Wüstenblume von abgemeldet (Zwischen Glamour und Gosse) ================================================================================ Kapitel 6: Ein neues Leben -------------------------- Farben, überall Farben. Sie schienen sie verleiten zu wollen. Doch zu was? Sakura nahm alles intensiver wahr. Der Kasten war nun nicht mehr hellbraun, sondern hatte einen Farbton zwischen Okka und Sand. Sie hatte zu wenig Farbwörter, um alles beschreiben zu können, was sich ihr darbot. War es Einbildung oder die erste Wirkung der Drogen? „Was soll denn das?“, fragte sie sich selbst. Für eine Anfängerin hatte sie um einiges zu viel von dem Lysergsäurediethylamid erwischt. LSD. Doch das war ihr nun egal. Um nichts auf der Welt wollte sie dieses Glücksgefühl hergeben. Überglücklich schmiss sich Sakura auf ihr Bett und rollte sie von der einen auf die andere Seite. Sie lachte und sprang wieder auf. Unwillkürlich schlängelte sich das schlechte Gewissen in ihr Bewusstsein, dennoch kam es nicht ganz durch. Wie aufgekratzt sprang sie durch die Wohnung, vom Wohnzimmer in die Küche. Dort nahm sie sich ein Glas Cola und schluckte es gierig hinunter. Wie lange hatte sie dieses köstliche Getränk schon nicht mehr getrunken? Zu lange! Wieso es überhaupt in ihrem Kühlschrank stand war ihr egal. Sie wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Als sie eine der vielen CDs einlegte und wild tanzte und sang verschüttete sie das Getränk. Selbst als sie ausrutschte und hinfiel lachte sie und rappelte sich wieder auf. Es entlockte ihr nur ein „Hoppla“. Dann sprang sie wieder quietschvergnügt herum. Wie lange dieses Gefühl andauerte wusste sie nicht, aber es war viel zu schnell vorbei. Als sie aufwachte war die Welt ganz anders. Ihr Kopf dröhnte und sie wankte stark. Wie lange hatte sie bloß geschlafen? Nach einem kurzen Blick auf die Uhr erschrak sie. „Dreizehn Stunden? Ich habe dreizehn Stunden geschlafen? Mein Gott! Das Zeug zieht mächtig.“ Sie fasste sich an den Kopf und versuchte das Hämmern gegen ihre Schädeldecke auszublenden. Doch leider hörte es nicht auf. Was war passiert? Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Wo war denn dieses Glücksgefühl? Diese Hochphase und diese Fröhlichkeit? Wieso hatte sie das nicht mehr? Warum waren da nur mehr dieses Hämmern und diese depressive Stimmung in ihrem Bewusstsein? Sie wusste es nicht, doch was sie wusste war eines: Was auch immer das verursachte hatte, sie wollte mehr. Sie wollte noch einmal so unbeschwert durch die Wohnung hüpfen und herumtoben. Ihr Blick blieb auf der braunen Box haften. Sie war offen und lag auf ihrem Bett. Die Tüte lag auf dem Nachkästchen, leer. Daneben ein halb entfaltetes Röhrchen aus braunem Papier. „Ich habe“, begann sie, doch ihr fehlte die Kraft um es zu sagen. Es zu sagen bedeutete, dass es wahr war. Und wenn es wahr war, dass sie, Sakura Haruno, Drogen genommen hatte, dann-. Sie brach ihre Gedanken ab und beendete sie mit einem Satz, den sie selbst nicht von sich kannte. Und wenn es wahr war, dass sie, Sakura Haruno, Drogen genommen hatte, dann konnte das den anderen scheißegal sein. Den Drogen war es zu verdanken, dass sie glücklich war. Und die Drogen sollten ihr ein zweites und ein drittes und ein viertes Mal dazu verhelfen sich noch mal so zu fühlen. An diesem Tag rief sie Kira an. „Hey Kleine! Klar kann ich dir die Adresse besorgen. Warte kurz, ich such sie.“ Kira legte den Hörer auf eine Oberfläche. In der anderen Leitung knackte es, als sie das tat. Sakura überlegte, ob es das Richtige war, doch die Adresse von dieser Bar zu haben, hatte noch keinen ins Gefängnis gebracht. So weit sie das wusste. „Sakura? Bist du noch dran?“, unterbrach Kiras Stimme ihre Überlegungen. „Ja, ich bin noch dran.“ Kira sagte ihr die Adresse durch. „Frag nach Jason und sag, dass dich Kira schickt. Er wird dir was geben, was dir gefallen wird. Vertrau mir.“ „Danke, Kira. Ich bin dir was schuldig.“ „Hey, ich hab meine Aufgabe erfüllt.“ Diese Worte ärgerten Sakura, immerhin war es keine tolle Aufgabe, junge Mädchen anzustiften, Drogen zu nehmen. Sie sah darüber hinweg und legte auf. Sie hatte alles mitgeschrieben und heftete den Zettel an die Pinwand, die sonst nur mit Telefonnummern und Adressen von Studios oder Fotografen übersäht war. Der Zettel stach besonders heraus. Er war der einzige, der keine Visitenkarte war. Doch bevor Sakura diesem Jason einen Besuch abstatten wollte, ging sie ins Bad und holte Kopfschmerztabletten aus ihrer umfangreichen Hausapotheke. Sie duschte sich und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Erst jetzt, wo die warmen Strahlen der Dusche auf sie herabperlten, wurde ihr ihr bescheuertes Leben klar. Sie hatte ein Ereignis verdrängt, bei dem einer ihrer besten Freunde ums Leben kam. Und zwar so gut, dass sie sich erst wieder durch einen Traum daran erinnerte. Bis jetzt hatte sie nur aus Verzweiflung geweint. Doch nun weinte sie aus Wut. Wut auf diesen Mann, der Mirato erschossen hatte. Ihr wurde bewusst, dass er tot war. Zum zweiten Mal wurde ihr klar, dass sie diesen wunderbaren Menschen namens Mirato nie wieder sehen würde. Und noch einmal musste sie diesen Schmerz erleiden. Der zuständige Inspektor betrat Sakuras Haus, nachdem sie ihn hereingebeten hatte. Sie ahnte schon, dass etwas nicht stimmte. Was würde er ihr sagen wollen? Würde sie es überhaupt wissen wollen? „Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee?“ „Nein danke, Miss Haruno. Der Grund, wieso ich sie hier in Ihrer Residenz stören muss, ist folgender: Wir wissen nun mit Sicherheit, wieso der Mann auf ihren Freund geschossen hatte.“ „Wirklich?“ Sakura war aufgestanden und ans Fenster getreten. Sie konnte bei so etwas nicht still sitzen. „Wieso?“, hakte sie nach, als Inspektor Wakashi nicht antwortete. Er räusperte sich und fuhr fort: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der Schuss nicht ihm galt.“ „Was? Aber wem denn dann?“ Wie blöd ihre Frage klang wurde ihr erst jetzt bewusst. „Etwa…?“ „Miss Haruno, der Schuss galt Ihnen.“ Sakura rutschte ein Stück nach unten. Sie legte ihren Kopf zwischen ihre Hände. Kleine Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln. „Aber wieso?“ „Wir können nur spekulieren. Aber wir vermuten, dass der Mann, der auf sie beide geschossen hat, ein Fan war. Von ihnen. sagt Ihnen der Begriff fanatisch etwas?“ „Ja, natürlich.“ „Dieser Fan war einer von dieser Sorte. Wir haben sein Haus durchsucht. Überall waren Bilder von Ihnen. Er hatte sich die Unterwäsche und Bikinis gekauft, die Sie auf den Werbefotos anhatten. Als er Sie dann sah, als sie einen anderen küssten, da ist er ausgerastet. Wissen Sie, es gibt zwei Sorten von fanatischen Fans. Die einen bringen die Männer an der Seite ihrer Geliebten um. Sie hoffen, dass sich die begehrte Person doch noch für ihn entscheidet. Den anderen ist klar, dass sie der begehrten Person niemals nahe sein können. Sie handeln nach de Prinzip: Wenn ich sie nicht haben kann, dann soll sie keiner haben.“ Sakura rannen immer mehr stumme Tränen an den Wangen herab. Doch der Ermittler sprach ungerührt weiter. „Der Mann, der auf Sie schoss, war einer von der letzten Sorte. Doch er traf nicht, da er kein geübter Schütze war. Er hatte nicht einmal einen Waffenschein. Deswegen ging der Schuss daneben und traf statt dem eigentlichen Ziel den Mann an Ihrer Seite.“ Sie fragte nicht, wie der Mann hieß, denn sie würde es noch früh genug vor Gericht erfahren, wenn sie sich dazu entschloss, eine Aussage zu machen. Der ganze Schmerz der vergangenen, verdrängten Ereignisse kam wieder hoch. Erst jetzt war sie sich sicher, dass sie zu dieser Party gehen wollte. Nie wieder wollte sie Leid empfinden. Was sie wollte war Glück und Fröhlichkeit. Ein unbeschwertes Leben. Und genau das konnten ihr die Drogen liefern. Was sie genau genommen hatte, wusste sie nicht. Aber es war ihr egal. Die Aussicht auf einen weiteren kurzen Moment der Freude war einfach zu verlockend. Das Wasser hörte auf, auf ihre Haut zu prasseln. Aus der Dusche trat eine selbstbewusste, entschlossene junge Frau von neunzehn Jahren, die in wenigen Stunden bei einer der beliebtesten Partys der Drogenszene ging. Sie schritt zum angelaufenen Spiegel. Nachdem Sakura mit der Handfläche eine Spur des Dampfes, der am Spiegel haftete, weggewischt hatte, betrachtete sie sich ausgiebig. Ihre Augen hatten wieder Glanz. Nicht den alten, erwartungsvollen und strahlenden. Dennoch war da der Ansatz von Schimmer zu erkennen – matter und lange nicht so schön wie der alte, trotzdem war es Glanz, der in den grünen Augen vorhanden war. Und den hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)