Der Bulle und der König von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Schlaflied --------------------- Toll. Das war wirklich ganz toll. Den ganzen Tag hatte Makoto damit verbracht, einen Psychiater für Takashi zu finden, und der, der sich am besten geeignet hätte, ließ ihn gnadenlos fallen. Mistkerl. Mistkerl, Mistkerl, Mistkerl, so ein gottverdammter Mistkerl! Es war eh Yokoyamas Wagen, so störte Makoto sich nicht weiter daran, dass er in seiner Wut gelegentlich Mülleimer, Leitplanken und andere Objekte streifte und so den Lack ruinierte. Der Lack dieses BMWs war zur Zeit Makotos geringste Sorge. Es war bereits dunkel und er fuhr ohne Licht. Auch das Licht war momentan nicht sein Problem. Zuhause angekommen, wollte Makoto direkt wutschnaubend in sein Zimmer verschwinden, doch schon an der Haustür fing ihn ein äußerst seltener Besucher ab. „Makoto,“ brummelte Tetsu, Takashis Vater, „wo ist mein Bengel? Ich werd das Gefühl nicht los, dass du was weißt!“ Hatte der arme Mann etwa noch nicht mitbekommen, was passiert war? Es stand immerhin in allen Schlagzeilen und die Kundschaft musste doch auch getuschelt haben? „Makoto,“ mischte sich nun auch noch seine Mutter mit ungewohnt ernster Stimme ein, „Sag ihm, was los ist. Er wartet schon seit über einer Stunde.“ „Hätten’s mich mal angerufen,“ murrte Makoto. „Ich will das nicht am Telefon bereden. Meinem Bengel ist doch irgendwas passiert, oder? Spuck’s aus, Makoto!“ Makoto stöhnte, machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück zum Wagen. Genervt sah er Takashis angetrunkenen, in Unterwäsche gekleideten Vater an und forderte ihn auf, einzusteigen. „Ich bring Sie nach hause.“ Noch ehe sie in der Sauna angekommen waren, hatte Makoto ihm alles erzählt. Nur nicht, was Takashi ab hier erwartete. Der arme senile Mann sah jetzt schon gequält genug aus. Mit hängenden Schultern schlurfte er ins Haus und grüßte seine verstorbene Frau. “Liebling, ich bring Makoto mit. Takashi hat Mist gebaut.“ Im Vorraum der Sauna angekommen, ließ Tetsu sich seufzend in einen der grünen Sessel fallen, in denen bis vor Kurzem noch sein „Bengel“ einen Obstsalat in sich hineingeschaufelt hatte. „Bekommt er im Gefängnis wenigstens ordentlich zu essen?,“ fragte er, nachdem er eine Weile Takashi beim Kauen mit offenem Mund zugesehen hatte, bis er verblasste und verschwand. „Du weißt, er mag keine toten Tiere essen. Und allzu scharfe Sachen mag er auch nicht. Den Reis isst er nur mit Kompott oder so! Am liebsten...“ „Ich fürchte, das ist im Knast etwas lästig,“ unterbrach Makoto ihn, „Soweit ich weiß, gibt’s da vor allem Reis und Fisch.“ „Ach so... dann sag denen, dass sie ihm statt Fisch eingemachte Kirschen oder so geben sollen. Dann isst er den Reis auch auf.“ „Eingemachte Kirschen..?“ Wenigstens saß er bereits weich, sonst wäre er wohl umgefallen und hätte sich was gebrochen, bei dem, was Makoto sich da anhören musste. War dieser Mann sich überhaupt darüber im Klaren, wo sein Sohn war und warum? War es ihm etwa egal, dass sein geliebter Bengel, auf den er trotz – oder gerade wegen? – Allem immer so stolz war, nun ein Mörder war? Und überhaupt, so, wie Makoto Takashi das letzte Mal vorgefunden hatte, dachte der wohl auch an andere Dinge als an eingemachte Kirschen und hätte sich bestimmt auch über eine getrocknete Sprotte gefreut. „Makoto, sag mir ehrlich, was wird aus ihm?“ Da war sie, die Frage, die Makoto nicht hören wollte. Was aus ihm wird? Gehängt wird er werden, in spätestens sechs Monaten. Die Hände am Rücken gefesselt und mit einem Tuch um die Augen. Allein, in einem dunklen Raum, und niemandem, der davon erfahren wird, um um ihn zu weinen. „Ich muss dann mal...“ „Ich hab dich gefragt, was aus meinem Takashi wird, Makoto.“ „Das...“ „Sie müssen ihn nicht zu sehr verwöhnen. Er wird auch kalten Reis essen, wenn er nur wiederkommt...“ „Das ist... also, das...“ „Weißt du, seit seine Mutter nicht mehr da ist, ist er mein Ein und Alles.“ Musste das jetzt sein? Das Letzte, was Makoto jetzt noch brauchte, war, dass seine Emotionen mit ihm durchgingen. „Wenn Takashi hier durch die Bude hüpft, ist es, als würde die Sonne in meine schummrige Sauna scheinen. Nicht nur wegen seiner gelben Mähne.“ „Ich weiß, was Sie meinen,“ seufzte Makoto, „Takashi hat so ’ne Art. Irgendwie wird alles lebendig, wenn er da ist. Auch, wenn er manchmal lästig ist.“ „Und jetzt ist er weg und alles ist trübselig.“ ‚Er kommt auch nicht mehr wieder,’ dachte Makoto, während er einen erbitterten Kampf gegen den Kloß in seinem Hals führte. „Weißt du, seit er dreizehn war, war er immer wieder in den Medien. Seitdem guck ich keine Nachrichten und lese auch keine Zeitung mehr. Ich bin stolz auf meinen Jungen und will es auch bleiben. Was andere über ihn berichten, geht mich nix an. Es gehört viel dazu, dreihundert Mann um sich zu scharren und herumzukommandieren. Er hat mit seinen G-Boys viel Mist gemacht, aber er hat auch viel Gutes getan. Weißt du noch, der kleine Hiroki, der von seinem großen Bruder entführt wurde? Die G-Boys haben den Kleinen damals gefunden. Ironischerweise war es dieser Kyoichi, der den Wagen gefunden hat. WA 9135 war es doch, oder?“ „Eben dieser Kyoichi, also das ist so, das... also wegen Kyoichi...“ „Weißt du, als es damals zum Schluss eskaliert ist und Takashi von diesem Mädchen in die Blase gestochen wurde... das war schon ein Schock für mich, zu erfahren, dass mein Junge auf der Intensivstation liegt und beatmet wird. Und dann kam er, Wochen später, im Rollstuhl heim und konnte nicht ohne fremde Hilfe pinkeln. Weißt du, das war alles schlimm, aber überrascht hat’s mich nicht. Es musste eines Tages so kommen. Nein, überrascht hat’s mich nicht... also Makoto, sag mir, was ist mit meinem Takashi? Was wird jetzt aus ihm? Geht es ihm gut? Sag mir die Wahrheit.“ Er hätte dem resoluten Blick in Tetsus Augen nicht nachgeben sollen. Er hätte ihn anlügen sollen. „Sorry, ich weiß auch nicht mehr, als was ich ihnen gesagt hab.“ – warum konnte er das nicht? Warum musste er ihm unbedingt auf die Nase binden, dass sein Sohn bei ihrer letzten Begegnung, an den Boden gefesselt, ausgetrocknet und hysterisch, in einer verpissten Zelle auf den Strick wartete, weil er lachend einen alten Kameraden totgeprügelt hatte und die letzte Hoffnung ein Psychiater war, der ihm nicht helfen wollte? Egal, wie fest er aufs Gaspedal trat und wie laut er das Radio aufdrehte, irgendwie konnte er immer noch, weit von der Sauna entfernt, Takashis gebrochenen Vater weinen hören. Er konnte ihn noch immer laut heulen, fluchen und Takashis Namen rufen hören. Und je weiter Makoto sich entfernte, desto lauter wurde es. Er bekam schon Halsschmerzen davon. Erst gegen Mitternacht, als er längst zuhause in seinem Bett lag, machte seine Mutter ihn endlich darauf aufmerksam, dass es nicht mehr Tetsu, sondern er selbst war, der da so laut und kläglich um seinen Freund weinte. Irgendwann, mit einer Nase voller Rotz, pochenden Kopfschmerzen und klebrigen Augenlidern, schlief er ein. Weit, weit von Majima Fruits entfernt, hallten Beschwerden über Lärm durch die finsteren Gänge des Gefängnisses. Aus Zelle vierhundertneunundzwanzig, in die Takashi von Makoto wiedereingesiedelt wurde, kam zwar kein Geschrei, dafür genug Gepolter, um die ganze Etage senkrecht im Bett stehen zu lassen. Nervös lief Takashi auf den neun Quadratmetern hin und her, warf sich auf sein Futon, krabbelte darunter, warf es an die Tür und sich selbst hinterher. Trat gegen Wände, schlug sich selbst auf die Schenkel, tat alles, um nur nicht stillstehen und seinen unbändigen Bewegungsdrang unterdrücken zu müssen. So viele Kalorien, wie er in den letzten Stunden am Verbrennen war, konnte er während seines gesamten Aufenthalts nicht zu sich genommen haben. Als ein Wärter entnervt die Tür aufriss um Takashi zu korrigieren – um diese Urzeit musste man immerhin in einer bestimmten Haltung im Bett liegen – schob dieser sich gerade auf der Seite liegend über den Boden und schob wie eine Katze den Kopf über die Fläche, als wollte er sich überschlagen. Es wäre ihm sogar um ein Haar gelungen, hätte der Wärter ihn nicht an der Gürtelschlaufe seiner Hose gepackt und auf die Beine gezerrt. Was er bitter bereuen sollte, denn Takashis Bewegungsdrang kam eine Fresse zum Einschlagen gerade recht. Nur hatte Takashi nicht damit gerechnet, dass der Wärter bewaffnet war und lag, noch ehe seine Faust zum zweiten Mal das Gesicht des Mannes treffen konnte, schon wieder am Boden. So machte das keinen Spaß. Aber er war sich sicher: Makoto würde ihn hier schon bald rausholen. Makoto war noch immer der Klügste, Stärkste, Beste und Einflussreichste in ganz I.W.G.P., zumindest in Takashi’s Fantasie. Der wahre Makoto war strohdoof, motzig, ungeschickt und immer auf die Hilfe anderer angewiesen, aber das war nebensächlich für Takashi. In eben diesem Glauben an Makoto, ließ Takashi sich von dem aufgebrachten Wärter bis aufs Futon treten, wo er von der Decke fast erstickt wurde und zappelte sich in den Schlaf. Noch ein paar mal schlafen, dann läge er sicherlich wieder auf dem weißen Plüschbezug seines Minibusses. Da war er ganz sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)