Meet me under the blue moon von abranka ================================================================================ Kapitel 2: Out of the ashes --------------------------- „Takeshi?“ „Hm?“ Sakakita Takeshi, seines Zeichens Backgroundmusiker und engster Freund von Kaito, hob den Kopf. Er hatte sich bequem auf das weiche Ledersofa gelümmelt und wirkte beinahe etwas entnervt, dass er in seinem Alkoholkonsum gestört wurde, obwohl es sich immerhin um Kaitos Wohnung handelte, in der sie sich gerade befanden. „Warst du schon mal verliebt?“ Kaito hielt den Kopf gesenkt. Die hellblau gefärbten Haare mit den tiefblauen Strähnen fielen ihm ins Gesicht und verbargen es vor allzu neugierigen Blicken. Er war nicht so aufdreht und hysterisch wie sonst, sondern erstaunlich ruhig und nachdenklich. „Klar.“ Takeshi grinste breit und richtete sich auf. Die Wodkaflasche ließ er dabei allerdings nicht los. Er nahm noch einen tiefen Schluck daraus. „Wieso? Hast du dich etwas verguckt, Kaito-chan?“ Sein Grinsen wurde anzüglich. „In Sachiko, dieses süße Ding? Na, ich kann dich verstehen. Sie ist niedlich und hat auch ordentlich was zu bieten...“ „Nein, nein. Nicht Sachiko“. Kaito schüttelte heftig den Kopf und ließ die blauen Strähnen fliegen. Er lächelte schwach und drehte das volle Whiskyglas zwischen seinen Fingern. „Wer ist es denn dann? Komm schon, Kaito-chan, mir kannst du es doch sagen.“ Takeshi lachte und schlug Kaito – auch bekannt als OCEAN, einer der hellsten Sterne am japanischen Pophimmel – auf die Schulter. Kaito wusste nicht, ob es eine gute Idee war, über das zu reden, was in ihm vor sich ging. Aber er hatte auch das Gefühl, dass er platzen würde, wenn er es denn nicht tat. Und er konnte kaum mit jemand anderes als Takeshi sprechen. Außerdem waren sie doch beste Freunde, nicht wahr? „Du verrätst es niemandem?“, fragte er leise. „Musikerehrenwort“, lautete die prompte Antwort. „Natürlich nicht.“ „Kaito!“ Die helle Stimme seiner Managerin riss den Sänger zwei Tage später aus seinem wohlverdienten Schlaf. Gemeinsam mit seinem Songwriter Hiroshi, den er vor drei Jahren durch einen unglaublichen Zufall kennengelernt hatte, hatte er die ganze Nacht über im Studio an Songs für sein neues Album gefeilt. Irgendwann waren sie beide eingeschlafen, Hiroshi an dem kleinen Schreibtisch, den Stift noch in der Hand, Kaito über dem Mischpult. „Kaito! Verdammt, was ist das hier?“ Sachiko knallte dem noch immer reichlich benebelten Popstar die Ausgabe der Morgengazette vor die Nase. „Hä?“ Verpennt fuhr sich Kaito durch die blauen Haare und versuchte durch schnelles Blinzeln klare Sicht zu bekommen. Hiroshi schaltete – wie so oft – weitaus schneller. Er stand schon neben Sachiko und nahm ihr die Zeitung aus der Hand. „OCEAN schwul! – Enger Freund des Sängers im Exklusivinterview der SIGHT“, las dieser vor. Er zog eine Augenbraue hoch und sah Kaito an, der erst leichenblass wurde und dann schlagartig knallrot anlief. „Das... das...“, stammelte dieser und sah hinüber zu Sachiko, suchte nach Hilfe in ihrem Gesicht und fand dort nur eine steinerne Miene, die ihm mitteilte, dass er in wirklichen Problemen steckte und gerade nicht ihre übliche Bemutterung erwarten konnte. Sein Blick flackerte wieder hinüber zu Hiroshi, auf dessen Gesicht er gar nichts lesen konnte. Weder Schock, noch Angewiderheit, noch sonst was. Gar nichts. „Ich...“, brachte er noch hervor, dann tat er das Einzige, was ihm einfiel: Er sprang auf und rannte weg. Sein Weg führte ihn hinaus auf die Straße, zum nächstbesten Taxi und mit einem Zwischenstopp am erstbesten Kiosk in seine Wohnung. Dort ließ er sich auf das weiße Designersofa fallen, auf dem er doch vor kurzem erst mit jemandem gesessen hatte, den er für seinen Freund gehalten hatte. Kaito biss sich auf die Unterlippe und knetete seine Hände. Dann erst schlug er das Revolverblatt auf und las den Artikel, zitternd, nervös und auf das Schlimmste gefasst. Und das Schlimmste trat ein. Takeshi hatte all das weitererzählt, was er ihm an diesem Abend angetrunken und mit großer emotionaler Last unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte. Kaito verlegte sich darauf, seinen Daumennagel zu misshandeln, während er auf die Worte starrte, die sein Schicksal zielsicher sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht besiegelt hatten. ‚Nachdem er eine halbe Flasche Whisky intus hatte, kam er rüber und ich dachte schon, er wollte mich wieder anbaggern, aber dann hat er damit rausgerückt, dass er sich doch tatsächlich in seinen Songwriter – Kitagawa Hiroshi (Anmerkung der Redaktion) – verliebt hat.’ Danach folgten noch ein paar Lügen über angebliche sexuellen Belästigungen während ihrer Zusammenarbeit. Aber es war dieses eine Körnchen Wahrheit, das Kaito in absolute Verzweiflung stürzte. Er konnte nur dementieren. Selbst, wenn er sich selbst damit verleugnete. Sachiko würde ihm sicher genau das raten. Ihm war danach, hysterisch jammernd durch den Raum zu springen, doch das half nicht. Das half nur, wenn jemand da war, der alles für ihn regeln würde. Aber hier war niemand. Er musste selbst sehen, wie er aus dieser Sache rauskam, seine Karriere rettete und die Zusammenarbeit mit Hiroshi nicht vollkommen unmöglich machte. Selbst, wenn er ihn schon beinahe schmerzlich liebte... Der metallische Geschmack von Blut benetzte seine Zunge, als er endlich eine Entscheidung traf. Keine zwei Minuten später rief er bei der beliebtesten Musiksendung des japanischen Fernsehens an. „Kaito! Wir haben uns Sorgen gemacht!“ Den Zweitschlüssel in der Hand stürmte Sachiko in die Wohnung, dicht gefolgt von Hiroshi. „Hey!“ Kaito wandte sich mit einem strahlenden Lächeln zu den beiden um. Er hielt ein Glas Champagner in der Hand, eine Belohnung für seinen Triumph. „Macht euch keine Gedanken, ich habe offiziell dementiert!“ Sachikos Gesichtszüge entgleisten. „Du hast was?“ Fassungslos starrte sie ihren Schützling an. Sie war von Kaito einiges gewohnt – insbesondere hinsichtlich kindischer, reichlich dummer und naiver Aktionen – aber das hier, das schlug dem Fass doch wirklich den Boden aus! „Bist du verrückt geworden? So etwas zu tun, ohne mit mir zu sprechen!“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Du hast eine Lawine losgetreten, Kaito!“ Verständnislos sah Kaito sie an, blickte dann an ihr vorbei zu Hiroshi, der die Tür leise geschlossen hatte. Er stand einfach nur da, schaute ihn mit diesem tiefen Blick an und brachte Kaitos Herz zum Rasen. So wie es sich bei ihrer ersten Begegnung schon mit einem heftigen Kribbeln in seinem Bauch angekündigt hatte, hatte sich dieses Gefühl immer mehr verstärkt, bis er an diesem Punkt angelangt war. Er liebte ihre Zusammenarbeit. Er liebte die Tatsache, dass Hiroshi immer zu verstehen schien, was er so unbeholfen auszudrücken versuchte. Er liebte es, an ihn gelehnt auf der Dachterrasse zu sitzen, Hiroshis Gitarrenspiel zuzuhören, die Sterne des Himmels über und die Lichter Tokios unter sich zu sehen. Hatte er das verspielt? Würde Hiroshi sich von ihm abwenden? Abrupt sah er wieder Sachiko an. „Kaito, wenn du noch ein einziges Mal in deinem Leben beschließen solltest, eine Stellungnahme ohne mich abzugeben, kannst du dir einen neuen Manager suchen! Und jetzt werde ich versuchen, diese Scherben zusammenzufegen.“ Damit wirbelte Sachiko auf dem Absatz herum und stürmte davon. Die Tür schlug laut hinter ihr zu. Kaito stellte das Glas langsam auf dem Sofatisch ab. Jetzt kam er sich wirklich blöd vor. Anstatt, dass er irgendetwas besser gemacht hatte, war alles nur noch viel schlimmer geworden. War ja klar... Konnte er denn nicht einmal im Leben etwas richtig machen? Etwas alleine schaffen, ohne dass ihn jemand an die Hand nahm und ihn betüddelte, damit alles klappte? Er wandte sich um und ging zum Fenster. Still blickte er auf die Bewegung auf der Straße hinunter. Von hier oben wirkte das alles so, als wenn sich dort Ameisen bewegen würden. Wie eine Spielzeugwelt. „Alles klar?“, fragte Hiroshi sanft, während er neben ihn trat. „Abgesehen davon, dass ich mal wieder alles falsch gemacht habe, ist alles bestens“, erwiderte Kaito sarkastisch und schloss die Augen. Sein Herz erinnerte ihn an einen kleinen Vogel, der verzweifelt mit den Flügeln schlug und doch nicht aus seinem Käfig entkommen konnte. „Wenn du reden willst, ich bin da, okay?“ Kaito nickte schwach. Was sollte er denn groß reden? Sollte er sagen: ‚Oh, hey, der ganze dämliche Artikel ist erstunken und erlogen, abgesehen von der Tatsache, dass ich mich in dich verliebt habe?’ Wohl eher nicht. Die Tage und Wochen zogen dahin und aus dem kleinen Artikel wurde ein handfester Skandal. Schließlich ging es so weit, dass sich einige Fanclubs auflösten und Kaitos aktuelles Album und die entsprechende Single nach einem kurzen Aufstieg in den freien Fall übergingen. Analysen und Gespräche mit angeblichen Freunden in den Zeitungen, im Fernsehen und im Internet häuften sich immer mehr. Alles war aus dem Ruder gelaufen und selbst Sachiko wusste kaum noch, was sie tun sollte. „Kaito, alles, was mir noch einfällt, ist, dass du sie mit deiner Musik überzeugen musst. Und vielleicht... ein offenes Interview gibst. Ganz gezielt in einer niveauvollen Talkshow“, schlug seine Managerin schließlich als letzten Versuch vor. „Und dort solltest du vielleicht auch einen neuen Song präsentieren... Dafür hättest du dann jetzt noch... drei Tage Zeit, wenn wir den Termin buchen. Was meinst du?“ Kaito nickte. „Okay.“ Drei Tage, die er mit Hiroshi zusammen an einem Lied feilen würde. Drei Tage, in denen er nicht wissen würde, was er sagen oder tun sollte. Drei Tage, in denen ihm ständig vor Augen geführt werden würde, dass sich etwas zwischen ihnen geändert hatte. Denn auch wenn Hiroshi kein Wort zu dem Artikel verloren hatte, kam er verändert vor. Oder war er selbst anders? Er hatte keine Ahnung. Und das machte ihn noch schier wahnsinnig. „Out of the ashes The phoenix rises again Out of the ashes I’ll come back again…” Hiroshi nickte und lächelte. „Das ist wirklich klasse. Und die Melodie...“ Er spielte einige Töne auf dem Klavier an. „Noch ein bisschen tiefer. So hoch komme ich mit der Stimme nicht“, mischte sich Kaito ein und schob seinen Arm an Hiroshis vorbei zu den Tasten. Eine kurze Berührung, die seine Nerven regelrecht in Flammen setzte. Dann tippte er einige Töne an. „Ja, genau.“ Hiroshis Hand legte sich wie selbstverständlich über seine und spielte die Kombination erneut. Kaito blickte ihn von der Seite an. War das Absicht oder tat er das einfach nur, weil sie immer so miteinander umgegangen waren? Glaubte er das, was in der Presse gesagt wurde? Oder nicht? Die schwarzen Haare fielen Hiroshi wieder einmal in die Stirn und gaben ihm sein ganz spezielles, etwas verwegenes Aussehen. Die leuchtenden, dunklen Augen waren niedergeschlagen, der Blick ganz auf die Tastatur des Klaviers konzentriert. Wunderschön... Und er roch wieder so gut... Kaito verbiss sich erneut einen Seufzer und zwang sich zur Konzentration auf ihre Aufgabe. Bis Morgen musste dieses Lied fertig sein. Ansonsten hatte er nichts, was er bei der Talkshow vor seinem Interview präsentieren konnte. Und dieses Lied musste ein Knaller sein, denn es sollte sein Comeback einleiten! Er war nervös. Es ging ihm weniger um den Auftritt – den Song kannte er mittlerweile in- und auswendig, da würden keine Texthänger passieren. Die Bühnenshow saß, alles passte. Nein, was ihm Sorgen machte, war das Interview danach. Sachiko hatte gesagt, dass er am besten einfach so ehrlich sein würde, wie es ihm möglich war – und solange er nicht irgendwelche Dinge aussprechen musste, die ihm unangenehm waren. Es leuchtete ihm ja ein, dass dieses Vorgehen am sinnvollsten war, aber dennoch... Sachiko und Hiroshi würden hinter der Bühne sein und auf ihn warten, ihm die Daumen drücken und alles. Er war froh, dass sie da waren – und gleichzeitig wünschte er sich doch, allein zu sein, damit er sich ganz auf sich selbst fokussieren konnte. Das ging kaum, wenn Hiroshi da war... Hiroshi. Er seufzte tief und straffte die Schultern. Er durfte sich nicht wahnsinnig machen. Das versuchten schon genug andere, da musste er nicht selbst auch noch einen Beitrag zu leisten. Der Auftritt war gut gelaufen – oder anders ausgedrückt: Er war der Knaller gewesen. Und jetzt saß er in diesem Sessel und wartete auf die Fragen des Moderators. Moment. Wollte er darauf überhaupt warten? „Numa-san, darf ich bitte direkt etwas sagen?“, bat er höflich und neigte den Kopf. Der Moderator nickte überrascht. Er war auf ein Enthüllungsinterview vorbereitet gewesen, nicht darauf, dass sein Gast auf einmal derart die Initiative ergriff. „Numa-san, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Fans, ich weiß, in den letzten Wochen wurde viel über mich spekuliert. Was Sakakita-san in diesem Interview hinsichtlich einer sexuellen Belästigung von meiner Seite gesagt hat, waren Lügen. Genauso ist es gelogen, dass ich schwul wäre. Allerdings bin ich bisexuell.“ Er blickte fest in die Kamera, bemüht, die Zuschauer zuhause vor dem Fernseher ganz genau zu fokussieren. „Das einzige bisschen Wahrheit, das dieser Artikel enthält, ist die Tatsache, dass ich Sakakita-san – den ich für einen wahren Freund hielt, bis er diesen schändlichen Verrat begangen hat –, dass ich ihm erzählt habe, dass ich mich in meinen Songwriter verliebt habe. Aber ich denke, das ist nichts, was in die Öffentlichkeit gehört, sondern das ist mein Privatleben. Ich wurde dazu gezwungen, öffentlich Stellung zu beziehen und das tue ich hiermit, weil ich mich nicht selbst verleugnen werde. Der Rest jedoch ist mein Privatleben und wird als solches nicht Teil meiner öffentlichen Person sein.“ Er hatte seine Worte ganz bewusst so gewählt, dass keine Fragen mehr offen blieben. Numa stellte nur noch ein paar belanglose Fragen, die er schnell abhandeln konnte. Dann durfte er endlich wieder hinter die Bühne, wo Sachiko und Hiroshi ihn bereits erwarteten. Unsicher flackerte sein Blick zu Hiroshi hinüber, doch dieser lächelte. Er lächelte! Auf Kaitos Gesicht breitete sich ein umfassendes Strahlen aus. Ein Lächeln, das war ihm mehr als genug. Mehr erwartete er doch gar nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)