Mondlicht und Sonnenwind von Lizard (aus den Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 7: Gefahr ----------------- Vorbemerkung: Ich bedanke erst mal wieder bei allen Lesern und für alle bisherigen Kommentare. Freut mich wirklich sehr, dass diese Geschichte weiterhin treue Anhänger hat. Letztes Kapitel haben wir den Inu no Taishou, seinen Sohn und seine Getreuen auf eine Reise in den Norden begleitet. Der Herrscher des Westens hofft dort mithilfe von Friedensverhandlungen einige Antworten und Unterstützung bezüglich aktueller Bedrohungen zu finden. Allerdings birgt diese Reise auch ein Risiko, denn sie bringt einerseits Sesshoumaru, Yoshio und Seto auf gefährliche Lausbuben-Ideen und macht andererseits natürlich Feinde aufmerksam... Enjoy reading! Kapitel 7: Gefahr Es war nahe Mitternacht. Wegen dem fehlenden, abnehmenden Mond, der erst später aufgehen würde, waren die umliegenden Berge in Finsternis getaucht. Die weiter entfernten, steil aufsteigenden Gebirgszüge des Nordens wirkten wie bedrohende, tiefschwarze Schatten. In der Schlucht, die das weitreichende Revier der Nordwölfe in zwei Hälften teilte und die einen alten, dämonischen Friedhof beherbergte, sammelte sich Nebel. Dadurch ähnelte die Schlucht einem träge wallenden Fluss, aus dessen Fluten sich ab und zu die warnenden Geister einer vergessenen Vergangenheit erhoben. Tamahato schüttelte sich kurz und wandte seinen Blick von der umgebenden Landschaft ab. Danach kehrte er von seiner Wachrunde zum Lager der Hundedämonen zurück. Mittlerweile waren schon fast fünf Stunden vergangen, seitdem der Inu no Taishou einem blondhaarigen Wolfsdämon einen Berghang hinauf zu einer irgendwo verborgenen Höhle gefolgt war, um mit ihm zu reden. Da jeder wusste, wie langwierig Friedensverhandlungen oder ähnliche Gespräche sein konnten, war keiner von Inutaishous Gefolgsleuten bisher über die lange Abwesenheit des Fürsten beunruhigt. Es war gut möglich, dass der Hundeherr erst in den Morgenstunden zurück kommen würde. Hoffentlich hatte der Herrscher des Westens Erfolg mit seinen Friedensbemühungen. Tamahato empfand keine Freude bei der Vorstellung gegen die Wölfe in den Krieg ziehen zu müssen. Das konnte sehr böse ausgehen. Den besten Wolfskriegern in einer Schlacht gegenüber zu stehen war etwas anderes als einen Haufen größenwahnsinniger Banditen abzuwehren, wie die Hundedämonen das bei dem Überfall der Wölfe auf das Schloss des Westens getan hatten. Zusätzlich drohte weiterhin noch Gefahr von dem Aufrührer Akechi und seinen Verbündeten, denen der Inu no Taishou zwar eine vorübergehende Niederlage hatte zufügen, die er aber nicht hatte gänzlich niederringen können. Ein Krieg gleichzeitig an zwei verschiedenen Fronten war immer schlecht. Wieder schüttelte Tamahato sich und vertrieb damit seine düsteren Gedanken. Es hatte keinen Sinn sich über eine noch fragliche Zukunft Sorgen zu machen. Außerdem vertraute der alte Hundedämon seinem Herrn, Inutaishou hatte sich und seine Getreuen schon oft genug aus weitaus schwierigeren und aus scheinbar auswegslosen Situationen herausmanövriert. „Es ist alles ruhig“, sagte Tamahato, als er das Nachtlager von Inutaishous Reisebegleitern erreichte und sich neben Kage, dem Hauptmann der Fürstengarde, an ein kleines Lagerfeuer setzte. Wärmesuchend streckte der alte Soldat dabei seine kalten, krallenbewehrten Hände den Flammen entgegen. „Ich habe nicht einmal die Spur von weiteren Wolfsdämonen finden können, offenbar waren dieser Chugo und seine tierischen Begleiter in der letzten Zeit tatsächlich die einzigen Wölfe hier. Ich frage mich, wo der Rest des nördlichen Rudels sich rumtreibt. Hoffen wir, dass sich diese ganze Sache möglichst rasch klären wird. Ich bin froh, wenn ich hier wieder weg komme.“ „Mir gefällt das alles auch nicht“, bemerkte Kage leise murmelnd. Tamahato warf einen Holzscheit ins Feuer und blickte verwundert zu seinem Hauptmann auf. Funken sprühten, ein flackernder, rötlicher Schein huschte über sein Gesicht. „Was gefällt Euch nicht? Die Friedensverhandlung? Warum? Chugo schien doch ein guter, ehrenhafter Wolf zu sein, er gehört wohl nicht zu den verräterischen Typen wie einige seiner Art. Möglicherweise findet er heraus, wer diese Verrückten waren, die das Schloss unseres Herrn angegriffen haben. Auf diese Weise kann er uns helfen die Gemüter zu beruhigen, damit sich wegen diesem Überfall nicht ein neuer Krieg gegen die Wölfe entzündet. Ein Bündnis mit Chugo könnte sehr nützlich sein. Was soll schlecht daran sein?“ „Nicht Chugo bereitet mir Bauchschmerzen“, erwiderte der Heerführer ernst, „sondern die Idee der Reise an sich mitsamt all diesen Friedensverhandlungen. Besonders der Gedanke an das nächste geplante Treffen mit dem Drachen Bundori gefällt mir nicht. Das mit den Wölfen kann ich ja noch verstehen, aber was will der Inu no Taishou denn bei den Drachen erreichen? Er sollte sich damit zufrieden geben, dass diese Reptilien ihn endlich mal in Ruhe lassen und nicht weiter nachfragen, warum sie das tun. Es wäre besser, wenn er und Bundori sich überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen, die beiden können sich niemals versöhnen.“ „Nun“, erwiderte Tamahato nachdenklich, „ich schätze, unser Herr hat lieber einen Feind vor sich als in seinem Rücken. Und selbst so einer wie Bundori muss doch irgendwann einsehen, dass ewiger Hass nichts einbringt. Immerhin gingen die ersten versöhnlichen Schritte ja sogar von ihm selbst aus...“ „Gerade das ist es ja, was mir solche Sorgen macht“, erklärte Kage gedehnt und fügte danach lauernd hinzu: „Kennst du die Geschichten, die man sich über Bundori erzählt?“ Mit deutlichem Unbehagen sah Tamahato ins Feuer. Erst nach einer Weile antwortete er seinem Hauptmann: „Nun ja, diese Geschichten kennt wohl fast jeder. Aber die Drachen sind alle eine sehr alte und rätselhafte Rasse. Sie existieren schon eine Ewigkeit, weitaus länger als jeder Youkai. Wie sollen wir da beurteilen können, wer, was und wie diese Wesen eigentlich wirklich sind. Ich kann einfach nicht glauben, dass es einen Drachen gibt, der derartig furchtbar und vollkommen böse sein soll. Sicher wird vieles in den grausigen Berichten über Bundori aus Unwissenheit übertrieben.“ „Übertrieben, meinst du?“ Kage gab ein leises, tonloses Lachen von sich, blieb eine weiter erklärende Antwort aber schuldig. Dann wurde sein Gesichtsausdruck plötzlich traurig, er schien in unglücklichen Gedanken zu versinken. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden Kriegern. Beide blickten unbewegt und stumm ins Feuer. Schließlich regte sich Kage wieder ein wenig, der dämonische Flughund hüllte sich eng in seinen Umhang. Seine Stimme hatte einen seltsamen, dumpfen Klang, als er erneut zu sprechen begann: „Vor sehr langer Zeit, direkt nachdem ich auf die japanischen Inseln gekommen war und weit bevor ich auf Inutaishous Seite übergewechselt bin“, erzählte er, „lebte ich mit meiner Familie im Südosten. Es war zwar etwas öde, aber sonst ganz gut da. Von den dort herrschenden Drachen haben wir normalerweise nie etwas bemerkt. Denn, wie das so ihre Art ist, kümmern sich Drachen nur um ihre eigenen Angelegenheiten. Solange man ihnen nicht in die Quere kommt, interessieren sie sich nicht für andere... Irgendwann eines Morgens, nach einem nächtlichen Streifzug, kam ich mit meinen Geschwistern zufällig in eine unbekannte, zur Meeresküste hinausführende Schlucht. Meine Geschwister und ich waren jung damals und sehr abenteuerlustig, wir sahen uns neugierig um. Auf einmal entdeckte mein jüngerer Bruder einen riesigen, rotgoldenen und lindwurmartigen Drachen, der sich schlafend im Morgenlicht sonnte. Ich weiß nicht, was uns dazu trieb, aber wir kamen auf die Idee den Drachen spaßeshalber ein wenig zu ärgern. Falls es gefährlich werden sollte, konnten wir schnell davonfliegen und flüchten. So dachten wir. Wir haben den Drachen ein bisschen gezwickt, er schien es nicht einmal zu spüren. Dann haben wir Steinchen auf ihn geworfen, nichts geschah. Schließlich wurde mein kleiner Bruder übermütig, er flog direkt zum Kopf des Drachens, hüpfte vor seiner Schnauze in der Luft herum und schnitt alberne Grimassen... Doch dann, so blitzartig, dass wir nicht merkten, wie es zuging, schnappte der Drache zu. Er zermalmte meinen Bruder zwischen seinen Zähnen, so nebensächlich, als würde er einen Käfer zertreten. Ich höre heute noch meines Bruders Aufschrei und das Brechen seiner Knochen. Danach spukte der Drache den toten Körper abfällig aus und richtete sich etwas auf. Wir waren wie gelähmt. Er starrte uns an, aus seinen brennenden, rotglühenden Augen. Auf seiner Stirn war eine kleine Maske, wie ein zweites Gesicht. Mit diesem Gesicht sprach er zu uns. Das heißt, er redete nicht wirklich mit uns, er machte nur eine beiläufige Bemerkung, eine Feststellung zu sich selbst. „Ihr seid lästig geworden“, sagte er, „ich sollte meine Heimstatt vielleicht mal wieder von Ungeziefer befreien.“ Wir fragten nicht, was diese Worte zu bedeuten hatten, sondern sind so schnell wie möglich geflohen. Wir hatten Angst. Da war etwas in den Augen des Drachens gewesen, das ist nicht zu beschreiben... Zunächst schien aber alles nochmals gut gegangen zu sein, es passierte zunächst gar nichts und wir begannen das Erlebnis zu vergessen. Der Drache jedoch vergaß uns niemals und eines Tages, nach vielen, vielen Jahren, tat er, was er gesagt hatte. Er beseitigte Ungeziefer...“ Nach dieser Erzählung verstummte Kage, seine dunklen Augen wurden noch finsterer. Tamahato starrte sein Gegenüber verblüfft an. Es war schon erstaunlich genug, dass der sonst ziemlich verschlossene Fledermausdämon etwas aus seiner Jugend erzählt hatte. Kages momentaner Gesichtsausdruck allerdings war noch erstaunlicher. Nie hatte Tamahato den Heerführer derartig verbittert, vergrämt und auch verunsichert erlebt. „Dieser Drache“, erkundigte sich der alte Hundedämon schließlich vorsichtig, „war das Bundori?“ Kage nickte kaum merklich. „Ich selbst hatte Glück, ich war zufälligerweise woanders, als Bundori seine Vernichtungsaktion durchführte. Der Großteil meiner Familie und weitere, völlig unschuldige Dämonen im Osten hatten Pech, sie büßten auf schreckliche Weise für einen dummen, lange vergessenen Kinderstreich. Die genauen Details dazu erspare ich uns lieber...“ Nochmals unterbrach Kage kurz seine Rede. Nach einer kurzen Zeit bedrückender Stille sprach er weiter: „Du sagtest, du kannst nicht glauben, dass es einen Drachen gibt, der durch und durch böse ist... Wahrscheinlich kannst du dir nicht vorstellen, was für ein Wesen Bundori ist. Ich sage dir, die Geschichten über ihn sind noch untertrieben!“ Damit verfiel Kage endgültig in Schweigen. Seine Worte allerdings hingen noch lange in der Luft, wie das Unbehagen aus einer unvergesslichen Drohung. Das Holz im Feuer knackte. Trotz der wärmenden Flammen wurde es Tamahato zunehmend kalt. Nach einiger Zeit hielt er es nicht mehr aus und stand auf. „Ich mache noch eine Wachrunde und schau dabei mal nach unseren jüngeren Reisemitgliedern. Ich traue der Ruhe nicht so ganz. Für meinen Geschmack benahmen sich mein junger Partner, sein kleiner Schützling und Yoshio-san die letzten Tage viel zu brav. An gutem Willen mangelt es den jungen Hunden sicher nicht, aber vom Willen bis zur Tat ist es eben noch ein großer Schritt.“ Kage reagierte nicht, er hatte seine Augen demonstrativ geschlossen. Als er hörte, wie Tamahato sich entfernte, vergrub er sich noch fester in seinen Umhang und gab sich seinen Erinnerungen hin. Das Lagerfeuer brannte langsam nieder. Die Glut sackte mehr und mehr in sich zusammen und zerfiel schließlich zu Asche. Tamahato wanderte unruhig durch das Lager. Es war nicht nur das Unbehagen, das Kages Erzählung über den Drachen Bundori in ihm geweckt hatte. Auch das Gefühl einer unmittelbaren Bedrohung hielt ihn auf den Beinen. Der alte Hundedämon hatte viele Gefahren oft nur deswegen heil überstanden, weil er sich auf seine Instinkte verlassen konnte. Und diese Instinkte warnten ihn nun, etwas stimmte nicht. Rastlos und besorgt näherte sich Tamahato der Stelle, die sich die jüngeren Mitglieder der Reisegruppe als Nachtlager ausgesucht hatten. Er nickte kurz stumm einem Wachposten zu und stieg dann vorsichtig über mehrere, direkt auf dem nackten Boden zusammengerollte, schlafende Krieger. Soldaten hatten gewöhnlich nur einen leichten Schlaf und Tamahato wollte seine Gefährten nicht unnötig um ihre wohlverdiente Ruhe bringen. Anlass für Alarmbereitschaft gab es schließlich nicht, alles blieb friedlich. Trotzdem wollte Tamahatos innere Unruhe nicht weichen. Der treue Soldat warf einen Blick auf den Ruheplatz des Fürstensohns und seiner Begleiter. In der dortigen Ecke war es durch die benachbarten Gebüsche schattig und dunkel. Nur schemenhaft konnte Tamahato drei aufgewölbte Decken erkennen, unter die sich Sesshoumaru, Seto und Yoshio offensichtlich gekuschelt hatten und wohl genau wie die davor lagernden Krieger schliefen. Etwas an diesem Anblick machte den alten Hundesoldaten stutzig. In den Monaten, als er Seto zum Leibwächter ausgebildet hatte und bevor Seto zu Sesshoumaru ins herrschaftliche Hauptgebäude umgezogen war, hatte Tamahato seine Unterkunft mit seinem jugendlichen Partner geteilt. Wenn man monatelang zusammen in einer kleinen Kammer lebte, kannte man die Angewohnheiten eines Zimmergenossen zu Genüge. Tamahato wusste daher, dass Seto ein unruhiger Schläfer war, der sich häufig im Schlaf auf seinem Lager herumwälzte. Wie konnte es da sein, dass die Decke unter die sich Seto verkrochen hatte, noch genau so dalag wie vor fünf Stunden? Misstrauisch ging Tamahato näher an den Schlafplatz von Sesshoumaru und den seiner zwei jugendlichen Gefährten heran. Er wollte sich an Seto heranschleichen und sich die jungen Schlafenden mal genauer ansehen, als ihn ein leise knackendes Geräusch ablenkte. Verwundert sah der alte Hundekrieger nach rechts zur Dunkelheit am Rande des Lagers und musterte nacheinander die Bäume. Doch er konnte nichts Gefährliches entdecken. Vielleicht war es nur das Rascheln eines Tieres gewesen. Ich mache mir einfach zu viele Sorgen, dachte Tamahato kopfschüttelnd. Im nächsten Moment packte ihn etwas von hinten. Bevor er darauf reagieren konnte, presste sich kaltes, scharfes Metall gegen seine Kehle. „Ein einziger Laut oder eine weitere Regung von dir und du bist tot!“ zischte eine flüsternde Stimme. Fauliger Atem schlug Tamahato in den Nacken. Der Wald um ihn herum schien sich plötzlich zu bewegen. Von der Finsternis kaum unterscheidbare Gestalten lösten sich blitzschnell aus den Baumschatten und huschten lautlos auf das Lager zu. Ein Hinterhalt, schoss es Tamahato durch den Kopf. Trotz der vorigen Drohung versuchte er sich zu wehren. Aber schneller als er nur denken konnte, wurde er schmerzhaft in die Knie und dann auf den Rücken zu Boden gedrückt. Etwas Dünnes, Spitzes bohrte sich von vorne durch seine Rüstung hindurch in seine linke Schulter. Gleichzeitig legte sich etwas um seinen Hals und erstickte seinen Schrei. Eisige Kälte lähmte seine Glieder, dann fiel er in absolute Schwärze. Er bekam nicht mehr mit, wie die geheimnisvollen Angreifer das Lager erstürmten und innerhalb weniger Minuten alle überwältigt hatten. Es war ein Überraschungsangriff im wahrsten Sinne des Wortes, die Überfallenen hatten keine Chance. Fern von all dem bemühte sich der Inu no Taishou währenddessen um Frieden. Er hatte vorzeitig kein einziges Anzeichen für einen Überfall entdecken können und ahnte deswegen in den Stunden zuvor auch nichts davon. Chugo, der den Herrscher des Westens fort von seinen Getreuen einen Berghang hinauf führte, wirkte ehrbar und vertrauenserweckend. Tief in seinem Innersten spürte Inutaishou, dass der Wolfsdämon eine treue, gütige Seele hatte und dass ihm wirklich viel an Frieden lag. Der Hundeherr irrte sich bei der richtigen Einschätzung anderer nur sehr selten, normalerweise merkte er es sofort, wenn ihn jemand betrog. Seine instinktive, sensible und verblüffend stark ausgeprägte Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen, machte es fast unmöglich den Dämonenfürsten zu täuschen. Das war einer der Gründe, warum er seinen Feinden meist einen Schritt voraus war und warum es so schwer war, ihn zu besiegen. Schweigend folgte der Hundeherr dem blondhaarigen Wolfsdämonen und seinen schwarzfelligen Tieren. Lange verdrängte Erinnerungen wurden wieder in ihm wach. Es war lange her, dass Inutaishou Wölfen so nahe gewesen war, dass er ihnen vertraute. Denn in der Nähe von Wölfen hatte ihn in der Vergangenheit erstmalig seine Intuition im Stich gelassen, von Wölfen war er einst erstmalig betrogen worden. Das war damals ein sehr schwerer Schlag für ihn gewesen. Wahrscheinlich war er zu dieser Zeit noch zu idealistisch gewesen, um den Schmerz einer solchen Enttäuschung verkraften zu können. Er hatte eben sehr lange nicht an die finsteren Seiten des Lebens glauben wollen. Mittlerweile wusste er es natürlich besser, weil er auch später mit neuen Enttäuschungen hatte fertig werden müssen. Aber es tat nichtsdestotrotz immer noch weh. Auf seiner andauernden Suche nach dem Licht hatte Inutaishou die Schatten zu fürchten gelernt. „Wir sind da.“ Höflich wies Chugo auf eine kleine Höhle. Diese Höhle war zwar natürlichen Ursprungs, war aber offensichtlich noch weiter ausgebaut worden. Ihre Felswände waren glattpoliert, mit eingemeißelten Ornamenten geschmückt und bildeten ein perfektes Rund. In der Mitte brannte in einer gemauerten Steingrube ein blauweißliches, dämonisches Feuer. Der Schein der magischen Flammen ließ die im Felsen verborgenen Mineralien aufblitzen und brachte die ganze Höhle zum Glitzern. Es war ein atemberaubender Anblick. „Willkommen in der Höhle der Wächter!“ sagte Chugo, schickte mit einer kurzen Armbewegung seine tierischen Begleiter voraus und trat zuletzt etwas beiseite, um den Herrscher des Westens einzulassen. Inutaishou zögerte kurz und betastete behutsam Luft vor dem Höhleneingang. Er spürte eine starke Magie, ein bläuliches Schimmern umflirrte seine Finger. „Ein Bannzauber...“ „Richtig“, bestätigte der Wolfsdämon, „nur wir Wolfswächter und diejenigen, die von uns eingeladen wurden, können diese Höhle betreten. Dies hier ist eine von unseren Machtquellen und eins von unseren wertvollsten Heiligtümern. Nur sehr wenige wissen etwas davon. Und Ihr seid der erste fremdartige Dämon, der diesen Ort betreten darf.“ „Das ist eine sehr hohe Ehre, ich danke dir“, antwortete Inutaishou und trat ein. Als er den Bann durchbrach, erfasste ihn ein unangenehmes Kribbeln. Etwas ungeheuer Mächtiges begann an ihm zu saugen und verwandelte sich in rasenden Schmerz. Unwillkürlich keuchte er auf, er hatte das Gefühl innerlich zu verbrennen und wäre fast in die Knie gebrochen. Doch dann war er hindurch und der Schmerz hörte sogleich wieder auf. „Verzeiht, dass ich Euch nicht gewarnt habe“, beteuerte Chugo rasch: „Daran habe ich nicht gedacht. Eure Dämonenenergie ist sehr stark, sie wehrt sich dementsprechend heftig gegen die läuternde Magie des Bannkreises und das ist natürlich extrem schmerzhaft.“ „Läuternde Magie? Eine Menschenmagie?“ Erstaunt und fragend blickte Inutaishou den Wolfsdämonen an. „Ja“, erklärte dieser, „es wird erzählt, eine mächtige, menschliche Miko habe diesen Bann einst gelegt. Als Dank dafür, dass ein Wolfsdämon ihr das Leben gerettet hatte. Wenn ein Dämon versucht hier unerlaubt einzudringen, wird ihm sämtliches Youki entzogen. Wesen anderer Art kommen hier auch nicht so einfach rein, sie können die Höhle überhaupt nicht sehen und prallen, falls doch, an der Barriere ab.“ „Ich verstehe“, sagte Inutaishou und setzte sich Chugo gegenüber an das dämonische Feuer. Sein Blick streifte die acht Wölfe, die sich neben ihrem Anführer nahe der glattpolierten Höhlenwand auf den sandigen Boden gelegt hatten. Die Tiere gruppierten sich dabei um ein dickes Fell, auf dem ein fest schlafendes Kind lag. Ein kleiner Wolfswelpe... Überrascht betrachtete der Dämonenfürst das Kind genauer, es war ein Junge mit pechschwarzem Haar, etwa im gleichen Alter wie Sesshoumaru. Im Schlaf hatte sich der Kleine fest in den Pelz gekrallt und sich eine Falte des Fells in den Mund gestopft, auf der er träumend herumnuckelte. „Dein Sohn?“ fragte Inutaishou lächelnd. Chugo lächelte ebenfalls. „Nein. Koga-chan ist der Welpe einer Begleiterin, die momentan nicht hier ist und ihr Kind zur Sicherheit in der Höhle zurückgelassen hat. Sie wollte eine Weile allein sein. Ihr Name ist Aoi und sie ist so etwas wie eine Partnerin für mich. Sie trauert allerdings immer noch sehr um ihren verlorenen Gefährten, darum wird sich wohl nie mehr aus der Beziehung zwischen uns entwickeln.“ Inutaishou nickte verständnisvoll. „Es ist sehr schwer erneut zu lieben, wenn man durch Liebe verletzt wurde.“ „Es ist ebenso schwer sich mit einem Feind zu versöhnen“, meinte Chugo dazu, „doch vielleicht wird uns beiden das gelingen... Darf ich Euch etwas zu essen anbieten?“ Inutaishou riss sich von dem Anblick des niedlichen, schlafenden Wolfskindes los und nahm ein Stück getrockneten Fleischs entgegen. Eigentlich aß er fast nie etwas, er hatte das nur selten nötig, aber in diesem Fall war das ein Gebot der Gastfreundschaft und der Hundefürst wollte den Wolfsdämonen natürlich nicht beleidigen. „Wie ich gesehen habe“, führte Chugo nach dem Essen das Gespräch fort, „habt auch Ihr einen kleinen Welpen dabei.“ „Ja, meinen Sohn, Sesshoumaru.“ „Euer einziger?“ „Ja. Ich habe sonst nur noch einen Pflegling, einen Waisen, der im letzten Krieg gegen Wölfe seine Eltern verlor.“ „Ach ja, richtig... Dieser junge Wolfshund fiel mir auch auf, ich hätte nicht gedacht, dass es solche Mischlinge noch gibt... Wolltet Ihr damit ein Zeichen des Friedens setzen, indem Ihr ausgerechnet diese beiden hierher mitbringt?“ Inutaishou lächelte. „Ja, das auch. Ich sehe, du erkennst und verstehst meine guten Absichten. Und dein freundliches Entgegenkommen stützt meine Hoffnung, dass meine Bemühungen um Frieden nicht umsonst sein werden.“ Eine Zeitlang unterhielten sich die beiden Dämonen entsprechend den Regeln einer ehrerbietigen Zusammenkunft auf diese Weise weiter. Als sie ein solides Vertrauensverhältnis zueinander aufgebaut hatten, kam Inutaishou schließlich auf sein wichtigstes Anliegen zurück: „Die Wölfe, die vor wenigen Tagen mein Schloss überfallen haben, waren offenbar angeheuerte Söldner. Ein unbekannter Dämon, möglicherweise ein Drachenverwandter, benutzte sie, um an meinen Sohn heranzukommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand versucht meinen Welpen oder andere mir nahe stehende Personen zu entführen, um mich zu erpressen. Derartig geschickt hat sich aber schon lange keiner mehr angestellt... Hat in letzter Zeit jemand versucht Krieger von euch Wölfen anzuwerben? Oder hast du ähnliche, aufrührerische Aktivitäten im Norden bemerkt?“ „Nein“, entgegnete Chugo nachdenklich, „im Norden war es bisher sehr friedlich. Nur dieser machthungrige Akechi mit seinen merkwürdigen Fomorians hat einmal Ärger gemacht. Er wollte uns Wölfe überreden, dass wir uns ihm im Aufstand gegen Euch anschließen, aber unser Leitwolf hat das entschieden abgelehnt. Alle anderen Dämonen, die im Norden leben, sind normalerweise auch nicht an Kriegshandlungen oder Eroberungen interessiert... Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass sich Wölfe an so einer schwachsinnigen Aktion beteiligt haben könnten. Es gibt allerdings auch einige heimatlose, aus dem Osten stammende Rudel, die machen, was sie wollen. Vielleicht wurde ihnen Land versprochen, für ein eigenes Revier setzen manche Wölfe schon so einiges auf’s Spiel.“ „Wolfsrudel aus dem Osten?“, fragte Inutaishou interessiert: „Könnten die vielleicht etwas mit dem östlichen Drachenclan zu tun haben?“ „Nein, sicher nicht“, stellte Chugo überzeugt klar, „ich weiß, Ihr hattet in der Vergangenheit oft Ärger mit dem Drachenlord Bundori, da liegt es nahe ihn zu verdächtigen. Aber die Wölfe stehen mit den Ostdrachen ebenso auf Kriegsfuß wie Ihr und würden sich nie mit diesem grässlichen Lindwurm verbünden. Bundori hat die Wölfe des Ostens einst aus seinem Reich vertrieben. Zudem habe ich gehört, dass der Drachenlord momentan genug eigene Probleme hat, es gibt da wohl eine Revolte und einen Bürgerkrieg mit seinesgleichen.“ „Das ist wahr“, gab Inutaishou zu, „Bundori hat mich deswegen sogar um einen vorübergehenden Waffenstillstand gebeten. Und er hat sich aus meinem Krieg gegen Akechi herausgehalten anstatt daraus seinen Nutzen zu ziehen.“ „Vielleicht ist ja genau das der Grund“, überlegte Chugo weiter: „Vielleicht möchte jemand verhindern, dass Ihr mit Bundori einen Friedenspakt schließt. Als Feind eines Feindes wärt Ihr ein wertvoller Verbündeter... Möglicherweise wollte ein Gegner von Bundori Euch erpressen, damit Ihr ihm helft?“ „Wenn jemand meine Hilfe gegen Bundori braucht, müsste er sie nicht erzwingen, ich hätte nichts dagegen, wenn dieses Drachenscheusal verschwindet.“ „Aber hättet Ihr Euch freiwillig in eine interne Drachenfehde eingemischt und dafür Eure Leute geopfert?“ Das war ein sehr berechtigter Einwand. In Bürgerkriege mischte sich niemand unbegründet ein. Und Inutaishou war schließlich kein Eroberer. Seine Getreuen, die für ihn kämpften, wollten und konnten sich sicher sein, dass sie, wenn sie ihr Leben einsetzen mussten, für eine gute Sache starben. „Möglicherweise hast du Recht, Wolf, das könnte sein“, murmelte der Hundefürst und ergänzte: „Da wollte mich wohl jemand an sich binden und falls etwas schief geht, sollte die Schuld euch Wölfen zugeschoben werden. Das war geschickt eingefädelt... Wer könnte dahinter stecken? Kennst du jemanden von Bundoris sonstigen Feinden genauer?“ „Oje, da gibt es bestimmt so einige“, erwiderte der Wolfsdämon, „ich werde am besten erst mal versuchen herauszufinden, wer die Wölfe waren, die von diesem mysteriösen Unbekannten angeheuert wurden. Sie hatten bestimmt Freunde, die eventuell etwas wissen...“ Der Wolfsdämon unterbrach sich. Inutaishou hörte ihm nicht mehr zu. Der Dämonenfürst war plötzlich aufgesprungen. Seine ganze Haltung war angespannt als wolle er jemanden angreifen. „Was ist denn? Was habt Ihr?“ „Sie sind in Gefahr“, flüsterte Inutaishou mehr zu sich selbst. Im nächsten Augenblick sprang der Hundeherr aus der Höhle, durchbrach den schützenden Bannkreis, verwandelte sich aus der Bewegung heraus in einen strahlend weißen Energieball und flog fort. Chugo sah, wie die Energiekugel den Berghang herab schoss, und dachte nicht lange nach. Er befahl seinen Wölfen in der Höhle bei dem schlafenden Wolfskind zu bleiben und rannte Inutaishou nach. Soweit das siebte Kapitel. Insgesamt vielleicht etwas viel Gerede. Aber das war die Überleitung zu einem bösen, bedrohlichen Intrigenspiel, hinter dem mehr steckt als es zuerst den Anschein hat. Ich hoffe, es hat euch gefallen, auch wenn ich streckenweise nur langwierige Dialoge geboten habe. Im nächsten Kapitel steht Inutaishou und Chugo dann eine schreckliche Entdeckung bevor. Und auch der kleine, ausgebüxte Fürstensohn Sesshoumaru und seine beiden jugendlichen Begleiter haben so einiges zu entdecken... Über Kommentare freue ich mich sehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)