Die Blutfehde der Youkaifürsten von Weissquell ================================================================================ Kapitel 6: Im Schatten des Vaters --------------------------------- Etwa 200 Jahre früher: Gleichmäßige Schritten verursachen ein leises Geräusch auf dem hölzernen Boden des innersten Bereiches des Schlosses. Vor einer mit Papier bespannten Schiebetür kommen sie zum Stehen. Eine Hand greift danach, entscheidet sich dann aber doch anders und sinkt wieder zurück. Stattdessen beschließt der Betreffende sich zunächst mal bemerkbar zu machen. „Sesshomaru-sama?“, ruft er, doch wie bereits vermutet, erhält er keine Antwort. Das hält die Person dennoch nicht ab, die Tür trotzdem zu öffnen. In dem spärlich beleuchteten, kärglich eingerichteten Raum kniet eine Gestalt in der Mitte des Zimmers mit dem Rücken zur Tür auf dem holzverkleideten Fußboden und hat den Kopf gesenkt. Langes, weißes Haar hängt ihr über den Rücken herab und ein langer, dickbauschiger, weißer Pelz kringelt sich in der Nähe auf dem Boden. Die Person trägt einen schlichten Hakama mit einem ebenso schlichten, hellen Obergewand; ihre Füße sind bloß. Erneut richtet der Neuankömmling das Wort an die Gestalt auf dem Boden. „Sesshomaru-sama, Es ist Zeit!“ Wieder vergeht eine ganze Weile ehe von der Gestalt auf dem Boden eine Reaktion kommt. „Chitsurao-sama, was wollt ihr? Ich sagte doch, ich will nicht gestört werden.“ Die jugendliche Stimme ist klar, aber ein leichtes Schwanken liegt dennoch darin. „Es ist Zeit, Sesshomaru-sama“, wiederholt der hochgewachsene Youkai in der Tür, „Der Rat erwartet eure Anwesenheit.“ Keine Antwort. Bisher hat die kniende Gestalt keinen Muskel gerührt. Schließlich kommt die ruhige Antwort: „Wozu?“ Der große Youkai atmet einmal leicht durch. „Ihr wisst weshalb, Sesshomaru-sama. Es muss entschieden werden, was als nächstes geschehen soll. Der Tod eures Vaters hat eine schmerzliche Lücke in das sensible Gefüge der Machtverhältnisse im Land gerissen. Es muss rasch gehandelt werden sonst könnte es zum Krieg kommen. Der Westen darf den anderen Clans gegenüber keine Schwäche zeigen. Und nach dem Tod eures Vaters...“ „Ich weiß, was ihr sagen wollt!“, unterbricht die leicht gereizte Stimme des Knienden ihn. Noch immer rührt er sich nicht, „Ihr denkt, ich wäre nicht dazu in der Lage, die Machtposition des Westens aufrecht zu erhalten. Ist es nicht so?“ Der Angesprochene zuckt ein wenig zusammen. „Bitte denkt doch nicht so[ etwas, mein Fürst!“, beeilt er sich rasch zu sagen, „Niemand hier zweifelt euer Recht der Nachfolge an.“ „So?“, kommt es zurück. Kurzes Schweigen folgt, doch dann fährt Chitsurao fort: „Euer Vater war ein mächtiger Fürst. Seine Macht hat dem Westen lange Zeit eine übergeordnete Position unter den Fürsten des Landes eingeräumt. Natürlich ist der Rat in Sorge, ob diese hinterbliebene Lücke auch angemessen ausgefüllt werden kann.“ Nach diesen Worten hängt unangenehmes Schweigen in der Luft. Für einen kurzen Moment ist sich Chitsurao unsicher, ob er nicht doch zuviel gesagt hat. Aber dann kommt doch eine Reaktion von dem jungen Youkai vor ihm: „Und seid ihr der Meinung, dass ich dazu in der Lage bin?“ Chitsurao hebt die Brauen ein wenig. Es muss wohl eine ganze Weile her sein, dass der junge Youkaiprinz ihn einmal nach seiner Meinung gefragt hat. Schließlich sagt er: „Ich habe keinen Zweifel daran, mein Fürst!“ Nun hebt die Gestalt vor ihm den Kopf. „Danke, Chitsurao-sama!“, kommt die leise Antwort, “Geht jetzt, ich werde gleich nachkommen!” Der kräftige Youkai nickt einmal ehrerbietig. „Ja, ich werde es ausrichten.“ Mit diesen Worten verlässt er den Raum wieder und schließt die Tür. Ein letzter Blick geht zurück zu der Tür. Ich bin sicher, ihr habt das Zeug zu einem wahren Herrscher, mein Prinz!, denkt er bei sich. Dann entfernt er sich. Einen langen Augenblick rührt der junge Mann in dem Zimmer sich nicht. Ohne Worte starrt er weiterhin auf das schlanke Schwert, das vor ihm auf dem Boden liegt. Dann sagt er leise: „Ihr hinterlasst mir eine schwere Bürde, Chichi-ue! Habt ihr auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was aus eurem Reich werden soll, oder hat euch die Liebe gänzlich blind gemacht? Ich werde wohl nie verstehen, was in euch vorgegangen ist. Warum habt ihr mir dieses nutzlose Schwert vermacht? Was erwartet ihr nun von mir, Chichi-ue?“ Der junge Youkai atmet einmal vernehmlich durch. Doch dann gibt er sich einen Ruck und umfasst den Griff des Schwertes. Ohne überflüssige Bewegungen erhebt er sich und steckt das Schwert in seinen Gürtel. Was auch immer die Erwartungen seines Vaters sind, er ist fest entschlossen, sie zu übertreffen. Gelassen wendet er sich zum Gehen und geräuschlos schließt er die Tür hinter sich. Zurück bleiben nur ein paar tiefe Kratzspuren auf dem Holzboden, an der Stelle wo sich eine klauenbewehrte Hand voll angestauter Wut in den Fußboden verkrallt hat. Als die Tür zum Ratsraum geöffnet wird, schauen Sesshomaru ein gutes Dutzend goldfunkelnde Augen entgegen. Der junge Youkaiprinz nimmt es schweigend zur Kenntnis und hebt nur ein wenig das Kinn, als er den Raum betritt und die Tür hinter sich schließt. „Sesshomaru-sama, ihr kommt spät! Wir begannen schon anzunehmen, dass ihr es nicht nötig hättet, beim Rat zu erscheinen“, empfängt ihn tadelnd die Stimme eines ehrfurchtgebietenden, graubärtigen Youkais der den Platz am Kopf der im Halbkreis sitzenden Youkais einnimmt. Sesshomaru wirft ihm einen kurzen Blick zu. „Der Grund meiner Verspätung, ist nicht von Belang, Kagemori-sama. Ich bin hier, das sollte reichen.“ „Dreist wie immer!“, wirft ein weiterer der Youkais verächtlich ein. Doch der Youkai mit Namen Kagemori hebt nur ruhefordernd die Hand. Dann weist er Sesshomaru einen Platz zu und der Youkaiprinz lässt sich schweigend darauf nieder. Nach einem weiteren aufmerksamen Blick in die Runde ergreift Kagemori erneut das Wort. „Ich will nicht lange drum herumreden“, beginnt er, „Die Lage ist ernst und keiner von uns kann sich anmaßen, der Situation nicht die nötige Aufmerksamkeit zu widmen“, mit diesen Worten wirft er Sesshomaru einen ermahnenden Blick zu, doch dieser erwidert den Blick nur ohne sich die geringste Einschüchterung anmerken zu lassen. „Dass Fürst Inu Taisho nicht mehr lebt, ist kein Geheimnis mehr. Ich bin sicher, dass die Nachricht bereits über die Grenzen hinausgedrungen ist. Die anderen Fürsten werden damit den Westen als verwundbar ansehen. Es ist allgemein bekannt, dass der Osten und der Norden einen Groll gegen uns hegen. In ihren Augen stellt unsere neutrale Haltung eine Bedrohung dar. Wir dürfen uns also nicht die kleinste Blöße geben! Wir müssen Stärke zeigen, sonst könnte es passieren, dass sich Norden und Osten verbünden und uns gemeinsam in die Knie zwingen.“ „Das ist doch lächerlich!“, fällt ihm nun Sesshomaru ins Wort und erntet damit augenblicklich jede Menge ärgerliche Blicke, „Ein Bündnis zwischen Norden und Osten gab es noch niemals. Die beiden Reiche hassen sich. Niemals könnte ein solches Bündnis zustande kommen. Und einzeln sind die beiden Reiche keine Bedrohung. Seit unzähligen Jahren haben sie es nicht gewagt, uns anzugreifen. Sie wissen genau, dass sie kein Gegner für den Westen sind. Wozu also die Sorge?“ „Man merkt gleich, dass ihr noch jung seid, Sesshomaru-sama“, mischt sich jetzt der Youkai ein, der sich vorhin schon abfällig über den Youkaiprinzen geäußert hat, „Euch fehlt noch die nötige Weitsicht. Was denkt ihr denn, was der Grund dafür gewesen ist? All die Jahre über war es euer werter Herr Vater, der unsere Feinde davon abhielt, in unser Land einzufallen. Und dabei fürchteten sie nicht nur seine übermächtige Stärke sondern auch seine Weisheit mit der er sein Reich regierte. Beide Fürsten wussten, dass Inu Taisho keinen Krieg geduldet hätte, bei dem das gesamte Land in Gefahr geraten wäre. Er hätte der unterlegenen Seite beigestanden und den Gegner unterworfen. Dank ihm erleben wir nun schon eine außergewöhnlich lange Zeit des Friedens. Glaubt ihr wirklich, das wird ohne Weiteres so bleiben, nun da er tot ist? Ich hätte euch für klüger gehalten.“ Erbittert halten sich die beiden konträren Youkai mit ihren Blicken gefangen. Sesshomarus Augen funkeln wütend und seine Kiefer mahlen. „Es steht euch nicht zu, in diesem Ton mit mir zu sprechen!“, grollt er leise drohend. „Vergebt mir, mein Fürst!“, meint der andere sarkastisch, „Ich habe mich dazu hinreißen lassen, euch zu belehren. Wahrscheinlich war ich einfach überrascht, dass das nötig gewesen ist.“ Kaum hat er geendet, da springt Sesshomaru mit wütendem Knurren und rotfunkelnden Augen auf; der andere reagiert unverzüglich genau so. Doch ehe zu einer wirklichen Auseinandersetzung kommt, lässt eine gebieterische Stimme die beiden innehalten: „Dokutoge-sama! Setzt euch!“, Kagemori funkelt den aufgebrachten Youkai bestimmt an, „Dies ist nicht der geeignete Augenblick für Zwistigkeiten.“ Ärgerlich lässt sich der gerügte Youkai auf seinen Platz zurücksinken; Sesshomaru behält ihn dabei unablässig im Auge. Seine Augen haben wieder ihre normale Farbe, doch man sieht ihm an, dass er schwer um seine Beherrschung ringt. „Setzt euch, Sesshomaru-sama!“, fordert Kagemori nun auch den Youkaiprinzen auf; ein wenig höflicher wenn auch ebenso bestimmt, „Die Angelegenheit ist ernst genug. Derartige Ausbrüche sind nicht dienlich.“ Mehrmals muss Sesshomaru durchatmen, ehe er sich nach diesem offenen Tadel wieder auf seinen Platz setzen kann. Mürrisch lässt er sich in den Kniesitz zurücksinken und funkelt den Youkai namens Dokotoge ärgerlich an. Eine kurze Weile wartet Kagemori bis sich alle wieder etwas beruhigt haben, dann ergreift er wieder das Wort. Diesmal richtet er sich direkt an Sesshomaru. „Euch wurde eine große Aufgabe überantwortet, Sesshomaru-sama. Ich will ehrlich mit euch sein. Es mag Leute geben die der Meinung sind, dass ihr mit eurem Alter noch viel zu jung seid, um diese Aufgabe angemessen zu erfüllen. Für gewöhnlich wäre ein siebzehnjähriger Prinz niemals an die Macht gekommen; zuviel steht einfach auf dem Spiel. Doch da euer Vater tot und eure Mutter... nicht aufzufinden ist (siehe die FF „Schrei, wenn du kannst"), hat der Rat beschlossen, euch die Herrschaft zu übertragen. Auf euren Schultern liegt nun das Schicksals des westlichen Reiches. Ich denke, ihr solltet euch langsam an diesen Gedanken gewöhnen und euch dementsprechend verhalten.“ Mit gesenktem Blick schaut Sesshomaru zu Boden. Sein Gesicht ist eine steinerne Maske. Nur hin und wieder hört man ihn vernehmlich ausatmen. Kagemori hat recht!, denkt er bei sich, Es ist eine große Aufgabe. Und natürlich war er sich der Bedeutung seines Vaters bewusst. Seine Worte dienten eigentlich dazu, den anderen zu demonstrieren, dass er fest entschlossen war, dem schillernden Ruf seines Vaters gerecht zu werden, und nebenbei auch, um die anderen Stellung beziehen zu lassen. Doch die Sache ging nach hinten los. So wie es aussieht, ist hier im Rat keiner wirklich überzeugt davon, dass er es schaffen kann. Sie behandeln mich wie einen kleinen, dummen Jungen. Wie erniedrigend! Sesshomaru merkt wie sich ein harter Knoten in seinem Magen zusammenzieht. Sie vertrauen mir nicht. Wenn sie mir schon nicht trauen, warum sollten dann die anderen Fürsten vor mir Respekt haben? Dies ist eine harte Prüfung, Chichi-ue. Bist du sicher, ich werde sie meistern? Er beißt die Zähne zusammen. Ihm bleibt keine andere Wahl. Nun ist er der Fürst und er wird alles daransetzen um diese Aufgabe zu erfüllen. Er wird nicht hinter seinem Vater zurückstehen! Sein Entschluss steht fest. Gefasst hebt er schließlich den Kopf: „Was soll ich tun?“ Kagemori mustert den jungen Youkaifürsten eingehend. Dann sagt er: „Ihr müsst den anderen Fürsten eure Aufwartung machen und ihnen beweisen, dass vom Westen immer noch Stärke zu erwarten ist. Ihr müsst ihnen klar machen, dass Inu Taisho einen würdigen Erben hinterlassen hat. Wenn nötig müsst ihr sie herausfordern. Ihr müsst ihnen mit allen Mitteln klar machen, dass der Westen seine dominante Position nicht ohne Grund schon seit so langer Zeit inne hat. Das Bestehen des Westreiches hängt von eurem Auftreten ab. Ein Versagen bedeutet den Untergang all dessen wofür euer Vater so hart gearbeitet hat. Seit ihr euch dieser Verantwortung bewusst?“ Zunächst sagt Sesshomaru gar nichts. Dann erhebt er sich. „Ich bin mir dessen bewusst!“, verkündet er ernst, „Das Erbe meines Vaters wird fortbestehen und ich werde jeden zur Verantwortung ziehen, der mir dabei im Wege stehen sollte. Ich werde mein Reich verteidigen. Das schwöre ich!“ Zustimmendes Nicken ist die Folge. „Das ist gut!“, sagt Kagemori, „Ich rate euch nur, das niemals zu vergessen!“, ein scharfer Blick trifft den jungen Youkai. Sesshomaru beißt die Zähne aufeinander. Kagemori mag vielleicht der Ratsälteste und ein enger Vertrauter seines Vaters gewesen sein und er ist ihm deshalb Respekt schuldig, aber die Tatsache, von ihm wie ein kleines Kind zurechtgewiesen zu werden, strapaziert seine Selbstbeherrschung in einem äußerst hohem Maße. Wie kann er es nur wagen, so etwas zu sagen? Doch stattdessen reckt Sesshomaru sich nur ein wenig und erwidert den durchdringenden Blick des alten Youkai mit fester Entschlossenheit. „Ich stehe zu meinem Schwur!“, sagt er mit Nachdruck, „Ich werde noch heute aufbrechen!“ Mit diesen Worten wendet er sich zum Gehen. Doch eine Stimme hält ihn noch einmal an der Tür zurück: „Sesshomaru-sama! Diese Angelegenheit ist ernst! Ihr mögt noch ein Knabe sein, aber ihr seid jetzt der Fürst. Die Zeit des Spielens ist vorbei!“ Ohne sich umzuwenden erwidert Sesshomaru kühl: „Ich spiele niemals!“ Dann öffnet er die Tür und verlässt den Rat, ohne sich noch einmal umzusehen.“ Die Erinnerungen werden urplötzlich unterbrochen und Sesshomaru hebt den Kopf. Das alles ist nun schon zweihundert Jahre her, doch er erinnert sich noch an jedes Detail und an jedes Gefühl das er empfunden hat, als er selbst sich damals, nach dem Tod seines Vaters, auf den Weg gemacht hat, um seinen Herrschaftsanspruch bei den anderen Clanoberhäuptern klarzustellen. Nun hat der Nordclan eine neue Herrscherin. Was wird sie tun um ihre Macht zu manifestieren? So wie es aussieht, plant sie eine großangelegte Rache für ihren Vater. Mit Sicherheit kein unbedeutender Machtbeweis, wenn sie vorhat, das tatsächlich durchzuziehen. Doch das war vom Norden auch nicht anders zu erwarten. Das Beunruhigende an der ganzen Sache ist jedoch nicht nur die möglichen Aggressionen von Seiten des Nordens, sondern ebenso die Tatsache, dass der Osten ihr seine Hilfe angeboten hat. Sesshomaru spürt, dass da etwas im Busch ist. So wie es aussieht, bahnen sich da größere Probleme an. Gerade jetzt, zum Beispiel! Sein Kopf wendet sich Richtung Wald und sein Blick wird hart. Er kann es riechen. Er riecht die beiden Krieger aus dem Osten und ihre streunende Beute. Seine Stirn legt sich in verstimmte Falten. Außerdem ist da plötzlich auch diese unverwechselbare Note von dieser entsetzlichen Landplage von Bruder... und seinem Anhang. Und er riecht Blut! Blut eines Youkais. Dieses lästige Halbblut! Er wird doch nicht etwa wirklich...“ Sesshomaru schnaubt bitter auf. Dieser Sache geht lieber genau auf den Grund. Zu viel hängt einfach von der ganzen Sache ab. Aber wie er seinen Bruder kennt, hat er sich bestimmt wieder eingemischt. Aber diesmal ist Schluss!, denkt Sessomaru bei sich, als er sich unverzüglich auf den Weg zum Ort des Geschehens macht. Wenn der Kerl tatsächlich diesem Streuner zu Hilfe gekommen ist, dann war das sein letzter Fehler! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)