Seelensplitter von Hrafna (Rufe aus der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 8: "Heimkehr" [II] -------------------------- "Heimkehr" (Inu no Taishou - Súnnanvindur: Szenario 2) Er trägt weder Rüstung noch Schwert, der einstmals reinweiße Haori ist mit Blut und Dreck besudelt; das silbrige Haar fällt ihm offen über die Schultern. Bis jetzt hat er seine Aufmerksamkeit kein einziges Mal schweifen lassen, und obwohl er ihn nicht permanent direkt ansieht, kann er die wachsamen, bernsteinfarbenen Augen des Mannes auf sich spüren. Was soll das? In seinem Zustand ist an Flucht oder gar gewalttätige Rebellion nicht zu denken, jedwede Bewegung verursacht ihm Schmerzen. Ebenso langsam wie sein Körper erholt sich auch sein Youki, das nach der kurzen Auseinandersetzung mit dem Hund nahezu erschöpft war. „Ich werde mit dir kein Risiko eingehen. Wer einmal versucht, sich das Leben zu nehmen, wird es wieder tun.“ Seine Gedanken dem Fremden gegenüber gestalten sich zwiespältig und verworren; einerseits hat er ihn gerettet und davor bewahrt, eine schwerwiegende Dummheit zu begehen, und dafür ist er dankbar, andererseits jedoch hat er mehr oder weniger seinen Bruder auf dem Gewissen, und hat sich in Angelegenheiten eingemischt, die ihn nichts angehen. Nein, er hat nicht um Hilfe gebeten – Drachen regeln ihre Schwierigkeiten untereinander selbst, ohne Fremdeinwirkungen. „Sag mal Kleiner, ignorierst du mich oder verstehst du mich nicht?“ Trotzig wendet der junge Drache den Blick ab, presst die Zähne aufeinander. Ein Quäntchen von beidem, muss er sich stumm eingestehen. Sein Gegenüber lächelt lediglich müde. „Ich habe wegen dir seit drei Tagen nicht geschlafen, obwohl mein Youkispiegel so niedrig ist, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Und mir vergeht sehr schnell die Laune, wenn ich übermüdet bin. Ruf dir ins Gedächtnis, dass du nichts als Ballast für mich bist, und somit meiner Gnade ausgesetzt.“ Der scharfe Unterton schüchtert den Jungen ein, und so nickt er reserviert. Zufrieden mit dieser Reaktion schenkt der Unbekannte ihm anerkennend ein breites Grinsen. Dumm ist das Drachenkind nicht, nur stur und misstrauisch; zusätzlich wohl verwirrt und von seelischem Kummer belastet. Schweigen kehrt zwischen den beiden ein, und der Ältere zieht nachlässig eines seiner Beine an, richtet sein Augenmerk wieder in die Ferne. Lange werden sie hier nicht mehr verweilen können, die Dämonen des Festlands haben sie lokalisiert und sammeln sich. In seiner miserablen Verfassung wird er nicht einmal in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen. Für Sou’unga wäre es dann ein Kinderspiel, sich seiner zu bemächtigen und ihn zu einer puppengleichen Schachfigur zu degradieren. „Woher stammst du? Sicherlich von den Inseln, allerdings habe ich noch nie einen von euch zu Gesicht bekommen.“ Der Angesprochene wälzt sich träge auf die Seite, wendet ihm den Rücken zu, und dem undeutlichen Nuscheln, das jenen Prozess begleitet, ist nur der Begriff „Norden“ deutlich zu entnehmen. „Der Daiyoukai des Westens fiel vor einigen Tagen – durch Sou’unga, das in die Hände eines deiner Clangenossen geraten ist. Wir haben beide jemanden verloren, der uns nahe stand und wichtig war…“ Abermals droht in die Trauer zu übermannen, und er muss das Schluchzen unterdrücken, das sich in seiner Kehle formt. Sein gesamter Leib bebt, und er schämt sich für seine Schwäche. Fárviðri… Er kann sich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein, möglicherweise war er zu entkräftet, um das Bewusstsein zu halten. Umso mehr erstaunt es ihn, dass er den Herzschlag, den Atem einer anderen Person vernimmt, und das derart nahe… „Fárviðri.“ Dieses weiche Haar, das seine Schläfen kitzelt, der nachgiebige, flauschige Stoff unter seinen Handflächen – darunter erkennt er das An- und Entspannen von Muskeln, und mit einem Mal ist er sicher, getragen zu werden. Solch einen Gefallen hat sein Bruder ihm oft getan… Natürlich hat er die minimale Regung des Drachen wahrgenommen, das heisere Flüstern dicht an seinem Ohr gehört, doch er hält es für besser, dem nichts zu entgegnen. Die Stille des Waldes um ihn herum beruhigt sein Herz, er wird noch eine Weile durchhalten können. Denn seine Mission ist erst erfüllt, wenn er den Kleinen wohlbehalten bei seinem Clan abgeliefert hat. Hintergedanken hat er dabei keine, er verspricht sich nichts davon, da es ihm mehr als seine Pflicht erscheint. Unter Umständen wird es ihm irgendwann in der Zukunft zugute kommen. Sie haben beide gelitten, sind sich insofern ähnlich. Wie herzlos wäre er gewesen, ihn hier, fernab seiner Heimat, wissentlich elendig krepieren zu lassen? Dämonenblut hin oder her, Gnade auszusprechen ist seiner Meinung nach keine menschliche Tugend. Ein ehrenvoller Krieger sollte nicht selbstsüchtig handeln und seinen Stolz zu etwas gebrauchen, das nicht nur ihm von Nutzen ist. Ihm ist, als verstünde er nun allmählich, was sein Vater ihn über viele Jahre hinweg lehrte und was er damit bezweckte. Ob das jedoch ausreicht, um die Herausforderung zu meistern, die ihm bevorsteht, wenn er in den Westen zurückgekehrt ist? Welche Wahl bleibt ihm schon? Als Sohn und Erbe des ehemaligen Daiyoukai, als Kämpfer und jetziger Herrscher, Verfechter der Provinzen, die ihm gehören und unterstehen… Eine weitaus schwierigere Aufgabe, als ein Balg zu hüten. „Ich bringe dich nach Hause.“ ***---***---*** [Anm. der Autorin] Im Grunde sollte diese Begegnung nicht in einem One-Shot enden, ursprünglich wollte ich dazu eine kleine, zusätzliche Story schreiben. Irgendwie hat das nicht so geklappt, obwohl sogar eine Einleitung dazu existiert. Hm, ich weiß auch nicht recht, ich wollte es einfach endlich niederschreiben, damit ich es nicht vergesse. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)