Visiting Jesus von abranka ================================================================================ Kapitel 1: Visiting Jesus ------------------------- „Hey Zoe!“ Azumi grinste breit und winkte ihrer besten Freundin Zoe zu. Diese kam gerade auf dem Transportband angefahren, das sie Richtung Schule brachte. Azumi sprang auf, rutschte noch beinahe weg und musste von Zoe abgefangen werden, damit sie nicht hinfiel. „Na, wo hast du die Ferien verbracht?“, fragte Azumi außer Atem und hielt sich noch einen Augenblick lang an der Schulter des anderen Mädchens fest, bis sie ihr Gleichgewicht sicher zurück hatte. Zoe verdrehte die Augen. Ihre schwarzen Locken wippten, als sie den Kopf schüttelte. Azumi liebte die aufdrehten, krausen Haare. Sie waren so anders als ihre eigenen glatten roten Strähnen, die so gar nicht zu ihrem Gesicht mit den eindeutig japanischen Gesichtszügen passen wollten. Bei Zoe dagegen passte alles zusammen. Die schwarzen Locken, die dunkle Haut und die Augen, die wie schwarze Perlen glänzten... „Och, nichts besonderes... Wir sind wieder zu Napoleon gereist... Du weißt schon, Mum steht auf das Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts...“ Dass Zoe genervt wirkte, war kein Wunder, denn sie zog – im Gegensatz zu ihrer Mutter – die Steinzeit als Reiseziel vor, seit sie dort das erste Mal gewesen waren. Ihre Eltern waren jedoch nicht noch einmal zu überzeugen gewesen, erneut dorthin zu reisen, und das einfach nur, weil dieses Mammut auf sie losgegangen war! Mal ehrlich: Ein Mammut abzuschütteln war deutlich einfacher gewesen, als irgendwelchen Antiroyalisten zu entwischen... „Hey, immerhin kannst du dann in Geschichte glänzen. Napoleon ist dieses Jahr dann.“ Azumi lachte breit. Sie lachte gerne. Verdammt gerne. „Und? Wo wart ihr?“ „Ach... Bei Jesus.“ „Und?“ „Na ja... Es war heiß, es war stickig, überall war Sand und diese groben Klamotten waren auch nicht so der Renner. Ich weiß echt nicht, was alle so toll daran finden. Die Zeitkammern ins Jahr sieben vor bis dreiunddreißig nach sind ja ewig ausgebucht... Dad hat superlange darauf gewartet, dass wir endlich reisen konnten. Und dann? Dann ist da nichts als Hitze und Staub... Und als bekloppte Römer, die unschuldige Leute ans Kreuz nageln. Ich sag dir, dieser uralte Film von Mel Gibson... Erinnerst du dich? Den haben wir doch in Religionskunde letztes Jahr geguckt...“ Zoe nickte. Eigentlich fand sie die alten Religionen unglaublich spannend, aber der Film war ihr absolut widerlich erschienen. „Na, in etwa so war es. Gut, die Römer waren eher berechnend. So wie Charline, wenn sie mal wieder irgendwelche Hausaufgaben abschreiben will.“ „Also lohnt sich das nicht, zu Jesus zu reisen?“ Zoe zog die Schultern hoch und zupfte an ihren Locken, die der Fahrtwind nur noch mehr aufdrehte. „Doch. Das ist ja das Wirre. Dieses Land ist unglaublich ätzend, aber... er selbst... Ich habe noch nie so einen Menschen erlebt. Jemanden, der auch dann noch Güte und Liebe ausstrahlt, wenn er leidet. Der... einfach eine Idee davon gibt, wie alles besser sein könnte...“ „Was meinst du?“ Zoe runzelte verwirrt die Stirn. „Es ist schwer auszudrücken...“ Azumi seufzte tief und suchte nach Beispielen. „Kennst du das Gefühl, wenn du ganz ruhig und zufrieden bist? Wenn du heiße Schokolade getrunken hast oder in der Schlammbadewanne warst?“ Sie bekam ein zögerliches Nicken als Antwort. „Hast du dann mal daran gedacht, wie das wäre, wenn die ganze Welt so wäre? Wenn dieses Gefühl überall wäre? Wenn... einfach überall Liebe und Zufriedenheit wären? Und wenn sich die Menschen mögen und helfen würden, anstatt einander auszunutzen und weh zu tun?“ Erneut nickte Zoe, diesmal etwas stärker. „Genau das hat dieser Mann ausgestrahlt. Und ich schätze... deswegen hatten sie Angst vor ihm. Ganz egal, ob er Gottes Sohn war oder nicht – er war etwas Besonderes...“ Azumis Augen wanderten ins Leere. „Irgendwie... hat er mich dazu gebracht, dass ich diese Welt besser machen will.“ „Und wie willst du das tun?“ Spöttisch zog Zoe eine Augenbraue hoch. „Keine Ahnung. Indem ich ein guter Mensch bin.“ Azumi lächelte sie an. „Das ist doch ein Anfang, oder?“ „Schon...“ „Und ich werde Dad überreden, dass er sich wieder einträgt. Ich will Jesus noch einmal sehen. Aber diesmal... wenn er mit den Menschen spricht...“ Azumis Augen strahlten. „Hast du wenigstens Fotos gemacht?“ Zoe fühlte sich mit diesen Gedanken etwas überfordert, auch wenn diese durchaus logisch waren. Aber... so etwas sollte ein fünfzehnjähriges Mädchen doch noch nicht überlegen, oder? „Klar, was denkst du denn?“ Azumi lachte. „Sonst glaubt mir das doch keiner! Außerdem ist das vielleicht mal etwas, das mit Washingtons Dinosauriern mithalten kann...“ Zoe lachte. „Nun, das ganz sicher. Für Dinosaurier muss man sich ja nicht ewig anmelden.“ Was schlicht daran liegen mochte, dass diese Reisen sehr gefährlich waren und nicht alle Touristen zurückkamen... „Und Dinosaurier haben nicht die Welt verändert!“ Azumi legte Zoe den Arm um die Schultern und schickte ein strahlendes Lächeln zu der Himmelskuppel empor, die sich über der Stadt spannte und die Einflüsse des Wetters außen hielten. Technische Veränderungen erschienen ihr auf einmal so unbedeutend – viel wichtiger waren die Veränderungen im Inneren, im Geist und im Herzen der Menschen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)