Genesung von ZMistress ================================================================================ Kapitel 9: Teilung & Täuschung ------------------------------ Schwer lag ein Versprechen auf Regen über der Nacht. Der Druck, den man spürte, war beinahe greifbar, das schwache Kribbeln auf der Haut, die Vorahnung von Gewalt am Himmel. Megumi stand in der Tür des Shirobeko, da die kühle und feuchte Abendluft eine willkommene Abwechslung von der drückenden Hitze der Lampen drinnen war. Der Wind war an diesem Abend lebendig. Täuschend leicht und kapriziös spielte er um ihre Knöchel und ließ die Enden ihres Kimonos flattern. Der Wind würde natürlich nicht so bleiben. Er würde bald zu einer furchteinflößenden Kreatur werden, einer wilden Naturgewalt, die dafür sorgte, dass die Menschen in ihren Häusern blieben, wo sie hinter stabilen, vernünftigen Wänden in Sicherheit waren. Ein Sturm würde heute Nacht wüten. Die Straßen waren leer, was so früh am Abend ungewöhnlich war. Heute waren an den Straßen des Marktbezirks keine hell leuchtenden Laternen aufgehängt. Keines der gewöhnlichen Geräusche, die sonst erschallten, war zu hören: kein Klappern von Töpfen, keine gemurmelten Unterhaltungen, keine getragenen Melodien von Straßenkünstlern. „Es ist nicht sicher, hier draußen zu stehen, Füchsin“, sagte Sagara Sanosuke als er sich zu ihr in die Tür stellte. Seine Augen wanderten kühl über die dämmrige Straße. „Du solltest reinkommen. Wir müssen die Tür schließen.“ Sein Gesichtsausdruck ließ keine Diskussion zu. Und außerdem hatte er recht. Es war wirklich dumm von ihr hier zu stehen, aber sie hatte es tun müssen, hatte hinaus gemusst, selbst wenn es nur bis zur Tür war. Denn in den letzten vier Tagen waren Megumi und die anderen stets in Alarmbereitschaft gewesen, waren angespannt, bereit für den Angriff. Und keiner kam. Es geschah überhaupt nichts. Das konnte einen wahnsinnig machen. „Ich wünschte, sie würden endlich etwas tun“, murmelte sie und machte ein frustriertes Geräusch als sie wieder nach drinnen ging. Das Warten forderte ihr seinen Tribut ab. Mit der Ausnahme von Hiko-san, der früher an diesem Tag verschwunden war, hatten sich jetzt alle am größten Tisch in der Ecke des Restaurants versammelt. Das Shirobeko hatte früh am Nachmittag geschlossen und Sae hatte alle Angestellten und Familienmitglieder nach Hause geschickt. Ihr Lächeln schien ein wenig angestrengt als sie schweigend allen Tee servierte, bevor sie sich selbst setzte. Trotz Saes Anstrengungen es für alle gemütlich zu machen, war es drückend im Zimmer und die Gemüter waren erhitzt. Die Tage der Inaktivität hatten angefangen an ihnen allen zu zehren. Seit dem Tag als in die Waffenkammer der Polizei eingebrochen worden war, hatte Okina-san allen verboten am Aoiya weiterzuarbeiten. Es war ihnen berichtet worden, dass Schusswaffen fehlten. Nicht nur Schwerter und Speere, sondern Schusswaffen. Es wäre viel zu leicht für einen einzelnen Angreifer sie auszuschalten, wenn sie weiter draußen arbeiteten. Es war schlimm genug, drinnen eingepfercht zu sein und nicht zu wissen, wann ein Angriff kommen würde. Doch noch schlimmer war das frustrierende Gefühl nicht zu wissen, wer genau ihr Gegner war und wer das eigentliche Ziel sein würde. Die offensichtliche Antwort wäre natürlich Kenshin. Aber Okina und die anderen waren eine viel zu erfahrene Truppe um sich nur auf das Offensichtliche zu konzentrieren. Das Aoiya, das Shirobeko, das Hauptquartier der Polizei, Kyoto selbst. Sie alle waren in Gefahr. Alle waren mögliche Ziele. Und so standen sie alle um die große Karte der Stadt herum, die Okina besorgt hatte, und diskutierten mögliche Verteidigungspläne und Fluchtwege. Sie hofften, dass sie an jedes mögliche Szenario gedacht hatten. Kenshin selbst blieb seltsam distanziert von den Planungen, obwohl er wohl eine zentrale Rolle bei dem kommenden Konflikt haben würde. In den letzten paar Tagen hatte er sich mehr und mehr zurückgezogen und seine charakteristische Zurückhaltung war wieder stark wie eh und je. Der Rurouni wehrte höflich ihre Nachfragen mit einem Lächeln und gemurmelten Zusicherungen ab, doch sein Lächeln schien gezwungen und seine Augen besorgt. Und er sah müde aus, dachte Megumi besorgt. So unendlich müde saß er in einer Ecke, die Beine übereinander geschlagen, das Schwert an einer Schulter lehnend. Sein Gesicht war gesenkt, die Augen geschlossen, sein Ausdruck so unauffällig wie die dunkelblaue Gi, die er trug. Megumi war sich nicht sicher, was sie bei Ken-san verstörender finden würde: aufmerksames Interesse an Okinas Plänen oder seine gegenwärtige augenscheinliche Gleichgültigkeit. Sie sah zu Sano und Kaoru hinüber, die ihre Bedenken zu teilen schienen. Ein Kenshin, der aktiv dabei sein wollte, hätte ihnen genug Sorgen gemacht, denn sie wussten, dass er noch zu schwach war, um sich an dem Kampf zu beteiligen. Dieser verschlossene, stille Kenshin, jedoch machte sie noch nervöser. In der Vergangenheit war seine Zurückhaltung immer ein Vorzeichen drohender Gefahr gewesen. Er hatte seine Ängste für sich behalten, damit sich seine Freunde keine Sorgen machten. Aber je weniger Ken-san von einer dringenden Angelegenheit sprach, desto mehr Sorgen machten sich seine Freunde. Sie konnten nur spekulieren, was der Rurouni tun würde. Würde er aus dem Weg bleiben, wie alle hofften? Unwahrscheinlich. Würde er versuchen zu kämpfen? Natürlich. Oder würde er etwas närrisches (aber absolut Kenshin-typisches) vorhaben, wie sich dem Feind anzubieten, in der Hoffnung, dass sie das besänftigte und alle anderen verschonten? Megumi hoffte nicht. Kaoru ging mit einer Tasse Tee zu Kenshin hinüber und kniete sich vor ihn. Ihre großen blauen Augen leuchteten als sie sich vorbeugte um das Gesicht des Rurouni besser sehen zu können. „Kenshin?“, sagte sie sanft und bot ihm die Tasse an. Er hob den Kopf. „Danke, Kaoru-dono“, kam die leise Antwort als er das Getränk entgegen nahm. Sein Lächeln für sie schien echt zu sein, ein in letzter Zeit seltener, aber willkommener Anblick. Ein Blitz leuchtete durch die Holzleisten vor dem Fenster, gefolgt von leisem Donnergrollen, und ließ Megumi aus ihren Gedanken aufschrecken. Leise begann Regen zu fallen, erst zögernd, dann wurde er allmählich immer lauter bis die Tropfen zu einem stetigen Rauschen verschwammen. Der Wind wurde etwas stärker und das leise Flüstern wandelte sich zu einem hohen Stöhnen. Der Sturm baute sich auf und nahm an Kraft zu. Ein plötzliches, hektisches Klopfen an der Tür ließ sie alle zusammenfahren und zum Ursprung des Geräuschs sehen. Der Feind würde nicht so etwas lächerliches tun, wie anzuklopfen. Aber trotzdem erwarteten sie niemanden und alles, was heute von der Norm abwich, musste mit großem Misstrauen behandelt werden. Als Sanosuke ging um nachzusehen wer es war, musste sich Megumi selbst daran erinnern zu atmen. Sie tastete über das kleine Messer in ihrem Obi und versuchte ihre unberechenbare Angst zu unterdrücken. Es war die Polizei. Zwei junge Polizisten, schmutzig, nass vom Regen und ziemlich außer Atem. Megumi erkannte einen der beiden als den dunkelhaarigen jungen Mann, der ihre Kutsche zum Aoiya gefahren war. „Sagara-san“, sagte der dunkelhaarige, junge Polizist. „Ist hier alles in Ordnung?“ Sanosuke runzelte die Stirn. „Ja, uns geht es gut, Yoshi. Warum? Was ist passiert?“ Er ließ die zwei Polizisten herein. Sie sahen nervös aus, als sie sich zu ihnen an den Tisch gesellten. „Man hat uns geschickt, um Sie hier heraus zu holen. Wir müssen gehen. Das Shirobeko ist nicht sicher.“ „Was ist passiert?“, wiederholte Sanosuke. „Es gab mehrere Angriffe in der ganzen Stadt. Bei der Polizeiwache wird gerade gekämpft und wir haben Berichte über Vorkommnisse beim Aoiya und den Arais-“ „Der Schwertschmied?“, fragte Misao beunruhigt. „Was hat er denn mit all dem hier zu tun?“ „Nun, das weiß ich nicht.“ Der junge Polizist zuckte entschuldigend die Schultern. „Es tut mir leid, aber das ist, was ich gehört habe. Die Angreifer mögen auch hierher kommen. Es gibt nicht genug Polizisten um alle Posten zu besetzen. Wir sind in Unterzahl. Ich fürchte Goro und ich sind die einzigen, die entbehrt werden konnten.“ „Seltsam“, sagte Okina mit düsterer Miene. „Meine Leute haben bis jetzt noch nichts berichtet.“ „Sagen Sie das dem Gegner“, sagte der junge Polizist. „Sie schießen mit unseren eigenen Waffen auf die Polizeiwache!“ „Genau das haben wir befürchtet“, sagte Okina unglücklich. „Mehrere Angriffe auf mehrere Positionen gleichzeitig. Wir können uns nicht aufteilen. Das wäre wahrscheinlich genau was sie von uns wollen.“ „Aber wir können auch nicht hier bleiben! Wir können nicht einfach nichts tun“, sagte Yahiko. „Das stimmt. Jemand muss zumindest den Arais helfen!“, rief Misao. „Mein Meister ist bei Arai-dono“, sagte Kenshin aus seiner Ecke. Alle Augen richteten sich auf den Rurouni. „Kenshin“, sagte Kaoru überrascht. Kaoru und Sano sahen einander an. Was sonst noch hatte Ken-san ihnen nicht gesagt? „Ich habe ihn gebeten zu gehen. Er hat zugestimmt, dass das das Beste wäre.“ Okina blinzelte. „Das ist zumindest ein Ort, um den wir uns keine Sorgen machen müssen“, sagte er nachdenklich. „Aber die Polizei braucht unsere Hilfe und ich würde es hassen, das Aoiya schutzlos zu lassen. Wir haben zu hart an den Reparaturen gearbeitet als das wir es jetzt bedroht sehen können. Ich hatte gehofft, dass wir uns nicht aufteilen müssten, aber vielleicht haben wir keine andere Wahl.“ „Ich werde mich um das Aoiya kümmern“, meldete sich Shinomori leise. „Aoshi-sama“, hauchte Misao und ein Durcheinander von Gefühlen huschte über das Gesicht des Mädchens. Okina zögerte als sei er sich nicht sicher, dass Shinomori dem gewachsen war. Der frühere Okashira hatte sich von seinen Wunden seit dem Kampf gegen Shishio erholt. Aber sie alle wussten, dass Aoshi die ganze Zeit meditiert und seit Wochen nicht mit seinem Schwert trainiert hatte. Und dann war da noch die Sache mit seinem Verrat. Vergebung war eine Sache. Das war leicht genug. Aber wieder zu vertrauen. Das war weit schwieriger. „Nimm Misao, Kurojou und Masukami mit“, sagte Okina schließlich mit einem kurzen Blick auf sie. „Und bitte passt auf euch auf. Wenn ihr feststellt, dass man euch zu überwältigen droht, zögert nicht euch zurück zu ziehen. Das Aoiya ist unser Heim, ja, aber letztendlich...“ Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Es ist nur ein Gebäude.“ Shinomori nickte leicht und wandte sich zum Gehen. Misao folgte ihm mit einem hastigen Blick zurück auf die anderen. Ihre Augen waren geweitet und ihre Stimmung ungewöhnlich gedrückt. Die anderen beiden Mitglieder der Oniwabanshu folgten ihnen schnell und einen Moment später waren die vier aus der Tür hinaus und fort. Einfach so, dachte Megumi. Es ging alles zu schnell. Im einen Moment waren sie alle zusammen. Im nächsten waren sie in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Sie fragte sich wie sie so schnell aufbrechen konnten, ohne richtig Lebwohl zu sagen. Die Situation verlangte nach Schnelligkeit, das wusste sie, aber die Plötzlichkeit machte sie benommen. „Ist alles in Ordnung, Füchsin?“, kam ein Murmeln von hinter ihr. Sano sah sie seltsam an. „Es geht alles so schnell“, sagte sie. „Das ist während eines Kampfs oft so“, war alles, was er sagte, als er wieder zu Okina und den anderen hinüber sah. Der junge Polizist und Okina unterhielten sich wieder. Okina bestand darauf, dass Yoshi Sae-san an einen sicheren Ort brachte, wo sie nicht in den möglichen Kampf verwickelt würde. Der junge Polizist bestand ebenso vehement darauf, dass es seine Aufgabe war, hier zu bleiben und zu helfen das Shirobeko zu verteidigen. „Das ist schon in Ordnung“, sagte Sae zaghaft. „Wenn der Kampf ernst wird, können wir wahrscheinlich nicht die ganze Zeit ein Auge auf dich haben, Sae-san“, sagte Kaoru sanft. „Wir müssen dich hier rausbringen.“ „Und Megumi-dono auch“, fügte Ken-san leise aus seiner Ecke hinzu. Megumi starrte den Rurouni schockiert an und fühlte sich betrogen. Ken-san begegnete ihrem Blick ohne mit der Wimper zu zucken. Der Gedanke, dass sie von ihren Freunden getrennt werden könnte, war Megumi nicht gekommen. „Nein!“, rief sie. „Ich bleibe hier bei euch!“ Sano sah finster drein. „Kenshin hat recht, Füchsin. Es ist hier für dich zu gefährlich.“ „Ich bin Ärztin. Ich könnte nützlich sein.“ „Du wärst eine Last“, sagte Sano, dessen Augen plötzlich hart wurden. „Du kannst nicht kämpfen, Megumi. Du wärst neulich auf der Straße beinahe getötet worden-“ „Ihr braucht mich vielleicht. Ich muss hier bleiben!“ Ein Teil von ihr konnte kaum glauben, dass sie bleiben sollte. Sie hatte den ganzen Abend schreckliche Angst vor dem nahenden Kampf gehabt, hatte sich wieder und wieder gewünscht irgendwo anders zu sein. Wenn jemand sie vor fünfzehn Minuten gefragt hätte, ob sie bleiben wollte oder nicht, hätte sie ehrlich keine Antwort gehabt. Aber jetzt, unter dem Druck, war ihr die Antwort nur zu klar. Sie wollte nicht von all den anderen getrennt werden. Konnte sich nicht einmal vorstellen, den Rest der Nacht allein und wartend zu verbringen. „Das ist ein gutes Argument“, sagte Kaoru. „Megumis Fähigkeiten würden uns nicht viel nützen, wenn sie nicht hier bei uns wäre.“ Megumi sah das Mädchen dankbar an, überrascht, dass Kaoru diejenige war, die auf ihrer Seite stand. Ken-sans Gesichtsausdruck war undeutbar. Sano blieb wie er war und sah Megumi ernst an. Er gab nicht nach. Megumi auch nicht. „Surojou, Oumime“, unterbrach Okina schließlich die Stille. Megumi wartete mit angehaltenem Atem auf die Entscheidung des alten Mannes. „Bringt Sae-san an den vereinbarten Ort. Bleibt dort bis ihr von uns hört. Es könnte etwas dauern.“ „Jawohl“, sagten die beiden Mitglieder der Oniwabanshu und brachten Sae in Sicherheit. Erleichterung durchflutete Megumi als ihr bewusst wurde, dass sie nicht getrennt werden würden. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, wäre sie Okina-san um den Hals gefallen und hätte den Gockelkopf angegrinst. „Was jetzt?“, fragte Yahiko leise, sein Gesicht ernst. „Goro und ich können draußen warten. Auf dem Dach Wache halten“, meldete sich der junge Polizist freiwillig. Megumi sah sich im Zimmer um. Ihre Zahl hatte sich auf acht verringert, die zwei Polizisten und sie selbst eingeschlossen. Megumi vertraute normalerweise uneingeschränkt auf die Fähigkeit ihrer Freunde zu kämpfen, doch das war unter idealen Zuständen. Zur Zeit war keiner von ihnen in optimalem Zustand. Kaoru und Yahiko ging es gut, aber Okina war immer noch dabei sich von seiner Nahtoderfahrung beim Kampf gegen Shinomori zu erholen, Sano konnte immer noch nicht mit seiner rechten Hand kämpfen und Ken-san... Megumi schluckte. Ken-san brauchte noch Hilfe eine Treppe hinaufzugehen. An seiner Seite suppte immer noch Blut hervor. Und der Rest seiner Wunden war zwar frisch verheilt, bestand aber immer noch aus zartem Narbengewebe, das noch Monate brauchen würde, um die alte Stärke zu haben. Von ihnen allen hätten sie am ehesten Ken-san mit Sae schicken sollen. Aber das würde der Rurouni nie erlauben, wie sie alle wussten. Er würde nie erlauben, dass seine Freunde für ihn kämpften, während man ihn in Sicherheit brachte. Okina, der den ganzen Abend mit unbestrittener Autorität Befehle gegeben hatte, wandte sich plötzlich an den Rurouni, der still in der Ecke saß. „Die Polizei braucht unsere Hilfe. Vielleicht sollten wir dort zu ihnen stoßen. Wenn wir diesen Ort verlassen, wird das Shirobeko hoffentlich verschont. Was denken Sie, Himura-kun? Lassen Sie uns alle dorthin gehen.“ „Okina-san“, sagte der junge Polizist Yoshi mit großen Augen und gedämpfter Stimme. „Wir würden uns geehrt fühlen, Sie alle zur Wache zu begleiten. Ihre Hilfe dort würde sehr geschätzt.“ Kenshin antwortete nicht. Er starrte lediglich mit verwundertem Gesicht zu Boden. „Kenshin“, sagte Kaoru. „Denkst du, wir sollten gehen?“ Er schüttelte den Kopf und blinzelte. „Nein.“ Sie kannten alle Kenshin zu gut um nicht seinen Instinkten zu vertrauen. Etwas stimmte nicht. „Was ist los?“, fragte Sano. Die violetten Augen des Rurouni richteten sich auf den jungen Polizisten. „Was?“ Der junge Mann sah seinen Kollegen an und dann blickte er verwirrt zurück zu Kenshin. „Was, Yoshi?“, sagte Sano und runzelte die Stirn. In seiner Stimme klang Verwirrung und Unglauben, aber die Haltung des Straßenkämpfers war angespannt als er sich an den jungen Polizisten wandte. „Ich verstehe nicht“, stammelte Yoshi. „Was geht hier vor?“ „Ich hätte es neulich schon während der Kutschfahrt spüren sollen“, sagte Kenshin mit weit aufgerissenen Augen. „Aber ich habe mich nicht gut gefühlt...“ (Natürlich nicht. Nicht nachdem er von dem Gockelkopf die Treppe heruntergezerrt worden war, dachte Megumi.) „Himura-kun, was sagen Sie da?“, fragte Okina schrill. „Okina-dono, dieser Mann ist nicht der für den er sich ausgibt“, sagte Kenshin, fasste sein Schwert fester und stand auf. Der Blick, den Okina dem jungen Polizisten zuwarf, ließ Megumi frösteln. In den letzten paar Wochen hatte sie an dem ehemaligen Spion der Oniwabanshu viele Gesichter gesehen. Freudig betrunken, als enthusiastischer Planer wilder Partys, beim Mogeln beim Go und neuestens als brillanter Vordenker. Aber sie hatte bis jetzt nie Okina den Krieger gesehen, den tödlichen Soldaten, der sich den Respekt und die Bewunderung vieler Männer verdient hatte, inklusive dem genialen, eisigen Shinomori Aoshi. „Wer sind Sie dann?“, fragte der alte Spion den jungen Polizisten. Megumi hätte nie gedacht, dass die sonst so warme Stimme des alten Mannes so eisig klingen konnte. Die Verwirrung verschwand von Yoshis Gesicht als er sich aufrichtete und ihnen allen einen herausfordernden Blick zuwarf. Ein geheimnisvolles, kleines Lächeln spielte um seine Lippen. „Sano!“, rief Kenshin plötzlich. Zu spät. Ohne Vorwarnung hatte der junge Polizist auf einmal in einer schnellen Bewegung seinen Kollegen Goro zu sich gezogen. Und bevor Sano sie erreichen konnte, hielt Yoshi seinem Freund eine Pistole an den Hals. „Verdammt!“, zischte Sanosuke und erstarrte mitten im Schritt. „Yoshi!“, schrie Goro. Seine Augen waren geweitet und seine Nasenflügel bebten als er ungläubig versuchte zu der Waffe unter seinem Kinn zu sehen. „Yoshi, was zur Hölle tust du da?“ Yoshis Gesicht zeigte keine Spur mehr von dem eifrigen jungen Kutscher. Sein Ausdruck war düster als er seinen Freund rückwärts zur Tür zerrte. „Es tut mir leid, Goro-san.“ Aufrichtiges Bedauern erklang in seiner Stimme. „Du hättest nie hier mit hineingezogen werden sollen, aber du musstest ja heute Abend unbedingt mitkommen. Tja, nun steckst du mit in der Patsche und ich fürchte, ich werde nicht zögern dich zu töten, wenn ich muss.“ „Warum macht Ihr das?“, fragte Kenshin leise. „Ich hätte nie gedacht, dass Ihr zu Shishios Männern gehört.“ „Was weißt denn du schon?“ Yoshis Stimme wurde härter als er Kenshin in die Augen sah. „Battousai!“ Er spuckte das Wort beinahe aus. „Du verstehst doch gar nicht, wofür Lord Shishio stand! Und mich verstehst du auch nicht.“ Ken-san verzog verwirrt das Gesicht. „Aber wer seid Ihr?“ Der junge Mann hatte inzwischen die Tür geöffnet und der heulende Wind kam herein und bedeckte die Bodenbretter mit Regen und Blättern. Er hielt inne und betrachtete Kenshin mit eiskaltem Gesicht. Seine Augen glitzerten im Halbdunkel und seine Mundwinkel zuckten zu einem höhnischen Lächeln. „Komagata Yoshi“, sagte er nur. Und damit stieß er seinen Freund Goro grob zu Boden und verschwand durch die Tür im Sturm, der draußen tobte. Sano und Yahiko wollten die Verfolgung aufnehmen, doch ein abruptes „Wartet!“, von Kenshin brachte sie zum Stehen. Der Rurouni starrte auf die leere Tür und sein Gesicht war so weiß wie ein Bettlaken. Megumi sah zu Kaoru hinüber, die nur leicht den Kopf schüttelte, weil sie genauso wenig wie Megumi wusste, wer der junge Mann war. Sano jedoch verzog das Gesicht und da er kein anderes Ziel hatte, schlug er frustriert mit der linken Faust gegen die nächste Wand. „Wer ist er, Himura-kun?“, fragte Okina in die Stille hinein. „Ich habe ihn selbst auf der Wache gesehen. Ich war mir sicher, dass er zur Polizei gehört.“ „Er gehört auch zur Polizei“, bestätigte Goro vom Fußboden aus und rieb sich eine wunde Stelle an der Schulter. Er sah sie alle entschuldigend an. „Aber ich nehme an, er ist auch noch anderen gefolgt. Es tut mir leid, ich hatte keine Ahnung davon...“ Okina starrte immer noch Ken-san an. „Warum haben Sie die beiden ihm nicht hinterher laufen lassen?“ „Ja“, sagte Yahiko und half dem jungen Polizisten Goro auf die Füße. „Warum lassen wir den Typen laufen?“ „Wir lassen ihn nicht laufen, Yahiko“, sagte Kenshin sanft und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Er hatte seine Fassung schnell wieder erlangt, aber seine Stimme klang noch angestrengter als sonst. „Aber Yoshi ist nicht allein. Draußen warten mehrere bewaffnete Wachposten.“ „Was?“ Sano fluchte leise. „Warum hast du nicht früher was gesagt, Kenshin?“ „Ich wusste es nicht früher.“ „Aber die anderen! Misao, Sae...“, Kaoru verstummte und sah mit geweiteten Augen zu Okina. Die Stirn des alten Mannes lag in Falten und seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst, als er aus dem Fenster blickte, ohne etwas zu sehen, und sich Sorgen um das Schicksal seiner Leute machte. „Ich glaube nicht, dass sie angegriffen wurden“, sagte der Rurouni langsam. „Ich hätte etwas so offensichtliches gespürt. Und wir haben keinen Kampfeslärm gehört.“ Ken-san schien genauso wenig zu wissen, was vor sich ging, wie der Rest von ihnen. Aber Megumi fühlte sich durch seine Worte etwas beruhigt. Sie spürte keine Täuschung in Ken-sans Stimme. Er sagte das nicht nur, um freundlich zu sein und ihnen die Sorgen zu ersparen. Er schien wirklich zu glauben, dass die anderen in Ordnung waren, dass sie in Sicherheit gelangt waren, ohne in einen Hinterhalt zu geraten. Warum der Feind ihnen erlaubt hatte zu gehen, war ein Rätsel, aber Megumi hatte das Gefühl, dass keiner von ihnen die Antwort wissen würde bis diese Nacht vorüber war. „Was machen wir jetzt, Ken-san?“, fragte sie und ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren kleinlaut. „Wir können nicht für immer hier bleiben.“ „Durch die Hintertür rausgehen?“, fragte Sanosuke. „Das werden sie auch erwarten“, sagte Okina. „Aber vielleicht nicht so bald“, sagte Sanosuke. Er zuckte die Schultern. „Haben wir eine andere Wahl?“ Im Zimmer war es still. Nur die Wände ächzten unter dem Wind. „Dann lasst uns gehen“, sagte Okina. Das war entschieden. „Bleib in meiner Nähe“, murmelte Sanosuke ihr zu als sie auf die Hintertür bei den Küchen zugingen. Megumi nickte. Der Straßenkämpfer hätte sie gar nicht warnen brauchen. Sie war auch so verängstigt, war überrascht, dass ihre Beine sie noch trugen als sie mit ihren Freunden in die Dunkelheit dort draußen eilte. Der Wind war wie ein wildes Tier, dass an ihnen zerrte, als habe es auch noch eine Rechnung mit ihnen offen. Megumi steckte ihre Haare in den Kragen ihres Kimonos und hielt sich eine Hand vors Gesicht, um ihre Augen vor Wasser und Dreck zu schützen. Der Regen prasselte gnadenlos herab und weichte sie alle innerhalb von ein paar Sekunden durch. Es war schwer etwas zu sehen, aber soweit sie es beurteilen konnten, war die schmale Straße anscheinend verlassen. Zumindest war noch kein Angriff auf sie erfolgt. Okina führte sie und hielt sich instinktiv im Schatten. Auch dem spärlichen Licht, das aus den Fenstern von Gebäuden in der Nähe drang, wich er aus. Megumi hielt ihren Kopf unten und hatte eine Hand fest um Sanosukes Ärmel geballt. So stolperte sie dem Straßenkämpfer hinterher und versuchte nach besten Kräften ihn nicht zu behindern. Sie konnte die verschwommenen Silhouetten ihrer Freunde vor ihr erkennen, Farbkleckse von Yahikos gelber Gi, Kaorus indigoblauem Haarband. Sie bewegten sich schnell, aber es kam ihr immer noch schrecklich langsam vor. Zu langsam. Zu ungeschützt. Sie fragte sich ob Ken-san Schritt halten konnte. Er würde in dieser Sturzflut nicht lange durchhalten, fürchtete sie. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte die schmale Gestalt des Rurouni in einiger Entfernung zu entdecken. Und wirklich, sie sah, dass Ken-san stehengeblieben und halb an einer Wand zusammengesunken war. Sein Kopf war gebeugt und er versuchte zu Atem zu kommen. Kaoru und Yahiko zögerten, aber der Rurouni schob die Schulter des Mädchens energisch nach vorn. „Nein, haltet nicht an, Kaoru-dono. Bitte geht weiter. Ich werde schon aufholen.“ Und als sie sich nicht bewegte, fügte er keuchend hinzu: „Yahiko, sorg dafür, dass sie geht!“ „Ja“, sagte der Junge mit geweiteten Augen. Er zog an Kaorus Arm. „Komm schon!“ „Geh, Fräulein“, sagte Sanosuke, als er und Megumi zu ihnen aufschlossen. „Ich werde den Idioten tragen, wenn ich muss, also mach dir keine Sorgen. Geh weiter!“ Kaoru nickte schließlich und eilte Okina und Goro nach, Yahiko im Schlepptau. Jetzt stritten sie kein bisschen, sondern gingen Hand in Hand und stützten sich gegenseitig als sie vorwärts stolperten. Megumi war nicht die einzige, der es schwer fiel, sich im Sturm zu bewegen. „Füchsin...“ „Ich werde allein zurechtkommen“, erwiderte sie auf die unausgesprochene Frage des Straßenkämpfers. Er nickte ihr zu, aber sein Gesicht war noch immer ernst als glaube er es nicht so recht. Megumi blinzelte den Regen aus ihren Augen und beeilte sich hinter den sich entfernenden Gestalten von Kaoru und Yahiko her zu kommen. Eine Hand hatte sie an der Wand neben ihr und sie versuchte sich nicht in der Dunkelheit zu verirren und gleichzeitig das Licht zu vermeiden. Der Wind war eine ständige Qual, der erbarmungslos gegen ihren Kimono peitschte und sie bis ins Mark frieren ließ. Ihre Hände und Füße wurden taub. Der Boden war glitschig und uneben und sie brauchte ihre ganze Aufmerksamkeit um auf den Beinen zu bleiben und weiter zu gehen. Sie glaubte ein Geräusch durch den Sturm zu hören. Sie sah rechtzeitig auf, um weiter vorn ein Stück Metall aufblitzen zu sehen, und plötzlich erschallten gedämpfte Warnrufe von ihren Freunden. Megumi konnte die Worte nicht verstehen, aber sie presste sich instinktiv an die Wand. In diesem Moment traf sie ein weißblauer Schemen in der Seite und zwang sie zu Boden. Sie hätte geschrien, wenn nicht eine Hand ihren Mund zugehalten hätte. Als sie sich umdrehte, erkannte sie, dass das, was sie getroffen hatte, Sano mit Kenshin war. „Behalt den Kopf unten!“, zischte der Straßenkämpfer neben ihr und legte eine Hand auf ihren Rücken. Megumi hatte kaum Zeit zu nicken. Dann begannen die Schüsse. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)