Seelensplitter von Hrafna (Rufe aus der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 1: "Drachenkrallen" --------------------------- "Drachenkrallen" (Bundori - Ryuukotsusei) „Du stehst mir in der Sonne.“ Kurz darauf trifft der mit rotgolden schimmernden Schuppen besetzte Schweif den Jugendlichen hart in die Flanke, schleudert ihn mehrere Schrittlängen weit zur Seite. Der harte Aufprall auf dem felsigen Grund presst ihm die Luft aus den Lungen; die verräterisch schmerzenden Rippen in seiner Brust sind ohne Zweifel gebrochen. Keuchend richtet er sich wieder auf. „Bundori…“ Der riesige Lindwurm lässt ein warnendes Knurren verlauten. Seine helle, von schwarzen Strähnen durchsetzte Mähne reflektiert grell leuchtend das Sonnenlicht. „Ich habe Neuigkeiten für ihn, und er wird böse werden, wenn du ihn deswegen nicht weckst.“ Betont langsam hebt die massige Drachengestalt ihren Kopf, die Augen geschlossen, während das zweite, maskengleiche Gesicht ihn fixiert. Ein boshaftes Grinsen stiehlt sich auf die menschenähnlichen Züge. „Du willst wirklich, dass ich dir die verdammten Eingeweide bei lebendigem Leib herausreiße, oder?“ Selbstbewusst verschränkt der Junge die Arme vor der Brust. „Traust du dich das?“ Sein herausforderndes Grinsen wird hämisch, und weicht auch nicht von seinen Lippen, als der sich der Drache vor ihm in voller Größe präsentiert, und ihn dann blitzschnell mit einer krallenbewährten Klaue erbarmungslos zu Boden drückt. In diesem Augenblick öffnet das eigentliche Antlitz des Dämons die tiefrot glühenden Augen. Und dass ihn die momentane Situation nicht im Geringsten amüsiert, belegt das aggressive Fauchen, dass sich augenblicklich aus seiner Kehle löst. Der Druck des Gewichts, der gerade eben noch seinen Körper zu zerquetschen drohte, verringert sich allmählich. Um den monströsen, schlangengleichen Drachenleib beginnt die Luft zu flimmern, die Konturen werden unscharf; Bundori hat die Kontrolle zurückerlangt und nimmt nun sein humanes Äußeres an, das den Einfluss der Maske auf seiner Stirn stark beschränkt. „Ryuukotsusei.“ Der Jüngere schiebt entschlossen die Hand seines Bruders, die noch immer auf seinem Brustbein ruht, von sich, und setzt sich auf. Bundori hockt, selbstgefällig grinsend, vor ihm, mustert die leicht zerschundene Erscheinung des Jugendlichen. Er genießt den Trotz, den ansatzweise vorwurfsvollen Blick, den der Kleine ihm zuwirft. „Du solltest einen verflucht guten Grund haben, mich beim Sonnenbaden zu stören.“ Mit einer beiläufigen Geste streicht Ryuukotsusei die halblangen blaugrauen Haare zurück – weswegen sein älterer Bruder ihn schon oftmals aufgezogen hat, er benehme sich wie ein eitles Weib - seine Miene wird ernst. „Es geht um Sou’unga.“ Bundori horcht auf. „Ich habe es gefunden.“ Ein Leuchten erfasst die karmesinfarbenen Iriden, ein fanatischer Ausdruck flackert über die ebenmäßigen Gesichtszüge. „Wo ist es?“ Eine raue Tendenz durchzieht seine sonst so sonore Stimme, er klingt abwesend, jedoch nicht in Gedanken versunken. Seine gesamte Haltung ist gespannt, als er sich nach vorne lehnt, den Jungen auf diese Weise zum Fortfahren auffordert. „Es ist im Besitz der Hunde.“ Verstimmt mahlen die Kiefer des Mannes gegeneinander. „Was soll das heißen?“ Ihm gefällt nicht, was er da hört. Er hasst es, wenn seine sorgfältig geplanten Vorhaben nicht so ablaufen wie beabsichtigt. „Der weiße Hund aus dem Westen hat es vor einem halben Monat an sich gebracht. Seitdem herrscht Ruhe. Offenbar hat er Sou’unga das Schweigen gelehrt…“ Ungehalten schnellt Bundoris rechte Hand vor, packt den Jüngeren am Hals und festigt gnadenlos seinen Griff. Ryuukotsusei hält still – er weiß, dass er ohnehin keine Chance hat sich zu befreien. Erst recht nicht, wenn sein Bruder wütend ist. Doch so plötzlich, wie er aus der Fassung geraten ist, beruhigt sich Bundori auch wieder; seine zweite Bewegung erfolgt derart überraschend, dass sich der Jugendliche auf die Zunge beißt. Blut quillt aus der Wunde, der metallene Geschmack füllt seinen Mund, und ein dünnes rubinfarbenes Rinnsal der Flüssigkeit bahnt sich einen Weg von seinem Mundwinkel über sein Kinn. Der Sonnenweberdrache mit dem bronzefarbenen Haar beobachtet, sichtlich fasziniert, den Weg des unscheinbaren Tropfens. Sein Gegenüber kann nicht dechiffrieren, was in seinem Verstand vor sich geht. Manchmal flößt der undurchsichtige Charakter seines Bruders ihm Angst ein. Ehe er sich versieht, spürt er die Lippen, die Zunge des anderen auf der Haut - genau dort, wo sie von seinem eigenen Blut benetzt ist - sodass ihm ein erschrockener Laut entfleucht. Erbost stößt er den Älteren von sich. „Bundori!“ Dieser bricht daraufhin in höhnisches Gelächter aus, stützt sich mit der Linken an einem flachen Felsen ab. Indes fühlt sich der verdutzte Jungdrache davon verspottet – zu Recht. „Du stellst dich wirklich wie ein Weib an.“ Und Ryuukotsusei ist nicht zu jung um zu verstehen, was damit gemeint ist. Grummelnd wischt er sich mit dem Handrücken über den Mund, spuckt in den Staub. Ihm ist es mehr als unangenehm, wenn Bundori so etwas tut. „Beweg deinen Hintern.“ Er sieht zu dem Mann auf, schenkt ihm einen fragenden Blick, als der ihn maliziös angrinst. „Was?“ Unlängst ist ihm die Laune vergangen. Seine lädierten Rippen pochen dumpf. „Ich habe Lust auf eine kleine Treibjagd, um ein paar dreckigen Tölen eigenhändig das Fell abzuziehen…“ Ryuukotsusei hat für heute keine Widerworte mehr übrig. Sein Bruder hat im wahrsten Sinne des Wortes Blut geleckt… ***---***---*** [Anm. der Autorin] Irgendwie ist die Vorstellung eines jugendlichen Ryuukotsusei merkwürdig, oder? Obwohl ich zugeben muss, dass ich größere Probleme habe, mir Bundori als Kind vorzustellen. o.O Naja, eigentlich wollte ich an dieser Stelle nur erwähnen, dass sich Bundoris "zwei Persönlichkeiten" im Grunde nicht viel voneinander unterscheiden, ihre Reaktion kommt so ungefähr auf dasselbe hinaus (trotzdem sehe ich die beiden nicht als ein Wesen). Die Widmung dieses Werkes gilt Lizard! Ich hoffe, es inspiriert dich. ^-^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)