Mondscheinkinder von MangaEngel ================================================================================ Kapitel 11: 24, 65, 387 ----------------------- „Ist irgendwas mit Salami da?“ Ich hörte kurz Papierrasseln, ehe mir eines der Brötchen in die Hand gedrückt wurde. Ich überlegte kurz, ehe ich „Mary“ sagte und Mary zu lachen begann. Ich wusste nicht, wie ich das deuten sollte, doch auf Nachfrage wurden sie nur noch lauter. Irgendwann erfuhr ich, dass die Beiden es mithilfe eines Stockes mir gegeben hatten und keiner es mir in die Hand gelegt hatte. Eine kurze Diskussion über Schummeln später begann ich auch mein Brötchen zu essen, während die anderen Beiden „Stein, Schere, Papier“ wegen einem Schinkenbrötchen spielten. Mary gewann und Kai bekam als Trostpreis ein Käsebrötchen mit Tomate und Gurke, ehe beide irgendwas anderes spielten. Anscheinend war alles besser gelaufen als ich es erwartet hatte, seit er angefangen hatte, mich, Mary und sich selbst zu beschreiben, war er lockerer geworden und hatte für einen Moment anscheinend vergessen, dass er mit uns offen agierte, auch, wenn er nicht lachte oder sowas. Mittlerweile hatte ich rausgefunden, dass sie „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielten, nach irgendwas violettem suchten und dabei viel Spass hatten. „Marys Haarband“ sagte ich kurz, ehe ich wieder in mein Brötchen abbiss und die Beiden kurz schwiegen, ehe Kai mich verwirrt fragte, woher ich das wusste. „Du hast es mir vorhin erklärt.“ antwortete ich grinsend und beide schwiegen für eine Weile, entweder überrascht oder ehrfürchtig, wer weiß. Schließlich hatten wir alles aufgegessen und Mary meinte, dass der Himmel schon anfing, aufzuhellen, es also besser wäre, zurückzugehen. Und so räumten die Beiden alles in meinen Rucksack, ehe wir losliefen, ich wieder vorran. Bei 78 fragte mich Kai plötzlich „Woher kennst du eigentlich den Weg?“. Ich stoppte kurz und sah ihn an, ehe ich lachte. „Zahlen.“ Er schwieg kurz, ehe er das Wort fragend wiederholte. „Nun ja, fremde Orte sind sehr schwierig für mich, aber da ich nun schon zwei Jahre in der Klinik bin, weiß ich die Länge der Wege. Von meinem Zimmer bis zum Aufzug sind 24 Schritte, um zu dieser Lichtung zu kommen sind es 65 Schritte gerade aus der Klinik raus, 72° nach links und dann 387 Schritte geradeaus.“ erklärte ich, lief aber wieder weiter, ich war bei 105 +/- 4. „Aber...verwirren dich die ganzen Zahlen nicht? Ich meine...Das müssen doch tierisch viele sein, wie merkst du dir die alle?“ Ich lachte. „Naja, weißt du, wenn man auf etwas angewiesen ist, setzt man es durch, egal, wie schwierig es ist. Ich merke mir die Zahlen, weil sie mein Leben sehr stark vereinfachen. Du machst es doch auch nicht anders, du hast dir angewöhnt, Sommer und Winter dicke Kleidung zu tragen, dass würden verdammt wenige aushalten, ich würde vermutlich nach ein paar Stunden vor Hitze zusammenbrechen oder sowas.“ Er gab kurz ein nachdenkliches Geräusch von sich, es klang ein wenig zweifelnd, vielleicht war der Vergleich nicht ganz so passend. „Ich glaube, dein Zählen kann man eher mit Schule vergleichen. Man könnte auch ohne Schule durchkommen, aber sie macht das Leben heute sehr viel einfacher und bequemer, man braucht sie irgendwie, aber nicht überall.“ meinte Mary plötzlich und ich nickte nur zustimmend. Wir waren mittlerweile auf dem Gehweg, ich drehte mich zur Klinik und zählte die 65 Schritte ab. Ich öffnete die Türe und ging Richtung Aufzug. „Was passiert denn genau in einer Schule?“ Ich erstarrte, auch Mary war anscheinend stehen geblieben und es war still für kurze Zeit. Es war klar, dass er niemals in einer Schule war, um dort unterrichtet zu werden, doch Privatunterricht wäre sicher möglich gewesen. „Heißt das...du kannst weder Lesen noch Schreiben?“ fragte ich vorsichtig. „Doch, aber nicht sehr gut. Im Heim hatte ich viele Lernkassetten mit dazugehörigen Büchern bekommen, mit denen ich versucht habe, mir das beizubringen.“ Ich wusste kurz nicht, was ich sagen wollte, ich war knapp an der Grenze, wirklich Mitleid mit ihm zu haben, aber Mitleid half niemandem und es verletzte meist nur, zu wissen, dass selbst Andere denken, es ginge einem schlecht. „Hey, soll ich mit dir Lesen und Schreiben üben? Ich kann zwar nur Englisch, aber ich bin immer gut in der Schule gewesen!“ rief Mary auf einmal, anscheinend voll begeistert von der Idee. Es war wieder kurz still, aber als Mary aufjuchzte, nahm ich an, dass er genickt hatte. Ich kam mir ein wenig aussenseiterisch vor, auch, wenn auch ich nicht lesen und schreiben kann, schon gar nicht, wenn dieser Chip wirklich irgendwann funktionieren sollte. Ich seufzte kurz und stieg in den Aufzug, der mittlerweile schon ne Weile wartete. „Kommt, bevor die Anderen aufwachen.“ meinte ich und die Beiden folgten mir, allerdings schienen die Gesprächsthemen zumindest fürs erste ausgegangen zu sein. Im dritten Stock stiegen beide aus, als ich plötzlich einen Kuss auf die Wange bekam. „Sorry, Masa. Wir kommen heute vorbei,und dich abzuholen und gehen uns dann wieder Kuchen holen, ok?“ Ich stand ein wenig verwirrt da, während die Türen sich schlossen, ehe ich merkte, wie ich lächeln musste. Ich war anscheinend durchschaubar gewesen, dass Mary gemerkt hatte, was los gewesen war. Ihre kindliche Art, mich mit einem Kuss trösten zu wollen, war auch ziemlich niedlich gewesen, manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, sie wäre meine kleine Schwester, auf die ich aufpassen musste. Einen Stock weiter stieg auch ich aus, lief die 24 Schritte bis zu meinem Zimmer, öffnete die Türe und setzte mich innen aufs Bett. Ich überdachte kurz den ereignisreichen Tag und vor allem, inwiefern sich vielleicht auch alle zukünftigen Tage ändern würden. Mary würde vermutlich viel Spass haben mit einem, wenn auch recht ruhigem, Zimmergenossen und die Beiden würden auch sicher häufig hier sein. Dennoch hatte ich ein wenig das Gefühl, etwa verloren zu haben. Mary war der einzige engere Kontakt von mir, für sie war es auch nicht anders gewesen, doch nun war Teilen angesagt, wobei Kai allerdings klar mehr an Mary interessiert war, da sie zum einen ebenso wie er äusserliche Probleme hatte und zudem auch keine Behinderung so wie ich hatte. Allerdings sagte ich mir selbst, dass dafür bei mir auch die Zeit hier wohl mitunter als erstes vorbei sein wird, denn im Gegensatz zu Kai gab es bei mir eine fast fertige Behandlungsmethode und da ich als Testperson hier war, wurden meine OP's finanziert im Gegensatz zu Mary, deren Eltern noch den Rest des Geldes zusammensparten. Ich würde als erstes diesen Ort verlassen können... Ich würde als erstes zuhause sein...in Japan...bei meiner Großmutter... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)