Genesung von ZMistress ================================================================================ Kapitel 8: Ausflug zum Aoiya ---------------------------- Ken-sans Reaktion auf die Neuigkeiten über Shishios Männer war genau so wie Megumi gefürchtet hatte. Gleich am nächsten Morgen begann er sich zu überanstrengen, versuchte allein aufzustehen und seine verloren Kraft wiederzufinden. Er schaffte es nicht ganz und kroch schließlich auf allen vieren wie am vorigen Abend als er Shirojou auf dem Dach gespürt hatte. So fand ihn Megumi am nächsten Morgen: Ein Häufchen Elend auf dem Boden, zitternd und ein bisschen verlegen, dass man ihn außerhalb des Bettes erwischt hatte. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu schelten. Sie hatte nur geseufzt, da sie wusste, dass das ohnehin keinen Zweck hatte. Wenn Ken-san es sich in den Kopf gesetzt hatte sich bei dem Versuch wieder gesund zu werden umzubringen, würde er das mit oder ohne Hilfe tun (und Megumis verschwendete Ermahnungen ignorieren). Also entschied sie sich wieder besseren Wissens ihm bei dieser Dummheit zu helfen. Ihre einzige Bedingung war, dass er seine kleinen Versuche in der Nähe des Futons machte, damit er weich landete sollte er fallen und sich nicht zu sehr verletzte. Schließlich hatte sie zu hart daran gearbeitet, dass seine Verletzungen heilten, als dass sie ihre Bemühungen jetzt durch diesen Leichtsinn zunichte gemacht werden ließe. Als er das gefährliche, missbilligende Glitzern in ihren Augen gesehen hatte, hatte Ken-san kleinlaut ihrer Bedingung zugestimmt. Sie half ihm dann hoch, hielt seine Hände in ihren und stützte ihn als er unsicher auf die Beine kam. Und dann wartete sie geduldig, während er die Augen schloss und einen Moment abwartete bis sich nicht mehr alles drehte. Er versuchte einen Schritt zu machen, aber seine Knie gaben nach und Megumi konnte gerade so verhindern, dass der Schwertkämpfer lang hinschlug. Die schmale Gestalt des Rurouni war schwerer als er aussah und Megumi war nie körperlich stark gewesen. Als sie es letztlich schaffte ihn zurück zu seinem Futon zu bekommen, atmete er schwer und seine Hände zitterten. „Ken-san, du kannst nicht erwarten, deine Kraft und Energie so schnell zurück zu bekommen, besonders wo du soviel Blut verloren hast“, sagte sie sanft als sie sein von Enttäuschung und Frustration düsteres Gesicht sah. „Niemand würde versuchen ein Feuer ohne Holz anzuzünden. Dies ist genau das selbe, verstehst du? Du kannst keine Kraft gewinnen, wenn du so wenig Blut hast. Und es braucht seine Zeit um gesund zu werden, besonders wo du so lange im Bett warst.“ „Während der Bakumatsu habe ich nie so lange gebraucht um mich zu erholen.“ Seine Stimme war angespannt, beinahe verdrossen. „Du wurdest auch noch nie so schwer verletzt, Ken-san“, erwiderte sie. „Und“, fügte sie trocken mit ihrer besten Füchsinnenstimme hinzu, „du warst auch noch nie achtundzwanzig. Du bist fast doppelt so alt wie damals, weißt du? Väterchen.“ Er hatte das Gesicht verzogen und leise und reimütig gelacht. Aber er hatte sein mentales Gleichgewicht wieder, wenn auch nicht das physische, und er hatte ihren Rat angenommen und sein Tempo gedrosselt. Das war vor einer Woche gewesen. Er hatte sich seitdem stetig verbessert. Mehr als Megumi für möglich gehalten hatte, wenn sie an die verdammte Wunde in seiner Seite dachte, die noch immer blutete. Er hätte eigentlich bei der Menge an Blut, die er verloren hatte, sterben müssen, aber wer als Kenshin könnte etwas Unmögliches tun und es irgendwie schaffen Generationen von medizinischer Erkenntnis über den Haufen zu werfen und wieder gesund zu werden? Er saß mit dem Rücken am Fensterrahmen und sah den Leuten auf der Straße zu als Megumi ins Zimmer kam, um seine Verbände zu wechseln. Er stützte sich auf sein Sakabatou und bewegte sich so vorsichtig und langsam wie ein alter Mann, aber er ging allein und ohne Hilfe zu seinem Futon, wo er sich ohne große Schwierigkeiten setzte. „Guten Morgen, Ken-san“, sagte sie als sie den kleinen Korb mit Verbandszeug absetzte. „Könntest du mir die Salbe holen, während ich etwas Wasser koche? Du weißt doch wo sie ist, oder?“ „Ja“, sagte er und durchsuchte die Behälter in ihrem Medizinkoffer. Megumi lächelte sich selbst zu als sie eine Flamme für das Wasser entfachte. Sie hatte sich schon gedacht, dass Ken-san heute morgen früh auf sein würde. Megumi hatte entschieden, dass es ihm gut genug ging, eine Weile nach draußen zu gehen, und heute würde der Rurouni zum ersten Mal seit er nach dem Kampf hierher gebracht wurde, die Grenzen des Shirobeko überschreiten. Ken-san war seit zweieinhalb Wochen hier eingepfercht und seine Rastlosigkeit begann langsam seine Geduld zu übertreffen. Also hatten sie einen Ausflug als eine Belohnung geplant. Die Polizei würde bald mit einer Kutsche hier sein und sie zum Aoiya bringen. Sanosuke war heute morgen zurückgeblieben und würde Megumi mit Ken-san und dem riesigen Picknick helfen, das Sae gezaubert hatte. Megumi hatte eine Menge Essen zum Aoiya gebracht, als sie das letzte Mal dort zu Besuch war, doch das heutige Mittagessen würde das letzte in den Schatten stellen, hatte Sae geprahlt. „Megumi-dono?“ Etwas in seiner Stimme ließ sie sich umdrehen und als sie das tat, hielt Megumi plötzlich bei dem, was sie tat, inne. Ken-san hielt eine kleinen schwarz lackierten Flakon in der Hand. Es war das Fläschchen, das Hiko verlangt hatte, als der Rurouni im Delirium war. ,Idiot!', dachte Megumi von sich selbst. Sie hatte das Perfum völlig vergessen. „Gehört das Euch?“, fragte Ken-san. „Ja“, sagte sie und versuchte beiläufig zu klingen. „Es ist weiße Pflaumenblütenperfüm“, sagte sie einfallslos. Wenigstens schaffte sie es, ihre Stimme normal klingen zu lassen. Er starrte das Fläschchen an und sprach stockend, als würde er schon ahnen was da kam. „Habe ich etwas... unangebrachtes gesagt, als ich krank war?“ Megumi seufzte. Kenshins Schwertkämpfersinn war (unglücklicherweise) wieder voll da und er hatte trotz allem etwas in ihrer Stimme gespürt. Es würde jetzt schwer sein ihn noch anzulügen. Er würde es spüren, wenn sie versuchte etwas vor ihm zu verbergen. „Du hast ein paar Namen erwähnt. Einer davon schien dich aufzuregen und Hiko-san dachte, dass dieses Parfüm helfen würde. Er wollte aber nicht erklären warum.“ „Mein Meister?“ Er hob vor Überraschung die Augenbrauen. „Ja.“ Sie nickte. Und dann ging sie ein Risiko ein. „Du hast einen Namen gesagt, Ken-san. Du hast nach Tomoe gerufen.“ Der Rurouni wurde plötzliche sehr still. Bevor Ken-san etwas anderes sagen oder denken konnte, sprach Megumi schnell weiter: „Ich weiß nicht, wer sie war, Ken-san. Und ich werde nicht fragen. Aber wenn das irgendwie hilft...“ und hier sprach sie nur aus einer inneren Ahnung heraus auf einen Verdacht hin, „Wenn das irgendwie hilft: Kaoru war nicht hier als du es gesagt hast. Und wir haben es ihr gegenüber nie erwähnt.“ „Sie war nicht hier.“ Er klang erleichtert. Dann sagte er: „Wir?“ „Okina, Sae und ich“, gab sie zu. „Wir waren alle hier. Aber keiner von uns hat seitdem darüber gesprochen. Du hast viele Geheimnisse Ken-san. Ich hoffe eines Tages erzählst du uns davon, aber im Moment... verstehen wir das.“ Seine Augen waren dankbar als er sie ansah. „Danke, Megumi-dono“, sagte er leise. Sie studierte ihre Hände und versteckte dabei ihr Gesicht. Es gab nur sehr wenige Menschen auf der Welt, die Takani Megumi wie ein kleines Mädchen erröten lassen konnten. Sie lachte nervös und schüttelte den Kopf. „Wie auch immer“, sagte sie und kam auf das eigentliche Thema zurück. „Lass uns mit dem Verbandwechseln fertig werden, oder? Und dann können wir uns auf den Weg machen. Ich bin mir sicher, dass schon alle auf uns warten und ich weiß, dass du sehr beeindruckt sein wirst, was sie schon geschafft haben. Okina-san sagt, dass die Reperaturarbeiten nächste Woche fertig sein müssten. Das ist ziemlich schnell, nicht wahr, wenn man bedenkt, dass sie ein ganzes Restaurant und Hotel wieder aufbauen. Und wird es nicht schön sein, in der Sonne zu Mittag zu essen, Ken-san? Ich bin sicher, du freust dich darauf. Sae hat genug Körbe gepackt um eine kleine Armee zu versorgen.“ Sie plapperte wie ein Idiot, das wusste sie. Aber wenigstens herrschte keine unangenehme Stille mehr zwischen ihnen und Ken-san schien amüsiert zu sein und zufrieden damit, ihrem Geplauder zuzuhören während sie arbeitete. Sie und Ken-san waren inzwischen ziemlich gut im Verbandwechseln geworden. Er hob zur richtigen Zeit die Arme, drehte sich in die eine oder andere Richtung und reichte ihr von selbst Salben und Verbandszeug. Wie immer waren die alten Bandagen blutig, aber Megumi war entschlossen sich an diesem Morgen von ihren Sorgen nicht ihre Laune verderben zu lassen. Es gab genug was ihr sonst noch auf dem Herzen lag und wollte sie nicht beide mit deprimierendem Pessimismus herunterreißen. Sie versuchte sich auf das Positive zu konzentrieren. Ken-san schien heute nicht mehr so viel Schmerzen zu haben. Und das Sickerblut schien etwas weniger geworden zu sein. Und machte sich Ken-san nicht gut trotz des Lochs in seiner Seite? Sie konnte nichts tun als ihn weiter so gut wie möglich zu behandeln, also tat Megumi genau das. Sanosuke traf bald darauf mit ihrer Kutsche ein. „He, Kenshin! Füchsin!“, rief der Straßenkämpfer von draußen hoch. Megumi eilte zum Fenster. „Hör auf zu schreien, Idiot! Die ganze Nachbarschaft wird dich hören“, sagte sie und schaffte es doch nicht die Belustigung aus ihrer Stimme zu vertreiben. „Wir sind in einer Minute unten.“ Aber der junge Kämpfer war zu ungeduldig um draußen zu warten und bald konnte man seine Schritte die Treppe hinaufrennen hören. „Beeilt euch doch? Ich habe Neuigkeiten“, sagte er und machte ein finsteres Gesicht. Er legte einen Arm um den Rurouni und halb trug er und halb zerrte er den armen Schwertkämpfer mit einer Geschwindigkeit, die für Megumis Geschmack viel zu hoch war, die Treppe hinunter. „Sano! Das ist zu schnell!“ kam ein gedämpfter Protest von dem verschreckten Rurouni. Megumi konnte nicht anders als sich vorzustellen, wie die zwei Männer die verbeibenden Stufen in einem Strudel aus Pink und Weiß hinunterstürzten. Sie murmelte halblaut: „Idiot“, und ging die Treppe mit einer weit vernünftigeren Geschwindigkeit hinunter. Megumi stellte vergnügt fest, dass die Kutsche von dem selben eifrigen, jungen Polizisten gefahren wurde, der sie beim letzten Mal begleitet hatte. Er war damit beschäftigt, Sae dabei zu helfen, die Kutsche mit einem verblüffenden und etwas einschüchterndem Aufgebot von Körben zu beladen. „Werden wir da alle rein passen?“, fragte sie zweifelnd. „Kein Problem“, sagte Sanosuke als er einem leicht schwindeligen und überwältigten Ken-san in die Kutsche half. „Ich werde oben auf der Kutsche sitzen.“ Damit warf er Megumi einen bedeutungsvollen Blick zu und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Dächer. Sein Gesicht war von Sae abgewandt und der Ernst in seinen Augen widersprach dem Klang seiner Stimme. Megumi nickte verstehend. Sanosuke war besorgt. Es ging um ihre Sicherheit. Und man musste Megumi dieses Mal nicht erst sagen, dass sie die Augen offen halten sollte. Nicht nach der Lektion, die sie beim letzten Mal auf dem Weg vom Aoiya gelernt hatte. Sie hatte noch immer Albträume von dem Angriff, konnte immer noch den kalten Stahl an ihrer Haut spüren, wenn sie nachts allein in ihrem Zimmer war. Sie hatte an diesem Morgen daran gedacht, aber dann hatte sie jeden Gedanken daran verbannt und sich mit anderen Dingen abgelenkt, so dass die Sorge sich nicht zu deutlich in ihrem Gesicht zeigte. Ken-san spürte ihre Bedenken. Daran konnte sie nichts ändern. Aber er musste nicht unbedingt das Ausmaß ihrer Ängste kennen. Er musste nicht sehen, wie viel Sorgen sie sich wirklich machte. Sie sah zu dem Hahnenkopf hoch, der immer noch hektisch herumeilte und sie erkannte plötzlich, dass er Ken-san mit gutem Grund so die Treppe heruntergezerrt hatte. Er hatte gehofft, den Rurouni damit abzulenken, Ken-san daran zu hindern die Anspannung zu bemerken, den Schwertkämpfer zu beschützen und zu verhindern, dass er ihnen helfen wollte. Megumi schüttelte mit widerwilliger Anerkennung den Kopf. Daran musste man sich erst mal gewöhnen, an einen seltsamen Sanosuke, der sogar zu intelligenten Überlegungen fähig war. Und bei diesem Gedanken wandte Megumi ihr Gesicht ab und versteckte ein amüsiertes, kleines Grinsen vor dem Straßenkämpfer als sie schnell hinter Ken-san in die Kutsche kletterte. „Sanosuke-san, Sie müssen nicht draußen sitzen“, sagte Sae als sie sah wie Sanosuke es sich bequem machte und die langen Beine nach hinten von der Kutsche baumeln ließ. „Es ist genug Platz hier drinnen. Wirklich, warum sitzen Sie da oben?“ „Um den Sonnenschein zu genießen und eine bessere Aussicht zu haben“, antwortete er. Um Ausschau nach dem Feind zu halten war die unausgesprochene Bedeutung. Arme Sae, dachte Megumi voller Zuneigung. Sie war auf ihre Weise eine weise und freundliche Frau, aber in anderer Hinsicht so schrecklich unschuldig. Sie war mit Gefahr und Intrigen nicht so vertraut wie der Rest von ihnen. Sie hatte nicht den kämpferischen Instinkt, allem zu misstrauen, den viele von ihnen teilten. Was für ein armseliger Haufen sie doch waren, dachte Megumi bei sich. Ihre Freunde schienen Gefahr und Bosheit anzuziehen wie der Honig die Fliegen. Megumi hörte wie Sanosuke mit dem Fingerknöchel auf das Dach der Kutsche klopfte und dem jungen Polizisten so anwies loszufahren. „Das war's. Wir sind bereit!“, sagte er. Und damit ging es los. „Bis später, Tae! – („Ich bin Sae!“, rief die Restaurantbesitzerin von der Tür aus.) – Egal, ihr seht doch beide gleich aus!“ Megumi sah die Gebäude vorbeifliegen, versuchte die Fahrt zu genießen, versuchte sich zu entspannen, versuchte nicht an schattenhafte Gestalten zu denken, die auf Hausdächern lauerten. „Megumi-dono, es wird alles gut werden“, sagte Ken-san sanft von seiner Ecke der Kutsche aus. Warum versuchten sie überhaupt, etwas vor ihm zu verbergen, dachte sie und lächelte dem Rurouni zu. Er schien immer zu wissen was alle dachten, egal wie sehr sie versuchten es vor ihm zu verstecken. Sie wollten ihn alle schützen und doch gelang es ihnen nie völlig. Es lag nicht in Ken-sans Natur die Hilfe anzunehmen, die sie ihm anboten, ohne selbst etwas zu geben. „Sano wird nicht zulassen, dass uns etwas passiert“, fuhr er mit ruhigem Vertrauen fort. „Und ich habe das Sakabatou. Aber wenn ich nicht stark genug bin es zu benutzen, könnt Ihr mit Eurem Messer zu unserer Rettung kommen.“ Wie in aller Welt wusste Ken-san von ihrem kleinen Messer? Sie hatte es seit dem Tag des Angriffs immer bei sich getragen. Megumi war sich nicht sicher warum sie es immer bei sich hatte. Es war nicht so, als könnte sie damit umgehen. Das war bei ihrer Begegnung mit dem Spion schmerzhaft deutlich geworden. Aber trotzdem gab es ihr ein tröstliches Gefühl zu wissen, dass es da war, und sie war Sanosuke für das gut überlegte Geschenk dankbarer als er je wissen würde. „Jetzt machst du dich über mich lustig, Ken-san“, sagte sie Kenshin lächelte nur und lehnte den Kopf zurück. Bald war er in den Blick aus dem Kutschenfenster versunken und schien zu vergessen, dass jemand bei ihm war. Wie er es liebte, den Menschen zuzusehen, dachte Megumi. Er schien meist zufrieden zu sein, aber die Ärztin in Megumi, die es seit Jahren gewohnt war, in den Gesichtern ihrer Patienten nach Anzeichen von Schmerzen zu suchen, glaubte eine Spur Traurigkeit in den Augen des Rurouni zu sehen. Es schmerzte sie ihn so sehnsüchtig in die Welt zu sehen. Sie wusste, dass er sich fühlte, als sei er auf ewig kein Teil der Menschheit mehr, verdammt dazu ein Außenseiter zu sein, einfach nur weil er zu viel erlebt hatte, weil er die Unschuld und das Gefühl von Sicherheit und dass die Welt richtig lief verloren hatte, das für normale Leute ganz selbstverständlich war. Selbst wenn er für alle seine Sünden sühnen würde, würde Kenshin die Welt nie so erleben wie andere. Er würde sie immer durch den Filter seiner beschmutzten Vergangenheit sehen. Es war etwas, das Megumi verstehen konnte, denn sie hatte eine ähnliche Ansicht über das Leben bekommen, während sie Opium für Kanryu machte. Ihre Erfahrungen, auch wenn sie schmerzhaft waren, waren nicht in der selben Größenordnung wie Ken-sans, aber sie reichten aus, um ihr zu erlauben, sich vorzustellen, wie er sich fühlen musste. Und vielleicht war es diese Wahrnehmung, die sie mit ihm teilte, die sie von den anderen abhob. Vielleicht war Ken-san deshalb so ungewöhnlich offen zu ihr. (Nun, nicht völlig offen, aber doch wenigstens relativ offen.) Er spürte nicht den Drang sie davor zu schützen, die Maske des fröhlichen Rurouni aufzusetzen, die er so oft für Kaoru und Yahiko trug und bis zu einem gewissen Grad selbst für Sanosuke. Diese drei hatten trotz schmerzhafter Vergangenheit und Erfahrungen im Kampf, diese Unschuld bewahrt, die Ken-san vor langem verloren hatte. Ihre Hände waren nicht blutbefleckt und wie sie das Leben sahen war nicht beschmutzt. Sie hatten den Optimismus der neuen Meijiära, die mit dem Blut derjenigen erkauft war, die den Weg bereitet hatten, solche wie der Hitokiri Battousai. Manchmal fand Megumi Trost in dem Gedanken, dass sie zwar nicht den ersten Platz in Ken-sans Herz einnahm, er ihr aber zumindest erlaubte, sein wahres Selbst zu sehen. Nicht dass der sorglose Rurouni oder der kampferprobte Battousai nicht existierten; Das taten sie auf jeden Fall. Aber sie waren gegensätzliche Verkörperungen eines tieferen, verborgenen Wesens, Abwehrmechanismen gegen zuviel Schmerz. Oder seltsamerweise zuviel Glück. Megumi verstand diese Abwehrmechanismen, denn sie glichen ihren eigenen. Der Rurouni und der Battousai waren der Fassade der flirtenden Füchsin oder der kühlen Ärztin, die Megumi so oft benutzte, nicht unähnlich. Und die doppelte Angst vor Schmerz und Freude, auch das konnte sie verstehen. Ken-san hatte Angst, dass die guten Zeiten nicht andauern würden, dass er die verlieren würde, die er liebte. Dass diese Verluste höchstwahrscheinlich irgendwie seine Schuld sein würden, entweder wegen etwas, das er in der Gegenwart tat oder, was wahrscheinlicher war, wegen etwas was, das er in der Vergangenheit getan hatte. Er hatte Angst davor, sich zu wohl zu fühlen. Er hatte Angst vor diesem ungewohnten, bewegenden Gefühl von Emotionen bestürmt zu werden, die ihm bis vor kurzem fremd gewesen waren: Freude, Trost, Vertrauen, Akzeptanz... Liebe. Diese Ängste ließen sie dem Rurouni näher kommen als es die anderen jemals könnten. Aber diese Ängste waren auch der Grund, warum es zwischen Kenshin und Megumi eine Kluft gab, warum sie in ihrem Herzen wusste, dass Kenshin nie ihr gehören würde. Selbst wenn er Kaoru nie begegnet wäre, wäre es doch nicht möglich, denn er konnte mit einer Frau, die eine ähnliche Vergangenheit hatte wie er selbst, nicht glücklich werden. Er wäre nicht fähig in ihre Augen zu sehen und darin all seine Sünden wiedergespiegelt zu finden. Keiner von ihnen würde zusammen Frieden finden. Und deshalb suchte Himura Kenshin bei Kaoru nach Trost und Megumi wandte sich an... Sie runzelte die Stirn. An wen wandte sie sich denn eigentlich? Sanosuke? Der Gedanke kam in ihr auf und ließ sie sich gleichzeitig warm und ängstlich fühlen. Seltsam, dass sie noch nie richtig über ihre Beziehung zu dem Straßenkämpfer nachgedacht hatte. Sie hatte seine Anwesenheit immer für selbstverständlich gehalten, wie sie es in letzter Zeit mit vielem, woraus sie Trost schöpfte, getan hatte. Was genau war denn ihre Beziehung zu ihm, fragte sie sich. Er ging ihr definitiv auf die Nerven. Und das auch recht oft. Und doch vermisste sie seine Gesellschaft, wenn er nicht da war... „Megumi-dono?“, kam eine besorgte Stimme. „Geht es ihr gut?“ „He! Füchsin, wir sind da. Ey!“ Sanosuke wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. Sie blinzelte. „Ja, ja, du Idiot! Ich habe nur über etwas nachgedacht. Schaff bitte deine Hand aus meinem Gesicht.“ „Vielleicht ist es nicht gut, so sehr nachzugrübeln“, sagte der Rurouni besorgt. „Was genau der Grund ist, weshalb ich das nie tue“, sagte Sanosuke, gähnte und streckte sich in der strahlenden Morgensonne. Megumi fragte sich ob der Gockelkopf sich absichtlich zur Zielscheibe für Beleidigungen machte. Er machte es so verführerisch einfach. Sie brauchte ihre ganze Selbstbeherrschung um nichts zu sagen. Unglaublich, dass sie ihn tatsächlich für fähig gehalten hatte, einen intelligenten Gedanken zu haben... Yahiko war wieder der erste, der sie begrüßte, und er nahm Ken-san eifrig beim Arm und zerrte ihn durch eine verkürzte Version der Tour, auf der er Megumi geführt hatte. Sie beendeten die Tour in Okinas Garten und Ken-san hatte sich gemütlich auf der Veranda niedergelassen, wo er den Frieden und die Ruhe (außer dem Hämmern, Klopfen, Geschrei und dem lautstarken Gestreite von Yahiko und Misao) in den Stunden vor dem Mittagessen genoss. Kaoru und Megumi schafften es dann, Saes beeindruckendes Picknick auf der Veranda aufzubauen und bald genossen sie alle eine schöne Mahlzeit, die die vorige wirklich in den Schatten stellte. Okina und Hiko, die zu Fuß vom Shirobeko hergelaufen waren (da nicht jeder eine Kutsche zur Verfügung hatte) schlossen sich ihnen bald darauf an. Und bald danach trällerte Okina, der sich mit Hikos Sake gründlich betrunken hatte, eine Melodie, die keiner außer ihm selbst erkannte. Sie versuchten alle von den Bemühungen des alten Mannes beeindruckt zu sein, doch es war recht schwierig nicht zu kichern. Es war mitten in diesem Trubel, dass Misao plötzlich aufsprang und Okinas Vorstellung unterbrach. Die Augen des Mädchens von der Oniwabanshu leuchteten auf und sie grinste so fröhlich wie Megumi sie noch gesehen hatte. „Aoshi-sama!“, hauchte sie und ihre Aufregung war beinahe greifbar. Und der Rest von ihnen drehte sich um und sahen den früheren Okashira allein am Rand des Gartens kerzengerade stehen, das Gesicht so undeutbar wie immer. Megumi strengte sich an, um kein finsteres Gesicht zu machen. Shinomori gehörte nicht zu den Menschen auf der Welt, die sie am meisten mochte. Schließlich hatte er ihr mehr als einmal mit dem Tod gedroht. Aber für die anderen, besonders die überschäumende Misao, behielt sie ihre Meinung für sich. Insgeheim wünschte sie sich aber, dass er im Tempel oder wo auch immer er sich die letzten paar Wochen abgeschottet hatte, geblieben wäre. Er konnte von ihr aus bis zum Ende der Welt meditieren. Seine Gegenwart ließ sie sich immer unbehaglich fühlen. Aoshi aß mit ihnen zu Mittag, ignorierte die Willkommenswünsche, die man ihm entgegenbrachte, zwar nicht so recht, reagierte aber auch nicht wirklich darauf. Er saß mit einem kleinen Abstand zu den anderen und machte sich nicht die Mühe, sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Megumi musste jedoch zugeben, dass trotz seiner beharrlichen Stille, sein Gesichtsausdruck irgendwie weicher schien, ein bisschen weniger eisig als das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte. Und die offensichtliche Freude, die seine Anwesenheit Misao brachte, konnte man gar nicht ignorieren. Deshalb und wegen der Tatsache, dass er schließlich ganz am Ende, Ken-san bei seinem Kampf gegen Shishio geholfen hatte... aus diesen Gründen konnte Megumi in Betracht ziehen, ihm zu vergeben. Eines Tages. Wenn sie bereit war. Aber heute noch nicht so recht. Nach dem Essen, schlief der völlig erschöpfte Ken-san in der Sonne auf einem Futon, den sie aus einem der Zimmer im oberen Stockwerk geholt hatten. Megumi und Kaoru machten sich leise daran, die Überreste des Picknicks aufzuräumen. Shinomori blieb seltsamerweise kurz bei Sanosuke stehen und sprach mit ihm, während die anderen wieder an die Arbeit gingen. Megumi konnte nicht anders als Teile ihrer Unterhaltung aufzuschnappen. Sie sprachen leise, aber sie schienen nicht zu versuchen, ihre Unterhaltung wirklich vor jemandem zu verbergen. Deshalb hatte Megumi kein schlechtes Gewissen, dass sie lauschte. „Hast du es ihnen gesagt?“, hörte sie Shinomori mit seinem kühlen, monotonen Tonfall fragen. „Nein, noch nicht“, sagte Sanosuke, warf ihr einen Blick zu und sah ein wenig verlegen drein. „Uns was gesagt?“, fragte Megumi, die nicht länger still bleiben konnte. Sanosuke drehte sich zu ihr, seine braunen Augen düster, und sah aus als wäre er lieber irgendwo anders auf dem Planeten als wo er im Moment war. Shinomoris Gesicht war so ausdruckslos wie immer. „Ja, uns was gesagt?“, stimmte Kaoru mit ein. „Ich habe heute morgen mit einem der Polizisten gesprochen als ich die Kutsche geholt habe“, sagte Sanosuke langsam. „Es scheint als ob jemand gestern in ihre Waffenkammer eingebrochen-“ „Was?!?“ Kaoru ließ den Becher fallen, den sie gerade sauber machte. Sanosuke räusperte sich voller Unbehagen. „Und, äh, sie glauben, dass es Shishios Männer waren“, murmelte er kaum hörbar. „Bist du sicher?“, fragte Megumi. „Unsere Quelle bestätigen es“, antwortete Shinomoris kühle Stimme. Also, dachte Megumi, hat der frühere Okashira doch in letzter Zeit nicht nur meditiert. Es war ja klar. Es war echt so klar. Klar, dass Shinomori nicht aus reiner Höflichkeit zum Essen kam. Klar, dass Hiko und Okina es für notwendig hielten, aus Sicherheitsgründen auch zum Aoiya zu kommen. Klar, dass Sanosuke (Idiot, Idiot!) und die anderen, die Bescheid wussten, es sich nicht getraut hatten, früher etwas zu sagen. Megumi schloss die Augen, zwang sich ruhig zu bleiben, nicht hier und jetzt einen hysterischen Anfall zu haben. Der Angriff von Shishios Männern stand also unmittelbar bevor. Sie hatten sich gefragt, was der Feind vorhatte, hatten in ständiger Angst vor einem Überfall gelebt. Und jetzt, schließlich... Schließlich war es nur noch eine Frage der Zeit. 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