Seelenspiegel von equinoxx (Die Tür zu meinem Innern) ================================================================================ Seelenspiegel – die Tür zu meinem Innern - Spiegel in Spiegeln in Spiegeln. Tausende Spiegel, gemacht durch zwei ihrer eigenen Art. Genauso, wie bei uns Menschen. Tausende Menschen, gemacht durch zwei ihrer Art. Spiegel in Spiegeln in Spiegeln. Wenn Spiegel sich in Spiegeln spiegeln. Was für ein Wortspiel. Was für eine Welt. Ob es sie wirklich gibt? Die Welt hinter den Spiegeln? Damit meine ich nicht, wenn man den Spiegel abnimmt und sich dahinter stellt. Ich meine die Welt, in die man eintaucht, wenn man einen Spiegel durchdringt. Ein Spiegel als Tor zu einer Welt aus Spiegeln? Die alle Tore zu anderen Welten sind. Unvorstellbar. Für alle von uns. Außer für die Spiegelmacher. Spiegelmacher machen Spiegel. Sie lassen Tore zu der Welt der Spiegel entstehen. Sie schaffen Brücken in andere Welten. - Dieser Gedanke verfolgte mich, seit ich in dem Buch über die Welt hinter den Spiegeln gelesen hatte. Es zog mich in seinen Bann… Ich las es nunmehr zum fünften Mal. Merle hieß das Mädchen, das dort ihre Abenteuer erlebte. Sie durchlebte eine Zeit voller Abenteuer, voller Gefühle. Angst, Geborgenheit, Glück, Trauer, Hass. Gefühle, die mich ebenso verfolgten. Sie steckten in allem, was ich ansah, was ich tat, was ich auch nur in Erwägung zog. Eine Welt ohne Gefühle müsste es geben. Gefühle, die einengten, die schmerzten, die uns leiden ließen sollten verschwinden auf alle Zeit. Aber das ging nicht so einfach. Wollte ich das überhaupt? In diesem Moment konnte ich nicht denken. Blind vor Wut, Trauer und Verzweiflung rebellierte ich gegen die Außenwelt. Ich kleidete mich anders, ich redete fast nichts mehr, ich verschloss mich. Schwarz war die einzige „Farbe“, die mein Gemüt mit sich identifizierte. Ich zog mich zurück und fertigte mir zugleich eine Maske. Eine Maske, die niemand sehen konnte und zugleich alle sehen konnten. Widerspruch? Ja und nein. Eine Maske sehen kann man auf zwei Arten. Man kann die Maske sehen, indem jemand eine Maske aus realem Material auf dem Gesicht trägt, meistens kunstvoll verziert oder zu schrecklichen Fratzen entstellt. Oder eine Maske, die ausgelebt wird, die Maske aus Gefühlen, die man schon längst nicht mehr erkennt. Die das Innere vergessen hat. Fröhlichkeit, Mut, Freude. Oder auch einfach nur Schroffheit und Gleichgültigkeit. Wie bei mir. Ich war fest überzeugt: Niemandem würde es gelingen, in mein Innerstes zu blicken. Ich verschloss mein Herz um es zu schützen. Vor Angst, vor Schmerz. Manchmal schrie es, es weinte, schüttelte sich heftig unter der Einsamkeit unter dem es litt. Aber das zählte nicht. Ich hatte es sorgfältig weggeschlossen, den Schlüssel verstaut, mit dem Gedanken, es nie wieder frei zu lassen, nie mehr die Tür zu meinem Herzen zu öffnen. Der Wecker klingelte, aber ich öffnete die Augen nicht. Ich drehte mich zur Seite und versetze ihm einen kräftigen Stoß, wie jeden Morgen. Diesmal fiel er vom Nachttisch. Auch egal. Ich wollte liegen bleiben, aber wer kennt das Gefühl nicht, wenn der Wecker einmal geklingelt hat, hat man immer Angst, wieder einzuschlafen und somit zu verschlafen. Unentspannender ging es schon fast gar nicht mehr. Schlecht gelaunt, mit nur halb geöffneten Augen quälte ich mich aus dem Gewühl von drei Decken, in die ich mich immer einwickelte und trotzdem immer fror. Es war gerade mal sechs Uhr morgens, zu früh, um schon richtig wach zu sein. Ich schlurfte zum Bad, ließ Wasser in die Badewanne laufen und beobachtete, wie sich aus dem blauen Badegel weißer Schaum entwickelte. Das Lichtspiel, welches das kalte Neonlicht mit der Seifenoberfläche veranstaltete war faszinierend, ich schaute ihm gerne zu. Es hatte etwas, was mir fehlte, ich wusste nicht was. Vor mich hinträumend merkte ich nicht, wie sich das Becken füllte. Gerade im rechten Moment erwachte ich aus meiner Trance und stellte das Wasser ab. Geistesabwesend glitt ich in das heiße Wasser und entspannte mich augenblicklich. Das war der einzige Moment des Tages, der mir Freude bereitete. Meine Mutter war schon weg, als ich voll angekleidet nach unten kam um zu frühstücken, sie war heute in die Kreisstadt gefahren, um mir neue Möbel für mein neues Zimmer zu kaufen. Mein neues Zimmer. Ich hatte so lange darauf gewartet. Nie gedrängt, nie geschrieen, dazu war ich zu ruhig. Einfach nur gewartet, dass ich endlich ein eigenes Zimmer bekam, es nicht mehr mit Aya teilen musste. Aya war damals erst 15 Jahre alt, meine kleine Schwester. Ihr voller Name war eigentlich Ayame, aber selbst meine Eltern benutzen die Koseform ihres Namens. An diesem Tag war es soweit. Ich konnte endlich einziehen. Bisher standen zwar nur ein Bett und eine kleine Kommode in diesem Zimmer, aber das war mir für den Anfang egal. Ich wollte einfach nur meine Ruhe, meine Privatsphäre, für eine achtzehn-jährige junge Frau sicher nicht zu viel verlangt. Nach dem Frühstück stieg ich auf mein Fahrrad. Ein weiterer, sinnloser Tag in der Schule, zwischen lauten und nervenden Kleinkindern, die einem immer auf die Füsse traten und den Weg abschnitten, wenn sie durch die Gänge rannten. Ein Tag, zwischen den Menschen, die mich verabscheuten, weil ich anders war. Bis auf ein Mädchen. Ihr Name war Yume, ich nannte sie Yu. Sie war die Einzige, mit der ich zurecht kam, die Einzige, die mich akzeptierte, wie ich war, meine einzige „Freundin“ auf der gesamten Schule. Mit ihr verbrachte ich den Tag. Sie hatte die gleichen Kurse wie ich im Abitur gewählt, Chemie und Biologie, eine ungewöhnliche Mischung für zwei ungewöhnliche Mädchen. Ungewöhnlich. Ja, das beschrieb uns beide, dieses kleine Wort, das so unterschiedliche Menschen beschreiben konnte. Yu war ungewöhnlich beliebt, jeder mochte sie, obwohl sie meistens mit mir zusammen unterwegs war. Ich war ungewöhnlich verhasst, weil mich niemand verstand, niemand verstehen wollte. Auch Yume wollte mich nicht verstehen. Sie nahm es hin, dass ich so war wie ich nun mal war. Ungewöhnlich. Der Tag zog sich dahin wie Kaugummi. Als um 17 Uhr endlich das letzte Mal an dem Tag, für mich zumindest, die Glocke schellte, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich verabschiedete mich von Yu, schroff, wie ich nun mal war, ohne auch nur einen Muskel im Gesicht zu verziehen und fuhr nach Hause, um mich endlich, das erste Mal seit ich auf der Welt war, in mein eigenes Zimmer zurückzuziehen. Ich öffnete die Tür und der Geruch von frischer Farbe drang in meine Nase. Es roch stark danach, deshalb öffnete ich als erstes das Fenster. Nur das Zwitschern der Vögel war in meinem Zimmer zu hören, sonst war alles still. Die Stille, die ich mir so ersehnt hatte. Ich sah mich um. Mein Bett, mein Tisch, alles stand schon hier. Dann entdeckte ich die neuen Möbel, ein großer, dunkler Kleiderschrank stand in der Ecke, eine neue Lampe hing an der Decke. Aber mein Blick fiel sofort auf den zimmerhohen Spiegel. Er war, genau wie der Schrank, aus dunklem Holz gefertigt, beim näheren Hinsehen entdeckte ich winzige Verzierungen, die im Holz versenkt waren. Schnörkel und kleine Gesichter, die mich aus dem Spiegelrahmen hinaus anstarrten. Er hatte etwas mysteriöses, etwas zauberhaftes, fast wie die Spiegel in meinem Roman. Aber sowas gab es nicht. Sagte zumindest meine Mutter und ich glaubte das. Aber tief in meinem Inneren sagte mir etwas, dass hier etwas Sonderbares war. Ich nahm den Spiegel genauer unter die Lupe. Der Rahmen war ganz normal. Ich untersuchte mein Spiegelbild. Da stand ich, klein, blonde Haare, ganz in schwarz gekleidet, mit finsterem Blick. Aber da war etwas. Etwas ganz kleines, dass doch nicht stimmte… Ich sah genauer hin. Meine Lippen, normal, meine Augen, normal, meine Nase normal, meine Ohren… Da war es! Ich tastete vorsichtig an meine Ohrringe und die Frau im Spiegel tat es mir nach. Aber ich ertastete, wie ich es gewohnt war, nur zwei Ohrringe. Aber ich hatte im Spiegel drei gesehen. Eindeutig. Ich näherte mich mit meiner Hand der Hand im Spiegel. Immer näher kamen sie sich, bis sie plötzlich verschmolzen. Meine Hand tauchte in den Spiegel ein, wie durch die Wasseroberfläche eines Sees. Plötzlich war da ein Sog, er zog mich ins Innere des Spiegels, die Kraft brachte mich der Ohnmacht nahe, ich sah Bilder um mich herumwirbeln, dann war alles schwarz. Ich öffnete die Augen erst nur einen Spalt breit. Es war so hell, selbst durch meine Augenlider drang die Helligkeit und ließ mich durch die geschlossenen Augen einen roten, blutigen Film sehen. Als ich mich langsam an die Helligkeit gewöhnt hatte, öffnete ich meine Augen ganz. Ich sah mich um. Weiss. Nichts als weiss. Doch, etwas silbrig. Ich versuchte aufzustehen, was mir aber erst bei dem zweiten Versuch gelang. Wie lange war ich ohnmächtig gewesen? Eine Minute? Eine Stunde? Womöglich ein ganzer Tag? Ich stand in einem langen Gang, ohne Ende. Alles strahlte in weiss, es leuchtete regelrecht. Ich näherte mich einer Wand, um sie mir etwas genauer anzusehen. Ich erschrak. Spiegel. Überall Spiegel! Nichts als Spiegel! Sie säumten die Decke, die Wände, sogar der Boden war über und über mit weiss-leuchtenden, großen Spiegeln bedeckt! Aber das merkwürdigste war, dass ich mich in keinem der Spiegel spiegelte. Spiegel spiegelten sich im Spiegelbild des gegenüberliegenden Spiegels und das setze sich immer weiter fort. Spiegel in Spiegeln in Spiegeln… Wo zum Teufel war ich hier? Ich schwarze, kleine Kreatur in Mitten eines Ganges bestehend aus weissem Licht, das unzählige Spiegel wiedergaben. Ich rannte los. Ich rannte blindlings einfach los. Hier und da prallte ich gegen einen der Spiegel, mein Spiegelbild warnte mich ja nicht, aber ich lief trotzdem weiter. Immer weiter, immer weiter. Und doch kein Ende in Sicht. Ich rannte und rannte, Energie schöpfend aus Verzweiflung und Angst, Gefühle, die mein Leben beherrschten, ich aber seit Jahren nicht mehr so offen gezeigt hatte. Ich stolperte über einen meiner pechschwarzen Schnürsenkel und fiel. Anstatt aufzustehen und weiterzulaufen lag ich da. Ich lag da und weinte, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr getan hatte. Ich war gefangen, ich würde sterben. Mein Denken vernebelt von Angst. Ich wusste nicht, wie lange ich weinte, ich fiel nach einer gewissen Zeit in einen langen, erschöpften Schlaf. Ich wurde angestubst. Einfach so. Nur angestubst. Ich gab ein klagendes Geräusch von mir und drehte mich weg. Und wieder. Vier oder fünf Mal. So langsam dämmerte mir, ich wachte auf. Ich öffnete die Augen einen Spalt breit und auf einmal fiel mir alles wieder ein. Der Spiegel, das gefälschte Spiegelbild, die Berührung, der Sog, die Verzweiflung. Unwillkürchlich liefen mir Tränen über die Wangen. „Hey, wer wird denn gleich weinen?“, erklang da plötzlich eine Stimme neben mir. Sie war tief, ruhig und ebenmäßig, sie hatte irgendwie eine beruhigende Wirkung. Ich sah auf und da stand er vor mir. Ein etwa 1,89 Meter großer junger Mann, er mochte wohl um die 19 Jahre alt gewesen sein. Er hatte kohlrabenschwarzes Haar, dazu schwarze Augen, ja, schwarz kamen sie mir vor, aber er war vollständig in weiss gekleidet, wären da nicht seine dunklen Haare gewesen, wäre er mit der Umgebung verschmolzen. Er war komplett mein Gegenteil. Nicht nur, weil er männlich und ich weiblich war, keinesfalls, aber er mit seinen dunklen Haaren und Augen gegen mich, die ich blonde Haare und grüne Augen hatte, er in weiss gekleidet, ich in schwarz. Ich war verblüfft, so weggetreten, dass ich sogar mit weinen aufhörte. Wieder stubste er mich an. „Lass das gefälligst! Das nervt!“, fuhr ich ihn böse an. Er senkte betreten den Blick. Na toll, das war meine erste Begegnung in der Einsamkeit, das womöglich einzige Lebewesen an diesem Gott-Verdammten Ort und mir fiel nichts Besseres ein, als ihn anzubrüllen. Mutlosigkeit überkam mich und auch ich senkte nun den Blick. Plötzlich spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter, ich drehte mich um, sah in diese sanften Augen und wieder übermannten mich die Gefühle, alles, was sich in den letzen Jahren an Angst, Hass und Verzweiflung in mir aufgestaut hatte forderte nun den Weg nach draussen. Er nahm mich in dem Arm, drückte mich fest. Das erste Mal seit Jahren fühlte ich mich nicht mehr so allein und einsam. Ich versuchte aufzustehen, aber knickte sofort wieder ein. Meine Knie, so weich wie eine glibberige Gummimasse konnten mein Gewicht einfach nicht halten. „Möchtest du Wasser? Oder was zu Essen?“, erklang wieder die Stimme des Unbekannten. „Wasser wäre gut.“, murmelte ich, „Und eine Toilette, wenn’s sowas hier gibt.“ Ich zitterte wie Espenlaub. Er führte mich durch zahllose Gänge, am Anfang versuchte ich noch, mir den Weg zu merken, aber in dieser silbrig-weiss glitzernden Welt hatte ich im Nu die Orientierung verloren, sofern ich jemals eine gehabt hatte. Nach einiger Zeit, sie kam mir wie Stunden vor, hielt er vor einem Spiegel an. Er drehte sich um, als wollte er sich überzeugen, ob ich noch da wäre. „Is’ da denn jetzt bald ne Toilette?“, fragte ich ungeduldig, „sonst pinkel’ ich gleich in die Hose!“. Er lächelte, zwinkerte mir zu und flüsterte dem Spiegel ein Wort in einer ungewöhnlichen Sprache zu. Dann, ganz der Gentleman, stand er an die Seite des Spiegels und sagte: „Ladies first!“. Ohne etwas zu sagen trat ich durch den Spiegel und fand mich in einem Zimmer wieder. Er folgte, flüsterte dem Spiegel wieder ein merkwürdig klingendes Wort zu und seufzte. „Das Badezimmer ist durch die Tür da!“, erklärte er mit auf eine Tür deutende Hand. „Wenn du möchtest kannst du duschen, lass dir Zeit!“ „Aber, ich hab gar keine frischen Klamotten dabei.“, murmelte ich. Wie gerne hätte ich doch jetzt geduscht um meine Sinne wieder zusammenzufügen. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er, „Ich kümmere mich darum. Wenn du fertig bist mit duschen werden saubere Kleider für dich bereit liegen!“ Ich machte mir Sorgen. Was war, wenn er mir weisse Kleider brachte? Nicht um alles in der Welt würde ich meinen Körper in weissen Stoff einhüllen! – Falls er mir wirklich weisse Kleidung bringen sollte, kann ich ja immer noch meine alten Klamotten wieder anziehen –, dachte ich bei mir und ging durch die Tür ins Badezimmer. Das Wasser war traumhaft, wie durch Zauberhand hatte es die genau richtige Temperatur, das Duschgel roch nach frischen Wäldern und das Shampoo duftete nach Blumen. Ich lies das Wasser auf mich nieder prasseln und entspannte mich sogar ein wenig. Als ich fertig war und aus der Dusche stieg entdeckte ich ein großes und ein kleines schwarzes Handtuch und schwarze Badepantoffeln. Ich schlang das große Handtuch um meinen Körper, es schmiegte sich an mich, wie eine zweite Haut, und mit dem Kleinen frottierte ich meine Haare, die auf einmal trocken waren und auch schon sauber gekämmt zum Vorschein kamen, als ich mir das Handtuch vom Kopf nahm. - Sonderbar - dachte ich nur bei mir, machte mich dann aber auf die Suche nach den versprochenen Klamotten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)