Der Schwur der 'Göttersöhne' von Sonna-Eraseus (Seth x Atemu) ================================================================================ Kapitel 7: Chapter 7 -------------------- Chapter 7 Fackelschein erhellte den recht kleinen Raum, warf Schatten auf den Boden und an die Wände, die zu tanzen schienen. Kaum ein Laut von außerhalb drang in dieses Reich ein, störte den Jungen, der mit konzentriertem Gesichtsausdruck in der Mitte stand. Langsam wurde eine Hand ausgestreckt, der konzentrierte Blick folgte dieser Bewegung. Die ersten Schweißperlen hatten sich auf der Stirn gebildet, die Augen wurden leicht zusammengekniffen. Stumm formten die Lippen Worte. Es tat sich etwas. Die Schatten, die bis eben noch völlig konfus zu tanzen schienen, schienen nun einem festgelegten Muster zu folgen. Drehten sich im Kreise, immer schneller, verdichteten sich. Formten sich zu einer Figur, die nur wenige Meter vor dem Jungen aus dem Boden wuchs. Vollkommen in Schwärze getaucht, erreichte das Fackellicht sie nicht. Über das Gesicht des Jungen huschte ein glückliches Lächeln. >Ich hab es geschafft!< Er hatte es wirklich geschafft. Es war ihm gelungen, die Schatten nach seinem Willen zu formen. Er war einen Schritt weiter. Seine Konzentration ließ nach, das Schattenwesen verflüchtigte sich wieder, löste seine Konturen auf und wurde wieder zu ganz normalen Schatten. Schatten der Regale und Gegenstände, die hier herumstanden. Mit der anderen Hand fuhr sich der Junge über die Stirn, wischte die Schweißperlen ab, strich sich die Ponyfransen aus dem Gesicht. Das glückliche Lächeln immer noch auf den Lippen. Er drehte sich zur Tür um, fast wie beiläufig drehte er seine Hand einmal im Kreis um sein Handgelenk herum. Die Schatten gehorchten ihm, veränderten ihren Weg, folgten ihm, tanzten um ihn herum. Atemu hatte keine Angst davor, von den Schatten eingehüllt zu werden. Sie waren seine Freunde, seine Vertrauten. Ihnen konnte er alles erzählen. Nichts würden sie jemals verraten. Kurz bevor er die Tür erreichte, zogen sich die Schatten wieder zurück. Ließen ihren Freund, Beschützer und Meister aus ihren Fängen los. Dies war ihr Geheimnis. Niemand würde davon jemals erfahren. Zu viele Probleme würde es mit sich bringen, kam dieses Geheimnis ans Tageslicht. Atemus Gedanken kehrten zu dem Tag zurück, an dem er seiner Mutter von seinem Geheimnis erzählt hatte. Ganz aufgeregt hatte er ihr gezeigt, wie er die Schatten beherrschen konnte. Wie er Gegenstände bewegen konnte, nur weil er den Schatten an sich ‚heranzog’. Das erst erschrockene und dann ‚wissende’ Gesicht seiner Mutter hatte er auch heute noch vor Augen, nach fast drei Jahren. So lange war das Ganze jetzt schon her. Die ganze Zeit über hatte er sich an das gehalten, was sie ihm immer und immer wieder eindringlich gesagt hatte. ~~~ „Hör mir gut zu, mein Sohn. Und merk es dir gut. Du darfst niemals jemandem etwas davon sagen, hörst du? Kein Wort zu niemandem. Sie würden es nicht verstehen. Für sie ist diese ‚Gabe’ eine Teufelei. Gib Acht, das niemals jemand von deinem Geheimnis erfährt. Auch dein Vater nicht, hörst du?“ „Niemandem?“ hatte der Vierjährige ängstlich gefragt. Die warnende Stimme seiner Mutter hatte so fremd in seinen Ohren geklungen. Ein freundliches Lächeln war über ihr Gesicht gehuscht. „Nein, mein Sohn. Nicht, solange du nicht jemanden gefunden hast, der immer an deiner Seite stehen wird. Wenn du einen Menschen gefunden hast, dem du alles anvertrauen kannst, wirklich alles, dann darfst du auch dieses Geheimnis preisgeben. Aber auch nur diesem Menschen, hörst du? Nur dieser Mensch wird dich nicht ausnutzen, wenn er von dieser Gabe weiß. Versprichst du mir das?“ Artig hatte er genickt ... ~~~ Inzwischen hatte er diese ‚Schattenmagie’ fast perfekt unter Kontrolle. Nur ganz selten noch geschah es, dass er sie unwillkürlich einsetzte. Niemand hatte von dieser seiner Gabe erfahren, noch nicht einmal sein Vater. Und so langsam verstand Atemu auch – je mehr er lernte und erfuhr, desto mehr verstand er, warum seine Mutter ihm dieses Versprechen abgezwungen hatte. Er besaß eine Art Magie. Eine Magie, die hier in Ägypten gefürchtet wurde. Alleine das Wort verbreitete Angst und Schrecken. Weil die Menschen nicht wussten, was sie sich unter ‚Magie’ vorstellen sollten. Für sie war es etwas, das Unglück brachte. Und somit etwas, das man meiden und vernichten musste. Wirklich böse konnte er ihnen noch nicht einmal sein. Er verstand sie. Hatte genauso vor dem Unbekannten Angst wie sie. Doch er war wütend darüber, dass sie sich von ihrer Angst gefangen lassen hielten. Warum konnten sie nicht versuchen, Magier zu verstehen? Zu verstehen, dass Magie nichts von vornherein Böses war? Dass es von dem Menschen abhing, ob diese Magie für etwas Gutes oder für etwas Schlechtes eingesetzt wurde? Vor den heimischen Soldaten hatten sie schließlich auch keine Angst, wenn diese in voller Montur durch die Stadt liefen ... Vorsichtig öffnete er die Tür und spähte in den vom Mondlicht erhellten Gang hinaus. Er wollte nicht, dass einer der Diener ihn hier sah. Wie sollte er auch erklären, was er, der Prinz, in einer Abstellkammer zu suchen hatte? Die Tür genauso leise hinter sich schließend, trat er in den Gang hinaus und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Zimmer. Das Mondlicht zauberte Schatten auf den Boden, in den Garten. Sein Blick hob sich, sein Schritt stockte und er lehnte sich gegen eine der Steinsäulen, die die Decke hielten. Früher hatte er mit seiner Mutter immer den Mond angeschaut. Zusammengekuschelt hatten sie im Garten gesessen, den Blick nicht von diesem Lichtspender in dunkler Nacht lösen können. Mit warmer leiser Stimme hatte sie ihm dann Geschichten erzählt. Geschichten über wundersame Wesen, über Helden und Narren und darüber, was Gefühle mit Menschen tun konnten. Wie sie sie zum Guten oder zum Schlechten bringen konnten. Atemu hatte diese Geschichten geliebt. Sie waren so anders als das, was er von seinen Lehrern und seinem Vater beigebracht bekam. Waren so anders als das Leben, was ihn als zukünftigen Pharao von Ägypten erwartete ... Bis heute wollte er im Grunde seines Herzens nicht einsehen, das sie ihn vollkommen verlassen hatte. Dass sie endgültig gestorben war. Er war sich sicher, dass sie noch irgendwo dort draußen war und auf ihn aufpasste. Genau wie in ihren Geschichten ... ~ „‚Jono tu dies, Jono tu das’. Wie ich es hasse“ fluchte der Blonde lautstark, als er durch diese riesige Gartenanlage ging. In den Händen einige Papyrusrollen, die er dem Hohepriester bringen sollte. Dass Sorja das aber auch nicht selber erledigen konnte. Nein, der Herr Oberpriester musste ja ihn schicken! Jono reichte es langsam. Er frage sich wirklich, ob das Leben hier im Tempel um so vieles besser war als das als Sklave. Herumgescheut wurde er wie eh und je. – Auch wenn er definitiv wusste, welches Leben vorzuziehen war! „Was fluchst du denn hier so rum?“ trat zwischen den Pflanzen ein Junge hervor, etwa in seinem Alter. „Was geht dich das an?“ fragte er genervt zurück. Musste ihn denn heute jeder anreden? „Nichts. Aber ich würde es trotzdem gerne wissen.“ Total unbeeindruckt stand der Junge da, musterte ihn. Ließ nicht erkennen, was er wirklich dachte. „Wenn es dich so brennend interessiert ... ich bin sauer! Den ganzen Tag schon werde ich von hier nach da geschickt. Ich hab es satt!“ Die braunen Augen funkelten aufgebracht, die Papyrusrollen wurden fast zwischen seinen Finger zerdrückt. Der Junge vor ihm musterte ihn einfach weiter stumm. Die violetten Augen fingen seinen Blick ein und ließen ihn nicht wieder los. Minuten standen sie sich stumm gegenüber, bis ... „Wie heißt du eigentlich?“ Fragend wurde er angesehen. „Jono.“ Kurz hatte er gezögert, aber warum hätte er seinen Namen verschweigen sollen? „Und wo wohnst du?“ „Im Tempel.“ „Tempeldiener also. Dann solltest du aber wissen, das man nicht flucht.“ Die Stimme klang gar nicht mal böse oder warnend, einfach nur feststellend. So als ob er es noch nicht wagte, sich ein Urteil über sein Gegenüber zu bilden. „Das stimmt, das solltest du allerdings, Jono“ trat der Hohepriester in ihr Blickfeld. „Hohepriester“ entfuhr es Jono. „Verzeiht, ich ...“ Doch dieser schüttelte nur kaum merklich lächelnd den Kopf. „Merk es dir fürs nächste mal.“ „Jawohl“ verbeugte sich Jono, die Papyrusrollen immer noch im festen Griff. „Wo wolltest du eigentlich mit den Schriftrollen hin, Jono?“ „Zu Euch. Oberpriester Sorja schickt mich.“ „So? Dann gib schon her.“ Jono trat auf den älteren Mann zu und übergab ihm die Schriftrollen. „Und nun ab mit dir. Im Tempel findet sich sicherlich Arbeit für dich“ entließ er den Blonden, der sich gehorsam entfernte. Einige Schritte ging er rückwärts, dann drehte er sich um und machte sich auf den Rückweg zum Tempel. Es war ja nicht so, dass er Angst vor Serfa hätte, aber er war der erste, der ihn freundlich behandelt hatte. Der ihn nicht als das gesehen hatte, wozu ihn die Sklavenhändler gemacht hatten. Und deswegen hatte er sich vorgenommen, dem alten Mann so wenige Probleme wie möglich zu bereiten. So schwer es ihm auch fiel, das immer einzuhalten ... „Und was Euch angeht, Prinz Atemu, Euer Vater wünscht Euch zu sprechen“ hörte er die Stimme des Hohepriesters. Wie angewurzelt blieb er auf dem Weg stehen und lauschte. Sein Herz schlug schnell in seiner Brust und war überdeutlich in seinen Ohren zu hören. Wie ...? „Wenn das so ist, entschuldigt mich bitte, Hohepriester“ war die Stimme des Jungen zu hören. Jono hörte sich entfernende Schritte. In seinem Kopf hallte ein Gedanke. >Mist!< ~ Der elfjährige Junge strich durch die Gänge des Tempels, blieb vor den Gemälden an den Wänden stehen und bewunderte diese. Für ihn hatte ihr Glaube etwas Heiliges an sich, etwas, das man nicht mit Worten beschreiben konnte, nicht fassen konnte. Ihre Religion gab ihm etwas, was er in den Lektionen, die er von seinem Vater bekam, nicht fand. Sie war eine erholsame Abwechslung zu dem strengen Alltag, der im Palast herrschte. Er betrat einen der etwas abseits gelegenen Gänge, wollte einfach nur für ein paar Minuten alleine sein, die Stille genießen, seine Gedanken treiben lassen. Niemand, der um ihn herumschwirrte, jedes seiner Worte auf die Goldwaage legte. In Gedanken versunken, setzte er einen Schritt vor den anderen, nicht wirklich darauf achtend, wo ihn sein Weg hinführte. Sein Blick war zwar auf die Wandgemälde gerichtet, aber sehen tat er sie nicht. Seine Gedanken sprangen von Erinnerung zu Erinnerung, zu Fragen um die Zukunft und wieder zurück ... ... bis er unsanft aus diesen gerissen wurde. „Autsch“ fand er sich auf dem Steinboden sitzend wieder. Mit den Händen stützte er sich leicht ab, um nicht ganz nach hinten zu fallen und suchte nach dem, mit der er da zusammengestoßen war. „Wer läuft denn hier geistesabwesend durch die Gänge, verdammt noch mal?“ hörte er eine bekannte Stimme fluchen, blondes Haar, das wirr in alle Richtungen abstand, braune Augen, die ihn wütend anblitzten ... solange bis der Junge erkennte, ‚wen’ er da angerempelt hatte. „Prinz ...“ wurde die Stimme ganz leise. „Verzeiht, ich habe Euch nicht gestehen.“ Schneller als Atemu gucken konnte, stand er Blonde neben ihm und streckte ihm seine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. „Bitte Entschuldigt, ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.“ Mit weit aufgerissenen Augen blickte Jono den Prinzen an. >Verdammt, schon wieder ...< schalt er sich innerlich. Schon wieder machte er Serfa Probleme. Anstatt sich bei ihm zu bedanken, dass dieser ihn hier aufgenommen hatte, verstieß er gegen eine Gesellschaftsregel nach der nächsten. „Schon gut, ich hab ja selber nicht aufgepasst. Ist halb so wild“ griff Atemu nach der ausgestreckten Hand und ließ sich hoch helfen. „Siehst du? Alles noch dran.“ Oh man, dieses Gesicht, das der Blonde gerade machte ... „Bitte verzeiht“ wiederholte der Blonde und verbeugte sich. „Bitte verzeiht, Prinz. So etwas wird gewiss nicht noch einmal vorkommen. Und das wegen neulich ...“ Jono rang sichtlich mit sich. „... das tut mir auch Leid. Ich wusste nicht, wer Ihr seid. Bitte verzeiht.“ Rückwärts gehend versuchte er, einige Meter Abstand zwischen sich und den Prinzen zu bekommen. „Da warst du mir aber irgendwie sympathischer.“ „Was ...?“ Jono blieb wie erstarrt stehen, wagte aber nicht, aufzusehen. Hatte er das gerade wirklich gehört? „Bist du jetzt plötzlich taub geworden oder was ist los?“ Die Stimme des Prinzen klang belustigt. Irgendwie mochte er den Blonden. Er hatte so eine erfrischend herzliche und offene Art an sich. Etwas, was einem im Palast sehr schnell verloren ging. Dort hatte so etwas einfach nicht zu suchen – nach der Meinung seines Vaters und der Berater. Jono wagte endlich doch seinen Blick zu heben und begegnete den violetten Augen von Atemu, die ihn freundlich anblickten. „Was meinst du, vielleicht sollten wir beim nächsten Mal beide aufpassen, wo wir hingehen?“ „Keine schlechte Idee ...“ antwortete Jono zögernd. Immer noch wusste er nicht recht, ob er dieser freundlichen Art trauen durfte. Zu oft war er schon hereingelegt worden. Zu oft hatten Menschen versucht, ihn erst mit Freundlichkeit gefügig zu machen, weil das wesendlich effektiver war als eine Arbeitskraft gleich von vornherein grün und blau zu prügeln. „Finde ich auch“ nickte Atemu. „Ich heiße übrigens Atemu. Und dein Name war Jono, richtig?“ Fragende Augen, die den Blonden unschuldig anguckten. „Richtig ... Atemu ...“ Jono hielt gespannt die Luft an. Hatte er es wagen dürfen ...? Oder doch lieber nicht ...? „Wo wolltest du eigentlich hin?“ „Nirgends.“ „Das trifft sich gut. Da wollte ich auch hin. Gehen wir zusammen?“ Jono nickte nur. „Dann komm“ griff Atemu nach dem Handgelenk Jonos und zog ihn mit sich fort, Richtung Garten. Beide hatten ein fröhliches Lächeln im Gesicht. Sie spürten beide, dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ... ~ Schweigend stand eine Gestalt am Fenster des Besprechungsraumes und blickte in den Garten hinaus. Beobachtete seinen Sohn und dessen neuen Freund, wie sie durch die Anlage spazierten, sich unterhielten, lachten, sich ärgerten, einander hinterher jagten ... Das fröhliche und ausgelassene Lachen drang bis zu ihm vor. „Was schaut Ihr so besorgt drein, Akamemnon?“ trat eine weitere Person in den Raum herein, die Tür hinter sich wieder schließend. Da vom Pharao keine Antwort kam, trat Serfa neben den jüngeren Mann und sah aus dem Fenster. Suchte nach dem Grund für diesen besorgten Blick. Schnell hatte auch er Atemu und Jono entdeckt, die sich im Garten aufhielten, sich wie Kinder ihres Alters benahmen. Einige Minuten blieb es still zwischen den beiden Freunden. Stumm beobachteten sie. „Glaubt Ihr, dass es wirklich gut ist, dass sich die beiden angefreundet haben?“ brach der Pharao schließlich das Schweigen. „Ja, da bin ich mir sicher, Pharao. Auch wenn Jono noch nicht allzu lange hier im Tempel ist, so bin ich mir doch sicher, dass er Eurem Sohn gut tun wird. Jono wird ihm nicht nach dem Mund reden und auch nicht davor zurückschrecken, ihm die Meinung zu sagen, sollte er anderer Meinung sein. Aber genauso wenig wird er dies vor allen Leuten tun. Jono hat sich an das Leben hier im Tempel gewöhnt, hat die Regeln akzeptiert und wird sich daran halten. Da bin ich mir sicher. Macht Euch keine Sorgen, Pharao.“ Mit ruhiger und selbstsicherer Stimme hatte der Hohepriester gesprochen. Er glaubte, was er sagte. Jono würde dem jungen Prinzen gut tun. Ihm neue Sicht- und Denkweisen aufzeigen. Ihm so das Volk und seine Sorgen und Nöte näher bringen. Jono würde seinen Teil dazu beitragen, aus Atemu einen Pharao zu formen, der es wert war, Pharao genannt zu werden. „Mh ...“ gab der Pharao lediglich von sich, beobachtete weiterhin seinen Sohn, allerdings war der besorgte Ausdruck aus seinem Gesicht gewichen ... ~~~ Eine kleine Gestalt huschte durch die Nacht. Nichts als Dunkelheit um sie herum. Die blauen Augen blickten starr und glanzlos auf den Weg vor ihren Füßen. Er wollte nicht auf sich aufmerksam machen, Krach vermeiden. Die Häuser standen hier eng an eng, jeden Laut hörte man in ihnen. Hinter ihm ertönte ein lautes Krachen, stocksteif blieb der Junge stehen. Hatte man ihn erwischt? Verfolgte man ihn? Stille folgte. Nichts regte sich, dann ... eine Katze miaute, der Laut klang unheimlich in der Stille. Glück gehabt. Die Beine setzten sich wieder in Bewegung, trugen ihn durch das Wirrwarr der Gassen, zielstrebig auf einen bestimmten Ort zu. Dort wurde er hoffentlich in ein neues Leben aufbrechen können, ein Leben beginnen können, das nicht von Angst und Hass geprägt sein würde wie dieses. Fackelschein drang durch die wenigsten Türen, ließ seine blauen Augen kalt aufblitzen – so als wären sie ohne Gefühle. Braunes Haar, das unordentlich und verschmutzt war. Über ihm krachte es. In Sekundenschnelle fuhr sein Kopf nach oben, die Augen suchten nach dem Grund des Krachs. Tausend Gedanken huschten durch seinen Kopf. Hatten sie ihn gefunden? War es wieder nur eine Katze? Oder ...? Instinktiv hob er seine Hände, als er die Gegenstände auf sich herabfallen sah. Die Krüge blieben mitten in der Luft stehen, wie von einer unsichtbaren Hand festgehalten. Schwebten langsam gen Boden, wurden dort abgesetzt. Vom Dach her erscholl das Miauen mehrerer Katzen, die ihn mit leuchtenden Augen über den Rand des Daches hinweg ansahen. Sekunden später verschwanden sie wie schwarze Schatten in der Dunkelheit. >Glück gehabt ...< Sein Blick huschte über die Fenster der umstehenden Häuser, doch nichts bewegte sich. Niemand schien etwas bemerkt zu haben. Sich wieder in Bewegung setzend, nutzte er die Schatten aus, um auch wirklich nicht gesehen zu werden. Minutenlang setzte er seinen Weg fort, an heruntergekommenen Häusern vorbei, wich Nachtschwärmern aus, die betrunken torkelnd seinen Weg kreuzten und kam dem Ziel seines Unternehmens immer näher. Er verlangsamte seine Schritte, sich immer im Schatten haltend. Je näher er dem Platz kam, desto mehr Menschen begegneten ihm. Auch wenn seine Logik ihm sagte, dass sie gar nicht alle sein Geheimnis kennen konnten, so sagten seine Gefühle, dass er keinem von ihnen zu nahe kommen durfte. Es ‚könnte’ ja einer dabei sein, der um sein Geheimnis wusste. Er musterte die versammelten Menschen auf dem Platz. Auch wenn man es vielleicht nicht auf den ersten Blick erkannte, seine Mimik, seine Gestik – alles drückte Neugier aus. Neugier und Interesse. Dort auf dem Platz lagerte eine Gruppe Priester, die Morgen früh zum Tempel in der Wüste aufbrechen würde. Zu einem Tempel des Seth. Dem Gott, von dem er seinen Namen hatte. Er wollte mit ihnen gehen. Weg aus dieser Stadt, dieser Stadt, in der er sowieso nicht willkommen war. Seine Familie mied ihn, hatte Angst vor ihm. Die Nachbarn wichen in andere Gassen und Hauseingänge aus, wenn er die Straße entlang kam. Starrten ihn mit angstvollen und hasserfüllten Blick an. Die anderen Kinder, mit denen er in den Gassen gespielt hatte, wurden von ihren Eltern ins Haus gerufen, sobald er vorbeikam, starrten ihn mit großen Augen an. Er verabscheute dieses Leben! Niemand würde ihn vermissen, wenn er jetzt ginge. Auch wenn er ihnen eigentlich nicht den Triumph gönnen wollte, ihn vertrieben zu haben, er konnte nicht mehr. Blieb er noch länger hier, würde das unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuern. Und auf keinen Fall wollte er so werden wie die, denen solche wie er ihren ‚Ruf’ verdankten. Den Ruf, machtgierig, selbstsüchtig und zerstörerisch zu sein. Die blauen Augen huschten über den großen Platz. Die Vorbereitungen für einen frühen Aufbruch waren bereits getroffen worden, Vorräte zusammengestellt, die Tiere gesattelt. Die Priester selber schliefen zum Teil noch, wurden aber in den nächsten Minuten von ihren Mitreisenden geweckt. Gähnend und streckend erhoben sie sich, halfen mit bei den Vorbereitungen. Jeden Moment könnte es soweit sein. Seth schlich sich zwischen den Stadtbewohnern, die den Priestern halfen, hindurch, auf die Gruppe Kinder zu, die sich etwas von allem gerade den Schlaf aus den Augen rieben. Mischte sich unter sie, hoffte, dass er erst auffallen würde, wenn sie bereits so tief in der Wüste waren, dass die Priester einfach nicht anders konnten als ihn auch weiterhin mitzunehmen. Die letzten Vorbereitungen wurden abgeschlossen, die Karawane machte sich zum Aufbruch bereit. Die Jungen wurden vorwärts getrieben, den Kamelen hinterher. Seth bewegte sich zwischen ihnen, hielt den Blick gesenkt und schaute auch kein einziges Mal, als sie die Stadt bereits hinter sich gelassen hatten, auf, um einen Blick zurück zu werfen. Dieses Leben hatte er aufgegeben ... ~ Die Stimme des Priesters klang gedämpft durch den großen Raum, auf dessen Boden jede Menge Kinder saßen. In weiße Leinentüchern gekleidet, hockten sie auf dem Boden, lauschten aufmerksam den Worten des Mannes. Keiner wagte es, sich mit seinem Nachbarn zu unterhalten, strengste Ruhe herrschte hier. Der braunhaarige Junge lauschte besonders aufmerksam den Worten des Priesters. Er wollte alles erfahren, was es über die Götter zu wissen gab. Wollte wissen, wieso man lebte, wieso man so lebte, wie man lebte. Ob es dafür einen Grund gab. Ob es einen Grund gab, dass die Götter manche Menschen mit besonderen Gaben ausstatteten. Und sollte es einen Grund geben, wie lautete dieser? Seth wollte wissen, warum er so war, wie er war. „Seth. Kommst du bitte mal!“ Die Stimme des Priesters klang warm und freundlich durch das Geraschel von Stoff, als die versammelten Kinder sich erhoben, um an ihre Arbeiten zu gehen. Der Unterricht für heute war beendet. Seth drehte sich herum und ging an der Reihe Kinder entlang weiter in den Raum hinein und auf den Priester zu. „Ja?“ fragte er leise, blieb vor dem Mann stehen. Ihm war nie besonders wohl zumute, wenn einer der Priester nach ihm rief. Jedes mal schoss in ihm der Gedanke hoch, dass sie ihn zurückschicken würden. Doch bis jetzt war dies noch nicht geschehen. „Wie ich gehört habe, sollst du dich recht erfolgreich anstellen. Man hört nur Gutes über dich und deine Leistungen. Das freut mich, wirklich.“ Seths Kopf fuhr hoch. Mit ungläubigem Blick musterte er seinen Gegenüber. Meinte der das jetzt ehrlich? „Nun guck nicht so“ kam sogleich die Erwiderung. „Du solltest nicht immer gleich hinter jedem und allem etwas Böses vermuten. Ein klein wenig Vertrauen hat noch niemandem geschadet.“ Sanft wurde er angelächelt. „Es freut mich wirklich, dass du dich hier so gut eingelebt hast. Ich glaube, wenn du dich weiterhin auch so gut anstellst, kann aus dir mal etwas werden. So, und jetzt an die Arbeit mit dir“ schob er den Jungen Richtung Ausgang, den beinah glücklich zu nennenden Ausdruck in den blauen Augen registrierte er zwar, wies den Jungen aber nicht darauf hin. Ein wenig mehr Vertrauen konnte dem Jungen wirklich nicht schaden ... ~ Die Tür wurde langsam geöffnet, Staub wirbelte auf, als der Luftzug in den Raum fuhr. Schnell trat Seth herein und schloss die Tür wieder hinter sich. Langsam nur legte sich der Staub. Den Blick suchend über die Regale gleiten lassend, schritt er durch die Gänge, die lediglich von dem wenigen Licht erhellt wurden, das durch zwei kleine Fenster hoch oben in der Decke fiel. Seine Fußspuren blieben im Staub auf dem Boden zurück, würden mit der Zeit wieder verschwinden, von neuem Staub bedeckt werden. Vor einem Regal blieb er stehen, hatte das Gesuchte gefunden. Ganz oben lagen die Papyrusrollen, die er suchte. Aber wie daran kommen? Kletterte er auf das Regal und riss es dabei um, würde das ein Donnerwetter nach sich ziehen, dass er die nächsten paar Tage taub sein würde. Also ... blieb ihm noch eine Möglichkeit. Mit konzentriertem Blick fixierte er die Schriftrollen, die er aus dem Regal heben wollte, streckte seine Hände leicht aus. Sekundenlang geschah nichts. Dann bewegten sie sich leicht. Ruckelten etwas hin und her, schwebten ein kleines Stück über dem Regalbrett. Lösten sich dann vollkommen von ihrem Platz und schwebten seinen ausgestreckten Händen entgegen. Kamen dort zum Liegen. Ein stolzes Lächeln erschien auf Seths Lippen. Er hatte es geschafft! Er wurde immer besser, nichts anderes hatte er umgerissen oder beschädigt. Gerade wollte er sich zur Tür wenden, als diese geöffnet wurde. „Seth? Bist du hier?“ hörte er die Stimme seines Lehrers durch den Raum hallen. Schreck! Hoffentlich hatte er nichts gesehen. „Seth? Hallo? Hast du die Schriftrollen gefunden?“ „Ja, ja, habe ich“ gab er schnell zurück. Flitzte durch den Gang zurück zur Tür, damit der Priester ja nicht auf die Idee kam, nachzugucken, wo die Papyrusrollen genau gelegen hatten. „Dann ist ja gut“ kam die erfreute Antwort. Schnell trat er aus dem Raum, zog die Tür hinter sich zu und folgte seinem Lehrer dann zu dessen Arbeitszimmer. Je älter der Mann geworden war, desto mehr hatte er Seth die kleinen und später auch die großen Aufgaben übertragen. So war Seth mit der Zeit zu so etwas wie seinem persönlichen Helfer geworden. Immer mehr Vertrauen hatte der Junge zu dem Mann aufgebaut, hatte wieder angefangen zu lachen und zu leben – wenn auch nur langsam. Er hatte gelernt, dass nicht alle Menschen ‚schlecht’ waren. Es gab auch welche, die anders waren. Tolerant, großherzig, gütig. Für diese Menschen lohnte es sich zu kämpfen, für sie da zu sein. Seths Traum bestand darin, ein vollwertiger Priester zu werden und diesen Menschen zu helfen. ~ Unruhe entstand im Tempel, als die Nachricht umherging, der Hohepriester wäre am Morgen angekommen. Gerüchte darüber, was er hier wollte, verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Die einen sagten, er sei hier, um nach dem Rechten zu sehen, die anderen sagten, er wäre nur auf der Durchreise. Und wieder andere meinten gehört zu haben, dass der alte Hohepriester hier seinen Nachfolger abholte. Sollte dies allerdings wahr sein, so wäre das eine noch nie da gewesene Ehre. Noch nie war es geschehen, dass ein Seth-Priester zum Hohepriester, einem Diener des Rah, ernannt worden war. Zu gegensätzlich waren sich einfach diese beiden Götter. Den ganzen Vormittag über schlichen die Priester des Seths an der Tür der Besprechungshalle herum. Jeder hoffe, einen Hinweis darauf zu bekommen, wer der auserwählte Priester war. Doch kein Wort drang durch diese Tür ... ... bis sie sich am frühen Abend endlich wieder öffnete. Heraus trat ein junger blonder Mann, der vor den versammelten Priestern erwartungsvoll und fragend angesehen wurde. Leise schloss er die Tür wieder hinter sich und wandte sich dann an die Versammelten. „Verzeiht bitte, könnten Sie mir sagen, wo ich einen Priester namens Seth finde?“ Abwartend sah er die Priester an. Er wusste, was er mit der Nennung dieses Namens auslöste. Enttäuschung breitete sich jetzt sicherlich in den meisten aus, dass nicht sie es waren, den Serfa zu seinem Nachfolger erklärte. Denn davon gingen sie ja bestimmt alle aus. Dass er, Jono, auf Befehl des Hohepriesters seinen Nachfolger zu ihm bringen sollte. „Komm mit“ setzte sich einer der Anwesenden in Bewegung. Ein alter Mann, schlohweißes Haar, war er wohl nur neugierig darauf, welchem der Priester diese Ehre zuteil wurde. Denn dass er ausgesucht werden würde ... daran hatte er nie gedacht. Jono folgte ihm stumm durch einige Gänge des riesigen Gebäudes. Schon jetzt wusste er nicht mehr wirklich, wo sie sich befanden. Seth würde ihm den Weg zurück zeigen müssen. Der alte Priester blieb stehen und wartete auf Jono. „Dort, das ist Seth“ wies er in den Raum hinein, vor dem sie standen. Jonos Blick glitt zu dem Priester herüber. Überrascht stieß er leise die Luft aus. Das hätte er nun nicht erwartet. Dieser Seth war nicht viel älter als er selber. Braunes Haar, das im Sonnenlicht glänzte, selbstbewusst stand er vor einem Altar und schien ganz in Gedanken versunken. „Achte ein bisschen auf ihn. Er ist etwas ... eigenwillig“ flüsterte der Priester Jono zu. Über Jahre hatte er Seths Ausbildung überwacht, den kleinen Jungen, der zu nichts und niemandem Vertrauen fassen konnte, zurück ins Leben geführt. Verwundert blickte der Blonde von Seth zu ihm und dann wieder zurück. >Nun, er kann eigenwillig sein so viel er will, solange er als Hohepriester etwas taugt< dachte Jono sich. Kurz nickte er dem Priester zu, dann betrat er den Raum. „Priester Seth?“ rief er leise in den Raum hinein, wartete darauf, dass dieser aus seinen Gedanken auftauchte. „Was ist?“ kam es nur geknurrt zurück. „Verzeiht, aber ich soll Euch zum Hohepriester bringen.“ „Ach?“ bequemte sich Seth jetzt doch sich umzudrehen. Blaue Augen fixierten den Eindringling, musterten diesen. Begegneten den braunen Augen, die genauso musternd zurückblickten. Erstaunt nahm Seth dies wahr. Außer dem Oberpriester und seinem Mentor schaffte es sonst keiner, seinem Blick standzuhalten. „Und wer bist du?“ fragte er den Blonden mit kühler Stimme. Seltsamerweise interessierte es ihn, wer sein Gegenüber war. „Mein Name ist Jono. Ich bin Tempeldiener im Tempel des Pharaos.“ Genauso kühl brachte Jono seine Antwort heraus. Irgendwie ... mochte er diesen Kerl. Er hatte so etwas an sich, etwas, das ihn an Atemu erinnerte. Selbstbewusstsein, Stärke, und doch wiederum sehr verletzlich. >Was du wohl durchgemacht hast?< „Nun denn, Tempeldiener Jono, dann wollen wir den Hohepriester nicht warten lassen.“ Seth schritt auf den Ausgang zu, ob Jono ihm folgte, schien ihm egal zu sein. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er den Raum, nickte dem alten Priester kurz zu und verschwand dann im Wirrwarr der Gänge. Wo sich der Hohepriester aufhielt, wusste er ja. War ja auch nicht schwer zu erraten, bei dem Menschenauflauf, der in diesem Teil des Tempels momentan herrschte. Hinter sich hörte er hastige Schritte. Zwar drehte er sich nicht um, wurde aber doch etwas langsamer, damit der Blonde ihn einholen konnte. Schweigend brachten sie den Weg hinter sich und als sie an der Besprechungshalle ankamen, schlug ihnen eisige Stille entgegen. Nicht darauf achtend, klopfte Jono an der Tür, öffnete diese und trat, gefolgt von Seth, ein ... ~ Seth verfluchte sich innerlich. >Verdammt, schon wieder verlaufen.< Die blauen Augen musterten die Gänge, die sich vor ihm auftaten. Eigentlich wollte er nur zum Gebetsraum. Seine Gedanken spielten verrückt, seit er vor einigen Tagen hier im Haupttempel angekommen war. Die Unterweisung von Serfa hatte ab dem ersten Tag begonnen und so langsam musste er all die Informationen, die er erhalten hatte, verarbeiten. Nie im Leben hatte er damit gerechnet, dass ausgerechnet er zum Nachfolger des Hohepriesteramtes auserwählt würde. Auch wenn er den Menschen helfen wollte, aus seinem Glauben Kraft schöpfte, so hatte er doch nie diese Macht gewollt, die er mit der Ernennung zum Hohepriester besitzen würde. Ja, er fürchtete sich sogar ein wenig davor. Seine Gedanken hatten angefangen, Kreise zu drehen und um diese Kreise zu entwirren, hatte er sich auf den Weg zum Altar gemacht. Nur leider sahen die Gänge dieses riesigen Tempelgebäudes für ihn immer noch gleich aus. Jetzt wusste er, wie sich Jono im Wüstentempel gefühlt haben musste. Seth ließ seinen Blick umherschweifen und überlegte, welcher dieser Gänge ihn denn jetzt zu seinem Ziel führen würde. „Kann man Euch irgendwie helfen, Priester?“ erklang hinter ihm eine vertraute Stimme. Betont langsam drehte er sich um und erblickte Jono, der ein paar Meter vor ihm stand. „Was ist?“ wiederholte er, als er von Seth keine Antwort bekam. So sprachlos kannte er ihn gar nicht. Wann immer es ging, beobachtete er den Neuen. Wollte wissen, warum Serfa ihn als seinen Nachfolger ausgewählt hatte. Richtig verstehen tat er das immer noch nicht, aber eines hatte er festgestellt. Seth wies in manchen Dingen eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Serfa auf. Beide ehrten sie die Götter aus tiefstem Herzen, wollten den Menschen helfen und ließen sich ihre Macht nicht zu Kopf steigen. Jono musterte den Braunhaarigen. Die blauen Augen besaßen einen seltsamen Ausdruck, den er noch nicht wirklich zu deuten wusste. Irgendwie so, als ob jedwedes Vertrauen ihm fremd war. Fast kalt blickten sie jeden an, der ihm zu nahe kam. Einige der Oberpriester ließen kein gutes Haar an Seth, wenn sie sich im privaten über diesen unterhielten und sich über die Frechheit ausließen, die sich Serfa ihrer Meinung nach geleistet hatte. Doch Jono sah noch etwas anderes in diesen Augen. Etwas, was bis vor einigen Jahren auch noch in seinen Augen zu lesen gewesen war. Die Sehnsucht nach jemandem, dem man vertrauen konnte. Nach einem Menschen, der einem half, einen nicht ausnutze. Im Hohepriester hatte Jono zum Teil so einen Menschen gefunden. Er hatte ihm geholfen, ihm die Chance gegeben, ein Leben zu führen, das um einiges besser war als das eines Sklaven. Und Jono war sich sicher, was auch immer Seth erlebt haben mochte, was ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, hier würde dieses Gleichgewicht wieder hergestellt werden. Serfa besaß ein unglaubliches Talent, Menschen wieder aufzubauen. Außerdem war da ja noch er, Jono. Seth gefiel ihm. Von seiner Art her, hatte er etwas an sich, das ihn an Atemu erinnerte. Er musste es nur schaffen, Seths Schutzmauer zu durchbrechen. Der Blonde war sich sicher, dass hinter diesem rauen Verhalten ein Grund steckte. Und den würde er herausfinden! „Den Weg zum Altar“ war alles, was Seth auf die Frage des Blonden antwortete. Richtig konnte er ihn noch nicht einschätzen. Irgendwie war der Blonde immer da, wenn er Probleme hatte. Half ihm, wo immer es ging und schien so absolut keine Gegenleistung dafür zu erwarten. Aber ob dem wirklich so war oder ob er sich nur etwas davon erhoffte, wenn Seth erstmal Hohepriester war? Er wusste es nicht. ‚Vertraut ihm ruhig etwas. Sein Weg ist dem Euren nicht ganz unähnlich’ erinnerte Seth sich an die Worte des Hohepriesters, als er diesem gegenüber eine Frage bezüglich Jono gestellt hatte. Sollte er es riskieren? Er vertraute dem Hohepriester. Der alte Mann hatte etwas an sich, das ihn an seinen Lehrer und Mentor erinnerte. Bei dem Mann fühlte er sich nicht ausgenutzt, sondern geachtet und gebraucht. „Zeigst du ihn mir?“ war die Frage über seine Lippen, bevor er richtig über sie nachgedacht hatte. Nun, da hatte wohl sein Gefühl für ihn entschieden, das er dem Blonden vertrauen sollte. Es einfach mal versuchen. Mehr als schief gehen konnte es schließlich nicht. „Aber sicher doch“ lächelte der Blonde ihn an. „Kommt“ trat er an Seth vorbei in einen der Gänge. Schritte hinter ihm zeigten ihm, dass der Angesprochene ihm folgte. Ein paar Meter hatten sie bereits hinter sich gebracht, da meinte er so etwas wie ein leises „Danke“ von hinten zu hören. ~ Hier in diesen etwas abseits gelegenen Teil des Palastgartens kam so gut wie nie jemand vorbei und aus diesem Grund hatten sich auch die drei Personen hier getroffen. Sie brauchten einen Ort, an dem sie nicht so schnell gefunden werden würden. Einen Ort, wo sie vor ungebetenen Zuhörern sicher waren. Den Palastgarten durften ja eh schon nur die Palastwachen, die Priester aus dem Haupttempel und die Diener des Pharaos betreten und diese Personen sahen meist zu, dass sie ihren Aufenthalt hier so kurz wie möglich hielten. Für sie gehörte dieser Garten dem Pharao und dass sie ihn durchquerten, geschah auch nur, weil, sollte dem Pharao zu Ohren kommen, das man den weitaus größeren Umweg um den Palast herum nahm, sie sich einen königlichen Vortrag in Sachen ‚Menschlichkeit’ einfangen würden. „Hat einer von euch beiden eine Idee, wie wir Fawe und diese Elemente in ihre ‚Käfige’ kriegen sollen?“ Jono hatte sich auf einer der Bänke niedergelassen, gegenüber von Seth und Atemu, die er jetzt fragend ansah. „Wir müssten an diese Beschwörung herankommen. Dann dürfte das kein allzu großes Problem mehr sein.“ „Kein ‚allzu großes Problem’? Du scheinst vergessen zu haben, was auf dem Spiel steht, Hohepriester“ sah Jono diesen skeptisch an. „Habe ich nicht“ gab Seth mit fester Stimme zurück. „Ich meinte damit lediglich, dass es dann kein allzu großes Problem mehr wird, diese Käfige entstehen zu lassen. Anders sieht es da schon mit der Tatsache aus, dass wir unsere Feinde erstmal soweit schwächen müssen, das sie sich da einsperren lassen.“ Jono schwieg. Irgendwie geriet er in den letzten Tagen immer öfters und heftiger mit Seth aneinander. Seit sie vor wenigen Tagen von der Gefahr, die Ägypten drohte, erfahren hatten, spielten seine Nerven verrückt. Ja, er wusste, wie man sich fühlte, wenn man in Gefahr war. Wenn das eigene Leben an einem seidenen Faden – oder besser der Laune eines übellaunigen Herrn – hing, aber für das Leben von anderen Menschen verantwortlich zu sein? Dieses Gefühl kannte er nicht. Er hatte ja schon genügend Probleme damit gehabt, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Und da sollte er eine ganze Welt retten? Seth blickte Jono mit eisblauen Augen an. Was er dachte, sah man dem Hohepriester in keiner Weise an. Deswegen war er ja auch so gut, was Verhandlungen betraf. Seine Gegenüber wussten nie, was er als nächstes plante, konnten ihn nicht im Geringsten einschätzen. Er wusste, was alles davon abhing. Wusste, dass er mit diesen Verhandlungen und den Regierungsgeschäften das Leben von Tausenden und abertausenden von Menschen beeinflussen würde. Also durfte er sich keine Fehler leisten. Er war von seinem Mentor intensiv auf ein Leben als Priester vorbereitet worden. Auf ein Leben, das automatisch Verantwortung für andere mit sich brachte. Große Verantwortung. Seth kannte dieses Gefühl. Der Hohepriester wusste aber auch, dass Jono es nicht kannte. Nie kennen gelernt hatte. Und dass er momentan mit sich selber nicht im reinen war. Das sah man den braunen Augen an. In den letzten paar Tagen hatte er den Blonden des Öfteren alleine irgendwo stehen sehen, wie er nachdachte, überlegte, Gedanken wälzte. Aber nie schien er zu einer zufrieden stellenden Antwort gekommen zu sein. Als Atemu ihn dann auch darauf angesprochen hatte, hatte sie beide beschlossen, mit Jono darüber zu reden. „Hey, Jono“ stieg Atemu in das Gespräch mit ein. „Keiner von uns hat vergessen, was auf dem Spiel steht. Wie wichtig dieser Kampf werden wird.“ „Weiß ich doch“ murmelte er leise. „Weiß ich doch ...“ Leicht niedergeschlagen blickte er auf den Boden, sah so nicht, wie sich Atemu erhob. „Wir werden das schaffen, hörst du?“ wurde er in eine warme Umarmung gezogen. Fast schien es, als hätte er nur darauf gewartet. Wie ein kleines Kind krallte er sich in Atemus Oberteil, flüchtete sich noch mehr in diese Umarmung. „Ich ... ich hab Angst“ schluchzte er kaum hörbar. „Ich weiß einfach nicht ... so viel hängt davon ab ... wie ...“ Unzusammenhängende Sätze, die aus ihm heraus brachen. Aber das, was er sagte, war gar nicht mal so wichtig. Viel wichtiger war das, was er tat. Er lief nicht weg. Er lief nicht vor dieser großen Verantwortung, die ihn zu erdrücken drohte, davon. „Sch, ist ja schon gut, Jono. Wir werden das schaffen, hörst du? Wir schaffen das, ganz sicher“ redete der Pharao immer weiter auf seinen Freund ein. Leise, freundlich, und doch eindringlich. Er ließ bei sich keinen anderen Gedanken zu. Er vertraute in sich, in Seth – und auch in Jono. Wusste, das sie drei zusammen es schaffen würden, stark genug sein würden. Vielleicht würde der Kampf nicht ganz problemlos verlaufen – so verlief nie etwas im Leben –, aber wenn er der Möglichkeit einer Niederlage nur einen ganz kleinen Raum in seinen Überlegungen zugestand ... Dachte man zu viel und zu oft an seine Niederlage, so trat diese ganz sicher ein. Verbannte man die Gedanken daran aber ganz nach unten, ohne sie zu vergessen, so ging man meist als Sieger aus einer Konfrontation. „Du bist stark. Sehr stark. Kaum einer hätte all das durchgestanden, was du erlebt hast. Du hast dich nicht unterkriegen lassen. Hast nach Möglichkeiten und Chancen gesucht, um dein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Und ich sage dir: wer ein Leben, das so durcheinander war wie deines, wieder auf die Reihe kriegt, der schafft es auch, Ägypten zu retten.“ Den Kopf leicht gedreht, sah er Seth aus Atemus Umarmung aus an. Undeutbar. Schien zu überlegen. Nach und nach wurde ein Lächeln sichtbar. Erleichtert, dankbar, freundlich. „Mh, wir schaffen das.“ Zwar noch leise und leicht zögernd ausgesprochen, aber immerhin ... „Sagen wir doch die ganze Zeit“ antwortete Atemu, der seine Umarmung löste. „So, und wie kommen wir jetzt an diese Beschwörung heran? Ich hab keine besonders große Lust, den vier Oberpriestern in der Wüste einen Besuch abzustatten, um nach der Schriftrolle zu fragen. Wobei das eh fraglich ist, ob sie diese noch haben“ griff er den Anfang des Gespräches wieder auf. „Wenn ich das nur wüsste ...“ Seth sah nachdenklich in den Himmel hinauf, wer wusste schon, ob nicht vielleicht die Sterne eine Antwort für sie hätten? Nun, die Sterne hatten keine Antwort, dafür jemand anderes ... „Wie wäre es denn, wenn ...“ überlegte Jono laut, den Blick auf irgendeinen Punkt im Pflanzendurcheinander des Gartens gerichtet. Gespannt sahen Pharao und Hohepriester ihren Freund an. Doch als dieser nicht weiter sprach ... „Was denn, Jono?“ riss Atemu ihn aus seinen Gedanken. „Mh? Achso ... ich hab nur gerade überlegt ... Osiris hat doch was vom ‚Reich der Toten’ gesagt und dass wir es ‚besuchen’ könnten, oder? Wenn dem so ist, könnten wir doch die Menschen fragen, die Fawe schon mal besiegt haben, wie sie das gemacht haben“ sah er die beiden fragend an. War ihm gerade so eingefallen ... „Jetzt wo du es sagst ...“ murmelte Seth. „Ich glaub, da war wirklich was.“ Er grub in seinen Erinnerungen nach diesem Moment, wo sie vor den Göttern gestanden hatten. Versuchte sich an all das zu erinnern, was die Götter ihnen erzählt hatten. Einige Momente vergingen, jeder versuchte sich zu erinnern. Fast zeitgleich blickten sie sich an. Sie erinnerten sich wieder. Erinnerten sich an das, was Osiris zu ihnen gesagt hatte. ‚Hört meine Worte, Krieger des Schicksals. Die Fähigkeit, ins Reich der Toten zu gelangen und dort Wissen und Erfahrung zu erlangen, sei die Eure. Nutzet sie gut.’ „Gut, jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wie wir ins Reich der Toten gelangen können“ brachte Jono es auf den Punkt. „Ne Karawane mal eben ins Reich der Toten und wieder zurück werden wir wohl kaum auftreiben können.“ „Ich glaube nicht, dass wir körperlich ins Reich der Toten gelangen können. Schließlich sind wir noch nicht tot. Wenn, dann können wir es nur geistig betreten. Und für so etwas muss man sich für gewöhnlich nur stark genug konzentrieren.“ „Na los, versuchen wir es. Was anderes bleibt uns eh nicht übrig“ lächelte Atemu aufmunternd seinen Geliebten und seinen Freund an. Von so weit hergeholt hörte sich Seths Erklärung gar nicht an. „Wenn du meinst“ stimmte Jono dem Vorschlag zu. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass der Pharao meistens die richtigen Vorschläge machte. Atemu schien ein unglaubliches Gespür dafür zu haben, welche Vorschläge und Ideen brauchbar waren und welche nicht. Egal wie wahnwitzig oder absurd die Vorschläge manchmal auch waren ... „Haltet euch an den Händen fest und denkt ganz fest ans Reich der Toten. Daran, wen wir dort finden müssen.“ Die Augen geschlossen haltend, fassten sie sich an den Händen, lösten ihren Griff auch nicht für eine Sekunde. Wollten und konnten nicht auf die beruhigende Nähe verzichten, die sie spürten. Der Gedanke daran, das Reich der Toten zu betreten – wenn auch nur mental – war schon etwas erschreckend. Sie brauchten die Nähe, die Wärme. Konzentrierten sich auf das, was sie wissen wollten. Auf die Beschwörungen, die damals gesprochen sein mussten, auf diejenigen, die sie gesprochen haben ... Und so gelangten sie ins Reich der Toten, wo sie hoffentlich die Beschwörungen erfahren würden, mit denen sie ihre Gegner ruhig stellen konnte ... ~ „Du musst den Arm etwas höher halten, Jono. Ja, gut so“ stand Atemu neben dem Blonden und korrigierte dessen Haltung. „Und du musst die Füße etwas weiter auseinander nehmen, Seth. Sonst liegst du beim ersten Angriff von Jono auf dem Boden.“ Seth grummelte leise, tat dann aber, was Atemu sagte. Schließlich war der Pharao der einzige, der schon mal ein Schwert in den Händen gehalten hatte und somit Erfahrung in Sachen Schwertkampf aufzuweisen hatte. „Merkt euch diese Stellung sehr gut. So steht ihr standfest, könnt angreifen und euch verteidigen, ohne großartig viel Kraft zu verbrauchen. Ihr könnt anfangen.“ Atemu trat einige Schritte zurück und beobachtete seine Freunde, wie sie versuchten, sich gegenseitig das Schwert aus den Händen zu schlagen. Wirklich verletzten wollten sie den anderen ja nicht, aber irgendwie mussten sie es ja lernen. Die letzten beiden Tage hatte er jeweils mit einem geübt, wie man das Schwert richtig hielt, sich verteidigte und selber angriff. Doch da er kein ausgebildeter Kampflehrer war, verursachte es ihm leichte Probleme, den Angriffen auszuweichen und gleichzeitig auf Fehler aufmerksam zu machen. Deswegen hatte er sich entschieden, die beiden gegeneinander antreten zu lassen. Am besten lernte man es eh, wenn man mit jemandem übte, der genauso gut war wie man selber. Vor wenigen Tagen erst hatten sie die Schwerter aus dem Schattenreich erhalten – und festgestellt, das zwei von ihnen noch nie ein Schwert gebraucht hatten. So gut sie auch kämpfen konnten, ihre Waffen sahen anders aus. „Halt, Stopp!“ unterbrach er den Kampf. „Seth, halt das Schwert beim nächstem Mal etwas höher“ korrigierte er den ersten Fehler. „Und du, Jono, stell dich etwas sicherer hin. Sonst haut Seth dich beim nächsten Schlag vollkommen um.“ Der zweite Fehler. Der Pharao trat wieder zurück und beobachtete weiter, während sich seine Gedanken auf Wanderschaft begaben. >Das wird noch ein gutes Stück Arbeit, wenn ich mir das so ansehe. Aber die beiden sind ja zum Glück lernfähig. Bleibt nur zu hoffen, dass von den Ministern oder Priestern keiner etwas merkt ... Die Erklärung muss dann wirklich gut sein ...< Wie sollte er auch erklären, dass er einem einfachen Tempeldiener und dem Hohepriester den Umgang mit dem Schwert beibrachte? Gut, er war der Pharao, aber das hieß ja noch lange nicht, dass seine Minister und die Priester ihm automatisch alles glaubten, was er sagte ... Und im Moment konnte er es sich einfach nicht leisten, es sich ernsthaft mit ihnen zu verscherzen. Den gesamten Abend hatte er Seth und Jono gegeneinander kämpfen lassen, hatte die schlimmsten Fehler korrigiert und die, die nicht wirklich eine Auswirkung auf den Kampf hatten, erstmal unbeachtet gelassen. Damit konnten sie sich auseinander setzen, wenn die beiden die Grundzüge draufhatten und dann immer noch Zeit blieb. Erstmal kam es darauf an, dass die beiden sich nicht selber oder gegenseitig mit den Schattenschwertern aufspießten. „Oh man“ ließ sich Jono stöhnend ins Gras fallen. „So anstrengend waren noch nicht einmal die Strafarbeiten von Serfa.“ Das Schwert in seiner Hand löste sich in Luft auf. „Mh“ gab Seth zurück, setzte sich auf die Bank. Sein Schwert verschwand ebenfalls aus seiner Hand. Er war auch geschafft, das sah man ihm an. Diese Art der körperlichen Anstrengung waren weder er noch Jono gewöhnt. Klar, sie waren beide keine Schwächlinge, aber dennoch ... „Und jetzt mal ehrlich, Atemu, wie gut sind wir wirklich?“ Die ganze Zeit über hatte der Pharao sie trotz all ihrer Fehler immer wieder gelobt. Moralisch aufgebaut, wenn sie kurz davor waren, alles hinzuschmeißen. „Nun, ihr würdet zwar in einem Krieg nicht wirklich lange überleben, aber zumindest besteht keine Gefahr, dass ihr euch selber umbringt.“ Atemu hatte sich neben Seth niedergelassen, die Beine ausgestreckt und grinste seine Freunde jetzt an. ‚Schlecht’ war keiner von ihnen. Sie wussten, wie man überlebte, wie man kämpfte. Nur die Waffe war halt etwas ungewohnt. Aber das würden sie auch noch hinkriegen, da war er zuversichtlich. „Na, das ist doch schon mal was“ meine Jono lächelnd, ließ sich nach hinten fallen und verschränkte die Arme hinterm Kopf, blickte in den dunkler werdenden Himmel. Seth wandte seinen Kopf seinem Geliebten zu und lächelte ihn an. Glücklich, stolz. ~ „Nun, ich glaube, das Schicksal hat mal wieder die richtige Entscheidung getroffen, als es diese drei auserwählt hat.“ Die Person stand in einer unendlich wirkenden Ebene und sah in die Luft vor sich. Neben ihm stand eine weitere Person, die nicht gerade erfreut in die flimmernde Luft starrte. Er hatte so gehofft, dass es nicht soweit kommen würde. Er hasste es, wenn er mit Rah einen Waffenstillstand eingehen musste. Er hasste diesen Zustand des ‚Unentschieden’ in ihrem Kampf. Ein leises Knurren verließ seine Kehle, gab damit seine Einstellung zu der momentanen Situation Ausdruck. „Nun stell dich mal nicht so an, Seth“ ließ sich Rah vernehmen. „Sei lieber froh, dass das Schicksal der Welt in so fähigen Händen liegt. Sonst war es das mal mit unserem Wettstreit.“ Der Gott beobachtete weiter die drei Menschen, die sich fröhlich lachend unterhielten, geschafft aussahen von ihrem täglichen Training. Auch wenn es bestimmt anstrengend war, sie hielten durch. Hatten nur das Wohl der Menschen im Sinn und würden für dieses Alles geben. Atemu und Seth erinnerten ihn an etwas. Seit Ewigkeiten und Urzeiten war er nun schon ein Gott, wachte über die Menschen und die Erde. Zusammen mit den anderen Göttern versuchte er, den Menschen etwas zu geben, woran sie sich im Leben halten konnten. Einen Glauben, der ihnen in den schweren Stunden ihres Lebens weiterhelfen sollte. Ihnen Kraft und Zuversicht schenken sollte. Hoffnung. Bei manchen gelang es, bei manchen nicht. Andere vertrauten lieber auf sich und die Kraft, die sie selber besaßen; andere schöpften Kraft aus ihrem Glauben. Religionen gab es in allen möglichen Formen. In jedem Teil der Welt hatten sie sich anders entwickelt, hatte andere Name für die Götter geformt und andere Schwerpunkte festgelegt. Doch der Glaube an sich war überall gleich. Manchmal verstand keiner von ihnen, was in den Köpfen der Menschen vor sich ging. Weder Rah, noch Seth, Osiris, Sachmet ... keiner der Götter. Keiner konnte nachvollziehen, warum sich die Menschen aufgrund verschiedener Religionen bekriegten. Warum ganze Völker ausgelöscht wurden, nur weil sie ihren Glauben anders auslebten. Im Laufe der Zeit hatten die Menschen sichtlich vergessen, das ‚Glauben’ nichts mit der Religion zu tun hatte. Man sollte meinen, je älter die Menschheit wurde, desto weiser wurde sie. Stattdessen vergaß die Menschheit umso mehr, je älter sie wurde. Glauben kam aus dem Herzen, hatte mit dem Verstand und der Logik nicht das Geringste zu tun. Doch über all die Ewigkeiten hinweg war ihm eines immer wieder aufgefallen. Das Gleichgewicht von Gut und Böse war ständig im Wandel. Mal zu Gunsten des Bösen – dann herrschten Hunger, Not und Elend –, dann wieder zu Gunsten des Guten – dann herrschten Glück, Liebe und Eintracht. Dieses Gleichgewicht der Mächte stand niemals still. Würde es irgendwann still stehen, würde das bedeuten, dass weder Gut noch Böse mehr existierten und dann konnte auch kein Leben mehr existieren. Leben beruhte auf dem Wechselspiel von Gut und Böse, wurde von dem Kampf bestimmt, dem Bösen nie die Oberhand zu gewähren. Von Zeit zu Zeit drohte dieses Gleichgewicht zu kippen. Sollte dies geschehen, passierte das gleiche wie bei einem Stillstand. Leben würde nicht mehr möglich sein. Das Gute konnte nicht ohne das Böse existieren und das Böse konnte nicht ohne das Gute bestehen. Sie waren voneinander abhängig. Kannte man keinen Krieg, würdigte man den Frieden nicht. Kannte man keinen Hass, genoss man die Liebe nicht. Auf der einen Seite Feindschaft, auf der anderen Seite Freundschaft. Wie die zwei Seiten einer Medaille. Es war im Wesen der Menschen verankert, dass sie beides in sich trugen. Gut und Böse. Täglich kämpfte es miteinander. Es kam nur darauf an, dass man das Böse nicht gewinnen ließ. Wenn es von Zeit zu Zeit doch mal geschah, dass zu viel Böses auf der Welt regierte, wurde das Gleichgewicht sehr bald wieder hergestellt. Immer wieder hatten die Götter Menschen beobachtet, die eine einzigartige Gabe besaßen. Sie trugen Licht in sich. Das Licht der Hoffnung. Ein Licht, das Kraft und Zuversicht ausstrahlte. Auch wenn es immer nur wenige dieser Menschen waren, die auf der Erde lebten, sie verbreiteten ihr Licht überall auf der Welt, dass das Gute einfach wieder Überhand nehmen musste. Es nahm den Kampf gegen das Böse auf und brachte das Gleichgewicht wieder in Ordnung. Diese beiden Menschen, Atemu und Seth, besaßen genauso ein Licht. Sie besaßen die Gabe, Menschen zu führen und zu leiten. Die Gabe, die Herzen der Menschen zu erobern und genossen ihr Vertrauen. Mit Freude hatten sie beobachtet, wie Ägypten immer weiter aufblühte, wie die Bevölkerung ihrem Pharao und ihrem Hohepriester Vertrauen entgegenbrachte. Und auch wenn Seth jetzt leicht sauer auf das Schicksal war, weil sein Wettstreit mit Rah eine Runde aussetzen musste ... ... alle Götter waren erleichtert, dass das Schicksal die Zukunft der Menschen in die Hände von Menschen gelegt hatte, die eine wirkliche Chance hatten, Fawe zu besiegen ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)