Stray von mystique (∼ Verirrt ∼ KaibaxKatsuya) ================================================================================ Kapitel 1: Stray ---------------- Anmerkung: Dumme Fehler kann ich einfach nicht stehen lassen. Darum die Überarbeitung ; ) Titel: Stray Pairing: KaibaxKatsuya/KatsuyaxKaiba Serie: Yu-Gi-Oh! Disclaimer: Würde Yu-Gi-Oh! mir gehören, müsste ich dies hier dann etwa schreiben?! あなた について の 私 の 考え ... Ananta ni tsuite no watashi no kangae My thoughts about you ... Wenn ich ehrlich zu mir war, hatte ich den Posten des Klassensprechers nie gemocht. Eine simple Formalität, die man auf mich abgeschoben hatte, mit dem banalen Argument, ich wäre durch meine Stellung als Leiter der Kaiba Corporation „wie geschaffen dafür“. Faules Pack. Für sie war es so einfacher, als jemand anderen dafür zu suchen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie niemanden finden würden. Von meinen geschätzten Mitschülern riss sich niemand um diesen Posten. Warum auch, wenn man ihn doch so leicht an mich übergeben konnte? Herrlich. Ich fühlte mich wahrlich geehrt. Als Dank für die Übernahme dieses begehrten Postens konnte ich den Sitzungen der Klassensprecher beiwohnen und mir Vorträge über unsere Schule anhören. Als ob es nicht reichte, dass ich drei Viertel meiner Woche in stickigen Sitzungsräumen verbringen und mir schleppende Rezensionen der Geschäftsführer anhören musste. Doch offen gestanden war mir dies alles weitaus willkommener als meine derzeitige Aufgabe. Sie missfiel mir mehr, als mein Klassensprecherposten, obwohl dieser der Grund dafür war. Ich erlaubte mir ein lautloses Seufzen, bevor ich einen Gang herunterschaltete und in die kleine Seitenstraße vor mir bog. Meine Nerven lagen blank und meine Laune war auf dem Tiefpunkt des möglichen. Für meine derzeitige Aufgabe war es nicht unbedingt förderlich Isono mit der Limousine vorfahren zu lassen. Zu viel Aufsehen würde es erregen und ich wollte möglichst unerkannt bleiben. Hinzu kam, dass in einer Gegend wie dieser eine schwarze Limousine auffälliger war, als ein Wohnungsbrand. Ich hatte bereits sämtliche meiner Mitschüler hinter mir, lediglich einer fehlte noch. Wie immer. Wiederholt erschienen Bilder meiner vorangegangenen Besuche vor meinem inneren Auge. Mazaki in der Tanzschule - zusammen mit ihren kümmerlichen Versuchen, untalentierten Mittelschülern die grundlegenden Schritte beizubringen. Auch die billigen Flirtversuche ihrer aufdringlichen Tanzlehrerin würde ich für lange Zeit nicht vergessen können. Als nächstes der Anblick Mutos - umgeben von schwärmenden Mädchen - welcher mir auch jetzt noch ein schadenfrohes Zucken meiner Mundwinkel entlockte. Es war zweifelsfrei keine gute Idee gewesen, in seiner derzeitigen Stellung in der Weltrangliste in Duel Monsters – nun verzog sich mein Mund für den Bruchteil einer Sekunde leicht verächtlich – aushilfsweise an der Mittelschule zu arbeiten. Dann Hondas ölverschmiertes Gesicht, zusammen mit seiner mehr als verdreckten Kleidung und einem selbstgefälligen Grinsen auf dem Gesicht. Dieses Bild hatte sich unweigerlich in mein Gedächtnis gebrannt. Ich würde ihn nie auch nur in die Nähe meines Wagens lassen, soviel war sicher. Ich hatte sie alle aufgesucht. Jeden einzelnen. Nun gut, einer fehlte noch. Und dies auch nur, weil der Ort, an dem er aufzufinden war, am anderen Ende der Stadt lag. Es passte zu ihm, die umständlichste Variante des Möglichen zu wählen. Typisch. Ich erblickte eine Parklücke und lenkte den Wagen hinein. Ich zog den Schlüssel heraus und stieg aus dem Wagen. Er verschloss sich automatisch, während sich mein Blick auf das Gebäude vor mir richtete. Es wirkte seltsam fremd, umgeben von den neuzeitlichen Bauwerken der Stadt. So fehl am Platz. Ich verwarf den Gedanken. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um abzuschweifen. Ich musste dieses Gebäude lediglich betreten, kurz mit dem Köter reden – na wunderbar – und konnte anschließend sofort wieder gehen. Genau genommen musste ich nicht einmal wirklich mit ihm reden ... Ich straffte meine Schultern und machte mich auf den Weg. Hinter den Fenstern des Gebäudes konnte ich schemenhafte Personen und flüchtige Bewegungen wahrnehmen. Doch noch war ich zu weit weg, um Genaueres zu erkennen. Schließlich richtete ich meinen Blick auf den Kiesweg vor mir, der mich direkt zu der Tür des Gebäudes führte, welche in mattem Braun gehalten wurde. Für wenige Momente ruhte mein Blick auf den schwarzen Zeichen, die neben der Tür an der weißen Außenwand angebracht waren. Kindergarten Ein passender Ort für jemanden wie ihn. Leider hatte ich erst vor wenigen Tagen davon erfahren, dass er sich hier aufhielt und seit letzter Woche in der Schule hatten wir uns nicht mehr gesehen. Darum war ich nicht dazu gekommen, ihn damit aufzuziehen. Vielleicht würde ich diesen Rückstand gleich nachholen. Vielleicht ... Ich schob die Eingangstür auf und trat ein. Als ich sie hinter mir schloss und mich umwandte fand ich mich in einem kleinen Vorraum wieder. An den Wänden waren Regale mit Fächern angebracht, in denen sich jeweils ein Paar Schuhe und eine Kindertasche befanden. Ich stand auf grauem Steinboden, doch wenige Meter vor mir führte eine Stufe hoch zu einem Holzfußboden. Davor waren ordentlich nebeneinander einige Paare weißer Hausschuhe in verschiedenen Größen angeordnet. Ich kannte diesen Brauch nur zu gut von meiner eigenen Schule, musste dort doch ebenfalls jeder Schüler im Eingangsbereich seine Schuhe abstellen und während man sich im Schulgebäude aufhielt spezielle Hausschuhe tragen. Dies bekamen die Kinder bereits im Kindergarten beigebracht. Widerwillig entledigte ich mich meiner Schuhe und nahm mir ein Paar der Hausschuhe. Missbilligend blickte ich auf das zu kleine Paar hinab. Es mochte für Besucher gedacht sein, hatte es doch die Erwachsenengröße, dennoch war es einige Nummern zu klein. Helles Kinderlachen riss mich aus den Gedanken. Ich richtete mich auf und beschloss, zunächst in dieser Richtung nach ihm zu suchen. Ließ den Vorraum hinter mir und schritt über den verlassenen Flur, vorbei an geschlossenen Türen. Durch einige Fenster fiel mattes Licht und erhellte den Flur nur spärlich. Dennoch konnte ich die Kinderbilder, die an den Wänden hingen, erkennen. Bunte Zeichnungen farbenfroher Fantasielandschaften ... Ich riss mich von diesem Anblick los, erinnerten sie mich doch ungewollt an Mokuba. Er hatte mir, als er noch klein war, unzählige Bilder gemalt. Alle waren sie mit der Zeit verloren gegangen. Alle, bis auf eines. Das Bild des weißen Drachen. Ich schüttelte den Kopf. Es bestand kein gerechtfertigter Grund, ausgerechnet jetzt daran zu denken. Das Kinderlachen erschien nun näher als vorher. Inmitten dieses Stimmengewirrs vernahm ich eine nur allzu bekannte „He, nicht so stürmisch. Wenn ihr so weitermacht, wird von mir morgen nichts mehr übrig sein.“ Katsuya. Wie nicht anders zu erwarten. Vor mir fiel helles Licht aus einem Raum mit offener Tür auf den Flur. Ich schob die Tür zur Gänze auf und trat ein. Den Anblick, welcher sich mir bot, würde ich mein Lebtag nicht vergessen. Katsuya, inmitten eines Haufens Kinder. Lachender Kinder. Und er selbst mit einem Strahlen im Gesicht, bei dem Übelkeit in mir aufstieg. Vielen Dank, Katsuya. Ein weiteres Albtraumbild. Ein Zupfen an meinem Hosenbein ließ mich meinen Blick nach unten richten. Ein kleiner Junge, kaum älter als vier, stand neben mir und blickte durch verfranste schwarze Ponysträhnen aus braunen Augen zu mir auf. Meine Augenbraue schwang in die Höhe, während ich ihn mit einem abschätzigen Blick bedachte, für wenige Augenblicke überlegend, ihn forsch darauf aufmerksam zu machen, meinen weißen Anzug nicht zu beschmutzen, doch dann beließ ich es dabei. Was brachte es denn auch? „Oji-san, bist du hier, um Aniki zu besuchen?“ Ich spürte meinen Mundwinkel kurzzeitig zucken, dann hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Oji-san? Onkel? Dieser kleine ... Winzling nannte mich Onkel? Wie alt sah ich seiner Meinung nach aus? Ich beschloss, nicht näher darauf einzugehen. Stattdessen zwang ich mich zu einer Erwiderung: „Aniki?“ Großer Bruder? „Jou-chan.“ Jou-chan?! „Katsuya?“ „Jou-chan!“ Sie nannten ihn Jou-chan? Jounouchi war schon eine Sache für sich, aber Jou-chan? Unfassbar. „Kaiba?“ Na herrlich, jetzt hatte Katsuya mich auch bemerkt. Danke kleiner Junge, für deine Bemühung. Ich wandte mich um und richtete meinen Blick auf Katsuya, der sich von der Kindermasse befreit und sich aufgerichtet hatte. Er sah mich mit einer Mischung aus Überraschung und Unglauben an. Was denn, sah ich etwa aus, wie ein Gespenst? „Kaiba, was machst du denn hier?“ Meine Augenbraue schwang erneut in die Höhe, während ich die Arme verschränkte. Katsuya war schon immer für sinnlose Fragen zu haben gewesen – so auch jetzt. „Ich war zufällig in der Gegend und dachte mir, da wir uns seit einer Woche nicht mehr gesehen haben, wäre dies doch eine gute Gelegenheit, sich wieder zu sehen.“ Er starrte mich an, als sei ich verrückt. Bitte, nahm er diese Worte jetzt tatsächlich ernst? So beschränkt konnte doch nicht einmal er sein. „Echt jetzt?“ Offenbar musste ich diese Ansicht noch einmal überdenken. Er war tatsächlich so beschränkt. Sogar mehr als das. Ich hob die Hand und massierte mir mit ihr meine linke Schläfe, da sie unangenehm zu stechen begonnen hatte. Katsuyas alleinige Präsenz bescherte mir Migräne. Ich hätte es vorher wissen müssen. Ich öffnete bereits meinen Mund, um ihn mit einem spöttischen Kommentar zu demonstrieren, wie naiv und vor allem dumm er in meinen Augen war, doch wurde ich von einer Kinderstimme unterbrochen. „Oji-san will Aniki besuchen! Oji-san ist ein Freund von Jou-chan!“ Meine Augenbraue begann gefährlich zu zucken, während ich dem Jungen, der noch immer an meinem Hosenbein hing, einen strafenden Blick zusandte. Was fiel diesem Kleinen ein, mich wiederholt Onkel zu nennen und mich – mich! – und Katsuya –den Köter! – durch das Wort Freund zu verbinden?! Ich duldete einiges, doch das ging zu weit. Ich verengte die Augen, meinen Blick dabei nicht von dem Jungen nehmend, der strahlend zu mir aufblickte, seine Hand dabei weiterhin in meine schneeweiße Anzughose klammernd. „Katsuya und ich sind keine -“ „Ja, da hast du recht, Daisuke. Das hier ist Kaiba und er ist gekommen, um mich zu besuchen“, fiel Katsuya mir voller Unhöflichkeit nun auch ins Wort. Wenige Momente drohten meine Züge zu entgleisen, doch ich schaffte es, mich zu beherrschen und fuhr stattdessen zu dem Urheber dieser dreisten Worte herum. Wenn Blicke jemals hätten töten können, so wäre dieser Idiot jetzt einige Köpfe kürzer. „Katsuya“, zischte ich leise und voller Eisigkeit. „Was fällt dir ein -?!“ Mit wenigen Schritten war er bei mir und legte eine Hand auf meine Schulter. Sein Blick ruhte auf den Kleinen, die ihn aus naiven Kinderaugen ansahen. Sie schienen ihn zu bewundern. Ganz falsch. Ihre Bewunderung wurde von Anfang an in die falsche Richtung gelenkt. Doch dies war zurzeit nicht mein Problem. Das lag auf meiner Schulter, schwer wie Blei. Katsuya beachtete mich nicht. Er richtete das Wort an die Kinder: „Er ist etwas schüchtern, darum benimmt er sich so. Aber ich bin sicher, ihr seid nett zu ihm, nicht wahr?“ „Ja!“, kam es einstimmig aus zwölf Kindermündern. Mir wurde schlichtweg übel vor Empörung. Schüchtern? Schüchtern?! Katsuya, dafür würdest du bezahlen! „Kaiba geht in meine Klasse und ist hier, um zu sehen, dass es mir bei euch auch gut geht.“ Katsuya, so hättest du es niemals formulieren dürfen! Ich war Klassensprecher, ich musste dich zwangsläufig ein einziges Mal besuchen, das war die Vorschrift, und ich hatte keine Lust, mich anstelle des Besuchs durch unzählige Formulare zu arbeiten. Dann stattete ich dir lieber für drei Minuten einen erzwungenen Besuch ab und ging anschließend sofort wieder. Aber ich ließ mich nicht als dein Freund und schon gar nicht (!) als schüchtern (!!!) bezeichnen! Es gab Grenzen, und diese waren mit deinen letzten Worten endgültig überschritten. Mich kümmerte es nicht, wie es dir ging! Muto mochte es kümmern, Mazaki oder anderen aus der Klasse aber mich nicht! „Spiel einfach mit“, raunte Katsuya mir unvermittelt aus den Mundwinkeln zu, mit einem flüchtigen Seitenblick auf mich. „Stell keine Fragen und widersprich nicht.“ Sollte ich mir nun auch noch von ihm den Mund verbieten lassen?! „Katsuya“, stieß ich durch zusammengebissene Zähne ebenso leise hervor. Warum ich mich auf diese Lautstärke hinab ließ schien eine Reaktion auf den unterbewussten Schock zu sein, den seine Dreistigkeit hervorgerufen hatte, andernfalls hätte ich mir nämlich voller Genuss die Genugtuung gegönnt, das Gegenteil von dem zu tun, was er von mir verlangte. Doch in dem Augenblick war jeglicher Gedanke in diese Richtung vergessen. „Bezeichne mich noch einmal als schüchtern, und ich werde –“ „Da seht ihr es“, fuhr er unbeirrt fort, nicht beachtend, dass er mir wiederholt ins Wort fiel. „Er mag es nicht, wenn ich ihn schüchtern nenne, aber ich schätze, bei euch wird dieses Geheimnis in guten Händen sein, hab ich nicht Recht?“ Er wagte es doch tatsächlich, den Kindern in einer beinahe schon verschwörerischen Geste zuzuzwinkern. Wo bitte war ich hier gelandet? Ich wollte mich von ihm losreißen, ihm unmissverständlich klar machen, dass er nichts weiter war, als ein minderbemittelter Köter, der mich gefälligst nicht anzufassen hatte, doch bevor ich dazu in der Lage war, schob er mich unbeschwert grinsend in Richtung Tür. „Kaiba und ich haben uns lange nicht mehr gesehen – wir werden uns ein wenige vor der Tür unterhalten. Ihr bleibt so lange hier und macht keinen Unsinn, ja?“ „Ja~a!“, lautete die einstimmige Antwort. Die Tür wurde hinter uns zugeschoben. Die Kinderstimmen drangen nun gedämpft durch das Holz zu uns durch, doch ich nahm sie nur am Rande wahr. Ich war zu Katsuya herumgewirbelt und starrte ihn kalt an. „Was fällt dir eigentlich ein?!“, fuhr ich ihn harsch an. „Pssst!“ Er hob die Hand und gestikulierte wild mit ihr vor meinem Gesicht hin und her. „Nicht so laut.“ Er seufzte und fuhr sich nun in einer fahrig wirkenden Geste durch die Haare. „Echt Kaiba, ich hab das nicht gesagt, um dich zu blamieren. Das sind Kinder.“ Er blickte mich vorwurfsvoll an. „Soll ich denen etwa unser schlechtes Verhältnis auf die Nase binden?“ Warum nicht? So sahen sie zumindest, dass das Leben nicht nur aus Freunden bestand. Sie bekamen gleich einen Einblick in die Realität. Mein Blick schien ihm in dieser Hinsicht Antwort genug zu sein. Er knurrte. „Ja sicher, dir würde es nichts ausmachen, warum auch? Kaiba, ich kenn die Kleinen jetzt seit einer Woche und ich hab keinen Bock, dass du sie durch dein Verhalten verschreckst oder sonst etwas. Du kannst in der Schule den Großkotz raushängen lassen, aber nicht vor den Kindern.“ Nicht doch, Katsuya der verantwortungsvolle, Rücksicht nehmende Vater? Mir wurde übel. „Du hast mich vor ihnen als schüchtern bezeichnet, Katsuya“, erinnerte ich ihn und meine Stimme war schärfer als ein Messer. „Erwarte also von mir keinerlei Kooperation.“ Das Grinsen auf seinem Gesicht, welches sich nun dort manifestierte und nicht verschwinden wollte, stellte meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe. „Was denn Kaiba, bist du jetzt etwa in deinem Ego angekratzt, weil die Kleinen dort drinnen“ – er deutete mit dem Daumen über seine Schulter auf die geschlossene Holztür – „dich für schüchtern halten?“ „Ich an deiner Stelle wäre vorsichtig“, meinte ich leise und mit drohender Stimme. „Jedes falsche Wort von dir könnte dich viele tausend Yen kosten. Ich habe hervorragende Anwälte.“ Doch diese Worte schienen wenig Eindruck zu erzielen. Er zuckte mit den Achseln. „Was willst du bei mir schon holen, Kaiba? Ich habe nicht viel, und das, was ich habe, wird dich kaum interessieren. Also kann es mir egal sein.“ Warum ließ er sich nicht reizen? „Stimmt Katsuya, was könnte ich von dir schon wollen? Du hast nichts. Nicht einmal deine Duel Monsters Karten sind interessant, geschweige denn etwas wert.“ Damit hatte ich ihn. „Was willst du damit sagen?“ Gewonnen. „Das du ein schlechtes und wertloses Deck besitzt.“ „Kaiba, du elender Großkotz, lass meine Karten aus dem Spiel!“ Nun wurde er laut. Die Stimmen in dem Raum hinter uns erstarben abrupt. Als er dies realisierte, schlug er sich die Hand auf den Mund. Seine Augen verengten sich, während meine Lippen ein spöttisches Lächeln umspielte. „Das hast du mit Absicht gemacht“, zischte er durch vorgehaltene Hand. „Du hast mich absichtlich provoziert!“ Glückwunsch Katsuya. Für diese Erkenntnis verdientest du dir beinahe einen Hundekuchen. „Jou-chan ist laut geworden!“, erklang eine Mädchenstimme hinter der Tür. Sie wurde aufgeschoben und mehrere Köpfe spähten zu uns auf den Flur. „Was ist mit dir, Jou-chan?“, fragte eines der Kinder. Mein Lächeln wurde noch eine Spur höhnischer. „Ja“, stimmte ich der Frage zu und blickte Katsuya gespielt überrascht an. „Was ist mit Jou-chan?“ Ich legte übertrieben viel Betonung in diesen Namen. „Warum ist er laut geworden?“ Nun waren es seine Blicke, die mich sicherlich getötet hätten, wenn sie dazu in der Lage gewesen wären. „Das bekommst du noch zurück“, formte er stumm mit den Lippen, bevor er sich den Kindern zuwandte. Er lächelte sie freundlich an. Ich war der einzige, dem auffiel, dass dieses Lächeln gefährlich bröckelte. „Es ist nichts. Kaiba hat mir nur etwas Tolles mitgeteilt, mehr nicht. Geht wieder rein und spielt weiter, es ist wirklich nichts Schlimmes.“ „Was hat Oji-san gesagt?“ „Jou-chan ist glücklich?“ „Was war toll?“ Da hatte Katsuya sich die richtigen Kinder angelacht. Neugierig, genau wie er selbst auch. „Er hat gesagt ...“ – er suchte fieberhaft nach Worten – „dass er ... noch länger bleiben möchte.“ Augenpaare von Kindern richteten sich auf mich. Meines richtete sich auf Katsuya. Wie. War. Das?! „Oji-san will bleiben?“ „Will er mit uns spielen?“ „Will er bei Jou-chan bleiben?“ Hatte ich richtig gehört? Besaß er tatsächlich die Frechheit eine derartige Lüge zu erzählen? Dieser tolldreiste Hund! „Ja, das wir er alles machen. Aber nur, wenn ihr jetzt wieder reingeht und weiterspielt, okay?“ Synchron wurde genickt und die Tür wieder zugeschoben. Lachen erklang von ihrer anderen Seite. Katsuya drehte sich zu mir um. Er lächelte mich gezwungen an. „Was hattest du gesagt, Kaiba?“ Oh nein, Katsuya. Nicht so. Nicht mit mir! „Ist dir während der letzten Minuten auch noch der letzte kümmerliche Rest deines Verstandes abhanden gekommen?!“ Meine Worte waren sorgfältig gewählt - wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich diesen Satz auch mit einigen weiteren schmückenden Ausdrücken versehen, doch ich bezweifelte, dass Katsuya sie verstehen würde. Wenn ich eines hasste, dann waren es Situationen, in denen über meinen Kopf hinweg etwas entschieden wurde. Nicht, dass dies oft geschah – wer wagte es schon, über meinen Kopf hinweg zu entscheiden (die Gesichte mit dem Klassensprecherposten wurde hierbei geflissentlich ignoriert) - doch noch viel weniger duldete ich es, wenn die Person, welche über meinen Kopf hinweg entschied, Katsuya war. Das ging eindeutig zu weit. „Um eines klar zu stellen: Du kannst du dir versichert sein, dass ich nicht länger bleiben werde – so weit kommt es noch! – und noch viel weniger werde ich mit einem dieser Kinder spielen! Ich habe eine Firma zu leiten, außerdem bist du schließlich hier, um dich um sie zu kümmern.“ „Kaiba, du klingst gerade so, als hättest du Angst vor kleinen Kindern. Liegt es vielleicht daran, weil sie nichts mit deiner Autorität anfangen können? Weil sie dich nach deinem Charakter beurteilen werden, weil sie nicht anders können? Angst, dass sie durch deine Fassade blicken?“ Was waren das für lächerliche Worte von ihm? „Fassade? Was willst du damit sagen?“ „Ach bitte, Kaiba, das weißt du ganz genau.“ Wollte er den Spieß jetzt umdrehen und mich vorführen? Nicht im Traum. „Ich habe keine Zeit, für derartige Kindereinen, außerdem bin ich nur hier, weil es meine Pflicht ist, dir mindestens einen Besuch abzustatten, während dieser zwei Wochen.“ „Nein, ich fühle mich geehrt. Der große Kaiba besucht mich an meinem Praktikumsplatz, um zu sehen, dass ich wohlauf bin.“ Seit wann verwendete Katsuya stilistische Mittel wie Ironie? Seit wann kannte er Sarkasmus? „So solltest du es gar nicht erst sehen. Es ist ein Zwangsbesuch, dessen Dauer ich weitaus effizienter mit Arbeit füllen könnte, die mir sicherlich Millionen einbringen würde.“ „Ja klar, deine Firma und der ganze Quatsch. Kaiba, das interessiert mich nicht.“ Warum interessierte es ihn nicht? Jeden interessierte es, wenn ich von Geld sprach. Und auch wenn sie es nicht zugeben wollten, ich wusste, dass es sie interessierte. Ihre Augen verrieten jeden. Nur Katsuyas nicht - seine Augen zeigten Desinteresse. Und es war nicht geheuchelt. Es hatte ihn gefälligst zu interessieren! „Wie dem auch sei“, ich verschränkte unbeteiligt die Arme und sah ihn abschätzig an. „Meine Pflicht ist erfüllt, ich habe hier nichts mehr zu erledigen.“ „Auch gut.“ Unsere Konversation fiel betont knapp aus. Soviel zu der erhofften Auseinandersetzung. Irgendwie war es bedauerlich, dass es zu keinem angemessenen Wortgefecht gekommen war. Ich hätte ihn nur allzu gerne bloßgestellt, und wenn es nur vor uns beiden gewesen wäre. Dann musste ich mich eben damit begnügen und es nachholen, wenn wir uns in der Schule wieder sahen. Auch gut. Ich wandte mich ab. „Viel Vergnügen noch, Katsuya“, meinte ich abfällig, ohne ihn noch einmal anzusehen. „Spar dir das, Kaiba“, gab er bissig zurück und ich hörte, wie er die Tür aufschob. Während ich den Flur Richtung Ausgang entlang schritt hörte ich hinter mir die Stimmen der Kinder und Katsuyas geduldige Erwiderungen. „Wo ist Oji-san?“ „Kaiba musste schon gehen.“ „Aber Jou-chan, du hast gesagt, er wird mit uns spielen.“ „Er hat viel Arbeit zu erledigen, darum kann er leider doch nicht bleiben. Aber ich spiele mit euch.“ „Spielt Jou-chan mit uns Pferdchen?“ Ich verharrte mitten im Schritt. Meine Aufmerksamkeit war auf das Gespräch in meinem Rücken gerichtet. „Pferdchen? Ihr bekommt auch nie genug davon, kann das sein?“ „Jou-chan Pferdchen!“ „Aber nicht wieder alle auf einmal.“ Katsuya als Pferdchen? Ich musste gestehen, es reizte mich, ihn in dieser Situation zu sehen. Es reizte mich sogar ungemein. Je unangenehmer es ihm wäre, dabei gesehen zu werden, desto mehr Vergnügen würde es mir bereiten. Ich warf einen Blick auf meine Uhr. In einer Stunde hatte ich ein Meeting. Bis dahin würde man mich nicht vermissen. Ich hatte mir bis zu diesem Termin frei genommen, um meine Mitschüler zu besuchen. Noch hatte ich Zeit ... Ich machte auf dem Absatz kehrt. Hier bot sich mir die einmalige Möglichkeit, Katsuya dabei zu beobachten, wie er ein Pferdchen mimen musste und offen gestanden wollte ich mir diesen Anblick nur ungern entgehen lassen. Mit schnellen Schritten näherte ich mich der Tür. „Ich sagte doch, nicht alle auf einmal.“ „Ich will zuerst!“ „Du warst schon, ich will auch!“ „He, ihr kommt doch alle dran, nicht streiten.“ Wieder stand die Schiebetür einen Spalt breit offen. Ich hob die Hand, um sie aufzuschieben, hielt jedoch inne, als ich die nächsten Worte vernahm. „Ist Oji-san ein guter Freund von Jou-chan?“ „Kaiba?“ „Jou-chan hat gesagt, er ist ein Freund von ihm.“ „Ja, das habe ich. Ich würde uns nicht wirklich als gute Freund bezeichnen ...“ Ich unterdrückte ein abfälliges Schnauben. Nicht wirklich? Wie durfte ich das jetzt verstehen? Nur weil Katsuya nicht den Mumm hatte, den Kindern zu sagen, dass wir uns hassten ... „Eigentlich ist Kaiba gar kein wirklich netter Mensch.“ „Aber er ist Jou-chans Freund. Und Jou-chan ist lieb.“ „Ja, Jou-chan ist ganz lieb.“ Ja sicher, Katsuya war ganz lieb. Und auch noch stubenrein. Wie ich diese Kindersprache doch liebte. Zum Glück war Mokuba längst aus diesem Alter heraus. Es wäre nicht zum Aushalten ... „Kaiba ist immer unfreundlich zu anderen, tut immer so als wäre er etwas Besseres und sieht uns als unwürdig an, von ihm angesehen zu werden.“ „Oji-san ist nicht lieb?“ „Nein. Er ist nicht lieb.“ Was denn Katsuya, mehr hattest du nicht zu bieten? Ich war nicht lieb? Jetzt hattest du mich tief getroffen. Ich war regelrecht bestürzt. Einfallsloser Idiot. „Er ist ein gemeiner Typ, der nur auf den eigenen Profit aus ist, und dafür andere beleidigt.“ „Aber er hat Jou-chan besucht.“ „Na ja, eigentlich auch nur, weil er es musste.“ Katsuya rückte tatsächlich allmählich mit der Wahrheit heraus. Warum belog er die Kinder erst, wenn er es ohnehin nicht lange schaffte? Das war so typisch. „Jou-chan soll jetzt mein Pferdchen sein.“ „Nein, meins!“ „Ich sagte doch, ihr kommt alle dran.“ Ich löste mich aus meiner Starre und schob die Tür zur Gänze auf. Mir offenbarte sich ein Bild, welches irreal und bizarr zugleich wirkte, mich dennoch unweigerlich zum Schlucken brachte. Katsuya kniete auf dem Boden, um ihn herum eine Schar aufgeregter Kinder, auf seinem Rücken der Junge, der mir vor wenigen Minuten noch am Hosenbein hing. Das, was diese Situation jedoch am bizarrsten erschienen ließ, war die Tatsache, dass Katsuya mir den Rücken zugewandt hatte – um es zu präzisieren: er präsentierte mir seine Kehrseite. Sie wäre mir niemals derart aufgefallen, wäre ich nicht in diese Situation geraten, in der er sie mir am Boden kniend unbewusst darbot, dennoch ließ es sich nicht vermeiden, festzustellen, dass er viel zu enge Hosen trug. Zu einem weiteren rationalen Gedanken war ich in jenem Moment nicht in der Lage. Jounouchi Katsuya, das Pferdchen mit der zu eng geschnittenen Hose. Ich schüttelte den Kopf, gleichzeitig sagte ich mich bestimmt von diesem Gedanken los. Es war nicht richtig, derartiges zu denken. Es war nicht einmal richtig, derartiges zu sehen. „Jou-chan, jetzt bin ich dran!“ „Nein ich!“ Doch Katsuya schien die Streitereien der Kinder nicht wahrzunehmen. Sein untypisches Verhalten regte mein Interesse. Ich lehnte mich an den Rahmen der Schiebetür und verschränkte die Arme, meinen Blick dabei nicht von Katsuya nehmend. „Es ist egal, wie ihr werdet, nur bitte nicht so wie Kaiba“, drangen seine Worte durch das Gewirr der Kinderstimmen. Ich bezweifelte, dass ihm abgesehen von mir überhaupt jemand zuhörte. Die Kleinen waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich darum zu streiten, wessen Pferdchen Katsuya als nächstes sein sollte. Diese Situation war mehr als nur irreal. „Das hieße, ihr würdet nichts tun, abgesehen von arbeiten.“ Noch immer redete er mehr zu sich, denn zu jemand anderem. Er hatte den Kopf gesenkt, sein Blick schien auf den Holzfußboden des Raumes gerichtet zu sein. „Oder andere runtermachen.“ Was war daran bitte schlimm? „Oder Menschen wie mich beleidigen.“ Na und? „Und ihr würdet nie etwas wirklich Schönes empfinden.“ Hm, interessant. Warum gefiel es mir dann, Katsuya so zu sehen? Warum hatte ich dann geradezu – auch wenn es seltsam klang – Vergnügen daran, ihn in einer derartigen Situation zu sehen? Kniend, wie ein Hund vor seinem Meister – so, wie ich es immer von ihm verlangt hatte. Es war – zugegeben – reizend. „Und was, wenn doch, Katsuya?“ Seine Antwort interessierte mich. Darum hatte ich diese Frage laut gestellt. Die Kinder verstummten schlagartig, Katsuyas Kopf schnellte zu mir herum. Seine braunen Augen weiteten sich. „Kaiba!“, stieß er atemlos hervor. Es erfüllte mich mit Genugtuung, dass mein Anblick ihn derart außer Fassung brachte. Er konnte von Glück reden, dass mittlerweile keines der Kinder mehr auf seinem Rücken saß, denn er sprang ungeachtet dieser Tatsache auf und stolperte einige Schritte zurück. „Was ... was machst du denn noch hier? Ich dachte, du hast Termine!“ Ich lächelte ihn herablassend an. „Diese Termine können warten. Ich habe beschlossen, dass es weitaus interessanter ist, deinen Aufgabenbereich näher zu betrachten. Die kurze Demonstration hat mein Interesse geweckt.“ Mein Lächeln wurde eine Spur genügsamer, als ich registrierte, wie ihm angesichts meiner Worte die Röte in die Wangen schoss. Was denn Katsuya, war dir das etwa peinlich? „Ich ... du kannst nicht - das geht nicht!“ Meine Augenbraue schwang in die Höhe. Ich genoss es zunehmend, die Kontrolle über diese Situation zu haben „Katsuya, ich kann sehr wohl. Ich bin der Klassensprecher und habe die Freiheit, zu entscheiden, wie lange ich bei jedem Mitschüler bleiben kann. Du kannst dagegen rein gar nichts tun.“ „Aber -“ „Du solltest dich davon besser nicht aus dem Konzept bringen lassen, Katsuya.“ Die Blicke der Kinder wanderten zwischen ihm und mir hin und her. Schließlich wagte der Hosenklammer-Junge den ersten Schritt. „Wird Oji-san mit uns spielen?“ Ich richtete meinen Blick auf ihn. Mein Lächeln schwand. „Nein, Oji-san wird nicht mit euch spielen.“ Meine Augen fixierten Katsuya. „Aber er wird zusehen, wie Jou-chan mit euch spielt.“ „Das geht nicht, Kaiba!“ Ich neigte leicht den Kopf. Katsuya sollte endlich einsehen, dass er gegen mich nicht ankam. „Und warum nicht?“ Meine Stimme klang mehr als gelangweilt. „Weil ... weil ... wir wollten gerade nach draußen gehen und ich bezweifle, dass du mit möchtest.“ Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Ein besseres Argument hatte Katsuya mir nicht zu bieten? Zum Glück würde jemand wie er niemals in die Politik gehen. „Ich muss dich enttäuschen Katsuya, so leicht wirst du mich nicht los.“ Er ließ den Kopf hängen. Ich hatte ihn besiegt. „Warum habe ich nichts anderes von dir erwartet, Kaiba?“ „Das muss dein Hundeinstinkt gewesen sein.“ *~* „Wie bist du ausgerechnet auf einen Kindergarten gekommen?“ Eine Frage, die mich schon seit längerem auf penetrante Art und Weise beschäftigte. Katsuya mochte sich selbst ebenfalls wie ein Kind benehmen, dennoch war es zu bezweifeln, dass er es nur aus diesem Grund getan hatte – zumal er sein kindisches Benehmen jedes Mal auch voller Überzeugung abstritt. Er warf mir über den Kragen seiner billigen Jeansjacke einen flüchtigen Seitenblick zu, bevor seine Augen sich wieder auf die spielenden Kinder, einige Meter vor ihm im Sand, richteten. „Ich mag Kinder.“ Niemand, abgesehen von Katsuya, schaffte es auf eine einfache Frage, mit einer unlogischen und vor allem grammatikalisch vollkommen unpassenden Aussage zu antworten. Es war jedes Mal wieder erstaunlich. Ich bestand nicht einmal mehr darauf, dass er den Satz mit einem sinnvollen Zusammenhang wiederholte. Bei ihm war es ohnehin zwecklos. Stattdessen richtete ich meinen Blick ebenfalls auf die spielenden Kinder. Wir saßen abseits von dem Sandkasten auf einer einfachen Holzbank. Natürlich hatte ich auf ein Kissen bestanden – ich würde meinen weißen Anzug niemals ohne weiteres von einer dreckigen Holzbank beschmutzen lassen. Nach fünf Minuten des beharrlichen Anstarrens hatte Katsuya frustriert klein bei gegeben und mir eines der Kissen überlassen. Man schlug einem Kaiba niemals einen Wunsch aus – das musste auch er früher oder später akzeptieren. Obwohl dies bei Katsuya ebenfalls zu bezweifeln war. Schweigend sahen wir den zwölf Kindern beim Spielen zu. Unweigerlich kamen bei dem Anblick des Sandkastens Bilder von Mokuba in mir hoch. Kleiner als heute, jünger und unschuldiger. Vor ihm eine Sandburg, die wir gemeinsam gebaut hatten. Voller Stolz hatte er mich damals angesehen, ein Strahlen im Gesicht, wie ich es seither nie wieder bei ihm gesehen hatte ... „Ein Königreich für deine Gedanken, Kaiba.“ Katsuyas Worte brachten mich in die Realität zurück. Ich warf ihm aus den Augenwinkeln einen zweifelnden Blick zu. „Was?“ „Nichts. Nur, dass du gerade ausgesehen hast, als hättest du etwas sehr Saures gegessen.“ Ich sollte mehr auf meine Mimik achten, sonst konnte Katsuya bald in mir lesen, wie in einem offenen Buch. „Es war nichts.“ „Das nehme ich dir heute nicht ab, Kaiba. Du bist echt seltsam, Mann. Kommst hierhin, markierst wieder den Mistkerl – was noch vollkommen normal für deine Verhältnisse ist – dann willst du nichts lieber als verschwinden, tust dies auch, tauchst aber kurze Zeit später wieder auf und lässt dich von da an nicht mehr abwimmeln. Echt mal“ – nun sah er mich direkt an und aus seinen Augen sprach Unverständnis – „wie verquer muss man sein? Sonst bist du doch auch nicht so verworren.“ „Ich habe nie behauptet, ich sei leicht zu verstehen“, entgegnete ich. „Obwohl bei dir alles, was intelligenter als ein Hund ist, schwer nachzuvollziehen ist.“ „Du kannst mich mal, Kaiba.“ „Träum weiter, Katsuya.“ „Hast du nichts zu tun?“ „Wie oft willst du mich das noch fragen?“ „Bis du verschwindest.“ „Wo sind eigentlich die anderen Betreuer? Du kannst doch hier unmöglich ohne Aufsichtsperson sein.“ „Krank.“ „Könntest du zur Abwechslung auch in ganzen Sätzen sprechen?“ „Für dich nicht.“ „Sie sind also krank. Und man hat dir die Verantwortung für alle Kinder überlassen? Wie nachlässig sind die Leute hier eigentlich?“ „Was willst du damit sagen?“ „Das es absolut verantwortungslos ist, dich mit zwölf Kindern alleine zu lassen. Eines alleine wäre schon zuviel.“ „Ach ja? Woher willst du das beurteilen können?! Ich kann sehr gut mit Kindern umgehen.“ Auch wenn dies offenbar zutraf – er hatte es mir immerhin mehrfach demonstriert, auch als es kürzlich darum ging, den Kindern die Jacken anzuziehen – wollte ich es ihm gegenüber nicht zugeben. „Wahrscheinlich haben sie bloß Mitleid mit dir.“ „Nur weil du es geschafft hast, Mokuba groß zu ziehen, musst du dich nicht über andere stellen! Ich hätte Shizuka auch ohne meine Mutter aufziehen können, ganz alleine, wenn es hätte sein müssen.“ Ich verengte die Augen. „Lass Mokuba aus dem Spiel.“ „Dann hör auf, an meinen Fähigkeiten zu zweifeln, Kaiba!“ „Welche Fähigkeiten?“ Sein Kopf fuhr zu mir herum. Zornig sah er mich an. „Da, du tust es schon wieder! Merkst du eigentlich nicht, was für ein Mistkerl du bist? Immer musst du andere fertig machen, sie mit ihren Schwächen konfrontieren, aber an dir selbst siehst du keinen Makel. Das kotzt mich an, Kaiba.“ „Kein Grund, ausfallen zu werden, Katsuya.“ Welches Schwächen? „Kannst ja gehen, wenn es dir nicht passt.“ Ich hatte keine Schwächen. Ich lächelte spöttisch. „Das hättest du gerne.“ „Ja.“ Wenigstens war er ehrlich. Wir schwiegen uns an. Die Kinder spielten weiter, unbeachtet unserer Streitigkeiten. Ich folgte dem Geschehen vor mir. Nachdenklich ruhte mein Blick auf den Kindern. Schließlich verging mir die Lust daran. „Katsuya, du bist unbegreiflich.“ Eine Tatsache - dennoch wurde sie mir in diesem Moment wieder mehr als nur bewusst. Er sah mich irritiert an. „Wie meinst du das jetzt wieder?“ Mit diesem Blick war es kein Wunder, dass ich ihn Köter nannte. Er sah aus, wie ein verpeilter Hund, dem man seines Knochens beraubt hatte. Lächerlich. „Dein Interesse an Kindern. Ich kann ihnen nichts abgewinnen.“ Nun erschien auf seinem Gesicht echtes Verblüffen. „Ist das dein Ernst?!“ Was hatte er denn? „Ja.“ „Aber du warst doch selbst einmal ein Kind! Mokuba ist ein Kind.“ Nicht mehr ganz. Er war eigentlich schon eher ein Jugendlicher. Doch das tat hier nichts zur Sache. Ich ging generell nie auf Argumente ein, die den Namen Mokuba beinhalteten. „Kinder sind laut, nervig und dumm. Interessieren sie dich, weil sie so sind wie du?“ „Danke, Mistkerl.“ „Keine Ursache.“ „Echt mal Kaiba, du bist wirklich oberflächlicher, als ich gedacht habe.“ Oberflächlich? Ich war nicht oberflächlich. Ich begründete meine Ansicht auf Tatsachen und Fakten. „Kinder mögen manchmal laut sein, vielleicht auch ab und an etwas nervig, aber sie sind mir lieber als Erwachsene.“ Meine Augenbraue schwang in die Höhe. „Und warum? Weil sie auf deinem Niveau sind?“ „Hör doch endlich mal auf, ständig eine Beleidigung in jeden Satz mit ein zu bringen.“ „Das hast du bemerkt?“ „Ich bin nicht dumm.“ „...“ „Verkneif dir jeden weiteren Kommentar dazu, Kaiba! Ich mag Kinder, weil sie im Gegensatz zu Erwachsenen ehrlich sind.“ Ich sah ihn beinahe fassungslos an. Für wenige Momente entglitt mir die Kontrolle über mein Gesicht. „Äh ... Kaiba?“ Hatte ich ihn richtig verstanden? Kinder waren ihm lieber, weil sie ehrlich waren? „Ist das dein Ernst?“, fragte ich ihn schließlich, nachdem ich mich wieder im Griff hatte. Wenn ich so weitermachte, konnte ich auch gleich gehen, das war ja nicht zum Aushalten. „Ja, wieso?“ „Alles nur, weil Kinder deiner Meinung nach ehrlicher sind?“ „Ja und?“ Ich schüttelte den Kopf. Sollte ihn einer wirklich verstehen. Seinen Gedankengängen zu folgen, bedeutete, sich auf die primitive Stufe eines Hundes hinab zu begeben. „Nichts weiter. Ich bin nur der Ansicht, dass Kinder genauso viel lügen, wie Erwachsene.“ „Nicht ganz.“ Nun weckte er allmählich mein Interesse. Was brachte ihn dazu, derart überzeugt von seiner Meinung zu sein? „Kinder lügen manchmal, aber sie sind um einiges ehrlicher, als Erwachsene. Ich schätze, das liegt daran, dass sie den Ernst des Lebens noch nicht kennen und noch unbeschwert durch Leben gehen. Darum sehen sie oft keinen Sinn im Lügen, wo Erwachsene nichts anderes täten, weil sie auf ihren eigenen Profit aus sind. Das solltest du doch kennen, Kaiba.“ Er betrachtete mich mit einem viel sagenden Blick. Ich verzog kaum merklich den Mund. „Nur so vieles, Katsuya: Das Geschäftsleben ist zwar hart, aber ich lüge nicht.“ „Aha. Jedenfalls lügen die meisten Menschen. Ob du auch zu ihnen gehörst ...“ Er zögerte. Und dieses Zögern war es, was mich traf. Katsuya hielt mich für einen Lügner? Auch wenn er den Satz unvollendet ließ, so bemerkte ich doch die Zweifel, die ihm ins Gesicht geschrieben standen. Er hielt mich tatsächlich für einen Lügner? „Baut Jou-chan mit uns eine Sandburg?“ Ohne Vorwarnung stand der kleine Junge von vorhin auf einmal vor uns. Er blickte Katsuya aus seinen braunen Augen flehend an. Die Augenfarbe der beiden war beinahe dieselbe ... Katsuya, offenbar dankbar für diese Unterbrechung, nickte und erhob sich. „Aber klar doch, Daisuke.“ Er folgte dem Jungen, welcher jedoch noch einmal stehen blieb und nun mich anblickte. „Will Oji-san mitbauen?“ Warum redeten diese Kinder dauerhaft in der dritten Person? War das normal? Mokuba hatte nie so gesprochen ... ‚Nii-san, baust du mit mir eine Sandburg?’ Warum fragte er mich überhaupt? Und warum blieb Katsuya stehen und sah mich so seltsam an? ‚Klar, Mokuba!’ „Nein.“ ‚Wie groß soll sie denn werden?’ „Warum mag Oji-san nicht?“ ‚Sooooo groß!’ ‚Aber Mokuba, so eine große Sandburg kann man doch nicht bauen ...’ ‚Lass es und probieren Nii-san!’ Ich sah ihn emotionslos an. „Oji-san hat keine Lust.“ Und Katsuya wandte sich wortlos ab. Was hatte er auch anderes erwartet? *~* „Willst du etwas trinken? Einen Kaffee?“ Seit wann war er so zuvorkommend? „Nein, ich halte nicht viel von Instant Kaffee.“ „Da will man einmal freundlich sein“, knurrte er und warf seine Jacke über einen Stuhl. Die Kinder verteilten sich im Raum, spielten mit Bauklötzen oder malten. „Spar dir die Bemühungen.“ Schnaubend ließ er sich auf einen der Stühle fallen, die neben der Tür standen. „Warum hat man bei dir nur das Gefühl, alles was man tut sei falsch?“ „Minderwertigkeitskomplexe?“ „Und wer ist daran schuld?“ „Ich weiß nicht. Dein mangelndes Selbstwertgefühl? Oh ich vergaß, diese Worte liegen außerhalb deines Vokabulars.“ „Wären jetzt keine Kinder anwesend, dürftest du dir einen guten Gesichtschirurgen suchen.“ Ich verschränkte die Arme und sah von oben auf ihn hinab, da ich es nicht für nötig hielt, mich zu setzen. Ich musste ohnehin gleich gehen. Es hatte sich nicht wirklich gelohnt, zu bleiben. Das Pferdchen Jou-chan war der Höhepunkt dieses Nachmittags gewesen. Alles weitere war schlichtweg Zeitverschwendung gewesen. Alles, was dieser Besuch gebracht hatte waren Erinnerungen, die ich vergessen geglaubt hatte. Nun waren sie wieder da und mit ihnen das nicht verschwinden wollende beklemmende Gefühl. Minutenlang schwiegen wir, den Blick beharrlich in verschiedene Richtungen gelenkt. Sein seltsames Verhalten bescherte mir Kopfschmerzen. Was war auf einmal mit Katsuya los? Warum interessierte es mich überhaupt? Als mir das Schweigen regelrecht zu bunt wurde, beschloss ich, dass es nun endgültig Zeit war, zu gehen. Dieser Nachmittag war ein absolutes Fiasko gewesen. Nichts hatte er mir gebracht, abgesehen von Kopfschmerzen, einem bockigen Katsuya, den Ausblick auf seinen Hintern und Erinnerungen, die ich besser in der hintersten Ecke meines Bewusstseins hätte lassen sollen. Ich blickte auf die Uhr. „Sieht so aus, als wärst du fürs erste erlöst, Katsuya.“ Er hob den Blick und sah mich durch die Fransen seines Ponys fragend an. Wieder erweckte er den Eindruck eines verirrten Hundes. Jämmerlich. „Hm?“ Ich sah ihn ausdruckslos an. „Ich muss jetzt fahren, du bist mich also los.“ „Aha.“ Offenbar fiel ihm nicht mehr auf meine Worte ein. „Du musst dich nicht gleich vor Enthusiasmus überschlagen“, gab ich trocken zu bemerken, nachdem er bewegungslos sitzen blieb. Ich kehrte ihm den Rücken zu. „Den Ausgang finde ich alleine, danke der Nachfrage“, meinte ich noch mit deutlicher Ironie in der Stimme, nachdem er noch immer keine Anstalten machte, sich zu rühren. „Man sieht sich in der Schule, Köter.“ Reagierte er wenigstens auf diese Beleidigung? Das tat er sonst auch immer. „Nenn mich nicht Köter!“ Na immerhin etwas. Ich warf ihm über die Schulter einen abschätzigen Blick zu. „Was immer du meinst, Pferdchen.“ Dann verließ ich den Raum, schob die Tür hinter mir zu und trat zum wiederholten Mal an diesem Tag den Weg zum Ausgang an. Mein Kopf schmerzte noch immer und ich fluchte innerlich, weil ich kein Aspirin mitgenommen hatte. Bei einem Besuch bei Katsuya waren Kopfschmerztabletten Pflicht. Im Gehen hob ich die Hand und massierte mir die Schläfen. Nichts als verschwendete Zeit. Diesen Nachmittag hätte ich durchaus effizienter verbringen können, genau, wie ich es Katsuya vorhin ebenfalls gesagt hatte. Aber nein, ich musste mich ja dem albernen Glauben hingeben, etwas Interessantes mit zu bekommen, wenn ich länger bei Katsuya blieb. Wie weit sollte es noch kommen? Ich folgte dem dunklen Flur, der letzten Biegung und sah den Ausgang vor mir. Ich unterdrückte ein frustriertes Seufzen. Zeitverschwendung, nichts weiter ... Schnelle Schritte, die sich mir eindeutig näherten, ließen mich stutzen. Ich blieb stehen und drehte mich um. Katsuya erschien in meinem Sichtfeld. Was war los? Hatte ich etwas vergessen? Unmöglich, ich hatte nichts bei mir gehabt, was ich hätte vergessen, geschweige denn verlieren können. Wollte er seine Worte wahr machen und mir einen Grund geben, einen Gesichtschirurgen aufsuchen zu müssen? Dazu besäße er doch niemals den nötigen Mut. „Kaiba.“ Er blieb vor mir stehen. Abwartend sah ich auf ihn hinab. Diese Situation war irreal. Mein Blick, welcher suchend über ihn gewandert war, fand einen Punkt, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog und fiel auf ein Stück Papier, welches Katsuya in der rechten Hand hielt. Ihm schien diese Regung nicht entgangen zu sein, denn er hob die Hand und hielt mir das Blatt entgegen. „Das hier ... Daisuke hat es eben gemalt und wollte es dir schenken.“ Ich sah das Bild nicht an, stattdessen ruhte mein Blick nun auf Katsuya, welcher mir auswich und stattdessen die Wand neben sich betrachtete. Warum wurde ich das Gefühl nicht los, dass dies nicht alles war? Er verhielt sich die ganze Zeit über schon seltsam. „Nun nimm es schon“ Er untermalte seine Worte mit einer auffordernden Handbewegung und wirkte in meinen Augen zunehmend ungeduldig. „Und wenn du es zerreißt – so wie ich dich einschätze – dann mach es nicht hier sondern besitz wenigstens den Anstand, es bei dir zu tun.“ Wortlos nahm ich das Bild entgegen. Argwöhnisch betrachtete ich es. Ich schluckte schwer. Was zum -?! „Sieh mich nicht so an, Kaiba, ich kann nichts dafür, dass er so etwas malt.“ Das Bild trug die eindeutige Handschrift eines Vierjährigen. Schemenhaft ließen sich inmitten eines Bunten Hintergrunds die krakeligen Konturen zweier Personen erkennen. Eine mit gelben Linien auf dem Kopf, die andere mit braunen. Eindeutig die Haare. Katsuya und ich. Hände haltend. Das Bild war der Fantasie eines Kindes entstanden, dennoch erschütterte es mich genauso, wie es ein hoch auflösendes Foto getan hätte. Katsuya und ich. Hände haltend. Diese Worte nahmen meinen Verstand ein. Es war so paradox, so irreal und dennoch hatte er es gemalt. Mein Kopf ruckte hoch und ich fixierte Katsuya. „Ich nehme an, du hast ihm gesagt, dass wir uns hassen, nachdem er dir dieses Bild gegeben hat.“ In diesen Worten lag eine eindeutige Drohung. Er erwiderte meinen Blick herausfordernd. „Nein, das habe ich nicht.“ Meine Hand verkrampfte sich zitternd um das Bild, zerknitterte es an einigen Stellen. „Und warum nicht?!“ „Tze, das verstehst du nicht.“ „Dann erklär es mir!“ Mir war egal, wie absurd unsere derzeitige Konversation erschienen mochte, wie gereizt ich auf Katsuya reagierte, ich verlangte eine Antwort. Warum hatte er nicht unmissverständlich klar gestellt, dass wir uns nicht ausstehen konnten?! „Verdammt, akzeptier es doch einfach, Kaiba!“, fuhr er mich wutentbrannt an. Ich stockte. Seine Augen funkelten dunkler als sonst, sein Mund war vor Ärger verzogen und sein Körper angespannt. „Akzeptier zur Abwechslung mal, dass du nicht immer eine Antwort auf alles bekommst, dass nicht immer alles nach deinem Willen geht.“ Ich ließ die Hand sinken. Meine Augen verengten sich und meine Augenbrauen zogen sich zusammen, während sich die Erkenntnis wie eine Flut in mir ausbreitete. Dieser Idiot von einem Hund! „Du weiß selbst nicht, warum.“ Er erstarrte. Ertappt senkte er den Blick, starrte auf den Holzboden des Flurs. Wie ein kleiner Junge. „Du weißt nicht, warum du es ihm nicht gesagt hast und bist zu feige, um es zuzugeben. Du ziehst lieber den Schwanz ein, wie ein erbärmlicher Köter.“ Sein Kopf schnellte hoch, er starrte mich erbost an. „Das ist nicht wahr! Ich bin nicht feige! Was hätte ich dir denn deiner Meinung nach sagen sollen? ‚Sorry Kaiba, aber ich hab selbst keinen Plan, warum ich dem Kleinen nicht vor den Kopf gestoßen habe, indem ich ihm rücksichtslos sage, dass wir uns hassen!’ Erwartest du so was? Bitte, da hast du es!“ Ich schüttelte den Kopf. Er hatte nicht begriffen. „Katsuya, warum bist du hier?“ „Weil ich dir das Bild geben wollte.“ Ich verzog den Mund. Meine Geduld neigte sich dem Ende zu, mein Tonfall wurde schärfer. „Das meine ich nicht. Warum bist du hier?!“ „Was weiß ich? Weil ich ein lebensmüder, naiver Volldepp bin!!“ „Verdammt Katsuya“, brach es aus mir heraus. Mein Geduldsfaden war gerissen. „Warum bist du jetzt hier?!“ „Weil ich so dumm war, anzunehmen, dass da vielleicht etwas Menschliches in dir ist, du Mistkerl!“ Seine Worte schienen seinen Mund zu verlassen, bevor er es verhindern konnte. Als er sich ihrer bewusst wurde schlug er sich die Hand vor den Mund und starrte mich entgeistert an. Ich schwieg. Ich wusste, dass diese Worte mich hätten schocken müssen, doch das taten sie nicht. Es war, als ergäbe alles auf einmal einen Sinn. Seine Blicke, seine Stimmungswechsel zwischen angriffslustig und defensiv, seine Worte - einfach alles. Dieser armselige Idiot. Er war wirklich pathetisch. Ich ließ die Hand mit dem Bild sinken und sah ihn herablassend an. „Und was erwartest du jetzt von mir, Katsuya? Du solltest dir vorher überlegen, was du mit deinem Handeln bezwecken willst. Du suchst Menschlichkeit? Ich atme, reicht dir das nicht?“ „Ach sei doch still! Wer von uns weiß denn nicht, was er will? Du tauchst hier auf, stiftest Verwirrung an, willst wieder gehen und kommst dann doch grundlos zurück. Was bezweckst du damit, Kaiba?“ „Meine Ambitionen haben dich nicht zu interessieren, Katsuya.“ „Wenn sie mich beinhalten schon“, war die sofortige Erwiderung. „Sie beinhalten dich aber nicht.“ „Das glaube ich dir nicht.“ „Denkst du, das interessiert mich, Köter?“ Warum war ich nicht einfach gegangen? Warum hatte ich ihn fragen müssen? „Ja, genau das denke ich!“ Überrumpelt schwieg ich. Konnte es tatsächlich sein ... „Es interessiert dich doch, sonst wärst du kaum wieder gekommen. Wenn es dich nicht interessieren würdest, wärst du eben nicht stehen geblieben, du hättest mir heute nicht all die Fragen gestellt. Gib es zu Kaiba, es interessiert dich, nur dieses Mal bist du zu feige, es zuzugeben!“ Was fiel ihm ein, mich als feige zu bezeichnen? Ein Kaiba war niemals feige! „Was weißt du denn schon, Katsuya?“ In meiner Stimme lag all die Verachtung, die ich für ihn empfand. Warum drehte er den Spieß um, warum tat er das?! „Halt die Klappe Kaiba.“ Ich widerstand dem Drang ihm für diese Dreistigkeit eine zu verpassen. Ich bebte vor Zorn, war nicht gewillt, mir von ihm den Mund verbieten zu lassen. Zum ersten Mal schaffte er es, meine Selbstbeherrschung so gut wie nieder zu reißen. „Gut.“ Ich hatte keinen Nerv dazu, ihn noch länger anzusehen. Mit diesem einen letzten Wort wandte ich mich um. Ich würde gehen und ihn keines weiteren Blickes mehr beachten. Morgen früh würde in seinem Briefkasten ein Klageschreiben wegen Belästigung liegen und alles wäre wieder im Gleichgewicht. Ein fester Griff um meine Schulter hinderte mich jedoch am Gehen. Grob wurde ich zu ihm herumgerissen. Ein Paar wütend funkelnder brauner Augen sah mich durchdringend an. „Ich lass dich jetzt nicht weglaufen, Kaiba.“ Bevor ich auch nur zu einer Erwiderung imstande war - bevor ich ihm deutlich zu verstehen geben konnte, dass ein Kaiba niemals weglief - presste er seine Lippen rücksichtslos auf meine. Durch diese Handlung zur Gänze überrumpelt, war ich nicht einmal in der Lage, daran zu denken, ihn von mir zu stoßen. Ich starrte ihn aus fassungslos geweiteten Augen an, begegnete einem herausfordernden Blick aus dunkelbraunen Augen, welcher mir unmissverständlich zu verstehen gab, dass es keinen Sinn machte, jetzt gehen zu wollen. Seine Hand krallte sich grob in meinen Nacken, seine Lippen bewegten sich fordernd gegen meine. Ich konnte nicht reagieren. Viel zu sehr, war mein Verstand damit beschäftigt, zu begreifen, was Katsuya dort gerade tat. Dann war es vorbei und wir starrten uns atemlos an. Noch immer lag seine Hand in meinem Nacken, während ich ihn weiterhin wortlos ansah. Sekunden verstrichen, während derer mein Verstand unentwegt arbeitete, die Synapsen die Information weiterleiteten, bis sich schließlich die nicht zu leugnende Erkenntnis einstellte. Katsuya hatte mich geküsst. Zwischenmenschliche Kontakte waren für mich seit jeher etwas für die primitive Bevölkerungsschicht gewesen. Ich kannte mich aus, ich brauchte mich nicht mehr darüber zu informieren, denn wenn ich etwas wissen wollte, gelangte ich problemlos an dieses Wissen, doch alles weitere interessierte mich nicht. Niemand hatte mich jemals geküsst. Er war der Erste. Bei niemandem hatte ich je den Wunsch danach verspürt. „Na Kaiba, hat es dir die Sprache verschlagen?“ Katsuyas Stimme riss mich aus den verworrenen Gedanken. Ich ging zum ersten Mal vor ihm in die Defensive und mein Gesicht war eine Maske der Ausdruckslosigkeit, während auf seinen Lippen ein selbstgefälliges Grinsen lag. „Ist das die Antwort auf deine Fragen, Kaiba?“ Der Spott, welcher in seiner Stimme lag rief meinen Willen wieder auf den Plan. Ich konnte nicht zulassen, das Katsuya in einer Situation wie dieser – mochte sie auch noch so realitätsfern erschienen – die Oberhand hatte. Er hatte sich mir unter zu ordnen, in jeder Hinsicht. Das erste Mal in meinem Leben handelte ich aus einem Instinkt heraus. Ich packte ihn ruppig am Kinn. „Nicht ganz Katsuya.“ Dann zog ich ihn zu mir und kehrte das Spiel um. Dieses Mal war ich es, der seine Lippen rücksichtslos auf seine drückte, ihm keine Möglichkeit des Protests bot – hatte er dies doch bei mir auch nicht zugelassen. Nach endlosen Sekunden entließ ich ihn aus meinem festen Griff. Nach Luft schnappend wich er zurück, starrte mich verblüfft an. „Kaiba, was-?!“ Meine Augenbraue schwang in die Höhe. Von meiner inneren Aufgewühltheit drang nichts bis zu ihm durch. „Katsuya, du enttäuscht mich. Erst damit anfangen und jetzt einen Rückzieher machen? Soviel zu deinem - von dir hoch gepriesenen - Kampfgeist.“ „Was willst du damit -?! Warum hast du mich -?“ „Die Frage ist wohl eher: Warum hast du damit angefangen?“ Ich musste gestehen, das Gefühl von seinen Lippen auf meinen übte einen gewissen Reiz auf mich aus. „Ich, das - ach verdammt, Kaiba!“ „Was, Katsuya?“ Ich wollte es von ihm hören. Ich wollte, dass er es mir sagte. „Ich hab keine Ahnung okay? Ich hab es einfach getan, weil mir danach war.“ Er nahm alle möglichen Konsequenzen in Kauf, nur um das zu tun, wonach ihm in diesem Moment war? Er setzte unsere Feindschaft aufs Spiel, nur für eine Momententscheidung? Er akzeptierte all dies, nur um vollkommen absurd und irreal zu handeln? Ohne es verhindern zu können, verzogen meine Lippen sich zu einem schmalen Lächeln. Das war so typisch Katsuya. „Warum überrascht mich das nicht, Katsuya? Du bist wirklich ein planloser Hund.“ „Ich bin kein Hund, Mistkerl!“ Und wieder waren wir dort, wo wir angefangen hatten. Nun war dieses Mal etwas anders. Etwas ... „Wenn du das sagst, Köter.“ Ich drehte mich um und ging. Am Ausgang entledigte ich mich der Besucherschuhe und zog meine eigenen wieder an. Ich schob die Tür auf. Bevor ich jedoch endgültig das Gebäude verließ, hielt ich noch ein letztes Mal inne. „Katsuya, an deiner Stelle würde ich morgen die Augen offen halten und Markenkaffee bereithalten. Man weiß nie, wer alles auf einen Blick vorbeikommen kann.“ Dann schloss ich die Tür hinter mir. Ohne mich noch einmal umzusehen folgte ich dem Kiesweg und verließ das Gelände des Kindergartens. Ich hörte, wie die Tür hinter mir wieder aufgeschoben wurde und vor meinem inneren Auge erschien Katsuya, der mir verwirrt, wenn nicht sogar mit einem Grinsen hinterher blickte. Ich begnügte mich mit dieser Vorstellung. Als ich im Wagen saß und die Zündung betätigte fiel mein Blick auf die digitale Uhr oberhalb der Musikanlage. Den Termin in der Firma hatte ich verpasst, soviel stand fest. Ich schaltete einen Gang hoch und fuhr aus der Parklücke. Während ich die kleine Seitenstraße, zusammen mit Katsuya und zwölf kleinen Kindern hinter mir ließ, griff ich nach meinem Telefon und wählte eine Nummer. „Isono, Kaiba hier. Streichen Sie für morgen Nachmittag sämtliche Termine. Ich bin außer Haus.“ Mein Fuß auf dem Gaspedal drückte stetig weiter zu, während ich auf die Hauptstraße bog. „Richten Sie den Abteilungsleitern bitte aus, ich bin wegen eines anderen Termins verhindert und konnte darum nicht zu dem heutigen Meeting kommen.“ Mein Blick ruhte auf der Straße. „Nein Isono, mir geht es gut. Ich bin in einer viertel Stunde in der Firma.“ Alles war wie vorher. Fast alles. ‚Weil ich so dumm war, anzunehmen, dass da vielleicht etwas Menschliches in dir ist, du Mistkerl!’ Zum Glück dauerte dieses Praktikum noch eine weitere Woche. Dies bedeutete, ich hatte noch genügend Nachmittage, um mit Katsuya über die Bedeutung dieser Worte reden zu können. Klassensprecher zu sein, bedeutete offenbar doch etwas Gutes ... *~* I'm here waiting on the edge Would I be alright showing myself to you? It's always been so hard to do ... *~* (Steve Conte - Stray) Nachwort(e): Es heiß ja immer, eine Kurzgeschichte zeichnet sich aus durch direkten Einstieg, offenes Ende und Symbole. Mein einziges Symbol ist der kleine Daisuke, den ich richtig ins Herz geschlossen habe. Sein Name bedeutet so viel wie große Hilfe, darum habe ich des Öfteren auf ihn zurückgegriffen – und auf sein Bild XD Ich habe dieses Mal die japanischen Namen gewählt, weil ich bei dem Bild des japanischen Kindergartens immer das Traditionelle vor Augen hatte oder zumindest das typisch Japanische. Der japanische Satz am Anfang der Geschichte stammt übrigens aus meiner Hand - mit meinen brüchigen Japanischkenntnissen. Ich mache jetzt ein Jahr Japanisch, aber bin trotzdem keine Leuchte. Sollte hier jemand mehr davon verstehen und jetzt die Augen verdrehen, weil der Satz am Anfang eine absolute Katastrophe ist (von einem Amateur verfasst) - über Korrektur wäre ich sehr erfreut ^ ^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)