Wo ist dein Lächeln hin? von Yujianlong ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war ein Montagmorgen wie jeder andere. Ich kam ins Klassenzimmer und du hast da gesessen, wie jeden Morgen. Doch irgendetwas war anders. Ich brauchte fast eine ganze Lektion um zu begreifen, was es war. Es war Mitte Juni, also verdammt heiß draussen, und dank unserer nicht vorhandenen Klimaanlage, auch drinnen unerträglich warm. Und das war es, was nicht passte. An solchen Tagen trugen die Mädchen kurze Hosen oder Röcke und ein möglichst ärmelloses Shirt. Du aber hattest einen schwarzen Rollkragenpulli an und lange, dunkle Jeans. Mit leicht gerunzelter Stirn ging ich in die nächste Stunde. Du würdest schon eine guten Grund dafür haben, Sommergrippe vielleicht. Den Rest des Tages verschwendete ich keinen weiteren Gedanken daran. Auch den Rest der Woche über warst du mit Rollkragen und langen Hosen in der Schule. Tatsächlich krank. Wieder war es Montag. Ich kam ins Klassenzimmer und du warst schon da, mit Rollkragenpulli und langen Jeans. Hartnäckige Krankheit. Auch diese Woche warst du verhältnismässig warm angezogen. Doch in diesen Tagen fiel mir noch etwas anderes auf, du warst seltsam still. Klar, du hast nie besonders viel zum Unterricht beigetragen, aber so wenig habe ich noch nie von dir gehört. Du alberst nicht mit den anderen herum, du lachst nicht mehr. Seltsam. Aber fragen kann ich dich ja schlecht. Wir haben so gut wie nie miteinander zu tun. Mal eine Frage nach den Hausaufgaben, oder wo wir als nächstes Schule haben, mehr nicht. Also wie soll ich rausfinden, was mit dir los ist? Bingo! Deine Freundin. Deine allerbeste Freundin wird schon wissen was mit dir los ist. Und die geht ganz per Zufall mit meinem besten Freund. Praktisch, echt praktisch. Das war wohl nichts. Deine Freundin hat mich mit zwei brutalen Argumenten abgewürgt. Erstens, ich soll dich selbst fragen, auch wenn ich keine Antwort bekommen würde. Und zweitens es gehe mich nichts an. Na toll. Wieso sagt sie mir, ich solle dich fragen und stellt im gleichen Atemzug klar, dass du mir sowieso nicht antworten würdest. Ich liebe solche Antworten. Triefender Sarkasmus! Drei weitere Tage vergingen. Und dir ging es offensichtlich nicht besser. Shit! Das Wochenende kam und ging, und ich machte mir immer mehr Sorgen um dich. Ich kam am Montag noch etwas früher als sonst, und traf dich nicht im Klassenzimmer an. Ich ging wieder nach draussen und hörte ein leises Schluchzen. Es kam aus der Mädchentoilette. Ein absichernder Blick auf die Uhr, die anderen würde erst in circa zehn Minuten auftauchen. Ich öffnete die gelbe Tür und schaute hinein. Da sasst du. Mit Tränen in den Augen und mit kurzärmligem Shirt. Deine Arme waren von roten Linien überzogen. Keine Schrift, wie es manchmal der Fall ist, nur leuchtend rote Linien. Ich zog scharf die Luft ein, was dich aufschrecken liess. Du versuchtest deine Arme am Körper zu verberbergen und dir gleichzeitig über das Gesicht zu fahren. Aber selbst das nützte dir nun nichts mehr, ich hatte doch eh schon alles gesehen. Langsam trat ich in den Raum und schloss die Tür hinter mir. Das war offenbar falsch. Du zucktest zusammen, fuhrst hoch und drücktest dich gegen die Wand. Dein Blick war panisch. Suchend schautest du durch den Raum. Was du wohl suchtest? Vorsichtig kam ich einen Schritt näher. Schon wieder falsch. Jetzt schriest du, schriest, dass ich dich in Ruhe lassen soll. Erkanntest du mich nicht? Bevor ich irgendetwas anderes machen konnte, knallte die Tür auf und deine beste Freundin kam rein. Ihr Blick war nicht halb so panisch wie deiner, eher wütend. Ein gezischtes 'Raus', dann drängte sie sich an mir vorbei und schloss dich hastig in die Arme. Als sie merkte, dass ich immer noch hier stand, schaute sie mich böse an und ich verschwand. Ich musste dringend noch mal mit meinem Freund reden. Es dauerte eine weitere Woche, bis ich ihn wieder sah. Warum konnte er nicht auch auf diese Schule gehen? Eine weitere Woche die ich ohne Informationen verbringen musste. Samstagabend. Ich hatte mit ihm ausgemacht, dass wir uns in seiner Lieblingskneipe treffen würden. Ein halbdunkler, ziemlich stickiger Raum, in dem man dank den etlichen Nischen auch mal seine Ruhe hatte. Das Gespräch war sehr aufschlussreich, immer wenn ich dich auch nur erwähnte, blockte er ab. Doch dann erzählte ich ihm von der Begegnung am Montag morgen. Wäre schön gewesen, wenn er mir nun erklärt hätte, was mit dir los war. Machte er aber nicht. Er sagte mir nur, dass ich dich in Ruhe lassen und keine dummen Fragen stellen sollte. Toll, richtig aufschlussreich. Montag. Alles wie gehabt. Doch heute würde mir deine Freundin nicht ausweichen können. Ich würde so lange auf sie einreden, bis ich wusste was los war. Oder zumindest, bis ich wusste warum ich dich in Ruhe lassen soll. Aber der Morgen brachte eine Überraschung. Du warst nicht im Schulzimmer. Leise ging ich in Richtung Mädchentoilette, doch von dort war nichts zu hören. Als die Stunde dann anfing, erklärte deine Freundin dem Lehrer du seiest beim Arzt. Der schon etwas ältere Mann blickte sie kurz fragend an, worauf sie nickte. Langsam hatte ich das Gefühl, dass das eine Verschwörung war. In der grossen Pause ging ich zu deiner Freundin und frage, wieso du denn zum Arzt musstest. Keine Antwort, oder zumindest eine, die mich nicht zufrieden stellte. Du müsstest zu einer Kontrolle. Betonung auf eine. Aber so schnell gab ich nicht auf und schliesslich hatte ich sie dazu gebracht, am Mittag mit mir zu reden. Als ich am Treffpunkt ankam, sass deine Freundin schon unter einem Baum. Ich setzte mich ihr gegenüber hin und warte. Denn ich hatte das Gefühl, dass ich sowieso die falsche Frage stellen würde. Es dauerte einen Moment, bevor sie die Stille durchbrach. Doch anstatt mir eine Erklärung zu geben, fragte sie mich, warum mich das überhaupt interessiere. Die Antwort darauf war einfach, auch wenn ich vielleicht nicht die ganze Wahrheit sagte. Ich möchte einfach wissen, warum es dir in letzter Zeit so schlecht ging und warum du Letztens so panisch reagiert hattest. Von den roten Linien ganz zu schweigen. Sie schaute mich lange an. Was sie wohl dachte? Eigentlich egal, hauptsache ich erfuhr endlich was hier los war. Vielsagend war die Info ja nicht. Aber immerhin. Ich wusste bis jetzt nicht, wo du warst. Na soweit komme es noch, hat sie gesagt. Sie wird mir das niemals sagen! Trotzdem hatte sie mir einen kleinen Tipp gegeben, wie ich mich nicht verhalten sollte: Keine engen Räume, wenn wir nur zu zweit sind. Nicht auf deine Arme oder den Weinkrampf ansprechen. Und zu guter letzt: Ich solle mich da raus halten. Es sei keine Angelegenheit bei der ein Mann helfen könne. Und wie sollte ich das denn verstehen? So wie das klang, hattest du irgend ein Trauma. Aber was für eines. Ich meine, hallo, woher sollte ich das denn wissen? Ich kannte dich ja eigentlich nicht. Hatte kaum mit dir zu tun. Und trotzdem liess mich nicht los, was mit dir passiert sein konnte. Ich wollte es immer noch herausfinden. Aber wie? Deine Freundin machte jetzt wohl komplett dicht und mein Kumpel wusste scheinbar auch nicht viel. Wen könnte ich also noch fragen? Auf die Schnelle fielen mir nur noch die Lehrer ein. Die hatten dich nämlich erstaunlicherweise die ganze Zeit in Ruhe gelassen. Das war zumindest beim Chemielehrer nicht normal. Der nahm jeden einmal an die Reihe, aber du hattest die letzten Wochen gar nichts gesagt. Die Lehrer. Sie würden mir bestimmt keine Informationen geben, aber ich würde es trotzdem probieren. Nicht mehr heute, aber morgen. Am besten würde ich die Mathelehrerin fragen, mit ihr hattest du dich immer gut verstanden. Die schwarzhaarige Lehrkraft schaute mich stirnrunzelnd an. War zu erwarten. Ich dachte mir schon, dass sie nichts erzählen würde und wollte mich schon mit einer Entschuldigung zur Tür wenden, als sie doch noch anfing zu reden. Sie fragte mich, genau wie deine Freundin, nach dem Grund für meine Neugier. Ich erklärte ihr knapp meine Beobachtungen und erwähnte nebenbei den Vorfall in der Mädchentoilette. Die Lehrerin stand auf, ging zur Tür und schloss ab. Dann setzte sie sich wieder und deutete auf den Stuhl vor dem Lehrerpult. Ob ich wisse, dass sie mir überhaupt nichts erzählen dürfe, fragte sie mich. Natürlich wusste ich das. Sonst hätte ich es schon längst aus jemandem raus bekommen. Schon vor einer Woche, ja schon viel früher! Aber ich nickte nur. Sie meinte, dass sie ihren Job verlieren könne. War es denn so schlimm? Was war dir denn so schlimmes passiert, dass sie dafür entlassen werden konnte. Ich sagte aber nichts. Wenn sie mir etwas erzählen wollte, brachte es nichts sie zu drängen. Als ich das Klassenzimmer verlassen hatte, hatte ich die nächste Lektion komplett vergessen. Du seiest bei einem Psychiater. Ich war ziemlich schockiert. Langsam begann das Puzzle Gestalt anzunehmen. Deine Panik auf der Toilette. Nicht nur zu zweit in einem Raum. Eine Situation bei der kein Mann helfen kann. Der Psychiater. Ich würde noch einmal mit deiner Freundin reden. Ich wollte dir helfen. Ich wollte dir unbedingt helfen. Ich musste doch irgendetwas tun können. Ich wünschte, ich könnte. Und doch wusste ich, dass ich keine Chance hatte. Deine Freundin hatte ja recht. Das war keine Angelegenheit, bei der ein Mann helfen konnte. Jetzt sass ich hier in der Schulbibliothek. Zusammen mit deiner besten Freundin. Sie blickte mich ruhig an. Aber auch sehr durchdringend. Wie ich das herausgefunden hatte, fragte sie stumm. Was sollte ich ihr sagen? Ich konnte ja schlecht erklären, dass ich die Lehrerin ausgequetscht hatte. Die Entscheidung wurde mir abgenommen. Du kamst nämlich gerade zur Tür rein.Deine Augen waren gerötet und du trugst ein langärmliges Shirt, aber dein Lächeln schien echt zu sein. Ein Lächeln. Ich konnte es nicht fassen. Du lächeltest! Als du mich sahst, hobst du eine Augenbraue, kamst aber trotzdem zum Tisch und setztest dich. Allerdings weit weg von mir, egal. Sie schob dir einige Blätter rüber, die sie aus ihrer Mappe geholt hatte. Erklärte kurz was wir gemacht hatten und ging dann zu den Erzählungen des Unterrichts über. Ich kam mir schon überflüssig vor und wollte aufstehen, doch du schautest auf, griffst nach meiner Hand und zucktest zurück. Ein leises 'Sorry' und du wantest dich ab. Ich setzte mich wieder. Du lächeltest. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)