Drachenherz und Sternenauge von Hatschepsut ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Prolog Es war ein besonderer Tag, denn heute sollte in Zedania, der Hauptstadt Luziejas, die letzte Isistochter brennen. Khay und die anderen Jungen, mit denen er ein altes Lagerhaus bewohnte, drängten sich durch die Menschenmassen, um möglichst nah an den Scheiterhaufen heran zu kommen. Man hatte ihn direkt vor den Toren der Kirche errichtet. Ganz so, als wollte man der Verurteilten noch eine letzte Chance lassen sich zu besinnen und Ra ihre Treue und vor allem ihre Seele zu versichern. Khay hatte einen guten Platz ergattern können. Auch wenn er von den nachströmenden Massen gegen die Absperrung gedrückt wurde, konnte er doch den ganzen freien Teil des Platzes überblicken. Doch das wichtigste war, dass er die von Bewaffneten gesäumte Gasse, auf der die Ketzerin zum Scheiterhaufen geführt werden sollte ebenfalls im Blick hatte. Auf einem Podestrechts neben dem Kirchentor hatten sich die großen der Stadt niedergelassen. Auf einem eleganten Stuhl mit hoher Lehne saß der Lektor, der Oberste des großen Gottes. Er blickte unberührt auf die Szene, als würde es ihn nichts angehen. Manche sagten, dass der Lecktor mit der Verurteilten befreundet gewesen sein sollte und dass er erst nach dem Geständnis der Frau glauben konnte, dass sie eine Isistochter war. Nun starrte er zu den Toren des Gefängnisses und wollte nicht glauben, was geschehen sollte. Der kleine Straßenjunge, der an die Absperrung gedrängt in der Masse stand, konnte die Hinrichtung kaum erwarten. Doch als nun endlich die Kerkertore geöffnet wurden und die, die des schlimmsten Verbrechens vor Ra überführt wurde, heraustrat hielt das Kind die Luft an und konnte nur starren. Sie war das schönste Wesen, das er je gesehen hatte. Mit ihrem schmalen Gesicht, den hohen Wangenknochen und den leicht schief liegenden Katzenaugen schien diese Frau nicht von dieser Welt und auch nicht aus einem Traum, denn auch dafür war sie zu befremdlich. Einige Wenige hatten genauso reagiert wie Khay. Sie starrten und staunten und waren nicht in der Lage die Beschimpfungen, die sie sich schon vorher überlegt hatten, zu brüllen, ja nicht einmal auszusprechen. Aber es waren nur wenige und diese Wenigen konnten den Rest der Masse nicht davon abhalten zu brüllen, zu lachen und die schöne Frau mit verfaultem Obst zu bewerfen. Der Lektor und auch Khay blickten entsetzt um sich und mussten feststellen, dass kaum jemand war wie sie, dass kaum jemand um diese Frau trauerte, weil sie so schön war und weil sie nun sterben musste. Die Verurteilte schritt sicher uns stolz durch die Gasse, die die Absperrung durch die Menge zog. Das erste Mal traf ihr Blick Khay, als sie ungefähr fünf Meter vor ihm stehen blieb, um einem undefinierbarem Wurfgeschoß zu entgehen, dessen Ziel ganz sicher sie gewesen war. Der sah in ihre Augen und glaubte sich in ihnen zu verlieren, sie waren so tief, das man wohl hundert Jahre in ihnen wandern konnte ohne je ans Ende zu gelangen. Als sie schließlich weiter ging, spürte er etwas Unbestimmtes und für ihn unbegreifliches in sich. Sie schritt an ihm vorbei und er konnte seine Augen nicht von ihr lassen. Ihre Kleider raschelten leise und ein Duft von Lilien folgte ihr. Khay schloss kurz die Augen und genoss ihre Anwesendheit. Ein Priester empfing sie vor dem Scheiterhaufen. Doch sie lies ihn stehen und ging sofort zu ihrer Todesstatt. Der Mann schien weniger empört, als überrascht und einwenig verängstigt. Ja, diese Frau hatte es verdient zu sterben, musste er denken, denn sie war wider die von … geschaffene Natur. Keine Furcht lag auf ihrem Gesicht und ein falscher Glaube lebte in ihrem Herzen, so sagte es das nicht Wissen und nicht Verstehen der Menschen, die sich an diesem Tag hier versammelt hatten. Der kleine Junge drängte sich noch nach vorn, beugte sich über die Absperrung, wollte ihr nahe sein, denn nun wusste er oder glaubte zumindest zu wissen was dieses unbekannte Gefühl war, es war eine Verbundenheit zu ihr, die er nicht erklären konnte. Es war als wäre ihr Geist in seinen eingedrungen und wollte ihn beruhigen, ihm sagen, dass sie nicht sterben würde oder dass es nicht schlimm für sie war zu sterben. Der Henker band sie an den Pfahl, der aus der Mitte des Scheiterhaufens ragte. Der Lektor sah weg, als die Fackeln geholt wurden und der Holzhauen in einer Art Zeremonie angesteckt wurde. Langsam fraßen sich die Flammen zu der Frau hin und leckten bereits an ihren Kleidern, als Khay eine Stimme hörte: „Wie heißt du, kleiner Junge?“ Die Stimme war so sanft und lieblich, dass Khay sofort wusste, wer sprach, auch wenn er nicht wusste wie sie es machte. „Khay, Herrin, mein Name ist Khay!“, schrie er über den Platz zu der Verbrennenden. Er erkannte ein Lächeln auf ihrem Gesicht und Tränen traten ihm in die Augen. Wie konnte man solch ein Wesen nur verbrennen? „Sei nicht traurig, kleiner Khay aus der Familie Shagone.“, sprach sie wieder in seinem Kopf, „Ich werde nicht sterben, die Macht der flammenden Nordgöttin ist unserer Familie inne und deshalb werde ich nie durch das Feuer sterben.“ Khay schrie auf, als die Flammen sie vollkommen eingehüllt hatten. Es konnte nicht sein, er wollte nicht glauben, dass die schöne Frau nun tot war. Ihre letzten Worte hatte er nicht verstanden, hatte sie nicht hören wollen, denn Sorge und Angst hatten das Herz ergriffen und abgeschottete von allen Beschwichtigungen. Tränen liefen weiter über das Gesicht des Jungen, während er vor der jubelnden, lachenden Menge floh und auch der Lektor verließ seinen Platz mit einer Träne im Auge, doch er durfte nicht um sie weinen, denn er war der Lektor, der Oberste von Ra. In einer Fest hoch oben im Norden, wo die Isiskinder noch frei und unbekümmert leben konnten, kam an dem Tag, an dem die letzte Isistochter in Zedania verbrannt wurde, die Tochter der Burgherrin zurück. Als silberner Falke landete sie in der Mitte des Festungshofs und wurde nach der langen Verwandlung wieder zu der schönen Frau, die sie war. Alle Bewohner der Feste Indoras drängten sich um die lang Vermisste und wollten hören was in der einstigen Heimat des Albenvolks geschehen war. Doch die Herrin Sternenauge, wie sie hier genannt wurde sagte nichts, denn nur ihre Mutter war berechtigt alles zu hören, was in Luzieja geschehen war und noch geschehen würde. So begab sich die junge Isistochter sofort zu ihrer uralten Mutter, die trotz ihres unermesslichen Alters so schön war wie ihre Tochter. Nur in den Augen der Festungsherrin konnte man erkennen, dass sie schon viele Menschenleben lang auf Erden wandelte. Die beiden Frauen trafen sich in einer kleinen Halle, die als Thronsaal genutzt wurde, denn obwohl die Halle klein war, war sie doch die größte Indoras’. Die Mutter der Herrin Sternenauge saß auf einem steinernen Stuhl mit hoher Lehne aus Lapislazuli und sah auf ihre Tochter hinab. „Wie ist es dir ergangen?“ Die samtene Stimme der Burgherrin umspielte die feine, melodische Sprache der Isiskinder. „Das ist jetzt unwichtig.“, erwiderte die Herrin Sternenauge und schritt zu ihrer Mutter. Elegant, wie eine Katze, ließ sie sich zu den Füßen der Uralten nieder. „Mutter, das Drachenherz ist in Gefahr.“ Kapitel 1: Der Mondlichtdiebstahl --------------------------------- Der Mondlichtdiebstahl Ein schwarzer Schatten schlich langsam und vorsichtig durch die Gassen Zedanias. Er hatte einen Auftrag, einen Auftrag von enormer Wichtigkeit für ein uraltes Volk von Alben und Zauberern, dass ein Scheitern unvorstellbar war. So von der Dringlichkeit getrieben, begab sich der Schatten zu einem imposanten Gebäude. Viele behaupteten, dass dies das schönste Haus der ganzen Stadt war und auch der Schatten musste zu geben, das die Stadthalle sehr beeindruckend war, doch er hatte das schönste Bauwerk bereits gesehen und musste nicht behaupten und glauben, dass es das schönste war. Der alte Höllensaal war ein Relikt aus der Zeit der Isiskinder, aus der Zeit des Albenvolks, dem er nun einen Auftrag erfüllen sollte. Nun dieses uralte Gebäude, an dessen Stein und Glas und auch an seiner Seele die Zeit genagt hatte, wie ein hungriger Riese und doch war es so herrlich, dass einem das Herz aufging, wenn man es nur sah. Der Schatten duckte sich in die Dunkelheit eines Hauseingangs der Stadthalle gegenüber. Heute war dort eine Versammlung und doch war heute der einzige Tag, der zur Erfüllung des Auftrags möglich war, denn heute verkrochen sich die Wesen, die der Schatten in der Nacht zu furchten hatte, in die tiefsten Winkel die sie finden konnten, denn heute war Vollmond und diese Wesen hassten Vollmondnächte. Lange musste der Schatten warten, bis die Tore der Halle aufgingen und eine Schar wohl gekleideter Herren hinausströmte und sich in alle Winde zerstreute. Heute hatte niemand Lust noch zu reden, über Belanglosigkeiten, wo man doch gerade über so wichtige Dinge beraten hatte. Nein heute gingen alle Herren sofort nach Hause, denn heute war Vollmond und sie hassten Vollmondnächte. Nun, da die Halle und das, was der Schatten begehrte verlassen waren, konnte er sich ans Werk machen. Schnell waren der Haken und das Seil, das der Schatten um die Schulter gewickelt hatte, an der Brüstung eines kleinen Balkons an der Seite des marmornen Hauses befestigt. Geschickt, lautlos und rasch kletterte der Schatten hinauf. Seine Herrin, eine Albin, hatte ihm beigebracht, wie er die schöne Glastür öffnen konnte ohne Spuren zu hinterlassen. Leise, wie auf samtenen Katzenpfötchen, durchquerte er das Zimmer, das hinter der Glastür lag, es war ein Schreibzimmer, das wohl einem wichtigen Mann gehörte oder einem unwichtigen, der sich wichtig machen wollte. Nachdem der Schatten das überdimensionierte Schreibstübchen verlassen hatte, schlich er über die Flure zu einer Breiten Treppe, die hinunter in die Eingangshalle führte. Jeder Schritt wurde von dicken Teppichen gedämpft und der Schatten musste sich nicht mehr bemühen leise zu sein. Die Treppe und der Korridor zur Ratshalle waren schnell passiert und bald schon schlüpfte der schwarze Schemen durch eine Seitentür in das Heiligtum der Ratsherren und dort, auf einem Podest lag der Gegenstand, den er begehrte. Mondlicht lag auf einem schwarzen Seidenkissen und seine silberne Klinge schimmerte in dem Licht, das ihm seinen Namen geliehen hatte. Die weiße Scheide mit ihren schwarzen Schlangendrachen auf der Haut lag neben dem einzigartigen Schwert, das nur die Alben geschmiedet haben konnten. Und so war es auch, Mondlicht war in den Schmieden im tiefen Norden geboren und dort gehörte es auch hin, doch vorher musste es noch seine Aufgabe erfüllen. Khay hatte lang suchen müssen, um einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Er lebte schon lange nicht mehr in dem verfallen Lagerhaus, das er als kleiner Junge sein zu Hause genannte hatte. Als er zehn geworden war, haben ihn die anderen verjagt, denn das Haus gehörte den Kleinen, das hatte auch Khay gewusst, aber es war trotzdem schwer den einzigen Ort zu verlassen, an dem man sich geborgen und sicher fühlte. Nun war Khay kein kleiner Junge mehr, er war sechzehn und man hätte ihn vielleicht als Mann bezeichnet, wenn er nicht wie ein Junge ausgesehen hätte. Er war zwar groß aber dürr und sein Gesicht hatte immer noch etwas Jungenhaftes, Weiches. Seine Augen allerdings wirkten älter und weiser als er wohl je werden würde, denn Straßenkinder wurden selten älter als zwanzig. Doch Khay hatte sich selbst versprochen älter zu werden, er wollte etwas werden, auch wenn er in alten Schuppen und verfallenen Häusern nächtigte, wollte er etwas aus sich und seinem Leben machen. Er zwängte sich weiter in die Nische, die er nach langem Suchen als geeignet empfunden hatte sein Schlafplatz zu sein. Vor einem Jahr hatte er angefangen auf dem Markt als Lastenträger zu arbeiten, doch waren die Aufträge rar und reichte der Verdienst kaum für eine Mahlzeit. Erst lange nach Mitternacht war der Junge eingeschlafen. Grausige Träume jagten einander, so dass er sich unruhig in der Enge bewegte und sich regelmäßig den Kopf stieß. Dann wachte er auf und starrte in die Dunkelheit, um sicher zu gehen, dass die Dämonen aus seinen Träumen nicht auch im Wachen auf ihn lauerten. Auch wenn heute Vollmond war und Khay in Vollmondnächten meist besser schlafen konnte, schlief er nur rund zwei Stunden und lang dann bis zum Morgen wach. Der Himmel hatte sein dunkles Nachtgewand noch nicht ganz abgelegt, da lief Khay schon durch die engen Gassen der verbauten Hauptstadt. Einst, so hieße es zumindest, war diese Stadt einmal ordentlich und geplant. Die sollen gerade gewesen sein und auch ohne Betrüg groß genug eine ganze Familie von drei Generationen aufzunehmen. Doch die war schon lange nicht mehr der Fall. Vor hundert Jahren oder mehr, das wusste keiner mehr genau, rebellierten die Menschen gegen die Alben, die die Obrigkeit bildeten, Isiskinder hatte man das schöne, uralte Volkgenannt. Zu dieser Zeit wurde der größte Teil der Stadt zerstört und das Albenvolk vertrieben. Die Menschen aber hatten weiter Angst und verbrannten die letzten Isiskinder, die noch in Luzieja geblieben waren. Später hatten sie auch den Tausendjährigen Wald erobert und das Volk der Zida’ya ausgelöscht oder zumindest fast, denn einige Wenige sind nach Norden geflohen und dort hin konnten und wollten die Menschen ihnen nicht folgen, denn sie fürchteten sich vor den Drachen, die dort lebten. Drachen und Alben waren seit jeher Verbündete, denn sie sprachen die gleiche Zunge und waren allesamt unsterblich. Nun war die Stadt das was sie nun einmal war, verbaut, verplant, dreckig, schäbig und noch vieles mehr, was niemand zu benennen vermochte. Khay wusste nur wenig von seiner Heimat und das wenige, da war er sich sicher, war falsch oder unvollständig. Doch was sollte ihn die Vergangenheit Zedanias interessieren, wenn seine Zukunft in dieser Stadt ungewiss war? Eines wusste er aber mit Sicherheit. Die Menschen hatten einen Fehler gemacht, als sie die Isiskinder verfolgt und verbrannt haben. Noch immer brannte ihm die Erinnerung an jenen Tag vor zehn Jahren im Kopf, jenen Tag, an dem die letzte Isistochter Luziejas verbrannt wurde, jener Tag an dem er mit einer Isistochter gesprochen hatte, als sie in seinem Geist war. Damals hatten seine Albträume angefangen und er hatte seit dem keine Nacht mehr durch geschlafen. Als der Junge die Stadthalle, das schönste Haus der Stadt passierte, sah er etwas für diese frühe Zeit, da die Sterne noch nicht verloschen waren und am Horizont nur ein kleiner Schimmer der Sonne zu erkennen war, seltsames. Dort an den Toren der großen Halle hatte sich eine Menschentraube gebildet. Neugierig näherte er sich der kleinen Menge und lauschte dem angeregten Geschnatter. „Das Albenschwert wurde gestohlen!“, rief eine alte Frau in die Masse und entsetzte Blicke und Schrei folgten. Die Menge stob auseinander, um die Nachricht zu verbreiten. Das Mondlichtschwert war aus der Stadthalle gestohlen worden, das musste jeder wissen, denn man hatte Angst vor dem Schwert, denn es war den Isiskindern heilig gewesen und dann konnte es nur schlecht sein. Auch Khay lief los, um zu erkünden was geschehen war, und schon zur Mittagszeit wusste die ganze Stadt über den Mondscheindiebstahl bescheit. Rufe wurden laut, warum man das Schwert nicht schon längst zerstört hatte und am Abend hatte sich erneut eine Masse vor der Stadthalle gesammelt, nur viel größer als am Morgen. Alwin, der Lektor des Ra, saß im Schreibzimmer des Ratsführer und starrte desinteressiert nach draußen, auf die immer weiter anwachsende Menge, während der Ratsoberste ihm versuchte zu erklären wie das Schwert verschwinden konnte. „Es ist eigentlich unmöglich in die Halle einzudringen und wer würde das Ding schon freiwillig anfassen?“, stammelte der andere und sah Alwin mit einem ängstlichen Lächeln an. „Ein Alb würde es tun.“, antwortete der Lektor und erhob sich. Er war jung und schon lange im Amt, doch seit ungefähr zehn Jahren war nicht mehr der der er die Jahre davor gewesen war. Alwin zählte fünfunddreißig Jahre, mit zwanzig wurde er zum Lektor gewählt. Er war ein guter Lektor gewesen, keusch und ehrlich, so glaubte man zumindest. Er aber hütete ein Geheimnis, grausiger als alles was man seinen Vorgängern vorgeworfen hatte. „Aber das ist völlig unmöglich!“, rief der Ratsherr empört, „Es gibt keine Alben mehr in dieser Stadt. Die letzte haben wir vor zehn Jahren verbrannt.“ „Ich weiß!“, zischelte Alwin erzürnt. Er wollte nicht an diesen Tag denken, sie war gestorben und er dazu. „Nun, Mondlicht ist weg und es ist an euch es wieder zu finden. Wenn es wieder da ist wird es in die Obhut der Kirche gegeben, wie es schon längst hätte sein sollen.“ Alwin wandte sich zur Tür, hinter der seine Diener warteten und der gesamte Rat lauschte. Der Ratsführer begleitete ihn. „Aber ich begreife nicht, wie es gestern verschwinden konnte. Wir hatten doch eine Versammlung.“, warf er verzweifelt ein. „Außerdem war Vollmond.“ „Warum sollte der Vollmond jemanden daran hindern etwas zu stehlen?“, fragte Alwin nun etwas amüsiert. Der andere Mann hielt die Luft an. Niemand traute sich in Vollmondnächten auf die Straßen und die, die es taten suchten sich meist schnell eine sichere Zuflucht, denn die Vollmondnacht war den Alben heilig gewesen und dann konnte es nur schlecht sein. Der Lektor lächelte traurig und öffnete dann die Tür. Seine Diener legten ihm sofort seine purpurne Seidenrobe an und er wand sich noch ein letztes Mal an den Ratsherrn. „Das Schwert muss wieder gefunden werden.“ Dann schritt er, begleitet von seinen Dienern und einigen Wachen hinunter zur Eingangshalle. Dort bestieg eine Sänfte und trug ihn hinaus. Die Menge brüllte Fragen, doch Alwin ignorierte sie. Ihr Schwert war gestohlen worden, darauf hatte er gewartet. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis es wieder da war und dann hatte er einen Grund es immer in seiner Nähe zu haben. Kapitel 2: Überraschungen ------------------------- Überraschungen Die Träger der Sänfte des Lektors mussten sich durch die Massen kämpfen und auch die Leibwachen waren machtlos gegen die neugierige Menge. So konnte niemand verhindern, dass ein Mädchen seine Hand durch die Vorhänge streckte. Eine kleine Schriftrolle aus feinem Pergament blieb auf dem Schoß des Sprechers Gottes zurück und eine leise Stimme flüsterte in der alten Sprache der Alben von ihr, die Alwin so liebte. Schnell zog der Lektor die schweren Samtvorhänge beiseite, doch Geschrei und fragend aufgebrachte Blicke flogen ihm entgegen. Alwin ließ den Stoff wieder fallen. Seine Hand hatte sich um das Röllchen gekrampft. Er würde es erst im Palast öffnen, wenn er allein in seinen Gemächern war und Ruhe mehr war als gedämpfter Lärm. Khay war der Sänfte gefolgt. Auch er hatte viele Fragen und wollte alles mitbekommen, was in der Nähe des Lektors geschah. Geschickt schlängelte er sich durch eine Gruppe Handwerker, die sich reckte, um einen Blick auf den Kirchenführer zu erhaschen. Der Junge war gerade ein paar Schritte hinter der Sänfte, als er einen Schatten davon huschen sah. Dann wurden die schweren Vorhänge der Trage zur Seite gezogen und Khay konnte für einen kurzen Augenblick den jungen Lektor sehen. Der Lärm wurde sofort unerträglich aber Khay hatte nun nur noch Gedanken für den Schatten. Er schlängelte sich durch die Masse, reckte den Kopf über die der anderen Menschen. Der Schatten war schnell, Khay hatte Mühe ihm zu folgen. Doch irgendwie gelang es ihm, den Schatten einzuholen. Er fast das Handgelenk der Person und sah verwundert in das Gesicht eines Mädchens, das ungefähr in seinem Alter war. Sie sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, den er nicht deuten konnte, aber Angst war nicht darin. Wie gebannt starrte Khay in die eisblauen Augen des Mädchens. Ihr Gesicht war grazil und fein, ihre Haare schwarz. In sachten Wellen flossen sie über ihre schmalen Schultern. Sein Griff um ihr Handgelenk lockerte sich. Das nutzte sie sofort. Sie riss sich los und verschwand wieder in der Menge. Khay sah ihr einige Herzschläge lang nach, bevor er ihr wieder folgte. Noch nie hatte er solch ein Mädchen gesehen. In dem alten Lagerschuppen waren ab und zu auch Mädchen gewesen, doch diese waren mager und hatten zerzauste Haare, in denen sich die Läuse nur so wimmelten. Dieses Mädchen aber war anders. Sie war schlank, ohne mager zu sein, ihre Haare glänzten und ihre Haut war leicht gebräunt. Sie konnte also keine Dame aus hohem Haus sein. Ihre Kleidung war sauber und ordentlich, aber ohne jeden Schmuck. Khay reckte noch einmal den Kopf über die Menge und sah sie gerade, als sie sich aus der Masse hinaus zwängte. Schnell folgte er ihr. Als Khay sich zwischen zwei hünenhaften Männern hindurch drängte, war das Mädchen schon ein ganzes Stück die Straße hinauf zum Herrenviertel geeilt. Der Junge folgte ihr mit schnellen Schritten. „Warte!“, rief er ihr nach. Sie drehte sich kurz um und lief dann schneller. Warum floh sie vor ihm. Er wollte ihr doch nichts tun. „Warte doch!“ Alwin war endlich der Menge entkommen und wurde nun durch die stille Stadt getragen. Er starrte auf das kleine Pergamentröllchen. Was wohl darin stand? Der verborgene Bote hatte von ihr gesprochen, von ihr, die vor Jahren starb. Aber wie konnte jemand davon wissen? Nie hatte jemand von seiner Liebe erfahren. Auf dem Wachs erkannte er das Siegel, das sie ihm einst geschenkt hatte. Er hatte eines und sie das andere. Wer hatte ihr so nahe gestanden, dass er ihr Siegel in die Hände bekommen hat? Bald erreichten sie den Palast des Lektors, der auf einem Hügel über der Stadt thronte. Hohe Mauern schützen ihn vor Feinden, die es nicht gab oder die niemals hierher, auf eine Insel mitten im großen See, gelangen würden. Der riesige Gebäudekomplex, der eine eigene Stadt war, war das Zentrum des Herrenviertels, wo die Adligen des Landes alle eine Residenz hatten, denn es war Brauch, dass sie einen Monat im Jahr in der Hauptstadt verbrachten und wer wollte da schon Gast in einem fremden Haus sein? Alwin mochte die schlichten, weißen Häuser, die den Palast bildeten. Nur wenige hatten mehr als drei Stockwerke. Die Fenster waren groß und mit bunten Glasbildern versehen. Vor dem Hauptgebäude, in dem sich auch seine Gemächer befanden, stieg er aus der Sänfte und wurde sofort von einigen seiner Berater empfangen. Sie redet auf ihn ein, doch er hörte nicht zu. Er betrat die pompöse Eingangshalle, die nichts mehr von der Schlichtheit der Fassaden hatte. Die hohe Decke wurde von aufwändig verzierten Säulen gestützt. Der Boden war ein Mosaik aus roten, gelben und orange Steinen. Eine breite Treppe führte in die oberen Etagen. Der Lektor erklomm die von Teppichen bedeckten Stufen. Er wollte in seine Gemächer. In Ruhe und Einsamkeit wollte er die Nachricht lesen, die in seiner Hand ruhte. In seinen Gemächern warteten einige Diener, er schickte sie fort. Seine purpurne Robe landete auf dem Boden und er setzte sich an seinen Schreibtisch. Mit zitternden Fingern brach er das Siegel und entrollte das Pergament. Sanna drehte sich um. Da war er wieder, der Junge, der sie vorhin in der Menge aufgehalten hatte. Was wollte er nur von ihr? Er war groß und dürr, sah aus wie ein Straßenjunge. Seine Haut war braungebrannt, seine Haare dunkel aber nicht schwarz und etwas gelockt. Seine Augen hatten die Wachsamkeit, die ein Leben auf der Straße verlieh, das erkannte Sanna, doch war da auch etwas, das sie nicht recht beschreiben konnte, etwas fremdes, ähnlich wie in den Augen ihrer Herrin. Atemlos kam der Junge auf sie zu gerannt. Was sollte sie tun? Wenn er gesehen hatte, wie sie dem Lektor die Nachricht überbracht hatte, musste sie ihn mitnehmen, denn niemand außerhalb des Hauses der Herrin Sternenauge sollte davon wissen, mit Ausnahme des Lektors. „Wer bist du und warum folgst du mir?“, fragte sie mit scharfen Unterton. Er blieb keuchend vor ihr stehen, stützte die Hände auf die Knie und sah zu ihr auf. Wieder starrte er in ihre Augen, das war ihr unangenehm. „Wer bist du?“, fauchte sie. „Mein Name ist Khay.“, keuchte er zwischen zwei tiefen Atemzügen. Sanna sah ihn verblüfft an. Khay, diesen Namen hatte sie schon einmal gehört, von ihrer Herrin. „Was willst du von mir?“ „Du… du bist mir aufgefallen… ich weiß nicht warum.“ Er senkte den Kopf, um kurz darauf wieder in ihre Augen zu sehen. Khay. Der Name war ihrer Herrin wichtig gewesen. Sollte sie ihn mitnehmen? Zum Haus der Herrin Sternenauge? „Wie ist dein Name?“, fragte der Junge namens Khay. „Sanna.“ Er lächelte und sagte: „Freut mich dich kennen zu lernen, Sanna.“ Sanna verdrehte die Augen. Dabei bemerkte sie, dass die Sänfte des Lektors nahte. Schnell griff sie Khays Hand und zog ihn in eine Gasse. Während des Rennens rief sie ihm zu: „Ich werde dich mit zu meiner Herrin nehmen, der Herrin Sternenauge.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)