Seelensplitter von Hrafna (Rufe aus der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 18: "Gedanken" ---------------------- "Gedanken" (Bundori - Ryuukotsusei: Inu no Taishou) Es ist bereits später Nachmittag, als der Halbwüchsige seinen älteren Bruder antrifft, am äußersten Grenzwall, der die westlichen Gebiete und das Territorium der Sonnenweberdrachen voneinander trennt. Die Sonne am Horizont neigt sich karmesinrot ihrem unmittelbaren Untergang entgegen. „Bundori…?“ Einige Schrittlängen entfernt hält er inne, wohlweislich angemessene Distanz wahrend, mustert die ungewöhnlich ruhig und abwesend wirkende Gestalt seines einzigen Blutsverwandten. Was er hier tut, weiß er nicht. Bundori ist niemand, der schweigsam in seinen Gedanken versinkt, und dazu die Einsamkeit sucht. „Ich denke.“ Diese Antwort hat er nicht erwartet. Beileibe nicht. „Oh.“ Er starrt, ebenso unbeabsichtigt, wie seiner Kehle die von Überraschung zeugende Silbe entfleucht ist. Mental schalt er sich für jene geistreiche Erwiderung seinerseits; ein tonloser Fluch löst sich von seinen Lippen, ehe er murrend den säuerlichen Blick in die Ferne abwendet. Mit einem Mal fühlt er sich unwohl, und fehl am Platz. Für eine Weile herrscht Stille zwischen den beiden Drachenbrüdern, und der Jüngere wird sich den Umständen bewusst, die Bundori an Ort und Stelle bannen. Er beobachtet jemanden. Nein, viel weniger jemanden, als wesentlich eher den Hüter des Westens, den Inu no Taishou, höchstpersönlich; eine bodenlose Dreistigkeit, die nahezu nach einer gebührenden Bestrafung zu schreien scheint. Sein Interesse wurde entfacht, eben dadurch, dass er die Privatsphäre eines anderen verletzt – zugegeben, ohne, dass der es bemerkt, rechtens ist es trotz dessen nicht. Sicher ist ein solches Verhalten unverschämt. Bloß kümmert Ryuukotsusei das nicht im Geringsten. Nach einer Weile des Schweigens bricht der Ältere die Stille. „Wer ist das Mädchen?“ Dabei klingt seine sonore Stimme beherrscht und nahezu ausdruckslos, was für gewöhnlich Unheil verheißt. Ryuukotsusei rätselt derweil, wie er dem begegnen soll, und hofft, nicht auf schmalem Grat zwischen Leben und Tod zu wandeln, wenn er etwas unkonventionell antwortet. „Ist das nicht offensichtlich?“ Als Bundori ihn aus den Augenwinkeln fragend anblickt, zuckt er zusammen, weicht einen Schritt zurück. Versteht er das wirklich nicht? Nein, augenscheinlich mangelt es ihm dazu das notwendige Einfühlungsvermögen. Emotionen dieser Art sind ihm fremd, ihm fehlt schlichtweg der Sinn dafür. Dem Jugendlichen ist wenig aus der Kindheit seines Bruders bekannt, doch ist er sich sicher, dass sein Charakter in jenen längst vergangenen Jahrzehnten stark geprägt wurde – nicht unbedingt zum Guten, aber das ist nicht seine Schuld. Unter den Sonnenwebern gestalten sich die Sitten und Umgangsformen rau, nur die Stärksten überleben. Empfindungen stehen dem Trieb des Einzelnen im Weg, wenn sie überleben, sich einen Pfad an die Spitze der Hierarchie bahnen wollen. Bundori war schon als Kind übermäßig ehrgeizig. „Die beiden treffen sich hier heimlich, in der Abenddämmerung, um beisammen sein zu können. Sie ist seine Geliebte, vielleicht sogar seine Gefährtin.“ Mit dem Szenario deutlich überfordert, legt das Oberhaupt der Lindwürmer den Kopf schief, woraufhin ein verzerrtes Grinsen über die zuvor vollkommen neutral erscheinende Miene huscht. „Ist das so…“ Ein frostiger Schauer läuft dem Jungdrachen die Wirbelsäule hinab, und er schluckt hart. Da ist er wieder, jener an Wahnwitz grenzende Fanatismus, der Bundori inne wohnt und ihn zu den obskursten Absurditäten anspornt. Manchmal flößen ihm die trivialsten Worte aus dem sadistischen Munde seines Gegenübers die größte Angst ein. „…jetzt?“ Unsicher fixiert er das in harmlose Liebeleien verstrickte Hundepärchen, ballt während dessen unterbewusst die Hände zu Fäusten. „Nein.“ Hintergründig lachend korrigiert er seine nachlässige Haltung und setzt sich aufrecht. „Zu früh. Sollen sich die beiden Narren in Sicherheit wähnen – ich werde zuschlagen, wenn sie es am wenigsten erwarten, wenn es sie an der empfindlichsten Stelle trifft. Davon werden sie ihr gesamtes Leben etwas haben…“ Das Youki in seinem Leib zirkuliert rascher, spiegelt den Zustand erregter Euphorie wieder, einem Rausch gleichend, in den der hochrangige Fürst verfallen ist. Nunmehr gilt zu befürchten, dass die beiden Hundedämonen sie entdecken; die schwarze Energie seines Bruders ist alles andere als unauffällig. Zeit, zu verschwinden. „Bundori…“ Für einen Augenblick zögert er. „Kommst du… mit nach Hause?“ Einem unverständlichen Murmeln schließt sich ein desinteressiertes Schulterzucken an. Verlegen spielt der Jugendliche mit dem Saum seines linken Ärmels. Natürlich hat er einen triftigen Grund gehabt, die geschützten Felsschluchten ihrer Heimat zu verlassen und nach dem Anderen zu suchen. „Wozu?“ Langsam färben sich die Wangen des Angesprochenen rötlich. Die Wahrheit ist ihm peinlich. Seine Artgenossen tragen ihren Unmut über Bundoris Abwesenheit ungeniert an ihm aus; noch ist er zu jung, und dementsprechend nicht stark genug, sich wirkungsvoll zur Wehr zu setzen. Zeuge seiner hoffnungslosen Unterlegenheit sind die zahllosen Blutergüsse und Prellungen, die nicht nur sein Gesicht zieren. „Bitte…“ Seufzend richtet sich der Drachensouverän auf. „Du bist selbst Schuld, Ryuukotsusei. Du benimmst dich wie ein weinerliches Weib.“ Beschämt senkt der den Blick, und beißt sich auf die Unterlippe, als Bundori an ihn herantritt und seine schlanken Finger mit einem unangenehmen Druck über die Schwellung unterhalb seines linken Wangenknochens dirigiert. „Trotzdem sollen sie nicht glauben, ungestraft davon zu kommen, wenn sie sich offen gegen mich und mein Blut stellen…“ ***---***---*** [Anm. der Autorin] Für Lizard! Ich konnte um diesen OS nicht herum, ihre Charakterschöpfung Bundori lässt mich einfach nicht mehr los. Und dann ist da natürlich noch meine Schwäche für Brüderbeziehungen und das Drama ist perfekt... ^-^° Ich habe durchaus einige Zeit daran gebastelt, ehe ich zufrieden war. Wer mag, kann von mir aus Spoiler aus diesem OS für spätere Mangakapitel ziehen; zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, zum Glück ist es nicht allzu offensichtlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)