Seelensplitter von Hrafna (Rufe aus der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 14: "Eiskristalle" -------------------------- "Eiskristalle" (Flúgar - Ísdreki) Schneeflocken treiben vom grau bewölkten Himmel hinab in die Monotonie der riesigen Eiswüste, die sich darunter bis zum Horizont erstreckt, lassen sich vom böigen Wind ein Stück begleiten, ehe sie zu Boden fallen. Eis und Schnee, das ist alles, was in dieser lebensfeindlichen Einöde existiert – oder nicht? Dort, wo sich unzählige bläuliche Eisspitzen dem trüben Firmament entgegen recken, befindet sich seit Urzeiten ein zerklüfteter Felszug, einstmals aus Magma entstanden, weswegen die Feuerdrachen Anspruch darauf erheben. Eben in jenem Gebirge halten sich derweil zwei Drachen auf, der eine noch ein Kleinkind, der andere der letzte Repräsentant der Alten Generation. Hríðarbylur und sein Enkel, Flúgar. Beide sind an diesem Ort zur Welt gekommen, beide schätzen ihn mehr als ihr Leben, und beide werden für die künftige Ewigkeit darauf achten, dass weitere Luftdrachen von hieraus ihren Lebensweg antreten werden können. Koste es, was es wolle. Nicht umsonst lehrt der Ältere den Jungen die Anerkennung traditioneller Werte. Das Gebirge ist schroff, und seine steilen Klippen gefährlich, dessen ist er sich bewusst. Aber nicht die Neugier veranlasst ihn dazu, derart nah an eine der Schluchten heranzutreten. Er hat etwas gehört, ein vages, triviales Geräusch - doch er weiß zu gut, dass eben dies nicht zu vernehmen sein dürfte. Nicht hier. „Feigling.“ Wieder das Rascheln von aneinander reibenden Seidenstoffen. Irritiert ist er von der Tatsache, dass er keine Schritte, weder das charakteristische Schneeknirschen noch das Bersten von Eis, ausmachen kann. Nichts, es ist still. Zu still, denn er traut dem illusorischen Frieden nicht. Abgesehen davon, dass sich sein Großvater nicht auf diese alberne Art und Weise an ihn heranschleichen würde, ist sein Youki noch zu weit entfernt; es dauert knapp einen halben Tag, die gesamte Insel fliegend zu umrunden, und zwölf Stunden sind längst nicht vergangen seit er zu warten begonnen hat. Urplötzlich schrillen sämtliche Alarmglocken seines Instinktes, und er fährt herum. Beinahe hätte er die weiße Gestalt, die nahezu perfekt mit ihrer Umgebung verschmilzt, übersehen – es ist pures Glück, dass sie metallenen Schmuck am Körper trägt, der das blasse Sonnenlicht ein wenig anders reflektiert als die Eiskristalle. Skepsis prägt seinen Ausdruck. Sein Gegenüber ist ein Mädchen, und wenn er seiner Witterung trauen darf, handelt es sich bei ihr um einen Eisdrachen. Ein Kind, kaum älter als er selbst. Dann kehrt er ihr abermals den Rücken zu, wendet seinen Blick in die Ferne. Er hat kein Interesse an ihr, nicht einmal an dem Versuch, wie schwer, oder leicht, es wäre, sie zu vertreiben oder gar zu töten. Eine Weile geschieht nichts, mit einem Mal fühlt er sich jedoch zu Boden gerissen, sodass er und der unbekannte Angreifer um Haaresbreite in den Abgrund hinab gestürzt wären. Ein erschrockenes Keuchen löst sich aus seiner Kehle, als er so plötzlich ins schiere Nichts starrt. „Wage es nie wieder mich einen Feigling zu nennen.“ Mit deutlicher Verachtung in der hohen, kindlichen Stimme spuckt sie das Wort förmlich aus. Er wehrt sich gegen ihren – erstaunlich festen – Griff, erreicht allerdings lediglich, dass sein Gesicht nicht mehr ganz so misslich halbwegs in den Schnee gedrückt, und halbwegs über den kantigen Rand die Felskluft geneigt verweilen muss. Ihre Augen sind eisblau und funkeln ihm herausfordernd entgegen. Von einem Mädchen gefoppt. Das kann er unmöglich auf sich sitzen lassen. „Runter von mir.“ Sein Grollen ist tief und von Wut verzerrt. Noch unterdrückt er die in ihm aufwallenden Aggressionen. Selbstbeherrschung ist nicht seine Stärke. „Zwing mich doch.“ Die provokative Herausforderung ist offensichtlich, und dennoch zögert er keinen Augenblick, sie anzunehmen. Mit zusammengebissenen Zähnen stemmt er sich auf die Unterarme, gegen sie und im Nu ist eine ernste Auseinandersetzung im Gange, die nur einer von ihnen für sich entscheiden wird; der Verlierer ist dazu verdammt, sich der Willkür des Siegers beugen zu müssen. Doch zum Versagen sind beide zu stolz, an aufgeben oder einlenken verschwendet keiner einen einzigen Gedanken. Erbittert und fest entschlossen bestreiten die beiden Jungdrachen die Rangelei, die nicht viel mehr als ein Dominanzspielchen im Punkto Macht darstellt und nicht viel mehr als ein Herumwälzen im Schnee bedeutet. Schließlich gelingt es dem Eisdrachen, ihren Kontrahenten festzusetzen, seine Schultern mit einer Gewalt niederzudrücken, der er nicht gleichwertig entgegen wirken kann. Physisch ist sie ihm deutlich überlegen. „…“ Niemand sagt ein Wort, obschon sie beide wissen, was Tatsache ist. Bevor er den Kopf zur Seite abwendet, und seine Niederlage persönlich vor ihr besiegelt, ruht sein Blick mehrere Momente auf ihren bläulich aufblitzenden Augen, die absolute Aufmerksamkeit artikulieren und ihn eindringlich betrachten, auf ihrem Mund, der aufgrund ihrer situationsbedingten Atemlosigkeit leicht geöffnet ist und die Konturen ebenmäßiger, weißer Zähne preisgibt. Ihre Lippen sind rosig, trotz der Kälte – und eben diese Lippen sind es, die keinen Wimpernschlag später die seinen berühren, flüchtig, unschuldig. „Ich werde es niemandem verraten.“ Ob sie nun von der Schmach, die sie zu verschulden hat, oder von ihrem deplatzierten Kuss spricht, kann er nicht beurteilen. ***---***---*** [Anm. der Autorin] Fragt mich nicht, wie ich auf die Idee für diesen OS gekommen bin, ich weiß es wirklich nicht mehr. Was den Inhalt und bestimmte Referenzen angeht: dürfte euch bis jetzt noch nichts sagen, das wird eine Weile dauern, bis der Sinn dahinter offensichtlich wird; allerdings wollte ich den dreiteiligen OS erst nächste Woche beginnen. ^-^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)