Mondscheinkinder von MangaEngel ================================================================================ Kapitel 18: Wenn Träume grausam sind ------------------------------------ Ich hatte mich schon die ganze Zeit darauf gefreut, in den Zoo zu fahren. Kai zuliebe war ich fast nicht mehr rausgegangen, es hatte mich zwar nicht gestört, dennoch tat es gut. Kaum, dass die Tickets entwertet waren, nahm ich Masa und Kai an die Hand und lief mit ihnen zum ersten Käfig. Es war der Gorillakäfig. Einer lag schlafend auf einer Hängematte, zwei Andere aßen und der letzte saß vor uns und starrte uns an. Kai hatte seine Maske auf obwohl Nacht war, doch er lehnte sich soweit über das Geländer, dass ich mir denken konnte, ob es ihm gefiel oder nicht. Masa sah eine Weile nachdenkend aus, ehe er „Gorilla?“ sagte. Ich fand sein Gehör wirklich immer wieder erstaunlich, bestätigte ihn und wir gingen weiter. Kai war sichtlich begeistert, denn nach einer Weile begann er, uns anzuführen und zu bestimmen, wo wir hingingen. Je näher die Tiere an den Gittern waren, je aktiver sie waren, desto länger stand er vor den Scheiben und Geländern. Vor allem der Käfig mit Lemuren gefiel ihm sehr, da diese ihm Affenhaus frei herumklettern durften. Fast eine ganze Viertelstunde lief er durch das Haus und verfolgte die Äffchen. Nach ein paar Minuten kam sogar ein Wärter vorbei, der ihm eine Art Cracker gab und wodurch Kai die Affen auch von nahem sah und ein paar sogar auf seiner Schulter saßen, um ihm die Kekse zu klauen. Ich hätte ihn gern gebeten, seine Kapuze abzunehmen, um sein glückliches Gesicht zu sehn, doch hier liefen zu viele Fremde herum, als das er dies wagen würde. Masa hatte dafür nur begrenzt Spass. Denn viele Tiere gaben keine Geräusche von sich und waren somit unsichtbar für ihn. Doch es war auffallend, dass er immer wieder lächelte, wenn Kai ein fröhliches Kichern entwich. Für einen kurzen Moment schoss mir jedoch ein seltsamer Gedanke durch den Kopf. >Masa geht es soviel schlechter als Kai< Ich überlegte noch vier Käfige lang, wie ich darauf kam. Masa konnte das Leben um ihn herum nicht sehen, ihm ist es nicht mal vergönnt, die Dinge in Kais Buch zu sehen, aber er ist in keinster Weise lebensgefährdet. Mir war ein Rätsel, wie ich darauf gekommen war und nach einer Weile fragte ich mich, wie es wohl die Beiden sehen würden, ob sie mir zustimmen oder mich abweisen würden. Doch der Gedanke verschwand nicht mehr. Und das, obwohl es Masa doch klar besser hatte, denn die Chance, dass er vielleicht schon nächstes Jahr von seinem Makel befreit sein könnte, war sehr hoch, Kai stand allerdings gerade mal am Anfang seines Weges. Und der Unfall in der Mensa hatte die Ärzte dazu veranlasst, ihn noch für eine ganze Weile keiner Versuche auszusetzen, was seinen Aufenthalt verlängerte. „Wah, guckt mal, guckt mal, Tigerbabys!“ Als Kai freudig wie ein kleines Kind aufjauchzte und ganz aufgeregt am Geländer rumhopste, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und sah in den Käfig vor uns. Ein gewaltiger Tiger lag dort und zwischen den Beinen krabbelten fünf vergleichsweise kleine Kätzchen, welche uns nach dem lauten Jubeln neugierig ansahen. Ich sah kurz zu Masa, welcher nach der deutlichen Freude Kais wieder lächelte. In Momenten wie diesen wüsste ich gerne, was er dachte. Ob er in solchen Momenten vielleicht den Tränen nahe war, nicht verstehen zu können, was Andere so faszinieren konnte. Doch ich kannte Masa, dass er letztes Mal mit dem Chip fast geweint hatte, war eine gewaltige Ausnahme, denn sein Bild fand man im Lexikon unter dem Wort „Fassung/gefasst sein“. Ich sah wieder zu Kai, welcher schon fast auf der Eisenstange lag, welche den Abstand zum Käfig sichern sollte. Dann schaute ich zurück zu den Tieren, welche sichtlich auch Spass an Kai hatten. „Wenn wir das nächste Mal tagsüber hier vorbeikommen, sind sie bestimmt schon so groß, dass sie selber Babys haben.“ Wie auf Kommando sahen Beide zu mir und bei Beiden konnte ich nicht sagen, was ihnen gerade durch den Kopf ging. Kai reagierte als erstes, indem er sich langsam zu dem Tierkäfig zurückdrehte. „Ja... Dann sind es 25 Kinder und fünf Mamas.“ Überrascht sah ich zu Kai, als dieser zuende gesprochen hatte. „Dann sieht ihr goldenes Fell bestimmt besonders weich aus.“ kam es dann von links und auch Masa schien die Tiere wieder anzusehn. Und obwohl beide ruhig, ja fast nachdenklich gesprochen hatten, konnte ich gerade daran meiner Meinung nach raushören, dass sie genau jetzt beteten, träumten, hofften und sich einen Tag vorstellten, wo die Sonne einen unbezahlbaren Glanz in das Fell solcher Großkatzen zauberte. Und unwillkürlich stellte auch ich es mir vor und musste lächeln bei dem Gedanken, dass drei „Krüppel“ wie wir eines Tages wie normale Menschen mit einem Eis in der Hand an genau dieser Stelle stehen könnten, jeder mit Sonnenhut, um keinen Sonnenstich zu bekommen vor Hitze. „Übermorgen ist der erste Test.“ Ich konnte nicht anders, als ein entsetztes „Was?!“ auszustoßen. Ich hatte mich zum Einen erschrocken, aber zum Anderen gefiel mir die Nachricht auch absolut nicht. Kai hatte sie sehr ruhig ausgesprochen und ohne von den Tieren wegzusehen. „Ein gewisser Carell aus dem Irak hat irgendwie neue Proteine entdeckt, die gegen Krebs und andere Erbfehler helfen sollen. Sie wollen mir ab übermorgen eine Therapie verordnen, wo ich diese injiziert bekomme. Nach drei Tagen soll ich dann am Arm auf einem 5x5 mm großem Hautstück bestrahlt werden“ Ein dicker Kloss hatte sich in meinem Hals gebildet, während ich ihm zugehört hatte. Nach einem kurzen Seitenblick zu Masa merkte ich, dass ich da anscheinend nicht die Einzige war, denn er kaute auf seiner Unterlippe und er ballte die Hände in seinen Hosentaschen wieder und wieder zu Fäusten. Kai hatte währenddessen immer noch nur in den Tierkäfig gestarrt. „Sie sagen...es wäre ein erster Ansatz. Er könnte dafür sorgen, dass sich dort vielleicht kein Krebs bildet.“ Seine Stimme zitterte leicht und ich hatte das Bedürfnis, ihn zu umarmen und ihn nicht zu diesem Test gehen zu lassen. „Vielleicht...?“ fragte ich mit belegter Stimme nach und er antworte ruhig „Vielleicht“. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, hatte ich ja schließlich das Thema mehr oder weniger angeschnitten. „Wenn ich keinen Krebs bekomme, dann wollen sie übernächsten Monat die Therapie versuchen, wo sie die Endonukleasen XPA-XPG als Virus verschlüsselt in meinen Körper einschleusen wollen und so versuchen wollen, dass alle Sonnenschäden wie bei normalen Menschen repariert werden. Und wenn das nicht geht, soll ich in drei Monaten...“ „Hör auf!“ Kai und auch Masa waren sichtlich erschrocken, als ich aufgeschrien hatte. Doch nur Kai war wirklich geschockt, denn ich hatte mich ihm zeitgleich an den Hals geworfen und an mich gedrückt. „Hör auf, davon zu reden, bitte! Wenn alles gut geht, dann bist du doch schon nach der ersten Therapie gesund!“ Ich hielt es nicht aus, ihn reden zu hören, als wenn es eine 'ungefährliche' Sache wie bei Masa war. Dieser riskierte zwar wieder und wieder seine wahre Sehkraft, doch bei Kai stand sein Leben auf dem Spiel mit jeder Bestrahlung. Im Vergleich zu anderen Mondkindern war es vermutlich ein Wunder, dass er überhaupt noch am Leben war. In mir stieg eine gewaltige Wut hoch, dass die Direktorin ausgerechnet ihn nehmen musste, jemanden, der schon mehrmals verbrannt wurde, der dadurch schon ein extrem hohes Krebsrisiko hatte. Vielleicht war Kai gerade dadurch eher bereit, die Tests zu machen, doch ich fand es schrecklich. Während ich ihn an mich klammerte, hatte Kai die ganze Zeit vollkommen starr da gestanden. Doch plötzlich spürte ich, wie sich seine Arme um meine Schultern legten und noch einer Weile drückte auch er mich feste. Doch seine Hände zitterten, sie zitterten gewaltig und krallten sich schmerzhaft in meine Haut, doch ich ließ ihn. Auch Masa reagierte, was mir sagte, dass Kai wohl gerade weinte. Er kam langsam auf uns zu und als er uns geortet hatte, schloss auch er sich der Umarmung an. Wir standen lange dort vor dem Tigerkäfig, uns gegenseitig umarmend, nur beobachtet von Tieren, Mond und Sternen. Und doch wussten wir, dass keiner von uns die Klinik jemals ohne Schmerz und Opfer verlassen können wird, egal, wie sehr wir uns trösteten und beteten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)