Der Schwur der 'Göttersöhne' von Sonna-Eraseus (Seth x Atemu) ================================================================================ Kapitel 15: Last Chapter ------------------------ Last Chapter Es war tiefste Nacht. Das große Anwesen der Ishtars lag fast vollkommen in Dunkelheit getaucht da. Nur in einem Fenster konnte man das Licht einer kleinen Lampe ausmachen. Ein Schatten stand am Fenster und blickte starr in die Finsternis hinaus. Etwas geschah. Das spürte die Person ganz genau. Seit heute Morgen verspürte er ein ganz seltsames Gefühl. Sich vom Fenster wegdrehend, glitt sein Blick durch das Zimmer. Dieses Zimmer, in dem so viele seiner Vorfahren schon gesessen und sich Gedanken gemacht hatten. Gedanken darüber, warum gerade sie diese Aufgabe ausführen mussten, worum es bei dieser Aufgabe eigentlich genau ging. Doch nie hatte einer die Antwort gefunden. Auf dem Schreibtisch stand die Truhe, die den Inhalt ihrer Aufgabe enthalten hatte. Diese Gegenstände, die nun wieder bei ihren Besitzern waren. Doch irgendetwas sagte ihm, dass dem nicht lange so sein würde. Etwas sagte ihm, dass diese drei Jugendlichen ihre Aufgabe zwar erfüllen würden, aber dass damit nicht alles vorbei war. Damit würde alles lediglich wieder von vorne anfangen. Er, Marik Ishtar, würde wieder die Aufgabe übernehmen, die seine Familie seit Ewigkeiten zu Wächtern machte. Er würde wieder Wächter werden und diese Aufgabe dann an seine Kinder weitergeben. Das Haus wackelte. Vom Schreibtisch fielen einige Stifte herunter, leisteten denen, die bereits auf dem Boden lagen, Gesellschaft. Die Bilder hingen noch ein Stückchen schiefer an den Wänden als ohnehin schon. Die Lampe wankte hin und her, warf seltsam verzerrte Schatten an die Wand. Marik war ganz ruhig geblieben, hatte eine Hand lediglich in den Fensterrahmen gekrallt und nur stumm dabei zugesehen, wie das Haus ein weiteres Mal durchgeschüttelt wurde. Den ganzen Tag schon erschienen wie aus dem Nichts Erdbeben. Die Seismologen ließen sich im Fernsehen darüber aus, welchen Grund diese wohl haben könnten, doch zu einer vernünftigen Antwort waren sie nicht gekommen. Ein kurzes Lächeln huschte Marik übers Gesicht, als er daran dachte. >Sie werden die Antwort auch nie finden< dachte er. Oh nein, es war nicht so, dass er eine Erklärung dafür hatte, aber wenn er an das dachte, was er am Sonntag erfahren hatte ... „Die Zukunft dieser Welt steht auf dem Spiel.“ ... Sein Blick glitt wieder in die Dunkelheit draußen. Bis vor kurzem lief noch der Fernseher in diesem Raum, doch dann musste durch eines der Beben irgendetwas beschädigt worden sein. Der Fernseher hatte nur noch Schneegestöber gezeigt und so hatte er ihn kurzerhand ausgeschaltet. Etwas anderes als die letzten Tage kam sowieso nicht in den Nachrichten. Vermehrte Naturkatastrophen, Feuer, die einfach so ausbrachen, Flüsse, die ohne ersichtlichen Grund über ihre Ufer traten und Erdbeben. >Hoffentlich geht alles gut< schickte der Blonde seine Gedanken in die Nacht hinaus. In der Fensterscheibe spiegelte sich das Zimmer hinter ihm, soweit das bei den herrschenden Lichtverhältnissen eben möglich war. Bewusst nahm er das aber gar nicht wahr. Sein Blick war starr auf einen Punkt auf dem weitläufigen Grundstück gerichtet, und doch sah er nichts von dem, was um ihn herum geschah. Sah nicht, wie die Truhe sanft anfing in einem goldenen Licht zu erstrahlen, wie sich der Deckel wie von Geisterhand öffnete. Erst als das Strahlen intensiver wurde, schreckte er auf. Sich umdrehend, blickte er die Truhe mit einem Ausdruck an, der irgendwo zwischen erschrocken und erwartend lag. Immer intensiver wurde das Leuchten, bis es dann plötzlich mit einem leisen Knall verschwand. Marik blinzelte einmal. Über der Truhe schwebten die drei Millenniums-Gegenstände, die er vor vier Tagen den Jugendlichen übergeben hatte. Langsam sanken sie in die Truhe hinein, deren Deckel sich mit einem leisen Knirschen ihrer Scharniere schloss. „Ich hoffe, Ihr werdet diese Aufgabe wieder übernehmen, wenn es soweit ist“ hörte er eine Stimme durch den Raum hallen. „Es ist mir eine Ehre, wieder als Wächter auserwählt worden zu sein“ war Mariks schlichte Antwort für diese Stimme. ~ Etwas mehr als vier Wochen war es nun her, dass Thorben mit seinen Freunden in den Schuppen ‚eingedrungen’ war und die Kiste geöffnet hatte. Als sein Großvater das bemerkt hatte, wusste er, dass er einen schweren Fehler begangen hatte. In der Vergangenheit waren die Wächter mit dem Wissen um diese Aufgabe aufgewachsen. So wurde verhindert, dass sie etwas Unbedachtes taten. Und er? Er hatte sich von den Sitten dieser Zeit einnehmen lassen und hatte seinem Enkel so lange wie möglich eine unbeschwerte Kindheit ermöglichen wollen. Wie falsch er mit dieser Entscheidung gelegen hatte, war nun nur zu deutlich geworden. Als er die Freunde seines Enkels ohne eine Erklärung, was passiert war, nach Hause geschickt hatte, hatte er seinen Enkel ernst angesehen. Ihm wurde bewusst, wie viel von ihm selbst in Thorben steckte. Wie viel eines Wächters in dem Jungen steckte. Ein Wächter, der eine ihm anvertraute Aufgabe bis zum Tode gewissenhaft ausführen würde – der es aber auf den Tod nicht ausstehen konnte, wenn man etwas vor ihm geheim hielt, was mit dieser Aufgabe zu tun hatte. Schon als sein Enkel immer wieder auf die Kiste gestoßen war, hätte er etwas ahnen müssen. Schon da hätte er ihm von ihrer Aufgabe erzählen müssen. So aber hatte er es erst getan, als es bereits zu spät war. Das Schreckliche war bereits geschehen. Seit diesem Tag sprachen die beiden kein Wort mehr miteinander. Lebten stumm nebeneinander her. Immer wieder hörte der alte Mann die Frage seines Enkels in seinem Kopf hallen. „Warum hast du es mir nicht schon eher gesagt? Warum, Großvater? Warum?“ Zum Ende der Frage war Thorbens Stimme immer leiser geworden. Schmerz sprach aus ihr, Schmerz darüber, dass sein Großvater ihm scheinbar nicht vertraute. Eine Antwort hatte der Junge gar nicht mehr abgewartet, war einfach so in sein Zimmer gestürmt. In Thorben tobten die schlimmsten Gefühle. Wut auf seinen Großvater, Wut auf sich selber. Wieso hatte sein Großvater ihm nicht schon viel eher von dieser Aufgabe erzählt? Wieso hatte dieser ihm nicht vertraut? Dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen, dass das Böse in Person wieder frei war. Dann wäre die Welt jetzt nicht in Gefahr. Aber andererseits war er wütend auf sich selber. Wenn er nicht gegen die Worte seines Großvaters gehandelt hätte, wäre es nie so weit gekommen. Er machte sich schreckliche Vorwürfe, dass er für den Untergang der Welt verantwortlich war. Draußen herrschte dunkle Nacht, nur das blasse Mondlicht erhellte etwas die Umgebung. Deswegen wurden die zwei Bewohner dieses Hauses auch sogleich wach, als das helle, intensive Licht durch ihre Fenster schien, sie aufweckte. Mit verschlafenen Augen quälten sie sich aus dem Bett, taumelten zum Fenster. Was sie sahen, vertrieb sogleich die Müdigkeit aus ihren Knochen. Der Schuppen, den seither niemand mehr betreten hatte, leuchtete von innen in vier verschiedenen Farben. Die Farben schienen miteinander zu verschmelzen und doch konnte man jede klar und deutlich erkennen. Nur im Pyjama und mit Hausschuhen an den Füßen, hasteten der alte Mann und der Junge aus ihren Zimmern, begegneten sich auf dem Flur und stürmten dann gemeinsam die Treppe hinunter, zur Terrassentür heraus und hinein in den Garten. Ein paar Schritte vorm Schuppen blieben sie stehen, tief Luft holend. Schritt für Schritt näherten sie sich der Tür. Hatten fast etwas Angst vor dem, was sie dort erwartete. Durch die Tür tretend, verblasste das strahlende Licht wie auf ein unhörbares Kommando hin. Mit Hilfe des Mondlichtes konnten sie Umrisse in der Dunkelheit ausmachen. Die Holzkiste stand mitten im Raum, der Deckel immer noch geöffnet. Im Schloss steckte der Schlüssel. Thorben griff nach der Taschenlampe, die an einem Haken neben der Tür hing. Der Lichtkegel reichte beinah über den gesamten Fußboden. Nah an die Kiste herantretend, hielten Großvater und Enkel die Luft an. Dort lagen die vier Steine. Einer für jedes Element. Thorbens Blick wurde von etwas anderem abgelenkt. Sich bückend, hob er die Schriftrolle auf, die neben der Kiste auf dem Boden lag. Ein Siegel aus Wachs verhinderte, das die Rolle einfach so aufsprang. „Großvater ...“ flüsterte der Junge und blickte dann den alten Mann an. Zum ersten Mal seit vier Wochen sprach er ihn wieder direkt an. Böse war er ihm schon lange nicht mehr. Ziemlich schnell hatte er herausgefunden, warum sein Großvater so gehandelt hatte. Aber sein Stolz hatte nicht zugelassen, dass er einfach so auf seinen Großvater hatte zugehen können. „Das ist unglaublich ...“ antwortete dieser. „Das ist fast genauso, wie die Kiste das erste Mal bei einem der Unseren aufgetaucht sein soll.“ Er sah seinen Enkel an. „Brich das Siegel auf.“ Der Junge schluckte. Seine Hand zitterte leicht, als er das Siegel brach. Er entrollte das Papyrus und während er las, wurden seine Augen immer größer. Als er sie schließlich wieder sinken ließ, murmelte er: „Genau wie in der Geschichte.“ „Nun, das bedeutet dann wohl, dass, wer auch immer diese ‚Krieger’ sind, sie den Kampf gewonnen haben. Den Göttern sei Dank.“ Der alte Mann lächelte erleichtert. „Habt vielen Dank, dass Ihr uns noch eine Chance gewährt. Noch einmal werden wir Euch nicht enttäuschen“ flüsterte er in die Luft, die Worte wurden vom Wind weggetragen. „Ich glaube, wir sollten den Schutzzauber wieder aktivieren. Willst du oder soll ich?“ sah er fragend seinen Enkel an. „Darf ich?“ kam die zaghafte Frage zurück. Als Antwort enthielt der Junge ein aufmunterndes Nicken. Thorben kniete sich vor die Kiste, griff mit der linken Hand nach einem der Taschenmesser, die im Regal lagen. Mit einem leisen ~Schnapp~ sprang die Klinge heraus. Die Zähne zusammenbeißend, ritzte er sich damit leicht die Handfläche der rechten Hand auf. Das wenige Blut verteilte sich auf seiner Handfläche, als er nach dem Deckel griff und diesen schloss. Die Hand um den Schlüssel legend, glühte dieser auf. Einmal um die Kiste herum setzte sich das Glühen fort. Ein leiser Knall folgte und das Glühen erlosch. Die Kiste war versiegelt. Enkel und Großvater sahen sich an. Wortlos schworen sie sich, so etwas wie das hier nie wieder zuzulassen. Von nun an würden sie wieder vermehrt nach den Gesetzen und Gepflogenheiten der Wächter leben. Auch wenn das für andere merkwürdig anzusehen wäre, nur so konnten sie ihrer Aufgabe gerecht werden. Und das mussten sie, wollten sie doch nicht, dass diese Welt, ihre Heimat, unterging ... ~ Die Sonne beschien das Flughafengebäude, als die Gruppe Schüler und Schülerinnen mit ihrer Lehrerin aus dem Gebäude trat. Ihre Koffer neben sich her tragend, starrten die meisten stumm auf den Boden. Inzwischen hatte keiner mehr wirklich die Kraft zu weinen, zeugten doch die roten Augen bei den meisten, dass sie dies schon sehr ausgiebig getan hatten. Der Flug von Kairo nach Tokio zurück war die Hölle gewesen. Zu deutlich war ihnen das Fehlen von drei ihrer Klassenkameraden aufgefallen. Auch wenn die meisten nicht besonders eng mit einem der drei Vermissten befreundet gewesen waren, so fiel ihr Fehlen dennoch auf. Joey Wheeler, der zusammen mit Kenzo für Ausgelassenheit gesorgt hatte, der Erzfeind Kaibas. Seto Kaiba, in dessen Nähe es immer einige Grad kühler war und der die Lehrer sehr elegant aus dem Konzept hatte bringen können, Erzfeind von Wheeler. Yugi Muto, der mit seinem stillen Auftreten nie wirklich aufgefallen war, der aber vielleicht deswegen der einzige gewesen war, der zwischen Wheeler und Kaiba hatte vermitteln können. Durch den Flug und die Zeitverschiebung hatten sie fast einen Tag gebraucht, um wieder nach Hause zu kommen. Am Mittwochmorgen war das Unglück passiert und jetzt war es schon Donnerstagabend. Als die Gruppe aus der Halle trat und auf den Parkplatz zusteuerte, warteten dort schon ihre Eltern. Kaum waren ihre Kinder heran, wurden diese auch schon in eine feste Umarmung gezogen. Geflüsterte Worte wie „Geht es dir gut?“, „Alles wird wieder gut“ oder „Jetzt bin ich ja da“ waren zu hören. Das ein oder andere Mädchen fing wieder zu heulen an. Während die Mütter ihre Kinder zum parkenden Auto führten, sprachen die Väter einige Worte mit der Klassenlehrerin, versicherten ihr, dass sie nichts für das Unglück konnte und versprachen ihr, ihr zu helfen, wo auch immer sie bei ihren Schülern Hilfe gebrauchen konnte. Ein Wagen nach dem anderen fuhr vom Parkplatz ab, bis nur noch eine Handvoll Schüler übrig war, deren Eltern – aus welchen Gründen auch immer – nicht hatten kommen können. Für diese hatte der Schuldirektor extra einen Kleinbus besorgt, der die Schüler Zuhause absetzen würde. Da Tea und Tristan nur ein paar Querstraßen voneinander weg wohnten und diese auch noch recht verwinkelt waren, ließen sie den Fahrer an der Hauptstraße halten und stiegen dort aus. Den Rest des Weges würden sie zu Fuß schaffen. Keiner von beiden war erstaunt darüber gewesen, dass keiner am Flughafen auf sie gewartet hatte. Teas Eltern waren auf Geschäftsreise und Tristans Eltern bei Verwandten, die ‚etwas’ weiter weg wohnten. Kein Wort fiel zwischen ihnen. Erst hielten sie bei Tea, die den Koffer einfach in den Flur stellte. Die Haustür fiel nach wenigen Sekunden mit einem ~Klack~ wieder ins Schloss. Bei Tristan dauerte der Stopp auch nicht sehr viel mehr. Tür auf, Koffer in den Flur, Tür wieder zu. Die Sonne ging unter, die Straßenlampen an, welche verzerrte Schatten auf den Boden warfen. Doch für nichts von diesen Dingen hatte einer der beiden einen Blick. Ein Außenstehender, der von dem Unglück wusste und sie so sehen würde, würde meinen, dass die beiden Freunde unter Schock standen. Doch dem war nicht so. Sie wussten etwas, was die anderen Menschen nicht wussten. Sie wussten, dass ihre Freunde einfach nicht tot sein konnten – jedenfalls hätten sie das gestern Morgen noch behauptet. Zu diesem Zeitpunkt stand noch eine Aufgabe vor ihnen, die keiner der drei jemals vergessen haben könnte. Aber inzwischen? Von den Erdbeben, die in Ägypten bis zum Abend geherrscht hatten und die dafür verantwortlich waren, dass einige Flüge gesperrt worden waren, spürten sie hier nichts mehr. Ob das nun an der Entfernung lag oder daran, dass der Kampf vorbei war? Denn dass dieser stattgefunden hatte, daran zweifelten sie nicht. Keine Sekunde. Keiner der beiden wusste, ob ihre Freunde den Kampf nun gewonnen oder verloren hatten, ob sie ihn überlebt hatten oder tot waren. Aber sie waren sich sicher, sollten die Krieger verloren haben, würden sie das in den nächsten Tagen am eigenen Leib erfahren. Sollten die Krieger zwar gewonnen, aber im Kampf gestorben sein, so waren sie sich sicher, dass die drei im Jenseits nicht unglücklich waren. Sie hatten es geschafft, sich nach fünftausend Jahren ein zweites Mal zu begegnen. Da würden sie sich nicht vom Tod davon abhalten, es in fünftausend Jahren ein weiteres Mal zu schaffen. Inzwischen waren sie an ihrem Ziel angekommen. Ein verlassen daliegender Spielplatz, auf dem Tagsüber die Kleinkinder der umliegenden Häuser spielten und ihr Lachen über Straßen hinweg zu hören war. Abends hatten es sich die vier Freunde hier öfters gemütlich gemacht, hatten auf den Schaukeln gesessen und einfach mal für einige Zeit vergessen, dass sie eigentlich ‚erwachsen’ waren. Mit traurigem Blick schlenderten Tea und Tristan über den Spielplatz, auf die zwei Schaukeln zu, die inmitten einer Sandgrube standen. Ließen sich auf dem Spielgerät nieder und schwangen leicht vor und zurück. Dachten an die glücklichen Momente, die sie hier verbracht hatten. Zwei, drei Mal war sogar Kaiba abends hier gewesen. „Ich vermisse die drei jetzt schon schrecklich.“ Tea war die erste, die die unerträgliche Stille nicht mehr aushielt. Die Stille auf diesem Spielplatz, die Stille zwischen ihr und Tristan, die Stille in ihr drinnen, die Joey immer mit einem Scherz hatte vertreiben können. Tristan zuckte wie unter einem leichten Stromschlag zusammen. Mit seinen Gedanken war er immer noch in der Vergangenheit gefangen, schaffte es nur mühsam ins Hier und Jetzt. Ein kaum merkliches Nicken. „Ich auch.“ Ein Flüstern. Die Ketten der Schaukeln quietschten leise, als sie beansprucht wurden. Teas Augen schimmerten leicht, sie schluckte. „Warum, Tristan? Warum müssen sie kämpfen? Das ist so ungerecht.“ „Ich weiß.“ Stille. „Soweit ich mich erinnere, hat auch noch nie einer gesagt, dass die Welt gerecht wäre. Es kommt immer auf den Blickwinkel drauf an, ob man etwas für gerecht oder ungerecht hält. Hast du Joey, Yugi und Kaiba in den letzten Tagen mal genauer beobachtet? Sie schienen so glücklich zu sein.“ Den Blick irgendwo ins nirgendwo gerichtet, sprach er seine Gedanken laut aus. „Ich glaube nicht, dass sie es für ‚ungerecht’ gehalten haben, dass sie kämpfen müssen. Sie sind nun mal die einzigen, die gegen diesen Fawe eine Chance haben. Und für gewöhnlich haben solche Menschen auch eine große geistige Stärke – sonst würden sie das kaum durchgestanden haben. Wenn sie damit leben konnten, warum können wir das dann nicht auch?“ Tristan sah seine Freundin an. Tea sah ihn an. „Uns geht es gut. Wir haben gewonnen, die Welt ist gerettet – erstmal jedenfalls. Ich wünsche mir, dass ihr weiterlebt, zeigt den Menschen, dass es auch noch etwas anderes gibt als Egoismus und Lethargie. Lehrt sie das, was ihr bei uns ‚gelernt’ habt. Lebt!“ Die zwei Jugendlichen waren beim ersten Wort der Stimme von ihren Schaukeln aufgestanden. Leises Quietschen hallte durch die Luft, zusammen mit der warmen Stimme. Die Tränen bahnten sich nun endgültig ihren Weg, liefen über Teas Wangen, tropften vom Kinn zum Boden. Mit einer Hand hatte sie nach der von Tristan gegriffen, hielt sie eisern fest. „Joey ...“ flüsterte sie der Stimme entgegen. Tristan drückte ihre Hand zurück, auch ihm schimmerten Tränen in den braunen Augen. Die Stimme seines besten Freundes hatte sich so glücklich angehört – egal wo er jetzt auch immer sein mochte. „Ihnen geht es gut“ flüsterte Tristan. „Und das ist doch die Hauptsache, oder nicht?“ Tea nickte leicht. „Was meinst du? Besuchen wir Morgen Opa Muto? Und Joeys Vater und Mokuba. Vielleicht wird es ja so etwas leichter.“ Tristan nickte zustimmend. „Das ist eine gute Idee.“ Ohne ihren Griff voneinander zu lösen, machten sie sich auf den Weg nach Hause. ~ Dunkelheit und Stille herrschte im Game-Shop. Seit am Vormittag der Direktor der Domino-High hier gewesen war, herrschte Stillstand. Seit die grausame Nachricht in diesem Haus ausgesprochen worden war, herrschte nur noch Leere. Yugi war sein Lebensinhalt gewesen, sein Ein und Alles. Für seinen Enkel hatte Salomon all die letzten Jahre darauf verzichtet, seinem Beruf nachzugehen. Um seinen Enkel großzuziehen, damit dieser wenigstens eine Vertrauensperson hatte, wo seine Eltern sie doch viel zu früh hatten verlassen müssen. Und dieser Enkel sollte jetzt einfach so nicht mehr sein? Das wollte er einfach nicht glauben. Er weigerte sich zu akzeptieren, dass sein Enkel tot war. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Seit Stunden saß er hier auf dem Sofa, starrte in die Dunkelheit, die sich mit jeder vergangenen Stunde mehr ausgebreitet hatte. Hier, wo er mit seinem Enkel und dessen Freunden so viele fröhliche Stunden erlebt hatte. Wie glücklich war er gewesen, als Yugi zum ersten Mal Freunde mit nach Hause gebracht hatte. Stunde um Stunde verging, mal rasten seine Gedanken, mal ruhten sie und mal drehten sie sich im Kreise. Was er da genau dachte, konnte er gar nicht sagen. Wie betäubt fühlte sich sein Bewusstsein an. Als er vor zwei Wochen von dem Schicksal erfahren hatte, das seinem Enkel zugedacht war, war er erst wütend gewesen. Wütend, dass so jungen Menschen eine solche Verantwortung aufgebürdet wurde. Wie sollten sie leben, sich eine eigene Zukunft aufbauen, wenn sie sich mit der Rettung der Welt befassen mussten? Auf der anderen Seite ... wer weiß, ob sein Enkel in diesem Leben ohne dieses Schicksal so glücklich geworden wäre? Wenn er daran dachte, mit was für einem Ausdruck in den Augen er von Kaiba gesprochen hatte ... Aus seinem ganzen Verhalten hatten die Liebe und das Glück gesprochen, das er fühlte. Hatte er das Recht, den beiden dieses ganz private Glück vorzuenthalten, nur damit sie nicht kämpfen mussten? Nein! Denn eines hatte er gelernt: egal wie widrig Lebensumstände sein möchten, egal wie unfair einem das eigene Leben erscheinen mochte, solange man nur die richtige Person an seiner Seite hatte, konnte einem alles gelingen. Ein kurzes, halb trauriges, halb glückliches Lächeln huschte über Salomons Gesicht. „Du hast Recht, Opa. Mit Seth an meiner Seite kann ich alles überstehen. Solange ich ihn habe, ist es mir egal, gegen wen oder was ich kämpfen muss. Aber auch du bist mir wichtig. Du bist derjenige, dem ich mein glückliches und behütetes Leben zu verdanken habe. Dafür möchte ich dir Danke sage, Opa. Danke dafür, dass du immer für mich da warst. Ich möchte nicht, dass du jetzt aufhörst, dein Leben zu leben. Für meinen Geschmack habe ich dein Leben zu lange auf den Kopf gestellt – auch wenn du vielleicht nicht so denkst. Ich möchte gerne, dass du deinem Hobby und Beruf wieder nachgehst. Mach dir deinen Traum wahr. Mir geht es gut, Opa. Mach dir um mich keine Sorgen. Lebe!“ Salomon lauschte der Stimme, die durch den Raum schwirrte. Eine Stimme, so unendlich glücklich – und doch hörte er die leise Traurigkeit aus ihr heraus. Die Traurigkeit darüber, dass ein Enkel seinen Großvater alleine lassen musste. „Mach dir um mich keine Sorgen, Yugi. Solange es dir gut geht, geht es auch mir gut. Das kennst du doch ...“ flüsterte er in die Stille hinein. So als wollte er seinen Enkel trösten. ~ Roland schloss leise die Tür hinter sich. Endlich schien es, als wäre Mokuba eingeschlafen, da wollte er ihn nicht gleich wieder durch ein lautes Geräusch aufwecken. Mit einem Dreh am Lichtschalter wurde der Flut spärlich erhellt und er setzte sich Richtung Küche in Bewegung. Den Flur entlang, die Treppe herunter, wieder ein Flur und als er eine bestimmte Tür öffnete, stand er in der Küche. Kurz überlegte er, ob er das Licht wieder ausschalten sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. Sollte Mokuba in der Nacht aufwachen und durchs Haus schleichen, wollte er nicht, dass sich der Kleine in der Dunkelheit irgendetwas tat. Roland schloss die Tür hinter sich, schaltete die Kaffeemaschine an und setzte sich dann an den Küchentisch. Mit einem Seufzen streckte er die Beine aus, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und schloss müde die Augen. Wie gerne würde er jetzt schlafen. Der Tag war alles andere als erholsam gewesen. Aber er traute sich nicht. Zu groß war seine Angst davor, den heutigen Tag noch einmal durchleben zu müssen. Fast mit Grauen dachte er an den heutigen Vormittag zurück. Als er von der Chefsekretärin die Information erhalten hatte, dass gegen zwölf Uhr der Direktor der Domino-High vorbeikommen würde, hatte er sich zwar etwas gewundert, sich aber sonst keine Gedanken darum gemacht. Um kurz nach zwölf stand der Herr dann auch bei ihm im Büro und teilte ihm die schreckliche Nachricht vom Tode Seto Kaibas mit. Roland konnte sich richtig vorstellen, wie entgeistert er den Direktor angesehen haben musste. Es geschah ja aber auch nicht oft, dass man so eine Nachricht überbracht bekam. Erst das Klirren an der Tür hatte ihn aus seiner Starre gerissen. Erschrocken waren sein Blick und der des Direktors zur Tür herumgefahren und hatten einen fünfzehnjährigen Jungen dort stehen sehen. Auf dem Boden Scherben, die mal eine Tasse dargestellt hatten. Der Inhalt der Tasse hatte sich auf dem Parkett ausgebreitet, eine dunkle Lache bildend. „Mokuba ...“ hatte er entgeistert gestammelt, als er ihn dort hatte stehen sehen. Völlig erstarrt, mit geistesabwesendem Blick. Vorstellen, wie dem jungen Kaiba bei dieser Nachricht zumute gewesen war, mochte Roland sich eigentlich nicht. Er konnte sich denken, dass es ein Schock gewesen war. Kein Wort hatte der Junge den ganzen restlichen Tag gesprochen. Wie eine Puppe hatte er sich von Roland in den Wagen bugsieren und in der Villa dann in sein Zimmer bringen lassen. Der Hausarzt, der nach dem Jungen gesehen hatte, hatte einen Schock diagnostiziert und gemeint, man dürfe ihn jetzt nicht alleine lassen. „Zeit, um das zu verarbeiten, müssen Sie ihm lassen, Roland. Aber Sie dürfen ihm auf keinen Fall das Gefühl geben, dass er ganz alleine ist auf der Welt.“ Roland seufzte ein weiteres Mal. Der Arzt hatte gut reden. ‚Ihn nicht alleine lassen.’ Als ob er das vorgehabt hätte. Er mochte den Jungen, keine Frage. Und als loyaler Angestellter kam es gar nicht in Frage, dass er nun, wo sein Chef tot war, einfach von der Bildfläche verschwand. Solange bis Mokuba alt genug sein würde, um selber die Kaiba Corporation zu leiten, würde er dies machen. Er würde für Mokuba da sein ... Er hoffte nur, dass er selber schnell genug diesen Verlust verarbeiten konnte, um für den Jungen da zu sein. ~ Das Fenster war einen Spalt geöffnet, die Vorhänge tanzten sacht im Wind. Den Blick starr darauf gerichtet, nahm er es gar nicht wirklich wahr. Die Decke war bis zur Nasenspitze hochgezogen, damit Roland, sollte er noch einmal ins Zimmer gucken, nicht merkte, dass er noch wach war. Der Mann machte sich eh schon zu viele Sorgen um ihn. Mokubas Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis. Von der Nachricht, dass sein Bruder tot sein sollte, bis dahin, wie es jetzt weiterginge. Wer würde die Kaiba Corporation leiten, wer das Lebenswerk seines Bruders fortführen? Wo sollte er jetzt bleiben? Wie würde alles weitergehen? Seine Gedanken drehten sich um diese Fragen, aber eine Antwort fand er nicht. Die Hoffnung, dass Roland auf alles eine Antwort hatte, war in ihm, auch wenn er ihr nicht gestattete, zu groß zu werden. Den ganzen Tag war immer irgendwer um ihn herum gewesen. Wenn nicht Roland, dann der Arzt oder eines der Hausmädchen. Nie hatte er seine Ruhe gehabt. Die Stille, die sich in seinem Zimmer ausgebreitet hatte, hatte er gesucht – und doch fürchtete er sie jetzt. Keiner mehr da, auf den er in Gedanken schimpfen konnte, man sollte ihn doch endlich alleine lassen. Nun hatten seine Gedanken Zeit. Zeit, sich mit dem Geschehen auseinander zu setzen. Die blauen Augen schimmerten feucht, erste Tränen bahnten sich nun ihren Weg. Liefen die Wangen hinunter und tropften auf die Bettdecke, das Kopfkissen. Leises Schluchzen erfüllte den Raum. „Ist schon gut, Mokuba. Weine ruhig. Auch wenn es momentan nicht so aussieht, es wird alles wieder gut. Dass du traurig bist, habe ich nie gewollt, kleiner Bruder. Das weißt du doch, oder? Aber ich hatte leider keine Wahl. Ich wollte, dass du lebst. Dass es nun ohne mich ist, tut mir unendlich Leid. Ich hoffe, du verstehst es irgendwann. Wenn du meinst, bereit zu sein, zu erfahren, warum all das passiert ist, dann schau hinter unserem Lieblingsbild nach. Dort wirst du eine Antwort finden. Ich bitte dich bis dahin: Lebe!“ Noch Minutenlang flossen die Tränen Mokubas Wangen hinunter. Das Kopfkissen wurde klitschnass, ebenso wie die Decke. Aber es tat gut, all den Schmerz und den Kummer herauszulassen. Die warme, weiche Stimme seines großen Bruders hatte ihm wieder etwas Mut gemacht. Irgendwann versiegte der Tränenstrom, die Müdigkeit kroch in dem Jungen hoch, die Augenlieder wurden schwerer, fielen immer öfter zu. Noch im Wegdriften in den Schlaf dachte der Junge: >Danke, großer Bruder. Danke für alles. Irgendwann werde ich mir deine Antwort angucken. Vielleicht nicht morgen oder übermorgen, aber irgendwann, ganz sicher. Versprochen.< ~ Das Mondlicht fiel durch die nur halb zugezogenen Vorhänge in das Wohnzimmer dieser Wohnung, die in einem der etwas ärmeren Gegenden Dominos lag. Auf dem Sofa saß ein älterer Mann mit blondem Haar und starrte unentwegt den Tisch an. Der Direktor der Domino-High war heute Mittag hier gewesen und hatte eine traurige Nachricht mit sich gebracht. Wie betäubt hatte Mister Wheeler die Tür hinter diesem geschlossen. Minutenlang hatte er an diese gelehnt im Flur gestanden und ins Leere gestarrt. Schließlich hatte er angefangen, die gesamte Wohnung aufzuräumen. Sich ablenken, nur nicht nachdenken. Irgendwann hatte aber auch dieses ‚Ablenken’ nichts mehr gebracht. Weinend war Joseph auf dem Sofa zusammengesackt. Die Hände zu Fäusten geballt, den Kopf gesenkt, flossen die Tränen. Wie lange er so dasaß, bekam er gar nicht mit, aber als er das erste Mal wieder bewusst etwas wahrnahm, ging draußen gerade die Sonne unter. Das Rot leuchtete intensiv, drang bis in seine Wohnung vor. Sein Blick hatte sich von diesem Phänomen nicht lösen können. Es war nicht das erste Mal, dass er einen Sonnenuntergang mitbekam, aber wann sah man sich diesen schon mal bewusst an? Wann hatte er das letzte Mal gedacht, dass so ein Sonnenuntergang doch etwas unglaublich schönes war? >Mein Sohn ist tot.< Dieser Gedanke tauchte immer wieder in seinen Gedanken auf. Riss die Wunder nur noch tiefer auf. Vergrößerte den Schmerz jedes Mal. Hätte er Joey doch verboten, zu fliegen. Er hätte ihn einfach zu Hause einsperren sollen. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Aber was hätte das gebracht? Nichts. Joey hätte einen Weg gefunden, um aus der Wohnung zu kommen. Bestimmt. Nach dem, was sein Sohn ihm über sein ‚früheres Leben’ erzählt hatte, traute er diesem so ziemlich alles zu. Traute ihm zu, jedes Hindernis zu überwinden. „Ach Joey ... warum? Warum nur?“ fragte er in die Stille hinein. „Weil ich es so wollte, Dad. Ich liebe diese Welt. Und ich werde für sie kämpfen. So oft wie es eben notwendig sein wird. Mach dir um mich mal keine Sorgen. Mir geht es gut, Dad. Und das ist doch alles, was zählt, oder? Ich habe eine Bitte an dich. Versink nicht in Traurigkeit, lebe, und für mich gleich mit. Lebe!“ Joseph hörte diese Stimme, die der seines Sohnes so unglaublich glich. Genauso freundlich, warm und munter. „Ich werde leben, mein Sohn“ versprach er diesem mit einem Lächeln auf den Lippen. ~ In einer anderen Ebene der Existenz blickte das Schicksal auf die Erde hinunter. Es wusste, dass es nicht immer gerecht war. Was für den einen Leben bedeutete, war für den anderen Tod. Was für den einen Glück bedeutete, war für den anderen Unglück. So war es immer und so würde es auch immer sein. Für diese vier Personen bedeutete der Sieg, den die Krieger errungen hatten, einen Verlust. Einen Verlust, den sie kaum aushalten konnten. Also hatte es dem Wunsch der Krieger stattgegeben. Es hatte auf einen Zeitpunkt gewartet, wo er alle fünf auf einmal erwischen konnte, einen Zeitpunkt, zu dem sie alleine waren. Auch wenn es das Schicksal genannt wurde, so war es doch nicht allmächtig. Eine Nachricht in die Welt der Sterblichen zu schicken, war nicht gerade einfach und auch nicht ganz ungefährlich. Um nicht die ganze Ordnung der Welt durcheinander zu bringen, musste es sein Eingreifen so kurz wie möglich halten. Es hatte den letzten Wunsch der drei Krieger erfüllt. Hatte ihre Liebsten in ihrem Namen beruhigt. Hatten ihnen die Botschaft überbracht, die sie ihnen nicht mehr persönlich sagen konnte. Denn sie sie selber waren schon lange im Reich der Toten ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)