus dem er nicht mehr herauskommen würde. Er versuchte, gemeinsam mit Angelina, das Beste aus den Schicksalsschlägen zu machen, die das Leben ihnen beschert hatte. Es war nicht immer leicht, aber sie konnten sich so zumindest ein wenig gegenseitig Halt geben. So besuchten sie das Grab von Fred einmal die Woche und auch mit Derek, Angelinas Halbbruder, trafen sie sich so oft wie möglich. Er hatte wahnsinniges Glück gehabt, jemanden wie sie zu finden. Ohne Angelina an seiner Seite hätte er sein weiteres Leben wahrscheinlich nicht so gut gemeistert. Am Abend gingen Angelina und George, Hand in Hand, im Schein des Mondes am Strand spazieren. Er war zwar froh, seine Familie wiederzusehen, allerdings auch glücklich darüber, dem ganzen Trubel ein wenig entgehen zu können um etwas Zeit mit seiner Freundin allein verbringen zu können. Immerhin hatte er auch noch etwas mit ihr geplant und dabei konnte er keine Zuschauer gebrauchen. Schließlich blieben sie stehen und schauten den Wellen dabei zu, wie sie immer wieder gegen den Strand schlugen. Er legte einen Arm um ihre Schulter und zog Angelina an sich. „Bist du glücklich?“, fragte er schließlich. Sie schaute ihn fragend an und lächelte dann. „Was für eine Frage. Natürlich bin ich das.“, versicherte sie ihm schnell. George atmete ein paar Mal tief ein und aus, bevor er sich vor sie stellte. In Angelinas Augen erschien wieder ein fragender Ausdruck. Lächelnd zählte er ihre Grübchen – eins, zwei, drei, vier, fünf – die sie immer bekam, wenn sie über etwas nachdachte. „Angelina, mir geht es ebenso. Ich liebe dich und ich weiß, dass es für mich nie eine Andere geben wird. Du bist mein Leben und das meine ich genau so, wie ich es sage. Ich möchte, dass auch alle anderen sehen können, dass du zu mir gehörst und zu niemandem sonst.“ Er hatte die Worte so oft geübt und nun doch die Hälfte dessen, was er eigentlich noch hatte sagen wollen, vollkommen vergessen. Sein Herz raste, obwohl er genau wusste, wie ihre Antwort auf die gleich folgende Frage ausfallen würde. Mit zittrigen Fingern griff er nach dem Ring in seiner Manteltasche, bevor er weitersprach. „Ich liebe dich von ganzem Herzen. Angelina Johnson, möchtest du meine Frau werden?“ Schnell steckte er ihr den Ring an. Der glitzernde Stein war genau auf ihre Halskette abgestimmt. Tränen stiegen in Angelinas Augen. Ein paar Sekunden lang war sie nicht in der Lage, etwas zu sagen oder zu denken, dann jedoch fiel sie George um den Hals. „Natürlich will ich das.“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. George löste sich kurz darauf aus der Umarmung, aber nur, um sie endlich küssen zu können. Jetzt war es ganz offiziell. Sie gehörte zu ihm, für immer und ewig. Nichts und niemand würde daran je wieder etwas ändern können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)