Mondlicht und Sonnenwind von Lizard (aus den Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 5: Enttäuschung ----------------------- Vorbemerkung: Zunächst bedanke ich mich mal wieder herzlich für alle bisherigen Kommentare. Der diesmalige Kapiteltitel passt wahrscheinlich auch gut zum Gefühl einiger Leser, denn ich werde damit wohl alle enttäuschen, die nach meinem Cliffhanger eine actiongeladene Fortsetzung erwarten. Stattdessen ist das folgende Kapitel erstaunlich ruhig. Diese Geschichte steigert sich eben nur langsam und ich wollte nicht schon zu früh zu viel Pulver verschießen... (hoffentlich gefällt es trotzdem.^^° )... Im letzten Kapitel griff ein Rudel Wölfe unerwartet das Schloss des Westens an. Dabei beweist der jugendliche, hundedämonische Leibwächter Seto diplomatisches Missgeschick, als er Sesshoumaru beleidigt und diesen so aus dem schützenden Schloss ins Freie treibt, wo der kleine Prinz prompt einigen Feinden begegnet. Seto, der dem gekränkten Erbprinzen schuldbewusst gefolgt ist, versucht sich und seinen Schützling gegen einen Unbekannten zu wehren. Aber vergeblich, der Gegner ist zu stark... Enjoy reading! Kapitel 5: Enttäuschung Durcheinander wirbelnde Farben, wirre Gerüche, verschiedenste Rufe und zuletzt ein vogelartiges Kreischen waren Setos nächste bewusste Erinnerungen. Er glaubte kurz eine riesige, davon fliegende Schlange mit übergroßen, in Blau schimmernden Schwingen zu sehen. Daraufhin wurde ihm wieder kurzfristig schwarz vor den Augen, bis ihn jemand an den Schultern packte und kräftig schüttelte. „Seto! Alles in Ordnung, Junge? Komm zu dir!“ Blinzelnd schlug Seto die Augen auf und sah in das besorgte Gesicht seines neben ihm knienden Partners. „Tamahato... Ausnahmsweise bin ich echt mal froh dich zu sehen. Ich dachte schon, es hätte dich vielleicht erwischt. Was ist passiert? Konntet ihr den Angriff auf das Schloss abwehren?“ „Ja. Es war allerdings nicht leicht. Die Wölfe haben uns einen deftigen Kampf geboten und es gab schwere Verluste auf beiden Seiten. Aber wir waren gar nicht das eigentliche Ziel, der ganze Angriff war nur ein Ablenkungsmanöver. Dem wirklichen Feind bist du mit Sesshoumaru-sama in die Arme gelaufen. Was, um alles in der Welt, habt ihr beide hier draußen gemacht? Ich hatte euch doch befohlen im Schloss zu bleiben!“ „Sesshoumaru-sama! Oh, nein... Was ist mit ihm?“ Bei dieser Frage setzte Seto sich kerzengerade auf und sah sich hektisch nach dem Dämonenprinzen um. Erleichtert entdeckte er ihn einige Meter neben sich, ein weiterer Hundedämon half dem sehr benommenen wirkenden Jungen gerade beim Aufstehen. „Ihm ist nichts passiert“, sagte Tamahato, „er war nur ohnmächtig. Das wäre allerdings anders ausgegangen, hätte euer Gegner ihn nicht nur bewusstlos geschlagen, sondern wirklich töten wollen. Und für dich wäre sowieso beinahe jede Rettung zu spät gekommen!“ Mit Schaudern erinnerte sich Seto an das raubvogelartig verzerrte Gesicht und die enorme Kraft des fremden Dämons, gegen den er sich vergeblich zu verteidigen versucht hatte. „Wer war der Kerl? Und was wollte er? Ist er tot?“ „Nein, er ist entwischt. Ich hatte ihn mit der Veteranen-Elite umstellt, aber er hat einen Bannkreis um sich erschaffen, hat sich verwandelt und ist geflüchtet. Er schien eine Art Mischung aus Vogel und Drache zu sein, wir wissen nicht, wer er war. Aber was er wollte, war deutlich. Er wollte den Erben des Westens haben und ihr beide seid ihm entgegen gekommen und habt ihm euch auf einem Silbertablett präsentiert!“ Beschämt sah Seto zu Boden. „Es tut mir leid.“ Tamahato stand auf und wandte seinen Blick von Seto ab. „Ich fürchte, damit ist es nicht getan. Ihr werdet euch beide vor dem Inu no Taishou verantworten müssen. Es ist seine Entscheidung, wie euer törichtes Tun zu beurteilen ist. Bis dahin werdet ihr im Schloss bleiben und eure Zimmer nicht verlassen. Ich werde dem Herrn einen Boten schicken, um ihm von dem Überfall auf das Schloss zu berichten. Dann werde ich alle Vorsichtsmaßnahmen verstärken. Hoffen wir, dass nicht noch Schlimmeres geschieht. Schließlich ist unser Fürst schon genug mit Akechis Aufstand beschäftigt, eine weitere Kriegsfront können wir wirklich nicht brauchen.“ Mit einem leisen Seufzen drehte sich der alte Soldat wieder zu Seto um. „Wenn wir hier draußen fertig sind, schicke ich den Heiler zu dir. Er soll deine Schulterwunde behandeln. Die Feinde haben einen Teil ihrer Waffen vergiftet, woher auch immer die Wölfe dieses Gift hatten. Es wäre nicht gut, wenn du deinen Schwertarm verlierst. Sorge dafür, dass auch Sesshoumaru-sama eventuelle Verletzungen verarzten lässt und wenn du ihn dazu fesseln musst. Und jetzt verschwinde!“ Seite an Seite und mit gesenkten Köpfen kehrten Seto und Sesshoumaru, eskortiert von einigen Dämonenkriegern, ins Schloss zurück. Tamahato sah ihnen nach und schüttelte leicht den Kopf. Dieses Duo aus Leibwächter und Schutzbefohlenem würde sicher noch öfters Schwierigkeiten bereiten. Doch ich werde schon mit euch fertig, dachte Tamahato. Sein Blick fiel auf die zwei Wolfsdämonen, die von Sesshoumaru und Seto getötet worden waren. Ich werde nämlich niemals den Fehler begehen und euch beide sowie den Ärger, den ihr verursachen könnt, unterschätzen! Zu Tamahatos und auch sonst jedermanns Erleichterung gab es nach dem missglückten Angriff der Wölfe keinen weiteren Ärger mehr. In den folgenden Tagen konnten sich die Bewohner im Herrschaftssitz des Westens daher in aller Ruhe auf die Beseitigung der Kampfesschäden konzentrieren und sich um die Verletzten kümmern. Die Krieger hatten für die erfolgreiche Verteidigung ihrer Heimstatt einen hohen Preis zahlen müssen, ein Drittel der gesamten Schlosswache sowie mehrere der zur fürstlichen Eliteeinheit gehörenden Veteranen waren tot. Von den überlebenden Kämpfern hatte fast jeder Verwundungen fort getragen. Eine erneute Bedrohung hätte fatal ausgehen können. Umso erfreuter und beruhigter waren alle im Schloss, als daraufhin, nach vier Tagen, der Herrscher des Westens aus seinem Feldzug gegen den Aufrührer Akechi zurückkehrte. Dem Fürsten und seinen Getreuen war es gelungen die aufständische Armee niederzuschlagen. Einen kompletten Sieg hatte der Herr der Hunde allerdings nicht erringen können, denn Akechi und einige seiner Verbündeten waren entkommen. Zudem war auch hier die Abwendung der Gefahr teuer mit viel Blut und Leben bezahlt worden. Es war sehr fraglich, wie lange der unsichere Frieden andauern würde. Über diese Dinge machte Seto sich allerdings nur wenig Gedanken, er sorgte sich eher um seine unmittelbare Zukunft. Er war als einziger nicht über Inutaishous Rückkehr erfreut. Denn nun würde er sich vor seinem Herrn für sein Versagen als Leibwächter rechtfertigen müssen und er musste zugeben, dass er mittlerweile höllische Angst davor hatte. Sicherlich wartete eine harte Bestrafung auf ihn. Mit Nachsicht und Milde konnte er dieses Mal wohl kaum rechnen. Wahrscheinlich konnte er froh sein, wenn er nur in Schande davongejagt werden würde. Es hatte schon Fälle gegeben, in denen ein Herrscher seine Untergebenen für geringere Vergehen zum Tode verurteilt hatte. Für den Herrn der Hunde war eine derartig radikale Vorgehensweise zwar unüblich, aber auch nicht auszuschließen. Wer wusste schon, wie Inutaishou reagierte, wenn er seinen einzigen Nachkommen in Gefahr sah. Mit wachsender Furcht sah Seto deshalb dem Moment entgegen, dass er, wie Tamahato es angedroht hatte, zum Fürsten befohlen wurde. Als es endlich soweit war und ein Diener erschien, um ihn und den Erbprinzen zu holen, hatte der jugendliche Hundedämon schwere Mühen seine zittrigen Knie zu verbergen. Seltsamerweise war jedoch nicht nur der junge Leibwächter, sondern auch Sesshoumaru nervös. Das fiel Seto aber erst auf, als sie zusammen im Vorzimmer zu Inutaishous Privatgemächern saßen und darauf warteten zum Hundeherrn vorgelassen zu werden. Voller Verwunderung betrachtete der Jugendliche seinen kleinen Schützling dabei heimlich genauer. Kein Zweifel, das Fürstenkind wirkte ebenso ängstlich. Aber ihm würde doch sicherlich nichts geschehen, er würde bestimmt auch nicht bestraft werden. Wovor also fürchtete er sich? Die Zeit verging qualvoll langsam, bis endlich eine Schiebetüre zum Raum des Fürsten geöffnet wurde. Tamahato trat heraus, ihm folgten der Dämonenheiler Ieyasu und der junge Wolfshundedämon Yoshio. „Der Herr erwartet euch“, sagte Tamahato, seine Stimme klang hart. Seto sah seinem Kampfgefährten in die Augen und versuchte etwas aus dessen Gesichtsausdruck zu deuten. Doch die Miene des alten Soldaten blieb ausdruckslos. „Ich bleibe solange hier“, bemerkte der Heiler hinter Tamahato, „ich möchte sicherstellen, dass der Herr sich danach ausruht. Er braucht unbedingt mehrere Stunden Schlaf für eine schnelle Genesung, denn es steht schlimmer um ihn als es scheint und er selber zugeben möchte.“ „Ich werde dafür sorgen, dass der Fürst in den nächsten Stunden nicht mehr gestört wird“, beruhigte Tamahato und wandte sich mit Yoshio zum Gehen. „Wurde der Inu no Taishou denn verletzt?“ platzte Seto neugierig heraus. Auch Sesshoumaru war sehr überrascht und blickte aufhorchend auf. Mit funkelnden Augen drehte sich Tamahato nochmals zu seinem jugendlichen Kameraden um. „Hast du etwa immer noch nicht verstanden, wo du hier bist und in was für einer Situation wir uns befinden? Unser Fürst hat genau wie wir einen schweren Kampf hinter sich. Wir haben Krieg. Das ist kein spannendes Abenteuer, sondern eine todernste Sache, dabei fließt Blut! Langsam solltest du das begreifen. Und jetzt geh zum Herrn und hör auf dich wie ein kindischer Vollidiot zu benehmen. Übernimm endlich Verantwortung und mach mir keine Schande mehr!“ Seto schluckte und stand zusammen mit Sesshoumaru auf. In leicht geduckter Haltung betraten der junge Hundedämon und der noch jüngere Prinz Inutaishous Gemach. Bis auf die überall im Schloss zu findenden, aufwendigen Schnitzereien, wirkte auch dieser Raum des Fürsten ziemlich einfach. Inutaishou hatte es nicht nötig seine Stellung durch Prunk zu untermauern. Sein im Zimmer deutlich zu spürendes, momentan offen gezeigtes Youki demonstrierte seine Macht deutlich genug. Der Dämonenfürst saß auf einem gepolsterten Podest. Er trug eine ähnlich schlichte, überwiegend weiße Kleidung wie er sie getragen hatte, als Seto ihm das erste Mal begegnet war. Neben und hinter ihm lag ein dickes, flauschiges Fell, auf das er sich stützte. Beim näheren Herankommen bemerkte Seto, dass der Hundherr sein rechtes Bein in einer schonenden, leicht angewinkelten Haltung hielt und dass er einen seiner Arme fest gegen seinen rechten Oberkörper drückte. Das aufrechte Sitzen und das Atmen schien ihn anzustrengen. Für ein genaues, geübtes Auge war zudem zu erkennen, dass der Fürst unter seinem seidenen Haori Verbände trug. Offenbar hatte er an der gesamten rechten Seite schwere Kampfeswunden davongetragen, aber wie bedrohlich diese Verletzungen möglicherweise waren, konnte Seto nicht beurteilen. Denn von eventuellen Schmerzen ließ sich Inutaishou nichts anmerken. Mit äußerlich emotionslosem Gesicht und stählernen Augen beobachtete er, wie sich sein kleiner Sohn vor ihm in kniender Stellung auf den Boden setzte. Seto nahm in gebührenden Abstand hinter Sesshoumaru Platz und sah ehrerbietig nach unten. Eine Weile herrschte Schweigen. Schließlich wandte der Herr der Hunde seinen durchdringenden, goldenen Blick von seinem Sohn ab und sprach Seto an: „Tamahatos Bericht zufolge hat ein unbekannter Dämon mit dem unerwarteten Wolfsüberfall auf das Schloss versucht Sesshoumaru zu entführen. Hat dieser Unbekannte etwas zu dir gesagt, das verraten könnte, wer er war oder in wessen Auftrag er handelte?“ „Nein, tut mir leid, Herr“, antwortete Seto gedämpft, „ich habe keine Ahnung. Sein Geruch oder seine dämonische Ausstrahlung war mir völlig neu, ich bin nie jemanden wie ihm vorher begegnet. Ich weiß nur, dass er sehr mächtig war...“ Voller Beschämung starrte der junge Krieger weiter auf den Boden. „Ich hatte keine Chance gegen ihn...“ „Zumindest scheinst du deine Grenzen zu erkennen“, meinte Inutaishou daraufhin, „also bist du vielleicht noch kein völlig hoffnungsloser Fall. Erkläre mir bitte, wie du dich und meinen Sohn in solch eine gefährliche Lage bringen konntest! Laut Tamahato war euch beiden befohlen worden im Schloss zu bleiben.“ Seto biss sich auf die Unterlippe und suchte verzweifelt nach den passenden, erklärenden Worten. Lügen war unmöglich, schon allein deswegen, weil Tamahato und dieser Wolfshundemischling Yoshio dem Fürsten vorher bestimmt alles haarklein über den Vorfall erzählt hatten. Am besten war es wohl so genau wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben, auch wenn Seto damit riskierte sich selbst zu verurteilen. „Es war meine Schuld, Herr. Ich habe meine Pflicht vernachlässigt. Ich habe allerlei dummes Zeug geredet, dabei nicht richtig aufgepasst und Sesshoumaru-sama nach draußen gehen lassen.“ Der Dämonenfürst gab einen undefinierbaren Laut von sich und wandte sich nun an seinen kleinen Sohn: „Warum hast auch du dich nicht Tamahatos Befehlen gebeugt?“ Sesshoumaru, der bisher keinen Muskel gerührt hatte und schweigend mit gesenktem Blick vor seinem Vater gesessen war, sah auf. „Ich wollte kämpfen.“ „So... Kämpfen...“ Inutaishou sah beiseite. Sein Gesichtsausdruck blieb unergründlich wie die Tiefe der See. Seto fühlte ein merkwürdiges Unbehagen und stellte verwundert fest, dass dieses nun nicht mehr auf seine Angst vor einer Bestrafung zurückzuführen war, sondern auf ein ganz anderes Gefühl, das er zunächst nicht benennen konnte. Erneut herrschte minutenlanges Schweigen. Als der Fürst daraufhin wieder Sesshoumaru und Seto anblickte, waren seine goldenen Augen noch härter und auch sehr kalt geworden. „Ihr beide wollt also kämpfen... Wisst ihr wenigstens auch, wofür? Und habt ihr euch auch schon mal überlegt, wofür andere kämpfen? In den letzten Tagen haben sehr viele beispielsweise für mich gekämpft. Jeder von ihnen hat mir seine Treue geschworen und sein Leben in meine Hände gelegt, im Vertrauen darauf, dass ich etwas, an das sie glauben, bewahre. Sie waren bereit für mich und ihre damit verbundenen Überzeugungen zu sterben, viele von ihnen sind dafür gestorben. Ihre toten Seelen sind nun ein Teil von mir und begleiten mich. Denn sie möchten sich überzeugen, dass ihr Tod nicht umsonst war. Und ich will sie diesbezüglich niemals enttäuschen müssen. Versteht ihr beiden, was ich damit meine? Denkt daran, bevor ihr euch das nächste Mal dermaßen töricht verhaltet, euch blindlings in Gefahr begebt und damit die Bemühungen derer, die um euretwillen kämpfen und sterben, zunichte macht... Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Und nun geht!“ Erstaunt schaute Seto auf. Das war alles? Keine Bestrafung? Nur ein Tadel und eine Warnung, sonst nichts? Im gleichen Augenblick begegnete er Inutaishous Blick und erschrak. Er konnte nicht genau sagen, was ihn daran eigentlich so entsetzte. Er spürte nur, wie sein Unbehagen, während er in die Augen des Fürsten sah, sich ins Unermessliche steigerte und sich in einen bitteren, bohrenden Schmerz verwandelte. In diesem Moment stand Sesshoumaru auf, drehte sich schweigend um und verließ das Fürstengemach. Wie in Trance tat Seto es ihm gleich und folgte dem kleinen Prinzen. Mit jedem Schritt fühlte er sich dabei elender. Nachdem sie im Vorzimmer angelangt waren, presste Sesshoumaru plötzlich seine Hände vor sein Gesicht, ein leises Schluchzen entfuhr ihm. Seto, der mit so einigem gerechnet hätte, nur damit nicht, sah perplex zur Seite und konnte es kaum glauben. Der sonst so selbstsichere Dämonenjunge litt, er war zutiefst am Boden zerstört und wirkte regelrecht verzweifelt. „Ich habe ihn enttäuscht...“ flüsterte der Kleine erstickt, dann versagte ihm die Stimme. Kaum waren diese Worte ausgesprochen, fühlte Seto es erneut, dieses nur schwer zu fassende, unerträgliche Gefühl. Nun verstand er auch, um was es sich dabei handelte, und, dass er diesen Schmerz mit Sesshoumaru teilte. „Nein, wir haben ihn beide enttäuscht“, fügte er leise hinzu. Damit erkannte der junge Hundedämon, dass es schlimmere Dinge als eine direkte, körperliche Bestrafung gab. Er wusste jetzt, dass da jemand war, den er sehr verehrte, in dessen Augen er unbedingt gut dastehen wollte, für den er alles tun wollte, nur um seine Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erringen. Diese Person hatte er nun enttäuscht, diese Person hatte ihn mit Missfallen gestraft. Das war schlimmer als alles, das er sich je hätte vorstellen können. Und am liebsten hätte er wie Sesshoumaru geweint. In ungewohnter Eintracht schlichen sich der junge Leibwächter und sein Schützling davon. Ihre Umgebung hatten sie offensichtlich komplett vergessen, denn sie achteten sonst auf nichts mehr. So bemerkten sie auch den Heiler Ieyasu nicht, der wartend im Vorzimmer saß und die beiden beim Verlassen des Fürstengemachs beobachtete. Nachdem Seto und Sesshoumaru gegangen waren, stand Ieyasu kaum hörbar seufzend auf und begab sich direkt zu Inutaishou. Der Dämonenfürst schien sich nicht daran zu stören, dass sein Heiler nicht die gängigen Umgangsformen einhielt und unangemeldet ins Zimmer platzte. Er sah nur kurz auf. „Keine Sorge, Ieyasu“, sagte er dabei, „du brauchst mir keine weiteren Vorhaltungen zu machen. Ich werde ganz brav sein und mich schonen, ganz so wie du es mir geraten hast.“ „Das freut mich, mein Herr“, erwiderte Ieyasu milde lächelnd: „Es wäre sonst auch sehr ungerecht von Euch andere dafür zu tadeln, dass sie sich in Gefahr bringen und nichts als Sorgen machen, während Ihr selbst Euch nicht anders verhaltet.“ Inutaishou legte den Kopf schief und fasste seinen Heiler fest ins Auge. „Hast du etwa gelauscht, mein Freund?“ Ieyasu lächelte erneut und verneinte kopfschüttelnd. „Das war nicht nötig. Ich musste mir nur die beiden zu Tode betrübten Hundewelpen anschauen, um zu wissen, was hier ungefähr vorgefallen ist.“ „Meinst du, ich war zu streng?“ Der Heiler blieb die Antwort zunächst schuldig. Stattdessen holte er eine kleine hölzerne Schale, einen Mörser und einige getrocknete Kräuter aus einem Beutel hervor, den er bei sich trug. Bedächtig setzte er sich danach neben seinen Herrn und begann die Kräuter in der Schale zu zerkleinern und zu einem feinen Pulver zu zermahlen. „Irgendwie erinnert mich das alles sehr an einen jungen, ungestümen Hundedämonen“, begann Ieyasu nach einer Weile wieder zu reden: „Dieser Hundedämon hatte offenbar enormen Spaß daran, seine Freunde ständig in den Wahnsinn zu treiben, weil er sich immer ohne großartig nachzudenken in jedes Abenteuer stürzte. Er konnte es einfach nicht lassen. Er musste sich um alles selbst kümmern, scheute kein Risiko und steckte seine Nase wirklich überall hinein. Das konnte sehr nervig sein, aber es brachte auch viel Gutes mit sich. Denn der lästige Hund hasste Ungerechtigkeit. Er lehrte die Bösen das Fürchten und schenkte dem Land ein vorher nie gekanntes, sicheres Glück. Der Tatendrang dieses Hundes und sein Wille eine bessere Welt zu schaffen waren sehr ansteckend, so gewann er viele weitere Freunde, die ihn aufrichtig liebten und bereit waren ihm zu folgen, wohin immer er auch ging...“ Ieyasu beendete seine Erzählung und warf einen kurzen, lauernden Blick auf seinen Herrn. Als der jedoch keine Anstalten machte zu reagieren, führte der Heiler seine Rede fort: „Wenn Ihr nach meinem Rat fragt, Herr, dann rate ich euch folgendes niemals zu vergessen: Liebe und Treue jeglicher Art ist ein wertvolles Geschenk. Diese Kostbarkeit gleicht einem mächtigen Schwert, das Euch zusätzliche Stärke verleiht. Aber darin liegt auch eine Gefahr, denn diese erlesene Waffe ist scharf und zweischneidig, so dass man sich leicht selbst daran verletzen kann. Geht Ihr nicht vorsichtig damit um, wird es Euch das Herz durchbohren.“ Inutaishous Gesicht nahm einen schwermütigen Ausdruck an. „Manchmal weiß ich wirklich nicht, was ich von dir halten soll, Ieyasu!“ meinte der Fürst: „Ich glaube, es ist nicht gut, dass du mich und meine Schwächen so genau kennst. Ein Herrscher sollte keine Schwächen zeigen. Niemals und niemanden.“ „Da irrt Ihr Euch!“ erklärte Ieyasu bestimmt und griff nach einer Wasserkanne, die auf einer nahe gelegenen, kleinen und glimmenden Feuerstelle bereit stand. Ruhig füllte er heißes Wasser zu den in der Holzschale zermahlten Kräutern. „Sagt mir, mein Herr, was ist eine Schwäche?“ fragte er dann: „Kann man das vorher beurteilen? Ich könnte Euch viele Beispiele nennen, in denen eine angebliche Schwäche sich letztendlich als Stärke erwies. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, Ihr selbst seid ein leuchtendes Beispiel dafür.“ Das brachte den Herrscher des Westens zum Lachen. „Schon gut, Ieyasu, hör auf! Mit dir zu diskutieren bringt nichts, dabei zieh ich nur den Kürzeren... Verrate mir lieber, was du da für ein Zeug zusammenbraust! Soll das etwa für mich sein? Willst du mich vergiften? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich das trinken werde, oder?“ Das Lächeln auf Ieyasus Lippen wurde breiter, es wirkte beinahe bösartig. „Oh doch, Ihr werdet das trinken! Ansonsten, das verspreche ich Euch, werde ich das gewaltsam in Euch hinein befördern. Und ich warne Euch, mit widerborstigen Patienten habe ich eine Menge Erfahrung. Im Fall aller Fälle kann ich auf Fertigkeiten zurückgreifen, die Ihr Euch gar nicht vorstellen könnt!“ „Wozu brauche ich eigentlich noch Feinde, wenn ich solche Freunde habe“, beschwerte Inutaishou sich knurrend, „ein paar harmlose Kratzer auf dem Schlachtfeld und alle tun so, als läge ich auf dem Sterbebett...“ „Ob Eure Verletzungen harmlose Kratzer sind oder nicht, überlasst mal lieber dem Fachmann“, antwortete Ieyasu unbeeindruckt und reichte seinem Herrn die Schale mit dem frisch zubereiteten, dampfenden Kräutersud. Der Fürst nahm die Schale widerstrebend entgegen und schnupperte vorsichtig daran. „Riecht ja grässlich... Gib es ruhig zu, das macht dir Vergnügen, du bist ein heimlicher Sadist!“ Ieyasu lächelte nur. Nachdem Inutaishou getrunken hatte und Ieyasu die Holzschale zurückgegeben hatte, lehnte er sich ernster werdend in sein Fell zurück und teilte dem Heiler weiterhin offen seine Gedanken mit: „Ich muss unbedingt herausfinden, wer meinen Sohn entführen wollte. Das könnte ich mir niemals verzeihen, stieße ihm etwas zu... Warum nur haben ausgerechnet Wölfe bei dem Überfall auf mein Schloss mitgemacht? Hoffentlich ist ihre Beteiligung an dem Ganzen nicht als Herausforderung zu einem neuen, großangelegten Krieg zu verstehen. Ich muss versuchen weitere Feindseligkeiten der Wölfe zu verhindern und mit ihnen verhandeln. Schließlich ist die Gefahr mit Akechi auch noch nicht gebannt und dessen Aufstand hat schon viel zu viele Opfer gefordert. Noch mehr kriegerische Auseinandersetzungen darf ich mir momentan nicht leisten, das brächte mich in eine sehr prekäre Lage... Es wäre gut, wenn ich mir wenigstens sicher sein könnte, dass mir nicht noch jemand zusätzlich in den Rücken fällt. Deshalb sollte ich es vielleicht wagen die Einladung der Ostdrachen anzunehmen...“ „Die Drachen des Ostens haben Euch eingeladen? Wozu?“, fragte Ieyasu erstaunt, in seiner Stimme schwangen Zweifel und Sorge mit. Von den im Südosten lebenden Drachendämonen war bisher nie Gutes zu erwarten gewesen, sie gehörten zu Inu Taishos gefährlichsten Feinden. „Bundori hat mir vor einiger Zeit eine Botschaft übersenden lassen und die Aushandlung eines Nichtangriffspakts in Aussicht gestellt“, erklärte der Dämonenfürst: „Und er scheint es tatsächlich ernst mit seinem Angebot zu meinen. Ich habe gründlich nachforschen lassen, aber mein Misstrauen ließ sich nicht bestätigen. Der intrigante Lindwurm hat ausnahmsweise mal nichts mit all den Geschehnissen, die mich derzeitig bedrohen, zu tun. Möglicherweise bietet sich hier eine Chance für einen dauerhaften Waffenstillstand mit den Drachen...“ Der Hundeherr dachte eine Weile schweigend nach, bevor er weitersprach: „Normalerweise reise ich nur mit wenigen Getreuen zu Friedensverhandlungen. Und wenn ich zu Bundori gehe, werde ich das sicherheitshalber besser ganz allein tun. Aber bei einer Reise zu den Wölfen könnte ich vielleicht Sesshoumaru mitnehmen. Ich habe zuletzt viel zu wenig Zeit mit ihm verbracht und hätte ihn gern bei mir... Meinst du, er würde sich darüber freuen?“ „Gewiss, mein Herr“, meinte Ieyasu, „das ist eine gute Idee.“ „Er hat nun das erste Mal sehr gekonnt einen Feind getötet, in festem Willen und ohne Reue“, murmelte Inutaishou nachdenklich vor sich hin, „wahrhaftig, Sesshoumaru macht seinem Namen bereits alle Ehre, dabei ist er noch ein Kind... So wollte ich das nicht... Ich wünschte, es müsste nicht so sein, ich möchte nicht, dass mein Sohn hart werden muss oder dass er jemals wieder kämpfen und töten muss. Er sollte frei von all dem sein dürfen... glücklich sein... Ein Herrscher ist kein guter Vater...“ „Macht Euch darüber heute keine Gedanken mehr und schlaft jetzt“, unterbrach ihn der Heiler, „das Betäubungsmittel wird schnell wirken und Euch Eure Schmerzen nehmen.“ „Ich danke dir, Ieyasu“, sagte Inutaishou, seine Stimme klang schon sehr müde. „Ich tue nur meine Pflicht“, beteuerte der Heiler leise und wartete bis sein Herr gänzlich eingeschlafen war. Behutsam stand er danach auf und verließ geräuschlos den Raum. „Euch zu dienen ist nicht nur eine Pflicht, es ist eine Ehre“, sprach er dabei zu sich selbst, „die größte Ehre, die mir je gewährt wurde. Und ich werde immer an Eurer Seite sein. Ich folge euch, wohin Ihr auch geht.“ Soweit das fünfte Kapitel. Eine Bemerkung zu dem Dämonenheiler Ieyasu: Er spielt in dieser Geschichte nur eine kleine Rolle, ist mir aber trotzdem ziemlich wichtig. Denn er stellt für mich ein gutes, freundliches und weises Gegenüber dar, das ebenso zum Inu no Taishou gehört wie seine Härte und Macht. (Und ich finde, weder Myouga noch Toutousai hätten eine derartige Rolle passend erfüllen können.) Ieyasu ist nicht völlig frei erfunden, die Inspiration für ihn kam wie so vieles andere auch vom IY-Manga. Bei Rumiko Takahashi taucht dieser dämonische Heiler allerdings nur namenlos und nur sehr kurz in bloß zwei Bildern auf... Im nächsten Kapitel geht die ganze Gesellschaft zur Abwechslung dann mal auf Reisen und wird neue Freunde oder Feinde kennen lernen. Damit wird der nächste Zug des mysteriösen Intrigenspiels eröffnet... Über Kommentare freue ich mich sehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)