Der Bulle und der König von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 10: Nacht ----------------- Takashi wurde allmählich müde vom ständigen Aufstehen und Hinsetzen. Jedes Mal, wenn er im Gang Schritte hörte, stellte er sich, wie angeordnet, mit dem Gesicht an die Wand. Yamai saß auf dem Boden, was erlaubt war, solange er es sich nicht bequem machte. Noch etwa eine halbe Stunde bis acht. Yamais innere Uhr war bereits auf das Gefängnis geeicht und fast zeitgleich mit der Ankündigung der Nachtruhe, rollte er sein Futon aus und legte sich hin, mit dem Rücken zu Takashi. Die Luke in der Tür öffnete sich und ein Wärter erlaubte Takashi, schlafen zu gehen. Das Licht ging aus und Takashi reckte sich murrend und seufzend auf dem Futon. Irgendwann rollte er sich mit einem lauten Seufzer, der Yamai stöhnen ließ, ein und gab Ruhe. Irgendwann in der Nacht, wie lange er bis dahin geschlafen hatte, wusste er nicht, wurde er ziemlich grob geweckt. Eine Hand packte ihn an der linken Schulter, die andere unterm Arm. Auf der anderen Seite fasste eine Hand sein Handgelenk und die andere griff ihn beim Schopf. Gemeinsam zogen die beiden Männer ihn aus der Zelle. Hinter ihnen fiel die Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloss, ein Knall, der in seinem Kopf wiederhallte, bis er von einer Stimme unterbrochen wurde. „Du bist denen hier lang genug lästig gewesen, wird Zeit, dass du verschwindest.“ Müde und verwirrt, konnte er die Stimme nicht identifizieren, aber die Worte ließen ihn aufhorchen. Ja, kein Zweifel! „Mako... chan..?“ Keine Antwort. Er sah zu dem anderen Mann hinüber, der ihn links begleitete. Schemenhaft konnte er auf dem dunklen Korridor Yamai erkennen, der ihn grinsend ignorierte. Takashi wollte gerade wieder zu dem anderen hinsehen, als sich vor ihnen eine Tür öffnete. Noch immer war es dunkel um ihn herum, er konnte kaum etwas erkennen. Außer, dass er noch im Gebäude sein musste. „Is zwar lästig,“ sprach die immer vertrauter werdende Stimme rechts neben ihm, „Aber dich hier zu behalten, wäre noch viel lästiger.“ „Mako-chan? Mako-chan, bist du’s wirklich? Das ging ja schnell, aber wieso kommt Yamai-chan auch mit?“ „Ich,“ antwortete Yamai an Makotos Stelle, „Ich wollte bloß deinen Abgang nicht verpassen, Takashi.“ Yamai schlug die Tür hinter ihnen zu und Takashi konnte außer sich selbst, Makoto und Yamai keine weiteren Personen im Raum feststellen. Auch, wenn er kaum etwas erkennen konnte, erschien ihm der Raum reichlich klein und es schien, bis auf die Tür, durch die sie gekommen waren, keine Türen und Fenster zu geben. Vor ihm konnte er ein großes Objekt ausmachen, sehr groß dafür, dass es mitten in einem so kleinen Raum stand. Und er wurde geradewegs darauf zu geführt. Seine nackten Füße stießen auf eine kleine Treppe, die er von den beiden anderen hinaufgeführt wurde. Er zählte genau dreizehn Stufen. „So Takashi,“ sagte Makoto und stellte sich vor ihn. Mit gewohnter Kraft schlug er ihm die Hände auf die Schultern. „Du bist hier fertig. Yamai?“ „Geht klar,“ antwortete dieser und Takashi spürte seine Hände, wie sie ihm etwas über den Kopf zogen. Als er registrierte, dass das, was Yamai ihm umlegte, ein Strick war, war es zu spät und ungläubig sah er den Schatten vor sich, Makoto, an, der seine Hände festhielt. „Mako-chan..?“ „So leid’s mir tut, Takashi, aber irgendwann is auch meine Geduld mit dir am Ende.“ Mit diesen Worten sprang er von dem Podest, das nur als doppelter Boden für den Galgen diente. Takashis Blick versuchte verzweifelt, ihm zu folgen, als plötzlich hinter ihm ein Hebel umgelegt wurde und eine der Bodenfliesen des Podests, die unter seinen Füßen, heruntergeklappt wurde. An seinen letzten Gedanken konnte er sich schon nicht mehr erinnern, als ihm förmlich der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und die Schlinge um seinen Hals sich in Sekundenschnelle zuzog. Alles um ihn herum wurde schwarz, dann weiß, dann verschwand es völlig und mit einem verblassenden Gedanken an den Freund, der ihn heute nacht verraten sollte, gab er auf. „Na Takashi, wie fühlt sich das an, hä?“ Speichel lief ihm übers Kinn und kalter Schweiß und Tränen flossen ihm über die Augenlider. Seine Arme kribbelten, fanden nicht die Kraft, sich zu heben. Um sie zu steuern, fehlte seinem Gehirn der nötige Sauerstoff. Benebelt realisierte Takashi, dass er nur im Traum gehängt wurde und sein Hals nicht von einer Schlinge, sondern von zwei kräftigen Händen, denen rechts ein Finger fehlte, zugedrückt wurde. Yamai saß auf seinem Bauch, hatte nicht die Absicht, sich dabei leicht zu machen. „Haste was Schönes geträumt, na? Hat Makoto dich gehängt? Das wird er auch, im übertragenen Sinne, aber vielleicht komm ich ihm zuvor, was meinst du, Takashi?“ Takashi konnte nicht klar denken und schnappte verzweifelt nach Luft. Seine Augen zitterten und eine Gänsehaut breitete sich auf seinem ganzen Körper aus. Mit der wenigen Kraft, die ihm blieb, versuchte er, Yamai das Knie in den Rücken zu schlagen, aber auch seine schwachen Beine konnten nur kläglich unter der Decke zappeln. Yamai grinste, als er Takashis knochigen Hände spürte, wie sie sich an seine eigenen klammerten und abgekaute Nägel versuchten, sich tief genug in sein Fleisch zu bohren, um ihn zum Loslassen zu zwingen. Doch Yamai war Schlimmeres von Takashi gewohnt und dieses hilflose Gezappel unter ihm war weit davon entfernt, ihn zu beeindrucken. Im Gegenteil. Auch im Dunkeln konnte Takashi Yamai grinsen sehen. Wie eine Hyäne, die sich auf das verlassene Löwenjunge stürzte und keine Eile hatte, es zu töten, ehe sie es fraß. Sollte er aufgeben? Takashi war es nicht gewohnt, zu unterliegen und wusste nicht, wie er mit einer solchen Situation umgehen sollte. Sein Bewusstsein nahm ihm die Entscheidung ab, als es ihn im Stich ließ und sein Körper unter Yamai erschlaffte. Takashi spürte nicht mehr, wie Yamai scheinbar nicht vorhatte, von ihm runterzugehen und ihn in Ruhe schlafen oder sterben zu lassen. Stattdessen schien er seinen Triumph über den „King“, seinen ersten, genießen zu wollen und sorgte dafür, dass auch Takashi diese Niederlage nicht so schnell vergessen, geschweige denn verarbeiten würde. Während der Alptraum für Takashi erst begann, ging für Yamai ein langjähriger Traum in Erfüllung: vor seiner Hinrichtung wollte er nichts lieber sehen, als einen am Boden kriechenden Takashi. Mitternacht, und seine Bauchuhr erinnerte ihn an die Nachtrunde. In etwa zehn Minuten musste ein Wärter an ihrer Zelle vorbeikommen und er beschloss, sich den Rest für später aufzuheben. Er stand auf und betrachtete sein „Werk“, das schlaff, wie erschossen, im zerwühlten Futon lag. “Hier braucht man nun mal keinen King, Takashi,“ lachte er leise und stieß Takashis Kopf mit dem Fuß an. Als der Nachtwächter durch die Luke schaute, sah er nur zwei friedlich schlafende Männer, die sich überraschend gut zu vertragen schienen. Er hätte damit gerechnet, dass diese Nacht schlaflos zu ende gehen würde, er kannte die Vorgeschichte der beiden, war die Geschichte der G-Boys, der Black Angels und des notorischen Verräters Yamai doch zur Legende geworden. Es hätte ihn nicht überrascht, beim Blick durch die Luke eine Schlägerei oder gar einen Mord oder andere Grässlichkeiten zu sehen. Schulterzuckend und leicht enttäuscht über diese langweilige Entdeckung, zog er weiter. Das Erwachen war grausam für Takashi. Alles tat ihm weh und ihm war so schlecht wie nie zuvor. Sein Gesicht war feucht von Tränen und Speichel, der ihm bis zum Kinn hinunterlief. Im Rachen und in der Nase plagte ihn das widerwärtige Gefühl, das man nur hatte, wenn kurz davor das durch die Nase kam, was normalerweise durch den Mund erbrochen wird. Vom Husten wurde es nicht besser, der Geschmack von Galle breitete sich dadurch nur in seinem Mund aus. Endlich schaffte er es, die verklebten Augen zu öffnen und er erinnerte sich an die Ereignisse der vergangenen Nacht. Es dauerte etwas, bis er Traum von Wirklichkeit unterscheiden konnte und sich bewusst wurde, dass nur Yamai ihm zu Leibe gegangen war. Und wie. Vorsichtig drehte er sich um. Neben sich sah er Yamai stehen, der sich die Hose zuknüpfte und das Hemd über den Kopf zog. Es war Tag und jeden Moment musste ein Wärter kommen, der die beiden aufs Klo und dann in die Kantine schicken würde. „Yamai, Andoh, raus,“ tönte es auch schon durch die Luke und die Tür öffnete sich. Der Wärter warf einen flüchtigen Blick auf Takashi, der noch immer im Bett lag und ein Loch in die Luft starrte. „Was ist mit Andoh?“ „Ach,“ lächelte Yamai höflich, „Der muss gestern was Falsches gegessen haben. Hat sich im Schlaf übergeben und kommt einfach nicht hoch. Ich glaube, Sie lassen ihn besser liegen, sonst behindert der doch nur den Verkehr.“ Wortlos drehte der Wärter den beiden den Rücken zu und zitierte Yamai heraus um die Tür hinter ihm abzuschließen. Takashi blieb allein zurück, was er jedoch kaum registrierte. Alles, was er mitbekam, war das verschwommene Bild vor seinen Augen und wie dreckig es ihm ging. Seine Kehle wurde von einem unerträglichen Hustenreiz geplagt, aber wer legte schon Wert darauf, die eigene Magensäure auf der Zunge zu haben? Er versuchte, den Husten zu schlucken, verschluckte sich dabei und bekam so endgültig einen Hustenanfall. Klapprig stützte er sich auf seine Arme und versuchte, alles möglichst schnell auszuspucken. Er kam vom Regen in die Traufe, als der Anblick des gelblichen Schleims zwischen seinen Händen seinen Brechreiz verschlimmerte. Doch in der Zelle gab es nicht einmal einen Rinnstein, wo sollte er es rauslassen? Es war Mittag, als sich die Tür zu seiner Zelle öffnete. Zuerst bekam Takashi es gar nicht wirklich mit. Er hatte seinen bescheidenen Mageninhalt bis hinter die Zähne kommen lassen und wieder sorgfältig hinuntergeschluckt, um sich dann wieder hinzulegen und den Tag möglichst passiv vorbeistreichen zu lassen. „Hey!“ Desinteressiert sah er auf. Vor ihm stand Makoto, wie immer in Uniform. Takashis Augen wurden weiter und für einen kurzen Moment sah er Makoto an, als wollte er ihm weinend um den Hals fallen, doch dann versteinerte sein Gesicht und Makoto blickte in dieselben wilden, glühenden Augen, in die er schon einmal gesehen hatte, als er Takashi zum ersten Mal hier besuchen kam. Schweigend richtete Takashi sich auf. In der hintersten Ecke der Zelle setzte er sich, lehnte den Kopf an die Wand und fixierte Makoto aus den Augenwinkeln, mit einem Blick, den Makoto nicht deuten konnte. „Ist dir mal wieder langweilig? Brauchste Unterhaltung?“ „Hä? Ähm, Takashi, wegen letztens...“ „Lass gut sein, geh einfach nach hause.“ „Takashi...“ „Draußen bist du zu mir gekommen, um mich rumzukommandieren, jetzt kommst du nur noch, um dich über mich lustig zu machen. Ehrlich Makoto, wenn du glaubst, dass du mir so einen Gefallen tust, lass es. Bleib einfach weg. Wenn ich nur an dich denke, kann ich mir wenigstens aussuchen, wie ich dich erlebe. Verpiss dich.“ „Takashi,“ versuchte Makoto sich Gehör zu verschaffen doch Takashi sah weg. „Verpiss dich!“ „Takashi...“ „Danke,“ keifte Takashi, ohne Makoto anzusehen, „Jetzt kann ich mir meinen Namen endlich wieder merken! Solche Sachen vergisst man hier schon mal, wirklich, vielen Dank, dass du mich dran erinnerst, dass ich einen Namen habe!“ „Ta...“ Makoto merkte, wie er sich lächerlich vorkam, jetzt, wo er darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sein momentanes Vokabular sich auf „Takashi“ zu beschränken schien. „Äh, ich würde die Sache gerne aus der Welt schaffen, weißt du...“ „Ach?“ Takashi sah ihn neugierig an, aber irgendwie wirkte diese Neugier eher ironisch. „Wenn du schon dabei bist, die Zeit zurückzudrehen, dreh sie doch bitte auf den vierten März 1987, kurz vor elf.“ „Hä?“ „Kurz nach elf bin ich im Sandkasten auf die Nase gefallen und du hast mich ausgegraben. Dreh die Zeit ein bisschen weiter zurück, damit ich einen Bogen um den Spielplatz und meine Begegnung mit dir machen kann, ja?“ Makoto starrte Takashi fassungslos an. Nicht nur schien dieser Typ das Gedächtnis eines Elefanten zu haben, so dumm, nicht zu merken, wie sehr ihn diese Bemerkung verletzen sollte, war Makoto nun doch nicht. Er versuchte, es zu verbergen, aber Takashi traf schon immer da, wo es am meisten wehtat. Jetzt ging er also schon so weit, seine Begegnung und damit seine langjährige Freundschaft mit Makoto zu verfluchen. So endlos nett und witzig, wie Takashi „normalerweise“ war, genauso grausam und gemein konnte er sein, wenn man es unbedingt darauf anlegte. Makotos Miene verfinsterte sich. Er hätte zwar damit rechnen können, trotzdem war er nicht gekommen, um sich von Takashi beleidigen zu lassen. Erst, als er sich zu Takashi auf den Boden setzte um ihn am Kragen zu packen und anzuschreien, erkannte er, wie schlecht er wieder einmal aussah. Takashi kam ihm zuvor. „Und eh du dumm fragst, die haben mich mit Yamai hier eingesperrt. Hab geträumt, dass ihr beide mich erhängt. Bin aufgewacht und war froh, dass es nur ein Traum war, bis ich dann gemerkt hab, dass Yamai dabei war, mich zu erwürgen, wie Rika-chan.“ Makoto verging auf einmal jede Lust, Takashi anzufahren. Und wieder herrschte dieses bedrückende Schweigen im Raum. Takashi stank nach Kotze und sah auch so aus, das war das einzig Interessante in diesen vier Wänden, womit Makoto seinen Geist beschäftigen konnte. Wie egoistisch er doch wieder war. Hatte Takashi wirklich gänzlich Unrecht, wenn er Makoto vorwarf, dass dieser ihn nur aus eigenem Interesse aufsuchte? Auch jetzt, in genau diesem Moment, ertappte sich Makoto bei äußerst egoistischen Denkweisen. So fand er zum Beispiel, dass es reichte, dass er den lustigen, sympathischen Takashi so schnell nicht wiedersehen würde und deshalb ebenso gut für immer verschwinden konnte. Dass auch Takashi selbst wohl lieber herumalbern und in der Sauna seines Vaters abspannen würde, anstatt sich selbst immer weiter herunterzuwirtschaften, dieser Gedanke kam ihm erst später. Dass Takashi hier der Leidtragende war, darauf kam er erst über Umwege. Allmählich wurde die Stille durch Takashis müden Atem unterbrochen. „Makoto,“ ächzte es plötzlich aus Takashis Ecke. Makoto sah nahezu erschrocken auf. „Das, was ich neulich gesagt hab, das nehm ich zurück. Ich hab’s zwar verdient, im Knast zu sitzen, aber das hier, das hab ich nicht verdient. Auch wenn’s vielleicht total lästig ist...“ „...hättest du doch gerne, dass ich mir weiter den Arsch aufreiße, um dich hier rauszuholen?“ Takashi nickte, ohne seinen Kopf über seine Knie, zwischen denen er ihn verbarg, zu heben. „Das is wirklich mega lästig,“ seufzte Makoto. Mit einem verlegenen Grinsen rutschte er rüber und setzte sich neben Takashi. „Aber ohne deine Lästigkeiten wär’s ja auch langweilig.“ Verlegen legte er einen Arm um Takashis Schulter. Er wollte sich für seinen Abgang neulich entschuldigen, leider fiel es ihm schwer, das Thema aufzugreifen. Grund zur Sorge bestand jedoch nicht mehr: an Takashis Gesicht war deutlich zu erkennen, dass er allein Makotos Anwesenheit brauchte, um das Ganze zu vergessen und so ertrug er es mit einem Seufzen, als Takashi sich wieder extrem eng an ihn zu schmiegen begann. Es stimmte, was man ihm nachsagte: trotz allem Gemecker, Makoto liebte lästige Dinge und Menschen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)