Mondlicht und Sonnenwind von Lizard (aus den Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 1: Jugend ----------------- Vorbemerkung: Ich bedanke mich herzlich für alle Kommentare zum Prolog. Freut mich ungemein, dass diese Geschichte ein paar Leser gefunden hat. Wie ich sehe, gab es keine Probleme damit zu raten, wer der geheimnisvolle, goldäugige Rächer am Anfang der Story war. Auch bezüglich sonstiger Details zum Prologsgeschehen waren einige Leser schon auf der richtigen Spur. Das alles hat durchaus seinen Sinn, denn im weiteren Verlauf der Geschichte werden sich immer wieder vereinzelte Anspielungen zum Prolog finden, bis sich der Vorfall zum Schluss endgültig aufklären wird. Jetzt geht es nach dem düsteren Anfang allerdings erst mal ein wenig anders und heiterer weiter... Enjoy reading! Kapitel 1: Jugend Wie jeden Morgen überprüfte Tamahato sorgfältig seine Ausrüstung. Es war Spätherbst und daher noch recht dunkel, doch der alte Hundedämon fand sich problemlos in seiner kleinen Kammer zurecht. In alltäglicher Gewohnheit legte er seine Rüstung an, verstaute seine sternförmigen Shuriken oberhalb seines Gürtels und steckte ein verziertes, dolchartiges Messer dazu. Zuletzt griff er mit seiner Linken nach seinem Schwert. Sanft, fast liebevoll strich er kurz über die glatt polierte, hölzerne Scheide des kostbaren Kataanas und befestigte die Waffe dann an seiner rechten Seite. Nachdem er sich nochmals versichert hatte, dass alles genau da war, wo es hingehörte, alles einwandfrei passte, ging Tamahato zur gegenüberliegenden Zimmerseite und stieß mit dem Fuß einer auf dem Boden liegenden Gestalt unsanft in die Rippen. „Aufstehen, Schlafmütze, es ist Zeit zur Wachablösung!“ Die Gestalt am Boden regte sich unwillig und rollte sich dabei noch enger auf einer dünnen Matte zusammen. Tamahato sah eine Weile wartend auf den Schläfer herab, schaute sich daraufhin im Zimmer um und entblößte schließlich grinsend seine spitzen Eckzähne. Sein in der Dunkelheit rötlich schimmernder Blick wanderte zu einem tönernen Wasserkrug, der in einer Ecke stand. Drei menschenähnliche, soldatisch gekleidete Dämonen, die im deckenfreien Hof eines quadratisch angelegten Gebäudes um ein Feuer herum saßen und sich leise unterhielten, wurden aufmerksam, als sie ein Platschen hörten, danach ein entrüstetes Zetern: „Aah, iih, was... so 'ne Sauerei... Du beknackter, alter Wichtigtuer, musste das sein?“ Das war noch nicht alles, was den unbedarften Zuschauern im Hof geboten wurde. Im nächsten Moment beobachteten sie, wie der Strohvorhang vor Tamahatos Kammer beiseite gerissen wurde und etwas in hohem Bogen aus der Kammer hinaus geworfen wurde. Eine jugendliche Gestalt mit durchnässten, schwarzen Haaren sauste schreiend durch die Luft und schlug hart auf dem Boden neben den drei Soldaten am Feuer auf. „Oh, guckt mal, ein fliegender Hundejunge!“ kommentierte einer der soldatischen Dämonen die Aktion und grinste. „Das mit der Landung muss der Kleine aber noch üben“, meinte ein weiterer Soldat dazu, „vielleicht sollte er das Fliegen lieber bei unserem Herrn anstatt bei Tamahato lernen?“ Schallendes Gelächter erfüllte nun den Hof. Der unglücklich Gelandete stöhnte leise und richtete sich mühsam auf. Auf den ersten Blick sah er wie ein maximal sechszehnjähriger Mensch aus. Seinen spitzen Ohren und krallenartigen Fingernägeln zufolge war er allerdings ebenfalls ein Dämon, genau gesagt ein Hundedämon, und daher sicher weitaus älter als sein menschenähnliches Äußeres vermuten ließ. Sein wahres Alter interessierte und beeindruckte hier jedoch niemanden, hier gab es überall nur Dämonen und für Dämonen bedeuteten einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte so gut wie nichts. „Hey, Seto“, sprach einer der lachenden Soldaten den jugendlich wirkenden Burschen an, „willst du zur Abwechslung nicht mal normal aufstehen? Irgendwann gehen Tamahato doch sicher auch die Ideen aus, wie er dich originell aus dem Bett befördern kann.“ „Hach, wirklich sehr witzig, ich lach mich tot!“ gab Seto grummelnd zurück, ballte wütend die Fäuste und stand gänzlich auf. Er wurde allerdings gleich darauf erneut zu Boden geschickt, als ihm von hinten eine Soldatenausrüstung samt dazugehörigen Waffen an den Kopf geschmissen wurde. „Mach dich gefälligst endlich fertig!“ grollte eine tiefe Stimme im Hintergrund. Die lachenden Soldaten am Feuer verstummten und nickten dem nun dazu kommenden, älteren Dämon höflich zu. Keiner von ihnen hätte Tamahato den Respekt versagt. Formell besaß dieser zwar keinen sehr hohen Rang, aber er war der dienstälteste Krieger im Gefolge des Herrn des Westens und das wollte was heißen. Damit musste Tamahato schon mehr Kämpfe und Schlachten erlebt und überstanden haben als sich jeder hier vorstellen konnte, eine Tatsache, die ihm überall Bewunderung einbrachte. Nur seinem neuen Partner und Zimmergenossen Seto war das offensichtlich noch nicht recht bewusst. Er folgte Tamahato nur unter ständigem Nörgeln. „Es ist ja noch dunkel“, beschwerte sich der junge Hundedämon kurz darauf auch prompt bei dem Älteren, „wir sind ja viel zu früh dran! Bist du so erpicht auf unseren Wachdienst? Also, ich kann mir echt was Angenehmeres vorstellen als stundenlang an den Außenmauern herum zu patrouillieren, wobei doch eh keiner unbemerkt an das Schloss heran kommt. Außerdem, wer würde sich schon trauen uns hier anzugreifen... das ist doch eigentlich absolut blödsinnig, was wir da ständig machen...“ „Tu mir den Gefallen, Seto, und halt ein einziges Mal deine Klappe!“ Genervt von seinem jungen, nachfolgenden und dabei weiter vor sich hin schimpfenden Gefährten verließ Tamahato die Unterkunft der Soldaten. Vor ihm breitete sich nun ein typisch japanisches, aber sehr weitläufiges und bestaunenswertes Schlossgelände mit vielen verschiedenen Holzgebäuden und großzügig angelegten, teils verwilderten Gartenbereichen aus. Das gesamte Gelände war in eine von steilen Gebirgshängen umgebene Hochebene hinein gebaut worden und wurde von einem riesigen Park und einer daran anschließenden, uralt wirkenden Steinmauer umrahmt. In der Mitte, eingebettet zwischen einige Hügel, direkt hinter und über allen anderen Häusern, ragte das herrschaftliche Hauptgebäude auf. Es war ein altes, aber prächtiges, mehrstöckiges Dämonenschloss aus dunklem, edlem und reichhaltig verziertem Holz. Genau auf dieses Schloss ging Tamahato zu. Wenig später erreichten der alte Soldat und sein ihm folgender Partner einen vor dem herrschaftlichen Anwesen gelegenen, ausgedehnten Sandplatz. Manchmal wurde dieser Platz für verschiedene Zwecke der Repräsentation genutzt, meist stand er aber als Trainingsplatz für kriegerische Übungen zur Verfügung. Neben dem Sandplatz lag Tamahatos Ziel, dort befanden sich einige Lagerhäuser, darunter auch ein kleines Waffenlager, in dem sich Kage, der Hauptmann der fürstlichen Garde, häufig aufhielt. Dieser überprüfte und verteilte hier morgens die täglich anfallenden Aufgaben an seine Untergebenen. Bei einem Kriegsfall trug Kage die Verantwortung über das gesamte Dämonenheer des Westens, das je nach Bedarf passend ausgehoben und koordiniert wurde. Als Heerführer hatte er dann die höchste Stellung und Befehlsgewalt innerhalb der ganzen Streitmacht inne, abgesehen natürlich vom Herrn des Westens selbst. In friedlichen Zeiten wie zur Zeit hatte Kage dagegen nicht viel zu tun, denn während solcher Friedensperioden gab es nur die Schloss- und Grenzwache, um die er sich kümmern musste. Meist beschäftigte er sich daher nebenbei mit der Ausbildung und dem Training der Rekruten für die Fürstengarde. In den frühen Morgenstunden war erwartungsgemäß nur wenig los, denn viele der im Schloss lebenden Dämonen bevorzugten es wie Menschen nachts zu ruhen. Tamahato ließ seinen jugendlichen Gefährten am Rande des Sandplatzes vor dem Herrschaftsgebäude zurück und verschwand im Waffenlager, um sich pflichtgemäß bei Kage zu melden und sich den wöchentlichen Dienstplan aushändigen zu lassen. Seto hatte nichts dagegen draußen zu warten, er fand die routinierte Meldung zu Dienstantritt und das ganze dazugehörige, höfliche Gehorsamsgetue ziemlich langweilig. Eigentlich fand er sein gesamtes, bisheriges Soldatenleben im Dämonenschloss des Westens recht langweilig. Er hatte sich das weitaus spannender vorgestellt und auf viele abenteuerliche Kämpfe gehofft. Doch alles, was er bisher hatte tun dürfen, war unnötiges Wache schieben an irgendwelchen Toren, die keiner benutzte, oder sinnloses Herumpatrouillieren in einsamen Parkbereichen des Schlossgeländes, wo sich niemand sonst aufhielt. Dazwischen durfte er die Soldatenunterkünfte putzen oder bei einfachen Tätigkeiten der Waffenherstellung helfen. Das waren ebenfalls keine besonders aufregenden oder glorreichen Taten. Die einzige Abwechslung bot das tägliche, von Kage und Tamahato geleitete Kampftraining, doch selbst das artete oft nur in ermüdendes Exerzieren aus. Leise seufzend betrachtete der junge Hundedämon den Sandplatz vor sich. Der Platz war zur Zeit fast leer. Nur zwei Dämonenjungen, einer davon annähernd so alt wie Seto, der andere noch im Kindesalter, probierten dort mehr spielerisch als ernsthaft gegeneinander einen Schwertkampf. Desinteressiert sah Seto ihnen dabei zu. Es war leicht erkennbar, dass die zwei Übenden blutige Anfänger in Sachen Kampfkunst waren. Für den Kleineren der beiden war das nicht erstaunlich, denn der war für Dämonenverhältnisse erst eine kurze Zeitspanne auf der Welt. Er war ein sehr ziergliedrig gebauter, weißhaariger Junge und hatte große Mühen das in seinen Kinderhänden überaus lang und schwer erscheinende Kataana überhaupt festzuhalten, geschweige denn damit irgendwelche Schwünge auszuführen. Trotzdem versuchte sich der Kleine tapfer gegen seinen viel größeren Trainingspartner zur Wehr zu setzen. Dieser war braunhaarig, hatte eine deutlich dunkler gefärbte Haut und er war um einiges älter, fast ausgewachsen. Von seiner Art her erinnerte er ein wenig an einen Wolfsdämon. Seto verzog abschätzig die Mundwinkel. Falls das wirklich jemand mit Wolfsblut war, machte er seiner Rasse keine große Ehre, er machte eher einen enttäuschenden Eindruck. Er mochte vielleicht etwa in Setos Alter sein, Setos Stärke und Geschick erreichte er deshalb noch lange nicht. „Du bist neu hier?“ Erschreckt fuhr Seto zusammen und sah zur Seite, neben ihm stand plötzlich ein Mann, dessen Auftauchen er trotz seiner gut ausgeprägten Sinneswahrnehmung gar nicht bemerkt hatte. Altersgemäß war der Aufgetauchte wohl jünger als Tamahato einzuschätzen, sofern man das Alter bei Dämonen überhaupt richtig schätzen konnte. Menschen hätten irrtümlicherweise gesagt, dass er um die dreißig Jahre alt wäre. Er war sehr schlicht gekleidet, in helle Hosen und einen kaum gemusterten, vorwiegend weißen Haori. Seine hüftlangen Haare waren ebenfalls weiß und zu einem Zopf zusammengebunden. Eine Rüstung trug er nicht, Seto vermutete daher, dass er kein Krieger war. Möglicherweise ein hochgestellter Beamter. Immerhin sah er recht vornehm aus, denn seine Kleidung mochte einfach sein, bestand jedoch aus edelster Seide. Aus diesem Grund war es sicher angebracht sich ehrerbietig zu verhalten, auch wenn Seto sich eigentlich nicht besonders für ihn interessierte. „Ich bin Seto“, stellte sich der junge Hunddämon höflich vor und fügte nicht ohne Stolz hinzu: „Ich gehöre zur Fürstengarde. Und wer seid Ihr? Arbeitet Ihr auch im Schloss?“ Der Fremde lächelte leicht. „Ja, das könnte man wohl so sagen“, meinte er, „ich verwalte alles hier.“ „Aha, Ihr seid also der Schlossverwalter... hm, wie interessant...“ sagte Seto und hielt dabei angestrengt nach Tamahato Ausschau. Wo blieb der nur so lange? Der junge Hundedämon hatte keine Lust sich ausgerechnet mit einem Verwaltungsbeamten unterhalten zu müssen. Da war ja sogar Fußboden schrubben noch spannender. Der Schlossverwalter schien kurz nachzudenken, dann nickte er leicht und führte die Unterhaltung fort: „Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, müsstest du der Nachfolger von Gai sein, nicht wahr? Es ist gut, dass Tamahato wieder einen neuen Partner hat. Gais Tod bedeutete einen schlimmen Verlust, denn er und Tamahato waren quasi unzertrennlich und zusammen fast unschlagbar. Damit hast du allerdings eine schwere Aufgabe vor dir, es wird sehr hart für dich werden Gai einigermaßen ersetzen zu können. Ich hoffe, das ist dir bewusst und du gibst dir große Mühe!“ Etwas verblüfft starrte Seto den anderen an, der schien ja bestens über alles und jeden im Schloss informiert zu sein. Doch warum interessierte sich ein Verwalter für einen Krieger? Offensichtlich wollte er nur freundlich sein und Seto einen Ratschlag geben, doch dem jungen Hundedämon ging solch altkluge Besserwisserei extrem auf die Nerven. „Bisher habe ich nix davon gemerkt, dass ich irgendeine schwierige Aufgabe zu bewältigen hätte“, bemerkte Seto spitz, „bisher scheinen mich hier alle für einen Grünschnabel zu halten.“ Wieder zeigte der Weißgekleidete ein leichtes, etwas seltsames Lächeln. „Und du selbst hältst dich nicht für einen Grünschnabel?“ „Natürlich bin ich kein Grünschnabel! Wärt Ihr nicht irgend so ein hochtrabender Beamter, würde ich Euch das jetzt in einem Kampf beweisen!“ „Tatsächlich? Du würdest mich gerne herausfordern? Im Ernst?“ Der Schlossverwalter klang amüsiert. Plötzlich streifte er sich seinen Haori und das dazugehörige Untergewand ab und wandte sich an die zwei Trainierenden auf dem Sandplatz: „Yoshio, leih mir doch bitte mal dein Schwert!“ Der jugendliche Dämon und das mit ihm kämpfende Dämonenkind unterbrachen ihren Trainingskampf und drehten sich verdutzt um. Der Schlossverwalter nickte ihnen kurz befehlend zu. Daraufhin rannte der ältere, wolfsähnliche Dämon sofort herbei und brachte das gewünschte Schwert. Perplex gewahrte Seto, dass zudem von irgendwoher ein Diener herbeieilte, dem Schlossverwalter den ausgezogenen Haori abnahm und sich unter einer Verbeugung wieder entfernte. Was hatte denn das alles zu bedeuten? „Nun, was ist? Wolltest du mir nicht gerade beweisen, dass du kein Grünschnabel, sondern ein würdiges Mitglied der fürstlichen Garde bist?“ Irritiert blickte Seto auf den weißhaarigen Dämonen, der ihm nun mit bloßem Oberkörper und leicht erhobenem Schwert gegenüberstand. Dessen Augen funkelten in einer Mischung aus Herausforderung und Belustigung, sie hatten einen sehr ungewöhnlichen Farbton, es waren Spiegel aus Gold. Es dauerte eine Weile bis Seto registrierte, dass das kein Scherz war. Dieser vornehme Beamte, oder wer auch immer er war, hatte ihn wirklich herausgefordert und er wollte echt mit ihm kämpfen. Und er schien sogar Spaß an der Sache zu haben. Was war denn das für ein verrückter Würdenträger? „Also, ich weiß nicht, ob mir so ein Duell mit Euch überhaupt gestattet ist...“ murmelte Seto verunsichert. Er kannte sich noch nicht sehr gut mit den Sitten bei Hofe aus. Aber er wusste immerhin, dass er vom Rang her nur ein einfacher Soldat war, da durfte er doch sicherlich keinen hochrangigen Schlossbeamten verprügeln. „Keine Sorge, greif mich ruhig an“, erwiderte der andere äußerlich völlig ernsthaft wirkend, nur seine Goldaugen glitzerten leicht neckisch: „Niemand wird es wagen dir und mir diesen Kampf zu verbieten.“ In diesem Moment kamen Tamahato und der Hauptmann Kage aus dem Waffenlager. Beide blieben abrupt stehen, völlig entgeistert starrten sie Seto und sein Gegenüber an. Allmählich dämmerte es Seto, dass er offenbar etwas sehr Ungehöriges getan haben musste, allerdings war ihm nicht ganz klar, was und wie. Egal, da musste er jetzt wohl durch und der Möglichkeit zu einem Kampf war er sowieso noch nie ausgewichen. Er musterte nochmals interessiert seinen weißhaarigen Herausforderer und zog begierig sein Schwert, um die Herausforderung anzunehmen: „Also gut, wenn Ihr unbedingt ein paar Hiebe kassieren wollt... dann macht Euch mal auf was gefasst!“ Tamahato schlug sich die Hände vor das Gesicht und plumpste reflexartig zu Boden, er wirkte so als wolle er weinen. „Warum bin ich nur mit solch einem Schwachkopf als neuem Partner gestraft worden“, schluchzte er, „dieser Einfaltspinsel namens Seto bringt es tatsächlich fertig mich in weniger als einer Woche völlig zu blamieren... das ist zuviel, das ist einfach zuviel... bitte, Kage-sama, ich will sofort aus dem Dienst entlassen werden... ansonsten sehe ich mich gezwungen rituellen Selbstmord zu begehen, um den letzten Rest meiner Ehre zu retten...“ Seto hatte seine Umgebung derweil völlig vergessen. Mit einem angriffslustigen Schrei stürzte er sich auf seinen Gegner. Dieser machte nur eine leichte Drehung und wich der Attacke leichtfüßig aus. Setos Schwert schnitt in die Leere. Rasch wirbelte der junge Hundedämon herum und startete einen neuen Angriff, wieder ging sein Hieb ins Nichts. Das wiederholte sich mehrere Male. „Vielleicht solltest du versuchen in die Richtung deines Gegners zu zielen“, hörte Seto seinen Kontrahenten sagen. Was für ein arroganter Kerl, dachte der junge Hundedämon, dem würde er es zeigen! Voller Wut schlug er erneut zu, dieses Mal war er auch schnell genug, sein Schwert traf klirrend auf die Klinge seines Gegenspielers. Kurz sah er in dessen goldene Augen. „Gut gemacht“, sagte dieser nur, Seto war sich nicht sicher, ob das nun als Anerkennung oder Spott zu deuten war. Er kam aber nicht mehr dazu weiter darüber nachzudenken, im nächsten Augenblick schleuderte ihn ein blitzartiger Gegendruck durch die Luft quer über den gesamten Sandplatz. Völlig überrascht fand sich der junge Hundedämon rücklings am Boden wieder. Er setzte sich flink auf und konnte so gerade noch einen auf ihn herab sausenden Schwerthieb abfangen, der seinen Kopf wie eine reife Melone hätte halbieren können. Ein stechender Schmerz fuhr durch sein Handgelenk. Seto gab dem Druck ein Stück nach, zog sein Schwert drehend zurück und sprang mit einem Rückwärtssalto auf, wodurch der Schlag seines Kontrahenten kurz abgelenkt wurde. Der junge Hundedämon nutzte sofort seine Chance für eine neue Offensive, landete aber wieder in der Leere. Dieser merkwürdige Verwaltungsbeamte war eindeutig kein Stubenhocker, merkte Seto, sondern ein bestens ausgebildeter und äußerst geübter Schwertkämpfer. Genau genommen gab es nur eine Aussage, die dessen Kampftechniken richtig beschrieb: das war ein Profi! Aber das schreckte Seto nicht ab, es stachelte ihn nur noch mehr auf. Verbissen erhöhte er das Tempo, legte immer mehr Kraft in seine Attacken und eröffnete verschiedene trickreiche Manöver. Doch der erhoffte Erfolg blieb aus. Spielend leicht, gleich einem Tänzer, wich Setos Gegner jedem Angriff aus, er parierte nicht einmal ernsthaft. Irgendwann kam Seto schließlich die Erkenntnis: er hatte von Anfang an nicht den Hauch einer Chance gehabt. Sein Gegner spielte schon die ganze Zeit nur mit ihm und genau in der Sekunde, als Seto genau das bewusst wurde, wurde ihm auch schon sein Schwert aus der Hand geschlagen. Kurz darauf lag der junge Hundedämon wieder auf dem Rücken am Boden, völlig wehrlos, die stahlharte und perfekt geschärfte Klinge des gegnerischen Kataanas am Hals. Blinzelnd sah Seto auf. Die goldenen Augen, die prüfend auf ihn herab sahen, schienen seine ganze Seele zu durchdringen. Seltsamerweise war das aber gar nicht unangenehm, eher im Gegenteil, es fühlte sich an, als würden sich zwei Seelen füreinander öffnen, um sich gegenseitig Kameradschaft und Vertrauen anzubieten. Für diesen goldenen Blick, erkannte Seto in diesem Moment, würde er alles tun, er war sogar bereit dafür zu sterben. Der goldäugige Dämon zog die Klinge zurück und wandte sich von Seto ab. Er ging zu den zwei Dämonenjungen und gab dem älteren von ihnen das ausgeliehene Schwert zurück. Die beiden senkten demütig das Haupt. „Inu no Taishou...“ sagte der eine. „Chichi-ue...” der kleine Dämon neben ihm. Seto setzte sich auf und versteinerte. Sein Gesichtsausdruck ähnelte einem glotzenden Ochsen vor der Schlachtung. Hatte er da eben richtig gehört? Wie hatten der wolfsähnliche Jugendliche und das weißhaarige Dämonenkind daneben seinen Gegner gerade eben angesprochen? Inu no Taishou? Chichi-ue? War der Unbekannte etwa...? Bevor Seto aufstehen und seine Vermutung laut äußern oder anderes sagen konnte, drückte ihn etwas zurück auf den Boden. Tamahato war schleunigst an Setos Seite gelaufen, hatte den jungen Hundedämonen am Nacken gepackt, ihn neben sich auf die Knie gezwungen und presste nun fest sein Gesicht in die Erde. Seto hustete erstickt, er schluckte Staub und Sand. „Mein Herr und Fürst... verzeiht Eurem ergebenen Diener...“ hörte Seto seinen älteren Kampfgefährten unterwürfig sagen, Tamahatos Stimme zitterte dabei vor Aufregung, Angst und unterdrücktem Zorn. „Tamahato“, erklang daraufhin die unterbrechende Antwort: „Dein neuer, junger Partner hat eine ungewöhnliche Art sich bei mir bekannt zu machen. Doch ich muss gestehen, ich hatte Spaß daran. Pass aber künftig besser auf deinen Schützling auf! Dein kleiner Grünschnabel sollte nicht zu oft ausprobieren, an was ich Freude habe und an was nicht. Ein paar respektable Verhaltensweisen solltest du ihm auch beibringen. Sonst verliert er noch seinen eigenwilligen Kopf... Hm, und er sollte an seiner Schwerttechnik feilen, er kämpft viel zu hitzig, legt all seine Kraft in den Angriff und lässt dabei seine Verteidigung völlig außer Acht. Interessanterweise verhält er sich damit genau wie Yoshio und mein Sprössling... Ich wünsche, dass du mit Seto ab sofort täglich zwei Stunden extra trainierst. Bilde deinen Kameraden gründlich aus und zwar zur persönlichen Leibwache für meinen Sohn Sesshoumaru!“ Tamahato sah kurz erstaunt aus seiner knienden Haltung auf, dann senkte er schnell wieder ergeben seinen Blick. „Ja natürlich, gerne... Euer Wunsch ist mir Befehl, Oyakata-sama!“ Als Seto endlich aus Tamahatos eisernem Griff freigegeben wurde, endlich wieder frei atmen, aufblicken und aufstehen durfte, waren die beiden Hundedämonen allein auf dem Sandplatz. Verstohlen sah sich Seto um, doch er konnte weder Kage noch die beiden Dämonenjungen entdecken. Auch der unbekannte Beamte, der Seto im Duell besiegt hatte, war fort. Der Fürst, korrigierte sich Seto sofort verschämt in Gedanken, das war nicht ein bloßer Beamter, das war der Fürst selbst gewesen! Peinlicherweise hatte er ihn mit dem Schlossverwalter verwechselt... Bei allen Mächten, es war kaum zu glauben, er hatte sich tatsächlich mit dem Herrscher des Westens höchstpersönlich duelliert! „Da hast du aber unverschämtes Glück gehabt, Bürschchen!“ unterbrach Tamahato die Überlegungen des Jüngeren: „Weißt du, dass es mit der Todesstrafe geahndet werden kann seinen Herrn herauszufordern? So etwas grenzt an Verrat! Der Herr hätte das Recht gehabt, dich für deine Respektlosigkeit bei lebendigem Leib zu sezieren.“ „Ich habe ihn doch gar nicht herausgefordert“, begehrte Seto auf, „er hat mich herausgefordert. Und woher sollte ich denn wissen, dass das Inutaishou, unser Fürst, ist? Ich kannte ihn doch bisher überhaupt nicht, ich habe geglaubt, der sieht viel älter aus. Und ich dachte, der Herr ist mit seiner Familie auf Reisen, irgendwo im Süden, das hast du mir doch selbst erzählt!“ Tamahato seufzte leise. Seinem jungen Gefährten die gängigen, höfischen Umgangsformen, Respekt und Verstand einzubläuen, war eindeutig die schwerste Aufgabe. „Unser Fürst ist am gestrigen Abend überraschend zurückgekehrt“, gab er daraufhin widerwillig eine Erklärung ab: „Kage-sama hätte dich ihm heute normalerweise bei einer Audienz zusammen mit den anderen Neulingen vorgestellt, aber... na ja, jetzt hast du ihn ja schon kennengelernt und diese abnorme Begegnung erstaunlicherweise sogar überlebt. Der Herr muss bei sehr guter Laune gewesen sein... Und warum er dir nach all dem solch hohe Ehre erweist und dich zum Leibwächter für seinen Sohn erwählt, ist mir ein absolutes Rätsel...“ „Ah ja, dieses kleine, weißhaarige Kind da...“ überlegte Seto laut fragend: „Das war also Inutaishous Sohn?“ Blitzartig fuhr Tamahato herum, holte mit seiner Linken aus und versetzte Seto damit einen derben Schlag über den Schädel. „Dieses KIND DA, wie du es nennst, ist der Kronprinz und künftige Erbe des Westens, es hat im kleinen Finger mehr Macht als du! Sein Name lautet Sesshoumaru-sama! Und wenn du in seiner Nähe nur eine unflätige Bemerkung machst, oder dich ihm gegenüber je anders als ein demütig kriechender Hund benimmst, mache ich eigenhändig Grillfilet aus dir! Verstanden?“ Seto rieb sich den schmerzenden Kopf. „Ja, schon klar... ich hab’s kapiert.“ Dem war sich Tamahato nicht so sicher, aber er beließ es dabei. „Komm mit, wir sind heute zur Wache im Ostgelände eingeteilt.“ Innerlich grummelnd folgte Seto seinem Gefährten. Schon wieder langweiliger Wachdienst, dachte er. Aber zugegebenermaßen sollte er sich heute lieber nicht mehr beschweren. Immerhin war er, ohne recht zu wissen wie, plötzlich von einem einfachen Rekruten zum fürstlichen Leibwächter aufgestiegen. Zudem war noch einer seiner Wünsche erfüllt worden, endlich hatte er tatsächlich etwas Aufregendes erlebt. Jetzt habe ich was Einzigartiges zu erzählen, kam es ihm in den Sinn. Und mit diesem Gedanken lag Seto völlig richtig. Der junge Hundedämon war zwar nicht der Erste und Einzige, der mal gegen den Inu no Taishou, den mächtigen, dämonischen Beherrscher des Westens, gekämpft hatte. Aber außer Seto gab es sonst kaum jemanden, der von solch einem Kampf noch hätte erzählen können. Soweit das erste Kapitel. Und was hat das jetzt mit dem Prolog zu tun, mögt ihr euch vielleicht fragen?! Tja, nicht sehr viel, das gebe ich zu. Aber Geduld, die Geschichte fängt ja erst an. Ich muss erst die einzelnen Fäden spinnen bevor ich sie verknüpfen kann... Hoffentlich gefiel es euch ein bisschen. Im nächsten Kapitel bekommt Seto einen Vorgeschmack darauf, dass er sich lieber nicht über sein langweiliges Leben im Schloss des Westens hätte beschweren sollen. Bodyguard ist nicht unbedingt ein Traumjob. Und tja, wer meckert, der macht eben die Schalkhaftigkeit des Schicksals auf sich aufmerksam... Über Kommentare freue ich mich sehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)