Genesung von ZMistress ================================================================================ Kapitel 11: Duell im Licht der Fackeln -------------------------------------- Das Aufblitzen von Metall, geschwungen in einem blendenden Bogen, eine verschwommene Bewegung, erleuchtet von flackerndem Licht der Fackeln. Die beiden Kämpfer trugen ihren Konflikt schweigend aus, einen tödlichen Tanz schimmernder Klingen. Ihre ständig wechselnden Positionen konnte man im trüben Fackellicht erahnen, aber die Details wurden durch den Regen teilweise verdeckt und wurden nur während der kurzen Lichtmomente eines Blitzes enthüllt. Beobachter beider Gruppen sahen schweigend zu, durch die fließenden Bewegungen der beiden Streiter wie versteinert. Die Fähigkeiten von Komagata Yumi waren zweifellos bewundernswert. Er besaß eine Anmut und ein Können, die man bei jungen Männern der neuen Meiji Ära für gewöhnlich nicht fand. Die Präzision seiner Angriffe, seine durchweg sauberen und effizienten Bewegungen, bewiesen ganz offensichtlich, dass er ein echtes Training durchlaufen hatte. Sein Katana sauste mit bemerkenswerter Geschwindigkeit auf Himura Kenshins Kopf herab, aber es traf ins Leere und verfehlte um einen Sekundenbruchteil sein Ziel. Mit einem Kreischen und einem lauten Knall traf Metall auf Metall als Kenshin den Schlag des jungen Polizisten mit einer präzisen Drehung des Sakabatou. Die Klingen prallten von einander ab und Komagata landete geschickt nach seinem Sprung. Der junge Mann drehte sich aus der Hüfte heraus und nutzte den Schwung, den Kenshins Sakabatou seinem Schwert verpasst hatte, um einen weiteren Bogen zu beschreiben und dieses Mal auf den Nacken des Rurouni zu zielen. Wieder traf Komagatas Schwert nicht sein Ziel, da Kenshin behände zur Seite trat und mit der Schwertscheide in der linken Hand die Schulter des jungen Mannes streifte. Komagata zischte überrascht und fuhr zu dem Rurouni herum. In seinen Augen war seine Vorsicht deutlich zu sehen. Der junge Mann war gut. Aber er hatte es mit Himura Kenshin zu tun. Und er kam ihm mit seinem Können nicht einmal nahe, dachte Megumi. Sie sah, dass der drastische Unterschied bei den Fähigkeiten Shishios Männern auch nicht verborgen blieb. Sie wechselten untereinander nervöse Blicke als sie die fließenden Bewegungen des schlanken Rurouni beobachteten. Für Shishios Männer, die Ken-san noch nie in Aktion gesehen hatten, mussten die Geschwindigkeit und Agilität des legendären Battousai ein erschreckender Anblick sein. Für Ken-sans Freunde jedoch war es aus einem ganz anderen Grund erschreckend. Sie machten sich Sorgen, gerade weil sie etwas sehen konnten, weil Kenshins Bewegungen so langsam waren, dass sie sichtbar wurden. Die gegenwärtige Schwäche des Rurouni war für diejenigen, die ihn gut kannten furchtbar offensichtlich. Und obwohl er seine Anmut beibehielt und sich mehr als ausreichend gegen die schnellen Angriffe des jungen Polizisten verteidigte, war es nur zu deutlich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Ken-sans Kampfstil war merklich geschwächt und ohne seine blitzschnellen Angriffe und Sprünge beinahe nicht wiederzuerkennen. Der Rurouni blieb am Boden und beschränkte seine Verteidigung auf ein Minimum an Bewegungen, um ganz offensichtlich seine Kräfte zu schonen. Kräfte die mit jeder Minute abnahmen, wie es sogar Megumis untrainierter Blick wahrnahm. „Komagata-dono, bitte hört mir zu“, sagte Kenshin zwischen zwei Schlagabtauschen. Sie Stimme des Rurouni war angestrengt, sein Gesicht unheimlich blass im Kontrast mit der dunklen Masse verschwitzter roter Haare, die an seiner Stirn klebte. „Shishio Makoto war auf den Knien--“ „Halt die Klappe!“, schrie der junge Mann als sein Schwert vorwärts schoss und den Kiefer des Rurouni nur knapp verfehlte. „Er war auf den Knien und besiegt“, fuhr Kenshin unnachgiebig fort. „Und Yumi-dono ist dazwischengegangen. Sie hat sich zwischen uns gestellt und Shishio mit ihrem eigenen Körper beschützt.“ „Ich hab gesagt, du sollst die Klappe halten!“ Ein weiteres Krachen als das Sakabatou wieder einen Schlag von der Seite her fortwischte. Rotes Haar glänzte schemenhaft im Feuerlicht auf, als der kleinere der beiden Männer zurücksprang um zu verhindern entzwei geschnitten zu werden. Für einen Augenblick war das wütende Gesicht des hochgewachsenen Polizisten im Profil zu sehen als er für den nächsten Angriff herumfuhr. „Shishio nahm sein Schwert und durchbohrte Yumi-dono als er versuchte mich Unwürdigen zu töten.“ „Du lügst!“ Die Angriffe des jungen Mannes waren wütender denn je. Ken-san zuckte sichtbar bei dem Aufprall zusammen als er parierte. „Yumi-dono starb als sie ihren Herrn verteidigte. Ich kann nicht vorgeben, sie zu verstehen, aber sie sah es nicht als Verschwendung an. Sie war glücklich als sie starb-“ Er wurde von einer Reihe furchteinflößend schneller Angriffe unterbrochen. Die Vorstöße des jungen Mannes wurden von einem kaum beherrschbaren Zorn genährt. Ken-san schnappte nach Luft als er seinen Schwertarm hochriss und fuhr plötzlich zusammen, anscheinend von einem starken Schmerz in seiner verletzten Seite. „Kenshin!“, hörte Megumi Kaorus erschreckte Stimme. Megumi warf dem Mädchen einen schnellen Blick zu. Kaorus Augen hingen an dem kleinen Schwertkämpfer und ihre Hände waren in den Falten ihres Kimonos zu Fäusten geballt. Sie sah genauso verängstigt aus wie Megumi sich fühlte. „Er wird es schaffen“, flüsterte Megumi, teilweise um des Mädchens Willen, aber doch mehr noch um sich selbst zu beruhigen. Megumi wusste nicht wie er das machte, aber Ken-san behauptete sich noch immer, trotz der Schmerzen von einer Wunde, die einen normalen Menschen außer Gefecht gesetzt hätte. Wie immer erlaubte der unbezwingbare Wille des Rurouni ihm, das Unmögliche zu tun. Die Vorstöße seines Gegners abzuwehren und den jungen Polizisten wieder zurück zu treiben, so dass der Rotschopf einen Moment hatte zu Atem zu kommen und Kraft zu schöpfen. „Warum greift er nicht an? Warum verteidigt er sich nur?“, fragte Megumi frustriert. War es Erschöpfung? Oder vielleicht Schuldgefühle? Sie wusste es nicht, doch Ken-sans sich verschlechternder Zustand beängstigte sie. Unbezwingbarer Wille oder nicht, Ken-sans Kraft konnte nicht ewig reichen. Ein paar weitere Schlagabtausche wie der letzte und seine Kraft musste einfach nachlassen. „Ich bin mir nicht sicher, dass er das kann“, antwortete Sanosuke leise. Megumi unterdrückte ein Frösteln und schlang die Arme um sich selbst. Die zwei Kämpfer musterten einander in der düsteren Stille. Megumi tröstete es etwas, dass augenscheinlich nicht nur Ken-san von dem Kampf mitgenommen war. Komagata schien ebenfalls zu ermüden. Seinem Gesicht fehlte nun das Selbstvertrauen, das sich vorher darauf gezeigt hatte und sein Atem kam nicht mehr so kontrolliert wie zuvor. „Ich wollte nie gegen Euch kämpfen, Komagata-dono“, flüsterte der Rurouni. Er hatte die Spitze seiner Schwertscheide auf den Boden sinken lassen und stützte sich nun darauf. „Gibt es keinen anderen Weg diese Sache zu bereinigen?“ Komagatas Augen waren hart. „Dieses Duell wird mit dem Tod enden, Battousai.“ Seine Stimme war gedämpft und nun überraschend ruhig, da seine vorherige Rage verraucht und zu rauer Entschlossenheit geworden war. „Deiner oder meiner. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“ „Es gibt immer andere Möglichkeiten!“, eine neue Stimme durchdrang die Nachtluft, eine vertraute, junge und weibliche Stimme, erfüllt von drängender Sorge. Ein Dutzend Gewehre fuhren zu dem Neuankömmling herum, einer schlanken Gestalt, deren Silhouette sich schwarz auf dem Hauptdach des Hofes abzeichnete. Die kleine Gestalt wurde von einer größeren begleitet, die reglos, in einen Mantel gekleidet dastand und zwei Schwerter nach hinten gerichtet in den Händen hielt. Die beiden Neuankömmlinge schienen sich nicht um die auf sie gerichteten Gewehre zu kümmern. Kitada blickte hinauf, runzelte die Stirn und versuchte die Identität dieser neuen Bedrohung auszumachen. „Misao-dono. Aoshi.“ Der Schock als er die beiden wiedererkannte, lies Kenshins Stimme ein wenig zittern. „Was macht ihr hier?“, rief Okina erschrocken, nachdem er die ganze Zeit über stumm geblieben war. Wie hatten sie das gewusst? Wie hatten sie es hierher geschafft? Megumi hatte keine Ahnung, aber jetzt war nicht die Zeit um Fragen zu stellen. Sie war allerdings erleichtert. Ihre Knie fühlten sich weich an als zum ersten Mal in ihrem Leben ihr Herz vor Freude über die düstere Gegenwart des früheren Okashiras der Oniwabanshu höher schlug. So sehr sie ihn auch hasste, seine Anwesenheit war eine höchst willkommene Überraschung. Aoshi und Misao sprangen schweigend vom Dach in den von Fackeln erleuchteten Hof. Misao atmete schwer und die Anstrengung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Wie auch immer sie es hierher geschafft hatten, sie mussten sich sehr beeilt haben. Selbst Shinomoris Gesicht war vom Rennen leicht gerötet, obwohl er es schaffte so kalt und unberührt dreinzusehen wie immer. Er betrachtete die auf ihn gerichteten Gewehrläufe mit einem Hauch von Verachtung, dann ignorierte er sie als er näher an die beiden Kämpfer herantrat. „Shinomori Aoshi, dieser Kampf geht Sie nichts an“, sagte Komagata kühl. „Dies ist ein Duell, nur zwischen mir und Battousai. Sie haben nicht das Recht sich einzumischen. Sie werden mich nicht davon abhalten ihn zu töten!“ „Dann töten Sie ihn doch“, sagte Shinomori zu dem jungen Polizisten. „Wenn Sie es können.“ Seine grünen Augen blitzten und irgendwie schaffte er es seine Geringschätzung zu zeigen ohne sein ausdrucksloses Gesicht zu verziehen. „Aber danach haben Sie es mit mir zu tun.“ Ein unbehagliches Raunen ging durch Shishios Männer. Einige sahen einander mit deutlicher Unruhe an. „Wenn Sie stark sind, werden Sie überleben...“, fuhr der frühere Okashira leise fort. Megumi glaubte, sie sähe im Gesicht des Mannes ein angedeutetes Lächeln. „Sie werden nicht überleben.“ „Aoshi“, unterbrach Kenshin. „Ich schätze Eure Hilfe. Aber es besteht keine Notwendigkeit, dass ihr Euch hier einmischt.“ „Himura-san, ich weiß nicht, was hier los ist, aber wir können nicht zulassen, dass Yoshi so gegen dich kämpft. Du bist verletzt!“, rief Misao unwillig und antwortete damit für beide. „Danke, Misao-dono. Aber ich werde damit fertig“, sagte Kenshin zu dem Mädchen und seine Stimme war nicht unfreundlich. Komagata Yoshi starrte den früheren Okashira mit undeutbarem Gesicht an. Dann zuckte er die Schultern als finde er sich mit seinem neuen Schicksal ab. „Also. Ob ich nun gewinne oder verliere, ich werde sterben. So sei es. Aber sagen Sie mir eines, Shinomori.“ Die grünen Augen warteten stumm. „Wer hat Komagata Yumi getötet?“ Die Anspannung war beinahe greifbar als Yoshi und die restlichen Männer Shishios auf die Antwort warteten. Shinomoris Augen wurden etwas schmaler und verrieten eine Spur von Verwunderung. Er und Misao hatten das Shirobeko verlassen, bevor Yoshis Verschwörung enthüllt worden war. Die Frage musste den beiden Oniwabanshu-Mitgliedern ziemlich seltsam vorkommen. „Shishio Makoto“, antwortete er. Ein hörbares Gemurmel ging durch die kleine Schar von schockierten Männern Shishios. Shinomori Aoshi war der Letzte, dem beide Seiten vertrauen sollten. Er hatte Shishios Leute genauso verraten wie seine eigenen. Aber trotz seiner früheren Handlungen konnte niemand behaupten, dass Shinomori seine Absichten je unter hübschen Lügen versteckt hätte. Trotz seiner Unbarmherzigkeit wurde Shinomori noch immer als ein ehrlicher Mann angesehen. Komagata war der erste, der seine Fassung wieder gewann. Seine Lippen wurden zu einer schmalen, entschlossenen Linie, seine Augen leuchtend und kalt als er sich wieder in Kampfstellung brachte. „Nein! Haben Sie ihn nicht gehört?“, rief Kaoru und ignorierte Kitada als sein Gewehr zu ihr hinüber schwenkte. „Warum tun Sie das? Kenshin hat Ihre Schwester nicht getötet! Sie müssen nicht mehr kämpfen! Es gibt nichts zu rächen!“ Yahiko packte die Schulter seiner Lehrerin und hielt sie davon ab einfach zu den beiden Kämpfern zu rennen. „Du kannst nichts tun! Nichts wird ihn jetzt noch davon abhalten!“, sagte der Junge. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete Kenshin sich auf, drehte sich zu seinem Gegner und richtete seine Aufmerksamkeit mit unerschütterlicher Konzentration auf ihn. Und dann tat der Rurouni etwas seltsames. Er wechselte das Schwert in die linke Hand und nahm die Scheide in die Rechte. „Kenshin!“ Kaorus Gesicht war kreidebleich. „Oh nein, Kenshin, du Idiot, was machst du...“ „Was ist los?“, flüsterte Megumi verwirrt. Kaorus Augen waren geweitet, als sie zu der anderen Frau hinübersah. „Ich glaube er kann das Sakabatou mit der rechten Hand nicht mehr führen. Er hat auf der Seite nicht mehr die nötige Kraft.“ „Also was auch immer er plant“, führte Sano den Gedanken fort, „wird ihm schwer zu schaffen machen.“ „Es kann nicht die geheime Technik sein“, sagte Kaoru leise und besorgt. „Dafür ist er nicht stark genug.“ „Das muss nicht unbedingt sein“, sagte Sano. „Er kämpft hier nicht gegen Shishio oder Seta Soujirou. Er schafft das, Fräulein.“ Aber die Stimme des Straßenkäpfers klang nicht so überzeugt wie seine Worte und Sorge zeigte sich in seinen scharf geschnittenen Zügen als er seinen erschöpften Freund dabei beobachtete, wie er sich darauf vorbereitete den Kampf fortzusetzen. „Es ist die Battoujutsu-Stellung“, hauchte Yahiko als Kenshin sein Schwert in die Scheide steckte und sich in einer Hockstellung zusammenkauerte, bereit für den Angriff seines Gegners. Mit einem zornigen Schrei sprang Komagata vorwärts und seine Klinge schwang in einem blendend schnellen Halbkreis auf Kenshins Seite zu. Die Antwort des Rurouni war völlig anders als das, was er die ganze Nacht gezeigt hatte, seine Bewegungen nur ein Schemen von dunkelblau und rot. Ein silbernes Aufblitzen war alles, was man von seinem Sakabatou sehen konnte, als er es mit metallischem Aufkreischen mit der Linken aus der Scheide riss, nach seinem Ziel schlug und den junge Mann hart an der Brust traf. Komagata Yoshi wurde von den Füßen gerissen und sein Katana flog ihm aus der Hand. Er landete mit einem furchtbaren Aufschlag und konnte für einen Moment nicht mehr atmen. Nach Luft japsend lag er im feuchten Schlamm des Hofs. Kenshins Schwert vollendete seinen Weg und der Rurouni sank vorwärts auf ein Knie, unfähig noch weiter auf den Beinen zu bleiben. Sein Kopf war niedergebeugt, seine Brust hob und senkte sich rasselnd als falle ihm das Atmen so schwer wie seinem Gegner. Er schaffte es aufrecht zu bleiben, wenn auch nur mit Mühe, und stützte sich auf das Sakabatou, dessen Spitze sich tief in den Schlamm gebohrt hatte. Mit der rechten Hand hielt er noch immer die Schwertscheide fest, doch hing der Arm schlaff herab. „Ken-san“, formten Megumis Lippen, da sie es nicht fertig brachte zu schreien. Beinahe wäre Megumi zu ihm gegangen um ihre Arme um ihn zu legen und ihn zu stützen. Sie glaubte, dass sie durchdrehen würde, wenn dieses Duell nicht bald endete. „Yoshi-kun!“, rief Kitada. „Bist du in Ordnung?“ Er blieb allerdings wo er war, zu diszipliniert als dass er vergessen würde, dass er den Feind bewachte. Komagata Yoshi setzte sich mühsam auf und hielt sich die linke Seite seiner Brust. „Du hast mit mir gespielt“, brachte der junge Mann anklagend hervor, seine Stimme angespannt vor Schmerzen. „Die ganze Zeit, Battousai, hättest du mich schlagen können. Du hast dich nur zurückgehalten.“ Kenshin lehnte sich auf schwer auf sein Schwert, als er langsam wieder auf die Füße kam. Er stand ein wenig unsicher da und Megumi stellte mit Schrecken fest, dass der Blutfleck an seiner rechten Seite ein ganzes Stück größer geworden war und jetzt an seinen Hakama bis zum Knie herab reichte. Ken-san schüttelte den Kopf. „Ich wollte weiteres Blutvergießen vermeiden. Ich hatte gehofft, dies hier friedlich zu Ende zu bringen.“ „Friedlich?“, spuckte der junge Mann. „Ich weiß nicht mehr, was dieses Wort bedeutet! Bring es zu Ende, Battousai! Mach mich jetzt fertig. Oder, bei den Göttern, sonst werde ich dich fertig machen!“ Ken-san sah den jungen Mann lange mit unlesbarem Gesicht an. „Nein. Es reicht“, sagte der Rurouni leise als er seinem Gegner der Rücken zuwandte und langsam davonging. Komagata Yoshis Antwort war ein wildes Knurren reinen Hasses. Und bevor jemand reagieren konnte, sprang er auf die Füße. Seine Hand fuhr zu seinem Gürtel, beschrieb einen verschwommen sichtbaren Bogen und ließ ein verstecktes Messer glitzernd und kreischen auf den Kopf des Rurouni zu wirbeln. „Kenshiiin!“, hallte Kaorus verzweifelter Schrei in Megumis Ohren wider. Megumis Welt zerbrach. Der Lauf der Zeit verlangsamte sich. Sie sah mit erstarrtem Schrecken wie das tödliche Metall in der Luft schimmerte und auf Ken-san zuschoss ohne dass ihm etwas im Weg stand. Kenshin bewegte sich nicht. Er zuckte nicht einmal zusammen als die Klinge traf und sich in die gegenüberliegende Wand bohrte, nachdem sie den Kopf des Rurouni um Haaresbreite verfehlt hatte. Der Wind wehte. Und der Regen fiel. Aber die Stille, die völlige Stille in diesem Hinterhof war ohrenbetäubend. „Kenshin!“, keuchte Kaoru und brach mit rauer Stimme das Schweigen. Das Mädchen war auf die Knie gefallen und hatte ihre Augen in einer Mischung aus Schrecken und Erleichterung geschlossen. Ihre Fäuste waren so fest um den Stoff ihres durchnässten Kimonos geklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Neben ihr stand Yahiko mit bleichen Gesicht. Die Augen des Jungen waren größer als Megumi sie je gesehen hatte. Megumi erinnerte sich daran, dass sie wieder atmen sollte. Sie zitterte und war überrascht, dass sie noch immer stand. Mit Bestürzung sah sie, dass ihre eigenen Fäuste so sehr geballt waren, dass ihre Fingernägel sich in den Handballen gebohrt hatten. Sie sah auf und sah Sanosuke, der sich bemühte seinen aufgestauten Zorn zu bändigen und dessen Aufmerksamkeit auf die beiden Kämpfer gerichtet blieb. Sie berührte leicht seinen Arm und er fuhr bei dem Kontakt heftig zusammen und blinzelte als er auf sie herabblickte. Er nickte kurz, als wolle er sagen, dass er in Ordnung sei, bevor er sich besorgt wieder zu Ken-san drehte. Kenshin hatte sich endlich umgedreht. Er stand da und betrachtete seinen Gegner schweigend. Komagata Yoshi hatte wieder sein Katana aufgehoben. Ohne ein weiteres Wort hob er es vor sich in die Höhe und trat vorwärts bis die Spitze der Klinge auf der Haut des Rurouni ruhte. Kenshin sah auf die Klinge herab und machte keine Bewegung um die Berührung zu vermeiden. Er blieb wo er war und stand ruhig da, als wäre nie ein Messer geworfen worden. Als ob das Schwert an seiner Brust nicht ein dünnes Rinnsal frischen Blutes fließen ließ. Als ob seine Freunde nicht von der Anstrengung den beinahe unwiderstehlichen Drang etwas zu tun, zu kämpfen, ihren geliebten Rurouni zu beschützen, zurückzuhalten wahnsinnig würden. Sein Gesicht war verborgen durch seinen vollen, roten Haarschopf, so dunkel wie das Blut, das über seine Haut rann, so dunkel wie der Fleck, der sich bereits an der Seite seiner Hakama ausgebreitet hatte. Wenn ihm seine Wunden etwas ausmachten, so zeigte er sein Unbehagen nicht. Im Grunde zeigte er überhaupt kein Empfinden. Er stand nur stocksteif da, mit dem Schwert locker in einer Hand. Und wartete. „Du würdest weggehen? Einfach so?“, fragte Komagata schwer atmend. Der Zorn war verraucht, anscheinend in dem Moment verpufft, in dem er das Messer geworfen hatte. Statt dessen zeigte er schmerzhafte Verwirrung, eine schmerzgeplagte Fassungslosigkeit, die in krassem Gegensatz zu der Gelassenheit des Rurouni stand. „Wie könntest du mir den Rücken kehren, Battousai?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe geschworen, dich zu töten!“ Die Augen des Rurouni waren noch immer gesenkt. „Ich wusste, dass Ihr nicht zuschlagen würdet.“ Yoshis Schwert wankte unschlüssig. „Das konntest du nicht wissen!“ Der junge Mann schüttelte heftig den Kopf. „Du konntest es nicht! Selbst ich wusste nicht, was ich tun würde!“ Endlich sah Kenshin auf. Megumi biss sich auf die Lippe als sie sein Gesicht sah. Der Ausdruck seiner Augen war einer, den sie gut kannte. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln mit einem Unterton von Traurigkeit, ein Ausdruck von wachsamer, zerbrechlicher Hoffnung. „Komagata Yoshi würde keine Leben für einen persönlichen Rachefeldzug wegwerfen“, sagte der Rurouni sanft. „Ich spüre, dass Yoshi-dono ein guter Mensch ist. Nicht jemand, der mutwillig tötet. Er ist jemand, der alles für seine Freunde und die, die er liebt, opfern würde. In dieser Hinsicht“, fuhr er fort, „scheint er seiner Schwester sehr ähnlich zu sein.“ Yoshi erbleichte. „Ich kannte Yumi-dono kaum, aber nach dem was ich von ihr in der kurzen Zeit, in der sie uns führte, gesehen habe, war sie der Bewunderung und des Respekts würdig. Yumi-dono war ihrem Herrn bis zu ihrem Ende ergeben, und in ihrem Versuch ihn zu retten, gab sie alles.“ Der Rurouni senkte die Augen. „Ich bedauere ihren Tod wirklich sehr. Es ist bedauerlich, dass Ihr glaubt, dass Eure Schwester vergebens starb. Aber ich kann Euch nicht erlauben, Eure Rache zu bekommen. Vergeltung wird nur zu noch mehr Töten führen. Und ich fürchte der erste Tod nach dem meinen wäre Euer eigener. Ihr habt gehört, was Aoshi sagte. Er ist nicht jemand, der sein Wort bricht. Wenn ich heute Nacht sterbe, wird Komagata-dono der nächste sein. Ich heiße Aoshis Entscheidung nicht wohl, aber ich kann ihn nicht daran hindern, das zu tun, von dem sein Herz ihm sagt, dass es getan werden muss.“ Komagata Yoshi trat langsam von dem Rurouni zurück und schüttelte den Kopf. Er nahm wieder eine Kampfhaltung ein und starrte den kleineren Schwertkämpfer mit leerem, unergründlichem Gesicht an. „Du redest zu viel, Battousai.“ Die Hoffnung in Kenshins Augen erstarb. Mit müder Resignation fasste Kenshin sein Sakabatou fester und brachte sich ebenso in Position wie sein Gegner. Seine Bewegungen waren angestrengt, als ob die wenigen Reserven, die er noch gehabt hatte, nun auch aufgebraucht wären. Er machte sich wieder für den Angriff des jüngeren Mannes bereit. Doch er kam nie. Statt dessen steckte Komagata Yoshi sein Schwert wieder in die Scheide. Der Rurouni runzelte die Stirn. Nun war Kenshin damit an der Reihe verwirrt zu sein. „Wenn ich mich ergebe“, fragte Yoshi langsam, kaum lauter als ein Flüstern. „Wenn ich mich ergebe, wirst du meine Männer gehen lassen?“ Violette Augen weiteten sich langsam vor verletzlicher Hoffnung als Ken-san seinen Gegner ungläubig anstarrte. Der Rurouni schien sich davor zu fürchten zu hoffen, seinen Ohren zu trauen, zu glauben, dass einmal in seinem Leben ein Gegner zustimmte, sich zu ergeben. Dass er nachgab und einen friedlicheren Weg einschlug anstatt Kenshin zu zwingen ihn zu besiegen. „Ja“, flüsterte der Rurouni mit einer so leisen Stimme, dass man sie kaum über dem Prasseln des Regens hörte. Als Yoshis Männern bewusst wurde, was da geschah, begann sie plötzlich laut zu protestieren. „Yoshi-kun, was machst du da?“, rief Kitada. „Du hast ihn! Du hast gewonnen! Er kann nicht viel länger durchhalten.“ „Das reicht!,“ schrie Yoshi und brachte damit die anderen Männer sofort zum Schweigen. Die Augen, die sich auf den älteren Krieger richteten, waren müde und ihr Feuer erloschen. „Ich war ein Narr, Kitada-san. Ich war so ein Narr.“ „Nein, Yoshi-kun.“ Der junge Mann warf sein Schwert zu Boden. „Wir hatten Unrecht, Kitada-san. Meine Schwester wurde nicht sinnlos ermordet. Sie ist einen würdigen Tod gestorben. Sie ist gestorben, um einen Traum zu erfüllen.“ Seine Stimme zitterte vor Erschöpfung und anderen Gefühlen, die Megumi nicht mal ansatzweise erraten konnte. „Ich habe Battousai von Anfang an geglaubt“, fuhr der junge Polizist fort. „Aber ich konnte nicht loslassen. Jemand musste dafür leiden. Jemand musste dafür zahlen.“ Unerwartete Tränen glitzerten in seinen Augen als er den alten Krieger reumütig anlächelte. „Es ist vorbei, Kitada. Nimm die Männer und geh. Verlasst Kioto. Lebt... werdet stärker.“ „Yoshi-kun“, sagte Kitada rau. „Tu es, Kitada-san.“ Der ältere Soldat starrte seinen Freund einen langen Moment an. Megumi wusste nicht, wie die beiden genau zueinander standen, aber es hatte den Anschein, dass sie auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück blicken konnten. Es war offensichtlich, dass Kitada den jungen Mann wie einen Sohn ansah und der Schmerz über den Befehl ohne ihn zu gehen, zeigte sich nur zu deutlich auf seinem zerfurchten Gesicht. „Wenn du sagst, dass es vorbei ist... dann ist es vorbei“, sagte der alte Krieger leise. „Ich gehorche wie immer.“ Kitada wandte sich an seine Kameraden. „Ich stehe zu Komagata-san. Wir waren im Irrtum, meine Freunde.“ Seine Stimme wurde sanfter. „Wir haben genug gekämpft, dass es ein ganzes Leben reicht. Jetzt ist es an der Zeit nach Hause zu gehen.“ Zeit nach Hause zu gehen. Es waren Worte, die von jedem hätten kommen können. Von Sanosuke oder Kaoru oder jedem anderen ihrer Freunde. Da begann sich Megumis Sichtweise über den Feind zu ändern. Zum erste Mal sah sie sie als ganz gewöhnliche Menschen. Männer, die für das gekämpft hatten, was sie für das Richtige hielten. Sie waren ihrem Herrn gefolgt und ihr Herr hatte verloren. Und in ihrem Schmerz und ihrer Verwirrung, hatten sie versucht etwas wieder gut zu machen, indem sie die letzte Sünde gegenüber der Geliebten ihres Herrn bestraften. Aber selbst dieser Trost war ihnen genommen worden. Es gab keine letzte Sünde, keinen Feind gegen den sie losschlagen konnten, niemanden, den sie bestrafen konnten. Und jetzt konnte Megumi sie so sehen wie wirklich waren. Keine furchteinflößende Armee mehr, sondern eine Gruppe müder Männer. Sie konnte die Erschöpfung in ihren Augen sehen, konnte sehen, dass sie ebenso wie sie selbst und ihre Freunde, nichts mehr wollten als zu gehen und das Kämpfen zurück zu lassen. Sie wollten nichts als nach Hause zu gehen. Der Wind war abgeebbt, der Regen nur noch ein stetiges Nieseln. Sie war überrascht, als ihr bewusst wurde, dass Blitz und Donner aufgehört hatten. Der Sturm hatte sich beruhigt als ob die Nacht selbst spüren könne, was in diesem Hinterhof geschehen war. Kenshin ging langsam zu seinem Gegner hinüber. Mit Mühe bückte er sich und hob das zu Boden gefallene Schwert Kitadas auf. Er hielt es vor sich und reicht es dem jungen Mann. „Lebt wohl... Komagata-dono.“ Komagata Yoshi sah den Rurouni an und die Verblüffung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Du lässt mich gehen? Nach allem was ich dir getan habe?“ „Ja, Komagata-dono sollte mit seinen Freunden, seiner Familie... zusammen gehen.“ Megumi hörte wie Kaoru neben ihr leise nach Luft schnappte und sie selbst spürte einen Kloß im Hals als sie gegen die Tränen ankämpfte. Megumi und der Rest von Ken-sans Freunden wusste wie wichtig diese Worte dem Rurouni waren. Yoshi konnte auf keinen Fall völlig begreifen, was der Rurouni eigentlich sagen wollte, aber auch ihn bewegten diese Worte sehr. Der junge Mann starrte den Schwertkämpfer erschüttert an und war im Begriff die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren. Er nahm das Schwert an und schluckte, unfähig etwas zu sagen. Statt dessen verbeugte er sich. Einmal, lange und tief. Und ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging in die Dunkelheit davon. Kitada sammelte den Rest ihrer Männer um sich und die Überbleibsel von Shishios Armee folgten dem jungen Polizisten und gingen einer nach dem anderen durch das Tor aus dem Hinterhof hinaus. Der alte Krieger war der letzte, der sich zum Gehen wandte, doch er drehte sich ein letztes Mal um und betrachtete Kenshin. „Battousai, ich danke dir, dass du ihn verschont hast“, sagte der alte Mann leise. „Du wirst jedoch verstehen, wenn ich hoffe dich nie wieder zu sehen.“ Und damit ging er. Und Kenshin und seine Freunde wurden in der stillen Dunkelheit allein zurückgelassen. „Wird Himura in Ordnung kommen?“, fragte Misao mit gedämpfter Stimme. Ihre Augen waren besorgt auf den Rurouni gerichtet. Kenshin stand schweigend da, eine bleiche, blutverschmierte Gestalt, die noch immer auf das Tor starrte, durch das Komagata und seine Männer verschwunden waren. Er seufzte leise und schob mit Mühe langsam sein Sakabatou wieder in die Scheide. „Kenshin? Natürlich“, sagte Sanosuke leise. „Auf so etwas hat er doch immer gehofft. Ein Duell, das ohne Blutvergießen endet. Oder, äh, jedenfalls nicht so ganz viel Blutvergießen. Ich meine...“ Der Straßenkämpfer suchte vergeblich nach den richtigen Worten. „Du meinst zur Abwechslung hat sein Gegner nachgegeben, statt niedergeschlagen zu werden“, sagte Yahiko, der für sein Alter ein ungewöhnliches Verständnis der Lage zeigte. Sanosuke nickte und zerzauste dem Jungen abwesend die Haare. „Ja, Kleiner. So was in der Richtung.“ Die Schultern des Rurouni sackten herunter. Er schwankte leicht auf den Beinen. Megumi kämpfte gegen den Drang an zu ihm zu laufen, denn es gab noch jemand anderen – jemand der ihm näher stand – der bereits auf dem Weg war. „Kenshin!“, rief Kaoru, die sich endlich nicht mehr zurückhalten musste. Sie erreichte den Rurouni und legte vorsichtig (denn sie hatte seit seinem Kampf gegen Saito dazugelernt) einen Arm um seine schlanke Taille und stützte ihn. „Kaoru-dono“, sagte er atemlos. Und seltsamerweise erschien er trotz seiner Erschöpfung ruhig und beinahe heiter. Er brachte ein schwaches Lächeln für das Mädchen zustande, das seine Hand leicht auf seine Wange gelegt hatte. „Ich habe euch Sorgen ge-“ „Das spielt keine Rolle!“ Sie lachte schwach vor lauter Erleichterung, ein verzweifeltes, kleines Geräusch und ihre Augen schimmerten vor unvergossener Tränen. Diese Augen verschlangen den Rurouni geradezu, konnten nicht genug von ihm bekommen. „Du bist ein Idiot, Kenshin. Es spielt keine Rolle. Wirklich keine Rolle...“ „Ja“, war alles was er sagte, als er ihre Hand in die seine nahm. Himura Kenshin schloss die Augen und beugte den Kopf, zufrieden sich einen Moment ausruhen zu können und seine vernarbte Wange an Kaorus Schulter zu lehnen... Bevor seine Beine schließlich nachgaben und er ohnmächtig zusammenbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)