Mondscheinkinder von MangaEngel ================================================================================ Kapitel 20: Allein in der Nacht ------------------------------- Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Wir, damit meine ich die gesamte Klinik – mit Ausnahme einiger Mitarbeiter, die scheinbar Urlaub bekommen hatten – waren mit einem Flugzeug nach Griechenland geflogen, in ein Dorf nahe des Olymps, dessen Namen ich nicht mal weiß. Das Dorf bestand aus einem Supermarkt, einer Arztpraxis, einer Art Sportanlage mit diversen Angeboten und einer Bungalowsiedlung, welche nur wir besetzten. Bis dahin hatte ich nichts gegen den Urlaub einzuwenden, ich würde zwar wenig mitmachen können, doch die Landschaft würde sicher auch bei Nacht schön sein. Doch ich konnte nicht glauben, was mir um 2 Uhr morgens am Ankunftstag gesagt wurde: Ich bekam ein Einzelzimmer. Ich wollte dies absolut nicht, wollte bei Masa und Mary oder wenigstens einem der Beiden ins Zimmer, doch keiner der Ärzte akzeptierte es und die Direktorin erzählte irgendwas von wegen 'Es wäre zu meinem Besten' und 'Ich solle mich freuen über diesen Luxus'. Mittlerweile bin ich schon zwei Tage hier und alle Erwachsenen verhinderten organisiert ein Zusammentreffen zwischen mir und meinen Freunden. Ich hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden, hatte Alpträume und die Sonne, die hier um einiges greller war, machte mir Mordsangst. Doch egal, wieviel ich flehte und bettelte, sie ließen mich nicht zu ihnen, redeten immer irgendwas von 'Nachtwanderungen nur für mich' und anderen Beschäftigungen, die sie mir anboten und schienen nicht zu verstehen, dass ich kurz davor war, mich nackt in die Sonne zu stellen. In meinem Kopf drehte sich alles und ich merkte zum ersten Mal seit langem wieder: Ich war allein. Nicht ein einziges Mal hatte ich die Beiden gesehen. Egal, was ich tat, egal, wie weit ich nachts kam. Selbst, wenn ich dick verpackt tagsüber versuchte, sie zu finden, sah ich nur Erwachsene und ein paar Jugendliche in den Sportanlagen. Und ich begann zu zweifeln. Hatten sie mich vergessen? War ich vielleicht wirklich nur eine Last gewesen? An jenem Abend, als mir diese und weitere Gedanken durch den Kopf schossen, hatte ich nicht schlafen können, litt unter Heulattacken, Panik und Atemlosigkeit. Und am nächsten Morgen war ich weg. Ich war über den Balkon geklettert, irgendwann am frühen Morgen. Ich war zwar heruntergefallen, aber ich war zum Glück dick genug angezogen, dass es nicht ganz so weh tat, doch mein Fuß schmerzt seitdem stark. Da sie mich im Dorf finden würden, lief ich einfach auf den Olymp zu, das einzige, was ich bisher wirklich gesehen hatte von Griechenland. Als die Sonne herauskam, war ich bereits weit gekommen, doch ich war auch am Rand meiner Kräfte, ausserdem kroch der Schmerz aus dem Fuß mir das Knie hoch, verursachte Kopf- und Bauchschmerzen und mir war auch ein wenig schwindelig. Ich suchte mir in den bewaldeten Bergabhängen eine Stelle, die von den Bäumen ziemlich lichtdicht war und legte mich dort hin. Ich hörte Vogelgezwitscher und ich sah sogar ein Eichhörnchen und fühlte mich zum ersten Mal von meiner Krankheit befreit. Doch ich wusste, dass es nicht so war, meine Nase juckte etwas, als mein Schal ein Stück verrutscht war. Ich schlief irgendwann ein und als ich wieder aufwachte, war es schon dunkel, aber man sah noch einen rot-violetten Schimmer am Horizont. Ich stand auf und merkte, dass ich meinen Fuß nicht mehr spürte, er war taub und fühlte sich an, als wäre er in einem dicken Gipsverband. Doch um ihn zu versorgen, hätte ich zurück gemusst und das wollte ich nicht. Ich wollte nicht zurück, zurück in den einsamen Käfig, den ich seit gestern als solchen erkannt hatte. Ich lief also wieder los, immer auf die gewaltige Gebirgskette zu, auf deren Spitze angeblich die Götter wohnten. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun würde, wenn ich am Fuße des Olymps ankam, ob ich überhaupt soweit kam mit meinem Fuß oder ohne Proviant, doch es war mir egal. In einer Hinsicht hatte Mary Recht gehabt. Ich riskierte für ein paar dumme Tests mein Leben, für Tests, deren Wirkung absolut unbekannt waren und mir nichtmal die Hoffnung gaben, dass sie etwas wirklich bewirken könnten. Da könnte ich auch hier sterben, ohne Injektionen in einem nicht sterilen, lieblosen Raum. Und so lief ich immer weiter, doch ich war um ein großes Stück langsamer als letzte Nacht und konnte daher auch beim nächsten Morgengrauen noch das Dorf sehen, auch, wenn es bereits winzig war. Doch ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch weitergehen könnte. Mein Fuß war anscheinend geschwollen, denn die Schuhe drückten schmerzhaft. Ich hatte das Bedürfnis, ihn mir anzusehen, doch selbst bei der dunkelsten Stelle in diesem Wald würde mich die Sonne finden. Sie war überall und sorgte für einen schrecklichen Schlaf voller wirrer Alpträume und als ich gegen Abend wieder aufwachte, war mir heiß und ich war auch vollkommen durchgeschwitzt. Der Schmerz betäubte mich und ich spielte sogar mit dem Gedanken, mich von den nassen, heißen Kleidungsstücken zu entledigen, doch ich war noch bei genug Verstand, um es nicht zu tun. Ich versuchte kurz, aufzustehen, doch ich hatte keine Kraft in den Beinen und auch sonst fühlte ich mich nur müde. War es so, wenn man starb? Lag es am Hunger, am Durst oder war ich an dem Punkt, wo man einfach aus fehlendem Lebenswillen starb ohne sichtlichen Grund? Ich hatte keine Ahnung und es war mir auch egal. Ich hatte das Bedürfnis, wieder zu schlafen und am Besten vorher noch irgendwie mein Bein abzuschlagen, um den Schmerz nicht mehr zu spüren. Ich wollte einfach nicht mehr... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)